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Titel der amerikanischen Originalausgabe

THE KING © by John Norman

Published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL INC., ARMONK, NEW YORK, USA

Deutsche Übersetzung: Andreas Schiffmann

© 2017 by Basilisk Verlag, Reichelsheim

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlagillustration und Logo: Timo Kümmel

Umschlaggestaltung: Timo Kümmel

Satz und Layout: Factor 7

ISBN 978-3-935706-00-1
eISBN 978-3-935706-01-8

Besuchen Sie uns im Internet:
www.basilisk-verlag.de

Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die die Freiheit und Fülle der menschlichen Vorstellungskraft schätzen, sie willkommen heißen und stets hochhalten.

Inhalt

Prolog

Anmerkung des Herausgebers

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Prolog

»Und Wölfe zogen durch das Land.«

(Annalen)

»Lasst uns lachen mit dem Stahl.«

(Sprichwort der Otungen)

»Stellen wir unsere Männlichkeit auf die Probe.«

(Kampfspruch der Drisriak)

»Der Lorbeerzweig blieb ungeschnitten,

die Feiertage sind vergessen.

Der Lorbeerzweig blieb ungeschnitten,

die Statuen sind zerschlagen,

die Glieder der Götter liegen im Staub.

Entweiht die heiligen Stätten,

Ruinen nunmehr unsere Tempel.

Der Lorbeerzweig blieb ungeschnitten,

verkümmerte am Stamm.

Der Baum ist tot,

jetzt ist es Winter.

Es wird kälter.

Die Nacht ist über das Imperium hereingebrochen.«

(Alarion)

»Ich habe die Trommeln gehört;

ich habe die Reiter auf den Hügeln gesehen.

Ihre Rösser atmen Feuer,

das Trappeln ihrer Hufe hallt wie Donner.

Die Klingen werfen das Sonnenlicht zurück,

die Herrscher sind gekommen:

Ich werde den Wald verlassen.

Ich will etwas anbauen.

Ich werde eine Frau finden.

Ein neuer Morgen bricht an.«

(Urheber unbekannt, nach Alarion)

Anmerkung des Herausgebers

Bislang war es Sitte unter dem oder den Chronisten – die Meinungen diesbezüglich gehen auseinander, doch eine multiple Urheberschaft ist durchaus denkbar –, den Chroniken von Telnaria bestimmte eigene Beobachtungen oder Gedankengänge vorauszuschicken. An diesem Punkt scheint man nun aber davon abgesehen zu haben. Uns liegen nur die vorangestellten drei Zitate und zwei Gedichte vor. Ich verstehe sie nicht und noch weniger ihre Platzierung an genau dieser Stelle. Möglicherweise handelt es sich dabei auch nur um einen Irrtum oder einen Zufall, was bei Kompendien ja nicht unüblich ist. In jedem Fall haben die Gedichte zumindest wenig mit der Geschichte zu tun. Wir lassen sie aber trotzdem stehen, weil sie im Original des Manuskriptes enthalten sind.

1

»Stellen wir doch unsere Männlichkeit auf die Probe«, sprach Abrogastes. Er reichte einem Schildknappen sein leeres Trinkhorn, dann fuhr er mit dem rechten Unterarm über sein Gesicht.

Bedienstete und Anhänger klopften nun auf die langen Tische, die um die Mitte der Halle herum aufgestellt waren.

Ehemalige freie Reichsbürgerinnen eilten herbei, um Getränke zu reichen. Erneut füllte man Abrogastes’ Horn und gab es dem Knappen, der es ihm entgegenhielt.

Sein Herr saß auf einer Bank zwischen zwei langen geschnitzten Böcken – dem Podest – und blickte von dort hinab auf die Tische im Saal. Das verschnörkelte und umwickelte Trinkgefäß in seiner Hand war aus dem Horn eines Huftieres gefertigt, dem Sorit. Darin schäumte gewürztes und mit Honig gesüßtes Bror, das man aus goldenem Lee braute.

Es war die Zeit der Stürme und des Meteoritenschauers zwischen dem Planeten der Alemanni und ihrem gelben Fixstern. Die Löwenschiffe ruhten in ihren Stahlhangars.

Zu dieser Zeit der alljährlichen Asteroidenschwärme am Himmel blieb die Welt der Alemanni verschlossen und ihr Tor verriegelt. Auswärtige erhielten keinen Einlass, während sich die Einheimischen abkapselten. Im Frühjahr würde das Firmament wieder aufklaren und dann würden die Löwenschiffe einmal mehr erwachen.

Abrogastes zeigte sich seit Kurzem sehr verdrossen und starrte auch jetzt in sein Trinkhorn. Sein Bart triefte von Bror.

Links hinter ihm harrte der Knappe mit seinem Schwert aus, rechts neben ihm auf der Bank lag eine Pistole, wie sie Imperiale verwendeten; eine zwar schlichte, aber dennoch kostbare Waffe. Privat war sie im Reich in der Regel nur Bürgern aus der Klasse der Senatoren oder noch höher Stehenden vorbehalten, und selbst dann nur mit einem begrenzten Aufladekontingent.

Wie Sie sehen, stellten sich die Ressourcen, die einst so unerschöpflich erschienen, im Laufe mehrerer Milliarden Jahre doch als endlich und oftmals nicht erneuerbar heraus.

Auf vielen Planeten behalfen sich deshalb selbst imperiale Streitkräfte primitiver Waffen, weshalb sich dort ein gewisses Kräftegleichgewicht sowohl mit Eindringlingen als auch mit Feinden innerhalb der Grenzen einstellte, bei welchen es sich nicht selten um frühere Federates handelte. Die Vorzüge der Truppen des Reiches lagen zuweilen höchstens noch im taktischen Bereich, in ihrer Disziplin oder der überlegenen Militärtechnik. Mitunter tauschte man sogar Grundstücksparzellen oder Frauen für nichts weiter als eine altertümliche Patrone ein. Vorerst jedoch bestand noch kein Zweifel an der Überlegenheit des Imperiums, da es mit seinen Kräften haushalten und sich entschieden gegen Einfälle in seine zentralen Systeme verteidigen konnte. Es vermochte nach wie vor, Welten zu zerstören, wenngleich es immer noch zahlreiche Welten gibt. War eine dahin, galt dies auch für die Mittel und Energien, um eine solche zu vernichten. Das Pulver dazu war sozusagen verschossen.

Glöckchen klingelten. Sie hingen an den schlanken Fesseln der ehemaligen Freien aus dem Reich, die nun ohne Schuhwerk mit großen Holztabletten über den mit Schilf ausgelegten Boden liefen, um den Gästen, dem bewaffneten Gefolge und den Angestellten, aber auch den Soldaten und Oberhäuptern, Botschaftern und Geiseln aufzutragen. Sie alle waren unter diesem hohen Dach versammelt, in der Halle von Abrogastes, dem Herrn der Drisriak, des größten und grausamsten aller elf Stämme der Alemanni oder Aatii, wie sie in den Aufzeichnungen des Reiches gemeinhin hießen.

Abrogastes leerte sein Horn einmal mehr und überließ es nun seinem Knappen, der es zur Seite legte. Gefüllt konnte man ein solches Trinkgefäß nämlich nicht abstellen. Unter den Alemanni, Vandalen und ähnlichen Völkern war es deshalb Sitte, nichts übrig zu lassen.

