Aus dem argentinischen Spanisch und neu durchgesehen von Helga Castellanos
Die argentinische Originalausgabe erschien 1948 unter dem Titel El túnel, die deutsche Erstausgabe 1958 im Margarete Friedrich Rohrer Verlag in Innsbruck und Wien unter dem Titel Der Maler und das Fenster. Die vorliegende Ausgabe basiert auf einer Neuübersetzung, die 1976 unter dem Titel Maria oder die Geschichte eines Verbrechens im Limes Verlag in München veröffentlicht wurde.
E-Book Ausgabe 2017
© Heirs to Ernesto Sabato
c/o Schavelzon Graham Agencia Literaria
© 2010, 2017 Verlag Klaus Wagenbach, Emserstr. 40/41, 10719 Berlin
Covergestaltung: Julie August unter Verwendung eines Gemäldes von Ben McLaughlin © Private Collection/Wilson Stephens Fine Art, London/Bridgeman Images. Das Karnickel zeichnete Horst Rudolph. Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt
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ISBN 978 3 8031 4219 1
Auch in gedruckter Form erhältlich: ISBN 978 3 8031 2772 3
www.wagenbach.de
»… in jedem Fall gab es nur einen einzigen
dunklen und einsamen Tunnel: den meinen.«
Es wird genügen, wenn ich erwähne, dass ich Juan Pablo Castel bin, der Maler, der María Iribarne umgebracht hat. Ich nehme an, dass der Prozess noch allen in Erinnerung ist und dass zu meiner Person keine näheren Erklärungen erforderlich sind.
Obwohl nicht einmal der Teufel weiß, woran sich die Leute erinnern, geschweige denn, warum. Es ist so, dass ich immer gedacht habe, es gäbe kein kollektives Erinnerungsvermögen, was vielleicht eine Art Verteidigung des Menschengeschlechts ist. Der Satz »Früher war alles besser« weist nicht darauf hin, dass früher weniger Schlechtes geschah, sondern dass – glücklicherweise – die Leute das Schlechte vergessen. Selbstverständlich hat ein solcher Satz keine Allgemeingültigkeit. Ich zum Beispiel zeichne mich dadurch aus, dass ich mich vorzugsweise an alles Schlechte erinnere, und so könnte ich fast sagen, dass »früher alles schlechter war«, wenn es nicht so wäre, dass mir die Gegenwart genauso entsetzlich vorkommt wie die Vergangenheit. Ich erinnere mich an so viel Unheil, an so viele zynische und grausame Gesichter, an so viele schlechte Taten, dass die Erinnerung daran für mich wie das zaghafte Licht ist, das ein dreckiges Museum der Scham beleuchtet. Wie oft habe ich mich Stunde um Stunde in eine dunkle Ecke meines Ateliers verkrochen, wenn ich eine Nachricht in der Spalte der Polizeiberichte gelesen hatte! Aber es ist ja so, dass dort nicht immer die schändlichsten Taten der Menschheit aufgeführt werden. Bis zu einem gewissen Punkt sind Verbrecher eher saubere, eher harmlose Menschen. Diese Behauptung stelle ich nicht auf, weil ich selbst einen Menschen getötet habe. Nein, es ist meine ehrliche und tiefe Überzeugung. Ein Individuum ist schädlich? Dann wird es eben beseitigt, und fertig. Das ist das, was ich eine gute Tat nenne. Denken Sie einmal, wie viel schlechter es für die Gesellschaft ist, wenn dieses Individuum sein Gift weiterhin verspritzt und wenn man, statt es zu beseitigen, seinem Treiben dadurch Einhalt gebieten will, indem man sich in die Anonymität flüchtet, in üble Nachrede und ähnliche Gemeinheiten. Was mich angeht, so muss ich bekennen, dass ich es heute bedauere, die Zeit meiner Freiheit nicht besser genutzt und sechs oder sieben Typen, die ich kenne, nicht beseitigt zu haben.
Dass die Welt schrecklich ist, ist eine Wahrheit, die keines Beweises bedarf. Ein Vorfall würde jedenfalls genügen, um es zu demonstrieren: In einem Konzentrationslager klagte ein ehemaliger Pianist über Hunger, und daraufhin zwang man ihn, eine Ratte zu essen, aber eine lebendige.
