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Annette Kulbe, Jahrgang 1965, ist Diplom-Pädagogin mit Ausbildungen in humanistischer Gesprächsführung und Gestalttherapie. Als Krankenschwester mit Weiterbildungen in Sterbebegleitung und Palliative Care arbeitete sie in der Onkologie und verschiedenen Hospizen.

 

Die freie Fachbuchautorin mit dem Themenschwerpunkt Pflege ist im kirchlichen und sozialen Bereich tätig. Sie lebt in Eckernförde/Ostsee.

Annette Kulbe

Grundwissen Psychologie, Soziologie und Pädagogik

Lehrbuch für Pflegeberufe

3., überarbeitete und erweiterte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030903-6

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-030904-3

epub:    ISBN 978-3-17-030905-0

mobi:    ISBN 978-3-17-030906-7

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Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. Vorwort zur 3. Auflage
  2. 1 Pflege und Psychologie, Soziologie und Pädagogik
  3. 1.1 Entwicklungstendenzen und Veränderungen in Pflege und Medizin
  4. 1.1.1 Krankheit heute
  5. 1.1.2 Auswirkungen auf Pflege und Medizin
  6. 1.2 Psychologie
  7. 1.3 Soziologie
  8. 1.4 Pädagogik
  9. 2 Gesundheit im neuen Verständnis
  10. 2.1 Was ist Gesundheit? Zum unterschiedlichen Verständnis von Gesundheit und Krankheit
  11. 2.1.1 Verschiedene Gesundheitsdefinitionen
  12. 2.1.2 Heutige Gesundheitsvorstellung
  13. 2.1.3 Medizinisches Verständnis von Gesundheit
  14. 2.1.4 Gesundheit und Krankheit in der Klassischen Schulmedizin
  15. 2.1.5 Soziologisches Verständnis von Gesundheit
  16. 2.1.6 Psychologisches Verständnis von Gesundheit
  17. 2.2 Das Laienverständnis von Gesundheit – Wann fühlen Menschen sich gesund?
  18. 2.3 Das Bio-Psycho-Soziale Verständnis von Gesundheit/Krankheit
  19. 2.4 Kohärenz
  20. 2.5 Resilienz
  21. 2.5.1 Pflegefachkräfte: Resilienz oder Burnout?
  22. 2.5.2 Resilienz bei Patienten
  23. 3 Der Mensch und seine Gesundheit
  24. 3.1 Gesundheitswissenschaften (international als Health Sciences oder als Public Health bekannt)
  25. 3.2 Gesundheitspsychologie
  26. 3.3 Gesundheitsförderung
  27. 3.4 Gesundheitsprävention
  28. 3.5 Pflege und Gesundheitsprävention
  29. 3.5.1 Prophylaxen
  30. 3.5.2 Aktivierende Pflege und Empowerment
  31. 4 Krankheit – psychosoziale Aspekte
  32. 4.1 Gesundheit, Krankheit und Pflege
  33. 4.2 Der kranke Mensch
  34. 4.3 Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn
  35. 4.4 Das Konzept der Krankenrolle
  36. 4.5 Patientenkarriere
  37. 4.6 Krankheitsverhalten
  38. 5 Der Patient und seine Sichtweise
  39. 5.1 Einführung in die Welt des Patienten
  40. 5.1.1 Der Mensch im Krankenhaus
  41. 5.1.2 Reaktionen auf den Krankenhausalltag
  42. 5.1.3 Egozentrische Reaktionen des Patienten
  43. 5.2 Die Krankenhauswelt: Von der Einweisung ins Krankenhaus bis zum Stationsalltag
  44. 5.3 Krankheitserleben und Krankheitsbewältigung
  45. 5.3.1 Krankheitserleben
  46. 5.3.2 Krankheitsbewältigung (Coping)
  47. 5.4 Die Kooperationsbereitschaft des Patienten (Compliance)
  48. 5.5 Patientenkompetenz und Patienten-Empowerment
  49. 5.6 Historischer Wandel der Patientenrolle
  50. 6 Gesundheit und Krankheit im Alter. Patienten der Zukunft: Alte Menschen
  51. 6.1 Alter – Altern – Alte Menschen
  52. 6.2 Das Altersbild
  53. 6.3 Altersmodelle
  54. 6.4 Was ist Alter(n)?
  55. 6.5 Gesundheit und Krankheit im Alter
  56. 6.6 Soziologische und psychologische Aspekte von Alter(n) und Gesundheit
  57. 6.6.1 Subjektive Gesundheit: Wie wird Gesundheit im Alter wahrgenommen?
  58. 6.6.2 Funktionale Pflege (ADL und IADL)
  59. 7 Psychologische Grundlagen menschlichen Verhaltens und Erlebens
  60. 7.1 Was ist Psychologie?
  61. 7.1.1 Menschliches Verhalten und Erleben
  62. 7.1.2 Erklärung des menschlichen Verhaltens und Erlebens
  63. 7.2 Unterschied zwischen Alltagspsychologie und wissenschaftlicher Psychologie
  64. 7.3 Ziele und Methoden der Psychologie
  65. 7.4 Wie kann menschliches Verhalten und Erleben wissenschaftlich erfasst werden?
  66. 7.5 Grundrichtungen der Psychologie
  67. 7.5.1 Tiefenpsychologie
  68. 7.5.2 Lern- und Verhaltenspsychologie
  69. 7.5.3 Humanistische Psychologie
  70. 7.5.4 Systemische Psychologie
  71. 7.5.5 Positive Psychologie
  72. 7.6 Teilbereiche der speziellen Psychologie
  73. 7.7 Auswahl spezieller Teildisziplinen der Psychologie für die Pflege
  74. 7.7.1 Entwicklungspsychologie
  75. 7.7.2 Persönlichkeitspsychologie (Differenzielle Psychologie)
  76. 7.7.3 Sozialpsychologie
  77. 7.7.4 Klinische Psychologie
  78. 7.7.5 Medizinische Psychologie
  79. 7.7.6 Gesundheitspsychologie
  80. 7.8 Psychologie in Abgrenzung zu anderen verwandten Wissenschaften
  81. 7.8.1 Soziologie
  82. 7.8.2 Pädagogik
  83. 7.8.3 Psychiatrie
  84. 7.8.4 Sozialpsychiatrie
  85. 7.8.5 Psychosomatik
  86. 7.8.6 Psychotherapie
  87. 7.8.7 Psychohygiene
  88. 7.9 Konfliktpsychologie und Mediation
  89. 8 Motive und Bedürfnisse
  90. 8.1 Motivationspsychologie – was Menschen zum Handeln bewegt
  91. 8.1.1 Motiv und Motivation
  92. 8.1.2 Motivkonflikt und Motivverschiebung
  93. 8.1.3 Wie entsteht Motivation?
  94. 8.2 Menschliche Bedürfnisse – die Bedürfnishierarchie
  95. 8.3 Bedürfnisse im Krankenhaus
  96. 8.3.1 Patientenbedürfnisse
  97. 8.3.2 Bedürfnisse des Pflegepersonals
  98. 8.4 Attribution: »Warum«-Fragen des Menschen
  99. 8.4.1 Das menschliche Bedürfnis nach Antworten und Erklärungen
  100. 8.4.2 Ursachenvielfalt, Patientenverhalten und Attribution
