Eine bessere Welt beginnt bei jedem Einzelnen
Verwandtschaft verpflichtet. Das gilt besonders, wenn man der Enkelsohn eines Mannes ist, der wie kein anderer politischer Vordenker für Gewaltlosigkeit und Sanftmut steht. Doch der junge Arun Gandhi war in dieser Hinsicht kein Musterschüler, er war berüchtigt für seine Wutanfälle und immer wieder in Prügeleien verwickelt. Als er zwölf Jahre alt war, wussten sich seine Eltern nicht mehr zu helfen; sie schickten ihn in den Sevagram-Ashram nach Zentralindien, zu seinem Großvater. In den folgenden zwei Jahren lernte er in dessen Obhut die Welt neu zu sehen. Mahatma Gandhi lehrte ihn die wichtigsten Lektionen des Lebens, ein Vermächtnis, das Arun in diesem Buch mit uns teilt. Gemeinsam mit ihm durchdringt der Leser Fragen zu Wahrheit, Verschwendung, Einsamkeit und Familie – und zum Umgang mit Wut.
Mahatma Gandhi hat mit seiner Lehre die Welt verändert. Seine Idee des Widerstands durch zivilen Ungehorsam und Gewaltlosigkeit inspirierte Tausende, darunter Martin Luther King und Nelson Mandela.
»Wir sollten uns nicht für unsere Wut schämen. Sie ist eine sehr gute und sehr mächtige Sache, die uns motiviert. Aber wofür wir uns schämen müssen, ist die Art, wie wir sie missbrauchen.«
Mahatma Gandhi
© Dimitri Koutsomytis
Arun Gandhi, geboren 1934, ist der fünfte Enkel von Mohandas K. Gandhi, auch bekannt als Mahatma Gandhi. Dreißig Jahre lang arbeitete er als Journalist für die ›Times of India‹ und schrieb zudem für die ›Washington Post‹. Arun Gandhi ist Präsident des ›Gandhi Worldwide Education Institute‹ und hält regelmäßig Reden über die Praktiken des Friedens und der Gewaltlosigkeit. Er lebt in Rochester, New York.
Alissa Walser ist Schriftstellerin, bildende Künstlerin und Übersetzerin. Sie übersetzte u. a. Texte von Sylvia Plath, Anne Carson und Paula Fox sowie die Theaterstücke von Joyce Carol Oates und Edward Albee.
Wut ist ein Geschenk
Aus dem Englischen
von Alissa Walser
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017
unter dem Titel ›The Gift of Anger. And Other Lessons from My Grandfather Mahatma Gandhi‹
bei Gallery Books/Jeter Publishing,
An Imprint of Simon & Schuster Inc., New York.
© Copyright 2017 by Arun Gandhi
eBook 2017
© 2017 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Übersetzung: Alissa Walser
Umschlaggestaltung: Lübbeke Thoben Naumann, Köln
Umschlagabbildung: © Courtesy Dinodiya Photo Agency, Mumbai
Fotoretusche: © Alan Dingman
Satz: Fagott, Ffm
eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
ISBN eBook 978-3-8321-8961-7
www.dumont-buchverlag.de
Ich widme dieses Buch meinen vier großartigen Enkeln Elizabeth (Ellie), Michael (Micah), Jonathan (Jonu) und Maya – und allen Kindern der Welt.
Sie müssen die Veränderung werden, die die Welt vor der Katastrophe bewahrt.
VORWORT
Die Lektionen meines Großvaters
Wir waren auf dem Weg zu meinem Großvater. Für mich war er nicht der große, in aller Welt verehrte Mahatma Gandhi, sondern einfach nur Bapuji, der freundliche Großvater, von dem meine Eltern sehr oft erzählten. Von unserer südafrikanischen Heimat nach Indien war es eine lange Reise. Von Bombay aus fuhren wir mit dem Zug. Sechzehn Stunden lang saßen wir in einem überfüllten Abteil der dritten Klasse, in dem es nach Zigaretten, Schweiß und dem Rauch der Lokomotive stank. Als der Zug in die Station von Wardha einfuhr, waren wir erschöpft. Auf dem Bahnsteig schnappten wir nach frischer Luft, es tat gut, dem Kohlestaub zu entkommen.
Es war kurz vor neun Uhr am Morgen, doch die Sonne brannte schon heiß herab. Die Station bestand aus einem Bahnsteig und einem einzigen Raum für den Stationsvorsteher. Mein Vater hatte einen Gepäckträger in langem rotem Hemd und Lendenschurz ausfindig gemacht, der uns half und uns zu den Pferdewagen führte, die in Indien tongas genannt werden. Vater hob Ela, meine sechsjährige Schwester, in den Wagen und bat mich, mich neben sie zu setzen. Er und Mama würden zu Fuß hinter dem Wagen her laufen.