Die früheren Bürgerinnen des Reiches eilten nun emsig durch den Raum. Die wachhabenden Burschen, die hier und da in farbenprächtigen Gewändern und bunten Mänteln in einer Art Tracht und mit Peitschen dastanden, duldeten weder Nachlässigkeit noch Verzögerungen vonseiten der Schönheiten.

Abrogastes schien offenbar wütend zu sein.

Das war er natürlich oft, wenn er nicht gerade kämpfte oder kein Abenteuer bestritt und dabei sein Schwert zur Hand hatte, an dessen Knauf sein persönliches Siegel prangte, falls er spontan Dokumente unterzeichnen musste.

Dennoch war Abrogastes kein einfacher Gefahrensucher oder Plünderer und auch kein einfacher Dieb oder Pirat, der herumschnüffelte und auf eine passende Gelegenheit wartete, um in den Außenbezirken einer großen Stadt, deren Hafen er heimlich bei Nacht ansteuerte, die Bevölkerung mit einem Sturm aus Feuer und Stahl in Angst und Schrecken zu versetzen, ehe er fast so geschwind, wie er gekommen war, wieder verschwand, bevor die imperialen Kreuzer das Übel würden aufspüren beziehungsweise ihn überhaupt erreichen können.

Manche Welten waren den Verheerungen von Männern wie ihm anheimgefallen, weil sie sich stets offen und einladend gezeigt hatten, wohingegen andere, in denen zweifellos größerer Reichtum steckte, genau überwacht wurden – in einem solchen Maße, dass man dafür den Verlust einer ganzen Flotte in Kauf nehmen musste.

Dabei fragte er sich unwillkürlich, ob dies vielleicht einem unausgesprochenen Kontrakt zugrunde lag. Einer Art Eingeständnis, damit sich Abrogastes irgendwo beschäftigen und mit dem begnügen könnte, was man ihm anbot. Glaubte man, er würde deshalb den Rest freiwillig aufgeben?

Dachten die Imperialen, ihm einen Knochen hinzuwerfen, den er wegtragen und auf dem er genüsslich herumkauen könnte, um seine Zähne daran zu wetzen, würde ausreichen, damit er die wirklich fetten Braten nicht röche, deren Duft der Wind aus allen Richtungen an seine Nase trug? Hielten sie ihn für einen dummen Hund, den man so leicht auf eine falsche Fährte locken konnte?

Er wusste, das Reich erachtete ihn und seinesgleichen als Hunde.

Allerdings kannte es die eigentlichen Hunde der Alemanni auch nicht, dachte er. Einer davon lag gerade zu seiner Rechten auf dem Podest, bucklig und mit halb aufgerichteter Mähne, trotz halb geschlossener Augen, den Blick zwischen den Tischen umherschweifend, stets bereit. Die Hunde der Alemanni und vieler anderer Völker waren gewaltige, aber dennoch schnelle und ruhelose Untiere.

Hunde, dachte Abrogastes, zeigen Zähne und einen eisernen Willen.

Er hatte bereits Verträge mit mehreren Welten ausgehandelt, die offiziell zum Imperium gehörten, und nicht selten von Federates bewohnt wurden. Dort opferte man der Obrigkeit nach wie vor auf öffentlichen Altären, Rohstoffe und Schutzgaben, die die Unbescholtenheit vor Angriffen garantierten. So wurden diese Planeten also zu Trabanten der Alemanni, die deren Macht stetig vergrößerten. Auch andere Stämme wandten diese Taktik an und veranstalteten ähnliche Projekte gebiets- wie wirtschaftspolitischer Natur. Imperiale Insignien und Standarten prangten an solchen Orten, an öffentlichen Gebäuden und Theatern, während in Wahrheit ein wehendes Fellbanner an einem Pfahl auf freiem Feld oder auf einem großen Wagen angemessener gewesen wäre.

Zu der Versammlung, der Sie hier nun gerade beiwohnen, hatten sich Männer aus ebensolchen und ähnlichen Staaten in Abrogastes’ Halle eingefunden. Darüber hinaus waren Stellvertreter aller elf Stämme der Alemanni hinzugekommen, nicht zu vergessen die Mitglieder weiterer Sippen und Völker, teils bekannte Verbündete oder zumindest Freunde des Imperiums, die irgendeine Form der Ehrenbürgerschaft genossen. Der Rest der Gästeschaft stammte von Außenwelten und gehörte unterschiedlichen Spezies an, war jedoch nicht minder an Gold, Grundbesitz und Macht interessiert.

Der Schildknappe, der Abrogastes’ Schwert in einem Lederheft am Rücken trug, beobachtete die Gesellschaft auf die gleiche Art wie der Hund. Zu solchen Anlässen trank er nicht, sondern blieb seiner Pflicht treu, zeigte sich genauso wie das Tier wachsam und stets zum Einschreiten fähig.

Abrogastes war kein einfacher Bandit oder Brigant. Er bewies stets Weitblick und Tiefsinn, weshalb man ihn auch den Weitsichtigenden nannte. Abrogastes, Herr der Drisriak, der Weitsichtige. Wäre er ein dahergelaufener Verbrecher gewesen, hätte er diese Leute nicht einberufen und keine überzeugenden Argumente dafür vorbringen können. So aber hatte er Gäste zahlloser Stämme und Spezies um sich versammelt.

Links neben seiner Bank auf dem Podest klapperte kurz eine Kette, und Abrogastes spürte einen weichen Druck an seinem Fellstiefel. Er stieß den Fuß zornig zur Seite, um sich ihm zu erwehren. Ein weiteres Geräusch folgte … das Knirschen einer dickeren Kette, und dann ein leises gequältes Wimmern, ein verzagtes Flehen und dann schließlich ein Protestieren.

»Herr, möchtet Ihr jetzt speisen?«, fragte der Knappe.

»Ja, das will ich«, erwiderte Abrogastes.

Befehlend hob der Knappe eine Hand.

2

»Die größte Gefahr für das Imperium«, sagte Kanzler Iaachus, »geht nicht von fernen Sternen aus und auch nicht von den Schiffen barbarischer Köter, sondern von Verrätern im Inneren.«

»Natürlich«, entgegnete sie, während sie das Schälchen Kana abstellte und sich im Sessel zurücklehnte.

Es war spätabends in einem der vielen Paläste der kaiserlichen Familie.

In welchem genau, ist hier unerheblich, aber in der Kernwelt von Telnaria befand er sich nicht, sondern im 1. imperialen Sektor. Dies sei erwähnt, um Sie als Leser auf die Beschaffenheit der Umgebung hinzuweisen. Auf die Ausmaße und Anordnung der Gärten, die Pracht seiner Brunnen und Felder, die Sicherheitseinrichtungen, die Wachkräfte und Waffenausstattung und auch auf das prunkvolle Inventar und den verschwenderischen Hofstaat.

Übrigens besaßen viele reiche Bürger eigene Paläste … Angehörige traditionsreicher Familien, deren Stammbäume angeblich bis auf die ersten Welten des Imperiums zurückreichen, Angehörige der Klasse der Senatoren, in die man nur hineingeboren werden konnte und deren Zugehörigkeit offiziell immer noch notwendig war, wenn man selbst die Thronherrschaft ins Auge fasste. Auch hohe Würdenträger, beispielsweise Präfekten aus Volk und Militär, wohlsituierte Kaufleute und Gutsherren bauten Paläste.

