Silvia Faller
Gottes Paradiesvögel
Satz & Gestaltung: Verena Kessel
ISBN Taschenbuch |
978-3-86476-083-9 |
ISBN E-Book EPUB |
978-3-86476-642-8 |
ISBN E-Book PDF |
978-3-86476-643-5 |
Verlag Waldkirch KG |
© Verlag Waldkirch Mannheim, 2016
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags.
Rucksackgeschichten
vom Wandern und Pilgern
auf Jakobswegen
Vom Ende zum Beginn
Zum Auftakt Lissabon
Geduldsprobe
Bauchgefühl
Hundeleben
Der Herr hat vor jeden Gipfel den Berg gesetzt
Spurensuche
Von kleinen und großen Abschieden
Storchenparade
Entscheidung
Grenzgänger
Extremadura
Spanische Eigenheiten
Herbergsgeschichten
Seelenfenster
El Padre
Von Krabbeltieren und Kribbelmücken
Von Weitblicken und Einsichten
Pilgervirus
Kraftprobe
Pfad-Finder
Paradiesvögel
Geburtstag
Nebelhund
Körpergefühl
Ein Tag wie ein Geschenk
Weg-Weiser
Pilgerfreunde
Glücksgefühle
Companeros
Santiago
Jakobsmuschel
Am Ende des Weges
Stationen Jakobswege 2015
„Nur weil mein Herz eine Heimat hat,
können meine Füße mich in die Welt tragen.“
Ich danke all den Menschen in meinem Leben,
deren Liebe meinem Herzen eine Heimat gibt.
Nun bin ich wieder zuhause, hatte noch nicht wirklich Zeit, mich in meinen Alltag wieder einzufinden. Noch keine Zeit, meine Gedanken und Gefühle, mein Erleben und meine Erlebnisse wirklich zu sortieren. Bin seltsam wortkarg, wenn ich nach dieser zweiten Pilgerreise gefragt werde. Weiß nicht, was ich berichten, wo ich anfangen soll. Zu unterschiedlich war diese Zeit, dieser Weg. Erinnere mich, wie übersprudelnd ich von meinem ersten Weg erzählt habe, nicht nur Tage oder Wochen, sondern noch jahrelang bis zu meinem erneuten Aufbruch. Mit ungebrochener Begeisterung und Sehnsucht nach dieser Zeit. Diese Freiheit wollte ich wiederfinden, diesen Gleichklang, dieses Lächeln der Seele und diese spirituellen Empfindungen.
Ich war wie ein unbeschriebenes Blatt auf diesem ersten Weg. Alles erlebte ich zum ersten Mal. Ich erwartete nichts und bekam so viel geschenkt. Ich war offen, neugierig und bereit für das Neue und Unbekannte. Habe Widrigkeiten, Schmerzen und schlechtes Wetter erduldet, freute mich an der Kraft und Zähigkeit meines Körpers, fügte mich dem Weg und seinen Ansprüchen, war selbst anspruchslos und dankbar für jeden sonnigen Tag, begeisterte mich an jeder schönen Aussicht und jedem glücklichen Gefühl. Die Intensität dieser Zeit brannte sich mit allen Einzelheiten in meine Erinnerung. Je mehr ich darüber erzählte und schrieb, umso mehr wuchs der Wunsch, dies noch einmal zu erleben.
Ein wenig begangener Weg sollte es sein, ganz alleine wollte ich pilgern, mich den Herausforderungen auf dem Weg zu mir und nach Santiago stellen. Die Abenteuerlust überwog die spirituelle Sehnsucht, und so entschied ich mich für den erst 2008 wieder rekonstruierten Camino „Via Lusitana“, der von der Algarve in Südportugal parallel zur spanischen Grenze nach Norden über die spanische Stadt Ourense bis nach Santiago de Compostela führen sollte. Ein Pionierweg, selten begangen, ohne die auf den bekannteren Wegen vorhandenen Markierungen und ohne die in Spanien üblichen Herbergen. Anders als auf meiner ersten Reise beschäftigte ich mich bereits zuhause mit den möglichen Etappen. Die eingeschränkten Übernachtungsmöglichkeiten machten genauere Planungen erforderlich. Einige wenige Male würde ich auf Bus oder Taxi zurückgreifen müssen, um eine Pension zu erreichen, und am nächsten Tag zu meinem Endpunkt zurückkehren, um die Etappe abzuschließen. Das war zwar lästig, aber unvermeidlich, wollte ich nicht in einem Zelt oder unter freiem Himmel schlafen. Der einzige Wanderführer für diesen Weg stammte aus dem Jahr 2009 und war damit alles andere als aktuell, also druckte ich mir über 80 Seiten der vom Verlag zur Verfügung gestellten Updates aus, um auf dem neuesten Stand zu sein. Ein GPS wollte ich nicht mitnehmen. Ich vertraute den Wegbeschreibungen, meinem Orientierungssinn und meinem Bauchgefühl.
