Das Buch
Haben Sie schon Ihr Ikigai gefunden? Ikigai ist Japanisch und bedeutet Lebenssinn. Es ist das, was uns im Leben antreibt, uns Kraft, Lebensfreude und Vertrauen schenkt. Wer sein Ikigai kennt und auf ausgewogene Ernährung und Bewegung achtet, hat die Chance, gesund und glücklich alt zu werden.
Hier erfahren Sie, wie Sie Ihr Ikigai finden. Dabei kommen die Einwohner der Insel Okinawa zu Wort, die bekannt ist als Insel der Hundertjährigen. Neben zahlreichen praktischen Anleitungen und Tipps offenbaren sie uns ihr Geheimnis eines langen Lebens.
Die Autoren
Francesc Miralles ist ein Multitalent. Er macht Musik, schreibt, wurde vielfach ausgezeichnet, und arbeitete einige Jahre als Indie-Verleger. Zahlreiche seiner Bücher wurden Bestseller. Heute ist er in seiner Lieblingsstadt Barcelona zuhause.
www.francescmiralles.com
Héctor García (Kirai) wurde 1981 in Spanien geboren. Nachdem er als Informatiker in der Schweiz gelebt hat, zog er 2004 nach Tokio, Japan, wo er in der Software-Entwicklung tätig ist.
www.kirainet.com
Francesc Miralles
Héctor García (Kirai)
IKIGAI
Gesund und glücklich hundert werden
Aus dem Spanischen von
Maria Hoffmann-Dartevelle
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel
IKIGAI – Los secretos de Japón para una vida larga y feliz
im Verlag Ediciones Urano, Barcelona, Spanien
Die Übersetzerin dankt dem Freundeskreis Literaturübersetzer e.V. für ein Arbeitsstipendium, das vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg ermöglicht wurde.
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ISBN: 978-3-8437-1560-7
© der deutschen Ausgabe 2016 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
© der Originalausgabe 2016 by Héctor García (Kirai) and Francesc Miralles, all Rights Reserved.
Translation rights arranged by Sandra Bruna Agencia Literaria, S. L. through SvH Literarische Agentur.
Illustrationen im Innenteil © 2016, Marisa Martínez
Grafiken im Innenteil © 2016, Flora Buki
Übersetzung: Maria Hoffmann-Dartevelle
Lektorat: Uwe Raum-Deinzer
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Für meinen Bruder Aitor,
den Menschen, der am häufigsten zu mir gesagt hat:
»Bruder, ich weiß nicht, was ich aus meinem Leben machen soll!«
Héctor García (Kirai)
Für all meine Freunde,
vergangene, gegenwärtige und zukünftige, sie sind mein Zuhause und meine Motivation auf dem Lebensweg.
Francesc Miralles
»Nur wenn du aktiv bleibst, wirst du dir wünschen, hundert Jahre zu leben.«
Japanisches Sprichwort
Ein geheimnisvolles Wort
Die Entstehung dieses Buches nahm ihren Anfang in einer regnerischen Nacht in Tokio, als wir, seine beiden Autoren, uns in einer jener winzigen Kneipen trafen, von denen es in dieser Stadt so viele gibt.
Jeder von uns hatte Bücher des anderen gelesen, persönlich aber kannten wir uns noch nicht, was an den 10.000 Kilometern lag, die Barcelona von der japanischen Hauptstadt trennen. Ein gemeinsamer Freund hatte den Kontakt zwischen uns hergestellt, und an jenem Abend in der Tokioter Kneipe begann eine Freundschaft, aus der dieses Buch hervorging und die ganz danach aussieht, als werde sie ein Leben lang halten.
Bei einer zweiten Begegnung ein Jahr später kamen wir bei einem Spaziergang durch das Zentrum von Tokio auf die verschiedenen Strömungen der westlichen Psychologie zu sprechen, unter anderem auf die Logotherapie, die Therapie des Lebenssinns.