»Dann laufe ich auch«, sagte ich.
»Es ist ein langer Weg, an die dreizehn Kilometer«, betonte Vater.
»Das macht nichts«, beharrte ich. Ich war zwölf Jahre alt und wollte beweisen, dass ich stark war.
Nicht lange, und ich bereute meine Entscheidung. Die Sonne brannte immer gnadenloser, und die Straße war vom Bahnhof aus nur etwa anderthalb Kilometer weit geteert. Schon bald war ich erschöpft. Der Schweiß lief in Strömen an mir herab, und ich war bedeckt von Staub und Ruß. Doch ich wusste: In den Pferdewagen konnte ich jetzt nicht mehr klettern. In unserer Familie galt die Regel, dass, wer etwas sagte, es mit seinem Tun untermauern musste. Dass mein Ego stärker war als meine Beine, war allein mein Problem – ich musste weiterlaufen.
Endlich kamen wir in Bapujis Ashram an, der Sevagram genannt wurde. Wir hatten unser Ziel erreicht: ein abgelegenes Fleckchen im ärmsten Herzen des armen Indiens. Ich hatte schon so viel von der Schönheit und Liebe gehört, die Großvater in die Welt hinausgetragen hatte, dass ich blühende Blumen und rauschende Wasserfälle erwartet hatte. Stattdessen wirkte der Ort flach, trocken, staubig und unscheinbar. Er bestand aus nichts als ein paar Lehmhütten, die um einen offenen Gemeinschaftsraum herum angeordnet waren. Und für diese öde Tristesse war ich so weit gereist? Ich hatte mindestens mit einer Willkommensparty zur Begrüßung gerechnet, doch keiner schenkte uns auch nur die geringste Aufmerksamkeit.
»Wo sind die denn alle?«, fragte ich meine Mutter.
Wir betraten eine einfache Hütte, in der wir uns waschen konnten. Als ich fünf Jahre alt gewesen war, war ich Bapuji schon einmal begegnet, aber ich konnte mich nicht mehr an diesen Besuch erinnern, und nun, da unsere zweite Begegnung bevorstand, war ich etwas nervös. Meine Eltern hatten uns eingeschärft, artig zu sein, wenn wir ihn begrüßten, denn Großvater war ein bedeutender Mann. Auch in Südafrika, wo mein Großvater einundzwanzig Jahre lang – von 1893 bis 1914 – gelebt hatte, hatte ich die Leute mit Ehrfurcht von ihm sprechen hören, und ich stellte mir vor, irgendwo auf dem Gelände des Ashrams stehe eine Villa, in der Bapuji, umringt von seinen Dienern, lebte.
Umso schockierter war ich, als wir zu einer der schlichten Hütten liefen und ein gerade einmal drei mal viereinhalb Meter großes Zimmer betraten. In einer Ecke hockte Bapuji auf einer dünnen Baumwollmatte, die den Lehmboden bedeckte.
Später würde ich erfahren, dass selbst Staatsoberhäupter, die zu Besuch kamen, um mit dem großen Gandhi zu sprechen und sich beraten zu lassen, sich auf der Matte neben ihn hockten. Doch nun zeigte Bapuji sein schönes, zahnloses Lächeln und winkte uns zu sich.
Meine Schwester und ich folgten dem Beispiel meiner Eltern und verbeugten uns vor seinen Füßen, wie es in Indien Tradition ist. Doch davon wollte er nichts wissen. Rasch zog er uns an sich und nahm uns liebevoll in die Arme. Er küsste uns auf beide Wangen, und Ela quiekte vor Freude.
»Wie war die Reise?«, fragte Bapuji.
Ich war so eingeschüchtert, dass ich zu stottern begann. »Bapuji, ich bin den ganzen Weg vom Bahnhof aus gelaufen.«
Er lachte, und ich sah ihn zwinkern. »Was du nicht sagst. Ich bin stolz auf dich«, sagte er und drückte mir noch mehr Küsse auf die Wange.
Ich spürte sofort seine bedingungslose Liebe, und die war in dem Moment genau das, was ich brauchte. Ich empfand sie als einen Segen.
Und viele Segnungen sollten dieser ersten noch folgen.
Meine Eltern und Ela blieben nur für einige Tage im Ashram, dann machten sie sich auf den Weg, um die große Familie meiner Mutter in anderen Teilen Indiens zu besuchen. Ich jedoch sollte für die nächsten zwei Jahre bei Bapuji leben, mit ihm reisen und dabei von einem naiven zwölfjährigen Kind zu einem etwas einsichtigeren jungen Mann von vierzehn Jahren heranwachsen. In dieser Zeit lernte ich seine Lektionen. Sie haben mein Leben für immer verändert.
