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© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2017
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2017
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Projektleitung: Corinna Nikolaus
Lektorat: Barbara Kohl
Bildredaktion: Nadia Gasmi
Covergestaltung: Anzinger und Rasp, München
eBook-Herstellung: Gabriel Stefan Mlesnite
ISBN 978-3-8338-6070-6
2. Auflage 2017
Bildnachweis
Illustrationen: Carolin Eitel, c/o wildfoxrunning.com, Hamburg
Fotos: ISM Agentur Focus; DDP Images; F1 Online; Fotolia; Getty Images; iStockohoto; Kramp und Gölling; Masterfile; Mauritius Images; Nicolas Olonetzky; Plainpicture; Shutterstock; Stocksy; Visum Photo.
Syndication: www.seasons.agency
GuU 8-6070 03_2017_01
Das vorliegende eBook basiert auf der 2. Auflage der Printausgabe
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»Für immer jung«: So oder ähnlich lauteten in den 1990er-Jahren eine ganze Reihe von Buchtiteln, welche die Entstehung eines neuen ärztlichen Fachbereichs begleiteten. Die Anti-Aging-Medizin erlebte ihre Geburtsstunde. In den folgenden Jahren machte sie schnell Karriere und erfreute sich insbesondere in den Medien einer großen Beliebtheit. Ob allerdings das Versprechen von der ewigen Jugend haltbar sei, daran gab es schon damals berechtigte Zweifel.
Die weitere Entwicklung war absehbar. Bei den etablierten Ärzteverbänden geriet die Anti-Aging-Medizin schnell in den Ruf einer halbseidenen Modemedizin. Auch die Medien verloren rasch wieder das Interesse daran. Bereits um die Jahrtausendwende galt das Thema Anti-Aging als weitgehend erledigt.
Inzwischen ist eine Renaissance der Anti-Aging-Medizin unübersehbar. Renommierte Wissenschaftler und Ärzte erkennen zunehmend, dass eine Präventivmedizin, die diesen Namen auch verdient, sich vor allem auf eines konzentrieren muss: den Risikofaktor biologisches Altern zu behandeln. Dazu nutzen wir inzwischen eine Vorgehensweise, die in den letzten Jahren enorme Bedeutung erlangt hat: das Hormesis-Prinzip. Was dabei zunächst paradox klingt, erweist sich immer mehr als ein grundlegender Faktor für Gesundheit: Was uns schadet, kann uns helfen, länger zu leben – es kommt immer auf die Dosierung an. Wir werden Ihnen dieses revolutionäre Konzept in allen Details vorstellen.
Trotz aller Fortschritte ist die neue Anti-Aging-Medizin bescheidener geworden in ihren Ansprüchen. Dafür ist sie leistungsfähiger in ihren Methoden. Die ewige Jugend haben wir als Behandlungsziel fürs Erste vertagt. Wir konzentrieren uns zunächst einmal auf das gesunde Altern. 15 bis 20 zusätzliche Jahre bei guter Gesundheit sind dabei eine durchaus realistische Perspektive.
Um der neuen Bescheidenheit Rechnung zu tragen, haben wir uns bei dem Titel des Buches für die 15 Jahre entschieden. Berücksichtigt man, dass die durchschnittliche Lebenserwartung bereits jetzt bei über 80 Jahren liegt (zumindest für Frauen), so ergibt sich daraus eine klare Zielvorgabe, und die lautet: Mit hundert gesund in die Kiste.
Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin (GSAAM)
Das Alter mag manche Zumutung für uns bereithalten. Aber ist Altern deshalb eine Krankheit? So weit würden die meisten dann wohl doch nicht gehen. Älter werden wir alle. Die einzig realistische Möglichkeit, nicht alt zu werden, besteht darin, jung zu sterben. Was ja auch keine wirklich gute Alternative ist. Wieso sollte man also einen ganz normalen und unausweichlichen Vorgang zur Krankheit erklären? Diskriminiert man damit nicht auch Millionen Menschen, die bereits alt geworden sind? Ist der Begriff Anti-Aging – wie manche Kritiker behaupten – eine Form der Ablehnung von alten Menschen und des Alters an sich?
Lassen Sie uns die Sache einmal von einer anderen Seite betrachten. Schauen wir uns dazu jene Erkrankungen an, die allgemein anerkannt sind und unser Schicksal im 21. Jahrhundert bestimmen. Da stehen an allererster Stelle Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Jeder zweite Bewohner der westlichen Welt stirbt an ihnen. Die Risiken für diese Erkrankungen sind dabei bereits seit Langem bekannt:
Bluthochdruck
hohe Cholesterinspiegel
Rauchen
Übergewicht
Bewegungsmangel
Dauerstress ohne angemessenen Ausgleich beziehungsweise ausreichende Erholung
Ein Risikofaktor wirkt sich allerdings mehr als alle anderen aus: ein zunehmendes Lebensalter. Je älter wir werden, desto höher steigt das Risiko für eine Arteriosklerose und damit für Herzinfarkte und Hirninfarkte.
An zweiter Stelle der Todesursachen steht bereits der Krebs. Auch hier konnten für viele Formen der Erkrankung eindeutige Risikofaktoren identifiziert werden. Man denke nur an den Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Einen Faktor gibt es allerdings, der fast alle Krebsarten begünstigt: die Zunahme des Lebensalters. Natürlich gibt es Krebs gelegentlich auch schon bei Kindern. Dies ist allerdings eine wirkliche Seltenheit. Im Wesentlichen ist Krebs eine Alterserkrankung. Warum dies so ist, das werden wir in diesem Buch ausführlich darstellen (siehe ab >).
Neben den klassischen »Killer-Krankheiten« gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Erkrankungen, die uns nicht unbedingt das Leben, aber dafür sehr viel Lebensqualität kosten. Dazu gehören etwa die zu Knochenbrüchen führende Osteoporose oder die mit schmerzhaften Gelenkversteifungen einhergehende Osteoarthritis, wie in der angloamerikanischen Fachliteratur die Arthrose genannt wird. Zweifellos spielen dabei mangelnde oder falsche Belastung beziehungsweise eine Vitamin-D-Unterversorgung eine entscheidende Rolle. Dramatisch wirkt sich aber auch hier vor allem ein Umstand aus: das Älterwerden.
