
Aus dem Spanischen übersetzt und neu bearbeitet von Bernhard Straub.
Die spanische Originalausgabe erschien 1984 unter dem Titel La rosa de Alejandría bei Planeta in Barcelona, die deutsche Erstausgabe unter dem Titel Die Rose von Alexandria 1987 beim Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg.
E-Book-Ausgabe 2016
© 1984 Heirs of Manuel Vázquez Montalbán
© 2016 für diese Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin
Covergestaltung Julie August unter Verwendung einer Fotografie © John Greim/Age/F1online. Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph.
Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.
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ISBN: 978 3 8031 4206 1
Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 2762 4
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Er hatte ein eher erinnertes als gegenwärtiges Bild vor Augen. Eine Wohnung in einem Altstadtviertel, vielleicht in einem älteren Viertel als diese Wohnung, aber dieselbe spärliche Beleuchtung, dieselbe geheimnisvolle Atmosphäre, dasselbe Getuschel, dieselbe gedämpfte Stimme, mit der die Frau ihn empfing, Priesterin einer unbekannten Macht. Damals war es eine santera gewesen, eine Gesundbeterin mit der Fähigkeit, die Schmerzen eines kranken Auges oder der Eifersucht zu heilen. Und es war Eifersucht, von der Carvalhos Mutter ihren Sohn befreien wollte, eine Eifersucht, die ihn mit Melancholie erfüllte und ihm den Appetit raubte, was die gute Frau nicht dem Mehlpamps mit dem ranzigen Schinken ihrer Nachkriegsküche zuschreiben konnte oder wohl auch nicht wollte. Schließlich hätte das bedeutet, eine gewisse Verantwortung für das alltägliche Scheitern der Hoffnung zu übernehmen. Carvalho erinnerte sich dunkel, wer oder was als angebliche Ursache der Eifersucht bezeichnet wurde, vermutlich ein Verwandter, ein Junge aus einer bessergestellten Familie, der ein Fahrrad besaß – und das in einer Zeit und als Angehöriger einer sozialen Klasse, in der kaum jemand etwas sein eigen nannte. Die santera betete vor einer überdimensionalen Nischen-Jungfrau, schlug eine Menge Kreuze über dem Jungen und umgab ihn mit dem besonderen Duft einer Hausfrau, die sicherlich ein Gericht mit Lorbeer und Wein auf dem Herd hatte, denn sie duftete nach Lorbeer und Wein. Erinnerungen besitzen Gerüche und Klänge wie eine musikalische Landschaft. Dank Zeit und Bildung – und bevor er beides wieder verloren hatte – fand Carvalho heraus, daß sich seine Eifersucht gegen den Vater gerichtet hatte; diesen fast unbekannten Vater, der sich, kaum aus dem Gefängnis entlassen, in ein Ehebett legte, das viele Jahre ein warmer und vertrauter Zufluchtsort für Carvalho und seine Mutter gewesen war. Heute stand eine andere kleine und dicke, aber nicht so alte santera vor ihm, und es gab ebenfalls eine Statue der Heiligen Jungfrau in einer Nische dieses postindustriellen Kupplernests der Jahrhundert-, ja, der Jahrtausendwende.
»Was willst du? Du mußt mir erklären, was du willst!«
»Das, was jeder will, der hierherkommt.«
»Erster Fehler. Nicht alle, die hierherkommen, wollen das gleiche.«
Es war der Triumph der Expertin über den Laien, der in den lächelnden, glänzenden Augen der bezaubernden kleinen Dicken aufschien.
»Jeder Mann ist ein Fall für sich, und ebenso jede von den Frauen, die ich dir verschaffen kann. Als erstes: Wie heißt du?«
»Ricardo. Ich habe mich schon immer gerne Ricardo genannt.«
»Sehr gut, Ricardo. Bist du verheiratet oder ledig?«
»Verheiratet.«
»Legst du Wert auf Diskretion oder nicht?«
»Jede Form von Diskretion wäre noch zu wenig. Meine Frau haßt mich und will mich nicht verlieren.«
»Ich glaube, das wird sehr kompliziert. Du bist sehr kompliziert.«
Vielleicht hatte er ein zu kompliziertes Denkmodell ausgearbeitet. Ihm kam der Gedanke, ihr mit einem Vers zu helfen, den er zu einer Zeit gelernt hatte, als er noch Verse lernte: ›Wer fürchtet nicht zu verlieren, was er nicht liebt?‹ Aber ihm schien, damit würde er die santera nur noch mehr beunruhigen.
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich möchte meine Zeit nicht vergeuden.«
»Wieviel verlangst du für deine Information?«
»Sechstausendfünfhundert Peseten, und dafür bekommst du von mir Namen und Telefonnummern von Frauen oder Kontakte hier bei uns, ich wiederhole, nicht mehr als Kontakte, für die Zeit von zwei Monaten.«
Carvalho legte zwei Fünftausender auf den Tisch. Die santera nahm sie mit sicherem Griff und im richtigen Tempo, nicht zu schnell und nicht zu langsam, und übergab ihm das Wechselgeld wie ein großzügiger Kassierer.
»Das ändert die Sache. Jetzt weiß ich, daß ich meine Zeit nicht vertue. Denk nicht schlecht von mir, aber es kommen viele hierher, reden um den heißen Brei herum, verschwenden meine Zeit, und am Ende nichts kommt dabei heraus. Zurück zu dir! Verheiratet, diskrete Kontakte. Also bist du an verheirateten Frauen interessiert, die ebenfalls diskret sein müssen. Offen gesagt, ich kann dir Frauen verschaffen, die sich nicht aus Lasterhaftigkeit auf diese Sache einlassen, sondern aus Mangel an Geld oder an Zuneigung. Ehefrauen, deren Männer zuwenig verdienen oder arbeitslos sind. Die eine oder andere tut es auch, weil ihr Mann sie nicht befriedigt oder weil sie sich nicht verstehen. Aber die wollen dann eine stabile Beziehung, die ihnen ein verheirateter Mann wie du nicht bieten kann. Du wirst deine Frau an Wochenenden nicht allein lassen.«
»Das kommt nicht in Frage: Wir haben ein Häuschen in einer Siedlung in Montserrat und fahren jedes Wochenende hin, um den Garten zu pflegen und eine Paella zu machen.«
»Siehst du? Für dich kommen also nur Frauen in Frage, die genau wie du auf Diskretion angewiesen sind!«
Sie stand auf, weil es geklingelt hatte, schloß die Tür hinter sich, sprach mit einer Person, die gerade gekommen war, und kehrte zu Carvalho mit einem Gesicht zurück, das noch zufriedener aussah als vor wenigen Minuten.
»Gerade kommt ein Mädchen, das für dich vielleicht von Interesse ist. Schau sie dir an und sag mir, wie sie dir gefällt!«
Carvalho erhob sich unter den Blicken der Heiligen Jungfrau und der santera und spähte mit einem Auge durch den Spalt zwischen den beiden Türflügeln. Es war eine Schlanke in Stiefeln, die aussah, als würde sie Enzyklopädien an der Wohnungstür verkaufen, gepflegt, besonnen. Sie saß da und blickte auf den Türspalt; sie wußte, daß sie begutachtet wurde.