Das ist es jedoch nicht, worüber ich jetzt sprechen will. Ich werde später, wenn sich die Gelegenheit ergibt, noch etwas über die Sache mit der Ratte sagen.
Wie ich schon sagte, heiße ich Juan Pablo Castel. Vielleicht fragen Sie sich, was mich dazu veranlasst, die Geschichte meines Verbrechens niederzuschreiben (ich weiß nicht, ob ich schon erwähnt habe, dass ich beabsichtige, mein Verbrechen zu erzählen) und, vor allem, einen Verleger dafür zu finden. Ich kenne die menschliche Seele gut genug, um vorauszusehen, dass alle sofort an Eitelkeit denken werden. Sollen sie denken, was sie wollen. Es geht mich einen Dreck an. Schon seit einer ganzen Zeit kümmern mich Meinung und Gerechtigkeit der Menschen einen Dreck. Nehmen Sie also ruhig an, dass ich diese Geschichte aus Eitelkeit schreibe. Schließlich bin ich aus Fleisch und Blut, aus Haut und Haar wie jeder andere Mensch auch, und es würde mir sehr ungerecht vorkommen, wenn Sie von mir, ausgerechnet von mir, besondere Eigenschaften verlangen würden. Manchmal hält man sich für einen Übermenschen, bis man feststellt, dass man ebenfalls erbärmlich, schmutzig und falsch ist. Von der Eitelkeit sage ich nichts. Ich glaube, dass niemand von dieser bemerkenswerten Antriebskraft des menschlichen Fortschritts ausgenommen ist. Ich kann nur lachen über jene Herren, die mit der Bescheidenheit eines Einstein oder anderer Leute dieser Kategorie daherkommen. Mein Kommentar: Es ist leicht, bescheiden zu sein, wenn man berühmt ist. Ich möchte sagen, bescheiden zu scheinen. Selbst wenn man meint, dass es die Bescheidenheit überhaupt nicht gibt, entdeckt man sie plötzlich in ihrer subtilsten Form: die Eitelkeit der Bescheidenheit. Wie oft stoßen wir doch auf Menschen dieser Art! Selbst ein Mann wie Christus, sei er nun Wirklichkeit oder Symbol, tat Äußerungen, die ihm die Eitelkeit oder doch wenigstens der Hochmut eingegeben hatte. Was soll man erst von Léon Bloy sagen, der sich gegen die Anklage wegen Hochmuts verteidigte, indem er argumentierte, er habe sein Leben lang Leuten gedient, die ihm nicht einmal bis zu den Knien reichten. Eitelkeit findet man an den Orten, wo man sie am wenigsten erwartet, an der Seite der Güte, der Entsagung, der Großmut. Als ich klein war und bei dem Gedanken daran verzweifelte, dass meine Mutter eines Tages sterben müsste (mit den Jahren lernt man, dass der Tod nicht nur erträglich ist, sondern einem sogar neue Kraft spendet), konnte ich mir nicht vorstellen, dass meine Mutter Fehler haben könnte. Jetzt, da sie nicht mehr ist, muss ich sagen, dass sie so gut war, wie es ein menschliches Wesen nur werden kann. Aber ich erinnere mich daran, wie es mir während ihrer letzten Lebensjahre, als ich schon ein erwachsener Mann war, anfänglich wehtat, in dem Besten, was sie tat, ein Körnchen Eitelkeit oder Hochmut zu entdecken. Einen viel deutlicheren Beweis dessen aber erlebte ich an mir selbst, als sie einer Krebsoperation unterzogen wurde. Um noch rechtzeitig zu kommen, musste ich zwei ganze Tage lang reisen, ohne schlafen zu können. Als ich dann an ihr Bett trat, brachte es ihr vom Tod gezeichnetes Antlitz fertig, mir ganz leicht und zärtlich zuzulächeln und Worte des Mitleids zu flüstern. (Sie bedauerte mich wegen meiner Müdigkeit!) Und tief in mir spürte ich so etwas wie eitlen Stolz darüber, dass ich so schnell herbeigeeilt war. Ich gebe dieses Geheimnis preis, damit Sie sehen, dass ich nicht glaube, besser zu sein als alle anderen.