Wir stellten fest, dass dieser Ansatz von Viktor Frankl in letzter Zeit zugunsten anderer psychologischer Schulen an Beachtung verloren hat, zumindest im Bereich psychologischer Beratung. Gleichwohl suchen wir Menschen stets nach dem Sinn dessen, was wir tun und erleben, und stellen uns Fragen wie:
Was ist der Sinn meines Lebens?
Geht es im Leben nur darum, die Tage aneinanderzureihen, oder hat der Mensch in der Welt eine höhere Aufgabe?
Warum gibt es Menschen, die wissen, was sie wollen, und ihr Dasein einer Leidenschaft widmen, während andere sich ziellos durchs Leben treiben lassen?
Im Verlauf unseres Gesprächs tauchte auch das geheimnisvolle Wort Ikigai auf.
Dieser japanische Begriff, den man ungefähr mit »das Glück, immer beschäftigt zu sein« übersetzen könnte, ist eng verwandt mit dem Ansatz der Logotherapie, geht aber noch einen Schritt weiter. Ikigai scheint zudem eine der Ursachen für die außergewöhnliche Langlebigkeit der Japaner zu sein, vor allem jener, die auf der Insel Okinawa leben.
Dort kommen auf 100.000 Einwohner 24,55 Hundertjährige, deutlich mehr als im weltweiten Vergleich.
Forscht man nach den Gründen, warum auf dieser südjapanischen Insel die Menschen länger leben als an jedem anderen Ort auf der Welt, drängt sich die Vermutung auf, dass jenseits der gesunden Ernährung, des einfachen Lebens an der frischen Luft, des grünen Tees und des subtropischen Klimas – die Durchschnittstemperaturen auf Okinawa ähneln denen auf Hawaii – ebenjenes Ikigai, das ihr Leben prägt, die Antwort liefern könnte.
Als wir uns näher mit diesem Konzept befassten, stellten wir fest, dass es bislang keine populärwissenschaftlichen Publikationen im Bereich Psychologie oder Persönlichkeitswachstum gibt, die der Ikigai-Philosophie auf den Grund zu gehen und sie auf die westliche Welt zu übertragen versuchen.
Liegt es am Ikigai, dass es in Okinawa mehr Hundertjährige gibt als irgendwo sonst auf der Welt? Wie stimuliert es die Menschen dazu, bis zuletzt aktiv zu bleiben? Worin liegt das Geheimnis eines langen, glücklichen Lebens?
Bei unseren Nachforschungen entdeckten wir, dass es auf Okinawa ein außergewöhnliches Dorf gibt, eine 3.000 Einwohner zählende ländliche Gemeinde im Norden der Insel, auf der die weltweit höchste Lebenserwartung anzutreffen ist. Deshalb wird es auch das »Dorf der Hundertjährigen« genannt.
Wir nahmen uns vor, einmal an Ort und Stelle, in Ogimi – so der Name dieses Ortes – den Geheimnissen jener hundertjährigen Japaner nachzugehen, die bis ins hohe Alter aktiv sind und offensichtlich ein sehr zufriedenes Leben führen.
So begaben wir uns nach einjähriger theoretischer Vorarbeit mit unseren Kameras und Aufnahmegeräten nach Ogimi. In diesem Dorf sprechen die Menschen nicht nur eine ganz eigene, uralte Sprache, sondern praktizieren auch eine animistische Religion, die um einen sagenumwobenen Waldgeist mit langen Haaren kreist, den Bunagaya.
Aufgrund der fehlenden touristischen Infrastruktur mussten wir uns zwanzig Kilometer vom Dorf entfernt eine Bleibe suchen. In Ogimi angekommen, fiel uns sogleich die Liebenswürdigkeit seiner Einwohner auf, lachender und scherzender Menschen, die am Fuße dicht bewaldeter, üppig grüner Berghänge leben.