»Sie ist sehr schlank.«
»Gefallen dir die Schlanken nicht?«
»Es gibt solche und solche. Aber immerhin, es ist eine Möglichkeit. Du hast bestimmt noch andere!«
Die santera schrieb Zahlen und Namen auf ein Blatt Papier, als würde sie ein Rezept ausstellen.
»Bei dieser hier bitte äußerste Diskretion! Nur am frühen Abend!«
Es waren Telefonnummern und Namen von Frauen.
»Wohin kann ich mit ihnen gehen, wenn wir uns verabredet haben?«
»Ich vermittle nur den Kontakt.«
»Können wir denn nicht hierherkommen? Gibt es hier keine Möglichkeit?«
»Das hier ist ein Kontaktbüro. Kein Stundenhotel! In deinem Alter sollte man eigentlich wissen, wo man mit einer Frau hingehen kann.«
»Ich sehe älter aus, als ich bin!«
»Ganz in der Nähe von hier, an der Plaza de España, gibt es ein Stundenhotel, das Magoria. Wenn du willst, kannst du mit der beginnen, die eben gekommen ist. Aber zuerst gehst du mit ihr etwas trinken. Man muß mit einem gewissen Taktgefühl vorgehen.«
»Wird sie sehr viel verlangen? Ich habe fast kein Geld bei mir. Nur das Wechselgeld von dir. Und ich muß noch das Zimmer bezahlen.«
»Das Zimmer kostet dich etwa siebenhundert Peseten, und der Rest reicht völlig aus. Dieses Mädchen ist sehr darauf angewiesen.«
»Tatsächlich kam ich hierher, weil du mir von einem Freund empfohlen wurdest.«
»Wie heißt denn der Freund?«
»Ich habe ihn in einer Sauna kennengelernt. So gut kenne ich ihn eigentlich auch nicht. Aber du weißt ja, worüber sich Männer unterhalten. Über Frauen. Wir sprachen immer über Frauen. Ich erzählte ihm meine Geschichte, und er gab mir den Rat, dich aufzusuchen und nach einer gewissen Carol zu fragen. Eine, die du ihm vermittelt hast und die anscheinend sehr hübsch ist.«
Sie hatte sich im Stuhl zurückgelehnt, die Hände auf die Tischplatte gestützt, mit ausgestreckten Armen, um Distanz zu schaffen. Ihre Augen lächelten nicht mehr. Sie taxierten das Gewicht von Lüge und Wahrheit in der Geschichte des Klienten.
»Ich erinnere mich an keine Carol.«
»Den Namen vergißt man nicht so schnell. Mein Freund, nun ja, mein Informant, hat mir sogar ein Photo gegeben, das sie ihm geschenkt hatte.«
Das Photo, das er von Paca bekommen hatte, lag vor der Frau auf dem Tisch; das spärliche Licht der Tischlampe tauchte es in einen gelben und entwürdigenden Tümpel. Die san- tera schien es nur mit einem Auge zu betrachten, das andere fixierte Carvalho.
»Es gefällt mir gar nicht, daß meine Klienten sich untereinander die Mädchen weiterreichen. Ich finde es wenig taktvoll, und außerdem verliere ich meine Kommission.«
»Er tat es, weil er nicht mehr an ihr interessiert war. Er hat Spanien oder Barcelona verlassen. Ich weiß es nicht mehr genau. Tatsächlich habe ich lange gebraucht, bis ich mich entschieden hatte. Ich habe das Bild schon seit über drei Monaten, und er sagte mir, diese Frau sei nicht immer erreichbar.«
»Ich habe viele solche Klientinnen. Sie machen es phasenweise. In Zeiten der Not.«
»Sie war anscheinend nicht von hier, oder sie verschwand immer wieder für lange Zeit und kam dann wieder.«
»Stimmt.«
»Hast du sie ihm vermittelt?«
»Kann sein. Selbstverständlich kam sie immer wieder hierher. Sie tauchte alle drei oder vier Monate auf und verschwand wieder. Warum, hat sie mir nie gesagt. Vielleicht mußte sie Wechsel bezahlen, die alle neunzig Tage fällig waren, und brauchte finanzielle Hilfe.«
»Wie kann man sie erreichen?«
»Ich habe eine Telefonnummer.«
Die Augen musterten Carvalho prüfend, ohne seinem Blick nachzugeben.
»Gibst du sie mir?«
»Es ist keine billige Frau!«
»Ich habe ja nicht viel Geld, aber trotzdem, es reicht für ein Abenteuer, wenn es die Frau wert ist.«
Eine Hand legte sich auf den Tisch und kritzelte neben die anderen, die sie bereits notiert hatte, eine Telefonnummer auf das Blatt Papier.
»Vielleicht wirst du sie nicht antreffen. Sie rief vor, ja, vor drei oder vier Monaten an, und seitdem nicht mehr. Aber jetzt ist es soweit. Seit zwei Jahren ist sie zuverlässig zur Stelle. Was sie vorher gemacht hat, weiß ich nicht. Ich mache das hier seit zwei Jahren. Ich sage es noch einmal, es ist eine Art Heiratsinstitut. Ich bringe Personen zusammen, die das wollen. Was sie danach tun, ist ihre Sache, nicht meine. Damit das ganz klar ist.«
»Sonnenklar.«
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht, du bist ein schwieriger Kunde. Verabredest du dich mit der, die draußen wartet?«
»Gut, ich lade sie erst einmal zu einem Glas Wein ein.«
»Das ist gut. Man muß die Form wahren. Es kommen viele hierher, die sich einbilden, daß man nur aufzutauchen braucht, und schon geht es ab auf die Matratze. Melde dich in zwei oder drei Tagen bei mir, wenn es mit den Kontakten geklappt hat, die ich dir gegeben habe. Was du bezahlt hast, gibt dir ein Anrecht auf Informationen für zwei Monate.«
Sie betrachtete die Sprechstunde als beendet, stand auf und kam Carvalho zuvor, indem sie dem Mädchen erklärte, daß dieser Señor mit ihr ausgehen wolle. Das Mädchen ging mit einer gewissen Eleganz in den Bewegungen seines jungen Skeletts vor dem Detektiv her die Stufen hinab und ließ sich auf einen Kaffee in die Bar an der Ecke einladen. Sie erzählte Carvalho, sie verkaufe Geräte zur Herstellung von Sorbets.
»Ich wußte gar nicht, daß Sorbets so viele Fans haben.«
»Naja, mit dem Apparat kann man auch Mayonnaise machen und Teig kneten, sogar Wurst kann man damit herstellen. Und wenn du Hobbykoch bist, kannst du eine Reihe von Aufsätzen verwenden, die die ganzen Einzelgeräte in der Küche überflüssig machen.«
»Ist es sehr teuer?«
»Früher war es unverschämt teuer. Der Apparat, den ich verkaufe, ist jetzt neu auf dem Markt und kostet etwa dreißigtausend.«
»Verkaufst du viele davon?«
»Nein, ich habe erst angefangen. Deshalb komme ich immer noch hierher. Apropos, sollen wir irgendwo hingehen?«
Am Ende würden sie sich über ihr Kind unterhalten, das ohne Vater oder mit einem schlechten Vater oder mit einem arbeitslosen Vater zu Hause auf sie wartete, und er würde ihre Rippen zählen, die im aphrodisierenden Licht eines schlechtgelüfteten Stundenhotels rötlich schimmerten. Er ließ zweitausend Peseten in ihre halboffene Tasche fallen, aus der sie eben den Katalog des elektrischen Zauberstabs genommen hatte.