VICCO VON BÜLOW ALIAS LORIOT (1923 – 2011)
Ein letztes Beispiel soll diese vorläufige Liste abschließen. Der Morbus Alzheimer, die sogenannte Alzheimerdemenz, droht zur »Epidemie des 21. Jahrhunderts« zu werden. Neben Krebs ist die Demenz inzwischen diejenige Erkrankung, vor der sich die Menschen am meisten fürchten. Zu Recht. Denn das allmähliche Verlöschen unseres Gedächtnisses ist nicht irgendeine körperliche Beeinträchtigung. Es führt vielmehr zum Verlust unserer gesamten Persönlichkeit. Das ist ein furchtbares Schicksal für die betroffenen Patienten. Es ist auch ein Drama für deren Angehörige. Noch vor rund 100 Jahren war der Morbus Alzheimer so gut wie unbekannt. Warum ist er inzwischen derart auf dem Vormarsch? Sehr einfach: weil die allgemeine Lebenserwartung kontinuierlich steigt. Und mehr noch als alle anderen Leiden ist die Demenz eine altersabhängige Erkrankung.
Neben zahlreichen Ratschlägen dazu, was Sie selbst fürs Jungbleiben beziehungsweise für das gesunde Altern tun können, gibt Ihnen dieses Buch einen Überblick über den neuesten Stand der Forschung, über Diagnosestellung, Normwerte, medikamentöse Therapien und mehr. Wenden Sie sich für eine umfassende Vorsorge unbedingt an einen erfahrenen Mediziner. Nehmen Sie nicht auf eigene Faust Medikamente oder Hormone ein, ebenso wenig sollten Sie im Buch genannte Symptome und Risiken als harmlos abtun. Handeln Sie! Ihr Arzt und dieses Buch unterstützen Sie dabei.
Herzinfarkt, Krebs, Osteoporose, Demenz – vier völlig unterschiedliche Erkrankungen. Sie alle haben einen gemeinsamen, alles dominierenden Risikofaktor: die Zunahme des biologischen Lebensalters. Auch wenn viele immer noch davor zurückschrecken, Altern als Krankheit zu bezeichnen, ist unbestritten: Altern erhöht die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden und zu sterben, und dies in einem Maße, wie es sonst kein anderer Risikofaktor tut. Eine Präventivmedizin, die nicht nur an einzelnen Symptomen herumdoktern will, muss sich daher darauf konzentrieren, den universalen Risikofaktor Alter gezielt zu behandeln. Genau das tut die Anti-Aging-Medizin.
Die erlebte in den 1990er-Jahren ihre erste Blüte – und war dann auch schon rasch wieder verwelkt. Schnell wurde klar, dass mit ein paar Hormonpräparaten und einigen Vitamintabletten ein solch komplexes Geschehen wie das Altern nicht ausreichend zu behandeln ist. Die Versprechungen waren groß, die Datenlage war dürftig, die Behandlungserfolge waren gering. Anti-Aging wurde zunehmend ein Feld für Paramediziner und Geschäftemacher. Doch Totgesagte leben länger. Unübersehbar ist seit einigen Jahren ein neuer Aufschwung der Anti-Aging-Medizin. Er wird von mehreren Entwicklungen getragen.
Zum einen hat die wissenschaftliche Grundlagenforschung in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Die wichtigsten Faktoren, die für das biologische Altern verantwortlich sind, lassen sich inzwischen auf einer molekularen Grundlage erklären. Wir werden Ihnen diese Alterungsmechanismen im ersten Teil des Buches als »Die sieben Säulen des Alterns« vorstellen.
Zum anderen gilt: Die entscheidenden Faktoren der Alterung sind inzwischen nicht nur bekannt, sie lassen sich auch gezielt beeinflussen. Dies eröffnet völlig neue Dimensionen einer präventiven Medizin. Altern galt lange Zeit als Schicksal. Jetzt wird es ein gestaltbarer Prozess.
Ein weiterer wichtiger Aspekt kommt hinzu. Im Kampf gegen das Altern treten völlig neue Akteure auf den Plan. So hat Google, der größte und innovativste Konzern der Welt, inzwischen ein neues »Moonshot-Project«. So bezeichnet Google seine ganz großen, weltverändernden Vorhaben. Für dieses neue Moonshot-Project hat Google ein eigenes Tochterunternehmen namens Calico (California Life Company) gegründet. Das Ziel von Calico ist nicht mehr und nicht weniger als dieses: die Abschaffung des Alterns. Das Unternehmen holt dafür die führenden Biogerontologen in den Konzern und finanziert deren Forschung mit Millionenbeträgen.
Aus der lange Zeit belächelten Außenseitermedizin ist inzwischen einer der aufregendsten und innovativsten Wissenschaftszweige geworden. Das vorliegende Buch soll Ihnen den gegenwärtigen Stand dieser neuen alterspräventiven Medizin vorstellen. Gleichzeitig finden Sie darin sehr konkrete Möglichkeiten, wie Sie bereits heute den Alterungsprozess verlangsamen und den wichtigsten Alterskrankheiten vorbeugen können.
Und schließlich eröffnen wir Ihnen einen Ausblick darauf, was angesichts der geradezu atemberaubenden medizinischen Fortschritte bereits in naher Zukunft im Bereich des Anti-Agings möglich sein wird. Dies Buch ist daher mehr als nur ein klassischer Patientenratgeber. Es ist auch ein Wissenschaftsbericht über eine der spannendsten medizinischen Entwicklungen unserer Zeit. Ärzte und Wissenschaftler der unterschiedlichsten Disziplinen nehmen gemeinsam ein neues Ziel ins Visier: die Therapie des Alterns. Auch wenn wir noch in den Anfängen dieser Entwicklung stehen, so zeichnet sich das Ergebnis jetzt schon ab: Altern wird eine behandelbare »Erkrankung«. 15 Jahre länger leben ist ein Versprechen, das wir bereits heute einhalten können.