Wir erfuhren, dass Ogimi das Hauptanbaugebiet der japanischen Shikuwasa ist, der »Zitrone Okinawas«, einer Frucht von enormem antioxidativem Potenzial.
Schlummert vielleicht in dieser Frucht das Langlebigkeitsgeheimnis der Menschen aus Ogimi? Oder im reinen Wasser, mit dem sie ihren Sanpincha-Tee zubereiten?
Im Verlauf unserer Gespräche mit den ältesten Menschen des Ortes wurde uns klar, dass da anscheinend etwas viel Tieferes eine Rolle spielt als die Kraft jener Gaben der Natur. Etwas, das zu der ungewöhnlichen Fröhlichkeit beiträgt, die die Einheimischen des Dorfes ausstrahlen, und das sie besonders lang und glücklich leben lässt.
Wieder das mysteriöse Ikigai.
Was aber hat es damit auf sich? Wie erlangt man es?
Immer wieder staunten wir, dass der Ort, an dem beinahe ewiges Leben möglich scheint, ausgerechnet auf Okinawa liegt, wo Ende des Zweiten Weltkrieges 200.000 unschuldige Menschen ihr Leben ließen.
Statt Groll auf die einstigen Invasoren zu hegen, halten die Okinawaner sich an die lokale Redensart »Ichariba chode«, die so viel bedeutet wie »Behandle alle Menschen, als wären sie deine Brüder, selbst wenn du ihnen zum ersten Mal begegnest«.
So ist denn auch eines der Charakteristika der Bewohner von Ogimi ihr Gemeinschaftssinn. Von klein auf betreiben sie Yuimaaru – Gruppenarbeit – und lernen dabei, sich gegenseitig zu helfen.
Freundschaften pflegen, leichtes Essen, ausreichend Erholung und sanfte körperliche Aktivität – all dies trägt zu ihrer Gesundheit bei, doch im Zentrum ihrer »joie de vivre«, der Lebensfreude, die sie motiviert, alt zu werden und jeden neuen Morgen freudig zu begrüßen, steht das persönliche Ikigai jedes Einzelnen.
Ziel dieses Buches ist es, Sie in die Geheimnisse der japanischen Hundertjährigen einzuweihen, Ihnen zu zeigen, wie man ein gesundes, erfülltes Leben führen kann und was man zu tun vermag, um sein eigenes Ikigai zu entdecken.
Wer es gefunden hat, besitzt alles Notwendige für einen langen, glücklichen Lebensweg.
Gute Reise!
Francesc Miralles & Héctor García (Kirai)
I
Die Philosophie des Ikigai
Die Kunst, zu altern und dennoch jung zu bleiben
Was macht dein Leben lohnenswert?
Den Japanern zufolge hat jeder Mensch ein Ikigai, was ein französischer Philosoph mit »raison d’être« übersetzen würde. Manche Menschen haben es gefunden, sind sich ihres Ikigai bewusst, andere tragen es in sich, suchen aber noch danach.
Das Ikigai ist in unserem Innern verborgen, und wir müssen geduldig forschen, um bis in die Tiefe unseres Wesens vorzudringen und es zu finden. Laut den Einheimischen von Okinawa, der Insel mit der größten Anzahl Hundertjähriger auf der Welt, ist Ikigai das, wofür es sich lohnt, morgens aufzustehen.
Bitte setzen Sie sich nicht zur Ruhe
Ein klar umrissenes Ikigai zu haben, eine große Leidenschaft, schenkt uns Zufriedenheit und Glück und gibt unserem Leben einen Sinn. Dieses Buch soll Ihnen helfen, Ihr Ikigai zu finden. Außerdem werden Sie darin viele der in der japanischen Philosophie enthaltenen Schlüssel zur Erlangung eines hohen Alters in körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheit entdecken.