Bapuji hatte oft ein Spinnrad neben sich stehen. Und so stelle ich mir sein Leben gern als einen goldenen Faden aus Geschichten und Lektionen vor, der sich durch die Generationen spinnt und all unsere Leben zu einem elastischeren Stoff verwebt. Inzwischen kennen viele Menschen meinen Großvater nur noch aus dem Kino, oder sie erinnern sich, dass er einst zum gewaltlosen Widerstand aufgerufen und die Bewegung der Gewaltlosigkeit ins Leben gerufen hat und damit viele inspirierte, zum Beispiel auch die Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten. Ich jedoch kannte ihn als warmherzigen, liebevollen Großvater, der in mir das Beste suchte – und es auf diese Weise auch hervorbrachte. Er ermutigte mich und so viele andere Menschen dazu, besser zu sein, als wir uns das je zugetraut hätten. Politische Gerechtigkeit war ihm wichtig, aber nicht aus einer gloriosen theoretischen Perspektive heraus, sondern weil ihm die Notlage jedes Einzelnen naheging. Er glaubte, dass jeder von uns es verdient habe, das bestmögliche Leben zu leben.
Wir alle brauchen – heute mehr denn je – Bapujis Lektionen. Mein Großvater wäre traurig über das Ausmaß von Wut in der heutigen Welt. Aber verzweifeln würde er nicht.
Die ganze Menschheit ist eine Familie.
»Die ganze Menschheit ist eine Familie«, sagte er immer wieder. Zu seinen Lebzeiten wurde er bedroht und gehasst, doch seine praktische Philosophie der Gewaltlosigkeit half Indien, sich zu befreien, und diente der ganzen Welt als Vorbild dafür, wie man die Menschenrechte voranbringen konnte.
Gerade jetzt, in diesem Moment, sollten wir uns auf ihn und seine Lehre besinnen. Wir sollten einander nicht länger bekämpfen und uns den tatsächlichen Bedrohungen widmen. Tödliche Bombenanschläge gehören inzwischen zu unserem Alltag. Wir werden Zeugen, wie Polizisten und friedliche Demonstranten kaltblütig umgebracht werden. In unseren Schulen und Straßen werden Kinder ermordet, und die sozialen Medien sind ein Forum für Hass und Vorurteile. Politiker schüren Gewalt und Wut, anstatt einen gemeinsamen Nenner zu suchen.
Mein Großvater begriff die Gewaltlosigkeit nie als Passivität oder Schwäche. Gewaltlosigkeit war für ihn ein Mittel, sich moralisch und ethisch zu stärken und sich selbst in die Lage zu versetzen, die Gesellschaft in Einklang zu bringen. Am Anfang, als er dabei war, seine Gewaltlosigkeitskampagnen zu entwickeln, bat er die Menschen um Hilfe, einen Namen für seine neue Bewegung zu finden, und einer seiner Cousins schlug das Sanskrit-Wort sadagraha vor, was so viel wie »Festhalten am Guten« bedeutet. Das Wort gefiel Bapuji, doch er beschloss, es ein wenig abzuwandeln, in satyagraha, was in etwa »Festhalten an der Wahrheit« heißt. Später wurde seine Wortschöpfung auch mit »Seelenkraft« übersetzt, was uns eindringlich daran erinnert, dass, wer die richtigen Werte hat, auch wirklich große Kraft daraus schöpft.
Ich glaube, was wir alle im Moment brauchen, ist eine Rückkehr zur satyagraha, zur »Seelenkraft« meines Großvaters. Er rief eine Bewegung ins Leben, die zu einer gewaltigen politischen Umwälzung führte und Millionen von Indern Selbstbestimmung brachte. Doch das Wichtigste ist, dass Bapuji zu zeigen versuchte, dass wir unsere Ziele durch Liebe und Wahrhaftigkeit erreichen können und dass die größten Fortschritte dann geschehen, wenn wir unser Misstrauen aufgeben und Kraft schöpfen aus einer positiven Einstellung und unserer eigenen Zivilcourage.
Mein Großvater vertraute keinen Etiketten. Spaltungen zwischen den Menschen wollte er verhindern. Obwohl er zutiefst spirituell war, lehnte er jede Religion ab, die die Menschen eher auseinander- als zusammenbrachte. Im Ashram standen wir jeden Tag um 4:30 Uhr auf, um uns fertig zu machen für die Fünf-Uhr-Gebete. Bapuji hatte universale Gebete aus den Texten der verschiedensten Religionen herausgefiltert. Er glaubte, dass jede Religion ein Quäntchen Wahrheit enthalte und dass es problematisch sei, zu glauben, das Quäntchen sei die ganze und einzige Wahrheit.