Dieser Palast aber gehörte der Kaiserfamilie, obwohl im Augenblick niemand dort residierte, weder der Imperator Aesilesius noch seine Mutter Atalana oder seine beiden Schwestern, die blonde Vivina und die brünette Alacida. Es war kein Zufall, wenngleich Sie annehmen können, dass die Angelegenheit, um die es nun geht, im besten Wissen und Gewissen der Kaiserinmutter diskutiert wurde.

Iaachus warf einen Blick zur Seite. »Elena, lass uns allein.«

Die Angesprochene, eine Schönheit mit braunen Haaren und grauen Augen, zögerte nur kurz, bevor sie den Raum verließ, barfuß und in einem ärmellosen weißen Kleid, das bis zu ihren Füßen fiel.

»Ich glaube, sie ist eifersüchtig«, meinte die junge Frau, die vor dem Kanzler saß. Iaachus lächelte.

»Wer wäre das nicht angesichts einer Schönheit wie Ihr es seid?«, fragte er, woraufhin sie leicht zusammenzuckte und mit der Hand über ihre bestickten und reich verbrämten Gewänder strich.

»Eure Familie wurde vom Pech verfolgt, wie mir zu Ohren kam«, fuhr Iaachus fort.

»Ach, kaum merklich«, behauptete sie.

»Brandstiftung am Hafen von Vogtsburg, die Eroberung der Getreidespeicher von Losann durch aufsässige Coloni. Geplünderte Lagerstätten auf Clarus IV, der Verlust des Frachtabkommens zwischen Archus und Miton und die Aufgabe des Salzmonopols für Teris. Außerdem hat man den Erholungspark auf Felnar niedergebrannt und die Verbindung zwischen Canaris und dem Archipel Drakar stillgelegt.«

Sie schwieg.

»Das alles tut mir aufrichtig leid«, schob er hinterher.

»Das Reich wird von Unruhen gebeutelt«, antwortete sie schließlich. »Es ist gegenwärtig eine heikle Zeit für alle.«

»Aber keine Zeit der Veränderung«, hielt Iaachus dagegen.

»Das Imperium ist grundlegend unveränderbar«, erwiderte sie, »und für die Ewigkeit bestimmt.«

»Da gebe ich Euch recht.«

»Solcherlei«, sprach sie weiter, »finde ich nebensächlich und vernachlässigbar.«

»Freut mich sehr, dies zu hören. Obwohl das Imperium unveränderlich und ewig ist und auch widerständig in seiner Art, könnte es dennoch zu Umwälzungen in seinem Inneren kommen«, gab Iaachus zu bedenken.

»Hört, hört«, staunte sie.

»Machtverschiebungen etwa und Stellungsverluste. Das Blatt könnte sich für so manchen wenden, sowohl für Familien als auch für Einzelpersonen.«

»Gut möglich«, erwiderte sie.

»Es wäre schließlich nicht das erste Mal.«

»Da habt Ihr recht.«

»Eure Familie gehört zu den angesehensten und ehrbarsten überhaupt«, erinnerte sich Iaachus.

»Ja, das stimmt.«

»Schwindet Euer Reichtum tatsächlich, so ist dies nicht nur eine private Tragödie, sondern auch misslich für das Imperium insgesamt.«

»Ich habe nicht mehr viel mit meiner Familie zu tun«, erklärte sie daraufhin.

»Gerüchten zufolge«, deutete er an, »hat sie sich von Euch distanziert.«

»Das könnte sein.«

»Bestehen etwa Vorbehalte Eurem Charakter gegenüber oder Zweifel an Eurem Geschmack und Euren Freunden und Eurem Lebensstil?«

Doch sie blieb weiterhin unverbindlich. »Vielleicht. Aber meine Verwandten sind allesamt Narren, und ich bin froh, sie los zu sein.«

»Habt Ihr Schulden?«, fragte er geradeheraus.

»Ich lebe von Hilfsgeldern«, gestand sie nun.

»Ihr wart demnach schwer verschuldet, wie mir scheint.«

»Wart?«

»Ich habe Euch entlastet«, sagte er, »und die Schulden getilgt.«

»Getilgt?«, hakte sie verwirrt nach.

»Genau.« Iaachus legte ihr nun einige Papiere vor. »Erkennt Ihr diese Rechnungsposten und Belege wieder?«

Sie blickte von den Dokumenten auf und dann direkt in seine Augen. »Ich habe Euch nicht darum gebeten«, stellte sie klar, »weder deshalb mit Euch verhandelt noch das Ganze überhaupt nur angedeutet.«

»Natürlich nicht.«

»Wer hat das unterschrieben?«

»Gewisse Bevollmächtigte«, erklärte er. »Ich habe es über verschlossene Privatkonten abgewickelt.«

»Weshalb?«, wollte sie wissen.

»Ihr schuldet mir nichts«, erwiderte er.

»Aber wieso nicht?«

»Aus Respekt vor Eurer Herkunft, wegen Eures Namens und um der Ehre Eurer Familie willen, zum Wohle des Reiches.«

»Ich verstehe nicht …«

»Ich könnte sogar«, lockte er sie, »Eure Finanzen beträchtlich ansteigen lassen, damit sie in Zukunft selbst jene Eurer Familie bei Weitem übersteigen. So würdet Ihr eine der reichsten Frauen des Imperiums sein. Von allen beneidet und honoriert, hoch angesehen und selbst am Hof des Kaisers stets willkommen.«

»Erklärt mir das genauer«, verlangte sie.

»Belassen wir es einfach dabei, dass Ihr glänzende Aussichten habt.«

Sie sprach nicht weiter, sondern starrte ihn bloß an.

»Ich schätze, Ihr seid nicht sonderlich erbaut von Eurer Familie, oder?«, schloss er.

»Was?«

»Kann ich mich auf meine Informationsquellen verlassen?«, fragte er.

»Möglicherweise.«

»Und diese Vorbehalte beruhen auch auf Gegenseitigkeit, nicht wahr?«

»Wenn Ihr meint …«

»Ihr wurdet enteignet und verstoßen, und danach mit einer stattlichen Abfindung versehen.«

»Einem Hungergeld«, berichtigte sie ihn.

»Man schert sich offenbar nicht im Geringsten um Euer Wohlergehen«, mutmaßte er.

»Und ich mich nicht um ihres«, ereiferte sie sich. »Meine Familie besteht aus einem Haufen Narren!«

»Ihr hättet also nichts dagegen einzuwenden, unabhängig von ihr steinreich zu werden?«

»Ich glaube, ich würde mich durchaus mit einer solchen Modalität anfreunden können, ja.«

»Mit der Macht, die ich Euch schenke, könntet Ihr die Euren sogar von oben herab betrachten und sie ruinieren, wenn Ihr wolltet.«

»Ah!« Plötzlich leuchteten ihre Augen.

»Eine fabelhafte Rache«, meinte er. »Habe ich recht?«

»Ja«, fand sie. »Ich bin Euch dann aber nichts mehr schuldig, oder?«

»Aber Ihr seid interessiert, oder?«

»Vielleicht. Was muss ich dafür tun?«

»Dem Imperium einen Dienst erweisen.«

»Das Imperium kann natürlich stets auf meine Treue bauen«, versicherte sie ihm.

