José Saramago (1922 – 2010) wurde im portugiesischen Azinhaga geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums arbeitete er als Maschinenschlosser, technischer Zeichner und Angestellter. Später war er Mitarbeiter eines Verlags und Journalist bei Lissaboner Tageszeitungen. Ab 1966 widmete er sich verstärkt der Schriftstellerei. Der Romancier, Erzähler, Lyriker, Dramatiker und Essayist erhielt 1998 den Nobelpreis für Literatur. Bei Hoffmann und Campe erschienen u. a. Die Reise des Elefanten, Kain, der Gedichtband Über die Liebe und das Meer, sein Roman Claraboia aus dem Jahr 1953 und Hellebarden.
Wenn der Mensch von den Umständen
gebildet wird, so muss man die
Umstände menschlich bilden.
Karl Marx, Friedrich Engels
Die heilige Familie
Der Stuhl begann umzufallen, umzukippen, zusammenzubrechen, jedoch nicht im wahrsten Sinne des Wortes zusammenzuklappen. Streng genommen bedeutet zusammenklappen die Klappen von etwas zusammenlegen. Nun, von einem Stuhl wird man nicht behaupten wollen, er habe Klappen, doch falls er etwas Derartiges hätte, zum Beispiel diese seitlichen Stützen für die Arme, so würde man sagen, die Armlehnen des Stuhls seien abgebrochen, und nicht, sie seien zusammengeklappt. Außer Zweifel aber steht, dass ein Mensch plötzlich zusammenklappt, das möchte ich auch erwähnen, beziehungsweise schon jetzt daran erinnern, damit ich mir nicht selbst in die Falle gehe: könnten dann nicht, wenn ein Mensch plötzlich gesundheitlich zusammenbricht, was nur auf eine andere Art und Weise dasselbe bedeutet, auch Stühle zusammenklappen, selbst wenn sie gar keine Klappen haben? Wenigstens um der dichterischen Freiheit willen? Wenigstens um der harmlosen Kunstfertigkeit eines Sagens willen, das sich zum Stil erhebt? Man lasse also zu, dass Stühle zusammenklappen, obwohl es vorzuziehen wäre, dass sie einfach nur umfallen, umkippen oder zusammenbrechen. Zusammenklappen möge hingegen, wer auf diesem Stuhl gesessen hat, besser, schon nicht mehr darauf sitzt, sondern umkippt, wie es der Fall ist, und so kann der Stil sich des ganzen Reichtums an Wörtern bedienen, die im Grunde nie dasselbe aussagen, strengt man sich auch noch so sehr an. Sagten sie dasselbe aus, ordneten sie sich nach Homologien in Gruppen, könnte das Leben um vieles einfacher sein, es führte mittels sukzessiver Einschränkungen zu der übrigens auch noch nicht einfachen Lautmalerei, und so immer weiter, wahrscheinlich bis hin zum Schweigen, das wir als das allgemeine oder omnivalente Synonym bezeichnen würden. Doch nicht einmal Lautmalerei ist es, besser, eine solche ließe sich kaum bilden mit Hilfe des artikulierten Tons (da die menschliche Sprache keine reinen und von daher unartikulierten Töne aufweist, oder vielleicht nur beim Singen, aber auch da wäre es angebracht, schärfer hinzuhören), der entsteht im Rachen des Fallenden oder zu, doch nicht in den Boden Sinkenden, Wörter, die sich anhören wie ein Fall, dessen Stern am Sinken ist, sich nun aber beziehen auf den, der zusammenklappt, denn man hielt es nicht für korrekt, dieses Verb zu substantivieren und es gemäß dem Fall (Wenfall) mit der parallelen Endung (-enden) zu versehen, die diese Wortwahl vollenden und den Kreis schließen würde. Auf diese Weise ist bewiesen, dass die Welt nicht vollkommen ist.