Ab Ourense würde ich dann den Pilgerführer für den Camino „Via de la Plata“ benutzen, der von Sevilla ausgehend, fast parallel auf der spanischen Seite nach Norden führt.
Mehr aus Versehen wählte ich die Anreise über Lissabon, die bei meinen Recherchen irgendwo als Möglichkeit erwähnt war. Erdkunde war noch nie meine Stärke und der große Weltatlas das Schulbuch, das ich am seltensten in die Hand genommen hatte. Lissabon wollte ich gern kennenlernen, hatten mich Filme und Bücher auf diese Stadt doch neugierig gemacht. In meiner Vorstellung lag diese „Perle am Meer“ an der Algarve im Süden Portugals. Wenige Wochen vor meiner Abreise stellte ich dann fest, dass Lissabon zwar am Meer, aber doch sehr deutlich an der Westküste lag und mehrere Stunden Busfahrt bis zu meinem eigentlichen Startpunkt notwendig waren. Mein Weg begann in Vila Real de San Antonio, ganz im Süden Portugals am Grenzfluss „Guidiana“ gelegen, in Sichtweite des spanischen Ufers. Ungefähr 200 Kilometer wanderte ich von da an nach Norden in Richtung Santiago, erlebte und erlitt diesen Weg, wanderte, schlug mich durch, erkämpfte mir jedes Tagesziel ohne jemals das Gefühl zu haben, auf einer Pilgerreise zu sein. Durch die anhaltend schwierige Wirtschaftslage in Portugal hatten von den sowieso schon wenigen Pensionen und Übernachtungsmöglichkeiten am Weg einige geschlossen und mehrmals war ich gezwungen, bis zur nächsten Stadt zu fahren. Aber auch dies gestaltete sich schwierig. Busse fuhren generell nur an Werktagen und meist zu Schulzeiten. Per Taxi musste ich viele Kilometer auf Nationalstraßen zurücklegen. Diese und die Autobahn bildeten den einzigen Korridor durch riesige eingezäunte Ländereien von Großgrundbesitzern. Auf der Höhe von Éstremoz schließlich entschied ich mich, das Abenteuer Portugal abzuschließen und nach Mérida auf die nur 100 Kilometer entfernte, parallel verlaufende Via de la Plata in Spanien überzuwechseln. Hier endlich pilgerte ich bis nach Granja de Moreruela und dann über den Camino Sanabres bis nach Santiago de Compostela, wo ich nach sieben Wochen und 1000 Kilometer eintraf. Ich wanderte weiter bis nach Fisterra und beendete dort am Strand beim Sonnenuntergang meinen Pilgerweg.
Noch hat sie sich mir nicht offenbart, die „Perle Portugals“. Momentan gebärdet sich Lissabon wie jede andere Großstadt. Ich sitze in einer Pasteleria gegenüber der Jugendherberge bei einem Glas Wein, nur wenige Schritte abseits des Feierabendverkehrs. Die Straßen sind heillos verstopft, nichts geht wirklich vorwärts und die Portugiesen verschaffen sich Luft mit einem beständigen Hupkonzert. Dieses wird nur übertönt von dem eindringlichen Jaulen der Ambulanz, die versucht, sich einen Weg zu bahnen.
