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Senhorita Elsa
Die Schule der Liebe

Senhorita Elsa
Die Schule der Liebe

Mário de Andrade

Aus dem amerikanischen Englisch von
Johanna von Koppenfels

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Erste Auflage 2017

Brasilianische Originalausgabe:

Deutsche Ausgabe:

INHALT

TEIL EINS

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

TEIL ZWEI

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

TEIL DREI

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

TEIL EINS

1

Sie öffneten die Zimmertür und gingen hinaus in die Diele. Während er seine Handschuhe anzog, bemerkte Sousa Costa:

„Wie kalt es ist.“

Und sie, wie immer höflich, erwiderte schlicht:

„Das Ende des Winters ist immer gefährlich.“

Doch dann, als sei ihr plötzlich etwas eingefallen, hielt sie die Hand fest, die er ihr entgegengestreckt hatte.

„Und Senhor – ihre Frau? Weiß sie Bescheid?“, fragte Elsa.

„Nein. Senhorita, Sie müssen das verstehen … Sie ist doch Mutter. Und unsere brasilianische Erziehung … Und dann noch mit drei Kindern im Haus.“

„Ich flehe Sie an, es Ihrer Frau zu sagen, Senhor. Ich verstehe gar nicht, warum so ein Geheimnis darum gemacht wird. Wenn es doch das Beste für den Jungen ist …“

„Aber Senhorita.“

„Es tut mir leid, aber ich muss darauf bestehen. Es ist wirklich wichtig, dass sie es weiß. Ich lege keinen Wert darauf, für eine Abenteurerin gehalten zu werden … Ich meine es ernst. Ich bin 35 Jahre alt, Senhor. Ich werde ganz bestimmt nicht kommen, wenn Ihre Frau nicht eingeweiht ist, was meine Aufgabe bei Ihnen sein wird. Das ist mein Beruf. Sicher hat eine Schwäche mich dazu verführt, ihn zu ergreifen. Dennoch ist es ein Beruf. Nicht mehr und nicht weniger.“

Sie sprach ganz natürlich, sogar mit einem gewissen Stolz, den Sousa Costa bemerkte, ohne ihn zu verstehen. Einen Augenblick lang betrachtete er sie bewundernd. Er war erstaunt über diese Frau, die so ganz anders war als alle, die er damals kennengelernt hatte.

„Sie werden es ihr sagen, Senhor Sousa Costa?“, fragte sie noch einmal.

„Ja“, versprach er. Doch im gleichen Augenblick schwor er sich, seiner Frau kein Wort davon zu erzählen.

Elsa betrachtete ihn, als er die Eingangstür der Pension öffnete, dann ging sie zurück in ihr kleines Zimmer, dessen stille Unberührtheit ihr jetzt noch mehr bedeutete als je zuvor. Da war das Klavier. Das Bild von Wagner. Ein Porträt Bismarcks. Wie im Traum glitten ihre Finger zu einem Band von Goethe, dessen abgenutzte Seiten sie fast leidenschaftlich durchblätterte, ohne die Kommentare, die sie auf die Ränder geschrieben hatte, wirklich wahrzunehmen. Leise seufzend schlug sie das schlanke Bändchen wieder zu. Jetzt war keine Zeit zum Lesen … sie musste packen, all ihre Sachen zusammensuchen. Übermorgen begann ein neuer Lebensabschnitt für sie, eine weitere Erfahrung, die ihr einmal mehr das Herz brechen würde. Sie kam ins Grübeln. Aber nein, das durfte sie nicht. Packen. Ihre Sachen zusammenlegen … weiße Unterwäsche … das blaue Kleid, das sie für besondere Gelegenheiten aufhob. Die Bilder mussten eingepackt werden. Auch ihre gut gehüteten Träume mussten mit den übrigen Sachen gut verstaut werden. „Übermorgen“, wiederholte sie, und plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen.

2

Zwei Tage später hielt ein Taxi vor dem riesigen schmiedeeisernen Tor der Villa Laura. Flink stellte der Fahrer zwei Koffer, drei abgenutzte Reisetaschen und zahllose in Papier eingewickelte Bündel auf den Boden, während die einzige Passagierin des Fahrzeugs einfach dastand, zuschaute und dabei den Gürtel ihres schlichten grauen Mantels zurechtzog.

Im Haus blieb ihre Ankunft nicht unbemerkt. Durch die geschlossenen Jalousien eines der oberen Fenster linsten voller kindlicher Begeisterung die Augen eines zwölfjährigen Mädchens.

„Mutter, das Kindermädchen ist da! Das Kindermädchen ist da!“, rief die kindliche Stimme.

„Ich weiß, Kind. Schrei doch nicht so herum“, hörte Elsa jemanden sagen. Der Rest des Gespräches entging ihr, da der Taxifahrer die übliche Diskussion über den Fahrpreis anfing.

„Sie haben so viel Gepäck, Senhora“, argumentierte er.