»Ihr kümmert Euch aber in erster Linie immer um Euch selbst«, behauptete er.

»Was Ihr doch nicht anders haltet«, schoss sie zurück.

Iaachus grinste. »Was mich angeht, so spielen Eigeninteresse und Staatsziele einhellig zusammen.«

»Was für ein günstiger Zufall«, fand sie.

»Genau. Die größte Gefahr kommt nicht von außerhalb, sondern von verräterischen Zellen im Inneren des Reiches.«

»Natürlich«, stimmte sie ihm zu.

»Besonders«, Iaachus senkte die Stimme, »von unbändig ehrgeizigen Bösewichten, die Barbaren zu Hilfe ziehen, um den Thron anzufechten.«

Erschrocken riss sie die Augen auf.

»Die Aurelianii sind Euch ein Begriff?«, fragte er.

»Gewiss doch. Sie stehen dem Kaiser verwandtschaftlich sehr nahe.«

»Was sie nur umso gefährlicher macht.«

»Aber ihre Loyalität steht doch außer Frage«, hielt sie dagegen.

»Nein«, widersprach er.

Als sie ihre Hand nach dem Schälchen Kana ausstreckte, zitterte diese unmerklich.

»Julian von den Aurelianii«, fuhr Iaachus fort, »trachtet nach der Herrschaft. Er plant, Barbaren in den mobilen Streitkräften einzusetzen, Söldner mit Schiffen auszustatten und ihnen Waffen zur Verfügung zu stellen. Ihm allein wären sie dann unterstellt, nicht dem Imperium.«

»Lasst ihn doch festnehmen«, schlug sie vor, »und sein Eigentum beschlagnahmen. Er besitzt bestimmt eine Menge.«

Die Aurelianii gehörten zu den reichsten und ältesten Familien des Imperiums. Ihre Wurzeln reichten zurück bis auf die erste telnarische Welt, die Geburtsstätte des Reiches selbst.

»Er ist zu mächtig. Wir müssen daher behutsam vorgehen, sonst zetteln wir nachher noch einen Bürgerkrieg an. Weite Teile der Marine sind Julian bereits ergeben.«

»Was sollen wir dann tun?«

»Einen Keil zwischen ihn und seine Barbaren treiben und sein Vorhaben torpedieren, diese Wilden für das gewöhnliche Heer zu rekrutieren. Wir müssen ihm diese Verbündeten abspenstig machen und so seine Integrität – sein mutmaßliches Sinnen, das Reich zu verteidigen – zur Gänze an den Pranger stellen.«

»Vermag das Reich denn, sich selbst zu verteidigen?«, fragte sie verwundert.

»Zweifellos«, bekräftigte Iaachus.

»Aber wer sind die Barbaren, von denen Ihr sprecht?«

»Allen voran gibt es da jemanden, den er allem Anschein nach auf dem Waldplaneten Varna kennengelernt hat, einen Häuptling der Wolfungen.«

»Davon habe ich noch nie gehört«, erwiderte sie.

»So heißt ein Stamm der Vandalen«, ließ er sie wissen.

»Ich kenne dieses Volk nicht.«

Dies war zu jener Zeit durchaus nachvollziehbar, denn viele Bürger tappten damals im Dunkeln, was die Vandalen anging. Von den Alemanni beziehungsweise den Aatii, wie sie in den imperialen Aufzeichnungen hießen, hatte genau genommen so gut wie niemand außerhalb des Verwaltungs- und Militärbereiches je etwas gehört. Selbst in den Heereszentralen spielte man die Existenz der Stämme gerne herunter, als handle es sich nur um ein fernes Donnern oder um finstere Wolken am Horizont … einzelne Blitze über entlegenen Gebirgen und ähnliche augenscheinlich abwegige Dinge.

»Sein Name«, sagte Iaachus, »lautet Ottonius.«

Sie schob das flache Schälchen nun ein wenig von sich und beobachtete, wie die rubinrote Flüssigkeit darin hin und her schwappte. »Ich bin eine Frau«, meinte sie schließlich.

»Allerdings eine Hochwohlgeborene, eine von adligem Geblüt und Noblesse – eine Frau, auf die stets Verlass ist.« Erneut blickte sie ihm ins Gesicht.

»Und eine«, schob er hinterher, »die sich bezaubernder Schönheit erfreut.«

Wieder zuckte sie zusammen, allerdings so unterschwellig wie zuvor. Ihr Blick verhieß zwar Zorn, doch ihre Anmut ließ sie sich nicht nehmen. Sie weidete sich daran genauso wie an der Wirkung, die sie auf Männer hatte, wurden diese doch geradezu unterwürfig in ihrer Nähe. Sie genoss es, ihr Aussehen zu missbrauchen, um das vermeintlich starke Geschlecht zu betören und es letztendlich zu enttäuschen. Es zu erregen, zu verspotten und dann mit kalter Schulter von sich zu weisen, das gefiel ihr sehr.

»Nicht zu vergessen mein sagenhafter Reichtum«, ergänzte sie.

»Ob es dazu kommt«, entgegnete er, »obliegt Eurer eigenen Entscheidung.«

»Es heißt«, sagte sie, »Iaachus sei der mächtigste Mann im gesamten Reich.«

»Ach, ich bin nichts weiter als ein bescheidener Kanzler«, relativierte er. »Dies ist ein beschauliches Amt, dem kaum Autorität, geschweige denn echte Macht innewohnt.«

»Auch heißt es«, sprach sie weiter, »dass die Kaiserinmutter auf Euch hört.«

Iaachus versuchte das Ganze herunterzuspielen. »Sie sucht bezüglich unbedeutender Kleinigkeiten gerne Rat bei mir, das stimmt. Dabei handelt es sich aber lediglich um organisatorische Belange und die Etikette am Hof.«

»Was macht dieser Ottonius denn gerade?«, wollte sie nun wissen.

»Er bricht übermorgen nach Tangara auf, um ein Gefolge aus Otungen zusammenzustellen, einen Comitatus. Ich werde versuchen, dass der werte Julian, der Zögling der Aurelianii, ihn nicht begleiten kann.«

»Tangara ist weit weg«, warf sie ein.

»Die Provinzhauptstadt des Planeten heißt Venitzia«, erklärte er ihr.

»Was wird dort geschehen?«, fragte sie weiter.

Iaachus erhob sich, trat vor einen Schrank an der Wand und zog ihn auf. Als er einen Gegenstand auf einem der Regale darin verschob, offenbarte sich plötzlich ein Schalter, den er nun drückte. Daraufhin wich ein Paneel vor einer kleinen Nische zurück, aus welcher der Kanzler ein flaches rechteckiges Lederetui zog. Nachdem er es auf einen Tisch neben dem Schrank gelegt hatte, kehrte er zurück, schloss das Geheimversteck, rückte den Inhalt wieder zurecht und drückte die Tür fest zu. Anschließend nahm er das Etui vom Tisch zu seinem Platz ungefähr in der Mitte des Zimmers mit und legte es dort vor die Besucherin.

Aufmerksam schaute sie ihn an, bevor sie vorsichtig den Deckel des Etuis öffnete.

»Wirklich wunderschön«, fand sie.

