Mikis Wesensbitter: „Hört Franka eigentlich noch Black Metal?“
Die komplette Serie Staffel 1 bis 3
1. Auflage, August 2016, Edition Subkultur Berlin
© 2016 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe / Edition Subkultur
Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin
www.subkultur.de
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Ereignissen oder realen Personen wären rein zufällig.
Lektorat: Sarah Strehle (www.lektorat-strehle.de)
Cover & Fotografien: Jana Farley (www.berlinfotografin.de)
Satz & Layout: Thomas Manegold (www.manegold.de)
print ISBN: 978-3-943412-27-7
epub ISBN: 978-3-943412-77-2
Mikis Wesensbitter
Hört Franka eigentlich noch Black Metal ?
Die komplette Serie
Staffel 1 bis 3
Staffel I
1
Routiniert wie immer ließ ich den ganzen Werbemüll mit einer geschickten Drehbewegung des Handgelenks direkt vom Briefkasten in den Abfalleimer flattern und überlegte, ob ich mir dieses Ritual nicht auch langsam sparen könnte, indem ich den Briefkasten einfach abbaute. War eh nie was Wichtiges für mich drin, nicht mal mehr Rechnungen, seitdem ich alles abbuchen ließ. Und dann entdeckte ich zwischen den bunten Prospekten einen Brief.
An mich adressiert, die Adresse von Hand geschrieben, die Briefmarke mit Elchporträt. Ohne Absender. Was war das denn?
Sobald ich in meiner Wohnung war, machte ich mir ein Bier auf. Ich wog den Brief immer wieder in meinen Händen. Wann hatte ich das letzte Mal einen Brief bekommen? Vor vier Jahren, oder waren es schon fünf? Jedenfalls lange genug, dass ich mich nicht traute, ihn einfach so zu öffnen. Ich trank noch ein Bier und dann noch eins und überlegte die ganze Zeit, von wem der Brief wohl sein könnte. Irgendwann hielt ich es dann doch nicht mehr aus und schlitzte den Umschlag vorsichtig auf.
Lieber Kirk!
Lang, lang ist’s her, und ich hätte Lust, dich mal wieder zu sehen. Das Leben geht seine eigenen Wege. Manchmal sind sie nachvollziehbar, meistens jedoch nicht. Ich denke oft an früher, bin dann froh, dass es ein Früher gibt, und noch mehr, dass es nicht mehr so ist. Neugierig? Im Brief findest du eine Zugfahrkarte und ein Fährticket. Ich hole dich in Ystad ab.
Bis bald, Franka
Franka? Merkte die noch was? Ich konnte mich noch genau an den Morgen erinnern, als ich wach wurde und neben mir anstelle ihres warmen Körpers nur dieser Zettel lag: Bin weg, such mich nicht. F.
Bei der Erinnerung daran überlief es mich eiskalt. Wir waren fast drei Jahre zusammen gewesen, hatten zwei Jahre zusammen gewohnt, und dann war sie plötzlich verschwunden. Ohne Vorzeichen. Sie hatte nichts mitgenommen, sogar ihre Unterwäsche hing noch auf der Wäscheleine oder lag nach Farben sortiert im Schubfach. Das Einzige, was fehlte, war mein Fuck-Me-Jesus-Longsleeve. Sechs Monate hatte ich es ausgehalten, zwischen ihrem ganzen Kram zu delirieren und zum Speed-Junkie zu werden. Dann hatte ich alles in Kisten gepackt und zu ihren Eltern gebracht. Die hatten auch nichts von ihr gehört und waren erschrocken über mein Aussehen.
Ohne ihren Kram um mich herum ging es mir besser. Ich hörte auf, auf sie zu warten, und kam von den Drogen runter. Und nun, nach all den Jahren, lud sie mich aus heiterem Himmel nach Schweden ein. Ich nahm einen metallischen Geschmack in meinem Mund wahr und eine Gier, die ich seit Jahren nicht gespürt hatte. Es dauerte ungefähr zwölf Sekunden, bis die alte Blechdose aus dem hintersten Winkel meines Kleiderschranks hervorgezaubert war, und ein akkurat gebauter Joint zwischen meinen Lippen klemmte. Ich inhalierte tief und dachte: ‚Welcome back! Franka, du blöde Punze, du wirst es ohne Probleme schaffen, mein Leben ein zweites Mal zu zerstören.‘
Später, als ich im Bett lag, beobachtete ich, wie das Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos sich an der Wand brach und den alten Spruch Wir existieren nicht, es existiert uns! aus der Dunkelheit auftauchen ließ. Den hatte sie damals an die Wand gesprüht, und obwohl ich ihn bestimmt vier Mal überstrichen hatte, war er doch plötzlich wieder da und stimmte genauso wie damals.
Eine Woche später stieg ich in Sassnitz auf die Fähre. Ich wartete, bis der Shop endlich öffnete, holte mir eine Tuborg-Gold-Palette und setzte mich aufs Deck. Der Wind wehte frisch aus Nord, und das Stampfen der Motoren erinnerte mich an vergangene Zeiten. Genauso wie das Pärchen, das sich laut streitend auf die Bank vor mir schob.