„Das ist aber zu viel. Hier sind fünf Milreis“, erklärte sie ihm. Doch nachdem sie einige Schritte Richtung Haus gegangen war, drehte sie sich plötzlich noch einmal um, griff in ihre Handtasche und reichte ihm eine weitere Münze. „Ihr Trinkgeld. Das hatte ich ganz vergessen“, sagte sie. Dann schritt sie durch das geöffnete Tor in den Garten und betrat das mit Statuen gefüllte Foyer des Hauses. Am Eingang empfing sie ein japanischer Diener mit der undurchdringlichen Art, die so typisch für sein Volk war.

Ihr neues Zuhause. An der Tür ihres Zimmers blieb Elsa einen Augenblick stehen, um die Annehmlichkeiten des Raumes auf sich wirken zu lassen. Er war so anders als das Pensionszimmer. Hier war es hell und geräumig. Und als sie an eines der weit geöffneten Fenster trat, durchflutete sie ein Gefühl der Heiterkeit, das durch die Schönheit des unten liegenden Gartens ausgelöst wurde. Sie bestaunte seine Farben, den leuchtenden Hibiskus, das Lila der Bougainvilleen, die an beiden Seiten des Gartens über die hohen Mauern rankten und mit ihrer Schönheit in der Sonne prunkten. Mit ihnen wetteiferten hübsche Rosenstöcke, über und über beladen mit großen, schimmernden Blüten, die auf Beeten inmitten des grünen Rasens gepflanzt waren. Schwarz-weiß gepflasterte, mit Rabatten aus Maiglöckchen und Vergissmeinnicht gesäumte Wege durchkreuzten die Grünflächen. Auf einer Seite des Gartens stand eine weinumrankte Pergola. Und wie um die Schönheit des Gartens perfekt zu machen, wuchsen große, zarte Farne schützend hinter einer unschuldigen Steinbank, und eine weiße, unglaublich weiße Diana-Statue erhob sich vor den glänzenden Blättern eines Orangenbaumes. Etwas weiter, in einer Ecke, stand eine schlanke Palme wie ein Wächter am schmiedeeisernen Tor, während ihr gegenüber ein goldener Mimosenbaum die Luft mit einem süßlichen Duft erfüllte, der Elsa nicht unbekannt war.

Ihr Blick schweifte zur weitläufigen Avenida Hygienopolis, auf der die Bäume in ihrem Wachstum so diszipliniert worden waren, dass sie ihre Äste in militärischer Präzision nach oben reckten. Alles war ordentlich und hatte seinen Platz. Und es schien ihr, als würden sich sogar die Straßenbahnwagen mit einer gewissen Vornehmheit ruhig, ja fast ehrfürchtig, fortbewegen, als wollten sie den Automobilen nacheifern. Sie ließen nicht einmal ihre Glocken ertönen. Doch was bedeutete das alles, dachte sie, wenn der Neureiche ganz nach der Mode gekleidet zum Tee ging und die Hände hinter dem Rücken verschränkte, um seine dicken Finger und die Grobheit seiner Nägel zu verbergen! Die Glocken und die rauen Hände gab es immer noch – doch Glocken können aufhören zu läuten, und Hände kann man mit Handschuhen bedecken.

Fast mit Bedauern wandte sich Elsa wieder ihrem Zimmer zu. Tanaka, der Diener, von dem sie unten begrüßt worden war, hatte bereits ihre Koffer und Bündel mitten auf dem Teppich abgestellt und war kurzerhand verschwunden. Die Bündel und Schachteln hatten die ganze Szenerie in Unordnung gebracht. Ärgerlich ging sie durchs Zimmer, um die Tür zum Flur zu schließen. Doch im selben Moment erblickte sie ein paar winzige Beine, die hinter einer Ecke des Flurs verschwanden. Kleine Spione, dachte sie und lachte in sich hinein.

Sie musste sich jetzt zum Essen zurechtmachen, dachte Elsa. Bei ihrer kurzen Begegnung mit Senhora Sousa Costa unten in der Eingangshalle hatte die Senhora ihr mitgeteilt, dass Tanaka sie rufen würde. Am Frisiertisch strich sie sich das Haar glatt, ordnete den Kragen ihrer Bluse und die Falten ihres Wollrockes. Ihre Kleidung wies keinerlei Verzierungen oder Rüschen auf, nichts, was im Entferntesten hätte kokett wirken können … überhaupt nichts. Sie fand, dass am Anfang alles ganz einfach sein musste. Einfach und nicht erotisch. Sie wollte nicht zu attraktiv wirken, denn die Liebe, davon war sie überzeugt, erwächst aus inneren Werten. Zuerst sollte eine geistige Verehrung entstehen, damit sich daraus im Laufe der Zeit das Begehren entwickeln konnte. Nach und nach würden sich dann die geistige und die körperliche Liebe harmonisch verbinden. Die körperliche Liebe wäre letztlich nur die Vollendung der geistigen Verbindung.