  101. 9 Wahrnehmung und Wirklichkeit – psychologische Aspekte
  102. 9.1 Wahrnehmungspsychologie und Wahrnehmung
  103. 9.2 Grundwissen Sinnesorgane
  104. 9.2.1 Organisationsprinzipien der menschlichen Wahrnehmung
  105. 9.2.2 Wahrnehmungsverarbeitung
  106. 9.2.3 Der erste Eindruck – wie Menschen einander wahrnehmen
  107. 9.3 Wahrnehmungsfehler
  108. 9.4 Gestörte Wahrnehmung
  109. 10 Kommunikation – zwischenmenschliche Beziehungen im Spannungsfeld von Pflege und Krankheit
  110. 10.1 Was ist Kommunikation?
  111. 10.2 Verbale und nonverbale Kommunikation
  112. 10.2.1 Verbale Kommunikation
  113. 10.2.2 Nonverbale Kommunikation
  114. 10.3 Wie funktioniert Kommunikation?
  115. 10.3.1 Die vier Seiten einer Nachricht
  116. 10.3.2 Die vier Ohren des Empfängers
  117. 10.3.3 Grundannahmen menschlicher Kommunikation: Die Kommunikationsgesetze
  118. 10.4 Kommunikationsstörungen
  119. 10.4.1 Störungen im Senderbereich
  120. 10.4.2 Störungen im Empfängerbereich
  121. 10.4.3 Störungen der Kommunikationsgesetze
  122. 10.4.4 Paradoxe Botschaften (Double Bind)
  123. 10.5 Wie können Kommunikationsstörungen verhindert oder behoben werden?
  124. 10.6 Krankheit und Kommunikation
  125. 10.6.1 Ausdrucksweisen des Körpers bei Krankheit
  126. 10.6.2 Krankenbeobachtung und Kommunikation in der Pflege
  127. 10.6.3 Nonverbale Ausdrucksweisen/Kommunikation des Körpers bei Krankheit
  128. 10.7 Pflege: Beeinträchtigte Kommunikation bei Patienten
  129. 10.8 Körperkontakt und Kommunikation in der Pflege: Nähe und Distanz
  130. 10.9 Kommunikationstipps für Pfegende
  131. 10.9.1 Kommunikationstipps
  132. 10.9.2 Sprechmuster von Pflegenden – was Sie vermeiden sollten
  133. 11 Gesprächsführung – ein zentraler Aspekt in der Pflege
  134. 11.1 Einführung
  135. 11.2 Gesprächsarten
  136. 11.3 Ich-zentrierte und Partner-/Patientenorientierte Gesprächsführung
  137. 11.4 Humanistische Grundhaltungen der Gesprächs- führung
  138. 11.5 Gesprächsführung lernen
  139. 11.5.1 Welche Faktoren beeinflussen ein Gespräch?
  140. 11.5.2 Fragetechniken
  141. 11.5.3 Ausgewählte Gesprächsbausteine für Pflegende
  142. 11.5.4 Tipps zur Gesprächsführung
  143. 12 Soziale Einstellungen – wie Menschen sich begegnen
  144. 12.1 Typologie
  145. 12.1.1 Einstellungen
  146. 12.1.2 Vorurteile
  147. 12.1.3 Stereotype
  148. 12.1.4 Stigmata
  149. 12.2 Funktionen sozialer Einstellungen
  150. 12.2.1 Orientierungshilfe und Vermeiden von Unsicherheit
  151. 12.2.2 Bewertungsfunktion
  152. 12.2.3 Handlungsfunktion
  153. 13 Menschliche Rollen – soziologische und psychologische Aspekte
  154. 13.1 Die Bedeutung von Rollen und Normen
  155. 13.2 Rollenerwartungen, Rollenattribute und -stereotype
  156. 13.3 Typische Rollenkonflikte
  157. 13.4 Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es, wenn Rollenkonflikte bestehen?
  158. 13.5 Die Rolle des Auszubildenden in der Pflege
  159. 14 Die Gruppe – Funktion und Bedeutung
  160. 14.1 Was heißt eigentlich »Gruppe«?
  161. 14.2 Gruppenarten
  162. 14.3 Gruppenfunktionen und ihre Bedeutung
  163. 14.4 Entwicklungsprozesse von Gruppen – Gruppenphasen
  164. 15 Führen und Leiten in der Pflege – gruppendynamische Aspekte
  165. 15.1 Gruppenleitung/Teamleitung – Aufgaben und Probleme der Führung
  166. 15.2 Führungspersönlichkeit und Macht
  167. 15.3 Führungsstile
  168. 15.3.1 Der autoritäre Führungsstil
  169. 15.3.2 Team ohne Leitung
  170. 15.3.3 Der demokratische Führungsstil
  171. 16 Erziehung – pädagogisches Handwerkszeug für die Pflege
  172. 16.1 Das Grundverständnis von Erziehung
  173. 16.2 Erziehungsbedürftigkeit und Erziehungsfähigkeit des Menschen
  174. 16.3 Erziehungsstile
  175. 16.4 Das wissenschaftliche Verständnis von Erziehung in der Pädagogik
  176. 16.5 Erziehungsziele
  177. 16.6 Pädagogik – Erziehen in der Pflege
  178. 16.6.1 Wo und wann erziehen Pflegende? (Patienten-Edukation)
  179. 16.6.2 Erziehungsbedürftigkeit und Erziehungs- fähigkeit des Patienten
  180. 16.6.3 Jeder erzieht jeden
  181. 17 Professionell Pflegende – Belastungen im Pflegeberuf
  182. 17.1 Einführung
  183. 17.2 Historische Betrachtung
  184. 17.3 Berufsrolle »Pflegefachkraft/Pflegefachfrau/Pflegefachmann«
  185. 17.3.1 Das Helfersyndrom
  186. 17.3.2 Die Pflegepersönlichkeit
  187. 17.4 Besondere Anforderungen im Pflegeberuf
  188. 17.4.1 Pflege – professioneller Umgang mit menschlichen Grenzsituationen
  189. 17.4.2 Gefühls- und Beziehungsarbeit
  190. 17.5 Risiko- und Belastungsfaktoren – die Krankmacher in der Pflege
  191. 18 Burnout – Mobbing – Stress
  192. 18.1 Das Burnout-Syndrom
  193. 18.1.1 Burnout-Phasen
  194. 18.1.2 Wege aus dem Burnout – Schutz entwickeln
  195. 18.1.3 Was kann ich selbst tun, damit es mir mit meiner Arbeit besser geht?
  196. 18.2 Extremfall: Mobbing
  197. 18.2.1 Der Mobbingprozess
  198. 18.2.2 Ursachen von Mobbing
  199. 18.3 Stress und Stressbewältigung
  200. 18.3.1 Was ist Stress?
  201. 18.3.2 Wann entsteht Stress?
  202. 18.3.3 Stresskrankheiten
  203. 18.3.4 Zwischen Eustress und Distress – die richtige Stressdosis
  204. 18.3.5 Stressoren – die Auslöser für Stress
  205. 18.3.6 Typische Stress-Symptomatik
  206. 18.3.7 Die vier Ebenen der Stress-Reaktion
  207. 18.4 Stressbewältigung
  208. 18.5 Strategien zur Stressbewältigung
  209. Literaturverzeichnis
  210. Stichwortverzeichnis

 

Vorwort zur 3. Auflage

 

 

Als mich der W. Kohlhammer Verlag darum bat, dieses Lehrbuch zu überarbeiten, hatte ich sofort Lust dazu!