Bapuji sprach sich gegen die britische Herrschaft und für die Selbstbestimmung aller Menschen aus, und dafür saß dieser Mann, der nichts als Liebe und Frieden verbreiten wollte, fast sechs Jahre lang in indischen Gefängnissen. Seine Gedanken über Frieden und Eintracht waren für viele derart bedrohlich, dass er, seine Frau und sein bester Freund und Vertrauter, Mahadev Desai, hinter Gittern landeten. Desai erlitt einen Herzinfarkt und starb 1942 im Gefängnis, und auch Großvaters geliebte Frau Kasturba schaffte es nicht; sie starb, ihren Kopf in seinem Schoß, am 22. Februar 1944. Drei Monate nach ihrem Tod kam Großvater als einziger Überlebender aus dem Gefängnis frei. Bald darauf nahm er mich zu sich und machte es sich zur Aufgabe, mir beizubringen, auf was es im Leben wirklich ankommt.
Die zwei Jahre, die ich bei Bapuji verbrachte, waren für uns beide eine wichtige Zeit. Sein Engagement für ein unabhängiges Indien begann Früchte zu tragen, doch die damit verbundene Gewalt und die Teilung Indiens gehörten nicht zu seinem Traum. Während sich auf der Weltbühne vieles veränderte, lernte ich, mich selbst zu verändern, indem ich meine eigenen, oft schwer in den Griff zu bekommenden Emotionen überwand und entdeckte, wie ich mein Potenzial ausschöpfen und die Welt mit anderen Augen sehen konnte. Bapuji zeigte mir in einfachen, praktischen Lektionen, wie ich meine persönlichen Ziele erreichen konnte. Gleichzeitig durfte ich Zeuge der Geschichte Indiens werden. Es war ein Intensivkurs in seiner Philosophie: »Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.«
Sei du selbst die Veränderung,
die du dir wünschst für diese Welt.
Diese Veränderung brauchen wir, jetzt sofort, da die Pegel von Gewalt und Hass weltweit ins Unerträgliche steigen. Viele Menschen sehnen sich verzweifelt nach Veränderung, aber sie fühlen sich machtlos den Verhältnissen ausgeliefert. Die extreme Ungleichheit führt dazu, dass fünfzehn Millionen Kinder in den USA und Hunderte Millionen in der Welt häufig nicht genug zu essen haben, während andere im Überfluss leben und glauben, ihr Besitz sei eine Lizenz zur Verschwendung. Vor Kurzem beschädigten Rechtsfaschisten auf einem Marktplatz in Nordindien die Statue meines Großvaters und prophezeiten: »Ihr werdet die Zeugen der Spuren des Terrors sein.« Dafür – um diesen Wahnsinn zu beenden – müssen wir unsere Leben ändern.
Genau dieser Moment unserer Geschichte war es, den mein Großvater befürchtete. Nur eine Woche bevor er ermordet wurde, fragte ihn ein Journalist: »Was, glauben Sie, wird aus Ihrer Philosophie, wenn Sie sterben?« Sehr traurig erwiderte Bapuji: »Die Leute werden mich verehren im Tod, aber sie werden meine Sache nicht zu ihrer Sache machen.« Wir müssen seine Sache wieder zu unserer machen. Seine Alltags-Weisheit kann uns helfen, die Probleme zu lösen, denen wir auch heute noch gegenüberstehen. Noch nie haben wir meinen Großvater so dringend nötig gehabt wie in diesem Moment.
Bapuji verband transzendentale Wahrheiten mit praktischer Anleitung, um den Lauf der Geschichte zu ändern. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir ihm folgen.
Die Lektionen, die ich von Bapuji gelernt habe, haben mein Leben verwandelt, und ich hoffe, sie werden auch dir helfen, in deinem Leben einen tieferen Frieden und Sinn zu entdecken.
LEKTION EINS
Wut ist ein Geschenk
Mein Großvater setzte die Welt in Erstaunen, weil er auf Gewalt und Hass mit Liebe und Vergebung antwortete. Er wurde nie zum Opfer seiner Wut.