Freie Radikale schädigen Zellen, geschädigte Zellen verursachen chronische Entzündungen, chronische Entzündungen führen zu einer Verkürzung der Telomere an unseren Chromosomen – mehr über all dies lesen Sie im Folgenden. Altern ist in vielen Fällen eine Anhäufung negativer Synergieeffekte. Der Spieß lässt sich aber auch umdrehen. Wer einen gesundheitsbewussten Lebensstil pflegt und die in diesem Ratgeber empfohlenen Anti-Aging-Maßnahmen befolgt, der wird schnell merken, wie sich positive Synergien einstellen. Eine ausgewogene Ernährung mit einer intermittierenden Kalorienreduzierung vermeidet Übergewicht. Wer Übergewicht vermeidet, ist fitter und leistungsfähiger. Wer leistungsfähiger ist, betreibt mit mehr Freude und Erfolg Sport. Wer Sport treibt, nimmt besser ab, schläft besser und reduziert Stress. Das macht ihn wiederum noch leistungsfähiger. Und so weiter. Das Prinzip dürfte klar sein. Es gibt nicht nur Teufelskreise. Es gibt auch das Gegenteil davon. Selbst wenn die deutsche Sprache dafür kein entsprechendes Wort hat. Nennen wir es einfach ein Programm zur Förderung positiver Synergien. Raus aus der Abwärtsspirale – rein in die Aufwärtsspirale. Alt werden können Sie später. Fangen Sie heute erst einmal damit an, jünger zu werden.
In diesem Kapitel erfahren Sie alles und noch viel mehr über die wichtigsten Faktoren des Alterns. So unterschiedlich diese Vorgänge auch sein mögen – sie sind eng miteinander verknüpft.
Eine der ersten großen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Altersforschung lautet: Exakt der gleiche Prozess, der Metalle rosten und Fette ranzig werden lässt, ist auch für das Altern des menschlichen Organismus verantwortlich.
Altern ist ein universelles Phänomen. Tatsächlich ist es so verbreitet, dass es sogar außerhalb der belebten Natur stattfindet: Ihr Auto rostet, die Butter wird ranzig. Der chemische Prozess hinter diesen Vorgängen heißt Oxidation: eine chemische Reaktion, bei der ein Molekül Elektronen an ein anderes abgibt. Klassisch geschieht dies unter dem Einfluss von Sauerstoff (Oxygenium). Eisen bildet dabei unterschiedliche Eisenoxyde, die wir als Rost bezeichnen. Butter zerfällt bei der Oxidation in verschiedene Fettsäuren, von denen manche unangenehm riechen. In den 1950er-Jahren postulierte der amerikanische Biogerontologe Denham Harman erstmals seine »Theorie der freien Radikale«. Aus heutiger Sicht stellte sie den ersten Versuch dar, das komplexe Phänomen des Alterns durch ein einheitliches Theoriemodell zu erklären. Freie Radikale sind bekanntermaßen keine politischen Extremisten auf freiem Fuß.
Vielmehr handelt es sich um Moleküle, auf deren Elektronenhülle ein Elektron einzeln vorhanden ist. Elektronen sind negativ geladene Teilchen, welche die Atomkerne auf einer sogenannten Elektronenhülle umkreisen. Normalerweise tun sie dies paarweise und sind damit einigermaßen stabil. Ein ungepaartes Elektron dagegen macht die chemische Verbindung instabil und äußerst reaktionsfreudig. Das Molekül versucht nun mit aller Macht, das ihm fehlende Elektron aus einer anderen Verbindung an sich zu reißen. Dadurch wird diese Verbindung ihrerseits geschädigt. Weil ihr nun ein Elektron fehlt, wird sie selbst zu einem freien Radikal. Es kommt zu Kettenreaktionen, in deren Folge Zellstrukturen, Zellmembranen und ganze Gewebe geschädigt werden. Die Schädigungen häufen sich mit der Zeit, führen zu Funktionsverlusten und schließlich zum Totalversagen. Bezogen auf den menschlichen Organismus bedeutet das Altern und Tod.
Wenn unser Organismus schädigenden Einflüssen ausgesetzt ist, so entwickelt er Strategien, um sich dagegen zu schützen. Im Kampf gegen freie Radikale tut er dies gleich doppelt.
Zum einen besitzt er ein komplexes System von antioxidativen Enzymen, die in der Lage sind, freie Radikale abzufangen und zu neutralisieren. Zu diesen Enzymsystemen gehören die Glutathionperoxidase, die Superoxiddismutase und die Katalasen. Solche Enzymsysteme muss der Körper selbst herstellen. Um optimal zu funktionieren, benötigen sie aber eine Reihe von Spurenelementen und Mikronährstoffen wie Selen und Zink. Werden diese Stoffe nicht oder nicht ausreichend über die Nahrung zugeführt, so ist der Körper auch nicht in der Lage, diese hochwirksamen Schutzsysteme effektiv zu nutzen.
So ist es häufig in der Medizin. Kaum hat man eine schöne Theorie, schon kommen neue Erkenntnisse, und alles wird wieder infrage gestellt. Freie Radikale galten lange Zeit als die Bösewichte schlechthin, wenn es um den Alterungsprozess geht. Nun zeigen neuere Studien: Sie haben durchaus auch nutzbringende Funktionen. So setzen Immunzellen teils gezielt freie Radikale ein, um Eindringlinge abzuwehren. Auch Krebszellen werden auf diese Weise unschädlich gemacht.
Medizinische Therapien nutzen ebenfalls die Wirkung freier Radikale. Wird zum Beispiel ein Krebs durch eine Strahlentherapie behandelt, so sind es die dabei massenhaft erzeugten freien Radikale, welche den Tumor abtöten. Das bedeutet nicht zuletzt, dass die früher ausgesprochene Empfehlung, zur Abmilderung der Folgen einer Strahlentherapie hochdosierte Vitaminpräparate einzunehmen, völlig unsinnig ist.