Seit der letzten Auflage waren inzwischen gut sieben Jahre vergangen, sodass ich mich damit auseinandersetzen musste, was sich in der Pflege bis heute alles verändert hat. Ich war erstaunt. Schnell erkannte ich: das Buch muss völlig neu überarbeitet werden. Daher wurden auch zwei neue Kapitel geschrieben:

In Kapitel 3, Der Mensch und seine Gesundheit, wird u. a. die Gesundheitsförderung/Gesundheitsprävention in der Pflege sowie Aktivierende Pflege und Empowerment ausführlich dargestellt.

Des Weiteren wird durch Kapitel 6, Gesundheit und Krankheit im Alter – Patienten der Zukunft, Basiswissen zum Thema Alter(n) behandelt. Darüber hinaus wurden die bestehenden Kapitel um Themenschwerpunkte wie beispielsweise Kohärenz, Resilienz, Funktionale Pflege, Krankenwahrnehmung, Kommunikationstipps und Sprechmuster von Pflegenden erweitert.

Das Buch soll Pflegefachkräfte der Kranken- und Altenpflege bzw. künftige Pflegefachfrauen/Pflegefachmänner dabei unterstützen, praxistaugliches Basiswissen zu den Themen Psychologie, Soziologie und Pädagogik zu erlernen. Der Pflegefachberuf heute beinhaltet so viel mehr als »reine Krankenpflege«. Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Pflegebedürftigkeit sind viel komplexer geworden. Moderne Pflege muss ebenso wie die Medizin und Gesundheitsversorgung darauf reagieren. Kenntnisse aus Psychologie, Soziologie und Pädagogik sind deshalb heute wesentlich für professionelle Pflege!

Die Vernetzung zwischen professioneller Pflege und den Erkenntnissen aus Psychologie, Soziologie und Pädagogik soll ausführlich im Mittelpunkt der Kapitel stehen. So wird es innerhalb der Themenschwerpunkte gerade keine klare Trennung zwischen Psychologie, Soziologie, Pädagogik und professioneller Pflege geben, sondern sie sollen miteinander kombiniert werden.

Eckernförde, im Januar 2017

Annette Kulbe

Um die Orientierung im Buch zu erleichtern, werden folgende Symbole verwendet:

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steht für Wichtig

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steht für Definition

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steht für Fallbeispiel

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steht für Übung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch die männliche Form verwendet. Dies schließt natürlich sowohl Frauen als auch Männer ein. Alle Leserinnen werden um Verständnis gebeten.

Des Weiteren wird der zusammenfassende Begriff des Pflegeschülers genutzt, um alle Auszubildenden in der Pflege anzusprechen.

 

1          Pflege und Psychologie, Soziologie und Pädagogik

 

1.1       Entwicklungstendenzen und Veränderungen in Pflege und Medizin

 

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Pflege und Medizin sind weiterhin auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Verständnis über Gesundheit, Krankheit, der psycho-sozialen Situation des Patienten und seiner Pflegebedürftigkeit.

Heute weiß man, dass die rein medizinische Krankheitsbekämpfung oder Symptombehandlung allein nicht ausreicht, um gesund zu werden. Medizinische Therapie und moderne Pflegekonzepte und -ziele berücksichtigen zunehmend psycho-soziale Aspekte: Die Frage, wie die Krankheitssituation des Patienten über Erkrankung und Therapie hinaus aussieht, ist von zunehmendem Interesse.

•  Wie kam es zu der Krankheit?

•  Welche psychischen Anteile spielen beim Gesundwerden eine Rolle, wie ist die seelische Widerstandskraft (Resilienz) des Patienten?

•  Wie geht der Betroffene mit seiner Krankheit um, wie bewältigt er sie (Coping)?

•  Oder ist er bereit bei Pflege und Therapie mitzuhelfen (Compliance)?

•  Welche Ressourcen kann der Patient seiner

•  Besteht ein soziales Umfeld, sind Menschen da, die in Krankheit und Gesundwerden unterstützen?

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Hierbei spielt das Patienten-Empowerment (Patientenbeteiligung/Befähigung) eine neue Rolle: Der Patient ist nicht länger der passive Empfänger der Pflege und medizinischen Versorgung. Die aktive Mitwirkung und Aktivierende Pflege des Patienten soll verbessert werden und der Pflegebedürftigkeit entgegenwirken: Durch Information/Aufklärung über das eigene Krankheitsbild und die Diagnose. Durch Patientenfortbildung und Anleitung, z B. Ernährungsschulung und seine aktive Mitwirkung im Umgang mit der Krankheit (z. B. Befähigung zur Selbstmedikation, Messung von Blutzucker oder Blutdruck) und der Mitentscheidung bei der Pflege und Therapie (image Kap. 2.5.2.; 5.5; 5.6).

1.1.1     Krankheit heute

Hinzu kommt, dass Krankheiten heutzutage oft nicht mehr auf eine klare Ursache (z. B. Bakterien/Viren) zurückzuführen sind, sondern dass sie multifaktoriell (mehrere Ursachen/Faktoren) sind. Neben Zivilisationskrankheiten (Herzinfarkt, Rückenschmerzen, Gastritis) durch

•  schlechtes Gesundheitsverhalten (schlechte Ernährung, Bewegungsmangel)

•  Stress (Arbeitsbelastungen, Burnout)

•  veränderte Lebens- (belastende Lebenssituation, finanzielle Not, Arbeitslosigkeit) und Umweltbedingungen (Lärm, Luftverschmutzung, Ozon, Allergien)

•  psychische Probleme (depressive Verstimmungen, psychophysische Erschöpfung, Überlastung)

•  soziale Ursachen (Vereinsamung, Altersarmut, geringer Verdienst)

•  eine Zunahme alter Menschen/Patienten aufgrund demografischer Entwicklungen

treten vermehrt Alterskrankheiten und neue Krankheitsbilder wie Demenz auf. Des Weiteren gibt es eine erhöhte Resistenz (gegen Antibiotika) und Überempfindlichkeiten gegenüber Medikamenten.

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Wichtig

Dieser Ursachenvielfalt und den neuen Krankheits- und Gesundheitsbedingungen muss zwangsläufig auch mit einer neuen breitgefächerten Medizin, Therapie und Pflege begegnet werden.

1.1.2     Auswirkungen auf Pflege und Medizin

Pflege und Medizin müssen auf diese Veränderungen reagieren. Beide müssen in Ausbildung und Berufspraxis umfangreicher sein als früher. Spezielle Weiterbildungsangebote (z. B. Pflege für demente Patienten) und neue Ausbildungsinhalte für die Pflege greifen dies auf, wie die Reform der Pflegeausbildung 2017 zeigt.

Psychologische und soziologische Aspekte über Krankheit, Patienten und Gesundheit, Kenntnisse über Kommunikation, Wahrnehmung, menschliche Bedürfnisse, soziale Einzellungen und Rollen sowie pädagogisches Wissen im Umgang mit Patienten und für das Gesundheitsverhalten sind unentbehrlich geworden. Dieses Buch soll Pflegende dabei unterstützen, sich ein praxistaugliches Grundlagenwissen anzueignen.

