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WÜSTENKÖNIG

 

Wilbur Smith

www.headofzeus.com

Über Wüstenkönig

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Eine Familiengeschichte voll Liebe und Hass, Rache und Gier, Zufall und Bestimmung, die am entlegensten Ende der zu Beginn des 18ten Jahrhunderts bekannten Welt spielt.

Die Courtneys haben sich am südlichsten Zipfel Afrikas niedergelassen. Inmitten einer holländischen Kolonie am Kap der Guten Hoffnung ersehnt sich die Familie, angeführt von den Brüdern Tom und Dorian, einen Neubeginn.

Eines Tages jedoch treibt ein wilder Sturm ein Sträflingsschiff in den Hafen. Es kommt zu einem schicksalhaften Zusammentreffen mit einer jungen Frau, die zu Unrecht als Sklavin verschifft wurde. Danach stehen die Courtneys auf der schwarzen Liste und sind gezwungen, ins unerforschte Hinterland Afrikas zu fliehen – eine ebenso gefährliche wie auch atemberaubende Reise in die Wildnis.

Doch auch hier kann der Courtney-Clan seiner Vergangenheit nicht entkommen. Kinder werden Eltern gegenüberstehen, Brüder Brüdern, in einem Kampf bis aufs Blut, Courtney Blut.

Aufs Genaueste recherchiert, wird hier Afrika und seine Geschichte lebendig. “Wüstenkönig” ist das Meisterwerk eines auf seinem Zenit stehenden Schriftstellers.

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Über Wüstenkönig

Wüstenkönig

Über Wilbur Smith

Von Wilbur Smith

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Die drei standen am strand und schauten auf das schimmernde Band hinaus, das der Mond auf die dunklen Wellen legte.

«In zwei Tagen ist Vollmond», sagte Jim Courtney träumerisch. «Die großen Rotbarsche werden hungrig sein wie die Löwen.» Eine Welle glitt über den Sand und schäumte um ihre Knöchel.

«Was stehen wir hier herum. Bringen wir endlich das Boot zu Wasser», drängte sein Vetter, Mansur Courtney. Mansurs Haar schimmerte im Mondschein wie frisch geprägte Kupfermünzen, strahlend wie sein Lächeln. Er versetzte dem schwarzen Jüngling, der neben ihm stand, einen sanften Rippenstoß. «Komm, pack an, Zama.» Die drei beugten sich zu dem kleinen Boot hinunter und begannen zu schieben und zu zerren, doch es bewegte sich nur widerwillig und blieb bald im nassen Sand stecken.

«Warten wir auf die nächste große Welle», schlug Jim vor. Sie richteten sich auf und schauten hinaus. «Da kommt sie!» Weit draußen buckelte sich die Dünung und rollte auf sie zu, immer höher, bis die Welle die Brandungslinie erreichte und sich überschlug. Die weiße Gischt hob den Bug des Skiffs vom Sand und brachte die drei jungen Burschen so ins Taumeln, dass sie sich ans Schandeck klammern mussten, bis zu den Hüften im brodelnden Wasser.

«Alle zusammen!», rief Jim, worauf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf das Boot stemmten. «Zu Wasser!» Sie ließen das Skiff von der Welle hinaustragen, bis sie bis zu den Schultern im Wasser standen. «An die Ruder!», krächzte Jim, während die nächste Welle über sie hereinbrach. Sie langten an den Bootswänden hoch und schwangen sich an Bord. Triefend nass und lachend vor Aufregung ergriffen sie die langen Ruder, die auf dem Boden bereitlagen.

«Legt euch in die Riemen!» Die Ruder fassten, zogen durch und tauchten wieder auf. Silbernes Mondlicht tropfte an ihnen herab und hinterließ winzige, schimmernde Wirbel auf dem Wasser. Schließlich schaukelte das Skiff aus der turbulenten Brandungszone und sie fielen in ihren oft geübten, ruhigen Schlagrhythmus.

«Wohin geht es?», fragte Mansur. Ganz selbstverständlich überließen er und Zama Jim die Entscheidung.

«Zum Hexenkessel», antwortete Jim, ohne zu zögern.

«Das habe ich mir gedacht», lachte Mansur. «Du hast es immer noch auf Big Julie abgesehen.»

Zama spuckte ins Wasser: «Pass lieber auf, Somoya. Vielleicht hat es Big Julie auf dich abgesehen.» Er sprach Lozi, die Sprache seines Volkes. ‹Somoya› bedeutete ‹Wirbelwind›. So hatten sie Jim seit seiner Kindheit gerufen, wegen seines stürmischen Temperaments.

Jim dachte finster daran zurück, was sie mit dem Fisch, den sie ‹Big Julie› getauft hatten, schon erlebt hatten. Keiner von ihnen hatte ihn je zu Gesicht bekommen, doch sie wussten, es musste ein Weibchen sein, denn nur die Weibchen wuchsen zu solcher Größe und Kraft. Diese Kraft hatten sie an der straff gespannten Angelleine gespürt. Das Meerwasser war aus den Fasern gepresst worden, die Leine hatte sich rauchend in das Hartholz des Schandecks gekerbt und blutige Striemen in ihre Hände geschnitten.

«Mein Vater war auf der alten Maid of Oman, als sie vor Danger Point auf Grund lief, damals im Jahr 1715», sagte Mansur auf Arabisch, der Sprache seiner Mutter. «Der Maat versuchte, mit einem Seil an Land zu schwimmen, doch auf halbem Weg kam ein großer Rotbarsch unter ihm herauf. Das Wasser war so klar, dass man ihn schon in drei Faden Tiefe sehen konnte. Er biss dem Mann das linke Bein ab, direkt über dem Knie, und verschlang es in einem Stück, wie ein Hund einen Hühnerknochen verschlingt. Der Maat schrie und zappelte. Das Wasser schäumte rot von seinem eigenen Blut. Er versuchte, den Fisch zu vertreiben, doch der kreiste unter ihm und biss ihm das andere Bein ab, bevor er den Rest von ihm in die Tiefe riss. Man hat nichts von ihm wiedergefunden.»

«Die Geschichte erzählst du jedes Mal, wenn wir zum Hexenkessel unterwegs sind», brummte Jim.

«Und jedes Mal scheißt du dir vor Angst sieben Farben Durchfall in die Hose», sagte Zama auf Englisch. Die drei hatten so viel Zeit miteinander verbracht, dass jeder fließend die Sprache des anderen sprach, sei es Englisch, Arabisch oder Lozi, und sie mühelos von einer Sprache zur anderen wechseln konnten.

«Wo zum Teufel hast du denn diesen ekelhaften Ausdruck her, du alter Heide?», lachte Jim nervös.

«Von deinem ehrwürdigen Vater», grinste Zama. Darauf wusste Jim nichts zu erwidern, was äußerst selten vorkam.

Jim schaute zum Horizont, über dem es immer heller wurde. «In zwei Stunden wird die Sonne aufgehen. Die beste Zeit, um Julie noch mal auf den Pelz zu rücken.»