„Ich sag es noch mal, Dunkelheit war Burzums bester Song.“
„Mann Alter, gib’s auf. Wenn das Licht uns nimmt war’s. Und das wird auch in zwanzig Jahren noch so sein.“
Ich öffnete zwei Büchsen und reichte sie den beiden nach vorne. Die blickten mich überrascht an.
„Das was einst war gewinnt. Hat immer gewonnen. Prost!“
Wir stießen an und tranken, bevor wir uns in die Arme fielen. Rouven und Bea, die hatte ich seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Sie hatten sich verändert. Beate trug jetzt die Haare kurz und rot, dazu weite bunte Ethno-Klamotten, was ihr noch mehr Fülle verlieh. Rouven hatte seine Haare zu einem straffen Zopf geflochten, war stark abgemagert und trug so enge Sachen, dass es unangenehm war, ihn zu betrachten.
„Wo wollt ihr denn hin? Skandinavienurlaub?“, fragte ich.
„Nach Ystad. Ich hab eine Einladung von Franka bekommen“, sagte Rouven.
Nicht nur ich blickte ihn erschrocken an, sondern auch Beate.
„Was, du auch? Aber ich dachte, du wolltest zu deinem Job nach Stockholm. Hast du nicht vorhin so etwas erzählt, von wegen Immobilienbranche?“
Rouven kämpfte um seine Fassung und sagte: „Ja, fuck, ich wusste nicht, was ich sagen sollte, als du vorhin so plötzlich vor mir standest. Ich kam mir so blöd vor. Du siehst so gut aus, bist so erfolgreich, und ich hab doch seit drei Jahren nichts Vernünftiges mehr auf die Reihe gekriegt.“
Das schien ihm echt peinlich zu sein und Bea war so nett und nahm ihn in den Arm. So brauchte ich nicht zu sehen, wie er sich selbst bedauerte und vielleicht gar in Tränen ausbrach, sondern konnte in Ruhe drei neue Biere aus der Palette fischen.
Dann waren die beiden also auch nicht mehr zusammen. Beate war mal Frankas beste Freundin gewesen und so hatten wir etliche und endlose Abende zu viert verbracht. Waren zusammen im Kino, veranstalteten Siedler-Spielabende und waren gemeinsam um die Häuser gezogen. Eigentlich immer in Independent-Dissen, bis Rouven eines Abends mit einer Burzum-CD angerückt war und damit alles verändert hatte. Danach ließen wir uns piercen, fingen an, ungeschnittene Horrorvideos zu verlangen, und entdeckten den süßen Sog der Dunkelheit. Oder war Franka schuld gewesen mit ihren Pilzen aus Amsterdam?
Nachdem Franka verschwunden war, hatten wir noch ein paar Abende zu dritt verbracht, aber es war nur ein fader Abklatsch. Wir alle litten unter dem Gefühl der penetranten Abwesenheit eines wichtigen Bestandteils. Der Wohlfühlfaktor war definitiv verschwunden. Auch mit Rouven allein stellte sich keine Geselligkeit ein. Er war viel zu beschäftigt mit seiner Sorge, dass Beate ihn auf ähnliche Weise verlassen könnte wie Franka mich.
Bea fragte: „Na Kirk, bist du immer noch auf der Suche nach der einzig wahren esoterischen Theorie?“
„Hab ich aufgegeben. Nutzt eh nix, weil man letztlich sowieso immer nur seine eigene innere Leere findet. Und du, Bea, bist jetzt bei Radio Multikulti gelandet?“
„Nö, ich diene immer noch beim Deutschlandfunk. Aber wenn du auf meine Klamotten anspielen solltest, dann kann ich dir nur sagen, dass es mit über dreißig langsam peinlich wird, irgendwelchen Szenetrends zu folgen. Ich trag jetzt, was ich will, und tanz’ auf vielen Partys.“
Gute Einstellung, auch wenn ihre Partys wohl hauptsächlich in der Schokoladerie stattfanden. Schade, sie war früher so ein verdammt schlankes Mädchen gewesen.
„Ich bin Metaller geblieben!“, verkündete Rouven stolz. „Und jetzt geh ich mal für große Jungs.“
Bea und ich blickten ihm nach, wie er mit großen, leicht schwankenden Schritten davonlief. Er wollte so hart wirken und sah doch so verletzlich aus.
„Wann habt ihr euch denn getrennt?“, fragte ich.
„Boah, keine Ahnung, ist lange her. Er ging mir mit seiner Kontrollmacke so auf die Nerven, dass ich ihn irgendwann rausgeschmissen habe. Er ging so weit, dass er im Hygieneeimer im Bad nach Spuren meines Fremdgehens gesucht hat. Echt! Hab ich ihn bei erwischt. Dann kam er noch ein paarmal sternhagelvoll vorbei und hat vor der Tür gewinselt. Dann war Ruhe. Ich seh’ ihn heute auch zum ersten Mal seit Ewigkeiten. Weißt du, was Franka will?“
„Irgendetwas wird sie schon vorhaben. Zumal, wenn sie uns alle drei einlädt. Vielleicht ist sie sentimental geworden, vielleicht sehnt sie sich nach den alten Zeiten? Ich hab nie verstanden, was in ihrem Kopf vorgeht, und nach all den Jahren check ich das noch viel weniger.“
„Ich auch nicht. Und ich dachte immer, ich wüsste alles von ihr. Aber so kann man sich täuschen.“
Am Horizont tauchte Schweden auf.