»Ich habe heute keine Lust. Vielleicht ein andermal. Gib mir einen Katalog, ich glaube, der Apparat ist sehr praktisch!«
»Das ist er, das ist er!«
Ihr Espresso wurde kalt, während sie die Vorzüge des Mixers besang. Carvalhos Fragen, wie man sich mit der Kupplerin in Verbindung setzen könne, erhielten einleuchtende Antworten. Per Telefon. Die Seiten mit den Kontakt- und Massageanzeigen von El Periódico oder La Vanguardia dienten als Orientierungshilfe. Als er den Katalog in der Tasche hatte und schon aufgestanden war, um zu gehen, war es das Mädchen, das das Gespräch über die Arbeit und das Leben fortsetzen wollte. Zu einem gegebenen Zeitpunkt steckte sie die Hand in ihre Tasche, um ihr eine Broschüre zu entnehmen.
»Kennst du das schon?«
Der Weg zu dir selbst von Yogi Madha-sharti. Die Schlangenaugen des Mädchens wollten kein Geld mehr und auch kein Gespräch, sie verlangten die Gemeinschaft der Heiligen.
»Ich seh schon gar nicht mehr aus wie ein Schuhputzer, Pepe. Ich seh aus wie ein Bettler, wie einer von diesen modernen Bettlern, Pepe, du weißt schon, die Bettler sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Erinnerst du dich noch an die richtigen Bettler nach dem Bürgerkrieg? Einarmig, einbeinig, ohne Beine, blind oder einäugig, aber das waren echte Kerle, Pepe, und nicht solche Scheißbettler wie heute. Die tun so, als würden sie dir die Autoscheibe putzen, und nehmen das als Vorwand fürs Betteln, oder sie erzählen dir, sie wären arbeitslos und die Kinder zu Hause hätten nichts zu essen. Das sind keine Bettler mehr, eher moderne Menschen. Ich bin noch einer vom alten Schlag, Pepe, und wenn die Leute mich sehen, mit meinem Schuhputzkasten in der Hand, dann denken sie, ich komme direkt aus dem Museum. Alle Welt hat zu Hause eines von diesen Deodorants zum Schuheputzen, und niemand legt mehr Wert auf geputzte Schuhe, so wie früher. Hast du gesehen, was die Jugend für Schuhe trägt? Sneakers oder wie die Dinger heißen. Wie putzt man so was, Pepe?«
»Kannst du anhand einer Telefonnummer eine Adresse ausfindig machen?«
Bromuros Bürste, die wie ein Geigenbogen hin und her flitzte, stoppte in der Luft, und er bot Carvalho die visuelle Bedrohung seines faulen, lückenhaften Gebisses dar, seiner gelben, wässrigen Hängeaugen und einer Glatze, auf der sich die Luftverschmutzung kristallisierte und sich Mitesser wie in die Kopfhaut gebohrte Nägel breitmachten.
»So will ich dich hören, hombre! Das ist eine Frage wie in alten Zeiten. So kommt man zur Sache. Vielleicht kann ich mich nützlich machen, denn ich hab immer noch meine Kontakte, und für ein paar Leute, sehr wenige, ist der caballero legionario Francisco Melgar immer noch ein Begriff.«
»Und wer ist der Kerl?«
»Das bin ich.«
»Ich wußte gar nicht, daß du dir einen anderen Namen zugelegt hast.«
»Ja, glaubst du, ich bin mit dem Namen Bromuro zur Welt gekommen? Glaubst du denn, mein Vater und mein Großvater haben auch schon Bromuro geheißen? Machst du dich lustig über mich, Pepe? Los, gib die Nummer schon her!«
Carvalho gab ihm einen Zettel, den Bromuro vorsichtig entgegennahm, um ihn mit seinen schmierigen Händen nicht allzusehr zu beschmutzen. Er hielt ihn weit von sich, um die Zahlen lesen zu können.
»Hast du eine Brille dabei, Pepe?«
»Nein.«
»Ich hab nämlich meine verloren, die ich mir vor Jahren gekauft hab, und jetzt seh ich nichts mehr. Ich muß mir eine neue kaufen, aber ich hab nie die Zeit, zum Flohmarkt auf der Plaza de la Gloria zu gehen. Dort gibt’s haufenweise Brillen. Du mußt nur Geduld haben und eine nach der anderen ausprobieren, bis du die richtige gefunden hast. Sie sind erstklassig, ganz billig, und du sparst dir den Augenarzt.«
Carvalho legte zweitausend Peseten auf den dunklen hölzernen Kasten, der vor Alter glänzte und dem vorletzten Schuhputzer der südlichen Ramblas als Stütze für seine Lebensgeister diente.
»Spendabel! Du bist ein großzügiger Mensch. Solche Männer wie dich gibt’s nicht mehr, Pepe. Dir tut man gerne einen Gefallen. Du und ab und zu ein Paar Schuhe, das ist alles, was mir noch geblieben ist. Zum Glück auch noch eine Flasche Wein und eine Tapa mit karbidverseuchten Calamares.«
»Warum regelst du das mit deiner Rente nicht?«
»Ich hab als Schuhputzer keine Beiträge bezahlt.«
»Und als Legionär? Oder als Kämpfer der Blauen Division?«
»Als Legionär war ich unter dem Namen eines Onkels eingeschrieben. Als Kämpfer der Division glaube ich nicht, daß man eine Pension kriegt, und außerdem gibt es mich gar nicht.«
»Was meinst du damit?«
»Daß es mich gar nicht gibt, Pepe! Ich wollte doch vor ein, zwei Jahren einen Personalausweis beantragen, und da hieß es, ich sei beim Überqueren eines russischen Flusses gefallen! Ich kann gar nicht schwimmen. Und wenn ich nicht schwimmen kann, was soll ich dann in einen russischen Fluß springen? Du verstehst das, aber der Typ auf dem Amt nicht. Sie sind ja deshalb ertrunken, weil Sie nicht schwimmen konnten! Das hat er mir wortwörtlich und frech ins Gesicht gesagt! Hören Sie mal, hab ich geantwortet, finden Sie, ich sehe aus wie ein Toter? Meinen Sie, ich würde hier vor Ihnen stehen, wenn ich ertrunken wäre? Nein, natürlich nicht. Und wenn ich hier bin, dann deshalb, weil ich nie im Leben durch einen Fluß geschwommen wäre, schon gar nicht durch einen russischen, und nicht einmal, wenn es mir der General Muñoz Grandes persönlich befohlen hätte. Bei allem Respekt, den ich vor ihm hatte, denn er war der größte General in Spanien seit Napoleon. Du verstehst das. Aber dieser Sesselfurzer war überzeugt, ich sei ertrunken, weil ich nicht schwimmen konnte. Vielleicht können das die Sozialisten für mich regeln. Was meinst du, was halten die Sozialisten von einem Ehemaligen aus der Blauen Division, Pepe?«
»Sehr viel. Sie wollen sich mit dir versöhnen.«
»Ich hab denen nichts getan. Ich schreibe an Alfonso Guerra, der ist mir am sympathischsten. Ja, ja, Pepe, dieser Guerra erinnert mich in manchem sehr an General Muñoz Grandes.«
Carvalho hatte Bromuro stehenlassen und ging am Restaurant Amaya vorbei zum Hafen hinunter. Bromuro rief hinter ihm her und versprach, ihn zu benachrichtigen, sobald er selbst Bescheid wisse. Es war die Stunde des Angelusläutens. ›Und der Engel verkündete Maria …‹ würde es im Radio heißen. Aber auf den Gehwegen der Ramblas standen schon die Vormittagsnutten, jung, wie ihre Lust zu essen und zu leben, und Mädchen, die sich als Billighuren verkleidet hatten oder vielleicht auch welche waren. Sie waren bereit für frühe Freier, gehetzte Besucher der Stadt, die das schützende Dunkel des Abends nicht erwarten konnten.