Wer eine Zeitlang in Japan lebt, staunt immer wieder über das aktive Leben, das die Menschen dort auch noch im Rentenalter führen. Viele Japaner gehen im Grunde nie »in den Ruhestand«, sondern arbeiten, solange ihre Gesundheit es zulässt, weiterhin in dem Bereich, der ihnen gefällt.
In Japan gibt es eigentlich gar kein Wort für »in Rente gehen« im Sinne eines endgültigen Rückzugs aus dem aktiven Leben, wie das bei uns im Westen der Fall ist. Dan Buettner, Journalist bei National Geographic und Japankenner, behauptet, »ein Lebensziel zu verfolgen, ist in dieser Kultur so wichtig, dass die Menschen unsere Vorstellung von Ruhestand gar nicht haben«.
Die Insel der (beinahe) ewigen Jugend
Einige Untersuchungen zur Langlebigkeit lassen vermuten, dass ein Leben in der Gemeinschaft und ein klares Ikigai für die Erlangung eines hohen Alters ebenso wichtig sind wie die gesunde japanische Ernährung, wenn nicht gar noch wichtiger. Das Konzept, das wir in diesem Buch erforschen wollen, ist vor allem in Okinawa verwurzelt, einer der sogenannten »Blauen Zonen«, jener Orte auf der Welt, an denen die Menschen sehr alt werden.
Auf der Insel Okinawa kommen auf 100.000 Einwohner mehr über Hundertjährige als irgendwo sonst auf unserem Planeten. Jüngste medizinische Studien haben viel Interessantes hinsichtlich der Eigenschaften dieser außergewöhnlichen Menschen erbracht:
•Sie leben nicht nur wesentlich länger als der Rest der Weltbevölkerung, sie leiden auch seltener an chronischen Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Beschwerden, und entzündliche Erkrankungen kommen bei ihnen ebenfalls nicht so oft vor wie anderswo.
•Auf Okinawa leben viele beneidenswert vitale Hundertjährige in einer gesundheitlichen Verfassung, die bei alten Menschen in anderen Breiten undenkbar wäre.
•In ihrem Blut finden sich weniger freie Radikale, jene Stoffwechselprodukte, die für die Zellalterung verantwortlich sind. Grund dafür sind die Teekultur und die Angewohnheit der Okinawaner, gerade so viel zu essen, dass der Magen zu 80 Prozent gefüllt ist.
•Die Wechseljahre der Frauen verlaufen milder, und in der Regel verfügen Männer wie Frauen bis ins fortgeschrittene Alter über einen hohen Anteil an Sexualhormonen.
•Auch Demenzerkrankungen trifft man hier, verglichen mit ihrem durchschnittlichen Vorkommen in der Weltbevölkerung, viel seltener an.
Mit all diesen Aspekten wollen wir uns im vorliegenden Buch befassen. Wissenschaftler aber betonen, dass die Gesundheit und Langlebigkeit der Bewohner von Okinawa zu einem großen Teil auf ihre Ikigai-Einstellung zurückzuführen ist, die jedem Tag ihres Lebens einen tiefen Sinn verleiht.
IKIGAI IN JAPANISCHEN SCHRIFTZEICHEN
Ikigai schreibt sich , wobei »Leben« bedeutet und »sich lohnen«. lässt sich wiederum zerlegen in , das für »Rüstung«, »Nummer eins« sowie »allen vorangehen (in einer Schlacht Initiative und Führung ergreifen)« steht, und das »elegant«, »hübsch« bedeutet.
Die fünf Blauen Zonen
Als »Blaue Zonen« werden die von Forschern und Demographen ermittelten Regionen bezeichnet, in denen ungewöhnlich viele Fälle von Langlebigkeit vorkommen. Auf der Liste dieser fünf Zonen steht die japanische Insel Okinawa an erster Stelle. Die Menschen, die dort leben, vor allem die Frauen, erreichen – ohne Krankheit – das weltweit höchste Alter.