Als sie fertig war, blieb Elsa wartend sitzen. Das Kinn auf eine Hand gestützt, dachte sie über dieses neue Abenteuer nach. Sie würde weitere acht Contos verdienen, und wenn sich die Zustände in Deutschland verbesserten, könnte sie nach ein oder zwei weiteren Diensten dorthin zurückkehren und Brasilien und São Paulo für immer hinter sich lassen. Diese Rückkehr in die Heimat würde ihr das lang ersehnte kleine Haus bringen … Sicherheit … und Karl. Er würde Karl heißen – da war sie sich sicher –, und sie würde ihn heiraten. Vor ihrem inneren Auge erschien langsam diese ideale Figur, die sich in jahrelangen Träumen herausgebildet hatte. Groß, schlank und leicht gebeugt vom vielen Studieren und wissenschaftlichen Arbeiten. Seine Gesichtszüge waren hell, fast durchscheinend. Er trug eine randlose Brille, und sie würde ihm bei seiner Arbeit helfen.

Plötzlich verwandelten sich ihre Träumereien in Ungeduld. Sie dachte über praktische Dinge nach. Was war eigentlich mit dem Mittagessen? Warum kam der Diener nicht? Senhora Sousa Costa hatte ihr doch gesagt, dass das Essen gleich serviert werden würde. Und jetzt hatte sie schon mehr als eine Viertelstunde gewartet. Wie sie Unpünktlichkeit hasste! Sie schaute auf ihre Armbanduhr – die ging nach, wie immer. Sie musste die Uhr wieder stellen, wenn sie hinunterging. Es war sinnlos, sie noch einmal reparieren zu lassen. Vielleicht würde sie sich eines Tages eine neue kaufen.

Obwohl Elsas Zimmer am Ende des Flures lag, der vom oberen Wohnzimmer herüberführte, konnte sie die Stimmen der Kinder dort hören, laut und scheinbar unermüdlich in ihrem Geplapper. Plötzlich jedoch bemerkte sie eine absolute Stille und wenige Augenblicke später das Geräusch kleiner Schritte vor ihrer Tür. Genauso plötzlich war das Getrappel jedoch wieder verschwunden und verlor sich in der Sicherheit des Wohnzimmers.

Diesmal lächelte sie nicht. Diese Kinder hier sind neugierig, dachte sie. Doch ihre Gedanken wurden unterbrochen, als die durchdringende Stimme von vorher wieder an ihr Ohr drang.

„Mutter! Mutter! Sag Carlos, er soll mich in Ruhe lassen“, hörte sie.

Elsa erhob sich und ging zum Wohnzimmer. Doch als sie gerade den Flur entlangkam, erblickte sie einen dunkelhaarigen Jungen, der ein etwa zwölfjähriges Mädchen um die Taille gepackt hielt. Er war bereit zu spielen. Senhor Sousa Costa hatte Elsa gesagt, dass Carlos noch jung war – noch nicht ganz 16 hatte er gesagt –, aber jetzt sah er älter aus, wie er seine Schwester Maria Luisa mit starken Armen festhielt, sie zurückdrückte, so dass ihr Kopf fast den Boden berührte, ihre Schultern durchschüttelte und ihren Körper verdrehte. Obwohl ihr Bruder sie immer wieder seine überlegene Kraft spüren ließ, sie vor und zurück, auf und nieder schleuderte, war Maria Luisa durchaus gewillt, sich zu wehren.

„Du bist also stärker als ich, ja?“, rief er.

„Mutter! Carlos – hör auf!“

Unter einem Hagel nutzloser Schläge rief sie erneut nach dem Schutz ihrer Mutter. „Sag Carlos, er soll mich loslassen“, flehte sie.

Carlos lachte. Seine Schwester konnte ihn boxen, soviel sie wollte. Selbst in den Magen. Es würde ihm nichts ausmachen. Er war fünfzehn und hatte sowieso schon mit dem Boxen angefangen.

Zum Glück für Maria Luisa rief Senhora Sousa Costa von unten: „Was soll das denn, Kinder! Carlos! Kommt runter.“

„Ich mache gar nichts, Mutter. Kann ich nicht mal ein bisschen mit Maria Luisa tanzen?“

„Tanzen!“, schrie Maria Luisa. „Du schüttelst mich einfach nur durch.“

„Hab ich dir weh getan?“, fragte Carlos. Das wollte er nicht. Nie.

„Oh nein – überhaupt nicht. Lass mich einfach in Ruhe.“

Zu Maria Luisas Überraschung ging ihr Wunsch sofort in Erfüllung. Gerade als Elsa das Zimmer betrat, ließ er sie so plötzlich fallen, dass sie fast das Gleichgewicht verlor. Carlos, dessen dunkle, melancholische Augen vor Überraschung weit geöffnet waren, nahm seine jüngste Schwester auf den Arm, um seine Verwirrung zu verbergen. Als diese aber vor Schreck anfing zu schreien, ließ er sie schnell wieder herunter. Elsa konnte dem Wunsch zu lachen nicht widerstehen. Carlos sah aus, als wäre er unerwartet auf ein quietschendes Gummispielzeug getreten.