»Wer weiß, was auf einem rauen Planeten wie Tangara geschehen kann?«, fragte Iaachus. »Immerhin befindet er sich außerhalb des Einzugsbereiches der Hauptstadt. Seid also vorsichtig.«

In dem Etui lag ein Messer oder besser gesagt ein Dolch, schmal und filigran aussehend mit funkelnder Klinge von ungefähr sieben Zoll Länge und einem gelben ovalen Griff, der etwa fünf Zoll maß und mit einem gewundenen Emblem in Schwarz verziert war.

»Er ist eigens für eine Frau gemacht worden«, erkannte sie, was Iaachus bejahte.

Der Handschutz bog sich einerseits in Richtung Klinge, andererseits zum Griff hin.

Abgesehen davon, dass er falls notwendig auch zum Hebeln verwendet werden konnte, verhinderte er dank dieser Form, dass die Hand vom Griff abrutschen konnte. In gewissen Situationen erweist sich eine solche Beschaffenheit von großem Vorteil. Über einen Handschutz wie diesen, der für ein mehr an Halt sorgte, verfügten viele Waffen, die dazu vorgesehen waren, Seide oder Samt zu zerschneiden, zarte Stoffe zu durchstoßen oder auch das Futter eines Mantels, Umhänge oder Kettenhemden.

Mit einiger Verwirrung betrachtete sie Iaachus.

»Berührt auf keinen Fall die Klinge«, ermahnte er sie. »Denn sie wurde mit einem unsichtbaren Gift bestrichen, das bereits durch den kleinsten Riss, durch einen bloßen Kratzer in Eure Haut eindringt. Der Tod – ein überaus grausamer und hässlicher – tritt schon innerhalb weniger Sekunden ein.«

»Also muss man gar nicht tief stechen«, schlussfolgerte sie beeindruckt.

»Er ist wirklich sehr scharf«, betonte er. »Jedes Kind könnte ihn in den Leib eines Mannes treiben.«

»Oder in den einer Frau«, fügte sie hinzu.

»Bis zum Griff.«

»Aha.«

»Aber ein winziger Schnitt genügt bereits«, erinnerte er sie.

»Wenn Ihr ihn tot sehen wollt«, sprach sie, »weshalb heuert Ihr dann keinen Meuchelmörder an, um ihn loszuwerden?«

Iaachus’ Augen blickten sie verklärt an, dann lächelte er wieder. »Nein, es ist besser, wenn es auf einem anderen Planeten fernab der öffentlichen Aufmerksamkeit geschieht, und zwar durch die Hand eines völlig unauffälligen Dritten, dessen Anwesenheit dort niemanden hellhörig macht.«

»Und wenn ich ihm nicht nahe kommen kann oder er einen Panzer trägt?«

»Ihr werdet ihm problemlos nahe kommen können«, versprach Iaachus, »und er wird einen etwaigen Panzer bestimmt beizeiten ablegen, wenn Ihr Euch in seiner Gegenwart aufhaltet. Falls nicht, denkt einfach daran, dass Ihr bloß mit der Schneide über seine Hand wetzen müsst. Möchtet Ihr Euch dieser Sache ernsthaft annehmen?«

»Vielleicht«, sagte sie nachdenklich. »Allerdings bin ich weder eine Marinesoldatin noch eine Schützin oder überhaupt technisch bewandert. Jedenfalls wüsste ich gar nicht, unter welchem Vorwand und mit welchem Recht ich mich einem Reisetross nach Tangara anschließen könnte, um diese Tat zu begehen.«

»Das Schiff, das den Planeten anfliegt, wird mit verschiedenen Gütern beladen sein.«

»Gütern?«

»Ja, Waren«, führte er aus. »Handelssachen, die bestimmte Wege ebnen mögen oder auch als Lockmittel dienen, Geschenke und Dinge, die Barbaren interessieren. Zum Beispiel Pelze, Wein, Getreide, Seidenstoffe und Edelsteine. Aber auch Öle, Kupferplatten und Gewürze sowie Gold und Silber in Form von Broschen oder Ringen. Außerdem Nägel, Draht, Elfenbein und Eisenwaren, kurz gesagt Erzeugnisse vielfältiger Art, von Gebrauchsgegenständen bis hin zu echten Kostbarkeiten.«

»Kostbarkeiten?«

»Ich meine zum Beispiel Smaragde, die nach dem Antlitz des Kaisers geschliffen wurden.«

»Ich kann mir das alles nur schwerlich vorstellen«, gab sie zu.

»Trinkt Euren Kana«, beschwichtigte er sie und sie setzte daraufhin das Schälchen an. Es bestand aus reinstem Luxite-Porzellan aus dem Tal von Raf, das in der Tradition der Toronichi gebrannt worden war. Beim Trinken beobachtete sie Iaachus über den Rand hinweg mit ihren blauen Augen. Zum Schluss legte sie den Kopf in den Nacken und leerte das kleine Gefäß in einem Zug, wobei er einen Blick auf die helle Haut an ihrem Hals erhaschte, als sich ihr hochgeschlossener Kragen aus Brokat ein Stückchen verschob. Danach betrachtete sie ihn wieder und stellte das leere Schälchen zurück auf den Tisch.

Sie hatte blondes Haar und eine Frisur wie die der hohen Damen des Imperiums, steif und formell geflochten, aufgetürmt und festgehalten von einem fast rechteckigen Rahmen, der spitz zulief. Es war praktisch eine geschlossene Kopfbedeckung aus Golddraht und mit Schmucksteinen besetztem Leder.

»Natürlich könntet Ihr«, erwog er, »davon absehen, weil Ihr Euch außerstande seht, die Aufgabe zu erfüllen.«

»Außerstande?«

»Nun, Ihr wähnt Euch vielleicht nicht als passende Wahl für die besagte dritte Person und zweifelt im Augenblick daran, die dazu nötigen Qualifikationen vorweisen zu können.«

»Milord, ich muss doch sehr bitten«, echauffierte sie sich.

»Ihr müsstet die Rolle, die ich für Euch vorsehe, wirklich glaubhaft spielen. Andernfalls zöget Ihr sofort unweigerlich Verdacht auf Euch, der alle Bemühungen augenblicklich zunichtemachen könnte.«

»Ich hoffe sehr, der betreffenden Rolle vollends gerecht zu werden«, versicherte sie ihm daraufhin.

»Meine Informanten haben angedeutet, dass diesbezüglich keine Schwierigkeiten bestünden.«

»Informanten?«

»Bademeister in den Waschhäusern der Frauen und ähnlicher Orte.« »Ich verstehe nicht.«

»Aber doch wenigstens, dass ich mir all dessen vollkommen sicher sein muss«, erwiderte er. »Denn es steht einfach zu viel auf dem Spiel.«

»Ich habe keine Ahnung, worauf Ihr genau anspielt.«

»Erhebt Euch und steht gerade!« Er zeigte auf eine Stelle wenige Fuß vor dem Tisch. Der Boden bestand aus Marmor.

»Wieso sollte ich?«, fragte sie irritiert.

»Tut es einfach«, beharrte Iaachus.

»Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich so behandelt«, betonte sie kalt.

»Sofort!«, befahl er und ließ alle Höflichkeit fallen. »Zieh dich aus, und zwar vollständig.«

»Aber Milord!«

»Jetzt!«, brüllte er ungeduldig.