Mir gelang das weniger gut. Ich wuchs als indisches Kind im rassistisch aufgeladenen Südafrika auf und wurde von weißen Kindern attackiert, weil ich nicht weiß war, und von schwarzen Kindern, weil ich nicht schwarz genug war. Ich erinnere mich, wie ich, um Süßigkeiten zu kaufen, an einem Samstagnachmittag durch eine Wohngegend lief, in der ausschließlich Weiße lebten. Plötzlich gingen drei Jungs, Teenager, auf mich los. Einer schlug mir ins Gesicht, und als ich fiel, begannen die anderen beiden zu lachen und mich mit Füßen zu treten. Ich war erst neun Jahre alt. Ein Jahr später feierte meine Familie das hinduistische Lichterfest bei Freunden in der Stadt. Auf dem Weg dorthin lief ich an einer Gruppe junger Afrikaner vorbei, die an der Straßenecke herumhingen. Einer von ihnen schlug mich mit einem Stock heftig auf den Rücken. Nur weil ich Inder war. Ich schäumte vor Wut und nahm mir vor, mich zu revanchieren.
Ich begann, Gewichtheben zu trainieren, aus der vagen Vorstellung heraus, es würde mich stark genug machen, um Rache zu üben. Meine Eltern, Bapujis Lehren der Gewaltlosigkeit verpflichtet, waren verzweifelt, weil ich so oft in Prügeleien verwickelt wurde. Sie versuchten, meine Aggression zu mildern, doch sie kamen nicht an gegen meine Wutanfälle.
Ich war auch nicht gerade froh über meine andauernde Wut. Dass ich den Groll hinunterschluckte und Rachefantasien hegte, machte mich nicht stärker, sondern schwächer. Meine Eltern hofften, mein Aufenthalt bei Bapuji im Ashram würde mir helfen, meinen inneren Furor wenigstens zu verstehen, um dann besser damit zurechtzukommen. Das war auch meine Hoffnung.
Die ersten Begegnungen mit meinem Großvater überraschten mich. Man konnte tun und sagen, was man wollte, er blieb scheinbar immer gelassen und beherrscht. Ich gab mir selbst das Versprechen, seinem Beispiel zu folgen, und für eine Weile gelang es mir auch ganz gut. Nachdem meine Eltern und meine Schwester abgereist waren, traf ich ein paar gleichaltrige Jungs, die im nahe gelegenen Dorf wohnten, und wir begannen, miteinander zu spielen. Ein alter Tennisball diente ihnen als Fußball, und ich legte ein paar Steine als Torpfosten hin.
Ich spielte sehr gern Fußball. Zwar machten sich die Kinder vom ersten Tag an über meinen südafrikanischen Akzent lustig, doch ich hatte schon Schlimmeres erlebt, also tolerierte ich die Sticheleien. Aber als ich stürmisch dem Ball nachjagte, stellte mir einer der Jungen absichtlich ein Bein. Ich fiel auf den harten, staubigen Boden. Mein Ego war ebenso verletzt wie mein Knie – ich spürte die altbekannte Wut hochkochen, mein Herz begann zu rasen, und meine Seele schrie nach Vergeltung. Hastig schnappte ich mir einen der Steine, stand wutentbrannt auf, hob den Arm, um den Stein mit voller Wucht auf den Übeltäter zu schleudern.
Doch eine leise Stimme in meinem Kopf sagte: »Tu es nicht.« Ich warf den Stein auf den Boden und rannte zum Ashram zurück. Tränenüberströmt lief ich zu meinem Großvater und erzählte ihm die Geschichte.
»Ich bin die ganze Zeit über wütend, Bapuji. Ich weiß nicht mehr weiter.«
Ich hatte mich nicht bewährt und dachte, er wäre nun enttäuscht von mir. Doch Bapuji klopfte mir nur besänftigend auf die Schulter und sagte: »Hol dein Spinnrad und lass uns beide ein bisschen Baumwolle spinnen.« Gleich nach meiner Ankunft im Ashram hatte mir mein Großvater gezeigt, wie man spinnt. Jeden Morgen und jeden Abend saß ich eine Stunde lang am Spinnrad; es war sehr beruhigend. Bapuji übte sich, lange bevor überhaupt jemand dieses Wort gebrauchte, in Multitasking. Oft sagte er: »Während wir hier zusammen sitzen und uns unterhalten, können unsere Hände ein bisschen spinnen.« Also holte ich das kleine Gerät und stellte es auf.
Bapuji lächelte und bereitete sich darauf vor, zusammen mit der Baumwolle eine Lektion auszuspinnen.
»Ich will dir eine Geschichte erzählen«, sagte er, als ich mich neben ihn setzte. »Es war einmal ein Junge, der war so alt wie du. Er war immer wütend, weil nichts so zu laufen schien, wie er es sich wünschte. Und er konnte nicht erkennen, wie wertvoll die Sichtweisen anderer Leute sind, und deshalb fühlte er sich von ihnen oft provoziert und reagierte mit einem Wutanfall.«
Ich vermutete, der Junge sei ich, deshalb spann ich weiter und hörte dabei sehr aufmerksam zu.