Während er seinen Ärmel abklopfte, ging er auf Elsa zu, eine Hand ausgestreckt, den Blick offen und forschend.

„Guten Morgen. Sie sind das Kindermädchen, nicht wahr?“ Seine Stimme war klar und entschlossen.

Elsa verbarg ihren Ärger über seine prompte Ansprache hinter einem Lächeln: „Ja, das bin ich.“

Bevor Carlos weitersprechen konnte, hatte sich Aldinha, die Jüngste, seine momentane Unaufmerksamkeit zunutze gemacht, sich vorgebeugt und ihre winzigen Zähne in seine Hand versenkt.

Sofort war Carlos alarmiert und wieder ganz der Junge. „Mutter! Aldinha hat mich gebissen. Meine Hand blutet.“

„Mutter, er hat mir weh getan“, schrie Aldinha.

Von unten schallte plötzlich die tiefe Stimme von Sousa Costa herauf, und ihr gebieterischer Klang brachte die Kinder sofort zum Schweigen.

Mit aufgesetzter Zärtlichkeit versuchte Elsa Aldinha zu trösten. Aber das Kind wich zurück, stand vor ihr und starrte sie an, den Daumen im Mund.

Elsa betrachtete das kleine Mädchen und fragte sich, warum sie nicht in der Lage war, liebevoll zu sein. All die kleinen, scheinbar unbedeutenden Zärtlichkeiten, die Kinder erwarteten und auf die sie reagierten, fielen ihr nicht leicht. Sie wünschte sich oft, dass es anders wäre … einen Schmerz mit einer Berührung verscheuchen zu können, eine Wunde mit einem Wort zu heilen … wie wunderbar. Doch wann immer sie es versuchte, hielt irgendetwas sie zurück. Bewegungslos, die Hände verkrampft an der Seite stand sie dann da, wenn sie doch eigentlich trösten wollte. Sie glaubte, dass es an ihrer inneren Reserviertheit lag; an ihren geheimen Sehnsüchten, Träumen und Zukunftsplänen, die die Gegenwart überschatteten. Sie konnte nicht anders, als diese Lateinamerikaner zu bewundern, für die Offenheit ihrer Gefühle.

Carlos lachte, als er nach unten ging, erklärte seinen Eltern eilig, was passiert war, und übertrieb die Wunde an seiner Hand, um die Beschämung zu verbergen, dass Elsa ihn auf diese unmännliche Art angetroffen hatte. Elsa betrachtete ihn, wie er vor ihr die Treppe hinunterging, aufrecht und anmutig. Man konnte seinem Körper die sportliche Ertüchtigung im Freien ansehen. Seine Bewegungen waren schnell und selbstsicher. Wahrscheinlich Fußball, dachte sie. Sie konnte sehen, dass er stark war.

Das Mittagessen bei den Sousa Costas war, wie in allen brasilianischen Familien, eine ausgedehnte Mahlzeit mit vielen Gängen. Zuerst gab es kalte, gekochte Krabben mit goldenem Mayonnaise-Häubchen. Alsdann dampfende Canja, eine Suppe mit großen Hühnerstücken und unendlich zarten Reisflocken, die in einer klaren Brühe schwammen, gefolgt von Fisch à la bahiana, der fast in einer dicken Tomatensauce versank. Nun folgte der obligatorische Gang aus schwarzen Bohnen, Reis und Farofa, einem Gemüse aus den Wurzeln der Maniok. Obwohl Elsa fand, dass dieses Gemüse in zubereiteter Form Sägespänen ähnelte, musste sie zugeben, dass sich sein Geschmack durch die braune Bratensauce stark verbesserte. Danach gab es Rinderfilet mit gebräunten Kartoffeln, Brokkoli und einem knackigen Blattsalat. Und schließlich brachte Tanaka noch eine riesige Platte mit ganzen, geschälten Orangen, Mandarinen, köstlichen Ananasscheiben und bernsteinfarbenen Papayastücken.

Während sie mit einem Orangenschnitz spielte, betrachtete Elsa verstohlen die verschiedenen Familienmitglieder, die offensichtlich ganz von ihrem Essen in Anspruch genommen waren. Am Ende des Tisches saß Sousa Costas Frau Dona Laura, die schnell und fieberhaft gegessen hatte und der jetzt kleine Schweißperlen auf der Stirn standen. Kein Laut kam über ihre Lippen, bis auf die Geräusche des Genießens. Aber ging es wirklich um Genuss?, fragte sich Elsa. Oder darum, den Hunger zu stillen? Sousa Costa aß ebenfalls schweigend, und den Kindern war es erlaubt, von den verschiedenen Gerichten zu essen, was sie wollten, ohne dass die Eltern ihnen Vorschriften gemacht hätten. Nur Carlos nahm wenig Notiz von den Speisen, und bisweilen bemerkte Elsa, wie er sie heimlich beobachtete, als versuchte er, einen Funken Anerkennung zu erhaschen, um die Peinlichkeit von vorhin etwas abzumildern.