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Wichtig

Ein Schwerpunkt liegt dabei in der Gesundheitserhaltung (Prävention) und Krankheitsverhütung.

Die Frage, die sich heute stellt, ist nicht mehr, wie besiegen wir die Krankheit, sondern was können wir für unsere Gesundheit tun. Wie kann Pflegebedürftigkeit vermindert oder heraus gezögert werden, indem man die Selbständigkeit des Patienten fordert und fördert.

1.2       Psychologie

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Wichtig

Die Psychologie erforscht menschliches Verhalten und Erleben. Sie geht den Fragen nach, warum und wie sich Menschen verhalten, warum Menschen lernen, motiviert sind, welche Bedürfnisse sie haben, wie sie wahrnehmen und wie sie Dinge erleben.

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Definitionen

Verhalten bezieht sich auf die Bereiche Gestik, Mimik, Körperhaltungen, Körperausdruck und physiologische Vorgänge im Zusammenhang mit inneren Prozessen (Stimmungen, Gefühle). Wenn beispielsweise jemand an etwas Unangenehmes denkt und daraufhin schwitzt oder zittert; wenn jemand sich freut und rot wird; wenn jemand Angst hat und ihm übel wird vor einer Prüfung.

Erleben umfasst die Vielzahl von Gefühlen, inneren Stimmungen und Gedanken zu oder über etwas (Menschen, Situationen, Erinnerungen, Sehnsüchte, Ängste). Jeder Mensch erlebt die Welt, Situationen oder andere Menschen auf seine individuelle Weise. Deshalb können auch zwei Menschen ein und dieselbe Situation ganz verschieden wahrnehmen, und beide haben auf ihre Weise recht in dem, wie sie etwas erleben. Es entspricht ihrem Erleben, ihrer Art der Wahrnehmung.

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Da im Zentrum der Pflege die Tätigkeit mit kranken Menschen steht, sind Kenntnisse, die sich mit dem Verhalten und Erleben von Menschen befassen, nützlich. So kann Pflege sinnvoll durch Psychologie ergänzt werden.

1.3       Soziologie

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Wichtig

Die Soziologie untersucht Gruppen unterschiedlichster Art (Institutionen, Organisationen, Teams) und die Beziehungen und Wechselwirkungen der einzelnen Gruppenmitglieder untereinander. Sie erforscht Gruppenregeln, Gruppenstrukturen und Gruppenprozesse von der Kleingruppe bis zu Völkern. Spezialgebiete stellen die Untersuchungen von sozialen Rollen (Berufsrolle, Rolle als Elternteil, Rolle als Partner) oder sozialen Einstellungen (Vorurteilen, z. B. gegenüber ausländischen Patienten, und Stigmatisierungsprozessen, z. B. gegenüber Psychiatriepatienten) dar.

Im Zentrum der soziologischen Forschung steht das Phänomen »Gruppe« und nicht der einzelne Mensch/das Individuum.

Die verschiedenen Gruppen wie Pflegefachkräfte, Auszubildende in der Pflege, Ärzteteam, Patienten einer Station sowie die gesamten Klein- und Großgruppen vom Pflegeteam bis hin zu allen Berufsgruppen innerhalb der Organisation Krankenhaus stellen typische Forschungsbereiche der Soziologie dar.

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Ein weiteres Forschungsgebiet befasst sich mit gesellschaftlichen sozialen Rollen (Berufsrolle als Pflegefachkraft, Vaterrolle u. a.) und den damit einher gehenden Verpflichtungen, Erwartungen und Problemen (z. B. die Erwartungen an die Mutterrolle).

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Wichtig

Die soziologischen Erkenntnisse über Gruppen und Rollen sind für die Organisation Krankenhaus mit ihrer Vielfalt an unterschiedlichsten Gruppen/Rollen, Gruppenprozessen, Gruppendynamik (was innerhalb einer Gruppe passiert), Teambildung/Teamfindungsprozessen oder Rollenproblemen (Führungsrolle, Doppelrolle von Berufs- und Mutterrolle) von großem Interesse.

1.4       Pädagogik

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Wichtig

Die Pädagogik ist die Lehre von der Ausbildung und Erziehung des Menschen (Allgemeine Schulbildung, Erwachsenenbildung, gesellschaftliche Verhaltensnormen) und deren Institutionalisierung (Kindergärten, Schulen, Ausbildungseinrichtungen, Volks- oder Berufsschule, Uni). Sie geht Erziehungsfragen nach, sucht nach Aufgaben und Zielen für Erziehende und hinterfragt Erziehungsmethoden.

Die Hauptaufgaben der Pädagogik sind die Erziehung und Ausbildung des Menschen, angefangen von der Kinderkrippe/dem Kindergarten über die Schulzeit bis in die Erwachsenenbildung. Die Pädagogik will den Menschen einerseits in seiner persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung unterstützen (Selbstständigkeit, Gewissensbildung, Verhaltensnormen, soziale Kompetenz entwickeln) und andererseits in seiner Bildung (Wissenserwerb, Schul- und Berufsausbildung, Fachwissen) fördern.

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Wichtig

Erziehung und Ausbildung geschieht nicht nur durch Eltern, Lehrer und Ausbilder sondern auch durch Kollegen, durch Partner, durch Freunde. Erzogen und gelernt wird in den verschiedensten Bereichen/Situationen tagtäglich und eigentlich ein Leben lang. Die Erziehung endet nicht mit dem Schulabschluss oder dem Erwachsenenalter, Lernen erfolgt heute bis ins hohe Alter (lebenslanges Lernen).

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Zu den pädagogischen Aufgaben von Pflegefachkräften gehören Beratung, Aufklärung, Informationsvermittlung, Anleitung/Instruktion und Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen. Das bedeutet in der Pflegepraxis, Patienten über Pflegemaßnahmen aufzuklären, Auszubildende oder Patienten anzuleiten oder zu instruieren, neue Kollegen einzuarbeiten, Pflegeziele/Pflegeplanung zu erstellen usw. All diese Fähigkeiten erfordern viel pädagogisches Geschick.

Pflegetätigkeiten umfassen darüber hinaus typisch erzieherisch-fürsorgliche Aufgaben, die sonst Eltern, Partner oder Angehörige übernehmen wie versorgen, unterstützen, helfen, ermuntern. Diese sind für die Verrichtung der allgemeinen Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL, ABDL, ADL und IADL) und die für die Genesung und Wiedererlangung der Selbständigkeit des Patienten unerlässlich.

 

2          Gesundheit im neuen Verständnis

 

 

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Im Mittelpunkt der Pflege stehen Gesundheit und Krankheit des Patienten. In der heutigen Gesundheits- und Krankenpflege und Medizin geht es immer darum, Krankheit zu heilen oder zu lindern um (wieder) Gesundheit zu erlangen oder aber präventiv Gesundheit zu schützen. Was aber ist eigentlich Gesundheit? Wie kann man Gesundheit und Krankheit begrifflich fassen? Was verstehen Laien und/oder Fachleute unter diesen Begriffen?