Sie ruderten mitten auf die Bucht, ritten die langen Kapwogen, die Welle um Welle vom Südatlantik hereinkamen. Bei vollem Gegenwind konnten sie das Segel nicht setzen, mit dem das Boot ausgerüstet war. Hinter ihnen erhob sich das mondbeschienene, majestätische Massiv des Tafelbergs mit seinem flachen Hochplateau, in dessen Schatten, dicht vor der Küste, zahlreiche Schiffe ankerten, meist Großsegler mit abgelassenen Rahen. Dieser Ankerplatz war das Karawanenlager der südlichen Ozeane. Die Handels- und Kriegsschiffe der holländischen Vereenigde Oost-Indische Compagnie, der VOC, und Schiffe unter einem halben Dutzend anderer Flaggen nutzten das Kap als Versorgungs- und Ausrüstungsstützpunkt für ihren langen Ozeanreisen.

Zu dieser frühen Stunde waren an Land nur wenige Lichter zu sehen, die Funzellaternen an den Mauern der Festung und in den Fenstern der Hafentavernen, in denen die Mannschaften der Schiffe noch beim Feiern waren. Jims Blick schweifte unwillkürlich zu einem einsamen Lichtpunkt in der Finsternis, mehr als eine Seemeile abseits von den anderen. Das war das Lagerhaus der Gebrüder Courtney und er wusste, das Licht kam vom Bürofenster seines Vaters im zweiten Stockwerk des großen Gebäudes.

«Papa zählt wieder einmal seine Schekel.» Er lachte in sich hinein. Jims Vater, Tom Courtney, war einer der erfolgreichsten Kaufleute am Kap der Guten Hoffnung.

«Da ist die Insel», sagte Mansur und Jims Gedanken wandten sich wieder dem Abenteuer zu, das vor ihnen lag. Er stellte die Pinnenschnur ein, die er sich um die große Zehe seines nackten rechten Fußes gewickelt hatte. Sie änderten den Kurs etwas nach backbord auf die Nordspitze der Robbeninsel zu. In der Nachtluft konnten sie die Schwimmkünstler schon riechen. Der Gestank ihres fischreichen Dungs war erstickend. Als sie näher herankamen, stellte sich Jim auf die Ducht, um sich an der Küstenlinie zu orientieren. Er suchte nach den Landmarken, mit deren Hilfe er das Skiff genau über den tiefen Graben manövrieren konnte, den sie den Hexenkessel nannten.

Plötzlich schrie er erschrocken auf und sprang von der Ducht. «Schaut euch diese Lümmel an! Die werden uns überfahren, wenn wir nicht hier wegkommen. Rudert, rudert, verdammt noch mal!» Ein holländischer Dreimaster unter vollen Segeln kam lautlos um die Nordspitze der Insel gesegelt. Der Nordwestwind trieb ihn mit erschreckender Geschwindigkeit direkt auf sie zu.

«Diese verdammten Käsköpfe!», fluchte Jim, während er sich in den langen Riemen legte. «Dieser Landrattensohn einer alten Kneipenhure! Er hat nicht einmal eine Laterne brennen!»

«Und wer zum Teufel hat dir beigebracht, so zu fluchen?», keuchte Mansur zwischen verzweifelten Ruderzügen.

«Du bist genauso ein Clown wie dieser blöde Holländer», erwiderte Jim grimmig.

«Wir müssen ihm zurufen!» Mansur klang plötzlich besorgt, da die Gefahr immer deutlicher wurde.

«Spare dir deinen Atem», entgegnete Zama. «Die schlafen fest. Sie werden dich nicht hören. Rudert!» Die drei mühten sich an den Rudern ab, das kleine Boot schien über das Wasser zu fliegen, doch das große Schiff kam noch schneller näher.

«Zeit zum Abspringen», schlug Mansur vor.

«Fantastisch», grunzte Jim, «direkt über dem Hexenkessel. Jetzt werden wir sehen, ob die Geschichte wahr ist, die dein Vater erzählt hat. Welches Bein wird Big Julie dir wohl zuerst abbeißen?»

Sie ruderten in stummer Angst, schweißglänzend in der kühlen Nacht. Sie hielten auf die Felsen zu, wo sie sicher sein würden vor dem großen Schiff, doch die waren immer noch eine ganze Kabellänge entfernt, und die hohen Segel des Holländers verdunkelten schon die Sterne über ihnen. Sie hörten den Wind auf dem Segeltuch trommeln, das Ächzen der Balken, das melodische Gurgeln der Bugwelle. Die Jungen sagten keinen Ton. Sie ruderten verzweifelt weiter und blickten mit Grauen an den Masten hoch.

«Lieber Jesus, beschütze uns!», flüsterte Jim.

«Im Namen Allahs», sagte Mansur leise.

«Bei meinen Stammesvätern!»

Jeder beschwor seinen Gott oder seine Götter. Zamas Augen waren weit aufgerissen, doch er verpasste keinen Ruderschlag, obwohl er dem Tod ins Auge schaute. Plötzlich riss die Bugwelle des Schiffes sie hoch und drückte sie nach hinten, mit dem Heck zuerst auf das Wellental zu. Der Heckbalken wurde unter Wasser gedrückt, das nun eisig ins Boot strömte. Unmittelbar bevor der riesige Schiffsrumpf das Boot rammte, wurden die drei Knaben über Bord geschleudert. Doch sie waren nur gestreift worden, das erkannte Jim noch, während er unter Wasser versank. Das Skiff wurde zur Seite geworfen, doch er hörte keine Planken bersten.

Jim wurde weit in die Tiefe gezogen, versuchte aber, noch tiefer zu tauchen, denn er wusste, jeder Kontakt mit dem Schiffskiel wäre tödlich. Nach der Ozeanreise würde der Rumpf dick mit Entenmuscheln verkrustet sein, deren rasiermesserscharfe Schalen ihm das Fleisch von den Knochen reißen würden. Er spannte jeden Muskel in seinem Körper an und bereitete sich auf den Schmerz vor, doch es passierte nichts. Seine Lungen brannten und würgten im unwiderstehlichen Drang zu atmen. Er kämpfte dagegen an, bis er sicher war, dass das Schiff vorübergezogen war. Erst dann trieb er sich mit Armen und Beinen auf die Oberfläche zu. Durch das klare Wasser hindurch sah er den goldenen Mondkreis und schwamm mit aller Kraft seines Willens darauf zu. Dann war sein Kopf plötzlich an der Luft und Jim füllte seine Lungen. Er rollte sich auf den Rücken, keuchend und hustend, und sog die Leben spendende, süße Luft ein. «Mansur! Zama!», krächzte er unter Schmerzen. «Wo seid ihr? Meldet euch, verdammt noch mal! Wo seid ihr?»

«Hier!» Es war Mansurs Stimme und Jim schaute sich nach ihm um. Sein Vetter klammerte sich an das voll gelaufene Boot. Die langen roten Locken hingen ihm platt ins Gesicht wie ein Seehundpelz. Im nächsten Augenblick kam ein dritter Kopf an die Oberfläche.

«Zama!» Mit zwei Kraulzügen war Jim bei ihm und hielt sein Gesicht über Wasser. Zama hustete und eine Fontäne aus Kotze und Seewasser schoss ihm aus dem Mund. Er wollte sich mit beiden Armen an Jims Hals klammern, doch Jim duckte ab, bis Zama sich gefangen hatte, und zog ihn dann zu dem schaukelnden Skiff.

«Hier! Halt dich daran fest.» Er führte Zamas Hand an das Schandeck. So hingen die drei an ihrem Boot und schnappten nach Luft.