Elsa fragte sich, ob es in diesem Haushalt irgendwelche gemeinsamen Interessen gab, die über das Zelebrieren von Mahlzeiten hinausgingen. Die ältere Generation lateinamerikanischer Frauen war so passiv, so gleichgültig gegenüber allem, was außerhalb der engen Begrenzungen ihres eigenen Lebens vor sich ging. Drei Mahlzeiten am Tag und am Nachmittag Tee. Eheleben und Kinder trübten ihre Sinne, glaubte sie, und eheliche Beziehungen hatten nichts mehr gemein mit den schönen Ritualen der Flitterwochen. Sie waren kaum mehr als Momente der Routine zu Fortpflanzungszwecken, so wie beim Vieh auf dem Bauernhof. Elsa schüttelte sich innerlich.

Dona Laura betrachtete ihren leeren Teller mit sanfter Zufriedenheit, seufzte, schaute zu Sousa Costa, schob ihren Stuhl mit ihrem Körpergewicht zurück und forderte die Kinder auf, sich zu beeilen. Dann wandte sie sich wieder ihrem Mann zu.

„Wollen wir für unseren Kaffee ins Wohnzimmer gehen?“

Ihre Frage, obgleich sie unbeantwortet blieb, durchbrach die Monotonie der Mahlzeit. Nur zweimal war Elsa angesprochen worden, beide Male von Carlos, der sie nach irgendwelchen Nichtigkeiten fragte – nach Fußballspielen, von denen sie nichts wusste, und nach Kinofilmen. Immer noch etwas ärgerlich über den schlechten Eindruck, den er seiner Meinung nach gemacht hatte, versuchte er nun alles, um in den Augen des neuen Kindermädchens „erwachsen“ zu wirken.

3

Schon als der Abend dämmerte, war das Leben im Hause der Sousa Costas neu geordnet und ging zugleich wieder seinen Gang. Das gewohnte Alte ging nahtlos in das gewohnte Neue über. Schwer zu sagen, ob das gut oder schlecht war – jedenfalls war das alles Elsa zu verdanken. Ohne sie hätte Dona Laura viele Tage gebraucht, um sich an die neue Situation zu gewöhnen, und Sousa Costa hätte sich lange über die unangenehme Situation geärgert, einen Eindringling im Haus zu haben, der ihn seiner Familienscherze beraubte. Scheinbar war es Elsa aber gelungen, sich ihre kleine Nische zu schaffen, ohne die Struktur des ganzen Gefüges auch nur im Geringsten zu erschüttern. Vom ersten Augenblick an hatten alle in der Familie das Gefühl, sie schon seit Ewigkeiten zu kennen, als sei sie ein Teil ihrer Vergangenheit. Denn nichts scheint einem natürlicher als kalkulierte Ungezwungenheit. Und diese praktische Kunst der Anpassung ist vor allem ein Charakterzug der Deutschen im Ausland.

Elsa hatte wenig geredet, denn sie wollte niemandem aus dieser Familie ein Gespräch aufzwingen, der nicht daran interessiert war. Die Neugierde der drei kleinen Mädchen, der zwölfjährigen Maria Luisa, der siebenjährigen Laurita und der fünfjährigen Aldinha, wurde alsbald sanft im Keim erstickt. Und schon nach kurzer Zeit betrachteten sie Elsa mit genauso wenig Interesse, wie sie für Tanaka übrig hatten, der geschäftig durch die Zimmer lief.

Elsa hatte ihre Kleider, Hüte und Schuhe in den Schrank gelegt. Sie hatte die Zeiten der Unterrichtsstunden für Maria Luisa und Carlos festgelegt. Und als sie mit den Kindern im Garten war, hatte sie jedes der Kinder mehrmals das Wort „Fräulein“ sagen lassen, denn so wollte sie von ihnen angeredet werden. Fräulein – ein Mädchen, eine Jungfrau. Und doch war Elsa weder das eine noch das andere. Eher die Erzieherin, die Lehrerin, ein neues Element im Haus, an das sie sich schon gewöhnt hatten. Sie organisierte die Spaziergänge, die zu kurz waren, und die Unterrichtsstunden, die immer zu lang erschienen. Alles war systematisch. Deutsch. Und doch schien es den Kindern, als ob es nie anders gewesen wäre.