Auch wahlloses Herunterregeln der oxidativen Belastung durch hochdosierte Antioxidanzien ist offenbar nicht gesundheitsfördernd, das belegen zahlreiche klinische Studien. In einigen dieser Studien stieg das Krebsrisiko sogar leicht an – aufgrund der oben beschriebenen Abwehrfunktion der Radikale nicht überraschend. Allerdings sollte man auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: Wie gut Antioxidanzien wirken, ist vor allem eine Frage der Dosierung. Eine vitaminreiche Ernährung wurde noch in keiner einzigen Studie mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung gebracht. Im Gegenteil.
Die zweite Strategie im Kampf gegen freie Radikale besteht darin, antioxidative Substanzen mit der Nahrung zuzuführen. Hier sind zunächst einmal die Vitamine A, C und E zu nennen. Der Biochemiker und zweifache Nobelpreisträger Linus Pauling hat als einer der Ersten das Vitamin C als eine Art Universalheilmittel gegen Krankheit und Altern propagiert. Er gilt heute als Begründer der sogenannten orthomolekularen Medizin. Diese spezielle Ernährungsmedizin versucht, Krankheiten vor allem durch die vermehrte Zufuhr von Vitaminen, Spurenelementen und Mikronährstoffen zu behandeln beziehungsweise ihnen vorzubeugen. Pauling selbst war von Vitamin C derart überzeugt, dass er täglich etwa 18 bis 20 Gramm zu sich nahm, das entspricht etwa dem 200-Fachen der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlenen Tagesdosis. Geschadet hat es Linus Pauling offenbar nicht: Er starb 1994 im Alter von 93 Jahren. Damit hatte er die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes im ausgehenden 20. Jahrhundert um mehr als zwei Jahrzehnte überschritten.
Heute setzt kaum noch jemand auf die alleinige Wirkung von Vitamin C. Sicherlich ist es ein potentes Antioxidans. Um den Körper wirksam vor freien Radikalen zu schützen, kommt es allerdings nicht so sehr auf Einzelsubstanzen an. Vielmehr ist für den Schutz ein sogenanntes antioxidatives Netzwerk wichtig, das Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Einzelsubstanzen. Zu diesen zählen bei Weitem nicht nur die allseits bekannten antioxidativen Vitamine. Viel wirksamere Radikalenfänger finden sich häufig unter den sekundären Pflanzenstoffen.
Anders, als der Begriff vermuten lässt, sind diese Stoffe alles andere als sekundär. Für die Pflanze sind sie von größter Wichtigkeit, etwa beim Anlocken von Insekten oder als Teil des pflanzeneigenen Abwehrsystems. Bekannte Beispiele sind Carotinoide und Flavonoide. Diese Farbpigmente verleihen einer Pflanze ihre charakteristische Färbung. Bei der Tomate etwa färbt das Carotinoid Lycopin die Frucht rot und schützt sie so vor den schädigenden Auswirkungen des Sonnenlichts.
Die gute Nachricht: Auch wir Menschen profitieren von der Schutzwirkung der Pflanzenstoffe.
Um den oxidativen Stress zu minimieren, besteht die beste Strategie also nicht darin, irgendein antioxidatives Vitamin in möglichst hoher Dosierung als Supplement zuzuführen. Vielmehr sollte das antioxidative Netzwerk in seiner ganzer Breite gestärkt werden. Das tut man besser durch eine obst- und gemüsereiche Ernährung als durch die Einnahme irgendwelcher Vitaminpräparate. Das hat Ihnen Ihre Großmutter auch schon gesagt? Manchmal sollte man eben doch mehr auf die Oma hören als auf zweifache Nobelpreisträger.
Denham Harmans Theorie der freien Radikale (siehe >) war lange Zeit umstritten. Heute ist sie wissenschaftliches Allgemeingut. Man kann sogar selbst in einem kleinen Experiment überprüfen, wie freie Radikale wirken – und was man gegen sie tun kann. Stellen Sie sich vor, Sie machen einen Obstsalat. Eine Zutat sind Bananen. Die werden zunächst geschält und dann in Stücke geschnitten. Nach kurzer Zeit nehmen die Bananenstücke einen unschönen braunen Farbton an: Bedingt durch freie Radikale in der Umgebungsluft werden die äußeren Zellen geschädigt und verfärben sich im Rahmen einer Glykosylierungsreaktion (siehe ab >) bräunlich.
Jetzt weiß aber auch jede kluge Köchin (und natürlich auch jeder kluge Koch), was zu tun ist, damit der Obstsalat nicht verunstaltet wird: Der Trick besteht darin, Zitronensaft über die Fruchtstücke zu träufeln. Der Saft enthält reichlich Vitamin C – ein potentes Antioxidans. Schon entgehen die Bananenstücke, genau wie alle anderen Früchte, der vorzeitigen Alterung. Damit haben wir auch bereits eine erste praktische Anti-Aging Therapie vorgestellt: das Vermeiden oxidativer Schädigungen durch die vermehrte Zufuhr von Radikalenfängern.
Oxidativen Stress zu messen, ist nicht ganz einfach. Freie Radikale sind winzig und haben eine extrem kurze Halbwertszeit, das heißt, sie zerfallen sehr schnell. Messen lässt sich oxidativer Stress daher nur indirekt über die Schäden, welche freie Radikale anrichten.
Das dafür am besten geeignete Stoffwechselprodukt ist das Malondialdehyd. Es dient als Marker für den Gehalt des Blutes an freien Radikalen.
Ein weiterer Marker, besonders für die oxidative Schädigung von Fetten, ist das 8-OH-Desoxyguanin.
Wichtig ist aber auch zu dokumentieren, was der Körper den freien Radikalen entgegenzusetzen hat. Hierzu dient der Test auf antioxidative Kapazität; er erfasst alle wichtigen antioxidativen Schutzfaktoren im Blut.
Konkrete Normwerte anzugeben, ist hier wenig sinnvoll, da die gemessenen Werte von Labor zu Labor schwanken. Ausschlaggebend ist die Gesamtbeurteilung durch den betreuenden Arzt.