Als vollkommen hingegen wäre zu heißen der Stuhl, der im Fallen begriffen ist. Doch ändern sich die Zeiten, so ändern sich die Leidenschaften und ebenso die Eigenschaften, was einst vollkommen, ist es längst nicht mehr, aus Gründen, die Leidenschaften nicht ausschließen, jedoch keine Gründe wären, kämen sie nicht mit den Zeiten. Oder mit der Zeit. Die genaue Zeit in diesem Falle auszumachen erübrigt sich gewissermaßen, ebenso wie es überflüssig ist, den Stil des Mobiliars zu beschreiben oder auch nur zu benennen, das den Stuhl qua Identifizierung sicher zu einer zahlreichen Familie rechnet, umso mehr, als er von seiner stuhlischen Natur her zu einer einfachen Untergruppe oder zu einem Nebenzweig gehört, nichts, das sich auch nur annähernd in Größe und Eigenart mit den Tischen, diesen robusten Patriarchen, messen könnte, oder mit den Anrichten, den Kleider-, Silber- oder Porzellanschränken, oder mit den Betten, aus denen zu fallen naturgemäß schwerer, wenn nicht gar unmöglich ist, denn steigt man aus dem Bett, kann man sich das Bein brechen, und steigt man hinein, verliert man den Boden unter den Füßen, wobei ein Beinbruch nicht unbedingt die Folge unter den Füßen verlorenen Bodens ist. Wir sind nicht der Meinung, dass es angebracht wäre, zu vermerken, aus welchem Holz dieses kleine Sitzmöbel hergestellt wurde, dessen Name cadeira hierzulande darauf hinzudeuten scheint, dass es zum Fallen bestimmt ist, es sei denn, dieses lateinische cadere ist ein ausgemachter linguistischer Schwindel, falls cadere überhaupt Latein ist, was es allerdings in diesem Fall für alle Fälle sein sollte. Von einem jeden Baum kann es stammen, mit Ausnahme der Pinie, deren positive Eigenschaften sich im Bau von Schiffen zur Entdeckung des Seewegs nach Indien erschöpften und die heute zu den gewöhnlichen Hölzern zählt; auch nicht vom Kirschbaum, weil das Holz sich leicht verzieht; oder vom Feigenbaum, weil dieses Holz hinterhältig reißt, vor allem an heißen Tagen und wenn man sich wegen der Feigen auf dem Ast zu weit vorwagt; mit Ausnahme dieser Hölzer also, wegen der Nachteile, die sie haben, und mit Ausnahme anderer, wegen ihrer edlen Eigenschaften, wie es der Fall ist bei dem Schwarzholz, auch als Eisenholz bekannt, in das zwar der Holzwurm nicht hineinkommt, dessen Volumgewicht aber zu schwer ist. Ein anderes, gleichfalls nicht in Frage kommendes, ist das Ebenholz, ebendarum, weil dies nur ein anderer Name ist für Schwarzholz, und dass es nicht angebracht ist, Synonyme oder so gemeinte Wörter zu verwenden, steht ja bereits fest. Und erst recht beim Entwirren dieser Fragen der Botanik, die sich mit Synonymen nicht abgibt, wohl aber mit der Feststellung zweier unterschiedlicher Namen, die verschiedene Leute für ein und dieselbe Sache fanden. Man möchte wetten, dass die Bezeichnung Eisenholz ersonnen oder erwogen wurde von solchen, die auf dem Rücken sein Gewicht zu spüren bekamen. Nun, was gilt die Wette?
Falls er aus Ebenholz wäre, müssten wir wahrscheinlich den im Fallen begriffenen Stuhl als perfekt verurteilen, und zwar deshalb verurteilen, oder ablehnend beurteilen, sagt man auch, weil er dann nicht fallen würde, oder er fiele erst sehr viel später, sagen wir, in einem Jahrhundert, wenn es sich für uns um seinetwillen schon nicht mehr zu fallen lohnte. Möglich, dass dann ein anderer Stuhl an seiner statt fiele, den gleichen Fall und den gleichen Erfolg versprechend, doch das verlangte, eine andere Geschichte zu erzählen, nicht die eines Ereignisses, denn es ereignet sich fürwahr, wohl aber die einer künftigen Möglichkeit. Das Sichere ist weitaus besser, vor allem wenn man lange auf das Zweifelhafte gewartet hat.