Zu Fuß mache ich mich am nächsten Tag auf in Richtung der Altstadt, versuche die großen Verkehrsadern zu meiden, die nur von Geschäften und Bürogebäuden gesäumt sind. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass kein Geld vorhanden ist, um renovierungsbedürftige, alte Häuser zu erhalten. An manchen Fassaden sind noch die originalen Alentejos erhalten, meterhohe Mosaikbilder aus Kacheln, für die Portugal berühmt ist. Auch viele von ihnen sind dem Verfall preisgegeben. Büsche und sogar kleine Bäume wachsen aus Ruinen zwischen bewohnten Häusern, etliche einsturzgefährdete Gebäude werden mit Gerüsten abgestützt. Die Viertel der Altstadt sind offensichtlich billiger, mancherorts ungepflegter Wohnraum für Menschen vieler Nationalitäten. Die Gassen sind so eng, dass kein Auto hindurchpasst. In den Ecken riecht es streng nach Urin, unschöne Graffiti an vielen Hauswänden, Modergeruch aus Kellerfenstern und offenen Hauseingängen. In manchen Winkeln stapeln sich die Müllsäcke, von streunenden Hunden und Katzen aufgerissen, der verwesende Inhalt im Umkreis verstreut. Ein lustloser Müllmann schiebt seinen fast leeren Karren durch die Gassen.
Die offiziellen Touristenattraktionen sind restauriert und gut gepflegt, aber auch sehr gut besucht. Auf einem freien Platz mit einem schönen Blick aufs Meer warten einige Fahrzeuge auf Kundschaft. Es sind zu offenen Taxis umgebaute italienische Ape, die man aus der Pizzawerbung kennt. Nur mit ihnen kann man durch die engen Gassen der Altstadt fahren. Von einem jungen Studenten lasse ich mich zu einer Fahrt überreden. Er will mir einige sehenswerte Ecken zeigen. Die meisten hatte ich zuvor schon per pedes entdeckt, doch die Fahrt selbst ist ein Erlebnis. Spritzig fährt er durch die Gassen, wir holpern über das Kopfsteinpflaster, vor den Kurven wird gehupt, um den Gegenverkehr zu warnen, immer wieder müssen wir zurücksetzen, um andere Fahrzeuge vorbeizulassen. Lastwagen, die sich rückwärts so weit wie möglich in die Straßen quetschen, um ihre Waren abzuliefern, verstopfen jede mögliche Durchfahrt und erfordern genaueste Ortskenntnisse, um überhaupt irgendwie durchzukommen. Nach einer halben Stunde muss ich erst mal wieder meine Knochen sortieren und mich von mancher Schrecksekunde erholen. Der junge Mann fährt mich zum Mosteiro dos Jeronimus und den Torre de Belem, dort möchte ich meine Erkundung zu Fuß fortsetzen. Diese Bauwerke sind das Ziel aller Touristengruppen und heillos überfüllt. Dutzende Busse parken gegenüber, zahllose Menschen bilden Schlangen vor den Eingangstüren, alle Cafés und jede Bar gut besucht. Die Warteschlange vor der alten Confiserie, die sich bis weit zurück auf den Gehweg staut, lässt meine Lust auf die berühmten „Belemtörtchen“ sofort verschwinden. Das ist nicht meine Welt und ich studiere meinen Stadtplan nach Alternativen. Hinter der Confiserie beginnt der tropische Garten, der mit riesigen Bäumen, Schatten, leeren Bänken und Wegen lockt. Für nur 2.-Euro Eintritt eine Oase der Ruhe, doch keineswegs ein perfekter Garten. Eine große Anzahl von Gärtnern bemüht sich, die Natur in Schach zu halten, ohne ihr jedoch wirklich Herr zu werden.
Ich liebe es, vergessene Orte zu entdecken, verwunschene Momente hinter überbordendem Grün, in Stein gehauene Träume. Beides, Bildnisse und Träume, vom Verfall bedroht. Ich finde Gebäude, die den Kampf gegen die Natur längst verloren haben. Dazwischen ein prächtiger, bunter Hahn mit einem weit verstreuten Harem. Schwarz-weiß-rot gescheckte Gänse und ein Pfau mit zwei Hennen, der aber keine Lust zum Radschlagen hat. Die auf der Übersichtstafel am Eingang angegebenen Gebäude sind nur noch an den davorstehenden Tafeln zu erkennen. Zwischenzeitlich verfallen sie oder sind gesperrt. Ich entdecke ein beeindruckendes Haus mit vielen prächtigen Mosaiken, die sich jedoch nur durch die Fenster betrachten lassen. Der dazugehörende Seerosenteich ist mit Algen fast zugewachsen, gesäumt von ein paar Wänden und Nischen mit Mosaikbildern und fliesengeschmückten Ruhebänken. Ein Streifzug durch einen fantasievollen Traum von ehemals orientalischer Pracht. Ich sehe Gewächshäuser, durch deren geborstene Fenster Pflanzen wuchern. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich ein asiatisch anmutendes Bildnis hinter dem ehemaligen, wunderschön verschnörkelten Eisentor. Ich suche mir ein schattiges Plätzchen und atme tief die nach feuchtem Torf und geschnittenem Gras riechende Luft ein.