2
Als Rouven vom Klo zurückkam, hatte er sich völlig verändert. Er wirkte auf einmal viel straffer, seine ausholenden Schritte hatten wesentlich mehr Sicherheit und er schien, vor Energie zu bersten.
„So, jetzt erobern wir Schweden“, sagte er und hielt uns eine Flasche Jägermeister hin. „Auf geht’s, das Nordland will willkommen geheißen werden!“
Ich nahm einen Schluck und bereute es sofort. Bier war okay auf See, aber mit Fusel hatte ich meine Probleme.
„Memme! Das war ja nix. Da sperren die dich ja gleich ein, Alter. Trink wie ein Mann!“
Ich nahm einen zweiten Schluck und der Brechreiz verschwand. Was war mit Rouven passiert? Hatte ihm der Bordsteward irgendwie auf dem Klo Kraft eingeblasen, oder was? Da bemerkte ich den weißen Staub unter seiner Nase. Mann, dieses Arschloch! Hätte ja mal was sagen können!
Bea schüttelte sich, als sie Rouven die Flasche reichte. „Boah, bin ich froh, dass ich nicht mehr mit dir zusammen bin. Das würde ich echt nicht mehr vertragen, schon zum Mittag Schnaps zu saufen!“
Rouven nahm einen großen Hieb, lachte und sagte: „Will dich ja nicht erinnern, wer damit angefangen hatte. Außerdem ist das alles ’ne Trainingsfrage.“
Jetzt konnte ich den Hafen schon sehen und irgendwie wurde mir komisch. Bisher war alles nur ein absurdes Spiel gewesen. Der Brief, die Fahrt, die Wellen, doch so langsam nahm die Sache einen ganz anderen Charakter an. Nur noch ein paar Minuten und ich würde Franka gegenüberstehen. Ich nahm noch einen Schluck und flüsterte Rouven ins Ohr: „Du blödes Kumpelschwein, vielleicht hättest du mal fragen können, ob noch jemand was will, anstatt dich allein aufs Klo zu verdrücken. Vielleicht sind hier Leute, die ein bisschen mehr Gelassenheit vertragen könnten als du.“
„Hätt’ nicht gereicht! Außerdem war das Zeug gar nicht öko, oder ist das nicht mehr wichtig?“
Arschnase!
Wir schnappten unsere Sachen. Das Schiff würde gleich anlegen. Wir waren die Einzigen, die den Fußgängerausgang benutzten, die anderen Passagiere saßen schon in ihren Karren im Autodeck und spielten nervös mit ihren Zündschlüsseln rum. Ich kannte das zur Genüge von den vielen Skandinavientrips. Dann öffnete sich die Schleuse und wir konnten von Bord.
Wir liefen durch eine endlose, verglaste Röhre, an deren Ende ich mehrere Bullen sah, die warteten. War ja klar! Ich und der Zoll, wir verstanden uns blind. Komischerweise interessierten die sich aber gar nicht für uns, und wir betraten unbelästigt festen, schwedischen Boden.
Rouven fiel auf die Knie und küsste die Erde. „Ah, du heimeliger Norden“, sagte er feierlich.
Ich schaute mich suchend um. Der Platz war menschenleer.
Bea blickte mich fragend an. „Und nun?“
„Keine Ahnung. Franka wird wohl wie immer zu spät kommen. Manche Sachen ändern sich eben nie“, sagte ich schulterzuckend und stellte meinen Rucksack ab.
„Franka ist nie zu spät gekommen. Im Gegenteil, die war immer überpünktlich“, entgegnete Bea.
Wir setzten uns auf unsere Taschen und warteten. Was sollten wir auch anderes tun? Aber die Sonne schien und Bier hatten wir noch genug, von mir aus konnte sich Franka ruhig Zeit lassen. Von wegen überpünktlich. Bea sollte ihre Erinnerungen mal überprüfen, ich hatte Franka nie pünktlich erlebt. Nie. Selbst im Bett kam sie zu spät. Rouven wurde ungeduldig und fing an, durch die Gegend zu laufen. Erst lief er immer um uns herum, und nachdem Bea ihn angeschnauzt hatte, er solle aufhören, sie kirre zu machen, zog er größere Kreise. Bis er schließlich aus unserem Blickfeld verschwunden war.
„Man, dieser Typ macht mich fertig. Der ist ja schlimmer als ein Aufziehkasper. Früher war er doch echt gelassener“, sagte ich zu Bea.
„Na ja, so richtig entspannt war er ja wohl nie. Aber stimmt, zumindest konnte er fünf Minuten lang stillsitzen. Das kann er wohl heute nicht mehr.“
Rouven tauchte wieder auf und strahlte glücklich vor sich hin. Er hatte irgendwo Fischbuletten und Smörrebröd aufgetrieben. „Mann, Leute, echt skandinavisches Picknick, direkt am Wasser. Dankt eurem Retter Rouven.“
Ich schlug begeistert zu, aber Bea maulte: „Bäh, wie kann man nur solchen Scheiß fressen. Das sind doch bloß zusammengefegte Abfälle mit Sägemehl. Ihr seid voll eklig.“
„Quatsch, das ist feinstes Filet. Die haben das gar nicht nötig, Abfälle zu nehmen. Die haben hier genug Fisch. Aber auch nicht schade, wenn du nichts willst. Dann bleibt mehr für uns. Was, Kirk, du alte Flasche?“
Ich bot Bea meine Käsesandwiches an, die ich noch im Rucksack hatte. Das war zwar auch nicht ihr Kaliber, aber sie nahm sie. Wir aßen, tranken ein paar Bier und irgendwann fing es an zu dämmern.