Jim erholte sich als Erster so weit, dass sein Zorn wieder aufflammte. «Dieser verdammte Hurensohn!», keuchte er, während er dem Schiff nachsah, das ungerührt davonzog. «Der hat nicht einmal gemerkt, dass er uns fast umgebracht hätte.»

«Der Pott stinkt schlimmer als die Robbenkolonie.» Mansurs Stimme war noch schwach und er bekam einen Hustenanfall.

Jim roch ebenfalls den Gestank. «Ein Sklavenschiff, ein verdammtes Sklavenschiff», spuckte er. «Der Gestank ist unverkennbar.»

«Oder ein Gefangenenschiff», sagte Mansur heiser. «Vielleicht bringt es Häftlinge von Amsterdam nach Batavia.» Sie sahen zu, wie das Schiff den Kurs änderte und Richtung Bucht wendete, um sich den anderen anzuschließen, die dort ankerten.

«Ich werde mir den Kapitän vornehmen, wenn er in den Ginhöllen an den Docks auftaucht», sagte Jim finster.

«Vergiss es», riet ihm Mansur. «Er würde dir nur ein Messer zwischen die Rippen stecken, oder irgendwo anders hin, wo es wehtut. Lasst uns das Skiff wieder flottmachen.» Der größte Teil des Decks war unter Wasser, sodass Jim über den Heckbalken an Bord schlüpfen musste. Er griff unter eine der Duchten und fand den Holzeimer, der dort angeschnallt war. Er begann das Boot auszuschöpfen und schüttete Eimer um Eimer Wasser über Bord. Bis das Boot halb leer war, hatte auch Zama sich genügend erholt, dass er an Bord klettern konnte. Jim holte die Ruder ein, die noch neben dem Boot trieben, und überprüfte die restliche Ausrüstung. «Die Angelausrüstung ist noch komplett. Sogar die Köder.»

«Willst du immer noch fischen gehen?», fragte Mansur.

«Natürlich! Warum nicht, zum Teufel?»

«Vielleicht...» Mansur schien nicht so sicher zu sein. «Wir wären fast ertrunken.»

«Fast, aber wir sind nicht ertrunken», sagte Jim munter. «Zama ist mit dem Ausschöpfen fertig und der Hexenkessel ist nur noch eine Kabellänge entfernt. Big Julie wartet auf ihr Frühstück.» So nahmen sie wieder ihre Plätze ein und legten sich in die Riemen. «Dieser Bastard von einem Käskopf hat uns eine Stunde Angelzeit gekostet», jammerte Jim weiter.

«Er hätte uns eine Menge mehr kosten können, Somoya», lachte Zama, «wenn ich dich nicht aus dem Tümpel gezogen –» Jim nahm einen toten Fisch aus dem Ködersack und warf ihn Zama an den Kopf. So schnell fanden sie ihren Frohsinn und ihre Kameradschaft wieder.

«Langsam jetzt, wir sind gleich bei den Markierungen», warnte Jim, und sie machten sich an das mühsame Geschäft, das Skiff über dem Felsengraben unter ihnen in Position zu bringen. Sie mussten über einem Vorsprung südlich des Hexenkessels Anker werfen und sich von der Strömung über die tiefe Unterwasserschlucht treiben lassen. Die Strudel, wegen denen sie die Stelle ‹Hexenkessel› getauft hatten, machten diese Aufgabe noch schwieriger, sodass sie die Markierungen mehrmals verfehlten. Schwitzend und fluchend mussten sie dann den zwanzig Kilo schweren Felsblock, der ihnen als Anker diente, wieder lichten und es noch einmal versuchen. Von Osten stahl sich schon die Dämmerung heran, als sie so weit waren, dass Jim die Tiefe mit einer köderlosen Leine ausloten konnte, um sich zu vergewissern, dass sie genau an der richtigen Stelle waren. Er maß die Leine zwischen seinen ausgestreckten Armen, während sie über die Bootswand glitt.

«Dreiunddreißig Faden!», rief er, sobald er spürte, wie das Bleilot auf dem Grund aufschlug. «Fast zweihundert Fuß. Wir sind direkt über Big Julies Speisesaal.» Er holte das Lot geschwind wieder ein. «Köder an die Haken, Jungs!» Sie stürzten zum Ködersack. Jim griff hinein und schnappte Mansur den besten Köder weg, eine Graubarbe so lang wie sein Unterarm. Er hatte sie am Tag zuvor in der Lagune vor dem Kompanielagerhaus ins Netz bekommen. «Der ist zu gut für dich. Mit Julie kann nur ein echter Fischer fertig werden.» Er fädelte die Spitze des stählernen Haihakens durch die Augenhöhlen des Fisches. Jim schüttelte die Schlagschnur aus, eine drei Meter lange Stahlkette, leicht, aber stark. Jim war überzeugt, sie würde selbst den Anstrengungen eines großen Königsbarsches widerstehen, sie am Riff durchzuscheuern. Er schwang den Köder um seinen Kopf und ließ mit jedem Schwung etwas mehr Leine ab, bis er sie schließlich fliegen ließ. Die stählerne Schlagschnur schwirrte weit über das grüne Wasser hinaus. Der Köder sank in die Tiefe, Jim ließ weiter Leine ab und sprach sich Mut zu. «Direkt in Big Julies Kehle. Diesmal wird sie mir nicht entwischen. Diesmal gehört sie mir.» Als er spürte, wie das Gewicht an der Schlagschnur den Grund berührte, legte er etwas Leine auf dem Deck aus und stellte sich mit dem rechten Fuß darauf. Er musste beide Hände am Ruder halten, um die Strömung auszugleichen und das Skiff über dem Hexenkessel in Position zu halten.

Zama und Mansur fischten mit leichteren Haken und Leinen und benutzten Makrelenstücke als Köder. Sie holten fast sofort Beute ein: rosenrote Stumpnose-Fische, zappelnde, silbrige Seebrassen und getupfte Tigerfische, die wie Ferkel grunzten, als die Jungen sie vom Haken nahmen und in den Kielraum warfen.

«Babyfische für kleine Jungen», spottete Jim, während er sich damit abmühte, seine eigene Leine zu kontrollieren und das Boot in der Strömung ruhig zu halten. Die Sonne erhob sich über den Horizont und nahm die Kälte aus der Luft. Die drei zogen ihre Kleider aus, bis sie nur noch ihre Kniebundhosen am Leib trugen.

In der Nähe schwärmten die Robben über die Felsen der Insel, stürzten sich ins Wasser und plantschten rings um das geankerte Skiff. Plötzlich tauchte ein großer Seehund unter das Boot und schnappte sich den Fisch, den Mansur gerade einholte, riss ihn vom Haken und kam in wenigen Metern Entfernung wieder an die Oberfläche, die Beute zwischen den Kiefern.

«Du gottverfluchtes Scheusal!», schrie Mansur voller Wut. Jim holte seine Steinschleuder hervor und legte einen vom Wasser glatt geschliffenen Kiesel ein, rund, glatt und von perfektem Gewicht. Jim hatte mit der Schleuder geübt, bis er eine hoch fliegende Gans mit fünf Schüssen zu Boden bringen konnte. Er wickelte die Schnur auf und schwang die Schleuder um seinen Kopf, bis sie kraftvoll summte. Dann ließ er los und der Kiesel schoss aus dem Steintäschchen. Er traf die Robbe mitten auf dem runden, schwarzen Schädel und sie hörten die zerbrechliche Knochenkapsel zerspringen. Das Tier war sofort tot und der Kadaver trieb zuckend mit der Strömung davon. «Der wird uns keine Fische mehr stehlen.»