Doch einen gewissen Perfektionsgrad wollen wir dem immerhin einmaligen Stuhl, der weiterhin fällt, nicht absprechen. Er wurde nicht nach Maß für den Körper angefertigt, der lange Jahre darauf sich setzte und gesessen hat, sondern ausgewählt, weil die Holzschnitzereien zu den restlichen nahen oder entfernten Möbeln passten beziehungsweise nicht allzu sehr von ihnen abstachen und weil er, was wichtig ist aus den bereits erwähnten Gründen, weder aus Pinie war noch aus Kirsch- oder gar Feigenholz, sondern aus einer für die Herstellung von Möbeln mit langer Lebensdauer häufig benutzten Holzart, verbi gratia Mahagoni. Dies ist eine Hypothese, die es überflüssig macht, mit dem übrigens nicht absichtlichen Ermitteln des Holzes fortzufahren, das für den fallenden Stuhl zugeschnitten, gebogen, geschnitzt, angepasst, geleimt, verbunden, zusammengepresst und trocknen gelassen wurde. Mahagoni also war’s, und weitere Worte kann man sich schenken. Es sei denn, man möchte hinzufügen, wie angenehm und entspannend es ist, nachdem man es sich im Stuhl bequem gemacht hat, und – falls er Armlehnen hat und ganz aus Mahagoni ist – in den Händen diese harte, geheimnisvolle Haut des polierten Holzes zu spüren sowie, sind die Lehnen gebogen, ihre wie Schulter oder Knie oder Hüftbein anmutenden Kurven.
Bedauerlicherweise widersteht Mahagoni, verbi gratia, dem Holzwurm nicht immer, wie es das oben erwähnte Ebenholz oder Schwarzholz tut. Die Probe aufs Exempel machten diverse Völker und Holzhändler, doch ein jeder von uns kann, bringt er die nötige Experimentierfreude mit, seinen eigenen Versuch durchführen, indem er die Zähne an dem einen und dann an dem anderen Holz ausprobiert und den Unterschied feststellt. Ein normaler Eckzahn wird, auch wenn er keineswegs auf eine zirzensische Darbietung seiner Zahneskraft vorbereitet ist, auf dem Mahagoni einen exzellenten und markanten Eindruck hinterlassen. Was er bei dem Ebenholz nicht vermag. Quod erat demonstrandum. Damit wären wir in der Lage, die Schwierigkeiten des Holzwurms einzuschätzen.
Keinerlei polizeiliche Ermittlungen werden eingeleitet, obgleich dies der entscheidende Augenblick wäre, denn jetzt hat sich der Stuhl erst um zwei Grad geneigt; es sei denn, um die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, dass die plötzliche Veränderung des Schwerpunktes nicht rückgängig gemacht werden kann, vor allem weil sie nicht durch einen instinktiven Reflex und eine Kraft, die ihm gehorchte, ausgeglichen werden kann; jetzt also wäre der richtige Zeitpunkt, ich wiederhole es, den Befehl zu erteilen, einen strengen Befehl, der alles wieder aufrichten würde, von diesem Moment, der sich nicht aufhalten lässt, bis nicht unbedingt zurück zu dem Baum (oder den Bäumen, zumal nicht gewährleistet ist, dass sämtliche Einzelteile aus demselben Holz geschnitzt sind), aber zu dem Holzhändler, dem Lageristen, dem Sägewerk, dem Hafenarbeiter, der Schifffahrtsgesellschaft, die den Stamm, entwurzelt und entlaubt, aus fernen Landen herbeibefördert hat. So weit zurück wie nötig, um den primären Holzwurm auszumachen und Zuständigkeiten zu klären. Unüberhörbar bilden sich im Rachen Laute, doch sie werden diesen Befehl nicht zu erteilen vermögen. Sie stecken im Halse, ohne das Bewusstsein, dort stecken geblieben zu sein, zwischen Ausruf und Aufschrei, im Urzustand beide. Eine Strafverfolgung ist also hinfällig wegen Verstummens des Opfers und Unachtsamkeit der Ermittler, die nur pro forma und aus reiner Routine feststellen werden – wenn der Stuhl am Boden angekommen und der vorerst noch nicht fatale Fall vollzogen ist –, ob das Bein oder der Fuß womöglich in böser und auch verbrecherischer Absicht angesägt wurde. Gedemütigt wird sich fühlen, wer diese Feststellung treffen muss, denn es ist demütigend, eine Pistole unterm Arm und einen Stummel wurmstichigen Holzes in der Hand zu haben und dieses dann unter dem Fingernagel zu zerkrümeln, der dazu gewiss nicht so dick zu sein bräuchte. Den zerbrochenen Stuhl dann mit dem Fuß beiseitezuschieben, nicht einmal verärgert, und den unnützen Fuß fallen zu lassen, von neuem fallen zu lassen, nun, da es mit seiner Nützlichkeit, die ausgerechnet darin bestand, durchzubrechen, vorbei ist.