„Äh, hat sich einer von euch schon mal ’ne Platte gemacht, wo wir pennen, wenn Franka nicht kommt?“, fragte Rouven.
„Sie kommt. Sei nicht immer so pessimistisch, Rouven.“
„Ich frag’ ja nur, weil so langsam wird mir doch komisch. Wisst ihr noch, als wir uns das Ferienhaus auf dem Darß gemietet hatten? Ich mein, da ist sie ja auch einfach mit dem Schlüssel verschwunden und erst nach drei Tagen wiedergekommen.“
Die Erinnerung an diesen Urlaub hatte ich vollkommen gestrichen, jetzt kam sie mit der Gewalt eines gezielten Leberhakens zurück. Wir hatten irgendwann die Scheibe eingeschlagen und waren durchs Fenster ein- und ausgegangen, bis Franka zurückkam. Sie hatte nie ein Wort darüber verloren, wo sie gewesen war. Genauso wenig, warum sie überhaupt verschwunden war. Es war unser letzter gemeinsamer Urlaub gewesen.
„Na, ihr könnt machen, was ihr wollt, ich checke mal, ob’s hier eine Jugendherberge oder so was gibt. Jedenfalls penn’ ich nicht hier im Freien!“
„Ja, krieg das mal raus. Ich bin langsam auch ziemlich platt und würde gern in einem Bett schlafen“, sagte Bea.
Als Rouven weg war, fragte ich sie: „Weißt du eigentlich, wo Franka damals war, auf’m Darß?“
„Na, wahrscheinlich hat sie sich irgendwo ordentlich durchbumsen lassen. Das hat sie doch ständig gemacht.“
Der nächste Leberhaken traf mich. Mein Magen krampfte sich zusammen und ließ die Fischbuletten durcheinander tanzen. Ich holte mir mit zitternden Händen den Jägermeister aus Rouvens Gepäck, nahm einen langen Schluck und war dann fähig, Bea anzufahren: „Wie bitte?“
„Was, wie bitte? Tu doch nicht so, als wenn du das nicht wusstest. Du hast es nicht gebracht, mit dir hatte sie keinen Spaß im Bett, und deshalb hat sie sich den Kick woanders geholt. Aber ich dachte, ihr hattet das so vereinbart. Du hattest doch auch deine Affären.“
„Ich hatte nie eine Affäre!“
„Klar hattest du. Zum Beispiel mit der rothaarigen Bedienung von Kerstins Braustübchen.“
„Niemals! Die hat mich mal im Hinterzimmer auf der Couch pennen lassen, als ich nach diesem beschissenen Mayhem-Konzert auf der Insel in Treptow total dicht war und vom Barhocker gekippt bin. Das war alles. Und was soll der Scheiß, dass Franka keinen Spaß hatte? Mir hat sie immer was von multiplen Orgasmen erzählt.“
Bea sah mich skeptisch an. „Du weißt wirklich nichts davon? Mann, ich glaub, wir haben zwei völlig verschiedene Frankas gekannt. Dann wusstest du auch nicht, dass sie ’ne verkappte Lesbe war?“
Nee, das wusste ich auch nicht. Aber wie Bea gerade gesagt hatte, redeten wir offensichtlich von zwei völlig verschiedenen Personen. Die Franka, die ich gekannt hatte, war im Bett ein Vulkan, bestand auf Monogamie und fand Lesben völlig verbogen im Kopf. Konnte es sein, dass sie zwei Mal existierte? Oder war sie einfach so durchtrieben gewesen, dass sie uns völlig verschiedene Personen vorspielen konnte?
Bea strich mir sanft übers Gesicht. „Tut mir leid. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mein Maul gehalten. Geht’s dir sehr schlecht?“
„Geht so. Ist schon so lange her und reißt doch lauter Wunden auf. Warum hast du denn früher nie was gesagt?“
„Was sollte ich denn sagen? Bei Franka kam das immer so rüber, als wenn das für euch beide völlig korrekt ist. Ich fand’s zwar komisch, aber das war ja euer Ding.“
Bevor ich eine Antwort gefunden hatte, kam Rouven zurück. „Okay Läuse, hab’ ein Dreibettzimmer klar gemacht. Bezahlbar und sauber.“
„Ich will nicht mit euch in einem Zimmer schlafen!“, protestierte Bea.
„Dann schlaf auf dem Gang. Das war das einzige, was noch zu haben war. Ansonsten ist hier alles ausgebucht.“
„Ja, aber was machen wir mit Franka, falls die jetzt noch kommt?“
Rouven grinste und holte ein Stück weiße Kreide aus der Tasche. „Reiseleiter Rouven besorgt nicht nur Heim und Nahrung, sondern hat auch den Rest im Griff.“ Dann schrieb er Franka – sind im Wandererheim. K.+ R.+ B. auf den Boden und half Bea hoch. „Auf geht’s, unterwegs ist eine billige Pizzeria, da können wir Abendbrot essen.“
Respekt, während Bea und ich in der Vergangenheit gekramt hatten, hatte Rouven ganze Arbeit geleistet.