Ich erzähle diese Geschichte jedoch nicht aus Eitelkeit. Vielleicht wäre ich dazu bereit beizustimmen, dass es da so etwas wie Stolz oder Hochmut gibt. Aber warum eigentlich diese Manie, für alles, was man im Leben tut, eine Erklärung finden zu wollen? Als ich diesen Bericht begann, war ich fest entschlossen, keinerlei Erklärungen abzugeben. Ich hatte einfach Lust, die Geschichte meines Verbrechens zu erzählen, und Schluss. Wem sie nicht gefällt, der braucht sie nicht zu lesen. Obwohl ich das wiederum auch nicht glaube, denn gerade die Leute, die ständig hinter Erklärungen her sind, sind die neugierigsten, und ich denke, dass sich keiner von ihnen die Gelegenheit entgehen lassen wird, die Geschichte eines Verbrechens bis zum Ende zu lesen.
Ich könnte die Gründe verschweigen, die mich dazu veranlasst haben, diese Beichte zu schreiben. Aber da ich kein Interesse daran habe, als Exzentriker zu gelten, werde ich die Wahrheit sagen, die auf jeden Fall einfach genug ist. Ich dachte, dass sie von vielen Leuten gelesen werden könnte, jetzt, da ich berühmt bin. Und obwohl ich mir keine großen Illusionen mache über die Menschheit im Allgemeinen und die Leser dieser Seiten im Besonderen, ermutigt mich die schwache Hoffnung, dass mich vielleicht doch ein Mensch versteht. Auch wenn es nur ein Einziger ist.
»Warum«, so könnte sich jemand fragen, »kaum eine schwache Hoffnung, wenn das Manuskript von so vielen Menschen gelesen werden soll?« Dies ist die Art von Fragen, die ich für unnütz halte. Und nichtsdestoweniger muss man sich darauf gefasst machen, denn die Leute stellen ständig unnütze Fragen, Fragen, die schon die oberflächlichste Untersuchung als unnütz entlarven würde. Ich kann bis zur Erschöpfung und brüllend vor einer Versammlung von hunderttausend Russen sprechen. Niemand würde mich verstehen. Sehen Sie, was ich damit sagen will?
Es gab einen Menschen, der mich hätte verstehen können. Aber das war gerade der Mensch, den ich umgebracht habe.
Alle wissen, dass ich María Iribarne Hunter getötet habe. Aber niemand weiß, wie ich sie kennenlernte, welche Beziehung wirklich zwischen uns bestand und wie ich auf den Gedanken kam, sie zu töten. Ich werde versuchen, alles ganz unparteiisch zu erzählen, denn obwohl ich durch ihre Schuld viel gelitten habe, erhebe ich nicht den törichten Anspruch, vollkommen zu sein.
In der Frühjahrsausstellung 1946 stellte ich ein Bild aus, das Mutterschaft hieß. Es war so wie viele andere Bilder vor ihm auch. Wie die Kritiker in ihrer unerträglichen Sprache sagen, war es solide und gut aufgebaut. Es hatte also die Eigenschaften, die jene Schwätzer meinen Leinwänden immer zusprachen, einschließlich »etwas zutiefst Intellektuellem«. Aber oben, links, durch ein Fensterchen hindurch, sah man eine kleine, abgelegene Szene: einen einsamen Strand und eine Frau, die auf das Meer blickte. Es war eine Frau, die auf das Meer blickte, als ob sie etwas erwartete, vielleicht einen leisen und entfernten Ruf. Die Szene atmete meiner Meinung nach eine beklemmende und absolute Einsamkeit aus.
Niemand beachtete diese Szene. Die Blicke schweiften darüber hinweg wie über etwas Sekundäres, wahrscheinlich Dekoratives. Mit Ausnahme eines einzigen Menschen schien niemand zu verstehen, dass diese Szene etwas Wesentliches darstellte. Es war am Tag der Eröffnung. Eine mir unbekannte junge Frau stand lange vor meinem Bild, offenbar ohne der großformatigen Frau im Vordergrund Bedeutung zu schenken, der Frau, die dem spielenden Kind zuschaute. Dagegen war ihr Blick fest auf die Fensterszene gerichtet, und ich hatte dabei die Gewissheit, dass sie völlig in die Betrachtung meines Bildes versunken war. Weder sah sie die Leute, die vorbeigingen oder vor meinem Bild stehenblieben, noch hörte sie sie.