»Ich gehöre der Klasse der Senatoren an!«, rief sie ihm ins Gedächtnis.

»Ich warte nicht mehr lange!«

Sofort legte sie ihre Gewänder ab, derer sie nicht wenige trug. Dementsprechend zögerte sie, zumal Frauen ihres Standes für gewöhnlich Zofen um sich hatten, die ihnen dabei behilflich waren.

»Ah«, raunte Iaachus nun und ihre Augen glühten wie Feuer. »Halt dich gerade. So ist es gut, ja. Bist du wütend?«

»Ich gehöre den Senatoren an«, rief sie erneut entsetzt.

»Stehst du zum ersten Mal nackt vor einem Mann?«, wollte Iaachus wissen.

»Ja!«

»Nimm die Haube ab«, verlangte er, »und öffne den Zopf.«

»Bitte nicht!«, jammerte sie.

»Auf der Stelle!«

Brüskiert löste sie die Kopfbedeckung, nahm sie herunter und legte sie zu den Gewändern, die neben ihr am Boden lagen. Dann nestelte sie an dem Haarnetz und den Drähten. Über drei Stunden hatte man an diesem Morgen an ihren Haaren gearbeitet, um sie so herzurichten.

»Und jetzt schüttle deine Haare«, wünschte der Kanzler.

Verärgert fuhr sie mit dem Kopf herum, sodass ihre Haare nach unten fielen.

»Nun leg sie hinter deine Schultern.«

Widerwillig tat sie, wie ihr geheißen wurde.

»Dreh dich«, befahl er dann, »aber langsam!« Sie fügte sich.

»Jetzt knie nieder.« Er zeigte auf einen Fleck in der Nähe des Tisches. »Kreuz durchdrücken, Hände an die Hüften. Halte den Kopf aufrecht und spreize die Beine.« So konnte er sie gründlich betrachten.

»Die Expedition nach Tangara«, erläuterte er, »wird neben den Handelsgütern und kleinen Aufmerksamkeiten, die der Barbar behalten oder weggeben kann, wie er es für angemessen hält, auch noch zwanzig Sklavinnen mitnehmen, die überaus hübsch sein müssen, sozusagen Schönheiten ersten Grades.«

Sie schaute zu ihm auf.

»Du zitterst ja«, stellte er fest. »Verständlich, denn in einer solchen Stellung hast du bestimmt noch nie zuvor vor einem Mann gekniet, habe ich recht?«

»Welche Stellung meint Ihr?«

»Eine der Standardpositionen von Sklavinnen«, antwortete er, was sie mit einem wütenden Schnauben quittierte.

»Ich würde an deiner Stelle nicht in die Augen eines Mannes oder überhaupt in die eines freien Menschen schauen«, riet er ihr, »solange du nicht das Gefühl hast, es sei dir gestattet oder ausdrücklich befohlen worden.«

»Aber ich bin frei!«, rief sie empört.

»Richtig«, stimmte er ihr zu, »aber wenn man dich so sieht, könnte man durchaus daran zweifeln.«

»Ich werde jetzt wieder aufstehen«, verkündete sie.

»Nein, erst, wenn ich es dir erlaube«, entgegnete er.

»Ich bin aber doch frei.«

»Natürlich«, bestätigte er. Dennoch musste sie am Boden bleiben, da Iaachus ihr nicht gestattete, sich zu erheben. »Oh ja«, sagte er wohlgefällig. »Ich denke, du eignest dich vortrefflich.«

»Darüber soll ich mich jetzt wohl freuen.«

»Jawohl.«

Sie zitterte, halb aus Angst, halb vor Wut. Dabei wusste sie gar nicht, ob sie sich wirklich freute oder schämte. Die Gefühle in ihrem aufgewühlten Herzen lagen eindeutig im Widerstreit. Schließlich sah sie sich doch als Angehörige der Klasse der Senatoren.

»Ich werde dafür sorgen, dass man dich mit nach Tangara verschifft«, deutete er an.

»Gehören die anderen neunzehn Frauen auch einer hohen Klasse an?«, fragte sie.

Er verneinte. »Es sind nur einfache Sklavinnen, aber außergewöhnlich anmutige.«

»Aber bestimmt nicht so anmutig wie ich, oder?«

»Das kann ich nicht sagen«, entgegnete er. »Wir müssen abwarten, was die Männer meinen.«

»Ich verachte Männer«, gab sie preis, lenkte jedoch schnell ein: »Abgesehen von Euch natürlich, Milord.«

»Wir werden dir einen Gehilfen beiseitestellen«, erklärte Iaachus, »aber er wird sich dir aus Sicherheitsgründen erst später zu erkennen geben können.«

»Ein Mitglied der Besatzung?«

»Ja.«

»Wird er mir auch den Dolch bringen?«

»So ist es – und er wird dich bei deinem Auftrag unterstützen, weil es sich so anbietet.«

»Wie meint Ihr das?«

»Er wird dafür sorgen, dass du die Waffe bekommst«, erklärte Iaachus. »Schließlich ist es nicht er, der dem Barbaren bei Nacht aufwarten wird.«

»Ich verstehe«, erwiderte sie.

»Außerdem muss er eure gemeinsame Flucht vorbereiten, sobald du den Mann getötet hast, damit du wohlbehalten in die inneren Kreise des Imperiums zurückkehren kannst, um deine Belohnung zu erhalten. Reichtum und gesellschaftlichen Stellenwert, neue Ländereien und Schlösser, typische Dankesbezeugungen des Reiches eben.«

»Habt Dank, Milord!«

»Fühlst du dich in der Lage, dich dieser Bürde anzunehmen?«, fragte er.

»Ganz bestimmt.«

»Wirst du es wirklich ertragen können«, hakte er nach, »dass man deine schlanken, zarten Gliedmaßen mit Stahl umschließt, deine Schönheit in Ketten legt und dir sogar eine Halsfessel aus Metall anlegt?«

»Ich werde mir einfach vor Augen halten, dass all dies nur eine Täuschung ist«, antwortete sie.

»Du wirst bestimmt feststellen, dass du dich im Zuge dessen nicht mehr großartig von den übrigen Mädchen an Bord unterscheiden wirst.«

»Mädchen?«

»Diese Bezeichnung verwendet man üblicherweise für Sklavinnen«, ließ er sie wissen. »Vielleicht weil sie so niedrig, quasi ein Nichts sind und weil das Wort jedweder Heuchelei und allem Geschwätz vorbeugt und von direkter, kompromissloser und unverminderter Geschlechtlichkeit zeugt.«

»Ich kann Ketten tragen«, versprach sie, »solange ich nur weiß, dass mich Gold und Reichtum erwarten, die ihr Gewicht um ein Vielfaches übersteigen.«

»Du darfst nun aufstehen«, gestattete ihr Iaachus.

Sie sprang auf und eilte zu ihren Kleidern zurück, die verstreut auf dem Marmorboden lagen. Nachdem sie diese zusammengerafft hatte, sortierte sie die Teile und drehte sich zu dem Kanzler um. »Darf ich denn meine Zofe dorthin mitnehmen?«

»Nein.« Iaachus musste grinsen.

»Aber wie soll ich den Alltag denn ohne sie bewältigen können?«, fragte sie verwirrt.