2.1       Was ist Gesundheit? Zum unterschiedlichen Verständnis von Gesundheit und Krankheit

2.1.1     Verschiedene Gesundheitsdefinitionen

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Die Diskussionen darüber, was »Gesundheit« ist, wie diese sich gegenüber »Krankheit« abgrenzt oder ob es eher fließende Übergänge von gesund und krank gibt, ist nicht wirklich eindeutig zu klären gelungen. Die Folge hieraus ist, dass zahlreiche Definitionen über Gesundheit und Krankheit existieren. Neben Laienvorstellungen (image Kap. 2.2) gibt es wissenschaftliche Definitionen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, dass unsere Gesundheit nicht messbar ist. Es müssen auch – wenn Gesundheit mehr ist als das Fehlen von Krankheit – individuelle, psychische und soziale Faktoren mit einbezogen werden. Wenn Gesundheit und Krankheit lange Zeit nur unter medizinischen Aspekten gesehen wurden, so hat sich gezeigt, dass diese Sichtweise unzureichend ist. Es wird immer deutlicher, dass mehrere Faktoren Gesundheit und Krankheit ausmachen und beeinflussen.

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Wichtig

Neben den biologischen müssen auch psycho-soziale Aspekte bei Gesundheit(sprozessen) und Krankheit(sentstehung und -verläufen) berücksichtigt werden. Auch Umweltbedingungen spielen dabei eine Rolle (Lärmbelastung, Umweltgifte).

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Die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1946

Im Mittelpunkt aller Definitionen steht die Begriffserklärung der Weltgesundheitsorganisation (WHO = engl. world health organization), die besagt, dass »Gesundheit ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens ist und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen« (zit. n. Waller 1995).

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Obwohl diese Formulierung bereits die Vorstellung einer ganzheitlichen Sichtweise vermittelt, scheint sie relativ unrealistisch. Wer ist schon vollkommen gesund oder fühlt sich vollkommen wohl? Die meisten Menschen fühlen sich mal mehr oder weniger krank oder gesund. Gesundheit wird als statischer (feststehender, unbeweglicher) Zustand perfekten Wohlergehens und nicht als ein sich ständig (ver)ändernder dynamischer und im Prozess befindlicher Vorgang verstanden.

Die Kritik an der 1946 erarbeiteten Definition hat die WHO schließlich 1986 dazu veranlasst, Wohlbefinden als Ziel und Gesundheit als Prozess umzuformulieren.

Erklären oder diskutieren Sie diesen Satz.

2.1.2     Heutige Gesundheitsvorstellung

Die aktuelle Gesundheitsvorstellung basiert auf dem Bio-psycho-sozialen Gesundheitsmodell (image 2.3) von Antonovsky (1979), das von einer Art Kontinuum zwischen den beiden entgegengesetzten Polen Gesundheit und Krankheit ausgeht. Je nachdem, wie krank oder gesund sich ein Mensch fühlt, bewegt er sich mehr in Richtung des entsprechenden Pols. Denn: ein Mensch ist nie nur gesund, er fühlt sich mehr oder weniger wohl, gesund oder krank. Dabei setzt sich der Prozess des Gesundwerdens (oder gesund sein) oder des Krankwerdens (oder krank sein) aus bio(medizinischen)-psycho-und sozialen Aspekten zusammen. So kann ein Mensch z. B. Diabetes haben, aber psychisch und sozial gesund sein oder an Depressionen leiden, aber nicht körperlich krank sein.

Nach Hurrelmann (2010/2016) wird Gesundheit heute auch definiert als ein Gleichgewicht von Risiko- und Schutzfaktoren oder Gesundheitsressourcen.

Risikofaktoren sind gesundheitsgefährdende Faktoren wie z. B. Rauchen, Alkohol trinken oder Übergewicht haben.

Ressourcen sind alle gesundheitsfördernden und Gesundheit schützende Faktoren, z. B. gesunde Lebensweise, gesunde Ernährung, seelische Stabilität, soziale Netzwerke. Für den Menschen von heute geht es vor allem um die Frage: Wie kann ich meine Gesundheit erhalten und wie kann ich Krankheiten vermeiden?

Ein Gleichgewicht zwischen Risiko- und Schutzfaktoren tritt ein, wenn Menschen es schaffen, die inneren (körperlichen und psychischen) und äußeren (soziale und auch materielle) Anforderungen zu bewältigen und miteinander in Einklang zu bringen. Eine gelungene Bewältigung hat Wohlbefinden und Lebensfreude zur Folge.

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Wichtig

Mit Gesundheit werden in der heutigen Leistungsgesellschaft Arbeits- und Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit (psychische Stabilität, Stressresistenz), finanzielle Absicherung und Wohlbefinden verbunden.

2.1.3     Medizinisches Verständnis von Gesundheit

Die von der wissenschaftlichen Medizin geprägte Definition reduziert Gesundheit auf das Freisein von krankmachenden Störungen, auf das einwandfreie Funktionieren des menschlichen Organismus. Es wird deutlich, dass Gesundheit hier stark mit Krankheit in Verbindung gebracht wird. Mit anderen Worten, wer nicht krank ist, ist demnach gesund.

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Krankheiten werden im medizinischen Sinn immer mit dem Körper, also dem somatischen Aspekt, assoziiert. Im naturwissenschaftlich-medizinischen Bereich bedeutet dies, dass eine Reduzierung auf biologische, chemische und physikalische Mechanismen des menschlichen Organismus stattfindet. Wenn innerhalb dieser Mechanismen Störungen auftreten (im Bereich der Organfunktion beispielsweise Verdauungsstörungen), dann wird der Mensch krank. Krankheit wird hierbei anhand medizinischer Parameter, wie pathologische Blut- und Urinwerte, krankheitsspezifische Symptome oder erhöhte Körpertemperatur diagnostiziert. Der medizinische Gesundheitsbegriff berücksichtigt weder soziale Aspekte wie Umgebung, soziale Situation, Umweltbedingungen noch psychische Komponenten. Insbesondere die drastische Zunahme psychischer Erkrankungen findet hierbei keine angemessene Beachtung, denn Stimmungslage, Lebensgefühl oder Angst sind keine objektiv körperlichen Krankheiten. Demnach ist der Mensch – rein medizinisch gesehen – gesund, obwohl er sich krank fühlt!

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Wichtig

Andererseits haben zahlreiche Menschen gesundheitliche Beeinträchtigungen, spüren diese aber wenig oder gar nicht. Dies kann beispielsweise bei chronischen Krankheiten oder Krebs der Fall sein, denn nicht alle Symptome verursachen Schmerzen. Viele Menschen lernen auch mit Beeinträchtigungen umzugehen und ihre Lebensumstände entsprechend zu verändern. So gesehen besitzen Menschen medizinisch diagnostizierte Krankheiten, fühlen sich aber durchaus gesund.

2.1.4     Gesundheit und Krankheit in der Klassischen Schulmedizin

Die Klassische Schulmedizin, die naturwissenschaftliche Medizin oder die Biomedizin sind identische Begriffe für die in unserer westlichen Welt vorherrschende Medizin. Gemeint ist das Medizinverständnis, welches heute noch überwiegend in Krankenhäusern und Arztpraxen vertreten und praktiziert wird und in medizinischen Ausbildungen oder dem Medizinstudium in Theorie und Praxis als Grundlage gilt. Neben dem bereits dargestellten grundlegenden medizinischen Gesundheits- bzw. Krankheitsverständnis erscheint es deshalb sinnvoll, das medizinisch-naturwissenschaftliche Krankheitsmodell zu kennen. Es wurde bereits deutlich, dass die Medizin nicht die Gesundheit sondern schwerpunktmäßig die Krankheit, genauer gesagt, den kranken Körper/Organismus in ihren Mittelpunkt stellt.