Die ganze Zeit beobachtete ich sie fasziniert. Dann verschwand sie in der Menge, während ich schwankte zwischen einer unüberwindlichen Angst und dem beklemmenden Wunsch, sie zurückzurufen. Angst wovor? Vielleicht so etwas wie die Angst, alles Geld, das man überhaupt hat, auf eine Karte zu setzen. Als sie jedoch verschwunden war, fühlte ich mich irritiert, unglücklich, und dachte, dass ich sie vielleicht nie wiedersehen würde, verloren unter den Millionen anonymer Einwohner von Buenos Aires.
An diesem Abend ging ich nervös, unzufrieden, traurig nach Hause.
Bis die Ausstellung geschlossen wurde, ging ich jeden Tag hin und stellte mich so auf, dass ich die Menschen erkennen konnte, die vor meinem Bild stehenblieben. Aber sie kam nicht wieder.
In den darauffolgenden Monaten dachte ich nur an sie, an die Möglichkeit, sie wiederzusehen. Und ich malte gewissermaßen nur für sie. Es war, als ob die kleine Fensterszene zu wachsen begänne und die ganze Leinwand und mein ganzes Werk überwucherte.
Eines Nachmittags sah ich sie endlich auf der Straße. Sie ging auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig entschlossenen Schrittes wie jemand, der zu einer bestimmten Stunde an einem bestimmten Ort sein muss.
Ich erkannte sie augenblicklich wieder. Ich hätte sie auch inmitten einer großen Menschenmenge wiedererkannt. Mich überkam eine unbeschreibliche Erregung. Ich hatte in diesen Monaten so oft an sie gedacht, hatte mir so vieles ausgemalt, dass ich, als ich sie jetzt sah, nicht wusste, was ich tun sollte.
Tatsache ist, dass ich für den Fall, ihr zu begegnen, meine Haltung bis ins Kleinste überdacht und geplant hatte. Ich glaube erwähnt zu haben, dass ich sehr schüchtern bin. Deshalb hatte ich mir über eine mögliche Begegnung Gedanken gemacht und hin und her überlegt, wie ich diese nutzen könnte. Die größte Schwierigkeit, mit der ich immer bei diesen imaginären Begegnungen zu kämpfen hatte, war, wie ich mit ihr ins Gespräch kommen könnte. Ich kenne viele Männer, für die es kein Problem ist, mit einer Frau ins Gespräch zu kommen. Ich gebe zu, dass ich früher einmal sehr neidisch auf sie war, denn obwohl ich nie ein Schürzenjäger war oder vielleicht gerade deswegen, bedauere ich, in zwei oder drei Fällen kein Gespräch mit einer Frau angeknüpft zu haben, in diesen wenigen Fällen, in denen es einem unmöglich scheint, sich mit dem Gedanken abzufinden, dass sie nie in unser Leben treten wird. Leider war es mir nie beschieden, in das Leben irgendeiner Frau zu treten.
Bei jenen imaginären Begegnungen hatte ich verschiedene Möglichkeiten durchgespielt. Ich kenne meine Veranlagung und weiß, dass mich unvorhergesehene und unverhoffte Situationen vollkommen aus dem Gleichgewicht bringen, und zwar wegen meiner Kopflosigkeit und Schüchternheit. Ich hatte mir also ein paar Varianten zurechtgelegt, die logisch waren oder wenigstens möglich. (Es ist zwar nicht logisch, dass einem ein guter Freund einen beleidigenden anonymen Brief schickt, aber wir alle wissen, dass es möglich ist.)
Die junge Frau pflegte, allem Anschein nach, Kunstgalerien zu besuchen. Falls ich sie nun in einer solchen vorfinden sollte, würde ich mich neben sie stellen, und es wäre nicht allzu schwer, ein Gespräch über eines der ausgestellten Bilder anzuknüpfen.