»Eine Sklavin, in deren Rolle du ja schlüpfst, braucht keine Hilfe beim Anziehen, da ihre Kleidung, so man ihr überhaupt welche zugesteht, äußerst schlicht ausfällt.«

»Und meine Frisur?«

»Auch damit macht man sich nur wenig Arbeit«, erwiderte er. »Es reicht vollkommen, wenn deine Haare gewaschen, gebürstet und gekämmt sind, solange sie glänzen, Spannkraft haben und lang und füllig sind.«

»Dennoch fühle ich mich in Begleitung meiner Zofe deutlich wohler«, merkte sie an.

»Keine Widerrede!«

»Ich will noch mehr Kana«, verlangte sie, doch er schlug ihr den Wunsch aus.

»Zieh dich woanders an«, ermahnte er sie. »Ich muss jetzt arbeiten.« Sie blieb jedoch stehen und drückte die Gewänder an sich. »An deiner Stelle«, riet er ihr, »würde ich mir Kana in feinen Kelchen künftig aus dem Kopf schlagen und mich stattdessen darauf einstellen, auf allen vieren Wasser aus Trögen zu trinken.«

»Bestimmt ist es schon spät. Ich sollte jetzt aufbrechen.«

»Ja, das ist es«, wiederholte er. Sie warf ihm einen zerknirschten Blick zu. Man hatte sie heimlich zum Palast gebracht und würde sie auch auf die gleiche Weise wieder zurück zu ihren Gemächern in die Stadt begleiten. Das Kommen und Gehen und die hastige Ankunft und Abfahrt eines ominösen geschlossenen Fahrzeuges im Dunkeln durfte möglichst wenig Aufsehen erregen, zumal es sich dabei um eine hochstehende Lady und ihre Eskorte handelte.

»Du kannst gehen«, sagte Iaachus.

»Ich muss mich nicht so ansprechen lassen«, entrüstete sie sich. »Ich gehöre schließlich der Klasse der Senatoren an.«

»Du bist nun meine Agentin und wirst deshalb meine Befehle annehmen«, hielt er ihr vor.

Sie erstarrte vor Zorn und drückte ihre Kleider noch fester an sich.

»Später dann«, sah er voraus, »kannst du dich am Reichtum und an deinem hohen Status erfreuen, aber vorerst bist du nichts weiter als eine eitle gefallene Aristokratin zweifelhafter charakterlicher Ausprägung, die von ihrer Familie verstoßen wurde.«

»Unmensch!« Doch ein Blick von ihm ließ sie unsicher zurückweichen.

»Ich sollte dich eventuell den Marmor küssen lassen«, drohte ihr der Kanzler.

Dieser Gedanke erschreckte sie.

»Vielleicht kannst du dann nachvollziehen, wie es ist, wenn man dich packt und sich hemmungslos an deinem Körper bedient.« Sie entzog sich ihm weiter und klammerte sich richtiggehend an die Stoffe, die sie abwehrend vor ihren Leib hielt.

»Ich scherze natürlich nur«, meinte er kichernd.

»Natürlich«, entgegnete sie lachend. »Milord?«

»Was ist denn noch?«

»Eure Informanten«, erinnerte sie ihn. »Ihr spracht von Bademeistern, Beobachtern in der Waschanstalt …«

»Und?«

»Gehörte meine Zofe auch dazu?« Ärger schwang in dieser Frage mit.

»Das ist durchaus denkbar«, antwortete er.

»Ich werde sie so schlagen, wie sie es noch nie zuvor erlebt hat!«

»Dein Wagen wartet«, sprach Iaachus, der Kanzler des Kaisers. »Man wird morgen erneut mit dir in Kontakt treten und dann die notwendigen Vorkehrungen treffen. Zieh dich draußen an.«

»Ja, Milord.« Mit diesen Worten verließ sie den Raum.

Emotionen wallten wie turbulente Meereswogen in ihr auf, chaotische Gezeiten, nicht unterdrückbare Regungen und Stürme der Konfusion, von Entzücken und Zorn, Demut und Aufbegehren. Dass sie bald wieder besser dastehen würde, bereitete ihr natürlich große Freude. Ihr Reichtum und ihr Stand würden wiederhergestellt, und Einfluss und Macht rückten in greifbare Nähe, auf dass sie sich zu einer der ersten Ladys im Reich aufschwingen konnte, und anschließend vielleicht sogar – nein, ohne Zweifel – am kaiserlichen Hof begrüßt würde! So vieles ließ sich so verschwindend leicht erreichen, wenn man nur eine Gelegenheit beim Schopfe packte, einen Dolch bemühte und einen Mann damit leicht kratzte.

Sobald sie ihren Auftrag erfüllt hatte, und zwar mit Leichtigkeit, würde sie wieder ins Reich zurückkehren, ihre Familie ins Elend treiben und Unheil tausendfacher Art sowohl über ihre Feinde als auch über andere bringen, die sie einmal geschmäht oder abschätzig behandelt hatten. Oder die selbiges, auch erst noch zu tun gedachten. Nichtsdestotrotz bebte sie vor Scham und Groll, denn gerade war sie einem Mann begegnet, der sie – eine Angehörige der Senatoren! – nackt wie eine Sklavin erblickt hatte. Was dies betraf, konnte er gar nicht anders, weil er einen dringenden Entschluss fassen musste, wie sie sich selbst einredete. Er hatte sich schließlich davon überzeugen müssen, dass sie sich für seine Zwecke eignete und der Rolle vollends gerecht wurde, die er ihr aufzulegen gedachte. Und sie hatte diese Prüfung bestanden! Sie war äußerst reizend, das wusste sie, also würde sie sich gut schlagen können und zu voller Zufriedenheit agieren.

Was ihre Schönheit anging, bildete sie sich eine Menge darauf ein, auch weil diese sichtbar Macht nach sich zog. Andererseits verstörten sie die Gefühle, die in Iaachus’ Angesicht aufgekeimt waren, als sie sich auf sein Geheiß hin gedreht hatte und vor ihm auf die Knie gefallen war, um seine Anweisungen exakt auszuführen. Mehrmals war sie sich extrem feminin vorgekommen; ein überwältigendes, ganzheitliches und extremes Gefühl, das sie in ihren Grundfesten erschüttert und geängstigt hatte. Sie hatte einen Eindruck davon bekommen, wie es war, ein kreatürliches Dasein ohne Alternativen fristen zu müssen, ohne Wahl und unter rigoros psychisch-sexuellen Gesichtspunkten betrachtet. Sich einzig und allein als hilfloses, unterworfenes Wesen und als äußerst feminines Geschöpf verstehen zu müssen. Diese Weiblichkeit erschreckte sie, sie war getränkt und durchdrungen von tiefster Leidenschaft. Einen Augenblick lang hatte sie sogar gespürt, was totale Hingabe, Gehorsam und Dienstbarkeit bedeuteten. Die profunde Sexualität eines Lebewesens unter unnachgiebiger Hand, dem schreckliche Bestrafung blühte, während es weiterhin heiß und innig seinen Pflichten nachgehen musste. Sie hatte jene entsetzlichen und wirren Momente angefochten, dabei jedoch nichts weniger erfahren, als die tatsächliche Wesenheit einer Frau – einer wahren Frau, von der Wurzel ihres Seins bis in die Haarspitzen.