Darüber hinaus vertritt die naturwissenschaftliche Medizin folgende Auffassungen:

Images Kausalität Images

1.  Jede Krankheit hat eine bestimmte Ursache (Krankheitsursache). Durch eine Ursache entwickelt sich als Folge eine Störung der biologischen Vorgänge im menschlichen Organismus, eine Krankheit entsteht: Krankheitsursache → Krankheit als Folge Ursachen sind entweder exogen, also äußerlich, durch Viren/Bakterien oder äußere Verletzungen/Unfälle bedingt;

−  Magen-Darm-Virus (exogene Krankheitsursache) → Magen-Darm-Grippe (Krankheitsfolge).

−  Unfall oder Verletzung (exogen) → Beinbruch; Wunde/Blutung (Folge).

−  Oder sie sind endogen → angeborener Herzfehler.

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2.  Krankheit ist als ein rein biologisches Körperphänomen zu betrachten. Krankheit lässt sich immer auf zugrunde liegende physikalisch-chemische Prozesse (z. B. pathogene Wirkung von Krankheitserregern) zurückführen.

Images Zellularpathologie Images

3.  Jede Krankheit basiert auf einer morphologischen Schädigung in der Zelle oder im Gewebe/Organ. Ansonsten liegt eine Fehlfunktion von mechanischen oder biochemischen Prozessen vor. Dadurch sind der normale Zellfunktionsablauf sowie die damit verbundenen und daraus resultierenden Prozesse gestört.
Beispiele:

–  Gallensteine → gestörter Leberstoffwechsel.

–  Krankhafte Zellwucherungen → Organschäden.

–  Herzklappenfehler → mechanische Funktionsstörung der Herztätigkeit.

–  Fehlfunktion der Niere → lebenswichtige Entgiftungsfunktion des Körpers ist gefährdet.

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4.  Jeder Krankheit entsprechen bestimmte Symptome, welche als Krankheitsanzeichen gelten. Diese Krankheitssymptome dienen der Diagnose und ermöglichen dadurch die genaue Benennung der Erkrankung. Hieraus lässt sich dann eine spezielle Therapie ableiten.

Durch wissenschaftliche Forschung ist es möglich geworden, beschreibbare und vorhersagbare Krankheitsverläufe zu erkennen. Diese Entwicklungen und Folgen einer Krankheit erfordern medizinische Hilfe, da sich die Krankheit ansonsten – ohne medizinische Intervention – verschlimmern und eine Heilung verzögern oder unmöglich machen könnte.

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Wichtig

In der Klassischen Schulmedizin wird das ungestörte Ablaufen der biochemischen Prozesse im menschlichen Organismus als Gesundheit verstanden.

2.1.5     Soziologisches Verständnis von Gesundheit

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Definition

Die soziologische Gesundheitsdefinition wurde 1967 von dem Medizinsoziologen Talcott Parsons (zit. n. Waller 1995) formuliert: »Gesundheit kann definiert werden als der Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums für die Erfüllung der Rollen und Aufgaben« innerhalb unserer Gesellschaft.

In dieser Gesundheitsdefinition werden vor allem die sozialgesellschaftlichen Aspekte in den Vordergrund gestellt. Gesundheit wird daran gemessen, ob eine Person dazu in der Lage ist, den individuell gestellten Rollenanforderungen (z. B. der Rolle der allein erziehenden Mutter und gleichzeitig der Berufsrolle der Pflegefachkraft) gerecht zu werden. Es wird deutlich, dass Gesundheit mit Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie Belastungsfähigkeit (psychische Stabilität, Stressresistenz) gleich gesetzt, und nicht als persönlicher sondern gesellschaftlicher Wert angesehen wird.

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Wichtig

Diese Definition verweist auf die sozialen Auswirkungen von Gesundheit und Krankheit und den damit verbundenen Kosten hin (Arbeitsfähigkeit, Kündigungen, Gehaltsfortzahlung, Krankengeld).

2.1.6     Psychologisches Verständnis von Gesundheit

Der Gesundheitsbegriff der Psychologie umfasst zweierlei: Einmal die Fähigkeit auf individuelle Weise Gesundheit im Sinne von persönlichem Wohlbefinden, Bedürfnisbefriedigung und individueller Selbstverwirklichung – also alles, was für den Einzelnen wichtig ist, ihm gut tut – so weit wie möglich zu erlangen. Und darüber hinaus die individuelle Kompetenz, dazu in der Lage zu sein, befriedigend Schwierigkeiten des Lebens aktiv bewältigen zu können.

Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass jeder die Fähigkeit besitzt, auf gesunde Weise mit den Herausforderungen des heutigen Lebens fertig zu werden (gesellschaftlich: mit der Arbeitssituation, den Kollegen umzugehen; privat: mit der Single- oder Partnersituation; mit Familie und Kindern; persönlich: Umgang mit Freunden, Hobbys, Freizeit oder Selbstentfaltung/Selbstverwirklichung) (image Kap. 2.4 Kohärenz und Kap. 2.5 Resilienz).

Images Verschiedenartigkeit der Definitionen Images

Die vorgestellten wissenschaftlichen Gesundheitsdefinitionen machen das breite Spektrum der Uneinigkeit darüber, was denn nun Gesundheit ist, deutlich. Darüber hinaus zeigt sich, dass bereits zwischen den verschiedenen Wissenschaftszweigen unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden, wann Menschen als gesund gelten: Soziologisch gesund bezieht sich auf die Arbeitsfähigkeit/Arbeitsunfähigkeit; psychologisch gesehen steht geistig-seelisches Wohlbefinden im Mittelpunkt und medizinisch betrachtet ein voll funktionsfähiger Ablauf der biochemischen Körperprozesse. Aus dem Blickwinkel der jeweiligen Wissenschaft hat jede auf ihre Weise Recht.

2.2       Das Laienverständnis von Gesundheit – Wann fühlen Menschen sich gesund?

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Neben den wissenschaftlichen Konzepten über Gesundheit sollen nun die so genannten Laienkonzepte bedacht werden. Die allgemeinen Vorstellungen von Gesundheit im Alltag werden »subjektive Gesundheitskonzepte« genannt. Bei der Beschäftigung mit Laienvorstellungen über Gesundheit und Krankheit können die in den letzten Jahrhunderten gemachten Erfahrungen und Überlieferungen häufig als nützliche Quellen dienen. Als Beispiel seien hier die im Volksmund entstandenen Redewendungen herangezogen. Sprachlich betrachtet werden die komplexen Zusammenhänge zwischen Körper – Geist – Seele verblüffend klar geäußert. Vermutlich sind diese Aussprüche (Einsichten) zu einer Zeit entstanden, da Menschen noch über einen engen Bezug zu Seele und Körper verfügten und ein viel unmittelbareres Verständnis für das Zusammenspiel körperlicher und seelischer Prozesse besaßen.

Images Redewendungen Images

1.  Atmung
Mir bleibt die Luft weg. Es verschlägt mir den Atem. Man wagt kaum zu atmen. Es herrscht eine erstickende Atmosphäre.