Die fünf Regionen, die Buettner in seinem Buch Blue Zones (Blaue Zonen) ermittelt und erforscht hat, sind:
1.Okinawa, Japan (besonders der Norden der Insel). Die Bewohner ernähren sich vorwiegend von Gemüse und Tofu. Sie essen von kleinen Tellern. Neben der Ikigai-Philosophie hat vor allem der Moai-Gedanke (Moai: Gruppe enger Freunde), den wir noch erläutern werden, einen Einfluss auf ihre Lebenserwartung.
2.Sardinien, Italien (in erster Linie die Provinzen Nuoru und Ogliastra). Auf Sardinien wird viel Gemüse gegessen und Wein getrunken. Man lebt in engen Gemeinschaften, was sich stark auf die Lebenserwartung auswirkt.
3.Loma Linda, Kalifornien. Forscher untersuchten hier eine Gruppe von Siebenten-Tags-Adventisten, die zu den langlebigsten Menschen in den Vereinigten Staaten zählen.
4.Halbinsel Nicoya, Costa Rica. Zahlreiche Einwohner sind über neunzig Jahre alt und erstaunlich vital. Viele von ihnen stehen morgens um halb sechs auf und erledigen ohne größere Schwierigkeiten Feldarbeiten.
5.Ikaria, Griechenland. Auf dieser Insel nahe der türkischen Küste ist jeder dritte Einwohner über neunzig Jahre alt (in Spanien erreicht nicht einmal 1 Prozent der Bevölkerung dieses Alter), was ihr den Namen »Insel der Langlebigkeit« eingebracht hat. Angeblich geht das Geheimnis der Inselbewohner auf einen seit 500 v. Chr. praktizierten Lebensstil zurück.
Wir werden einige der Faktoren untersuchen, die diesen Regionen gemeinsam und vermutlich auch der Schlüssel zu hoher Lebenserwartung sind. Im Zentrum stehen dabei Okinawa und das »Dorf der Hundertjährigen«, dem wir einen bedeutenden Teil unserer Studie gewidmet haben. Zunächst aber erscheint uns der Hinweis interessant, dass drei der Blauen Zonen Inseln sind. Da diese über relativ geringe eigene Ressourcen verfügen, müssen sich die Gemeinschaften untereinander helfen.
Die Notwendigkeit gegenseitiger Hilfe scheint tatsächlich für viele Menschen ein mächtiges Ikigai zu sein, das sie lange am Leben hält.
Den Wissenschaftlern zufolge, die den Alltag in den fünf Blauen Zonen miteinander verglichen haben, bilden bewusste Ernährung, körperliche Betätigung, das Vorhandensein eines Lebensziels (eines Ikigai) und starke soziale Bindungen, das heißt ein großer Freundeskreis und gute familiäre Beziehungen, die Geheimnisse eines langen Lebens.
Die erwähnten Gemeinschaften teilen sich die Zeit sorgsam ein, um den Stress gering zu halten, essen wenig Fleisch und verarbeitete Lebensmittel und mäßigen ihren Alkoholkonsum.
Sie treiben nicht exzessiv Sport, verschaffen sich aber täglich Bewegung, bei Spaziergängen oder Gartenarbeit. Die Bewohner der Blauen Zonen gehen lieber zu Fuß, als mit dem Auto zu fahren. Bei allen ist Gärtnern an der Tagesordnung, eine Beschäftigung, die tägliche, aber moderate körperliche Betätigung erfordert.
Das Geheimnis der achtzig Prozent
Eines der bekanntesten Sprichwörter Okinawas, das die Menschen dort einander vor und nach den Mahlzeiten sagen, lautet »Hara hachi bu« und bedeutet in etwa »Füll den Magen zu 80 Prozent«. Die altüberlieferte Weisheit rät dazu, sich nicht mit Essen vollzustopfen. So hören die Bewohner Okinawas auf zu essen, wenn sie spüren, dass ihr Magen zu 80 Prozent gefüllt ist, statt sich satt zu essen, was dem Körper größere Anstrengung abverlangt und wegen der aufwendigeren Verdauung die Zelloxidation beschleunigt.