Mansur war erst vor einer Woche von einer Handelsreise die afrikanische Ostküste hinauf bis zum Horn von Hormus zurückgekehrt. Er hatte ihnen von den Wundern erzählt, die er erblickt hatte, und von den gemeinsamen Abenteuern mit seinem Vater, der die Gift of Allah, eines der Courtney-Schiffe, kommandiert hatte.

Mansurs Vater, Dorian Courtney, war der jüngere Partner in der Familienfirma. Als ganz junger Bursche war er arabischen Piraten in die Hände gefallen und an einen omanischen Prinzen verkauft worden, der ihn adoptiert und zum Islam bekehrt hatte. Tom Courtney, sein Halbbruder, war Christ und Dorian war Moslem. Nachdem Tom seinen Bruder gefunden und gerettet hatte, waren sie Partner geworden. Zusammen hatten sie Zugang zu beiden Welten, der christlichen und der islamischen, und ihr Unternehmen florierte. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatten sie in Indien, Arabien und Afrika Handel getrieben und ihre exotischen Waren in Europa verkauft.

Jim blickte Mansur ins Gesicht, während er nun weitererzählte, und musste wieder die Schönheit und Anmut bewundern, die Mansur von seinem Vater geerbt hatte, ebenso wie das rotgoldene Haar, das ihm dick auf den Rücken hing. Er war geschmeidig und flink wie Dorian, während Jim so breit und stabil gebaut war wie sein Vater Tom.

«Na komm schon, Vetter!», unterbrach Mansur seine Erzählung, um Jim zu hänseln. «Zama und ich werden das Boot bald bis zu den Schandecks gefüllt haben, wenn du nicht bald aufwachst. Nun fang uns schon einen Fisch!»

«Qualität war mir immer schon wichtiger als Quantität», entgegnete Jim herablassend.

«Na gut, wenn du also nichts Besseres zu tun hast, erzähle uns doch von deiner Reise ins Land der Hottentotten.» Mansur schwang noch einen schimmernden, zappelnden Fisch über die Bordwand.

Jim strahlte vor Freude, als er sich an sein Abenteuer erinnerte. Er schaute unwillkürlich nach Norden zu den zerklüfteten Bergen, die von der Morgensonne in funkelndes Gold getaucht wurden. «Wir marschierten achtunddreißig Tage lang», erzählte er stolz, «nach Norden durch die Berge und die große Wüste, weit jenseits der Grenzen dieser Kolonie, der Grenzen, die nach Anordnung des Gouverneurs und Rates der VOC in Amsterdam niemand überqueren darf. Wir sind in Länder gezogen, die kein Weißer vor uns erblickt hat.» Er hatte nicht die flüssige Sprache und poetische Ausdruckskraft seines Vetters, doch allein seine Begeisterung wirkte ansteckend. Mansur und Zama lachten mit ihm, als er die Barbarenstämme beschrieb, auf die sie gestoßen waren, und die unendlichen Herden wilder Tiere, die die Grassteppen bevölkerten. «Es stimmt doch, was ich sage, nicht wahr, Zama? Du warst dabei. Sage Mansur, dass es wahr ist.»

Zama nickte feierlich. «Es stimmt, das schwöre ich beim Grabe meines Vaters. Jedes Wort ist wahr.»

«Eines Tages werde ich dorthin zurückkehren und den blauen Horizont überqueren und in die letzten Winkel dieser Landschaften vordringen.»

«Und ich werde mitkommen, Somoya!» Zamas Blick war voller Vertrauen und Liebe zu Jim.

«Natürlich wirst du das, du Gauner. Wer sonst würde sich schon mit dir abgeben?» Er klopfte Zama so fest auf den Rücken, dass der Junge fast von seiner Ruderbank fiel.

Er wollte noch etwas sagen, doch in diesem Augenblick ruckte die Angelspule unter seinem Fuß und er ließ einen Triumphschrei los. «Julie klopft an der Tür! Komm herein, Big Julie!» Er ließ sein Ruder fallen und packte die Leine. Stramm hielt er sie zwischen beiden Händen, mit einem Stück schlaffen Seils hinter sich, bereit, es über die Bordwand ins Wasser schnellen zu lassen. Ohne Jims Befehl abzuwarten, holten die beiden anderen ihre Leinen über das Schandeck ein, Hand über Hand, mit fieberhafter Schnelligkeit. Sie wussten, wie entscheidend es war, dass Jim offenes Wasser vor sich hatte, wenn er es mit einem wirklich großen Fisch aufnehmen wollte.

«Komm, meine Hübsche», flüsterte Jim, während er die Leine zart zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. Bislang spürte er nur den sanften Zug der Strömung. Plötzlich fühlte die Leine sich anders an, ein fast schüchterner Zug. Jeder Nerv in Jim spannte sich wie die Sehne eines Jagdbogens. «Sie ist da unten. Sie ist immer noch hier.»

Die Leine erschlaffte wieder. «Verlass mich nicht, Liebste. Bitte verlass mich nicht!» Jim lehnte sich aus dem Skiff und hielt die Leine hoch, sodass sie senkrecht im grünen, wirbelnden Wasser verschwand. Die anderen schauten zu und wagten kaum, Atem zu holen. Dann sahen sie, wie Jims rechte Hand von einer unwiderstehlichen Kraft nach unten gezogen wurde. Sie sahen, wie seine Arm- und Rückenmuskeln sich spannten und hervorquollen, wie eine Schlange zum Angriff bereit. Niemand sprach ein Wort oder rührte sich, als die Hand, mit der Jim die Leine hielt, fast das Meer berührte.

«Ja», sagte Jim leise, «jetzt!» Er stemmte sich mit seinem Körpergewicht gegen die Seilspannung. «Ja, jetzt, ja, ja!» Jedes Mal, wenn er die Worte ausstieß, zerrte er an der Leine, mit dem linken Arm und dann mit dem rechten, links, rechts, links und wieder rechts, doch nicht einmal Jim war stark genug, zum Nachgeben zu zwingen, was immer am anderen Ende zog.

«Das kann kein Fisch sein», sagte Mansur. «Kein Fisch ist so stark. Du musst den Meeresboden am Haken haben.» Jim lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht zurück, die Knie gegen das hölzerne Schandeck gestemmt, die Zähne zusammengebissen, das Gesicht blau angelaufen.

«Kommt hinter mich, an die Leine!», keuchte er, und seine beiden Freunde stürzten herbei, um ihm zu helfen, doch bevor sie am Heck waren, wurde Jim nach vorn gerissen und gegen die Bordwand geschleudert. Die Schnur raste zwischen seinen Fingern hindurch und es roch wie Hammelbraten auf einem Kohlefeuer, als die Haut von seinen Handflächen gerissen wurde.

Jim schrie vor Schmerzen, doch er gab nicht nach. Mit enormer Anstrengung schaffte er es, die Leine über die Kante des Schandecks zu spannen, wo er versuchte, sie einzuklemmen, doch dann büßte er noch mehr Haut ein, als seine Fingerknöchel an das Holz gepresst wurden. Mit einer Hand riss er sich die Mütze vom Kopf und benutzte sie als Handschuh, während er die Schnur an das Holz hielt. Alle drei schrien wie Dämonen im Fegefeuer.