Irgendwo muss es gewesen sein, wo – falls diese Tautologie zulässig ist. Irgendwo muss es gewesen sein, wo sich die Käfer, handelt es sich nun um die Familie der Bockkäfer (Cerambycidae), zu denen der besonders gefährliche Hausbock (Hylotrupes bajulus) zählt, oder um die Bohr- oder Klopfkäfer (Anobidae), zu denen beispielsweise die Totenuhr (Anobium pertinax) gehört (auf die Prüfung und Identifizierung durch einen sachverständigen Entomologen wurde verzichtet), in diesen oder in irgendeinen anderen Teil des Stuhls hineingebohrt haben, von wo aus sie dann ihre Reise antraten, nagend, verdauend, ausscheidend, an den weichen Fasern entlang Gänge bohrend bis hin zur idealen Bruchstelle, wie viele Jahre später weiß kein Mensch, man möge jedoch in Anbetracht der Kurzlebigkeit der Käfer nicht aus den Augen verlieren, dass ungezählte Generationen sich von diesem Mahagoni ernährt haben, bis zu dem glorreichen Tag, edles Volk, tapferes Vaterland. Denken wir ein wenig über dieses Werk unermesslicher Geduld nach, über diese zweite Queóps-Pyramide, wenn das Manieren sind, Ägyptisches auf Portugiesisch zu schreiben, errichtet von den Käfern, ohne dass von außen auch nur das Geringste sichtbar gewesen wäre, derweil sie Tunnel bohrten, die ein für alle Mal in eine Grabkammer münden. Es ist nicht zwingend, dass die Pharaonen an einen mysteriösen, finsteren Ort im Inneren eines Steinbergs gebracht werden, mit Verzweigungen, die zunächst zu Schächten und Stätten des Verderbens führen, dort, wo die unvorsichtigen und skeptischen Archäologen, die sich über den Fluch lustig machen, ihre Gebeine lassen und das Fleisch, solange es noch nicht zerfressen ist, in jenem Fall die Ägyptologen, oder wie man sie nennt, in diesem, wie soll man sagen, die Lusologen oder Portugalologen, wie sie sich wohl nennen werden. Und was diesen Unterschied betrifft zwischen dem Ort, wo die Pyramide errichtet wird, und jenem anderen, wo der Pharao sich installiert oder installiert wird, greifen wir auf el cuento alias Schwindel zurück und sagen wir, in Einklang mit den weisen und bedächtigen Stimmen unserer Vorfahren, dass auf der einen Seite der Lorbeerzweig angebracht und auf der anderen der Wein verkauft wird, oder, falls diese Wendung geläufiger sein sollte, die Schuld schlicht und ergreifend dem Unschuldigen in die Schuhe geschoben wird. Wundern wir uns also nicht, dass diese Pyramide mit Namen Stuhl das eine oder andere Mal ihrer Bestimmung als letzte Ruhestätte entgeht und der Moment des Zusammenbruchs im Gegenteil zu einer Art Abschied wird, immer wieder aufs Neue, nicht weil dem Stuhl die Abwesenheit, denn aus diesem Reich kehrt keiner zurück, so schwerfällt, sondern zur erschöpfenden und überzeugenden Darstellung dessen, was Abschied sein kann, denn wir alle wissen zur Genüge, dass Abschiede immer viel zu schnell gehen, um diesen Namen wirklich zu verdienen. Sie bieten weder Gelegenheit noch Platz für den zehnfach bis zur reinen Essenz destillierten Kummer, alles besteht aus Hast und Überstürzung, aus in die Augen steigenden Tränen, die keine Zeit haben, den Blick zu verschleiern, einem Ausdruck, der ach so gern tiefe Traurigkeit zeigen würde oder Melancholie, wie man früher zu sagen pflegte, und am Ende zur Grimasse oder Griesgramasse wird, was eindeutig schlimmer ist. Am Fallen ist also der Stuhl, ohne jeden Zweifel fällt er, doch der Sturz wird so lange dauern, wie immer wir es wünschen, und während wir diesem Fall beiwohnen, den nichts und niemand aufhalten kann und den auch keiner von uns aufhalten würde, der schon jetzt als unabwendbar gilt, könnten wir ihn dennoch abwenden, wie es macht der Fluss Guadiana, genannt der Unschlüssige, nein, nicht zu Tode erschrocken, sondern aus himmlischem Frohlocken, was ohne jeden weiteren Zweifel auch nur recht und billig ist. Lernen wir, wenn möglich, mit Hilfe der heiligen Theresia von Avila und des Wörterbuchs, dass dieses Frohlocken jene übernatürliche Freude ist, die in der Seele der Gerechten die Gnade hervorruft. Während wir mit ansehen, wie der Stuhl umfällt, wäre es unmöglich, nicht selbst in Gnade zu fallen, zumal wir als bloße Zuschauer des Falles gar nichts tun oder tun werden, um ihn aufzuhalten, und reine Assistenzfiguren sind. Womit die Existenz der Seele bewiesen ist, und zwar auf dem demonstrativen Wege des Erfolgs, in dessen Genuss wir, siehe da, nicht ohne diese gekommen wären. Es nehme also der Stuhl wieder seine aufrechte Stellung ein und beginne von neuem zu fallen, derweil wir uns mit der Materie befassen.