Vielleicht ist diese schlichte Weisheit eines der Geheimnisse der Langlebigkeit der Okinawaner.
Auf ihrem Speiseplan finden sich viel Tofu, Süßkartoffeln, Fisch (dreimal die Woche) und Gemüse (300 Gramm täglich). Im Kapitel über Ernährung werden wir sehen, welche Nahrungsmittel ihre 80-prozentige gesunde und antioxidative Ernährung im Einzelnen umfasst.
Wichtig ist auch die japanische Art, das Essen zu servieren. Es wird in der Regel auf mehrere Schälchen verteilt, so dass man tendenziell weniger isst. Dies erklärt im Übrigen, warum viele Menschen aus dem Westen in Japan abnehmen und schlank bleiben.
Neueren ernährungswissenschaftlichen Untersuchungen zufolge liegt der tägliche Kalorienverbrauch der Okinawaner bei etwa 1.800 bis 1.900 Kalorien, und ihr Körpermasseindex schwankt zwischen 18 und 22, während er in den USA bei durchschnittlich 26 bis 27 liegt.
Moai:
Bindungen für ein langes Leben
Hierbei handelt es sich um eine Tradition Okinawas – und Kagoshimas –, eine Form der Pflege enger Bindungen in den lokalen Gemeinschaften. Ein Moai ist eine informelle Gruppe von Menschen mit gemeinsamen Interessen, die einander helfen. Für viele ihrer Mitglieder wird der Dienst an der Gemeinschaft zu einem ihrer Ikigais.
Moais sind einst in schwierigen Zeiten entstanden, als die Bauern sich zusammenschlossen, um sich über die besten Anbaumethoden auszutauschen und einander in Jahren schlechter Ernte beizustehen.
Die Mitglieder eines Moai zahlen monatlich eine vereinbarte Summe in einen Gemeinschaftstopf. Dieser Beitrag berechtigt sie zur Teilnahme an Treffen, gemeinsamen Abendessen, Go- und Shogi-Partien (Shogi ist das japanische Schachspiel) oder anderen Gruppenhobbys.
Das Geld aus der Gemeinschaftskasse ist für diese Beschäftigungen gedacht. Kommt allerdings mehr als nötig zusammen, erhalten die Mitglieder (reihum) eine – ebenfalls festgelegte – Summe. Man zahlt zum Beispiel monatlich 5.000 Yen ein und erhält nach zwei Jahren 50.000 Yen (eine Form des Sparens mit Hilfe der anderen). Nach zwei weiteren Jahren und einem Monat bekommt dann ein Freund aus demselben Moai seinerseits 50.000 Yen.
Einem Moai anzugehören, trägt zum Erhalt emotionaler und finanzieller Stabilität bei. Gerät ein Mitglied der Gruppe in ökonomische Schwierigkeiten, kann es sich Gemeinschaftsersparnisse vorzeitig »auszahlen« lassen. Jedes Moai hat seine eigene Buchhaltung, die sich nach den jeweiligen ökonomischen Möglichkeiten voneinander unterscheiden.
Über die Finanzen eines Moai wird in einem Notizbuch namens Moaicho Buch geführt.
Das Gefühl von Zusammengehörigkeit und gegenseitiger Hilfe gibt dem Einzelnen Sicherheit und trägt zur Erhöhung seiner Lebenserwartung bei.
Nach dieser kurzen Einführung in die Themen des vorliegenden Buchs wollen wir uns zunächst mit einigen Gründen für vorzeitiges Altern in der modernen Welt befassen und anschließend verschiedene mit dem Ikigai verbundene Faktoren betrachten.
II
Anti-Aging-Gesetze
Alltagsfaktoren, die einen langen, angenehmen Lebensweg begünstigen