„Tja, da staunt ihr. Früher habt ihr mich mit eurem Perfektionismus immer voll erschlagen. Da hab ich lieber gar nichts gemacht, als mir von euch blöd kommen zu lassen. Dabei bin ich ein viel besserer Pfadfinder als ihr.“
Die Pizza schmeckte hervorragend. Und wir waren so ausgehungert, dass sich jeder noch eine zweite bestellte.
„Mann, da haben wir ja Glück, dass Franka uns nicht nach Island bestellt hat. Da hätten wir für das Geld mal an der Pizza riechen dürfen“, meinte Bea.
Ich fand’s trotzdem ziemlich teuer.
Bea ging gleich ins Bett. Ich nahm mit Rouven noch ein paar Schlummer-Biere auf der Terrasse. Der Sternenhimmel war gigantisch, und nach der zehnten Sternschnuppe hörte ich auf, mir etwas zu wünschen. Mir war schon nach der dritten nichts Vernünftiges mehr eingefallen.
„Mann, Kirk, ich hab so gehofft, dass du dich mal meldest. Irgendwie machten die Konzerte ohne dich keinen richtigen Spaß mehr. Na und unsere Gespräche haben mir gefehlt. Du glaubst gar nicht wie. Ich hab mich bei so vielen Partys gelangweilt, weil alle immer nur denselben Müll erzählen. Dann dachte ich immer: Wenn der Kirk jetzt hier wäre, der hätte garantiert wieder viele esoterische Theorien ausgegraben.“
„Na, warum hast du dich denn nicht gemeldet?“
„Äh, hallo? Hab ich vielleicht zweitausend Mal angerufen, und du hast mich immer abgewimmelt?“
„Sorry, kann sein. Weißte, es ging nicht, ich konnte das alles nicht mehr haben. Egal, wo wir waren, ich habe immer was vermisst. Selbst beim fiesesten Black Metal. Das war alles viel zu sehr mit Franka verbunden. Ich hab’s mit Alternative und so Kram versucht, aber da waren mir die Leute einfach alle zu jung und zu blöde. Und dann bin ich irgendwann gar nicht mehr weggegangen. Und das geht so schnell, dass einem das auch nicht mehr fehlt. Und du rockst immer noch ums umgedrehte Kreuz?“
„Na ja, kommt auch nicht mehr das große Fegefeuer bei rum. Seitdem die ganzen Skandinavier domestiziert wurden, ist es eigentlich ständig das Gleiche. Aber ich kenne ’ne Menge guter Leute und geh eigentlich nur wegen denen noch hin. Vielleicht werden wir auch langsam einfach zu alt.“
„Kann sein. Und zu müde auch.“
Später konnte ich trotzdem nicht schlafen. Zum einen schnarchten Bea und Rouven so laut, dass ich selbst mit Feindrehfiltern in den Ohren das Gefühl hatte, auf einer Großbaustelle zu liegen, und zum anderen machten mich die Gedanken an Franka fertig. Bis vor ein paar Stunden war ich felsenfest überzeugt gewesen, dass Franka nicht ein einziges Mal fremdgegangen war. Wenn vielleicht auch einiges schief gelaufen war bei uns, so war doch Treue immer die Basis unserer Beziehung. Bei Bea klang das, als wenn Franka so gut wie nichts anderes gemacht hätte, als quer zu poppen. Und sie war ihre beste Freundin, sie musste einfach mehr Infos haben als ich.
Ich warf mich ruhelos von einer Seite auf die andere. Dann spürte ich auf einmal, wie sich ein Körper neben mich schob. „Darf ich mich kurz zu dir legen? Ich fühle mich so schrecklich verloren. Ich hätte nicht herfahren sollen. Wir hätten alle nicht fahren sollen. Ich komm mir vor wie im falschen Film. Alle meine Erinnerungen stellen sich plötzlich als Lügen heraus“, flüsterte Bea.
„Na, frag mich mal! Ich hab mich nie richtig erholt von Frankas Verschwinden. Immer diese Ungewissheit, ob sie plötzlich wieder vor der Tür steht und ‚April, April!‘ sagt. Und ich konnte mich auf niemanden mehr einlassen. Kam mir eine Frau zu nahe, machte ich Schluss, weil ich immer Angst hatte, dass sie mich genauso verletzen könnte. Und wofür das alles? Um jetzt zu erfahren, dass sowieso alles die ganze Zeit nur eine große Lüge gewesen war?“ Ich spürte Beas Hände auf meiner Brust. Sie kuschelte sich noch enger an mich.
„Sei mir nicht böse, ja? Ich hatte auch was mit Franka. Schon lange, bevor ihr euch kennengelernt habt. Und in der ganzen Zeit, die ihr zusammen wart.“ Sie begann, leise zu schluchzen, und ich nahm sie in den Arm. In meinem Kopf drehte ein Kettenkarussell seine Kreise und ließ mich einschlafen.