Da ist es, das Anobium, auf das die Wahl gefallen ist, weil dieser Name irgendwie nobel klingt, noblesse oblige, wie ein Rächer erscheint es am Horizont der Prärie, galoppiert auf seinem Fuchs daher und braucht, um anzukommen, all die erforderliche Zeit, bis der Vorspann abgelaufen ist und wir uns darüber im Klaren sind, sollte keiner von uns es auf den Plakaten am Eingang gelesen haben, wer letzten Endes hier die Regie führt. Da ist es, das Anobium, nun in der Totalen, mit seinem Koleopterengesicht, die Haut gegerbt vom Wind der Steppe und jener stechenden Sonne, die, wie wir alle wissen, den Abbaustellen im Tagebau stark zusetzen an des Stuhles Fuß, der gerade soeben abgebrochen ist, wobei besagter Stuhl zum dritten Mal zu fallen beginnt. Dieses Anobium pertinax, das wurde bereits in einer Form ausgedrückt, die eher zu den genetischen und reproduktiven Banalitäten zählt, hatte Vorgänger bei seiner Vergeltungstat: Sie heißen Fred, Tom Mix, Buck Jones, doch dies sind die Namen, die für immer und ewig mit der Geschichte des epischen Westerns verbunden sind, uns aber nicht die anonymen Käfer vergessen lassen dürfen, diejenigen, die eine weniger glorreiche, ja sogar lächerliche Rolle spielten, wie durch die Wüste zu ziehen und schon am Anfang darin umzukommen, oder mit größter Vorsicht die sumpfigen Niederungen zu durchqueren und auszurutschen, sich schmutzig machend und stinkend, was beschämend ist, gestraft durch die Lachkrämpfe im Parkett und in den Rängen. Keinem von diesen war die endgültige Abrechnung gelungen, als die Dampflokomotive drei Pfiffe ausstieß und die Halfter auf der Innenseite mit Talg eingerieben wurden, damit die Revolver schneller zu ziehen waren, die Zeigefinger am Abzug und die Daumen bereit, den Hahn zu spannen. Keiner von all diesen bekam den Preis, der auf Marys Lippen seines Empfängers harrte, noch hatte einer von ihnen als Komplize ein blitzschnelles Pferd, das von hinten kommt und der nur darauf wartenden Mary den schüchternen Cowboy in die Arme schiebt. Alle Pyramiden haben als Basis Steine, die Denkmäler ebenfalls. Das siegreiche Anobium ist das letzte Glied in der Kette der Namenlosen, die ihm vorausgegangen sind, die auf jeden Fall nicht weniger glücklich waren, denn sie lebten, arbeiteten und starben, alles zu seiner Zeit, und dieses Anobium, das, wie wir wissen, den Kreis schließt, ist wie die Drohne, die beim Akt der Befruchtung stirbt. Das Prinzip des Todes.