«Helft mir! Packt das Seilende!»

«Lass sie ziehen. Der Haken wird gleich nachgeben.»

«Hol den Eimer. Schütte Wasser auf das Seil, bevor es Feuer fängt!»

Zama bekam die Leine mit beiden Händen zu fassen, doch selbst mit vereinten Kräften konnten sie den großen Fisch nicht am Davonziehen hindern. Die Leine zischte über die Bordwand und hinter dem Zug spürten sie mächtige Flossenschläge.

«Wasser, um Himmels willen, Wasser auf die Leine!», heulte Jim, und Mansur nahm längsseits einen Eimer voll Wasser auf und schüttete ihn über ihre Hände und die glühend heiße Leine, von der eine Dampfwolke aufstieg, als das Wasser auf ihr verpuffte.

«Mein Gott! Die Rolle ist fast am Ende!», rief Jim, als er das Seilende am Boden des Holzkübels sah, aus dem die Leine hervorschoss. «Schnell, Mansur, so schnell du kannst! Knote die nächste Rolle an!» Mansur arbeitete schnell und geschickt, und doch wäre er fast zu spät gekommen. In dem Augenblick, als er den Knoten anzog, wurde ihm das Seil aus den Händen gerissen und zischte zwischen den Fingern der anderen hindurch, über die Bordwand und in die grüne Tiefe.

«Halt!», flehte Jim den Fisch an. «Willst du uns umbringen, Julie? Kannst du nicht endlich stillhalten, meine Schöne?»

«Die Hälfte der zweiten Rolle ist schon draußen», warnte sie Mansur. «Lass mich übernehmen, Jim, sonst ersaufen wir noch in deinem Blut.»

«Nein!» Jim schüttelte entschlossen den Kopf. «Sie wird schon langsamer, der Widerstand ist fast gebrochen.»

«Deiner oder ihrer?», fragte Mansur.

«Warum gehst du nicht zum Theater?», entgegnete Jim grimmig, «da kämen deine Sprüche besser an.»

Die Leine rutschte immer langsamer durch ihre geschundenen Hände und kam schließlich ganz zum Stillstand. «Lass den Eimer fallen», befahl Jim. «Nimm die Leine.» Mansur hängte sich hinter Zama und dank des zusätzlichen Gewichts konnte Jim mit einer Hand loslassen. «Jetzt sind wir an der Reihe, Julie.»

Sie hielten das Seil gespannt, während sie sich in einer Reihe über die Länge des Bootes verteilten, die Leine zwischen den Beinen.

«Eins, zwei, drei!», gab Jim den Takt vor, als sie das Seil einholten, mit ihrem gemeinsamen Gewicht hinter jedem Zug. Der Knoten zwischen den beiden Rollen kam über die Bordwand und Mansur, als der dritte Mann in der Reihe, spulte die Leine in den Kübel zurück. Noch vier Mal sammelte der große Fisch seine Kräfte und wollte davonschießen, und sie waren wieder gezwungen, Leine nachzugeben, doch es wurde jedes Mal weniger. Sie zogen ihn am Kopf herum und holten ihn zurück. Er kämpfte und sträubte sich noch, doch allmählich schwanden seine Kräfte.

Plötzlich ließ Jim einen Freudenschrei los. «Da ist sie! Ich kann sie sehen da unten!» Der Fisch zog einen weiten Kreis tief unter dem Boot. Als er herumkam, traf ein Sonnenstrahl den bronzeroten Schuppenpanzer und ließ ihn aufblitzen wie ein Spiegel.

«Jesus, wie schön sie ist!» Jim konnte das große, goldene Auge des Fisches sehen, wie es zu ihm heraufstarrte durch das smaragdgrüne Wasser. Die Kiemen des Rotbarsches flatterten und pumpten verzweifelt Wasser und Sauerstoff in den erschöpften Körper. Das Maul war groß genug, Kopf und Schultern eines ausgewachsenen Mannes aufzunehmen, und die Kiefer waren gespickt mit Reihen fingerlanger, scharfer Fangzähne.

«Jetzt glaube ich, was Onkel Dorry erzählt hat», keuchte Jim erschöpft. «Mit diesen Zähnen könnte sie ohne weiteres einem Mann die Beine abbeißen.»

Endlich, zwei Stunden nachdem Jim seinen Haken im Kiefergelenk des Fisches verankert hatte, konnten sie ihn längsseits bringen. Zusammen hievten sie den riesigen Kopf aus dem Wasser, doch im selben Augenblick ging der Fisch zur letzten, verzweifelten Gegenwehr über. Er war halb so lang wie ein großer Mann und um den Bauch so dick wie ein Shetlandpony. Er zappelte und bog sich, bis sein Maul den Schwanz berührte, erst zur einen Seite, dann zur anderen, und schleuderte dabei so viel Meerwasser in das Skiff, dass die drei jungen Burschen bald so durchnässt waren wie unter einem Wasserfall. Sie hielten jedoch die Leine fest, bis die grausamen Krämpfe an Kraft verloren. Schließlich rief Jim: «Haltet sie! Sie ist bereit, ihrem Schöpfer gegenüberzutreten.»

Er holte den Knüppel unter dem Heckbalken hervor, hob den Kopf des Fisches an und legte sein ganzes Gewicht in den Hieb, der den Fisch an dem Knochenwulst über den starren, gelben Augen traf. Der riesige Körper erstarrte im Todeskrampf, dann hauchte er sein Leben aus und trieb neben dem Boot, den weißen Bauch nach oben, die Kiemen aufgespannt wie ein Sonnenschirm.

Nass von Schweiß und Meerwasser, wild keuchend und ihre zerschundenen Hände leckend lehnten sie auf dem Heckbalken und blickten ehrfurchtsvoll auf das wundervolle Geschöpf hinab, das sie soeben getötet hatten. Es gab keine Worte, um die überwältigenden Gefühle von Triumph und Reue, Jubel und Trauer auszudrücken, die sie nun ergriffen, da die Jagdleidenschaft ihren Höhepunkt erreicht hatte.

«Im Namen des Propheten, welch ein Leviathan», sagte Mansur leise. «Ich fühle mich so klein, wenn ich ihn betrachte.»

«Die Haie werden jeden Augenblick hier auftauchen», mahnte Jim. «Helft mir!» Sie fädelten das Seil durch die Kiemen des Fisches und hievten auf Jims Kommando. Das Skiff neigte sich gefährlich zur Seite und wäre fast gekentert, als sie die Beute über die Bordwand zogen. Das Boot war kaum groß genug für den mächtigen Fisch. Eine Schuppe war abgefallen, als sie ihn an Bord hievten, groß und glänzend wie eine Golddublone.

Mansur hob sie auf, drehte sie im Sonnenschein und betrachtete sie fasziniert. «Wir müssen diesen Fisch nach Hause bringen, nach High Weald», sagte er.

«Warum?», fragte Jim brüsk.

«Um ihn der Familie zu zeigen, meinem Vater und deinem.»

«Bis zum Abend wird er seine Farbe verloren haben. Seine Schuppen werden trocken und stumpf sein, er wird verrotten und anfangen zu stinken.» Jim schüttelte den Kopf. «Ich will ihn im Gedächtnis behalten, wie er jetzt ist, in voller Schönheit.»