2.  Nase/Geruch
Ich habe die Nase voll. Einen guten Riecher haben. Ich kann ihn nicht riechen.

3.  Herz
Man nimmt sich etwas zu Herzen. Ich habe etwas auf dem Herzen. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Da schlägt mein Herz schneller.

4.  Augen/Ohren
Taub oder blind für etwas sein. Ich kann das nicht mehr hören. Die Augen vor etwas verschließen. Etwas nicht mehr mit ansehen können.

5.  Kopf/Nacken/Wirbelsäule
Sich den Kopf zerbrechen über etwas. Das bereitet mir Kopfschmerzen. Es sitzt mir im Nacken. Ein Mensch ohne Rückgrat. Jemandem das Kreuz brechen.

6.  Haut/Haar
Ein dickes Fell besitzen. Dünnhäutig oder dickhäutig sein. Es geht mir unter die Haut. Er rückt mir auf die Pelle. Wenn ich mir das vorstelle, bekomme ich Ausschlag. Darauf reagiere ich allergisch.

7.  Zähne
Zähneknirschend ja sagen. Die Zähne zusammenbeißen. Auf dem Zahnfleisch kriechen.

8.  Verdauungsorgane
Das schlägt mir auf den Magen. Es ist zum Kotzen. Da wird mir ganz übel. Immer alles schlucken müssen. Der Hals ist mir wie zugeschnürt. Sich ein Loch in den Bauch ärgern. Er reagiert sauer. Gift und Galle spucken. In der Prüfung durchfallen.

9.  Nieren
Das geht mir an die Nieren.

In einer wissenschaftlichen Studie (Herzlich 1973 in Flick et al. 2004) über die Gesundheitsvorstellungen der Bevölkerung konnten durch Befragungen vier verschiedene Auffassungskategorien ermittelt werden. Die Vorstellungen lassen sich wie folgt darstellen und werden mit einer Erläuterung verdeutlicht:

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1.  Gesundheit als das Schweigen der Organe
Diese Kategorie spiegelt die Auffassung wider, dass solange »alles funktioniert« und der Körper sich nicht meldet (= also schweigt), der Mensch als gesund gilt.

2.  Gesundheit als das Fehlen von Schmerzen
Diese Vorstellung setzt »Gesundsein« entsprechend damit gleich, keine Schmerzen zu spüren. Krankheit bedeutet demzufolge Schmerzen zu haben.

3.  Gesundheit als Reservoir
Diese Einstellung besagt, dass Gesundheit ein Wert, ein individueller Besitz ist, über den Menschen verfügen. Wir sind demnach mit einem Potenzial, nämlich der körperlich-geistigen-seelischen Gesundheit, ausgestattet.

4.  Gesundheit als Gleichgewicht und Wohlbefinden
Unter dem Gefühl des Wohlbefindens werden die Bereiche körperlich-geistig-seelisch gemeinsam gesehen. Ist das Zusammenspiel dieser drei Aspekte im Gleichgewicht, entsteht Wohlbefinden, das als Gesundheit empfunden wird.

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Wichtig

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Laien schon von sich aus ein mehrdimensionales Gesundheitsverständnis besitzen. Das heißt, dass folgende Faktoren zusammen Gesundheit ausmachen:

•  psychische Komponente (Stimmungslage, Ausgeglichenheit) als auch ein

•  psycho-physisches Wohlbefinden (Gleichgewicht zwischen Körper und Seele/Geist)

•  sowie körperliche Widerstandskraft, das Freisein von Schmerzen und das Funktionieren des Organismus (körperliche Komponente).

2.3       Das Bio-Psycho-Soziale Verständnis von Gesundheit/Krankheit

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Aus der Kritik an den allgemeinen und wissenschaftlichen Vorstellungen/Definitionen darüber, was Gesundheit denn nun ist, entwickelte sich unter anderem zwischen 1979 und 1987 das Bio-Psycho-Soziale Gesundheitsmodell (Antonowsky 1979 in Francke 2012; Waller und Blättner 2011) auch unter Salutogenetischen Gesundheitsmodell (lat. salus = gesund, heil, Wohlsein) bekannt.

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Wichtig

Das Bio-Psycho-Soziale Gesundheitsmodell Modell berücksichtigt, ähnlich dem Laienverständnis, gleichermaßen medizinische, psychologische und soziale Faktoren. Auf diese Weise wird es einerseits dem Menschen entsprechend seiner Einheit aus Körper-Geist-Seele gerecht, andererseits wird der Mensch als soziales Wesen gesehen, das innerhalb bestimmter Gesellschafts- und Umweltbedingungen lebt (Lebensumstände, Lebenssituation).

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Wichtig

Die gängige negative Fragestellung: Warum werden Menschen krank? Was macht Menschen krank? verwandelt sich nun in die positive Frage:

Wieso bleiben Menschen trotz verschiedener krankheitsverursachender Bedingungen und Veränderungen gesund? Was erhält Gesundheit? Wie schaffen sie es, sich von Erkrankungen wieder zu erholen? Was ist das besondere an Menschen, die trotz extremer Belastungen nicht krank werden oder Krankheiten (gut) überstehen?

In dieser grundlegenden Änderung der Sichtweise im Umgang mit Gesundheit und Krankheit kann nun davon ausgegangen werden, dass ein Mensch nicht nur entweder krank oder gesund ist sondern mehr oder weniger gesund oder krank sein kann – oder sich so fühlt. Gesundheit ist damit nicht nur einfach das Gegenteil von Krankheit oder meint die Abwesenheit von Krankheit. Das heißt auch die Zunahme psychosomatischer Krankheiten (die oft ohne Laborbefunde existieren) oder psychischer Erkrankungen (z. T. ohne körperliche Symptome) finden hier einen Platz.

Gesundheits-Krankheits-Kontinuum

In der Vorstellung des Bio-psycho-sozialen Gesundheitsmodells existiert eine Art »Bandbreite« oder Kontinuum zwischen den Möglichkeiten Gesundheit Δ Krankheit (Gesundheits-Krankheits-Kontinuum). Es gibt keine klare Grenze zwischen beiden Prozessen. So wird ein dynamischer Prozess anstelle eines Zustandes möglich.

Je nachdem, wo ein Mensch sich auf dieser Kontinuumlinie befindet, kann er mehr oder weniger gesund oder krank sein. Auf diese Weise findet auch die bereits erwähnte Möglichkeit Berücksichtigung, dass ein Mensch krank sein kann und sich dennoch gesund fühlt oder umgekehrt gesund sein kann, sich aber krank fühlt. Das heißt das eigene subjektive Empfinden beziehungsweise die eigene Wahrnehmung (Krankheitserleben/Schmerzempfinden) spielen hierbei ebenfalls eine Rolle. Auch das Wissen über eigenes gesundheitsgefährdendes Verhalten (Kettenraucher, ungesunde Ernährung, Stress), die Kenntnis über eine Diagnose oder eine (un-)heilbare Erkrankung (Krebs oder Grippe) beeinflussen das Gesund- oder Kranksein des Menschen.

Das Gleichgewichtsspiel zwischen Gesundheit und Krankheit – ähnlich einer Waage mit zwei Waagschalen vorstellbar – berücksichtigt darüber hinaus die Möglichkeit schützender (Ressourcen) und belastender (krankmachender) Faktoren, welche Gesundheit und Krankheit beeinflussen.