Ein perfekter Platz für alle, die die Schönheit im Nichtperfekten entdecken können.
Der erste Tag auf der Via Lusitana empfängt mich mit hohen Temperaturen und starkem, warmen Wind. Egal, um wieviel Kurven ich biege, er bläst mir immer entgegen. Doch er sorgt auch dafür, dass Fliegen und Stechmücken lieber zuhause bleiben. In den windstillen Ecken und in den Dörfern staut sich schon morgens unerträgliche Hitze. Sie heizt den Asphalt auf und das bröselige Gestein der wie eine Mondlandschaft anmutenden Hügel. Zurück in der Ebene wachsen zum Ausgleich am Straßenrand viele Bäume mit saftigen, lecker süßen Orangen und blühende Hecken aus Opuntien.
Da geht man einen Weg, den angeblich nur ungefähr fünfzig Pilger jedes Jahr wagen und dann trifft man am ersten Abend gleich eine Mitpilgerin. Ich hatte in der abseits des Weges liegenden Pension und einzigen Übernachtungsmöglichkeit am Vortag reserviert und lag bereits zur Siesta leichtbekleidet im Bett, als die Zimmertür stürmisch aufgerissen wurde. Der Hausherr, der von meiner Ankunft noch nichts wusste, hatte auf seiner Heimfahrt seinen vermeintlich verirrten Übernachtungsgast aufgelesen und kurzerhand mitgebracht. Er staunte nicht schlecht, als er feststellte, dass ich bereits da war. So quartierte er die polnische, in Deutschland lebende Pilgerin in das zweite Zimmer ein. Die Neugierde trieb mich um. Bot sich mir etwa die Chance, eine gleichgesinnte Seele zu treffen? Doch bald stellte sich heraus, dass T. in so ziemlich allen persönlichen Eigenschaften, Ansichten und Verhaltensweisen mein absolutes Gegenteil war.
Sie war im Jahr davor den von Porto bis Santiago verlaufenden, ca. 230 km langen, überwiegend ebenen Caminho Portugues gepilgert. Das hatte ihr so gut gefallen, dass sie wieder in Portugal pilgern wollte und hatte sich deshalb für die Via Lusitana entschieden. Dafür hatte sie vier Wochen Zeit. Sie wusste weder, dass dieser Pionierweg nahezu 1000 km lang war, noch, dass er über Berge führt, dabei weder markiert ist und auch keine Herbergen vorhanden sind. Sie hatte zwar den gleichen Wanderführer, aber darin nur ein wenig geblättert. So hatte sie keine Ahnung von den Besonderheiten und Herausforderungen diese Caminos. Sie war einfach davon ausgegangen, dass die Wege ähnlich wären und genauso viele Pilger auch hier unterwegs. Beim letzten Mal hatte sie sich kurzerhand einer Gruppe angeschlossen und geplant, das dieses Mal auch so zu machen. T. erzählt mir, dass sie am liebsten jemanden hätte, hinter dem sie nur herzulaufen bräuchte. Eine mir mehr als unangenehme Vorstellung. Nach ihrer Ankunft in Tavira war sie in einem Café durch Zufall einem Mitglied einer portugiesischen Jakobsgesellschaft begegnet, die zumindest zu Beginn teilweise einen Weg mit Pfeilen gekennzeichnet haben. Dieser forderte sie auf, nicht ihrem Wanderführer, sondern diesen Markierungen zu folgen. Die Pfeile führen aber ausschließlich an mehr oder weniger stark befahrenen Verkehrsstraßen mit Asphaltbelag entlang. Nun sind die Spanier schon rasante Autofahrer, bezeichnen ihrerseits die Portugiesen aber zu Recht als „loco“, als verrückt. Er händigte ihr Fotokopien mit Etappen, Informationen zu Übernachtungsmöglichkeiten und Entfernungen aus. Manche Etappen waren mit 40 bis 50 km Tagesziel bei Temperaturen von über 35 Grad fast nicht zu schaffen. Die Folgen zeigten sich bei T. bereits am diesem ersten Abend. Um die vom heißen Asphalt dampfenden Füße abzukühlen, hatte sie kurzerhand ihr Trinkwasser in die neuen, bislang noch