«Was willst du also mit ihm machen?»

«Ich verkaufe ihn an den Proviantmeister des VOC-Schiffes.»

«Solch ein wundervolles Tier, und du willst es verkaufen wie einen Sack Kartoffeln?», protestierte Mansur.

«‹Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde.› Tötet! Esst!», zitierte Jim aus der Schöpfungsgeschichte. «Das sind Gottes Worte.»

«Dein Gott, nicht meiner», widersprach Mansur.

«Es ist ein und derselbe Gott. Du nennst ihn nur anders.»

«Es ist auch mein Gott», meldete sich Zama, «Kulu Kulu, der Größte unter den Großen.»

Jim wickelte sich einen Streifen Stoff um die verletzte Hand. «Also, im Namen von Kulu Kulu, dieser Barsch wird uns an Bord des holländischen Schiffes bringen. Ich werde ihn als Empfehlungsschreiben an den Proviantmeister einsetzen. Ich werde ihm nicht nur den Fisch verkaufen, sondern alles, was High Weald zu bieten hat.»

Mit zehn Knoten Südwestwind im Rücken konnten sie das Segel setzen, das sie geschwind in die Bucht zurücktrieb. Dort, unter dem Schutz der Festungskanonen, lagen acht Schiffe vor Anker. Die meisten lagen seit Wochen vor dem Kap und hatten schon genügend Proviant an Bord genommen.

Jim zeigte zu dem Schiff, das als Letztes eingetroffen war. «Die haben doch bestimmt seit Monaten keinen festen Boden mehr unter den Füßen gehabt. Sie werden nach frischer Nahrung hungern. Wahrscheinlich leiden sie schon an Skorbut.» Jim legte die Pinne um und steuerte zwischen den geankerten Schiffen hindurch. «Nach dem, was sie uns fast angetan hätten, schulden sie uns einen hübschen kleinen Profit.» Die Courtneys waren allesamt Kaufleute, durch und durch, und selbst für den Jüngsten unter ihnen hatte das Wort «Profit» einen fast religiösen Klang. Jim hielt auf das holländische Schiff zu. Es war ein hoher Dreidecker, zwanzig Kanonen zu jeder Seite, Rah-getakelt, drei Masten, massig und breit, offenbar ein bewaffnetes Handelsschiff. Es hatte den VOC-Wimpel und die Flagge der Republik Holland gehisst. Als sie näher kamen, sah Jim die Sturmschäden an Rumpf und Takelage. Das Schiff hatte offenbar eine raue Überfahrt hinter sich. Aus noch größerer Nähe konnte Jim den Namen lesen, der in verblichenen Goldbuchstaben das Heck zierte: Het Gelukkige Meeuw, Die glückliche Möwe. Er grinste über den unpassenden Namen, mit dem man den alten Pott beehrt hatte. Dann verengten sich seine grünen Augen vor Verblüffung und Aufregung.

«Mein Gott, Frauen!» Er zeigte voraus. «Hunderte von Frauen!» Mansur und Zama kamen geschwind auf die Beine, klammerten sich an den Mast und hielten sich die Hände über die Augen, gegen die gleißende Sonne.

«Du hast Recht!», rief Mansur. Abgesehen von den Gattinnen der Bürger, ihren behäbigen Töchtern und den Huren in den Hafenkneipen gab es nicht viele Frauen am Kap der Guten Hoffnung.

«Schaut nur», keuchte Jim begeistert. «Schaut euch nur diese Schönheiten an.» Das Deck vor dem Großmast wimmelte von weiblichen Gestalten.

«Woher willst du aus unserer Entfernung wissen, dass sie schön sind?», fragte Mansur. «Wir sind zu weit entfernt, um das sagen zu können. Wahrscheinlich sind es lauter hässliche alte Hexen.»

«Nein, so grausam könnte Gott nicht sein», lachte Jim aufgeregt. «Jede von ihnen ist ein Engel des Himmels, das weiß ich einfach.»

Auf dem Achterdeck war eine kleine Gruppe von Offizieren zu sehen, und Trauben von Matrosen waren schon dabei, die beschädigte Takelage zu reparieren und den Rumpf neu anzustreichen. Die drei jungen Männer in dem Skiff hatten jedoch nur Augen für die Frauengestalten auf dem Vordeck. Wieder wehte eine Wolke des Gestanks zu ihnen herüber, von der das Schiff umgeben war, und Jim rief erschrocken aus: «Sie sind in Fußeisen!»

«Sträflinge», nickte Mansur. «Deine Engel des Himmels sind weibliche Sträflinge, hässlicher als die Sünde.»

Sie waren inzwischen so nah dran, dass sie die Gesichter einiger der zerlumpten Gestalten ausmachen konnten, das fettige Haar, die zahnlosen Münder, die zerfurchte Haut des Alters, die eingesunkenen Augen und, auf den meisten der elenden Gesichter, die hässlichen Skorbutflecke. Sie starrten mit matten, hoffnungslosen Blicken auf das Boot hinab, zeigten kein Interesse, keinerlei Gefühl.

Sobald das Skiff in Rufweite kam, eilte ein Unteroffizier in einer blauen Wolljacke an die Reling und hielt sich ein Sprachrohr vor den Mund. «Haltet Abstand!», rief er auf Holländisch. «Dies ist ein Sträflingsschiff. Bleibt weg oder wir eröffnen das Feuer.»

«Er meint es ernst», sagte Mansur. «Lasst uns besser hier verschwinden.»

Jim ignorierte den Rat und hielt einen der Fische hoch. «Vars vis! Frischer Fisch!», rief er zurück. «Direkt aus dem Meer, vor einer Stunde gefangen.» Der Mann an der Reling zögerte und Jim sah seine Gelegenheit. «Schaut euch diesen hier an.» Er zeigte auf den riesigen Barsch, der fast das ganze Boot einnahm. «Rotbarsch! Der feinste Speisefisch des Ozeans, groß genug, euch alle Mann für eine Woche im Futter zu halten.»

«Wartet!», rief der Mann. Er lief über das Deck zu der Gruppe von Offizieren. Es gab eine kurze Diskussion und dann kam er zur Reling zurück. «Also gut, kommt heran, aber haltet euch vom Bug fern. Legt an den Heckwanten an.»

Mansur holte das kleine Segel ein und sie ruderten den Schiffsbauch entlang. Drei Matrosen standen an der Reling und zielten mit ihren Musketen auf sie.

«Versucht ja keine Tricks», warnte sie der Unteroffizier, «sonst habt ihr alle gleich eine Kugel im Bauch.»

Jim grinste freundlich zu ihm hinauf und zeigte ihm seine leeren Hände. «Wir haben nichts Böses im Sinn, Mijnheer. Wir sind ehrliche Fischer.» Zama warf die Bootsleine einem Matrosen zu, der in den Wanten über ihnen wartete.

Der Proviantmeister des Schiffs, ein dicker, glatzköpfiger Mann, streckte den Kopf über die Bordwand und schaute in das Skiff hinab, um die Ware zu begutachten, die ihm angeboten wurde. Die Größe des Riesenbarsches schien ihn zu beeindrucken. «Ich will nicht schreien. Komm hoch, dann können wir uns unterhalten.», lud der Proviantmeister Jim ein, bevor er einem Matrosen befahl, eine Strickleiter über die Seite abzulassen. Dies war die Einladung, auf die Jim gehofft hatte. Er hangelte sich wie ein Akrobat die Leiter hinauf, schwang sich über das hohe Tumblehome und landete mit klatschenden, nackten Füßen auf den Planken neben dem Proviantmeister.