»Eines Tages wurde er in eine schwere Schlägerei verwickelt und beging, ohne es zu wollen, einen Mord«, fuhr Bapuji fort. »Dieser Augenblick unkontrollierter Wut zerstörte, weil er einem anderen das Leben nahm, auch das seine.«
»Bapuji, ich verspreche, ich werde mich bessern.« Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ich das bewerkstelligen sollte, doch ich wollte nicht, dass meine Wut jemals einen Menschen tötete.
Bapuji nickte. »Da hat sich eine Menge Wut in dir angestaut«, sagte er. »Deine Eltern haben mir von den vielen Prügeleien erzählt, in die du zu Hause verwickelt warst.«
»Ich bedaure das sehr«, sagte ich und fürchtete, ich würde wieder zu weinen beginnen.
Doch Bapuji war auf etwas ganz anderes aus, als ich gedacht hatte. Er blickte hinter seinem Spinnrad hervor und sah mich an. »Ich bin froh, dass Wut bei dir so viel auslösen kann. Wut ist etwas Gutes. Ich werde andauernd wütend«, gab er zu, während seine Finger wieder begannen, das Rad zu drehen.
Ich dachte, ich hätte mich verhört. »Ich habe dich noch nie wütend erlebt«, antwortete ich.
»Weil ich gelernt habe, meine Wut für das Gute zu nutzen«, erklärte er. »Wut ist für einen Menschen wie Benzin für ein Auto – sie treibt einen an, damit man weiterkommt, an einen besseren Ort. Ohne sie hätte man keinerlei Motivation, sich einem Problem zu stellen. Wut ist die Energie, die uns zwingt, zu definieren, was gerecht ist und was ungerecht.«
Wut ist für einen Menschen wie Benzin für ein Auto – sie treibt einen an, damit man weiterkommt, an einen besseren Ort. Ohne sie hätte man keinerlei Motivation, sich einem Problem zu stellen.
Wut ist die Energie, die uns zwingt, zu definieren, was gerecht ist und was ungerecht.
Großvater erklärte, auch er habe als Junge in Südafrika unter schlimmen Vorurteilen gelitten, und es habe ihn wütend gemacht. Doch mit der Zeit habe er gelernt, dass es nichts bringe, auf Vergeltung aus zu sein. Und so habe er begonnen, mit Mitgefühl gegen Vorurteile und Diskriminierung zu kämpfen, indem er auf Wut und Hass freundlich und mitfühlend reagiere. Er glaube an die Kraft der Liebe. Rachefantasien halte er für sinnlos. »Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind sein«, sagte er.
Ich staunte und begriff, dass Bapuji nicht von Geburt an so gleichmütig gewesen war. Inzwischen war er zwar ein hoch geachteter Mann und trug den Ehrentitel Mahatma, aber einst war er nur ein ungezogenes Kind gewesen. Als er in meinem Alter gewesen war, hatte er seinen Eltern Geld gestohlen, um sich dafür Zigaretten zu kaufen. Und er hatte Konflikte mit anderen Kindern gehabt. Die Hochzeit mit meiner Großmutter war arrangiert worden, als sie beide erst dreizehn Jahre alt gewesen waren. Damals war er so unbeherrscht gewesen, dass er sie manchmal angebrüllt hatte. Und einmal, nach einem Streit, hatte er tatsächlich versucht, sie aus dem Haus zu werfen. Doch er hatte den Menschen, zu dem er sich allmählich entwickelte, nicht ausstehen können, und so hatte er begonnen, an sich zu arbeiten, um zu werden, was er sein wollte: ein gelassener und zufriedener Mensch.
»Also könnte ich das auch lernen?«, fragte ich.
»Du bist gerade schon dabei«, sagte er lächelnd.
Während wir beide nun schweigend an unseren Spinnrädern saßen, ließ ich den Gedanken auf mich wirken, dass Wut zu etwas Gutem genutzt werden konnte. Ich würde die Wut vielleicht immer noch spüren, doch ich könnte lernen, sie für positive Ziele einzusetzen – so wie Großvater, der in aller Gelassenheit die politischen Veränderungen in Südafrika und Indien vorangetrieben hatte.
