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Josef Gelmi

Cusanus

topos taschenbücher, Band 1087

Eine Produktion des Verlags Butzon & Bercker

Ubi non est ordo, ibi est confusio –
Wo keine Ordnung ist, herrscht Chaos

Nikolaus von Kues, De concordantia catholica III, 30

Es ist besser, miteinander zu sprechen
als gegeneinander Krieg zu führen

Nikolaus von Kues,
Brief an den spanischen Theologen Johannes von Segovia

vom 29. Dezember 1454

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Verlagsgemeinschaft topos plus

Butzon & Bercker, Kevelaer

Don Bosco, München

Echter, Würzburg

Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern

Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der

Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8367-1087-9

E-Book (PDF) ISBN: 978-3-8367-5076-9

Epub ISBN: 987-3-8367-6076-8

2017 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer

Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen beim

Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer

Umschlagabbildung: © wikipedia.org

Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau

Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg

Printed in Germany

Inhalt

Vorwort

I. Die Zeit des Cusanus

Die Devotio moderna

Der Verfall der kirchlichen Einheit

Das Abendländische Schisma

Das Konzil von Konstanz

Die Konzilien von Basel und Florenz

Die Päpste zur Zeit des Nikolaus von Kues

II. Der Werdegang des Theologen

Die Familie des Nikolaus von Kues

Die Studienzeit in Padua

Die Pfründenhäufung

Theologiestudium in Köln und Reise nach Paris

Beim Basler Konzil

„Über die allumfassende Einheit“

Der Fahnenwechsel

In Konstantinopel

„Über die belehrte Unwissenheit“ und „Über die Mutmaßungen“

III. Reformer, Prediger und Seelsorger

Das Wiener Konkordat und die Ernennung zum Kardinal

Einsatz für die Erneuerung der Kirche in Deutschland

Die Holztafel

Die Ernennung zum Fürstbischof von Brixen

Die Restitution entrissenen Besitzes

Die Reform der Diözese Brixen

Die Predigttätigkeit des Cusanus

Die Brixner Diözesansynoden

Der Streit mit den Klöstern

Der Sonnenburger Streit

Der Konflikt mit dem Landesfürsten und die Attentate

Auf Schloss Andraz

IV. Ökumene der Religionen und mystische Schau

„Über den Frieden im Glauben“

Cusanus und der Islam

Cusanus und die Juden

Cusanus und die Griechen

Die Werke „Zur Vervollständigung der Theologie“ und „Vom Sehen Gottes“

V. Neue Auseinandersetzungen und soziales Engagement

Die Enneberger Schlacht

Die Stiftung in Kues

Die Kapelle in Kues

Die Bibliothek in Kues

Der Fürstenkongress in Mantua

Die Gefangennahme in Bruneck

Ein Märtyrer der Freiheit

Das Schuldbekenntnis des Kardinals

Der Konflikt mit Pius II. in Rom

VI. Letzte Jahre

„Dialog über das Globusspiel“

Krankheit und Aufenthalt in Orvieto

Der Tod

Das Grabmal in Rom

VII. Bilanz: Bedeutung und Wirkung

Der Mensch Cusanus

Die Bedeutung des Cusanus

Rezeption des Cusanus

Schluss

Autobiografie vom 21. Oktober 1449

Zeittafel

Anmerkungen

Quellen und Literatur

Vorwort

Cusanus zählt zu den bedeutendsten Denkern des Abendlandes. Gar manche Ideen dieses vielseitigen Denkers, der wie kein anderer den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit markiert, sind auch heute noch äußerst modern und aktuell. Er hat sein Leben lang um die Einheit der Kirche und um ihre Erneuerung gerungen. Seine lebenslange „Jagd nach Weisheit“ war letztlich ein Suchen nach Gott.1 Die ca. dreihundert überlieferten Predigten geben Zeugnis von einem Menschen, der vom christlichen Offenbarungsglauben zutiefst überzeugt war und immer wieder versuchte, sich mithilfe der Vernunft dem verborgenen Gott zu nähern.2 Zentrum seines Glaubens und seiner Verkündigung war der menschgewordene Jesus Christus, den er als den Größten aller Menschen hinstellte, in dessen Geist alle Völker und Religionen ihren Frieden finden können.