«Wie viel willst du für den Großen?», fragte der Mann zweideutig, während er Jims jugendlichen Körper mit dem abschätzenden Blick des Päderasten musterte.

«Fünfzehn Silbergulden für unsere gesamte Ladung Fisch.» Jim betonte das letzte Wort, da der Proviantmeister so offensichtlich Interesse an ihm zeigte.

«Bist du aus dem Irrenhaus entlaufen?», erwiderte der Mann. «Du, dein Fisch und dein schmutziges kleines Boot sind zusammen kaum die Hälfte wert.»

«Das Boot und ich sind nicht zu verkaufen», versicherte ihm Jim genüsslich. Wenn es ums Handeln ging, war er in seinem Element. Sie einigten sich schließlich auf acht Gulden für die ganze Ladung.

«Die kleinsten Fische möchte ich für unser Abendessen behalten», sagte Jim zum Schluss und der dicke Mann kicherte. «Du bist ein gerissener Kaufmann.» Er spuckte sich in die Hand, streckte sie Jim entgegen und sie besiegelten den Handel.

Jim ging zur Reling um zuzusehen, wie die Mannschaft der Möwe ein Frachtnetz abließ. Mansur und Zama hatten alle Mühe, den riesigen Fisch in das Netz zu schieben. Als er heraufgehievt war, wandte sich Jim wieder seinem Kunden zu. «Ich kann Ihnen eine Ladung frisches Gemüse verkaufen – Kartoffeln, Zwiebeln, Kürbisse, was Sie wollen, für die Hälfte des Preises, den Sie für Ware aus den Kompaniegärten bezahlen müssten.»

«Du weißt so gut wie ich, dass die VOC das Monopol hat», schüttelte der Mann den Kopf. «Es ist nicht erlaubt, von Privathändlern zu kaufen.»

«Das Problem lässt sich lösen, wenn ich den richtigen Leuten ein paar Gulden in die Hand drücke.» Jim fasste sich an die Nase. Jedermann wusste, wie leicht die Kompaniebeamten am Kap zufrieden zu stellen waren. Bestechung gehörte zum Alltag in den Kolonien.

«Na schön, dann bring mir also eine Ladung deiner besten Ware», stimmte der Proviantmeister zu und legte Jim onkelhaft die Hand auf den Arm. «Lass dich aber nicht erwischen. Wir wollen schließlich nicht, dass ein so hübscher Junge wie du von der Peitsche zerrissen wird.» Auf dem Vordeck kam plötzlich Unruhe auf und Jim schaute sich um, dankbar für die Erlösung von den plumpen, verschwitzten Annäherungsversuchen des Fettwanstes.

Die erste Gruppe der Gefangenen wurde unter Deck getrieben und eine andere Reihe kam an die frische Luft, um die Glieder zu strecken. Jim starrte das Mädchen an der Spitze dieser Gruppe an. Er atmete schneller, der Puls klopfte ihm in den Ohren. Sie war hoch gewachsen, dünn und blass. Sie trug einen fadenscheinigen Leinenkittel, der Saum so verschlissen, dass man durch die Löcher ihre Knie sehen konnte. Ihre Beine waren dünn und knochig, ebenso die Arme, das Fleisch vom Hunger aufgezehrt. Unter dem unförmigen Gewand wirkte ihr Körper knabenhaft, ohne jede weibliche Rundung, doch Jim achtete nicht auf ihren Körper: Er sah nur ihr Gesicht.

Der kleine Kopf saß anmutig auf ihrem langen Hals, wie eine geschlossene Tulpenblüte auf ihrem Stängel. Ihre Haut war blass, aber makellos, und so zart, dass er meinte, die Wangenknochen durchscheinen zu sehen. Selbst unter den grässlichen Umständen, die sie zu ertragen hatte, hatte sie sichtlich alles darangesetzt, nicht in dumpfe Verzweiflung zu sinken. Sie hatte ihr Haar zurückgerafft und zu einem dicken Zopf verwoben, der ihr über eine Schulter auf die Brust hing, und irgendwie war es ihr gelungen, es sauber und ordentlich zu erhalten. Der Zopf reichte ihr fast bist zur Taille, das Haar wie fein gesponnene, blonde Seide, im Sonnenschein schimmernd wie eine Goldguinee. Es waren jedoch ihre Augen, die Jim für eine lange Minute den Atem raubten. Sie waren blau wie der hohe afrikanische Mittsommerhimmel. Als sie ihn bemerkte, öffnete sie diese Augen weit, und ebenso die Lippen, hinter denen sich ebenmäßige, lückenlose weiße Zahnreihen verbargen. Sie blieb abrupt stehen, die Frau hinter ihr stolperte und sie verloren beide das Gleichgewicht. Fast wären sie gestürzt. Die Fußeisen klirrten und die anderen Frauen zerrten sie grob weiter, fluchend wie in den Docks von Antwerpen. «Komm schon, Prinzesschen, beweg deine hübsche Möse.»

Das Mädchen schien es nicht zu hören.

Einer der Wärter trat hinter sie. «Beweg dich schon, du dumme Kuh.» Er zog ihr das Knotenseil über die nackten, dünnen Oberarme, dass sofort eine rote Strieme zu sehen war. Jim war auf dem Sprung, ihr zu Hilfe zu eilen, doch der Wächter, der am nächsten bei ihm stand, bemerkte seine Bewegung und richtete die Mündung seiner Muskete auf ihn. Jim wich zurück. Er wusste, aus dieser Entfernung hätte ihm die Schrotladung die Eingeweide aus dem Bauch gerissen. Doch auch das Mädchen hatte seine Geste bemerkt. Sie taumelte vorwärts. Ihre Augen füllten sich mit Schmerzenstränen nach dem Hieb, den sie erlitten hatte. Mit einer Hand hielt sie sich die blutrote Strieme, doch ihr Blick blieb auf Jim gerichtet, der wie angewurzelt neben dem Proviantmeister stand. Er wusste, es war gefährlich und sinnlos, mit ihr zu reden, doch die Worte kamen ihm über die Lippen, bevor er sie verschlucken konnte, und seine Stimme war voller Mitleid. «Sie haben dich hungern lassen.»

Der blasse Abglanz eines Lächelns huschte über ihre Lippen, das einzige Zeichen, dass sie ihn gehört hatte, bevor die alte Schabracke hinter ihr sie weiterschubste. «Kein junger Schwanz für dich heute, Hoheit. Du musst dich schon mit deinem Fingerchen begnügen. Geh schon weiter!» Das Mädchen entfernte sich in Richtung Bug.

«Ich gebe dir einen Rat, Kerl», sagte der Proviantmeister neben ihm. «Lass dich ja nicht mit einer dieser Schlampen ein. Das wäre der schnellste Weg zur Hölle.»