Sie wissen bereits, dass die beste Quelle für die Zufuhr von Antioxidanzien eine obst- und gemüsereiche Ernährung ist. Leider wird die Empfehlung »Five a day – fünfmal täglich Obst oder Gemüse« nur von etwa zehn Prozent der Bevölkerung hierzulande umgesetzt. In diesem Fall sind Nahrungsergänzungsmittel zwar nur die zweitbeste Lösung, aber dennoch eine sinnvolle. Eine neue Generation von Nahrungssupplementen geht neue Wege: Statt einige synthetische Vitamine zusammen mit ein paar Mineralstoffen in eine Tablette zu pressen, stellt man Obst- und Gemüseextrakte her, welche die ganze Bandbreite sekundärer Pflanzenstoffe enthalten.
Ein wirkungsvolles Antioxidans, dessen Einnahme auch als Einzelsubstanz sinnvoll ist, ist das Coenzym Q10. Es ist vor allem in den Mitochondrien aktiv, also dort, wo die meisten freien Radikale entstehen (siehe >). Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 50 bis 100 mg / Tag.
Die folgende Maßnahme ist wahrscheinlich die effektivste zur Reduktion von oxidativem Stress: Statt Radikalenfänger von außen zuzuführen, die körpereigenen antioxidativen Abwehrsysteme zu stärken, allen voran das Enzym Glutathion. Leider ist dieses Enzym mit dem Alter immer weniger aktiv. Aber es lässt sich stimulieren, und zwar mit einer natürlichen Substanz namens N-Acetyl-Cystein (NaC). Im Gegensatz zu vielen anderen Supplementen gibt es zu NaC eine sehr gute wissenschaftliche Studienlage. Einigermaßen preiswert ist es auch. Die empfohlene Tagesdosis liegt bei 500 mg zweimal täglich. Neuere Retard-Produkte erlauben es, NaC auch als Einmaldosis einzunehmen.
Für das Versagen von hochdosierten Vitaminsupplementen bei oxidativem Stress, das sich in vielen Studien gezeigt hat, gibt es noch eine andere Erklärung, die sich auf das Prinzip Hormesis beruft.
Das Hormesis-Prinzip, das in den Biowissenschaften erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde, gewinnt seitdem zunehmend an Bedeutung. Durch dieses Buch wird es sich wie ein roter Faden ziehen, deshalb hier vorab eine kurze Erklärung.
Auch wenn es ähnlich klingt: Hormesis hat nichts zu tun mit Hormonen. Mit den Botenstoffen unseres Körpers hat Hormesis lediglich den altgriechischen Wortstamm gemeinsam (hormān = antreiben, erregen). Was hinter dem Begriff Hormesis steckt, lässt sich vielleicht am besten in einem Satz zusammenfassen, der zunächst paradox erscheint: Vieles, was für uns schädlich ist, ist gut für uns. Es kommt auf die Dosis an. Auf den ersten Blick erscheint das wenig einleuchtend. Es ist auch mit unserem traditionellen Denken schwer vereinbar. Das nämlich bevorzugt klare Einteilungen. Etwas ist entweder gut oder schlecht, gesund oder ungesund, nützlich oder schädlich. Wie sollte etwas für unsere Gesundheit gut sein, wenn es uns schadet?
Die Erklärung für dieses scheinbare Paradox liegt in der Komplexität unseres Organismus. Der ist dann eben doch mehr als eine Maschine, die durch längeren Gebrauch zunehmend verschleißt. Seit Denham Harman, dem US-amerikanischen Biogerontologen (1916 – 2014), wissen wir: Freie Radikale lassen nicht nur Metalle rosten oder die Butter ranzig werden. Sie schädigen auch biologische Organismen. Das ist weiterhin richtig. Es bedarf allerdings einer Ergänzung: Im Gegensatz zu Metallen und Butter verfügen biologische Organismen über die wichtige Fähigkeit, auf Schädigungen zu reagieren. Alle Lebewesen – das gilt von der Bäckerhefe bis zum Homo sapiens – besitzen die Fähigkeit zur Selbstreparatur. Mehr noch: Werden sie wiederholten Schädigungen ausgesetzt, so entwickeln sie spezifische Schutz- und Abwehrmechanismen. Diese Mechanismen reparieren nicht nur die entstandenen Schäden. Sie bereiten den Körper auch darauf vor, sich vor künftigen Schäden zu schützen. Von der Reparaturmedizin zur Präventivmedizin! Im ärztlichen Bereich vollziehen wir diese Wende gerade erst. Jede einzelne Körperzelle praktiziert das aber schon seit Langem.
Was bedeutet das Ganze nun für unseren konkreten Fall, die Oxidation? Was hat Hormesis zu tun mit der fehlenden Wirkung von Vitamintabletten? Der Zusammenhang ist relativ einfach, hat man das Prinzip erst einmal verstanden. Freie Radikale schädigen unseren Organismus auf einer molekularen Ebene. Allerdings hat unser Organismus darauf auch eine »Schadensantwort« parat. Als Reaktion auf den oxidativen Stress fährt er seine eigenen antioxidativen Enzymsysteme hoch. Die haben wir bereits kennengelernt: Glutathionperoxidase, Superoxiddismutase, Katalasen (siehe >). Ganz offensichtlich sind diese körpereigenen antioxidativen Enzymsysteme ein sehr viel besserer Schutz gegen freie Radikale als von außen zugeführte antioxidativ wirkende Vitamine. Werden diese Vitamine dann auch noch ständig oder in überhöhten Dosen verabreicht, so unterbleibt die »hormetische Antwort« unseres Körpers. Der fehlende Stress durch freie Radikale bewirkt, dass die antioxidativen Enzymsysteme nicht mehr stimuliert werden und damit ineffizient bleiben. Langfristig erweisen wir unserem Körper damit einen Bärendienst.
Wenn dem tatsächlich so ist, dann stellt sich natürlich eine andere Frage. Warum sind Gemüse und Obst gesund? Die sind ja schließlich auch voller Vitamine!