Welch wunderbare Musik, die seit Monaten und Jahren niemand mehr gehört hat, unermüdlich, ohne Pause, bei Tag und bei Nacht, zu der prachtvollen und erschreckenden Stunde, in der die Sonne aufgeht, und bei dieser anderen Gelegenheit des Wunders, die lautet auf Wiedersehen, Licht, bis morgen, dieses andauernde, ununterbrochene Nagen, wie ein unaufhörliches Dudeln, immer dieselbe Note, mahlend, eine Faser nach der anderen zersetzend, und die Leute kommen herein und gehen wieder hinaus, zerstreut, mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, ohne zu ahnen, dass zu einer feststehenden Zeit das Anobium, die Pistolen schussbereit, in jeder Hand eine, den Feind – das Ziel – im Visier, treffen wird, und zwar voll ins Schwarze, keineswegs ins Blaue, falls man das so sagen kann, und falls nicht, dann wird man’s eben fortan sagen können, einer muss ja den Anfang machen. Wundervoll verklingt die Musik, die von Generationen über Generationen von Käfern komponiert und gespielt wurde, zu ihrem Vergnügen und unserem Nutzen, wie es die Bestimmung der Familie Bach war, sowohl vor als auch nach Johann Sebastian. Eine Musik, die nicht gehört wird, doch falls sie gehört würde von dem, der auf dem Stuhle sitzend mit diesem zusammenbricht und in seinem Rachen vor Schreck oder Überraschung diesen artikulierten Ton erzeugt, der vielleicht weder mit dem Schreien noch mit dem Heulen und erst recht nicht mit dem Sprechen verwandt ist, was würde er dann tun? Eine Musik, die zu Ende sein wird, die jetzt soeben aufgehört hat: Buck Jones sieht den Feind im grellen, blendenden Licht der texanischen Sonne unweigerlich zu Boden fallen, steckt die zwei Revolver ein und nimmt den großen Hut mit der breiten Krempe ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, und weil Mary herbeieilt, in einem weißen Kleid, nun, da die Gefahr vorbei ist.
Es wäre jedoch etwas übertrieben, behaupten zu wollen, das menschliche Schicksal sei bestimmt durch das kauende Mundwerkzeug der Käfer. Wenn dem so wäre, hätten wir uns längst alle in Häuser aus Glas und Eisen zurückgezogen, uns vor dem Anobium in Sicherheit gebracht, aber nicht vor allem, denn aus einem gewissen Grund und auch zu einem bestimmten Zweck gibt es jenes geheimnisvolle Übel, dem wir, potenzielle Kranke, den Namen Glaskrankheit geben, und außerdem den ganz gewöhnlichen Rost, der, möge einer diesen anderweitigen Geheimnissen auf die Spur kommen, nicht das Eisenholz befällt, doch buchstäblich alles angreift, was aus reinem Eisen ist. Wir Menschen sind anfällig, doch in Wirklichkeit müssen wir unserem eigenen Tod behilflich sein. Vielleicht ist es eine Frage der menschlichen Ehre: dass wir, damit wir nicht so unbewehrt und ausgeliefert sind, von uns etwas hingeben, denn wozu sonst sollte es gut sein, auf der Welt zu sein? Das Fallbeil der Guillotine schneidet, doch wer hält seinen Kopf hin? Der, der hingerichtet wird. Die Gewehrkugeln durchbohren, doch wer gibt seine Brust her? Der, der erschossen wird. Der Tod ist von dieser besonderen Schönheit, so klar und bewiesen wie ein mathematischer Lehrsatz, so einfach wie die Verbindung zweier Punkte durch eine Linie, wenn sie über die Länge des Lineals nicht hinausgeht. Tom Mix feuert seine zwei Revolver ab, doch nichtsdestotrotz ist es erforderlich, dass das in den Patronen zusammengepresste Schießpulver genügend Explosivkraft hat und in ausreichender Menge vorhanden ist, damit das Blei die Entfernung in seiner leicht gewölbten Bahn (hier bitte nicht mit dem Lineal arbeiten) überwindet und, sind die Gebote der Ballistik erfüllt, zunächst in angemessener Höhe die Stoffweste durchschlägt, dann das Hemd, vielleicht aus Flanell, danach das wollene Unterhemd, das im Winter wärmt und im Sommer den Schweiß aufsaugt, und schließlich die Haut, weich und dehnbar, die sich in einer ersten Anwandlung zurückzieht, annehmend, falls die Haut zu solcher Transzendenz und nicht nur zu Transpiration neigt, dass der Durchschlagkraft des Geschosses dort Einhalt geboten wird und die Kugeln demzufolge herunterfallen werden, in den Staub auf dem Weg, der Verbrecher gerettet bis zur nächsten Folge. So aber war es nicht. Buck Jones hält Mary bereits in den Armen, und das Wort ENDE kommt aus seinem Mund und wächst, bis es die Leinwand ganz ausfüllt. Es wäre für die Zuschauer an der Zeit, sich allmählich zu erheben und den Mittelgang entlang zu dem hellen Licht zu gehen, das von der Tür kommt, denn sie waren in der Nachmittagsvorstellung, sich anzustrengen, um zur abenteuerlosen Wirklichkeit zurückzukehren, ein wenig traurig, ein wenig mutig, und so schlecht vorbereitet auf das Leben, das sie an der Front erwartet, dass der eine oder andere einfach bis zur zweiten Vorstellung sitzen bleibt: Es war einmal.