Ohne Zweifel ist diese Fähigkeit, den Anschein zu erwecken, das Leben würde genauso weitergehen wie immer, obwohl es sich eigentlich ganz fundamental geändert hatte, eine der grundlegenden Eigenschaften der Deutschen. Für sie gibt es nichts Unerwartetes. Die Überraschung besteht für sie lediglich in der Tatsache, dass die Dinge einfach weitergehen – nicht aus Respekt vor der Natur oder der Wissenschaft, sondern vor dem Leben. Die Deutschen beschließen: „Wir reisen heute.“ Während die Lateinamerikaner sagen würden: „Wie reisen heute!“ Ein Punkt und ein Ausrufezeichen. Und doch muss man manchmal die Stimme erheben, damit die Wirklichkeit nicht langweilig wird.

Fräulein brauchte das Ausrufezeichen. Der Punkt ist rund und komplett, wie sein Profil, das seinen Umfang schon in sich selbst verpackt hat. Zu dieser Rundheit, zu dieser kontinuierlichen Bewegung kommt beim Ausrufezeichen eine Linie ohne notwendiges Ende dazu, die willkürlich aufhört. Sie gehört zum Unendlichen, der Kreis der Sklaverei. Doch nicht alle Deutschen sind Punkte, nein, nur die große Mehrheit, die den Reichtum der Nation schafft, ebenso mächtig im Frieden wie im Krieg. Aber selbst all jene haben tief in sich drin ein etwas anderes Interpunktionszeichen. Jedoch nur ganz selten ein Ausrufezeichen. Öfter findet man das Fragezeichen. Eine Frage ohne Antwort, so wie Faust. Und so kommt es, dass die Deutschen im Leben Punkte sind, in ihrem Denken aber Fragezeichen, während die Lateinamerikaner im Leben das Ausrufezeichen verkörpern, im Denken jedoch eine Serie von Punkten. Der Deutsche wird erobern, der Romane sich mehren.

Aber Sousa Costa und seine Frau kümmerten sich nicht um Interpunktion. Er, mit seinem schweren, schwarzen, vor Brillantine glänzenden Schnurrbart, der wie ein Symbol für seine dicke, selbstgenügsame und sensible Natur war. Getreu seinem portugiesischen Naturell vergaß er nie, einige Tropfen Parfum auf sein Taschentuch zu träufeln. Er war ein direkter Nachfahre des großen Dichters Camões. Von diesem hatte er vielleicht auch seine Vorliebe für die Gesellschaft von Frauen geerbt. Aber das wurde nie hinterfragt – vor allem nicht von seiner Frau Dona Laura. Ob es ihr bewusst war, hatte Sousa Costa nie herausgefunden. Ihre Gefühle waren jedoch nie beeinträchtigt worden.

Dona Laura war klein, untersetzt und dunkelhaarig. Im Sommer wellten sich ihre schwarzen Haare durch die Hitze, und ihr komplett ungeschminktes Gesicht wurde so ölig wie ein Möbelstück, bei dem man die Politur noch nicht verrieben hatte. Sie liebte Umhänge und raschelnde Seidenkleider, die mit unzähligen Rüschen und leuchtenden Schmucksteinen verziert waren. Ganz besonders mochte sie es, wenn sie klimperten oder irgendwie das Rascheln der Seide verstärkten, wenn sie lief. Allerdings reichte die kleinste unaufmerksame Bewegung aus, um ihre gesamte Bekleidung in Unordnung zu bringen. Die Nähte spannten sich und platzten auf, so dass sich Perlen und andere Schmucksteine auf den Boden ergossen. „Die Näherinnen“, fand sie, waren „äußerst lästig“. Sousa Costa, oder besser gesagt der Sousa Costa ihrer frühen Ehejahre, hatte anfangs protestiert. Ihre Unordnung, ihre unbeirrbare Schlampigkeit hatte ihm nicht gefallen. Aber nach dem ersten Baby protestierte er weniger, und als schließlich Maria Luisa und Laurita gekommen waren, wurde ihm klar, dass die Charakteristika seiner Frau zu ändern gleichbedeutend damit wäre, die Form einer Qualle zu verändern. Sie war älter als er, und außerdem erlaubte sie ihm, die Wollfabriken in Brasilien zu erweitern und seinem Hobby, der Rinderzucht, nachzugehen. Warum sollte er sich also beschweren?