Nachdem wir eine Weile gearbeitet hatten, gab mir Bapuji noch ein weiteres Beispiel dafür, wie Wut zu etwas Gutem geführt hatte. Seit Jahrhunderten hatte die Baumwollindustrie in Indien Stoff produziert, doch mittlerweile kauften die riesigen Textilfabriken Großbritanniens indische Baumwolle auf, verarbeiteten sie und verkauften den Stoff teuer an die Inder. Die Leute waren wütend; sie waren in Lumpen gekleidet, weil sie sich den in England hergestellten Stoff nicht leisten konnten. Doch anstatt die britische Industrie anzugreifen, begann Bapuji selbst zu spinnen. Auf diese Weise wollte er die Familien dazu ermutigen, sich eigene Spinnräder anzuschaffen und sich selbst zu versorgen. Die Auswirkungen waren enorm und auch in England zu spüren. Als Bapuji sah, wie aufmerksam ich lauschte, führte er einen weiteren Vergleich an – er liebte Vergleiche! Diesmal verglich er Wut mit Elektrizität. »Wenn wir klug mit der Elektrizität umgehen, wird sie unser Leben bereichern, doch wenn wir sie missbrauchen, können wir sterben. Es ist mit der Wut wie mit der Elektrizität: Wir müssen lernen, sie weise und zum Wohl der Menschheit einzusetzen.«
Wenn wir klug mit der Elektrizität umgehen, wird sie unser Leben bereichern, doch wenn wir sie missbrauchen, können wir sterben.
Es ist mit der Wut wie mit der Elektrizität:
Wir müssen lernen, sie weise und zum Wohl der Menschheit einzusetzen.
Ich wollte nicht, dass meine Wut jemals wieder einen Kurzschluss verursachte. Weder in meinem Leben noch im Leben eines anderen. Vielmehr sollte sie ein Funke der Veränderung werden. Aber wie sollte ich das bewerkstelligen?
Bapuji war ein zutiefst spiritueller Mensch, doch er besaß auch eine praktische Seite. Er drückte mir ein Notizbuch und einen Bleistift in die Hand und sagte, ich solle ein Tagebuch meiner Wut führen.
»Jedes Mal, wenn du diese heftige Wut verspürst, hältst du kurz inne und schreibst auf, wer oder was dieses Gefühl ausgelöst hat und warum er oder es dich so zornig gemacht hat«, trug er mir auf. »Dein Ziel ist: Du willst die Ursache deiner Wut entdecken. Nur wenn du die Ursache verstehst, kannst du dein Problem lösen.«
Das Wichtigste sei, erklärte Bapuji, die Ansichten aller anderen gelten zu lassen. Ein Tagebuch der Wut sei nicht dazu da, Dampf abzulassen und sich dabei auch noch im Recht zu fühlen – auch wenn viele Leute es so praktizieren und auf diese Weise ihre Wut eher steigern. Nein, ein Wuttagebuch sollte dazu dienen, die Ursache eines Konflikts aufzudecken und eine Lösung dafür zu finden. Es sollte mir helfen, Abstand zu mir selbst zu gewinnen, um den Standpunkt des anderen wahrzunehmen. Das bedeutete aber nicht, der anderen Person und ihrer Ansicht das Feld zu überlassen. Es war eine gute Methode, um eine Lösung zu finden, die nicht noch mehr Ärger und Ressentiments verursachte.
Manchmal möchten wir Konflikte lösen und machen alles nur schlimmer. Wir werden wütend und drohen und glauben, die Leute hörten dann eher auf uns. Doch weder bei Kindern noch bei Erwachsenen führen Attacken, Kritik und Strafandrohungen zum Erfolg. Entfesselte Wut führt nur zur Eskalation einer Auseinandersetzung. Wir werden zu Tyrannen und merken nicht, dass Tyrannen im Grunde alles andere als stark sind. Auf dem Schulhof, im Betrieb oder in der Politik sind es meist die Schwächsten und Unsichersten, die gemein sind und glauben, mit Kritik an anderen Stärke zeigen zu können. Bapuji brachte mir bei, dass ein Mensch, der wirkliche Stärke besitzt, fähig ist, die Sichtweise eines anderen nachzuvollziehen, und vor allem kann er vergeben.
Bapuji beklagte, dass wir uns viel Zeit dafür nehmen, einen starken und gesunden Körper aufzubauen, doch keine oder nur sehr wenig Zeit, um einen starken und gesunden Geist aufzubauen. Wer seinen Geist nicht kennt und lenken kann, gerät in Wut und sagt oder tut Dinge, die er später bereut. Wahrscheinlich spüren wir es täglich Dutzende Male, wie diese Wut und Enttäuschung in uns hochkocht, und müssen jedes Mal entscheiden, wie wir damit umgehen. Ein Arbeitskollege sagt etwas, und wir reagieren barsch, oder wir bekommen eine provozierende E-Mail und feuern spontan zurück. Wir lassen sogar zu, dass unsere Wut die Menschen verletzt, die wir am meisten lieben, unsere Kinder oder unseren Partner. Wenn sie uns enttäuschen oder etwas sagen, das uns gegen den Strich geht, schlagen wir um uns.