Der Gedankengang ist durchaus richtig. Zum einen enthalten Früchte und Gemüsesorten diese Vitamine aber nicht in überhöhten Dosen und nicht als Einzelsubstanzen. Zum anderen sind es nach neuesten Erkenntnissen auch gar nicht in erster Linie die Vitamine, die Obst und Gemüse gesund machen. Es sind die sogenannten sekundären Pflanzenstoffe. Womit wir schon bei der nächsten Frage wären: Gelten diese Pflanzenstoffe nicht auch als Antioxidanzien? Werden sie nicht sogar als Radikalenfänger beworben, die noch weit effektiver sind als die bekannten antioxidativen Vitamine? Auch hier gilt es, altbekannte »Wahrheiten« über Bord zu werfen. Viele der wirksamsten und für uns wichtigsten sekundären Pflanzenstoffe sind eigentlich keine Schutzstoffe, sondern Gifte. Es sind chemische Kampfstoffe der Pflanze. Gesund daran ist nicht der Stoff selbst. Gesund daran ist die Reaktion unseres Organismus auf diese Substanz. Wir werden darauf noch ausführlicher eingehen. Für den Augenblick sollte es genügen, das Prinzip Hormesis in seinen Grundzügen verstanden zu haben: Vieles von dem, was uns in hohen Dosen schadet, ist in niedrigen Dosierungen nützlich. Das ist damit zu erklären, dass es in unserem Organismus eine »gesunde Antwort« hervorruft.
Letztlich knüpft diese neue Erkenntnis an jahrhundertealtes Wissen an. »Die Dosis macht das Gift« lautet der berühmteste Satz des Arztes Paracelsus, der im 16. Jahrhundert die Grundlagen der modernen Pharmakologie schuf. Dinge, die prinzipiell für uns nützlich sind, werden irgendwann einmal schädlich, wenn man ihre Dosierung nur immer weiter erhöht. Das kennen wir von jedem Medikament. In hohen Konzentrationen wird irgendwann jedes Heilmittel zum Gift. Das Prinzip Hormesis lehrt uns im 21. Jahrhundert, dass auch der Umkehrschluss richtig ist: In niedrigen Dosierungen können auch Gifte zu Heilmitteln werden, indem sie heilsame Prozesse vorantreiben.
Zu viel Zucker macht uns krank und alt – er geht nämlich mit Proteinen eine verhängnisvolle Bindung ein.
Haben Sie schon einmal auf dem Jahrmarkt Zuckerwatte gegessen? Dann wissen Sie, wie es sich anfühlt, wenn man sich das Zeug – wie es bei Zuckerwatte ja geradezu unvermeidlich ist – ins Gesicht, an die Finger oder im schlimmsten Fall ans lange Haar schmiert. Es ist sehr, sehr klebrig. Das gilt auch für alle anderen übermäßig gesüßten Produkte, seien es zuckrige Bonbons oder Limonaden. Die Chemie bestätigt, was Jahrmarktbesucher erleben: Zucker ist nicht nur ein Brennstoff, er ist auch ein Klebstoff. Das gilt ebenso auf der molekularen Ebene. Zucker hat die Fähigkeit, Proteine miteinander zu verkleben. Und zwar so, dass diese Verbindungen nicht mehr gelöst werden können, was die Funktion dieser Proteine nachhaltig beeinträchtigt. Nichts anderes steckt hinter dem Begriff der Glykosylierung.
In dieser Weise »verzuckerte« Proteine nennt man mit einem englischen Begriff Advanced Glycation Endproducts – Endprodukte fortgeschrittener Glykosylierung, abgekürzt AGE.
Dass Zucker uns alt und krank macht, können wir jeden Tag an Millionen von Menschen beobachten. Allein in Deutschland gibt es mehr als acht Millionen Zuckerkranke – Menschen, die an einem Diabetes Typ 2 leiden. Wird bei diesen Diabetikern ihre Stoffwechselkrankheit nicht gut eingestellt (in Bezug auf Medikation, Ernährung und Bewegung), so haben sie nicht nur eine deutlich verkürzte Lebenserwartung. Sie entwickeln auch eine ganze Reihe von Komplikationen, die Folge der oben beschriebenen Glykosylierungsprozesse sind. So verhärten sich etwa die Proteine in den Gefäßwänden (Kollagen und Elastin), was zu Hochdruck und Durchblutungsstörungen führt. Schlecht durchblutete Gewebe heilen auch nur sehr schlecht. Das ist der Grund, warum das »offene Bein« mit einem chronisch infizierten Geschwür zu den gefürchtetsten Folgen eines fortgeschrittenen Diabetes zählt. Auch am Auge führen die Glykosylierungsprozesse zu Komplikationen. Hier werden vor allem in der Augenlinse die Proteine durch den Zucker verklebt. Das wiederum macht diese Eiweiße für oxidative Schädigungen empfindlich. Die Folge ist ein grauer Star (Katarakt), der bei Diabetikern ebenfalls eine typische Komplikation darstellt.
Nun muss man allerdings kein Diabetiker sein, um unter Glykosylierungsprozessen zu leiden. Die finden nämlich durchaus auch bei Stoffwechselgesunden statt. Mit der Folge, dass der gesamte Organismus altert. Unsere neuzeitliche Ernährung trägt zu dieser Art von Altern erheblich bei. Denn sie enthält, verglichen zu früheren Zeiten, eine Unmenge an dem Alt- und Krankmacher Zucker. Man muss gar nicht, wie es zurzeit Mode ist, bis in die Steinzeit zurückgehen, um festzustellen, dass unsere Altvorderen diesbezüglich weniger Probleme hatten. Noch im Mittelalter war Honig nahezu die einzige Substanz, mit der man intensiv süßen konnte, und Honig war ein seltenes Gut. Erst mit der industriellen Gewinnung von Zucker aus Zuckerrüben in Europa und aus Zuckerrohr in Südamerika wurde Zucker ein billiges, weitverbreitetes Alltagsprodukt. Seither bestimmt er immer mehr unseren Speiseplan. Was uns kurzfristig das Leben versüßt, stellt sich langfristig als einer der schwerwiegendsten Alterungsfaktoren heraus. Das gilt auch für die rasch zu Glukose abgebauten Kohlenhydrate in Weißmehlprodukten.
