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Michael Fehr
Glanz und Schatten

Michael Fehr

Glanz und Schatten

1. Auflage, 2017

ISBN 978-3-03853-039-8

eISBN 978-3-03853-040-4

© Der gesunde Menschenversand GmbH, Luzern

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Barbara Berger

Gestaltung: Affolter/Savolainen

e-Book: mbassador GmbH, Luzern

Der gesunde Menschenversand wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016-2020 unterstützt.

Der Verlag bedankt sich für die Unterstützung bei:

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www.menschenversand.ch

Michael Fehr

GLANZ
UND
SCHATTEN

Erzählungen

INHALT

Die Königin im Wald

Ein Rebhuhn auseinandernehmen

Im Kerzenschein

Nichts und Niemand

Der Andere ich und der alte Mann

Der Teufel und das Grauen

Die Studentin

Babel

Im Schwarm

Und ringsherum es ist nicht schwer

Glanz und Schatten

Vice

Der Eroberer und Emperor

Da wird es dem Hirt erst drum

Geschichte ist Geschichte

Wie glücklich ich bin

Welch Einfall

Mais

DIE KÖNIGIN IM WALD

Ein alter Mann hat im Wald Beeren und Nüsse gesammelt

er trägt sie in einem Korb durch den Wald nach Hause

Als er an der Lichtung ankommt

auf der sein Haus steht

sieht er vor der Tür eine Schlange im Gras liegen

«Was machst du vor meiner Tür

Schlange»

fragt er sie

die Schlange antwortet

«Ich bin die Königin im Wald und warte auf dich

Alter

wenn du ins Haus gehen willst

werde ich dich zu Tode beissen und anschliessend fressen

wenn du fliehen willst

dann werde ich dich auch zu Tode beissen und anschliessend fressen

wenn du bleiben willst

wo du stehst

dann werde ich warten

bis du verhungert bist

du wirst von selber sterben und anschliessend werde ich dich fressen»

der Mann hat unterdessen erkannt

dass die Schlange zu einer Art gehört

die in der ganzen Gegend für ihren tödlichen und besonders schmerzhaften Biss bekannt ist

«Ich fürchte deinen giftigen Biss

Schlange

deshalb setze ich mich am liebsten

wo ich bin

auf den Boden und warte

bis ich verhungert bin

aber schau

ich habe noch diese Beeren und Nüsse in meinem Korb

was soll ich damit tun»

«Iss sie ruhig»

versetzt die Schlange

«vielleicht wirst du schön fett davon»

«Das glaube ich nicht

ich habe nie anders ausgesehen als jetzt

im Alter werde ich kaum noch fett werden

aber essen werde ich die Beeren und Nüsse trotzdem gern»

der alte Mann nimmt eine Hand voll aus dem Korb und schiebt einzelne davon mit Daumen und Zeigefinger in den Mund

kauend richtet er sich an die Schlange

«Wenn dies schon meine letzte Mahlzeit sein soll

dann möchte ich mich wenigstens noch ein bisschen unterhalten

sag mir

Schlange

wie kommst du dazu

mich fressen zu wollen

du hast gesehen

ich bin alt und mager und bestimmt kein Leckerbissen»

die Schlange reckt ihren Kopf hoch

«Siehst du nicht

wie gross ich bin

um einen solchen Körper zu erhalten

muss ich nehmen

was ich kriegen kann

wenn ich im Wald einem Tier begegne

fresse ich dieses

wenn ich auf einer Lichtung an einem Haus vorbeikomme

fresse ich eben dessen Bewohner

das ist doch ganz einfach»

«Ach

ich verstehe»

sagt der alte Mann

«so hältst du es

ja

jetzt sehe ich es

du bist gross

riesig sogar

und dazu bist du auch noch schön

deine Schuppen glänzen wie edelstes Metall

nur nicht so hart

im Gegenteil

sie glänzen geschmeidig

mir kommt es vor

als wäre jede ein einzelner Tautropfen

der das Morgenlicht in grünen und braunen Farben spiegelt»

die Schlange windet und dreht sich

sie streckt ihre Zunge heraus

«Ja

du hast es bemerkt

ich bin nicht nur gross

ich bin auch schön

hast du dir auch meine Augen angeschaut

sie sind gelb wie das Innerste eines Vogeleis und dazwischen

ein schmaler

tiefer Abgrund

so dunkel ist das Schwarze meiner Augen»

der alte Mann reisst die Augen auf

«Nein

das ist mir noch nicht aufgefallen

aber du hast recht

deine Augen sind wunderschön

und auch deine Zunge ist schön

fein und spitz und genau in der Mitte gespalten»