Nachdem ich diese Möglichkeit bis in alle Einzelheiten untersucht hatte, ließ ich sie wieder fallen. Ich ging nie in Kunstgalerien. Ein solches Verhalten mag bei einem Maler sehr seltsam anmuten, aber es gibt wirklich eine Erklärung dafür, und ich habe die Gewissheit, dass mir jedermann Recht gäbe, wenn ich mich dazu entschließen würde, diese Erklärung abzugeben. Das heißt, vielleicht übertreibe ich, wenn ich sage »jedermann«. Nein, sicher übertreibe ich. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass das, was für mich klar und offensichtlich ist, es fast nie für den Rest meinesgleichen zu sein scheint. Ich bin ein so gebranntes Kind, dass ich mich erst tausendmal bedenke, ehe ich mich zu einer Rechtfertigung aufraffe oder dazu, eine meiner Handlungsweisen zu erklären, und fast immer endet es damit, dass ich mich in mich selbst verkrieche und den Mund nicht aufmache. Gerade dies war auch der Grund dafür, dass ich mich bis zum heutigen Tag nicht habe entschließen können, die Geschichte meines Verbrechens zu erzählen. Ich weiß auch in diesem Augenblick nicht, ob es sich lohnt, diese meine Eigenart bezüglich der Kunstausstellungen genau zu erklären, aber ich fürchte, dass Sie glauben werden, es sei eine reine Manie von mir, wenn ich es nicht tue, obwohl in Wirklichkeit tiefere Gründe dafür vorliegen.
In der Tat, in diesem Fall gibt es mehr als einen Grund. Zuallererst möchte ich sagen, dass ich Gruppen, Sekten, Zünfte und Gremien verabscheue und überhaupt all diese Vereinigungen von Käuzen, die sich aus Berufs- oder Geschmacksgründen oder wegen geteilter Manien versammeln. Diese Ansammlungen tragen eine Menge grotesker Züge: den gleichen Typ Mensch, den Jargon und den Dünkel, über alle anderen erhaben zu sein.
Ich merke, dass sich das Problem kompliziert, aber ich weiß nicht, wie man es vereinfachen könnte. Andererseits kann derjenige, der diese Geschichte ab hier nicht mehr weiterlesen will, dies ja ruhig tun. Ein für alle Mal lasse ich ihn wissen, dass er meine uneingeschränkte Erlaubnis dazu hat.
Sie fragen, was ich mit dem »gleichen Typ Mensch« sagen will? Sie werden schon beobachtet haben, wie unangenehm es ist, mit jemandem zusammen zu sein, der jeden Augenblick ein Auge zukneift oder den Mund verzieht. Können Sie sich all diese Individuen in einem Club versammelt vorstellen? Es ist jedoch nicht nötig, in diese Extreme zu verfallen. Es genügt, große Familien zu beobachten, in denen sich gewisse Gesichtszüge, gewisse Gesten, ein gewisser Tonfall wiederholen. Es ist mir schon passiert, dass ich in eine Frau verliebt war (anonym natürlich) und bei dem Gedanken, die Schwestern kennenzulernen, entsetzt die Flucht ergriff. Mir war nämlich schon einmal etwas Schreckliches geschehen. Ich fand gewisse Züge an einer Frau sehr interessant, als ich aber eine ihrer Schwestern kennenlernte, war ich lange beschämt und deprimiert, denn die gleichen Züge, die mir an jener bewundernswert erschienen, traten bei der Schwester überbetont und verzerrt hervor, fast wie in einer Karikatur. Und diese Art verzerrter Vision der erstgenannten Frau in ihrer Schwester hatte in mir außer jener Empfindung ein Gefühl der Scham zur Folge, als ob ich mitschuldig wäre an dem leicht lächerlichen Licht, das die Schwester auf die Frau warf, die ich so sehr bewundert hatte.
Vielleicht passieren mir solche Dinge, weil ich Maler bin, denn ich habe bemerkt, dass die Leute den Familienähnlichkeiten keine Bedeutung beimessen. Ich muss hinzufügen, dass mir etwas Ähnliches mit jenen Malern geschieht, die einen großen Meister imitieren, wie zum Beispiel diese unglückseligen Armen, die im Stil von Picasso malen.
Dann die Sache mit dem Jargon, ein weiteres Merkmal, das ich so schlecht ertragen kann. Es genügt, irgendeines dieser Beispiele unter die Lupe zu nehmen: die Psychoanalyse, den Kommunismus, den Faschismus, den Journalismus. Ich habe da keine Vorlieben, alle sind mir gleich widerwärtig. Ich nehme das Beispiel, das mir gerade in den Sinn kommt, die Psychoanalyse. Doktor Prato ist sehr begabt, und ich habe ihn immer für einen echten Freund gehalten, was so weit ging, dass ich zutiefst enttäuscht war, als mich alle zu verfolgen begannen und er sich diesem Pack anschloss. Aber lassen wir das. Eines Tages, ich war kaum in seiner Praxis angekommen, sagte Prato zu mir, er müsse weg, und lud mich ein, mit ihm zu kommen.