Charo war eben aufgestanden. Im Gesicht trug sie eine Maske von weißem Make-up, und die Haare hatte sie mit einem Halstuch nach hinten gebunden. Auf der Spüle einige Whiskygläser mit zerflossenen Eiswürfeln, ein Aschenbecher mit den Resten von Zigaretten und zwei Zigarren. In der ungelüfteten Wohnung hing noch der kalte Rauch von schlechtem Tabak, ein Geruch, der sich im Lichthof ausbreitete, als Carvalho die Läden aufstieß und eine schwache Sonne lustlos ins Zimmer kam.
»Mach auf, hier stinkt’s wie in einem Stall. Weil der Hafen so nah ist, ist die Luft so feucht, daß alles ständig muffelt. Aber nicht, weil ich nie die Fenster aufmache!«
Carvalhos Besuche waren nicht allzu häufig. Deshalb konnte er Charos Mißtrauen nicht mit der Ausrede zerstreuen, daß er sich zwischen dem Gespräch mit Bromuro und einer schwer zu erklärenden beruflichen Aufgabe eine Pause gönnen wolle. Ihre Hand steckte in einem Tiegel mit einer Creme, die die Nagelhäute weichmacht, und während sie sich auf die Maniküre konzentrierte, schaute sie immer wieder hinüber zu dem schweigsamen Carvalho, der in kleinen Schlucken eine Schale Kaffee mit trockenem Chinchón trank.
»Ich verstehe nicht, wie du dir am frühen Morgen so etwas antun kannst.«
Carvalho wollte ihr nicht von seiner Arbeit erzählen, und doch drängten sich ihm bei der beiläufigen Betrachtung der vier Zimmerwände ausschließlich Fragen auf, die mit seiner Arbeit zusammenhingen und die er verschluckte, bevor sie ihm über die Lippen entwischten.
»Weißt du Bescheid über diese Häuser, die Kontakte zwischen Leuten vermitteln?«
»Heiratsinstitute.«
»Heiraten nun nicht gerade.«
»Ach so, die Sorte meinst du! Also hör mal, im Haus des Gehenkten spricht man nicht über den Strick! Gerade die sind eine Konkurrenz, gegen die wir nichts machen können. Ich weiß nicht, was plötzlich in die Männer gefahren ist, sie gehen denen auf den Leim wie die Fliegen. Nimm mal die Zeitungsseiten, die ich gesammelt habe. Schau dir die Spalten ›Kontakte‹ und ›Massagen‹ an, das sagt alles, und dann sag du mir, ob es noch Gerechtigkeit gibt, bei den Preisen heutzutage und dem wenigen Respekt, der uns noch bleibt!«
»Mädchen, zweiundzwanzig Jahre, hübsch, nicht professionell. Hostessen, Modelle und Escort Service, Universitätsniveau …«
»Also, ich müßte mich schon in die Spalte für fünfundzwanzig plus einschreiben …«
»Private Luxusappartements, auch Haus- und Hotelbesuche auf Kreditkarte.«
»Hättest du gedacht, daß es Kunden gibt, die mit Scheckkarte zahlen wollen? Das kommt nur von diesen Weibern, die aussehen wie aus dem Supermarkt!«
›María, vierundzwanzig Jahre, Boutiqueverkäuferin, 1,65 m, ellegant …‹
»Die schreibt elegant mit zwei L!«
»Elegant schreibt man mit einem L? Um so schlimmer. Da siehst du’s: eine Riesenannonce, aber zu blöd zum Schreiben!«
›Dame dreißig braucht Hilfe solvente Herren‹. ›Betrüg deine Frau nur wenn es sich lohnt!‹ ›Katalanische Witwen reif und heiß‹. ›Ich bin ein Luxusgirl, neunzehn, nur, wenn du mich dir leisten kannst.‹ ›Privatclub, weibliche Gesellschaft, tolerant, aber nicht professionell‹. ›Vermittle Kontakte auf hohem Niveau, Damen und Mädchen der Extraklasse, erwarte größte Diskretion und beste Solvenz‹. ›Jessica, zweiundzwanzig, die optimalen Brüste für Thai-Massage und die Sinnlichkeit der Sirenen‹. ›Willst du die beste Zunge? Drei andalusische Damen erwarten dich, Calle Pelayo 52‹ …
»Jetzt erklär mir doch, warum die unbedingt aus Andalusien sein müssen. Sie könnten genauso gut aus Reus sein.«
»Ein Augenzwinkern für Landsleute. Förderung des Geschlechtsverkehrs durch ähnliche Herkunft.«
»Hör bloß auf, Pepe, die ganze Annoncenkonkurrenz schadet uns Seriösen ungeheuer. Schau mal genau hin! Da war sogar eine Anzeige: ›Mutter und Tochter für mehrere Tage!‹ Glaubst du, daß es noch Gerechtigkeit gibt? Ein Kunde von mir ist hingegangen und hat die Personalausweise verlangt, und es waren tatsächlich Mutter und Tochter. Dann diese ganzen Geschichten mit dem lesbischen Doppel, dem Griechen, dem Thai, dem Schwarzen Kuß, wo kommen wir denn da hin? Ich sage ständig zu meinen Kunden: Wenn ihr euch einbildet, daß ich die ganzen neuen Schweinereien nachlerne, die jetzt aufkommen, dann habt ihr euch geschnitten! Ich mache es auf die klassische Art. Ich fühle es so, und so werde ich es immer fühlen, bis ich in Rente gehe oder sterbe. Alles andere ist Aufgeilerei und Dekadenz. Schön und gut, wenn ein Mann Dinge sucht und findet, die ihm seine Frau normalerweise nicht bietet; aber erklär mir mal diese Scharfmacherei mit Mutter und Tochter oder mit der Tabakwarenhändlerin aus Amarcord, ja. Also erklär mir mal, was eine Tussi wohl zu bieten hat, die als Tabakwarenhändlerin aus Amarcord annonciert!«
»Mich interessieren vor allem die Kontakte. Wie das funktioniert, wer das in der Hand hat.«
»Also, in diesem Geschäft gibt es eine Menge merkwürdige Dinge. Normalerweise macht es eine schlaue Tusse, die ihre Wohnung auch schon für heimliche Rendezvous zur Verfügung gestellt und sich allmählich einen Stamm von Mädchen aufgebaut hat. Sie vermittelt sie als Hausfrauen, die eben in der Klemme sitzen und es nur für ein paar Wochen machen, oder weil sie, naja, kurz und gut, weil es ihnen eben schlecht geht. Aber es gibt auf dem Gebiet auch eine ganze Menge organisierte Prostitution. Und dann kommt es, wie es kommen muß, den Männern wird es hübsch serviert, und sie beißen an. Aber ein Kunde von mir, sehr unglücklich, der Ärmste, stammt hier aus der Gegend, aus Tarragona, also der ging zu so einem Rendezvous, weil er ein bißchen Spaß haben wollte, und bekam auch ein paar Adressen, aber ein Rendezvous nach dem anderen war ein Reinfall, weil die sich nur als Nutten ausgegeben haben, um Kohle zu machen, und bis er sie endlich im Bett hatte, war das abenteuerlicher als in den Kriminalfilmen mit Doktor Fu Manchu.«
Man hörte, daß Charo aus einer anderen Zeit stammte. Eine jüngere Frau hätte Star Wars als Beispiel angeführt, aber Charo sprach immer noch von Fu Manchu und ahnte nicht, warum ihr sonst so ernster Pepiño sie jetzt mit einem leichten Lächeln betrachtete.