Im vorliegenden Buch will ich einen komprimierten Abriss von Leben und Wirken des Cusanus bieten und versuchen, über alles zu sprechen, ohne Gefahr zu laufen, über alles zu reden und damit zu langweilen. Es handelt sich dabei um ein waghalsiges Unterfangen angesichts der vielen biografischen Quellen und Abhandlungen, die es zu dieser faszinierenden Gestalt gibt. Schon 2013 regte sich in mir der Wunsch, zum 550. Todestag das dramatische Leben des Kardinals in kurzen Zügen mit besonderer Berücksichtigung seiner Zeit als Bischof von Brixen nachzuzeichnen. Damals habe ich das Buch mit dem Titel Nikolaus von Kues (1401–1464). Leben und Wirken eines Universalgenies auf dem Brixner Bischofsstuhl beim Verlag Weger in Brixen herausgebracht, dem bereits 2014 eine zweite Auflage und die Übersetzung in italienischer Sprache folgten. Nun habe ich für den Topos-Band das Manuskript überarbeitet, den Brixner Teil etwas gekürzt und dafür jenen Teil, der für den deutschsprachigen Raum allgemein interessant ist, erweitert.

Um die Arbeit nicht allzu sehr zu belasten, habe ich die Belege und den wissenschaftlichen Apparat auf ein Minimum reduziert. Dazu habe ich insbesondere Autoren wie Klaus Kremer, Walter Andreas Euler, Hermann J. Hallauer, Erich Meuthen, Edmond Vansteenberghe, Wilhelm Baum und Marco Brösch wiederholt herangezogen und konsultiert. Vor allem gilt das für Briefe, Dokumente und Predigten des Cusanus in deutscher Übersetzung. Wenn man über Cusanus schreibt, läuft man leicht Gefahr, sein Bild zu beschönigen, ja zu verherrlichen oder aber es zu verzerren und zu entstellen. Ich habe mir Mühe gegeben, objektiv zu bleiben im Bewusstsein, dass, wo viel Licht, auch Schatten ist. Es ging mir darum, das Leben und Wirken des Cusanus zu verstehen und für ein breites Publikum darzustellen. Das Buch soll möglichst vielen Menschen einen Zugang zu einer der interessantesten Persönlichkeiten der Kirchengeschichte bieten.

Leider deckten sich bei Cusanus nicht immer Idee und Wirklichkeit, theologische Vision und praktische Haltung, Denken und Handeln. Die ungelösten Spannungen in seiner Person lassen sich nur schwer auf einen Nenner bringen. Sein Wirken als Bischof in Brixen verdient weithin die Bezeichnung „Katastrophe“, wie Erich Meuthen schrieb. Grundsätzlich ging es Cusanus aber auch in Brixen immer um die Überwindung der Gegensätze und deren Aufhebung. Sein Werk De pace fidei schließt folgerichtig mit der grandiosen Vision vom „Ewigen Frieden“. Sicher ist, dass Cusanus trotz seiner Misserfolge auch heute noch für uns ein hilfreicher Wegweiser sein kann. Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments, sagte bei einem Vortrag in Kues am 28. Juni 2008: „Cusanus ermahnt uns, Fragen zu stellen, anstatt vorschnelle Antworten zu geben. Zugleich ermahnt er uns, die moralischen Maßstäbe unseres Handelns zu benennen und zu verteidigen. Darin ist er uns auch in den ethischen Konflikten im heutigen Europa ein Lehrer, auf den wir hören sollten […]. Nicolaus Cusanus hat sein kirchenpolitisches Hauptwerk ‚De concordantia catholica‘ betitelt, ‚von der allgemeinen Eintracht‘. Heute sollten wir ein Konkordat zwischen den Angehörigen der unterschiedlichen Religionen und Kulturen auf dieser einen uns anvertrauten Welt anstreben.“3