Er war Dona Laura ein guter Ehemann. In den seltenen Nächten, in denen er ihr näher kam, achtete er peinlich genau darauf, dass er sich keine neuen Spielarten oder Kenntnisse anmerken ließ, die er im Anhangabahu-Tal erworben hatte, unten am Fuße des Hügels bei der Post, wo die engen, gewundenen Gassen die Promenaden der Frauen waren, die hinter heruntergezogenen Jalousien lebten. Er war überaus vorsichtig, und Dona Laura erfüllte die Wünsche ihres Mannes mit Freude, wenn auch nicht immer mit Befriedigung. Sein von Brillantine glänzender Schnurrbart und sein Parfum bedeuteten ihr wenig. Wenn sie neben ihm lag, spürte sie manchmal, wie seine Barthaare sie an ihrem speckigen Oberarm kitzelten. Im Halbschlaf sagte sie dann zu ihm:

„Felizberto, hast du den Stier verkauft?“

„Nein, ich habe beschlossen, ihn zu behalten. Er ist so ein gutes Zuchttier.“

Alsbald würden sie dann wieder schlafen, die Augen verschlossen vor dem durchsichtigen Schimmer des Mondscheins, der ins Zimmer fiel und sogar die Decken, unter denen sie lagen, in ein glänzendes Gewebe aus Silber verwandelte. Wären sie wach gewesen, hätte es auch keinen Unterschied gemacht, denn beide hätten es nicht bemerkt, sondern sich einfach vom Licht abgewandt.

Schon bald nach seiner Geburt wurde Carlos getauft, und als er und Maria Luisa neun Jahre alt wurden, empfingen sie ihre erste Kommunion. Dona Laura hatte eine arme, aber sehr religiöse Verwandte, die die Kinder den Katechismus lehrte, und bis heute gingen die kleinen Mädchen an sonnigen Tagen in die Kirche. Die Luft tat ihnen gut. An wichtigen kirchlichen Feiertagen kam der Pater in ihr Haus, und Dona Laura trug das mit Brillanten besetzte Kreuz, das Sousa Costa ihr zum ersten Hochzeitstag geschenkt hatte.

Wenn der Pater mit ihm sprach, senkte Carlos den Kopf. „Ich weiß es nicht – Vater möchte, dass ich Jura studiere.“

„Und du magst das Recht nicht?“, fuhr der Prälat fort.

„Weder mag ich es besonders, noch habe ich etwas dagegen. Aber warum sollte ich mich damit beschäftigen? Vater hat ja schon gesagt, dass er mir zu meinem 21. Geburtstag eine Kaffeeplantage schenken wird. Warum sollte ich also Jura studieren? Nur um einen Abschluss zu machen und einen Doktortitel vor meinen Namen setzen zu können?“

Der Pater befragte ihn wieder, konnte aber nichts geistig Befriedigendes aus dem Jungen herausbringen. Das war, bevor das neue Kindermädchen kam.

Jetzt war sie es, die ihn befragte, deren weiches Haar in scharfem Kontrast stand zu seinem. Sie saßen am Schreibtisch in der Bibliothek, und es war gerade Carlos’ Deutschstunde.

„Wie alt bist du?“, fragte Fräulein.

„Sechzehn.“

Ich bin sechzehn Jahre alt. Sag das“, forderte sie ihn auf.

Carlos wiederholte die Worte mechanisch.

„Nein. Sprich es besser aus. Und die Vokale bitte nicht so offen. Es heißt sechzehn.“

Sechzehn.“

„So ist’s richtig. Jetzt wiederhole noch mal den ganzen Satz.“

„Auf Englisch kann ich es gut sagen: I am sixteen years old.“

Fräulein verbarg ihre Ungeduld. Sie schaffte es nicht wirklich, die Aufmerksamkeit des Jungen zu erlangen. Mit Englisch und Französisch war er vertraut. Besonders Englisch hatte er gelernt, seit er neun Jahre alt war. Aber Deutsch! Nach fünf Stunden Unterricht konnte er immer noch kein einziges Wort. Heute hatte sie drei Mal wiederholen müssen, dass Schwester Schwester hieß. Er war einfach ein junger Narr. Die deutschen Wörter verschwanden aus seinem Gedächtnis, als seien sie irgendwelche Konsonanten, die man auf merkwürdige Weise zusammengefügt hatte. Um seine Eitelkeit zu retten, würde er dann einfach auf Englisch antworten, was Fräulein unbewusst eifersüchtig machte. Sie lächelte dennoch und verbarg diese Gefühle, denen sie noch keinen Namen gegeben hatte.

„Lass das doch. Ich bin sechzehn Jahre alt. Wiederhole das. Nur noch einmal.“

Carlos runzelte die Stirn, gehorchte aber pflichtbewusst. Die Unterrichtsstunde war vorbei. Und er durfte die Bibliothek wieder verlassen.

Auf dem Korridor trafen Fräulein und Carlos auf Maria Luisa. Carlos blieb sofort stehen und tat so, als fordere er einen Tribut, bevor er seine Schwester vorbeilassen würde.

„Mutter! Komm her und schau dir Carlos an!“

Fräulein zog ihn an der Hand.

„Carlos, langsam fängst du wirklich an …“

Er folgte ihr mit einem kleinen Lachen. Er war enttäuscht, aber seine Schwestern wollten eigentlich nie mit ihm spielen. Jetzt aber, wo Fräulein sein Handgelenk in ihrer Hand gefangen hielt, ging er hinter ihr her. Irgendwie machte er immer, was sie wollte, auch wenn er es manchmal liebend gern nicht getan hätte. Carlos war jedoch nicht schüchtern – er war sich seiner selbst absolut sicher. Und so blieb er ganz plötzlich stehen, um ihre Kraft zu testen.