»Lachst du mich aus? Glaubst du, ich lüge?«
»Fassen wir zusammen. Eine Frau kann diese Kontakte haben, solange es für sie interessant ist, und dann kann sie jederzeit wieder aussteigen?«
»Je nachdem. Solange keiner von den Luden etwas mitgekriegt hat, ja. Sobald sie einer entdeckt hat und ihren Namen kennt, setzen sie sie wahrscheinlich unter Druck, damit sie weitermacht. Es kommt auch immer darauf an, wie schlau die Tusse ist.«
»Das heißt also, es kann auch sein, daß das Milieu mit ihr abrechnet.«
»Das gibt’s wohl mehr als einmal.«
»Aber du weißt es nicht hundertprozentig?«
»Nein, ich weiß es wirklich nicht genau, weil ich meine Nase nicht in fremde Angelegenheiten stecke. Den Freundinnen, die mir vorgeschlagen haben, auf Annonce umzustellen, weil es mehr einbringt und man sogar besser behandelt wird, es ist ja, als wäre man gar nicht das, was man ist, also denen hab ich gesagt, ich mache das nicht, weil ich mich nicht gut fühle, wenn ich dauernd Theater spielen muß. Daß wir uns dann und dann treffen müssen, weil mein Mann um sieben Uhr nach Hause kommt. Oder daß ich Verkäuferin bin und nicht vor neun Uhr aus dem Geschäft komme. Oder: Ruf mich im Büro an, aber nur zwischen zwei und drei, wenn mein Chef zu Tisch ist. Das ist Theater. Das ist nicht seriös.«
Er fand Bromuro weder an seinem Arbeitsplatz an der Ecke der Calle Escudellers noch in den Bars und Spelunken der Gegend, und auch im Büro hatte er keine Nachricht hinterlassen. In einer Bar der Calle Arc de Teatre deutete man die Möglichkeit an, daß er in der letzten Nacht bei der Razzia mitgenommen worden sei, aber Bromuro war bei der Polizei bekannt und würde nicht länger auf einer Wache festgehalten werden, als für die Identifizierung notwendig war. In der Pension, wo der Schuhputzer wohnte, hieß es, man habe ihn seit Tagen nicht gesehen. Allerdings wollte sich die Wirtin bedeckt halten und keifte, sie könne auch nicht auf dem laufenden sein, wann der alte Herumtreiber und Tagedieb komme und gehe. Er sei ihr wieder einmal fünf Monatsmieten schuldig, und eines Tages werde er bei der Heimkehr seinen Pappkarton auf der Treppe vorfinden. Es handele sich dabei, wie sie weiter erklärte, um den Pappkarton, in dem ihr Farbfernseher geliefert worden sei, und Bromuro habe sie gebeten, ihr das Behältnis zu überlassen, um darin seine ganze Habe unterzubringen. Auf den Ramblas gingen bereits die Lichter an, als Bromuro an Carvalhos Bürotür klopfte und etwas Starkes brauchte, um Sprache und Selbstachtung wiederzufinden.
»In einer Nacht hab ich alles verloren, Pepe. Ich kann allmählich den Löffel abgeben.«
Biscuter erschrak mehr als Carvalho über den unverhofften Pessimismus des bärtigen, schmutzigen Schuhputzers, dessen schmierige Haarkranzreste nach allen Seiten abstanden.
»Die haben mich doch tatsächlich letzte Nacht mitgenommen, Pepe, bei der Razzia! So ein junger Leutnant von der Sorte, die sie von sonstwoher geholt haben. Also hab ich gegrinst und gedacht, der wird schon sehen, was er für eine Zigarre kriegt, wenn er Bromuro auf die Wache schleppt. Und als wir da sind, geh ich sofort zum Wachhabenden und zeige meinen Ausweis. Keine Reaktion. Als hätt ich gesagt, ich bin der und der Verbrecher. Nicht mal angeschaut hat er mich! Ich verlange also, daß Miraflores oder Contreras geholt werden, du weißt schon, wen ich meine. Miraflores sei pensioniert, und Contreras könnte nicht, weil er mit einer anderen Geschichte beschäftigt sei. Ich hab die Schnauze schon gestrichen voll und fange an mit meiner Vergangenheit, als Kämpfer der Blauen Division und zuverlässiger als Gott selber in den glorreichen Zeiten, als die Straßen noch von pistoleros wimmelten. Da kommt doch so ein Volltrottel, so einer von der Akademie, und sagt, solche Verdienste seien heute nicht mehr gefragt, und das sagt er mir ins Gesicht, mit seinem Bärtchen und seinem Kommunistengesicht, jawohl, ein Gesicht wie ein Fernkurskommunist, ich rieche diese Typen, und dabei habe ich Respekt vor einem richtigen Roten, einem Roten, der sein Leben lang dabeibleibt, aber nicht vor so einem Grünschnabel von Polizist und dazu noch Kommunist oder Demokrat oder eine widernatürliche Mischung von beidem, vor so einem nicht! Und er hat mich dabehalten, der undankbare Kerl, der immer weniger ein echter Kerl war, Pepe, was ich sage, ist die Wahrheit, und ich denke bei mir, so viele Schüsse, so viele Winter ohne Unterhemd, mit nacktem Körper, und das alles bloß, damit man am Ende nicht mal mehr als Vertrauensperson akzeptiert wird! Ich verdiene dein Vertrauen nicht mehr, Pepe. Ich bin ein Nichts. Ein Haufen Scheiße! Ich habe meinen Schneid und meine Eier auf dem Kommissariat gelassen, sie sind abgefallen wie zwei taube Nüsse oder leere Eierschalen!«
Ein paar Gläser Tresterschnaps und ein Bocadillo mit Chorizo, das ihm Biscuter servierte, machten Bromuro Lust, wieder er selbst zu sein.