»Wohin?«, fragte ich ihn.
»Zu einem Cocktail der Gesellschaft«, antwortete er.
»Welcher Gesellschaft?«, fragte ich mit versteckter Ironie, denn ihre Art der Anwendung des bestimmten Artikels, die sie alle an sich haben, kann ich nicht ausstehen: die Gesellschaft für die Psychoanalytische Gesellschaft, die Partei für die Kommunistische Partei, die Siebte für die Siebte Symphonie von Beethoven.
Er sah mich verwundert an, aber ich hielt seinem Blick mit gespielter Naivität stand.
»Die Psychoanalytische Gesellschaft, Mensch«, entgegnete er und sah mich mit diesem durchdringenden Blick an, den die Freudianer als unerlässlich für ihren Beruf erachten, und so als ob er sich fragen würde: »Was für eine Macke entwickelt dieser Kerl denn jetzt schon wieder?«
Ich erinnerte mich daran, etwas über eine Tagung oder einen Kongress gelesen zu haben, unter dem Vorsitz eines gewissen Doktor Bernard oder Bertrand. Überzeugt davon, dass es sich nicht darum handeln konnte, fragte ich Doktor Prato, ob es sich um diese Gesellschaft handle. Er sah mich mit einem verächtlichen Lächeln an.
»Die reinsten Scharlatane«, erläuterte er. »Die einzige international anerkannte Psychoanalytische Gesellschaft ist die unsrige.«
Er ging noch einmal in sein Sprechzimmer, kramte in einer Schublade und zeigte mir schließlich einen auf Englisch geschriebenen Brief. Ich sah ihn höflichkeitshalber an.
»Ich kann kein Englisch«, erklärte ich.
»Es ist ein Brief aus Chicago. Er weist uns als die einzige Psychoanalytische Gesellschaft in Argentinien aus.«
Ich setzte ein Gesicht auf, das Bewunderung und tiefste Ehrfurcht ausdrückte.
Daraufhin verließen wir das Haus und fuhren mit dem Auto zu dem Ort der Veranstaltung. Es gab eine Menge Menschen. Einige kannte ich dem Namen nach, wie Doktor Goldenberg, dessen Name in der letzten Zeit in aller Munde war. Als er versucht hatte, eine Frau zu heilen, hatte man alle beide ins Irrenhaus gesteckt. Er war gerade wieder herausgekommen. Ich schaute ihn mir aufmerksam an, aber er schien mir nicht schlimmer als die anderen zu sein, er kam mir sogar ruhiger vor, vielleicht ein Ergebnis des Eingesperrtseins. Er lobte meine Bilder auf eine Art, die mir klarmachte, dass er sie verabscheute.
Alles dort war so elegant, dass ich mich wegen meines alten Anzugs und wegen meiner Kniebeulen schämte. Und trotzdem rührte der Eindruck des Grotesken, den ich hatte, nicht genau davon her, sondern von etwas, das ich noch nicht klar definieren konnte. Er war am stärksten, als eine sehr feine junge Dame, während sie mir belegte Brote anbot, mit einem Herrn ich weiß nicht was für ein Problem von Analmasochismus besprach. Es ist also wahrscheinlich, dass jener Eindruck von der Potenzialdifferenz zwischen den modernen, vor Sauberkeit glänzenden, funktionalen Möbeln und den so gepflegten, genito-urinale Wörter von sich gebenden Damen und Herren kam.
Ich wollte in irgendeiner Ecke Zuflucht suchen, aber das war unmöglich. Der Raum war vollgestopft mit identischen Leuten, die ununterbrochen das Gleiche redeten. Ich flüchtete dann auf die Straße. Als ich mich wieder unter gewöhnlichen Menschen befand (einem Zeitungsverkäufer, einem Jungen, einem Chauffeur), kam es mir plötzlich phantastisch vor, dass sich in einem Raum eine solche Menschenansammlung befand.