Dass sich Glukose und Proteine miteinander zu starren Strukturen verbinden, ist in der Medizin eine relativ junge Erkenntnis. In der Kochkunst nutzt man dieses Phänomen dagegen seit Langem: Wenn beim Brotbacken oder beim Zubereiten eines Bratens im Ofen eine köstlich knusprige Oberfläche entsteht, verbinden sich ebenfalls Zucker mit Eiweiß, was ganz neue Texturen schafft. Dies ist Küchenprofis als »Maillard-Reaktion« bekannt.
Machen Sie doch gleich mal ein kleines wissenschaftliches Experiment: Kauen Sie eine alte Brotkruste intensiv für etwas mehr als eine halbe Minute. Sie werden sehen, dass der Geschmack allmählich immer süßer wird. Der Grund: Durch das mechanische Zerkleinern beim Kauen und durch bestimmte Enzyme im Speichel wird der Zucker wieder aus seiner Eiweißverbindung gelöst. Die Forschung arbeitet intensiv an Substanzen, die Gleiches auf schonende Weise auch in unserem Körper vollbringen und damit Alterungsprozessen entgegenwirken. Der Arbeitstitel für diesen Anti-Aging-Ansatz lautet »AGE Breaker«.
Diabetiker müssen nicht nur bestimmte Ernährungsregeln einhalten, in vielen Fällen müssen sie auch zusätzlich Medikamente nehmen. Ein seit Jahrzehnten bekanntes und bewährtes Medikament ist Metformin. Es gehört zur Substanzgruppe der Biguanide, die vor allem die Glukoseneubildung in der Leber hemmen. Seit einigen Jahren erlebt es eine zweite Karriere als Hoffnungsträger der Anti-Aging-Medizin. In einer Reihe von Tierversuchen konnte Metformin seine lebensverlängernde Wirkung unter Beweis stellen. Aufsehen erregten aber vor allem Studien an Menschen. In deren Rahmen zeigte sich, dass Diabetiker, welche auf Metformin eingestellt waren, nicht nur länger lebten als andere Diabetiker. Sie lebten auch länger als Menschen, die gar keinen Diabetes hatten.
Die Daten waren derart überzeugend, dass die amerikanische Zulassungsbehörde FDA im Jahr 2015 erstmals eine Studie genehmigte, die für die Anti-Aging-Medizin eine neue Epoche einläutete. TAME – Targeting Aging with Metformin – soll untersuchen, ob Metformin tatsächlich Alterungsprozesse hemmt und das Leben verlängert. Das Sensationelle an dieser Studie ist, dass erstmals ein Medikament rein auf seine Anti-Aging-Wirkung hin untersucht wird. Bisher hatten sowohl amerikanische als auch europäische Zulassungsbehörden solche Studien strikt abgelehnt.
Was Metformin über die gegenwärtige Studienlage hinaus als Anti-Aging-Medikament prädestiniert, ist auch die Tatsache, dass es bereits seit Jahrzehnten bekannt und erprobt ist. Die Nebenwirkungen bestehen zumeist lediglich in einem leichten Unwohlsein im Magen-Darm-Bereich, sie treten jedoch fast ausschließlich bei hohen Dosierungen auf, die bei Diabetes erforderlich sind (Tagesdosis im Durchschnitt 2000 mg, für Anti-Aging-Zwecke reichen zweimal 500 mg täglich zu den Mahlzeiten). Das Medikament ist verschreibungspflichtig.
Bei der Glykosylierung von Eiweißen hört die negative Wirkung des Zuckers nicht auf. Bekanntermaßen nimmt Zucker auch Einfluss auf das Körpergewicht und auf die hormonelle Situation. Vor allem fördert Zucker die Insulinsekretion. Jeder Anstieg von Zucker im Blut ruft in der Bauchspeicheldrüse eine Insulinantwort hervor. Das Insulin sorgt als eine Art Schlüssel dafür, dass der Zucker dahin kommt, wo er gebraucht wird, allem voran die Muskelzellen mit ihrem hohen Energiebedarf. Permanent erhöhte Blutzuckerspiegel führen dazu, dass die Bauchspeicheldrüse auf Hochtouren Insulin produziert. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Insulinrezeptoren an den Zellen allmählich abstumpfen. Es kommt zur Ausbildung einer Insulinresistenz. Die Bauchspeicheldrüse weiß darauf nun keine andere Antwort, als noch mehr Insulin auszuschütten. Ein Teufelskreis entsteht: Zu viel Insulin führt zu einer Insulinresistenz. Die Insulinresistenz bewirkt die Ausschüttung von noch mehr Insulin.
Statt in die Muskelzellen wird die Glukose nun hauptsächlich in die Fettzellen eingeschleust, die leider keine Resistenzen gegen das Insulin entwickeln. Dort wird die Glukose in Fettsäuren umgewandelt und gespeichert, und dies häufig für lange Zeit. Denn Insulin schleust nicht nur Zucker in die Fettzellen ein. Es sorgt auch dafür, dass die Energie dort möglichst dauerhaft gespeichert wird. Insulin hemmt wie kein anderes Hormon die Lipolyse, also den Fettabbau.
Die Folge dieser Prozesse kennen wir alle: Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, Bluthochdruck. Seit den 1990er-Jahren hat sich für dieses sogenannte tödliche Quartett der Begriff des metabolischen Syndroms eingebürgert (Metabolismus = Stoffwechsel). Die gemeinsame Ursache aller Komponenten des metabolischen Syndroms sind dabei die Insulinresistenz und die Hyperinsulinämie – hierbei werden aufgrund der Insulinresistenz der Zellen immer größere Mengen von Insulin von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet. Letztlich hervorgerufen werden sie durch eine permanente Blutzuckererhöhung. Das süße Leben hat bittere Folgen.
Glykosylierungsprozesse im Organismus lassen sich durch Laboruntersuchungen recht einfach erfassen.