»Aber gleich morgen, wenn ich mich erholt hab, geh ich dorthin und verlange Contreras, und in seiner Gegenwart lass ich den Grünschnabel von gestern abend kommen und mach ihn zur Schnecke. Nicht mal, als ich ihm das von der Blauen Division erzählt hab, hat er eine Reaktion gezeigt. Oder als ich gesagt hab, daß ich am Tag der Befreiung mit General Yagüe in Barcelona einmarschiert bin.«
»Damals war der noch gar nicht geboren.«
»Ich war auch noch nicht geboren, als wir um Kuba gekämpft haben, trotzdem wußte ich genau, wer Valeriano Weyler oder Camilo García de Polavieja waren. Die lernen in der Schule überhaupt keine Geschichte mehr, Pepe. Geschichtsbewußtsein ist in Verruf geraten. Die Leute leben in den Tag hinein und wissen kaum noch, was gestern passiert ist. Menschen mit Gedächtnis haben keinen Platz mehr in dieser Welt.«
»Da wir gerade von Gedächtnis sprechen: Weißt du noch, worum ich dich gebeten habe?«
»Alles hier drin!« Dabei deutete er auf seinen Kopf. »Hier habe ich es reingesteckt, als ich gesehen hab, daß es auf dem Kommissariat nicht mehr wie früher zugeht. Ich hatte Angst, daß sie den Zettel mit der Telefonnummer und der Adresse bei mir finden und deshalb Ärger machen, man kann ja nicht mal mehr der Polizei trauen. Also hab ich den Zettel aufgegessen. Dann habe ich mir die ganze Nacht lang die Adresse vorgesagt, damit ich sie nicht vergesse.«
Bromuro sah zur Zimmerdecke und schnarrte blitzschnell:
»Carretera de Vallvidrera 67A, unten.«
»Mensch, Bromuro, was erzählst du da! Ich habe ja schon vermutet, daß es in Sarrià ist, so wie die Telefonnummer anfängt, aber doch nicht auf meinem eigenen Heimweg!«
»Auf der Stelle will ich tot umfallen, Pepe, wenn ich lüge. Ich hab mir selbst den Befehl gegeben: Und wenn es das letzte ist, was du als Mensch tun kannst, du mußt Pepes Befehl ausführen!«
Carvalho nahm das Telefonbuch aus einer Schublade und suchte in dem Teil mit dem Straßenverzeichnis die Adresse heraus, die Bromuro gefunden hatte. Es war die Nummer, die auf dem Zettel der Kupplerin gestanden hatte, und der Name, auf den die Nummer eingetragen war, zog seinen Blick an wie ein ganzes Magnetfeld: Juan Pons Sisquella.
Carvalho überließ seinen Körper dem drehbaren Bürosessel und lauschte nicht mehr den Klageliedern von Biscuter und Bromuro, sondern seiner eigenen Intuition, in der ein Verdacht Gestalt annahm. Er griff zum Telefon und wählte die Nummer von Elektrogeräte Amperi. Der Apparat am anderen Ende klingelte und klingelte, wie gefangen in einem Netz, das es ihm verwehrte, zum Ziel seiner dringenden Wünsche vorzustoßen. Dann rief er Charos Verwandte an, und der Arbeitslose meldete sich mit einer Stimme, die noch leidender geworden war. Nein, seine Frau könne nicht an den Apparat kommen. Carvalho gab seine Identität preis und erklärte ihm, er suche Narcís.
»Ich weiß gar nichts von ihm. Ich weiß nur, daß man meinen Jungen verhaftet hat. Meine Frau ist aufs Kommissariat gegangen und will ihn besuchen.«
»Warum?«
»Man hat uns überhaupt keine Erklärung gegeben, sondern ihn einfach mitgenommen, das ist alles. Der Junge wollte gerade zur Arbeit gehen, und man hat ihn abgeführt wie einen Gauner.«
»Erinnern Sie sich an den Vornamen von Narcís’ Vater? Wissen Sie, ob er vielleicht Juan heißt?«
»Nein, ich weiß es nicht. Ich glaube, seine Mutter heißt Neus oder Nieves, aber an den Namen des Vaters kann ich mich nicht erinnern. Warum ist das jetzt wichtig? Bitte erzählen Sie ihm das mit meinem Sohn, wenn Sie ihn treffen! Er war immer ein guter Freund und könnte uns helfen. Könnten Sie nicht etwas tun?«
»Ich werde tun, was ich kann.«
Ich werde tun, was ich kann, wiederholte er ein paar Minuten später einer aufgeregten Charo, der Mariquita bereits berichtet hatte, was geschehen war.
»Pepe, sie sind außer sich, sie wissen nicht mehr, was sie machen sollen. Erst das mit dem rauschgiftsüchtigen Sohn, von dem sie nicht wissen, wo er steckt. Jetzt Andrés. Aber bei ihm ist es das erstemal, daß so etwas vorkommt. Narcís ist nicht aufzufinden, es ist, als ob er sich in Luft aufgelöst hätte.«
»Ich gehe jetzt sofort und spreche mit Contreras«, bot der wiederhergestellte Bromuro an, martialisch in seiner Hinfälligkeit und bereit, den Marsch zur Jefatura Superior anzutreten. Carvalho bat ihn, damit ein paar Stunden zu warten, vielleicht just die Zeit, die er benötigte, um seine Gedanken zu ordnen und herauszufinden, warum ihn die Namensgleichheit des Autodidakten und des Besitzers des Hauses in Vallvidrera so sehr alarmierte. Auch in der Privatwohnung des Autodidakten ging niemand ans Telefon, und alle Saunen und Massagesalons der Stadt durchzukämmen kam nicht in Frage.
»Hast du erfahren, was der Grund für die Razzia war?«
»Also, einfach, weil hier jede Menge Gauner frei herumlaufen und ihnen die ganzen Ladenbesitzer von Katalonien im Nacken sitzen, denn heute wird hier ein Juwelier umgebracht und morgen da ein Drogist, und sie müssen sich einsetzen, damit die Leute glauben, daß sie etwas ausrichten können. Aber diese Kriminalität kann keiner mehr stoppen. Kann man vielleicht den Terrorismus stoppen? Nein. Solange man nicht die Hälfte aller Basken in den Knast steckt und noch ein Viertel von ihnen nach Venezuela schickt, geht gar nichts. Und in den Großstädten ist es dasselbe. Alle sind schlecht drauf, und jeder hat es total eilig, irgendwohin zu kommen. Das ist bei dem Gauner mit dem weißen Kragen genauso wie bei dem sechzehnjährigen Gauner, der ein Auto knackt, um damit anzugeben, oder eine Apotheke überfällt, um sich einen Schuß zu setzen. Wenn ich dir die Wahrheit sagen soll, Pepe – ich bin ja schon alt, und nach allem, was ich durchgemacht habe, warum sollte ich das Handtuch werfen –, aber wenn ich jung wäre und sehen würde, was ich sehe, ich würde mir sofort einen Strick nehmen. Ich würde mir nichts vormachen lassen, weißt du? Warum diesen Berg von Jahren hinaufklettern und dabei immer einstecken müssen, Tag für Tag, und noch eine Ohrfeige und noch eine, und das alles nur, damit am Ende das Nichts steht?«
»Kopf hoch, Bromuro!« rief ihm Biscuter zu, ein mitreißender Appell, wie ihn nur ein Cortés nach der noche triste an seine demoralisierten und dezimierten Truppen richten konnte. Und tatsächlich lag etwas von einem flammenden patriotischen Aufruf in der Ansprache des kleinen Blonden, wie er mit erhobenem Arm dastand und die Augen fest auf Bromuros düsteres Gesicht gerichtet hatte, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Es war, als ob er die Grenzen der Hoffnung im Vaterland der Unglücklichen neu ziehen würde. Carvalho bat Charo, zu Mariquita zu gehen, während er selbst eine dringliche Sache erledigen wollte. Die Sache bestand darin, zum Auto zu gehen und dieselben alltäglichen Gesten zu wiederholen, die er immer machte, wenn er nach Hause fahren wollte. Aber es war ein Täuschungsmanöver, dessen erklärtes Ziel am Fuß der Berge lag, wo die Natur der Stadt entflieht und die Bäume und Pflanzen, die hinter den Umfassungsmauern heruntergekommener oder renovierter Villen gefangen sind, die Nähe der Berge versprechen. Es war die Dämmerung, die mit der Farbe von geronnenem Blut die Mauern der Schulhäuser tünchte. Vom Dämmerlicht besudelt wurden auch die Kinderschar, die am Ausgang des Schulgebäudes das Streben nach Freiheit wiederfanden, ihre Mütter, die sich der Aufgabe erfreuten, ihre Taxifahrerin zu sein, und die dickhäutigen Busse, die einen Moment lang nicht wußten, ob sie vorwärts oder rückwärts fahren und die Fracht heimkehrender Kinder behalten oder wieder ausspucken sollten. Und ein paar Meter weiter oben, dachte Carvalho, lag wahrscheinlich der Ort des Verbrechens.