ungetragenen Goretexschuhe geschüttet. Die aufgeweichte Haut hatte dann fleißig Blasen produziert, so dass sie am zweiten Tag mit vielfach umwickelten Füßen in Badeschuhen in der Jugendherberge von Alcoutim eintraf. Ich hatte dort für Sie mitreserviert und sie kam mehrere Stunden nach mir an. Kein Wunder, denn sie wollte ausschlafen und war erst gegen zehn Uhr am Morgen gestartet. Zum Wandern trug sie ein dünnes Kleid, das viel bloße Haut zeigte. Arme, Schultern, Dekolleté und Beine waren krebsrot verbrannt. Ich bot ihr Salbe an und fragte entsetzt, ob sie denn kein Sonnenschutzmittel aufgetragen hätte. Das würde sie nicht vertragen, war die lapidare Antwort, dann legte sie sich zum Ausgleich an den Swimmingpool in die pralle Sonne, um ihre Haut daran zu gewöhnen. Ich kam aus dem inneren Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. Der aus Höflichkeit gemeinsam verbrachte Abend wurde für mich zu einer Tortur, erzählte sie doch jedem, dass wir arme Pilgerinnen seien und forderte nicht nur beim Abendessen, sondern selbst im kleinen Lebensmittelgeschäft deswegen Rabatt. In mir wuchs eine solche Aversion, dass selbst wenige gemeinsame Tage für mich nicht in Frage kamen. Sie wollte mit mir bis Mértola gehen, da mein Weg fast 13 km kürzer war, als die ihr empfohlene Straßenvariante. Ich machte T. klar, dass sie sich mir diese eine Etappe anschließen könne, dann aber alleine weitersehen müsse.
Von dieser kleinen Stadt aus hatte sie zumindest die Möglichkeit, per Bus andere Ziele in Portugal zu erreichen. Bis dahin fühlte ich mich jedoch für Sie mitverantwortlich, obwohl sie keinem, selbst noch so vorsichtig formuliertem Hinweis zugänglich war. Wir mussten auch querfeldein und über unwegsame Teilstrecken laufen, doch wollte sie dies in ihren Badeschuhen tun. Es gab nur einmal einen Dorfbrunnen und eine ungewisse Bar unterwegs, um die Wasservorräte aufzufüllen. Trotzdem startete sie mit einer nahezu leeren Wasserflasche, lies auch den Brunnen links liegen um sich kurz danach darüber aufzuregen, dass es nirgendwo Wasser gab. Ich schleppte seit dem frühen Morgen fast drei Liter mit und schwor mir mit zusammengebissenen Zähnen, ihr davon erst anzubieten, wenn ihr die Zunge zum Hals heraus hinge. Ich spürte geradezu, wie sich eine weitere Zornesfalte in meine Stirn grub. Sie bewies keinerlei Orientierungssinn, der häufige Abgleich mit der im Wanderführer beschriebenen Route war ihr zu mühsam und sie hätte den Weg bis Mértola über die Hügel alleine nicht gefunden. Am Fuß der auf einem Berg liegenden Stadt trennten wir uns dann ohne viele Worte. Sie folgte der Straße und ich dem gepflasterten Burgweg hinauf.
Sie war einer der Menschen, die sich ganz selbstverständlich darauf verlassen, dass ihnen Hilfe zuteil wird. Die ohne Skrupel und ohne Unrechtsbewusstsein von ihren verantwortungsbewussten Mitmenschen profitieren, ohne diese jedoch zu schätzen oder ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Die auch dann noch Verständnis und Mitgefühl erwarten, wenn die Schwierigkeiten, in denen sie stecken, selbst verschuldet und leicht vorhersehbar waren. Ich hatte nie zuvor einen Menschen getroffen, der in allem so ganz und gar mein Gegenteil war, der so viel Ablehnung in mir hervorrief, dass meine Toleranz und mein Verständnis in kürzester Zeit ihre Grenzen erreichten.
Das fing ja gut an. Jetzt konnte es nur noch besser werden.
Bilder zu Vom Ende zum Beginn, Zum Auftakt Lissabon, Geduldsprobe und Bauchgefühl www.verlag-waldkirch.de/pics/Paradiesvoegel1s.pdf