«Ich weiss

auch meine Zunge ist schön»

sagt die Schlange

«Als ich jüngst zum ersten Mal in den See im Wald tauchen wollte

um mir einen Fisch zu fangen

habe ich mein Spiegelbild gesehen und darin meine Schönheit erkannt

ich bin bis zur Mitte des Sees geschwommen und habe mich dort auf einem Seerosenblatt so lange gewunden

bis mein Schwanz fein darauf zusammengerollt war und mein Kopf wie eine Blüte herausstach

ich habe in den Wald gerufen

‹Seht mich an

ich bin die Königin im Wald›

da zwitscherte frech ein Vogel von einem hohen Baum

‹Wie führst du dich denn auf

Grösse und Schönheit machen noch lange keine Königin aus

beweise zuerst

dass du auch stark bist›

ich schwamm vom Seerosenblatt zurück ans Ufer und biss in einen umgestürzten Baum

zwei tiefe Löcher hinterliessen meine Zähne im Holz

der Vogel segelte aus seiner Krone herab auf den niedrigsten Ast

um sich zu vergewissern

wie tief die Löcher waren

und er bewunderte

wie scharf und glatt die Zähne in das Holz eingedrungen waren

er hatte meine Stärke erkannt und war bereit zu glauben

dass ich die Königin im Wald bin

da gesellte sich ein zweiter Vogel von derselben kleinen

vorwitzigen Sorte neben den ersten auf den Ast und schrie

‹Wer weiss

vielleicht hast du dieses eine Mal nur Glück gehabt und der Baum ist morsch›

da liess ich mich in das klare Wasser zurückgleiten und biss in einen grossen Stein

sofort färbte sich der Stein blutrot

purpur lief das Blut am Stein herunter

zerrann zwischen den Steinen und verteilte sich im Wasser

das liess die Vögel verstummen

zu Tode verblüfft stürzten sie vom Baum und platschten in den See

sie wurden zu meiner ersten Mahlzeit als Königin im Wald

nun kannst du dir auch meine Kraft vorstellen

dir vorstellen

wie fest ich zubeissen kann»

«Das ist eine grossartige Geschichte

die du da erzählst»

unterbricht der alte Mann die Schlange

«zu meiner Mahlzeit will ich mir aber aus dem Haus noch etwas Brot und Käse holen

ohne Brot und Käse schmeckt sie mir nur halb so gut»

die Schlange zischt

«Halt

was willst du tun

hast du schon vergessen

wenn du ins Haus gehst

werde ich dich zu Tode beissen

du fürchtest dich doch vor meinem Biss»

«Nein

ich habe nicht vergessen

dass du mir damit gedroht hast

aber ich glaube nicht mehr daran»

«Warum glaubst du es nicht mehr

ich rate dir nicht

es zu versuchen»

«Doch

ich will es versuchen

ich bin ein alter Mann und ich habe in meinem Leben schon vieles gehört

wenn ich in meinem Alter etwas noch nie gehört habe

dann kann ich mich nicht erwehren

ein bisschen daran zu zweifeln

davon

dass eine Schlange in einen Stein gebissen hat

habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört

es erscheint mir auch gar töricht

denn eine Schlange würde sich an einem Stein doch die Zähne ausbeissen»

 

EIN REBHUHN AUSEINANDERNEHMEN

«Also

man nimmt das Rebhuhn und klemmt es zwischen den Beinen ein

richtig fest klemmt man es ein

du könntest es natürlich auch in den Schraubstock klemmen

dann könnte es keinen Wank mehr tun»

«Aber wir legen Wert auf Tradition»

«Genau

richtig

brav

machst mir Freude»

«Mache ich»

«Also

man nimmt es zwischen die Beine

und dann zieht man ihm den Hals lang

und dann sperrt man ihm den Schnabel auf und sieht hinein

und da unten aus der Tiefe muss heiter die Sonne herausscheinen

siehst du

wie sie scheint»

«Ja

schön

golden

wie sie da herausscheint

ganz schön»

«Ja

nicht nur schön

sondern gesund

und wenn es gesund ist

dann kann man es nehmen

dann kann man es auseinandernehmen

dann kann man es essen

aber zuerst nimmt man den Stichel

und dann sticht man ihm von beiden Seiten die Augen aus

mit ein wenig Übung kommen sie ganz ring heraus

siehst du

da haben wir sie

zwei wunderschöne Augäpfel

die tust du separat in ein Schüsselein»

«In so eines»

«Ja

genau so eines

da tust du sie hinein

und das gibt nachher ein wunderbares Dessertlein

Augencreme

mit genug aufgeschäumtem Eiweiss und viel Zucker

aber beim Dessert sind wir noch nicht

zuerst reisst man ihm alle Federn aus

man rupft es wie alles

was man rupfen kann

es geht ganz ring

man kann die Federn büschelweise nehmen

so

und dann reisst man sie einfach weg

und dann setzt man das Häutmesser an

hier

gerade hinter dem Schnabel

und zieht schön fein durch bis zum Bürzel

und alle zwei Finger breit setzt man wieder an und zieht durch

bis man rundherum ist

man kann die Hautstreifen ganz leicht ablösen

diese kann man nachher an den Salat tun

ganz etwas Feines

da ist jeder Speck und jeder Schinken gar nichts dagegen

so ein Geschmäcklein hat diese Hühnerhaut

und dann nimmt man das Schöpfmesser

sieh jetzt

wie das schön rosig ist

das Fleisch

man nimmt das Schöpfmesser und trennt hier die Lymphe heraus

die Lymphe ist das Herz vom Rebhuhn

man muss vorsichtig sein beim Aufschneiden

wieder mit dem Häutmesser schneidet man vorsichtig auf und legt diesen Rebberg frei

siehst du jetzt die schönen Reben

im Abendlicht