Am Anfang steht dabei die Messung des Blutzuckers (Glukose) im nüchternen Zustand.
Normalwert Nüchternglukose: 70 bis 100 mg / dl
Ein differenzierteres Bild erlaubt der orale Glukose-Belastungstest (oGT). Hierbei wird nach Messung des Nüchternblutzuckers eine standardisierte Zuckerlösung getrunken. Nach einer und noch einmal nach zwei Stunden wird wieder der Blutzucker gemessen. Die nach diesem Schema gemessenen Werte sind ein gutes Maß für die Fähigkeit des Körpers, auf unterschiedliche Glukosebelastungen zu reagieren.
Normalwert Nüchternblutzucker: < 100 mg / dl
Normalwert nach einer Stunde:
< 140 mg / dl
Normalwert nach zwei Stunden:
< 120 mg / dl
Ein weiterer wichtiger Wert ist der HbA1c. Er misst die Verzuckerung des Hämoglobinmoleküls und erfasst somit im Nachhinein die durchschnittlichen Zuckerspiegel während der letzten zwei bis drei Monate. Der Test wird hauptsächlich bei Diabetikern eingesetzt, um zu überprüfen, ob die Zuckererkrankung richtig eingestellt ist. Er erlaubt aber auch ganz allgemein eine Aussage über Glykosylierungsprozesse im Körper. Letztlich ist HbA1c selbst ein AGE-Protein (siehe >), nämlich die glykosilierte Form des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin, der seinerseits ein Eiweiß ist.
Normwert: 5 bis 7 Prozent
Um festzustellen, ob aus permanent erhöhten Blutzuckerspiegeln bereits eine Insulinresistenz folgt, misst man das Proinsulin.
Normwert: < 11 pmol / l
Nach allem, was wir in diesem Kapitel erfahren haben, ist die Therapie von Glykosylierungsprozessen im Körper recht einfach. Die Lösung lautet: Zucker reduzieren. Das gilt nicht nur für das Süßen von Tee oder Kaffee oder für Gummibärchen und Limonaden. Das gilt generell für Nahrungsmittel mit einem hohen Kohlenhydratanteil, also zum Beispiel auch für Brot, Gebäck oder Nudeln. Besonders gefährlich sind dabei Produkte mit einfachen Kohlenhydraten, welche schnell ins Blut gehen und eine sofortige Insulinantwort hervorrufen. Unproblematischer sind dagegen die komplexen Kohlenhydrate, die vor allem in Gemüse und Vollkornprodukten vorkommen. Diese Kohlenhydrate muss der Körper zunächst in einzelne Glukosemoleküle aufspalten. Der Blutzuckeranstieg erfolgt daher nur langsam, die gefährlichen Blutzuckerspitzen werden vermieden.
Um die guten (komplexen) von den schlechten (einfachen) Kohlenhydraten zu unterscheiden, hat sich der glykämische Index (GI) bewährt. Er ist ein Maß für den durch ein Nahrungsmittel hervorgerufenen Blutzuckeranstieg und die durch den Zuckeranstieg hervorgerufene Insulinantwort. Bevorzugt werden sollten grundsätzlich Nahrungsmittel mit einem niedrigen glykämischen Index wie Gemüse, Vollkornprodukte, Nüsse, Samen, Fleisch und Käse.
Es gibt inzwischen auch eine ganze Reihe von Diäten, die auf dem Prinzip der Auswahl von Lebensmitteln mit einem möglichst niedrigen glykämischen Index beruhen. Mit solchen Diäten lässt sich nicht nur effektiv Gewicht reduzieren. Sie sind – im Hinblick auf das Phänomen der Glykosylierung – auch unter Anti-Aging-Aspekten nachhaltig zu empfehlen. Die im deutschsprachigen Raum bekannteste derartige Low-Carb-Diät ist sicherlich die GLYX-Diät von Marion Grillparzer (siehe >).
THOMAS JONES (1756 – 1807)
Zucker zu reduzieren ist definitiv ein Weg zur Lebensverlängerung. Noch effektiver ist allerdings eine andere Maßnahme: die Kalorien insgesamt zu reduzieren.
Kalorienrestriktion (englisch Calorie Restriction, CR) gehört zu den am besten untersuchten und gesicherten Maßnahmen in der Anti-Aging-Medizin.
Bereits in den 1930er-Jahren machte der amerikanische Forscher Clive McCay in diesem Forschungszusammenhang systematische Fütterungsversuche an Laborratten. Er kam dabei zu erstaunlichen Ergebnissen: Nahmen die Nager etwa 30 Prozent weniger Kalorien zu sich, so verlängerte sich ihre Lebenserwartung um bis zu 50 Prozent.
Derartige Versuche wurden seitdem mit den unterschiedlichsten Spezies durchgeführt – von Einzellern bis zum Rhesusaffen. Das Ergebnis war immer das gleiche: Weniger essen heißt länger leben. Die einfache Methode der Kalorienrestriktion gilt aber nicht nur seit vielen Jahren als die am besten untersuchte und wirksamste Maßnahme zur Lebensverlängerung, sie steigert auch in ganz erheblichem Maße unser Wohlbefinden und unsere Lebensqualität.
Aber diesbezüglich stellt sich natürlich die Frage: Warum sollte Nahrungsentzug eigentlich gesund sein? Nichts zu essen zu bekommen ist für unseren Körper zunächst einmal eine der schlimmstmöglichen Situationen überhaupt. Dauert der Zustand zu lange, droht der Hungertod. Mehr Stress geht nicht.
Aber wir haben ja bereits das Prinzip Hormesis kennengelernt: Schädigendes kann Gutes bewirken, wenn man es nicht übertreibt. Auch die Kalorienrestriktion ruft im Organismus eine hormetische Antwort hervor. Die Zelle aktiviert sogenannte Sirtuine. Die reparieren Schäden in der Zelle und in der DNA. Und das lässt uns länger leben. Diese Sirtuine lassen sich aber auch noch anders aktivieren. Davon später mehr (siehe ab >).
HUGO VON HOFMANNSTHAL (1874 – 1929)