Jim brachte ein Grinsen zustande. «Ich bin ein tapferer Mann, aber kein Idiot.» Er streckte seine Hand aus und der Fettwanst zählte ihm acht Silbermünzen auf die Handfläche. «Ich werde morgen mit einer Ladung Obst und Gemüse für Sie zurückkommen. Vielleicht können wir dann zusammen an Land gehen und in der Kneipe einen Grog trinken.» Während er sich in das Skiff hinunterhangelte, murmelte er: «Oder ich breche dir den Hals und die fetten Beine.» Er nahm seinen Platz an der Pinne ein.

«Leg ab, Segel hissen», rief er Zama zu, bevor er das Boot in den Wind drehte. Sie strichen die Seite der Möwe entlang. Die Deckel der Stückpforten standen offen, um Licht und Luft in die Kanonendecks zu lassen. Jim schaute durch die nächste Pforte, als sie daran vorbeitrieben. Das überfüllte, stinkende Unterdeck war ein Bild der Hölle. Es stank wie ein Schweinestall oder eine Jauchegrube. Hunderte von Menschen waren monatelang in diesem niedrigen, engen Raum eingepfercht gewesen.

Jim riss seinen Blick los und schaute zur Reling hoch über ihm hinauf, in der schwachen Hoffnung, das Mädchen noch einmal zu sehen, obwohl er damit rechnete, enttäuscht zu werden. Wie schlug sein Herz dann schneller, als diese unglaublich blauen Augen zu ihm herabblickten. Die Reihe der Gefangenen mit dem Mädchen an der Spitze taumelte die Reling entlang auf den Bug zu.

«Wie heißt du? Wie ist dein Name?», rief er verzweifelt. In diesem Augenblick gab es für ihn nichts Wichtigeres auf der Welt, als ihren Namen zu erfahren.

Ihre Antwort wurde vom Wind davongetragen, doch er konnte ihre Lippen lesen: «Louisa.»

«Ich werde zurückkommen, Louisa. Du darfst nicht verzagen», rief er leichtsinnig. Sie starrte ihn nur ausdruckslos an. Und dann tat er etwas noch Leichtsinnigeres. Er wusste, es war Wahnsinn, doch sie war kurz vorm Verhungern. Er griff nach der roten Stumpnose-Brasse, die er für sich behalten hatte. Sie wog fast zehn Pfund, doch er warf sie mit leichter Hand zur Reling hinauf. Louisa streckte die Arme aus und fing den Fisch mit beiden Händen, ihr Blick voller Hunger und Verzweiflung. Die verwachsene Hexe hinter ihr in der Reihe sprang vor und versuchte, ihr den Fisch aus den Händen zu reißen, und dann stürzten sich drei oder vier andere Frauen in den Kampf um den Fisch, wie eine Rotte Wölfinnen. Schließlich eilten die Wächter herbei und prügelten mit ihren Knotenseilen auf die kreischenden Frauen ein. Jim wandte sich ab. Die Szene drehte ihm fast den Magen um und wollte ihm das Herz brechen, solches Mitleid empfand er, und noch ein anderes Gefühl, das er sich nicht erklären konnte, weil er es noch nie empfunden hatte.

In dem Boot herrschte finsteres Schweigen, als die drei davonsegelten, und alle paar Minuten drehte sich Jim zu dem Gefangenenschiff um.

«Du kannst nichts für sie tun», sagte Mansur schließlich. «Vergiss sie, Vetter. Sie ist außerhalb deiner Reichweite.»

Jims Miene verfinsterte sich vor Zorn und Enttäuschung. «Ist sie das? Du denkst, du weißt alles, Mansur Courtney. Das wollen wir erst mal sehen. Warte nur ab.»

Auf dem Strand vor ihnen wartete ein Stallbursche mit einem Maultiergespann, bereit, ihnen dabei zu helfen, das Skiff auf den Sand zu ziehen. «Was sitzt ihr da wie ein Paar faule Kormorane? Holt schon das Segel ein!», knurrte Jim. Unfassbare, ziellose Wut lastete immer noch auf ihm wie eine dunkle Wolke.

An der ersten Brandungslinie ruhten sie sich auf ihren Rudern aus warteten auf die richtige Welle. Als Jim sie kommen sah, rief er: «Auf geht’s! Alle zusammen! Pull!»

Die Welle schob sich unter das Heck und plötzlich genossen sie das berauschende Gefühl, auf dem kräuselnden, grünen Wellenkamm auf den Strand zuzurasen. Die Welle trug sie hoch durch die Luft, bevor sie sich zurückzog und die drei sicher auf dem Strand absetzte. Sie sprangen aus dem Boot, und als der Bursche mit den Maultieren herbeigaloppiert kam, knoteten sie das Schleppseil an und liefen schreiend neben den Tieren her, die das Skiff schließlich weit über die Hochwasserlinie zogen.

«Ich brauche das Gespann morgen früh wieder», sagte Jim zu dem Stallburschen.

«Wir fahren also wieder zu diesem Höllenschiff hinaus?», fragte Mansur zweifelnd.

«Ja, um ihnen eine Ladung Gemüse zu bringen», entgegnete Jim mit unschuldiger Miene.

«Und wogegen willst du das eintauschen?», fragte Mansur in ebenso harmlosem Ton. Jim boxte ihm sanft den Arm und sie sprangen auf die nackten Maultierrücken. Jim blickte noch einmal finster über die Bucht zurück zu der Stelle, wo das Gefängnisschiff vor Anker lag, und dann ritten sie den Strand entlang um die Lagune, den Hügel hinauf, auf die gekalkten Gebäude zu, das Wohnhaus und das Lagerhaus des Anwesens, das Thomas Courtney High Weald getauft hatte, nach dem großen Gutshaus in Devon, wo er und Dorian geboren waren.

Der Name war das Einzige, was die beiden Häuser gemeinsam hatten. Dieses hier war im Kap-Stil errichtet worden. Das Dach war dick mit Reet gedeckt. Die eleganten Giebel und den Torbogen, der auf den Haupthof führte, hatte der berühmte holländische Architekt Anreith entworfen. Der Name des Anwesens und der Familie waren in das schmuckvolle, Engel und Heilige darstellende Fresko über dem Tor eingearbeitet. Das Emblem war eine langläufige Kanone auf einer Fahrlafette, mit einem Band darunter, das die Buchstaben CBTC trug, für Courtney Brothers Trading Company. Eine andere Tafel trug die Inschrift High Weald, 1711. Das Haus war in demselben Jahr erbaut worden, in dem Jim und Mansur geboren waren.

Als sie durch das Tor auf den gepflasterten Hof ritten, kam Tom Courtney aus dem Lagerhaus gestampft. Er war fast zwei Meter groß, mit schweren, breiten Schultern. Sein dichter, schwarzer Bart war mit silbernen Strähnen durchschossen, sein schimmernder Glatzkopf von buschigen, schwarzen Locken umkränzt. Sein Bauch, einst flach und hart, hatte einen respektablen Umfang angenommen. Sein verwittertes Gesicht war von Lachfalten durchzogen, in seinen Augen schimmerten das sonnige Gemüt und die Zufriedenheit eines überaus erfolgreichen und wohlhabenden Mannes.

«James Courtney! Du bist so lange weg gewesen, dass ich gar nicht mehr weiß, wie du aussiehst. Gut, dass ihr vorbeikommt. Ich möchte euch ja keine Unannehmlichkeiten bereiten, aber hat irgendjemand von euch vor, heute ein wenig zu arbeiten?»