Am nächsten Morgen weckte uns Rouven mit frischen Brötchen und Becherkaffee. „Na, ich hoff mal, ihr habt keine Schweinereien gemacht, während ich unschuldig geratzt hab. Und nun: Überraschung!“ Er hielt ein kariertes Blatt in die Höhe und ließ es flattern.
„Jetzt ratet doch mal, wer heute Nacht hier im Hotel angerufen hat! Rumpelstilzchen? Oder der böse Wolf? Nee, nee. Unsere liebe Franka. ‚Tut mir leid, ich konnte nicht zur Fähre kommen. Erwarte euch in Huskvarna. Nehmt den Mittagszug. F.‘ Na, dann kommt mal aus dem Knick, und macht euch reisefertig. Die Schüssel fährt in zwei Stunden.“
„Huskvarna? Wo is’n das? Ich will da nicht hin. Ich will nach Hause!“
„Ach Bea-Maus. Das sind nur lockere dreihundert Kilometer von hier. So ein bisschen Abenteuer kann nie schaden, schließlich fährt man ja nicht jeden Tag mit der schwedischen Eisenbahn. Und außerdem hat Onkel Rouven auch schon die Tickets und ordentlich Proviant besorgt!“
Es war also zu spät für Ausreden. Der Weg würde weiter nach Norden führen.
3
Nachdem wir den Kaffee getrunken und schnell geduscht hatten, machten wir uns auf den Weg. Rouven verhandelte an der Rezeption mit der Empfangsdame. Er zeigte auf uns, gestikulierte und setzte ein ekelhaft charmantes Lächeln auf. Dann gab er ihr Geld und kam triumphierend auf uns zu. Er hielt bunte Bänder in den Händen, an denen eingeschweißte Pässe hingen.
„So Kinder, macht die mal schön um. Und verbummelt die ja nicht.“
Ich betrachtete die Plastikkarte, auf der ein debiles Milchgesicht grinste und irgendein kryptischer Vers stand. „Was’n das?“, fragte ich Rouven.
„Unsere Tickets. ‚Andersbegabte erkunden die Nordische Union.‘ Damit können wir bis hinter den Polarkreis fahren, falls Franka sich einfallen lässt, uns dahin zu beordern. Mann, und das alles für fünfzig Tacken. Soviel hätten wir sonst schon für die Straßenbahn abdrücken müssen. Geil, oder?“
„Ja, aber ist das safe?“
„Klar, oder meinst du, irgendwer hier würde auf die Idee kommen, Behindis zu schikanieren? Und dass ihr beiden geistig nicht ganz auf der Höhe seid, sieht ja wohl jeder!“
„Hähä, bloß gut, dass man dir das nicht im Entferntesten ansieht.“
Bea jammerte vor sich hin. Sie hatte keine Lust mehr auf diesen ganzen Trip, wollte ganz bestimmt nicht als Andersbegabte durch die Gegend reisen, und jeder Schritt war ihr zu viel. Selbst als Rouven und ich ihr Gepäck übernahmen und sie unbeschwert laufen konnte, hörte sie nicht auf, schlechte Laune zu verbreiten.
„Bea, das hier ist Skandinavien! Da haben sie in der Eisenbahn nicht nur extra Abteile für Behinderte, sondern bestimmt auch für Menstruierende, wo du dich weich betten kannst. Und jetzt hör auf zu jaulen. Da hinten ist eine Apotheke, kauf dir irgendeinen Scheiß gegen Regelschmerzen und dann ist gut“, befahl Rouven. Als sie ihn entsetzt anstarrte, fügte er hinzu: „Mann ich kenn dich doch. Wenn deine linke Augenbraue ständig zuckt und du diesen Pudelblick aufsetzt, dann ist doch garantiert frauliches Leiden im Anzug!“
Sie verschwand in der Apotheke. Als sie wieder da war, liefen wir weiter.
Vor dem Bahnhof standen ein paar Kahlköpfe, die völlig besoffen und unglaublich aggro drauf waren.
„Hui, jetzt gibt’s gleich Spaß. Kümmer dich mal um mein Zeug, wenn’s losgeht“, sagte Rouven.
Ich wusste nicht, was er meinte, und hoffte nur, wir würden irgendwie an diesen Idioten vorbeikommen. Am besten ungesehen. Aber das war angesichts der Leere auf dem Vorplatz ziemlich unmöglich. Besonders mit Bea, die leuchtete wie ein Kanarienvogel. Und da hatten sie uns auch schon im Visier. Ich verstand kein Wort von dem, was sie grölten, aber es klang alles andere als freundlich.
Rouven reichte mir im Laufen Beas Reisetasche und ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten.
„Was hast du …„, fragte ich, aber da war er auch schon mit schnellen Schritten davon und drosch dem Größten der Nazis seine Faust ins Gesicht. Der wankte, und als Rouven ihm sein Knie in die Eier rammte, fiel er in sich zusammen. Die anderen glotzen erstarrt zu Rouven, der sich noch einen schnappte und ihn mit einem einzigen Schwinger umlegte. Dann kam er wieder zu uns und nahm seinen Rucksack. „Ich lass mich doch von diesen Säureköpfen nicht als Mongo beschimpfen.“
Bea sagte fassungslos und voll Bewunderung: „Rouven, du bist ja ein richtig wilder Kerl geworden!“
„Na ja, seitdem man beim Feinkosthändler Lidl nur noch Vollwertnahrung kriegt, da geht’s aufwärts mit meiner Fitness.“
Ich war eher etwas verwirrt. So kannte ich Rouven nun gar nicht. Früher war er immer der Schisser gewesen. Aber auf die Nazis hatte sein Auftritt voll gewirkt. Die machten sich völlig unsichtbar.