Der berühmte Humanist Johannes Trithemius († 1516) hatte weitgehend recht, wenn er über Cusanus schrieb: „Nikolaus von Kues erschien in Deutschland wie ein Engel des Lichtes und des Friedens; inmitten der Dunkelheit und Verwirrung stellte er die Einheit der Kirche wieder her, befestigte das Ansehen ihres Oberhauptes und streute reichen Samen neuen Lebens aus. Ein Teil desselben ist durch die Herzenshärte der Menschen gar nicht aufgegangen, ein anderer Teil trieb Blüten, die aber infolge von Trägheit und Lässigkeit rasch wieder verschwanden, aber ein guter Teil hat Früchte getragen, deren wir uns noch heute erfreuen. Cusanus war ein Mann des Glaubens und der Liebe, ein Apostel der Frömmigkeit und der Wissenschaft. Sein Geist umfasste alle Gebiete des menschlichen Wissens, aber sein Wissen ging von Gott aus und hatte kein anderes Ziel als die Verherrlichung Gottes und die Erbauung und Besserung der Menschen.“4

Abschließend bleibt mir noch die angenehme Aufgabe, allen zu danken, die zum Zustandekommen des Buches beigetragen haben. Großer Dank gebührt Frau Helga Dander und Frau Anna Pia Happacher für die Korrekturen der Texte. Herrn Dr. Gerhard Hartmann von der Verlagsgemeinschaft topos plus sei herzlich für die gute Zusammenarbeit gedankt.

Brixen, am 11. August 2016

Josef Gelmi

I.Die Zeit des Cusanus

Cusanus lebte in einer Zeit des Umbruchs und Aufbruchs. Die Epoche der Kreuzzüge war vorbei. Mit dem Aufruf „Gott will es“, rissen die Päpste die Massen nicht mehr mit sich fort und lösten keine Begeisterung mehr aus. Die Einsatzbereitschaft der Laien war dafür nicht mehr zu haben. Allgegenwärtig war aber immer noch die Einrichtung der Inquisition. Im Mittelalter war man davon überzeugt, dass es nur die kirchliche Wahrheit geben könne, weshalb jeder Widerspruch zu ihr ausgerottet werden müsse. Erst die Toleranzideen der Aufklärung sollten auf diesem Gebiet eine Änderung bringen. Cusanus hat mit dem Werk De pace fidei Grenzen überschritten, die zu überschreiten in seiner Zeit gefährlich war. Deshalb erscheint es fast wie ein Wunder, dass er nicht verurteilt worden ist.5

Die Kirche bekämpfte Sekten wie die Waldenser nicht nur mit Gewalt, sondern auch dadurch, dass sie Bewegungen förderte, die gewisse Ideale mit den Sekten gemeinsam hatten. So bewirkten die Bettelorden der Dominikaner und ganz besonders der Franziskaner mit ihrem Armutsideal eine Eindämmung dieser Bewegungen. Auch die Zeit der Scholastik und ihre großen Theologen wie Albert d. Große († 1280), Thomas von Aquin († 1274) und Bonaventura († 1274) war längst vorbei, und mit dem Nominalismus begann ein gewisser Verfall, da die Logik im Vergleich zur Metaphysik zunehmend an Gewicht gewann.6

Die Devotio moderna

Eine neue Frömmigkeitsform, deren Begründer der niederländische Mystiker Gerhard Groote (1340–1384) in Deventer war, begann mit der „Devotio moderna“. Die Schüler Grootes schlossen sich zu Laiengemeinschaften der Schwestern und Brüder vom Gemeinsamen Leben zusammen und betonten die persönliche Nachfolge Christi in Armut und Demut. Daraus erwuchs die 1395 gegründete Windesheimer Kongregation, die bis 1511 in den Niederlanden, Belgien und Deutschland 97 Klöster zählte. Diese Art von subjektiver Religiosität fand vor allem in der vielgelesenen Nachfolge Christi, die vermutlich Thomas von Kempen († 1471) verfasst hat, ihren stärksten Ausdruck. Cusanus hatte gerade für die „Devotio moderna“ eine große Vorliebe. Von den geistigen Strömungen, die das 15. Jahrhundert prägten, ist besonders auch der Humanismus zu nennen, der nicht mehr Gott, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellte und die Antike zum Vorbild nahm. Das betraf vor allem die Renaissance, d. h. das Wiedererwachen der Künste aus dem Dunkel des Mittelalters. Zu den schönsten Früchten, die das Mittelalter hervorbrachte, zählen aber die Universtäten, und gerade Cusanus konnte von diesen Früchten profitieren.7