In seinem Inneren wuchs das Gefühl, daß er von seiner Zeit doppelt profitierte. Als hätte man ihm die Arbeit direkt nach Hause gebracht. Die notierte Hausnummer gehörte zu einer kleinen Villa, die äußerlich vernachlässigt wirkte und nur wenige Meter von der Talstation der Seilbahn hinauf zum Tibidabo entfernt war. Ein Verkehrspolizist regelte das Verlassen der Schule für den kleinen Strom kindlicher Ameisen vom Schulgebäude bis zum Haltepunkt des Zuges, und dieser Polizist machte ihm mit energischen Bewegungen klar, daß er hier nicht parken durfte. Also überquerte er die Brücke unmittelbar vor dem Haltepunkt und stellte das Auto in einer menschenleeren Straße vor der hohen Umfassungsmauer einer Villa ab. Er ging zu dem Haus und gelangte zu einem hohen, eisernen Zaun, an dem eine alte Blechplanke befestigt war, um den Garten zu verbergen. Als er gegen das Tor drückte, gab es nach. Vor ihm lag eine kiesbestreute Fläche, und ein mit Ziegelsteinen gepflasterter Mittelgang führte zur Freitreppe eines Häuschens mit historistischen Ambitionen. Aber er war nicht allein im Garten. Zwei Männer stürzten sich auf ihn. Der eine baute sich eine Handbreit vor seinem Gesicht auf, der andere bewachte seine rechte Seite. Vielleicht hatte er ihre Gesichter schon einmal gesehen, auf jeden Fall erkannte er sie an ihren Bewegungen.
»Ihren Ausweis, bitte!«
»Und wer sind Sie?«
Die Dienstmarke wurde ihm mit allerstrengster professioneller Neutralität gezeigt. Derjenige, der vor ihm stand, brauchte keinen Personalausweis, um Carvalho zu erkennen; tatsächlich sah er ihn kaum an.
»Kommen Sie mit zur Wache, wir haben einige dienstliche Fragen.«
Die Haustür hatte sich geöffnet, im Türrahmen waren zwei weitere Polizisten aufgetaucht, und im Inneren des Hauses konnte man noch mehr Gestalten erahnen. Das Haus war besetzt, und er war in die Falle getappt wie ein Anfänger. Er verzichtete darauf, Rechtsmittel einzulegen, und fuhr lieber im Auto der Polizei mit als mit seinem eigenen.
»Man bekommt hier so schwer einen Parkplatz.«
Während der Fahrt durchsuchte er alle Windungen seines Gehirns, um herauszufinden, wann und warum wohl die Polizei Aktionen begonnen hatte, die zunächst parallel zu seinen eigenen liefen und nun mit ihnen zusammentrafen. Entweder beobachteten sie die Abelláns oder ihn selbst seit längerer Zeit, oder die Kupplerin hatte Verdacht geschöpft und das Ganze ins Rollen gebracht. ›Du hast zu sehr mit ihr gespielt. Du hast dich wie ein Hobby- oder ein Filmdetektiv verhalten.‹
»Contreras?«
»Ja, den Fall bearbeitet Contreras. Als wir ihm am Telefon gesagt haben, daß Carvalho höchstselbst in die Falle gegangen ist, wäre er vor Lachen beinahe gestorben.«
»Er lacht?«
»Ab und zu kommt es vor.«
»Ich dachte, er hätte nach Francos Tod ewige Trauer gelobt.«
»Treiben Sie es nicht zu toll!«
Contreras tauchte hinter einem Manhattan von Akten auf, von denen einige aussahen, als lägen sie dort seit der Zeit von Jack the Ripper.
»Oh, welch seltener Gast! Der Privat-Superman. Es war umsonst, Ihnen die Vorschriften vorzulesen. Diesmal sind Sie Ihre Lizenz los! Und Sie können sich noch glücklich schätzen, wenn Sie nur den Beruf wechseln müssen! Ich habe keine Zeit zu vergeuden, und es wird zu Ihrem Vorteil sein, wenn Sie schnell und gründlich auspacken. Ich will alles wissen! Wer zum Teufel hat Sie für dieses Gemetzel angeheuert? Sie wissen schon, das ist kein Mordfall, sondern ein Gemetzel.«
»Ich bin versucht, die Preisgabe der Namen meiner Klienten zu verweigern. Und wenn Sie mir auf die Zehen treten und mich für verhaftet erklären, habe ich das Recht, einen Anwalt anzurufen.«
»Aber klar doch, einen, zwei, drei – so viele Sie wollen! Und ich auch! Man muß dazu beitragen, daß alle etwas verdienen. Sie berufen sich auf das Berufsgeheimnis, nicht wahr?«
»So könnte man es nennen.«
»Nennen wir es mal so. He, Renduelas, bring mir mal die Berufsgeheimnisse dieses Herrn da!«
Renduelas hatte entweder sein Metier satt oder das ganze Leben, auf jeden Fall schleppte er sich mit tödlicher Langsamkeit zu der Milchglastür, die Contreras’ Büro vom nächsten trennte. Er ließ sie offen, und eine halbe Minute später standen Andrés und der Autodidakt im Türrahmen. Andrés niedergeschlagen, der Autodidakt mit einem halb zynischen Grinsen, das sich unter der Röte seiner Wangen versteckte, einer unverwechselbaren Röte, hervorgerufen von zwei Ohrfeigen, die er durch den Einsatz des enzyklopädischen Lexikons, das er im Kopf trug, provoziert hatte.
»Carvalho, aber …«
»Du hältst dein Maul!«
Contreras’ Gebrüll brachte den Neunmalklugen zum Schweigen.