Der Zug war leer und auch ohne Menstruationsabteil sehr bequem. Wir, also Rouven und ich, aßen ein paar Fischbuletten und tranken Bier, während Bea Bananen und Sauerkirschsaft bekam und kurz nach der Abfahrt einschlief.
„Erkennst du das echt an ihren Augenbrauen?“, fragte ich, als ich sicher war, dass sie nichts mehr mitbekam.
„Quatsch. Hab ich nur so gesagt, damit sie wieder was zu tun hat in ihrer Mimikschule. Ich riech das. Die riecht schon drei Tage, bevor es bei ihr losgeht, nach Aluminium. So ganz leicht nur, aber darauf reagier ich total extrem. Ich wusste schon früher immer viel besser, wann sie ihre Tage kriegt als sie selber … Aber mein Nazi-Umschubsen war doch cool, oder?“
„Mann, Rouven, das war total der Hammer. Ich wusste überhaupt nicht, was abgeht, als du da plötzlich losmarschiert bist.“
„War unsere einzige Chance, Alter. Auf Blitzkrieg sind die Idioten nie vorbereitet. Aber lass mal, mir ging ganz schön die Muffe.“
„Machst du so was öfters?“
„Ich? Nie. War nur ein Test, wie’s so läuft. Aber ich wusste ja, wenn mir irgendwas passiert, dann kreiselt Bea aus. Und die hätte die Knallfrösche alle verdroschen. Also eigentlich war’s null Risiko. Sag mal, Kirk, was erwartest du eigentlich von dem Wiedersehen mit Franka? Hast du irgendwelche Hoffnungen?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Hoffnungen worauf? Dass sie wieder mit mir zusammen sein will? Da weiß ich ja noch nicht mal, ob ich das überhaupt will. Antworten vielleicht, aber selbst da bin ich nicht sicher, ob ich die haben will. Nee, ich hab darüber nie nachgedacht. Ich fand’s eigentlich nur geil, nach Schweden zu fahren. Und seit ich euch getroffen hab, ist sowieso alles noch ganz anders. Wieso fragst du? Hast du irgendwelche Hoffnungen?“
„Na, auf jeden Fall. Ich hoff, dass sie mir recht gibt. Denn dann wäre für alle Zeiten geklärt, was nun der beste Burzum-Song ist.“
„Und was glaubst du? Hört Franka eigentlich immer noch Black Metal?“
„Nee. Und wenn, dann so Muschimusik, Within Temptation und so’n Dreck.“
„Echt? Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Ach hör mir auf, das konnte ich mir bei so vielen coolen Frauen schon nicht vorstellen.“
Dann kam der Schaffner und wir zeigten ihm strahlend unsere Pässe. So ganz ins Spektrum passten wir wohl nicht, aber als Rouven ihn lautstark und speichelspritzend um eine Kinderfahrkarte anbettelte, die er dann auch noch selber lochen durfte, da gingen wir dann wohl doch gut als geistig Behinderte auf großer Fahrt ohne Eltern durch. Wohl deshalb bekam ich von dem freundlichen Eisenbahner auch so eine bunte Kinderfahrkarte geschenkt. ‚Die hätte einen guten Jointfilter abgeben‘, dachte ich, während ich mir das Teil mit übertriebener Fröhlichkeit und mich am Sack kratzend in den Mund stopfte.
Danach brauchte ich dringend ein frisches Bier. Und mir fiel ein, dass ich schnell mal die finanzielle Seite klären musste, bevor meine Reisekasse leer wäre. Schulden verursachten mir Würgereflexe. „Wie viel Kohle kriegst du eigentlich von mir? Du hast ja bis jetzt alles ausgelegt.“
„Och, lass mal, das hat alles der unfreundliche dicke Herr auf der Fähre bezahlt, der gar nicht aufhören konnte, Beas Titten genauer zu betrachten.“
„Äh, wie?“
„Na, dieser blöde Arsch. Der stand doch neben uns und hat freundlich getan. Hatte schon ordentlich einen gezischt und während er mich ausfragte, starrte er immer in Beas Ausschnitt. Der bot sich sozusagen als Sponsor der Reise an. Da konnte ich schlecht ablehnen, oder?“
„Hast du ihn beklaut?“
Rouven plusterte sich regelrecht auf und bekam rote Flecken im Gesicht. „Quatsch. Die Kröten sind ihm aus der Tasche gefallen. Und nun hör auf zu heulen und mach nicht so einen auf soziales Gewissen.“
„Ey Rouven, es ist okay. Ich hab nur gefragt, Mann.“
„Scheiße ist. Du hast mich verurteilt. Dieser Wichser geht einfach an den nächsten Geldautomaten und zieht sich die fetten Scheine, ohne dass ihm das irgendwie auffällt. Geschweige denn, weh tut. Mann Kirk, früher warst du nicht so eine Pussy!“
„Und du nicht so ein verfickter Anti-Globalisierungs-Robin-Hood. Gib Bier her!“
Was auch immer ich bei ihm getroffen hatte, war nach dem Anstoßen verschwunden. Vielleicht fühlte sich sein schlechtes Gewissen jetzt sanft gestreichelt? Mir war das egal, und Mitleid hatte ich mit dem Typen von der Fähre auch nicht weiter. Was mich beunruhigte, war die Frage, wie weit Rouven noch gehen könnte, oder schon gegangen war. Ich überlegte kurz, das wievielte Bier ich jetzt eigentlich trank. Aber das spielte eigentlich keine Rolle. Keine besondere jedenfalls.