Der Verfall der kirchlichen Einheit

Ein schmerzhaftes Kapitel war der Verfall der kirchlichen Einheit, die auch Cusanus so sehr am Herzen lag. Die Westkirche und die Ostkirche entfremdeten sich im Laufe der Zeit immer mehr. Der Bilderstreit, die Errichtung des abendländischen Kaisertums und die politischen Interessen trugen besonders dazu bei. Unter Papst Leo IX. (1049–1054) kam es zunächst zu einer Annäherung, aber der hochmütige Patriarch von Konstantinopel, Michael Kerullarius (um 1000–1059), und der nicht minder ehrgeizige Kardinal Humbert von Silva Candida (um 1006–1061) führten 1054 mit ihren gegenseitigen Exkommunikationen den Bruch herbei. Da aber Papst Leo IX. bereits tot war, als Humbert von Silva Candida seinen Bann gegen den Patriarchen schleuderte, ist es fraglich, ob die Exkommunikation des Kardinals überhaupt Gültigkeit besaß. Trotz der beim Konzil von Lyon 1274 und beim Konzil von Florenz 1439 erzielten Union ist der Bruch zwischen Ost und West bis heute nicht überwunden.8

Das Abendländische Schisma

Noch schmerzhafter als der Bruch mit den Orientalen war der Verlust der kirchlichen Einheit im Westen. Als Papst Gregor XI. (1370–1378) starb, waren 11 der 16 Kardinäle Franzosen. Um aber zu verhindern, dass noch einmal ein französischer Papst gewählt würde, übten die Römer heftigen Druck auf das Konklave aus und schreckten auch vor Gewaltanwendung nicht zurück. In großer Eile wurde am 8. April 1378 der Erzbischof von Bari, Urban VI. (1378–1389), gewählt, dem die Kardinäle am 18. April huldigten. Da sich Urban VI. aber so grausam und rücksichtslos gab, dass man glaubte, er sei geistesgestört, erklärten die Kardinäle am 20. September 1378 in Fondi bei Rom die Wahl vom 8. April für ungültig und wählten Klemens VII. (1378–1394) zum neuen Papst.

Wie schwierig es war, zu sagen, wer der richtige Papst sei, geht aus der Tatsache hervor, dass der Erzbischof von Toledo den Papstnamen im Messkanon durch die Formel ersetzte: „Für jenen, der der richtige Papst ist“. Die ganze abendländische Christenheit, der Episkopat, die großen Orden, selbst die Heiligen waren in zwei Parteien gespalten, und die Staaten Europas verteilten sich fast gleichmäßig auf beide Seiten. Jeder Papst bannte seinen Gegner und dessen Anhängerschaft, und jeder hielt an seinem Amt unbeirrbar fest. Dies war das große Abendländische Schisma, das fast vierzig Jahre dauerte.

Nachdem alle Unionsversuche gescheitert waren, kamen die Kardinäle beider Gefolgschaften überein, zum 25. März 1409 ein Konzil nach Pisa einzuberufen. Diese Versammlung erklärte beide Päpste, die inzwischen auf Urban VI. und Klemens VII. gefolgt waren, für abgesetzt, und wählten Alexander V. (1409–1410) zum Papst. Da aber die beiden vorhandenen Päpste nicht abtraten, besaß die Christenheit nun deren drei. Damit wurde die heillose Verwirrung perfekt. Von der „verruchten Zweiheit“ war man zur „verfluchten Dreiheit“ gelangt.9

Das Konzil von Konstanz

Haec Sancta Synodus