Ach, wie vehement wies sie diese Gedanken nun von sich! Wie hell loderte ihr Hass auf die Männer! Wie sehr verachtete sie den geheimnisvollen und mächtigen Kanzler Iaachus in seiner dunklen Robe, vor allem aber alle Sklavinnen – nein, eigentlich die ganze Welt, das Imperium, einfach alles!

Sie entstammte einer Adelsfamilie, war von edlem Geblüt und ein Mitglied der Klasse der Senatoren!

Erneut fiel ihr ihre Zofe ein, diese Schlampe. Das würde sie büßen!

Genau in diesem Augenblick, hier in der Vorhalle, stieß sie auf die weiß gekleidete junge Frau, die zuvor in den Empfangsraum fortgeschickt worden war, ehe sie, die Hochwohlgeborene vom Stande einer Senatorin und der Kanzler begonnen hatten, streitbare und vermutlich heikle Angelegenheiten zu diskutieren. Das Mädchen hatte in seinem ärmellosen weißen Wollgewand auf einer Matte an der hinteren Wand gelegen, von wo aus man nicht lauschen konnte. Außerdem handelte es sich bei der Tür des Zimmers um ein sehr schweres Portal und war dadurch schalldicht.

Bei ihrem Eintreten hatte die Sklavin rasch Stellung auf Knien bezogen, ihre Stirn und die Handflächen auf den Marmor gedrückt.

»Sklavin!«, rief die Frau. Diese eilte nun herbei, kniete wieder nieder, beugte sich nach vorne und presste wie zuvor, die Hände auf den Boden.

»Gebieterin?«, fragte sie beklommen.

»Bist du auch zur Zofe ausgebildet?«

»Nein, Gebieterin!«

Die Frau äußerte einen Laut der Entrüstung und zeigte sich nun ungeduldig. »Ich möchte mich anziehen«, erklärte sie. »Traust du dir zu, mir dabei behilflich zu sein?«

»Ich will es versuchen, Gebieterin«, entgegnete das Mädchen, und binnen kürzester Zeit – dank seiner ergebenen Handreichungen und seiner Geschicklichkeit – war die Angehörige der Klasse der Senatoren wieder züchtig gekleidet. Währenddessen konnte sie leider nur wenig am Zustand ihrer Frisur ändern, da es Stunden gedauert hätte, diese wieder herzurichten, obwohl ihre Haare jetzt wieder größtenteils unter der Haube aus Draht und besetztem Leder verborgen waren. Auch wegen der Dunkelheit kam wohl kaum jemand darauf, dass sie nicht frisiert worden war.

Das Ankleiden einer imperialen Bürgerin von gehobenem Stand gestaltete sich mitnichten einfach, zog man die Vielzahl ihrer Gewänder in Betracht, den richtigen Sitz und die ausgeklügelten Verschlüsse. Doch in diesem Fall war es recht schnell erledigt.

»Bist du dir sicher, dass du bislang noch nicht als Zofe gearbeitet hast?«, fragte die Frau, während sie sich aufmerksam in einem Wandspiegel betrachtete.

»Nein, Gebieterin«, beteuerte das Mädchen und kniete sich wieder hin.

»Dein Kleid«, bemerkte die Hochrangige.

»Du trägst nichts darunter, habe ich recht?«

»Das stimmt, Gebieterin«, flüsterte die Sklavin. »Verzeiht, Gebieterin.«

»Du bist sehr hübsch«, fand die Frau.

Obwohl das Kleid des Mädchens weit war und bis zu den Knöcheln reichte, erkannte man einen anmutigen und kurvenreichen Körper darunter, zumal es einen tieferen Ausschnitt als gewöhnlich besaß, der deutlich machte, dass der Stoff dazu gedacht war, die wonnig anzuschauenden Brüste bestenfalls flüchtig zu verbergen.

»Danke, Gebieterin«, sagte das Mädchen leise.

»Obwohl du nicht zur Zofe ausgebildet wurdest, scheinst du vertraut mit den Feinheiten und Schwierigkeiten zu sein, die sich beim Bekleiden einer Lady auftun.«

»Verzeiht mir, Gebieterin«, wiederholte es.

»Interessant«, sagte die Frau nachdenklich und das Mädchen senkte daraufhin seinen Kopf umso scheuer.

»Sieh mich an!«, befahl ihr die Freie, weshalb die Sklavin zögerlich aufschaute, aber nicht wagte, den Blick über den schmucken Kragen der Person zu heben, vor der sie kauerte.

»Schau mir in die Augen«, verlangte die Hochwohlgeborene durchaus freundlich. Die Sklavin tat es schüchtern, wusste es aber sichtlich zu schätzen. Dann aber schlug die Frau ihr mit voller Wucht ins Gesicht, woraufhin Tränen in die Augen der Sklavin traten. Sie schaute ihre Gebieterin immer noch an, nun allerdings mit erschrockenem und fragendem Blick.

»Weißt du denn nicht, dass du jemandem wie mir nicht in die Augen blicken darfst, es sei denn, du fühlst dich dazu verpflichtet oder man erlaubt es dir ausdrücklich?«

»Vergebt mir, Gebieterin.« Das Mädchen erschauderte und drückte einmal mehr die Stirn auf den Marmorboden.

»Auf den Bauch«, befahl die Frau, »und küss meine Schuhe!«

Ohne zu zögern, gehorchte das Mädchen; doch ein erneuter Tritt traf es in die Seite. Dort lag sie dann auf einem Arm und traute sich nicht, den Blick derjenigen zu suchen, die sie so auf ihren Platz verwiesen hatte.

»Sklavinnen sind widerlich.«

»Ja, Gebieterin!«, erwiderte die Angesprochene und hob den Kopf gar nicht erst wieder an. Die Frau fuhr herum und verließ den Raum mit rauschenden Roben.

Wie schändlich ich behandelt wurde, dachte sie. Meine Kammerzofe, dieses kleine Kettenluder, wird mich heute Nacht noch kennenlernen!

Draußen wartete bereits ihr Fahrzeug.

Kurz, nachdem sie aufgebrochen war, klingelte in der Vorhalle eine Glocke, um die Sklavin namens Elena in den Raum zu bitten. Elena rannte hinein und kniete sofort, wie es sich gehörte, vor dem Kanzler nieder.

»Du weinst ja«, bemerkte Iaachus.

»Seht es mir nach, Gebieter«, bat sie.

»Unser Gast ist verschwunden?«, fragte er.

»Ja, Gebieter.«

»Begib dich nun in mein Gemach!«, befahl er ihr. »Richte es zum Lustspiel her und dann kette dich nackt an den Fuß der Bettstatt.«

»Natürlich, Gebieter!«, jubelte sie und beugte sich unaufgefordert nach vorne, um voll dankbarer Inbrunst seine Stiefel zu küssen. Danach eilte sie aus dem Zimmer.

Als sie ins Gemach des Kanzlers trat, sah sie vom Fenster aus, wie ein geschlossener Wagen ohne Licht vom Hof fuhr. Danach schaute sie auf die Ketten und Fesseln – Letztere lagen bereits geöffnet da –, begutachtete den Raum und sah, dass alles hergerichtet war. Nicht mehr lange, und es war zu spät, um übersehene Unzulänglichkeiten noch schnell zu beheben, doch es schien tatsächlich alles in Ordnung zu sein.