Schützende Faktoren und Widerstandsressourcen

Images Schützende Faktoren und Widerstandsressourcen Images

Schützende Faktoren beziehungsweise Widerstandsressourcen (Kohärenz) sind beispielsweise individuelle Bewältigungsstrategien, psychische Stabilität gerade auch in Belastungssituationen (Resilienz), ein gutes soziales Netz, gute körperliche Verfassung (Allgemeinzustand/Ernährungszustand) oder ein stabiles Immunsystem. Schwächende oder belastende Faktoren sind eine bereits angegriffene Gesundheit (durch Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, Schlafdefizit, Stress), bestehende oder chronische Erkrankungen, genetische Dispositionen oder angeborene physiologisch bedingte Mangelzustände (im Hormonstoffwechsel, organisch z. B. Herzfehler). Auch die sozialen Lebensumstände oder Lebenserfahrungen können positive oder negative Einflüsse auf Gesundheit/Krankheit ausüben. Heute haben auch Umweltfaktoren einen Einfluss (UV-Strahlung, Ozon, Smog, Umweltgifte).

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Abb. 2.1: Gesundheits-Krankheits-Kontinuum

2.4       Kohärenz

Der Medizinsoziologe Antonovski (ebd.1983, 1997) entwickelte den Begriff der Kohärenz.

Dieser Begriff umschreibt, wie ein Mensch die Anforderungen und Ereignisse des Lebens/der Welt für sich versteht, welche Bedeutsamkeit er diesen gibt und wie er damit umgeht (Kohärenzgefühl = sense of coherence, SOC). Menschen mit einem guten Kohärenzgefühl besitzen ein gewisses Vertrauen dem Leben gegenüber. Sie verfügen damit über Kräfte, um den Anforderungen des Lebens gut begegnen zu können. Sie wollen Lebensereignisse verstehen und vertrauen darauf, diese selbst oder mit Unterstützung anderer zu meistern, sie erkennen einen Sinn in bestimmten Lebensereignissen. Lebensanforderungen werden nicht als Bedrohung verstanden sondern vielmehr als eine Herausforderung, für die es sich lohnt zu kämpfen.

Das Kohärenzerleben setzt sich aus drei Komponenten zusammen:

1.  Gefühl der Verstehbarkeit (comprehensibility) – das Ausmaß, in dem man Informationen und Reize aus der Welt als sinnvoll, erklärbar und strukturierbar für sich einordnen kann.

2.  Gefühl der Machbarkeit/Handhabbarkeit (manageability) – das Ausmaß, in dem man für sich wahrnimmt, dass man über Ressourcen/Möglichkeiten verfügt, um den Anforderungen der Welt und des Lebens begegnen zu können.

3.  Gefühl der Sinnhaftigkeit (meaningfulness) – das Ausmaß, einen Sinn in seinem Leben zu sehen und auch dafür zu kämpfen, Probleme oder Anforderungen bewältigen zu wollen.

Antonovski spricht von individuellen, sozialen und kulturellen Fähigkeiten und Möglichkeiten, Probleme zu lösen und Schwierigkeiten zu bewältigen. Dazu zählen beispielsweise Ich-Stärke, ein gutes soziales Netzwerk, Vertrauenspersonen, Glaube, Weltanschauung, kulturell-historische Stabilität, physische, psychische und biologische Faktoren sowie Intelligenz.

Ein gutes Kohärenzgefühl bewirkt, dass ein Mensch flexibel auf Anforderungen reagiert und dafür die nötigen Ressourcen aktiviert. Unerwartete Geschehnisse können bewältigt werden. Das Leben ist sinnvoll und es ist wert, dafür zu kämpfen. Ereignisse können erklärt und verstanden werden.

Jemand mit geringem Kohärenzerleben dagegen fühlt sich dem Leben ausgeliefert, vom Schicksal geschlagen und kann in die Opferrolle rutschen. Da wenige Ressourcen zur Lebensbewältigung vorhanden sind, wird das Leben eher als schwer und sinnlos empfunden. Typische Reaktionen sind Hilflosigkeit, Resignation, Ohnmacht und Krankheit.

•  Gefühl der Bedeutsamkeit (meaningfulness) (1)

 

•  Gefühl der Machbarkeit (manageability) (2)

 

•  Gefühl der Verstehbarkeit (comprehensibility) (3)

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Abb. 2.2: Kohärenzpuzzle

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Wichtig

Das Kohärenzgefühl kann nicht gleichgesetzt werden mit dem Coping-Stil = verschiedene allgemeine Verhaltensweisen für den Umgang mit Herausforderungen, die man in der Sozialisation erwirbt oder der Coping-Strategie = spezifische Bewältigungsstrategien zum Beispiel für die Umgangsweise mit seiner Krankheit. Vielmehr bedeutet Kohärenz eine übergeordnete Lebenseinstellung, die Welt in einer bestimmten Weise zu sehen (Jork 2003).

2.5       Resilienz

Resilienz (lat. resilire = abprallen) bedeutet seelische Widerstandskraft, Belastungsfähigkeit und Flexibilität insbesondere in belastenden Lebenssituationen.

Resiliente Menschen bewältigen aktiv Lebenskrisen. Sie fühlen sich nicht als Opfer einer Situation oder dem Schicksal ausgeliefert, sondern haben gelernt damit umzugehen und sind bereit, Verantwortung in schwierigen Lebens- oder auch Arbeitssituationen zu übernehmen.

Ähnlich dem Konzept der Salutogenese stellt sich hierbei die Frage: Warum bleiben bestimmte Menschen z. B. bei Belastungen am Arbeitsplatz trotzdem gesund, warum werden andere dadurch krank? Dabei spielt auch die innere Haltung des Menschen eine wesentliche Rolle: Konzentriere ich mich auf das Negative einer Situation oder entscheide ich mich, das Beste daraus für mich zu machen? (Werner 1971; Faltermaier 2005; Wunsch 2013, Schmidt 2016)

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Lebenseinstellungen und persönliche Haltungen resilienter Menschen:

•  Optimismus

•  Akzeptanz

•  Lösungsorientierung

•  Verlassen der Opferrolle/Fähigkeit zur Selbstmotivation

•  Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln

•  Aufbau und Pflege eines stabilen sozialen Umfeldes/Hilfreiche Unterstützung aus Netzwerken

•  Umsichtige und realistische Planung der eigenen Zukunft

Warum manche Menschen resilient sind und andere nicht ist noch nicht abschließend erforscht. Sicherlich entscheidend dafür sind aber prägende Lebensereignisse und Lebensbedingungen, die ein Kind im Laufe der Sozialisation erfährt (gesunde Familienverhältnisse, Vertrauen zu Bezugspersonen, Wohnbedingungen u. a.). Im späteren Alter spielen belastende Faktoren (Stressoren) und schützende Faktoren (Widerstandsressourcen) eine wesentliche Rolle im Kontext des Lebens eines Menschen: Scheidung/Heirat, Tod/Verlust, Geburt eines Kindes, chronische Krankheit/Gesundheit, materielle Situation/Not, Arbeitslosigkeit/Karriere, Pensionierung, Freunde.

2.5.1     Pflegefachkräfte: Resilienz oder Burnout?