Bea wachte wieder auf. Sie sah sehr entspannt aus. „Mann, was machen die hier in die Tabletten? Ich hatte so einen verrückten Traum. Ich war Lady Di, und du warst Eminem und hast es mir auf dem Fichtelberg so besorgt, dass die Glockenblumen läuteten. Kann ich ein Bier haben?“
Rouven reichte ihr pikiert eine Dose. „Hab ich ja Glück gehabt, dass ich nicht Elton John sein musste. Gib mal eine von den Tabletten. Oder besser gleich zwei. Der Puppenkasper da braucht bestimmt auch ein wenig Gebärmutterentlastung.“
Ich schluckte das Teil runter und merkte die Wirkung fast sofort. Ich wurde irgendwie furchtbar plüschig und bekam Lust auf Sex. Egal mit wem. Aber wir konnten ja sowieso machen, was wir wollten, schließlich waren wir ja, dank unserer Pässe, dazu autorisiert.
„Wann sind wir eigentlich da?“, fragte Bea.
„Drei Minuten nach’m Hosenknopp, wenn de rennst, denn schaffstes noch!“
Oh je, Rouven war auch drauf. Aber mit dem wollte ich keinen Sex. Auch nicht mit dem Schaffner, der gerade wieder vorbei kam.
„Kinderfahrkarten!“, schrie ich.
Er schob mir eilig eine zwischen die Lippen und lochte sie, bevor er weiter hastete. Bea versuchte, mir das Ding aus dem Mund zu ziehen, aber ich ließ nicht los. Der Schaffner drehte sich noch einmal um, und ich winkte ihm. Wenn wir nicht echt waren, wer dann? In meinen nicht vorhandenen Eierstöcken schlug ein Blitz ein, und ich war wieder nüchtern.
„Nächste Station sind wir dran. Sagt mein Gefühl. Und diesmal ist sie bestimmt da“, verkündete Reiseleiter Rouven.
Wir zogen uns an, nahmen unser Gepäck und Rouven, der überhaupt nicht klarkam. Er hing zwischen uns und redete wirr: „Ich bin doch nur so ein kleiner Seeigel. So ein klitzekleiner. Ich kann doch nix dafür, wenn die Seepferdchenstute immer Drogen nimmt. Die geile Sau, die. Bea, kannst du mir Maid Of Orleans vorsingen? Bitte!“
Und sie sang tatsächlich. Viel besser, als OMD es je getan hatten, und so schön, dass mir vor Rührung Tränen die Wange herunterliefen. Rouven weinte auch. Er schüttelte sich regelrecht unter der Flut der Tränen, die er vergoss. Männer sollten keine Menstruationstabletten schlucken. Eindeutig nicht.
Der Zug bremste langsam ab und ein Bahnhof tauchte auf. Ein grasbewachsener, verträumter Provinzbahnhof, auf dem gerade die Lichter aufflammten. Wir stiegen aus, was problematisch war, da Rouven sich weigerte, auch nur irgendwie nützlich zu sein. Und so standen wir dann gepäckbeladen und wankend auf dem Bahnsteig und erblickten sie.
Sie stand unter einer Laterne, trug ein grünes Kleid und ihre langen roten Haare wehten im Abendwind. Sie sah aus wie eine Elfenkönigin. Groß, schlank, vollkommen und von einer Aura der absoluten Zufriedenheit umgeben. Sie war die schönste Frau der Welt.
Ich war starr. Gefroren vor ihrem Glanz. Rouven, der gerade noch ein trauriger Seeigel gewesen war, wurde plötzlich wieder zum Mann. Er warf seine Bierbüchse weg und lief auf sie zu. „Franka, du alte Spinateule.“
Sie fielen sich in die Arme, hielten sich fest, und als Bea dazu kam, umarmten sie sich zu dritt. Ich konnte mich noch immer nicht bewegen. Franka befreite sich sanft von den beiden und kam mir entgegen. Ihr Gang war so leicht, ihr Geruch so betörend und ihre Umarmung so warm. „Kirk, mein schöner Abendstern“, flüsterte sie in mein Ohr und für einen Moment stand die Welt still.
„Franka, lass den alten Sack los. Kannst ihn gleich wieder haben, aber vorher musst du mir eine Frage beantworten. Was ist Burzums bester Song?“, brüllte Rouven.
Ohne lange zu überlegen, sagte sie: „Gebrechlichkeit. Ganz unbestritten.“
Rouven fluchte laut.