»Sind das Ihre Berufsgeheimnisse? Dann haben sie bereits aufgehört, welche zu sein. Nimm sie wieder mit!«
Contreras lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blätterte angelegentlich in Akten, die er seit dreißig Jahre keines Blickes gewürdigt hatte. Ab und zu zog er eine Braue hoch, um das Auge freizulegen, das er auf Carvalho gerichtet hielt.
»Und nun? Wollen wir weiter Versteck spielen?«
Die Glastür öffnete sich erneut. Renduelas, schon etwas wacher:
»Sie verlangen einen Anwalt.«
»Beide?«
»Nein, die Brillenschlange. Der Schlaumeier. Dem anderen ist alles egal.«
»Bring sie her! Jetzt werden Sie sehen, Carvalho, wie die demokratische Polizei arbeitet. Renduelas, was haben die beiden bis jetzt zugegeben?«
Renduelas sah Carvalho an.
»Los, spucken Sie’s aus, der Herr da gehört sozusagen zum Stammpersonal.«
»Die Brillenschlange sagt, das Haus gehört ihm, und er hat es an sie vermietet, damit sie sich mit einem Liebhaber treffen konnte. Aber von ihrem Tod will er nichts gewußt haben. Der Stricher bleibt dabei, er hat nicht gewußt, daß seine Tante sich mit einem Liebhaber in dem Haus getroffen hat.«
»Der Name des Liebhabers!«
»Ginés Larios Pérez, Seemann. Er befindet sich zur Zeit auf hoher See, auf welchem Schiff, wußten sie nicht, aber wir haben es schon herausgefunden, La Rosa de Alejandría, ein Frachter.«
»Wo befindet er sich jetzt?«
»Auf dem Atlantik, unterwegs nach Barcelona!«
»Ruft die Marinekommandatur an, schickt ein Telegramm. Dieser Ginés soll in seiner Kabine unter Arrest gestellt werden, unter Aufsicht des Kapitäns. Wann kommen sie hier an?«
»In vier oder fünf Tagen.«
»Bringen Sie mir die beiden!«
Andrés’ Stimmung war schon unter Fußbodenniveau gesunken. Der Autodidakt trug natürliche Sorglosigkeit zur Schau und holte einen Stuhl, um sich zu setzen, als wäre es sein Recht.
»Du setzt dich erst, wenn ich es dir sage! Gut. Mal sehen, ob wir diese Kacke schnell hinter uns bringen können. Den Mörder haben wir, aber nun erklärt mir mal, warum ihr diesen ekelhaften Kerl gedeckt habt, der eine Frau wie ein Stück Vieh ausnimmt!«
»Ich habe höchstens eine Liebesgeschichte gedeckt!«
Carvalho bangte um das Gesicht des Autodidakten, in dem der Zynismus wieder aufgetaucht war.
»Ich übernehme die volle Verantwortung. Mein Freund Andrés wußte nichts davon, daß ich seiner Tante mein Haus zur Verfügung gestellt hatte.«
Andrés nickte zustimmend, aber so, als bestätigte er es sich selbst.
»Dein Freund Andrés ist derjenige, der in einem Massagesalon als Strichjunge arbeitet.«
Andrés’ ganze Empörung sammelte sich in seinen Augen, und er machte einen Schritt auf Contreras zu, aber Renduelas vertrat ihm den Weg.
»Ruhig, Stricher, du bist hier nicht im Kino!«
»Ich bin kein Strichjunge, als Strichjunge arbeitet vielleicht Ihr …«
»Bleib ruhig, Junge, sonst fängst du dir zwei von den Ohrfeigen ein, die hier ständig in der Luft herumflattern. Gut, gut, wir glauben dir. Du arbeitest als Putzmann. Aber du mußt zugeben, es ist kein sehr anständiger Ort.«
»Man hat keine Wahl!«
»Natürlich. Die Arbeitslosigkeit, die industrielle Umstrukturierung, die Wirtschaftskrise. Jeden Tag dieselbe Leier, aber ich sehe es ja ein. Gut. Du verdienst deinen Lebensunterhalt, indem du auf anständige Weise einen Puff sauberhältst. Irgend jemand muß es ja tun. Und deine Tante war tatsächlich eine Dame aus besseren Kreisen aus Albacete, die sich einen Seemann als Geliebten gehalten hat und mit dem sie sich in Barcelona traf. Aber das hat ihr nicht gereicht, nein, sie ging unter dem Pseudonym Carol im Haus deines besten Freundes auch noch der Gelegenheitsprostitution nach. Und von alldem willst du nichts gewußt haben!«
»Ich schwöre Ihnen, daß er nichts gewußt hat. Für mich war es wie ein Spiel, glauben Sie mir. Auch wenn er mein Freund ist, weiß er nicht, was ich den ganzen Tag über treibe.«
»Hören Sie das, Carvalho?«
»Ich bin ganz Ohr!«
»Welche Rolle spielen Sie bei dieser Sache? Der Herr da sagt, daß er nichts von dem Mord wußte, aber Sie wurden engagiert, um den Mörder zu finden!«
Der Autodidakt kam Carvalho zuvor:
»Ich sah mich zu diesem Schritt verpflichtet, als ich von dem Mord erfuhr. Die Familie Abellán hat erst später davon erfahren.«
»Nach fünfzehn bis zwanzig Tagen, als die Überreste identifiziert wurden. Seither sind drei Monate vergangen, also, bei Ihrer Schlauheit, lange genug, um die Verbindung zwischen dem Mord und Ihrem Haus herzustellen, anstatt ein Indiz zu unterschlagen. Renduelas, sagen Sie dem Herrn, was ihn dafür erwartet!«
»Der Strick!«
»Haben Sie die Leiche in meinem Haus gefunden? Nein. Also, welches Indiz habe ich unterschlagen?«
»Du hast gewußt, daß sie sich in Barcelona mit jemandem trifft, was die Tatsache beweist, daß du seinen Namen und beide Familiennamen nennen konntest.«
»Ich habe das nicht mit dem Mord in Verbindung gebracht. Warum hätte er sie umbringen sollen?«
»Wir reden weiter, sobald eure Anwälte da sind, denn wir sind hier verfassungstreuer als der liebe Gott. Ruft eure Anwälte an!«
»Ich habe keinen.«
»Mein Anwalt ist auch deiner.«
»Gut gemacht. Auf diese Weise kann er euch zur gleichen Zeit im Gefängnis besuchen, und ihr kommt billiger weg. Hinaus mit den beiden!«
Contreras pfiff zufrieden vor sich hin und betrachtete Carvalho wie befremdet über dessen Starrsinn.
»Ich habe gerade einen undurchsichtigen Fall aufgeklärt, einen ganz undurchsichtigen. Fehlt nur noch der Nachweis der Komplizenschaft dieser beiden Unglücklichen.«
Carvalho grinste, als er das Wort ›Unglücklicher‹ in Zusammenhang mit dem Autodidakten hörte.
»Wir sind im dunkeln getappt, völlig im dunkeln, und haben auf den zündenden Funken gewartet. Das hab ich zu denen da schon immer gesagt. Stimmt’s?« ›Die da‹ nickten ohne große Lust.