„Sie sind nicht stärker als ich“, erklärte er ihr.

„Doch, bin ich“, und für den Moment war sie das auch. Aber Carlos riss schnell seinen Arm weg und lachte über ihre Schwäche. Dann rannte er, immer drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf, während Fräulein unten stehen blieb, unbeweglich und auf wunderbare Weise geschlagen.

4

In ihrem Zimmer bereitete Fräulein sich darauf vor, ein Bad zu nehmen. Carlos, der gerade durch den Korridor ging, blieb stehen, als er sah, dass die Tür nur angelehnt war. Neugierig spähte er hindurch. Mit einem kleinen Häufchen Kleider zu ihren Füßen stand Fräulein fast in der Mitte ihres Zimmers. Als Carlos sie erblickte, wurde er plötzlich von Angst erfüllt. Er bekam kalte, feuchte Hände, doch wie gebannt beobachtete er sie und rührte sich nicht, um von ihr nicht bemerkt zu werden. Sie war ein wenig kleiner als die Mädchen auf den Nacktbildern, die er schon gesehen hatte. Rosige Haut, fein geformte Schenkel mit üppigen Rundungen, volle Brüste … Carlos gestattete sich nicht, genauer hinzuschauen. Ein kalter Schauer rann ihm den Rücken hinunter. Er zitterte. Von Panik ergriffen drehte er sich um und schlich auf Zehenspitzen zu seinem Zimmer, immer in der Angst, eine seiner Schwestern könnte vom Wohnzimmer aus in den Korridor gelaufen kommen.

Beim Abendessen hatte Carlos sich noch nicht von seiner Furcht erholt und sprach kaum mit Fräulein. Wenn er es aber doch einmal tat, senkte er dabei den Kopf, als hätte sie ihn beim Spionieren erwischt. Sie sah jetzt so anders aus, dachte er.

Fräulein war nicht wirklich hübsch. Aber sie war gerade gewachsen, und ihre Gesichtszüge waren rosig und blass wie Erdbeeren mit köstlicher Sahne. Sie benutzte kein Rouge, nur ein wenig Reispuder auf dem Gesicht. Ihre Lippen waren vielleicht ihr attraktivster Gesichtszug. Der Mund war nicht breit, aber die Lippen recht voll und immer von einer Röte, die auf eine gesunde Blutzirkulation in ihren Venen schließen ließ. Auch ihr Lächeln war hübsch, und wenn sie lachte, zeigten sich kleine weiße Zähne. Fräuleins Augen waren hellbraun, und wenn sie sie weit öffnete, dann schienen sie ausdruckslos und von einer Ruhe erfüllt zu sein, die fast religiös war. Ihr Haar wiederum schien vor Lebendigkeit zu sprühen, in variierenden Tönen – mal golden, dann wieder schattig und dunkel mit innerer Glut, und sie trug es immer so, dass es aussah, als müsste es bald wieder frisiert werden. Dies ist eine deutsche Eigenart, und zwar die einzige, bei der die Deutschen lateinamerikanisches Temperament beweisen, denn die Lateinamerikaner kämmen sich ihr Haar mit deutscher Gründlichkeit.

„Sollen wir für den Kaffee ins Wohnzimmer gehen?“, fragte Dona Laura auf ihre gewohnte Weise.

Fräulein erhob sich, und gerade in diesem Moment fiel ihr eine Haarsträhne sanft über die Wange.

„Fräulein, Sie haben eine Haarnadel verloren“, rief Carlos.

Während sie die ungehörige Haarnadel wieder feststeckte, ging er nach oben, peinlich berührt davon, dass er solch weiblichen Angelegenheiten Beachtung geschenkt hatte.

Fünfzehn Tage, dachte Fräulein, und sie war noch keinen Schritt weitergekommen. Bis vor wenigen Augenblicken schien er sie nie auch nur bemerkt zu haben. Er schien ihre kleinen Intimitäten nicht einmal wahrzunehmen: Ihren Atem auf seiner Wange, wenn sie sich vorbeugte, um ihm bei seinen Aufgaben zu helfen, den Druck ihres Körpers gegen seine Schulter, wenn sie sich herüberbeugte, um zu sehen, wie er das Diktat schrieb. War es möglich, dass sie diesmal nicht erfolgreich wäre? Das schien ihr eigentlich unmöglich … sie arbeitete doch gut … genauso gut wie bei den Malen zuvor … nein, sogar besser, denn der Junge interessierte sie. Sie mochte ihn, vielleicht war es seine jugendliche Unschuld, seine Kraft. Sie wusste es nicht. Und dennoch fragte sie sich, ob sie Erfolg haben würde und ob Sousa Costa das alles beobachtet hatte. Acht Contos würden ihr bezahlt werden.