Unsere Worte können die Menschen, die wir eigentlich freundlich und liebevoll behandeln sollten, so sehr verletzen, dass es nicht wieder gutzumachen ist – und wir erkennen nicht, dass die Wut auch uns selbst verletzt. Man bedenke nur, wie elend man sich fühlt, wenn man beleidigend oder grausam zu jemandem war. Der Körper verkrampft sich, und das schlechte Gewissen brennt in uns. Oder aber man schluckt die Wut hinunter, weiß aber nicht, wohin mit ihr. Dann wird man von seinem Zorn verzehrt und kann sich auf nichts anderes konzentrieren. Wut engt die Welt ein, sodass man nur noch den Augenblick der Beleidigung wahrnimmt. Später beruhigt man sich vielleicht und will sich entschuldigen, doch der Schaden ist entstanden. Unbesonnen um sich schlagen ist wie schießen: Die Kugel kehrt nie wieder ins Gewehr zurück.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Wahl haben: Wir können uns auch anders verhalten.
An jenem Tag am Spinnrad sagte Bapuji, es sei dringend notwendig, Wut als eine Art Warnung davor zu verstehen, dass etwas nicht stimme. Dies in ein Tagebuch zu notieren sei nur ein erster Schritt. Indem ich die Kontrolle über meinen Geist erlangen würde, sei in Zukunft dafür gesorgt, dass ich angemessen reagieren könne. »Du wirst dann nicht mehr sagen, was du nicht auch wirklich meinst, und du wirst die anderen nicht mehr verletzen«, erklärte Großvater. »Im Gegenteil, du kannst dich stattdessen auf eine Lösung konzentrieren, mit der alle glücklich sind. Dazu musst du dir bewusst machen, warum deine spontane Erwiderung zu nichts geführt hat. Und darüber nachdenken, wie du reagieren müsstest, um besser verstanden zu werden.«
»Ich muss meinen Geist stärken, Bapuji!«, sagte ich. »Wie soll ich das üben?«
Er trug mir auf, ganz einfach zu beginnen. Ich solle mich in ein ruhiges Zimmer setzen, ohne jede Ablenkung (heutzutage hieße das: kein Handy!), und etwas Schönes vor mich halten, eine Blume oder das Foto einer Blume. Ich solle mich für eine Minute oder länger ganz auf das Objekt konzentrieren, dann die Augen schließen und schauen, wie lange ich das Bild in meinem Geist bewahren könne. Am Anfang verschwinde es möglicherweise, sobald ich meine Augen schließe. Doch mit regelmäßigem Üben könne ich das Bild immer länger in mir bewahren. Dies zeige, dass ich mich von den Ablenkungen abwende und Kontrolle über meinen Geist erlange.
»Wenn du vorankommst«, sagte er, »kannst du zu Stufe zwei der Übung weitergehen. Schließe in der Stille wieder die Augen und nimm einfach nur wahr, wie du einatmest und ausatmest. Versuche dein Bewusstsein auf deinen Atem zu lenken und konzentriere dich darauf. Halte alle anderen Gedanken fern. Mit diesen Übungen wirst du eine größere Kontrolle über deine Reaktionen erlangen, und du wirst im kritischen Augenblick nicht mehr überstürzt handeln.«
Am folgenden Tag begann ich mit Bapujis Übung, und bis heute praktiziere ich sie immer noch gewissenhaft. Es ist und bleibt die beste Methode, die ich kenne, um die Kontrolle über den Geist zu erlangen. Es dauerte ein paar Monate, bis ich lernte, meine Wut in kluge Handlungen umzusetzen, doch mit der Zeit gelang es mir. Wut auf diese Weise zu kanalisieren ist eine lebenslange Übung. Es genügt nicht, diese Übung einige Monate lang zu praktizieren, denn auch wenn man sie beherrscht, ist die lebenslange Praxis unerlässlich. Die Lebensumstände ändern sich immer wieder und damit auch die Faktoren, die Wut auslösen. Deshalb muss man immer wachsam sein.
Ich fragte mich, wie mein so sanftmütiger Großvater darauf gekommen war.
»Bapuji, wie hast du herausgefunden, dass Wut so nützlich ist und so viel bewirken kann?«
Er hörte auf zu spinnen und lachte laut. »Es war deine Großmutter, die mir diese Lektion erteilt hat.«
»Wirklich? Wie das? Erzähl!«
»Als man mich verheiratet hat, war ich noch sehr jung und hatte keine Ahnung, wie man mit einer Ehefrau umgeht. Nach der Schule ging ich immer wieder in die Bibliothek und suchte nach Büchern über eheliche Beziehungen. Einmal hatten wir Streit, und ich begann zu schreien, doch sie antwortete ruhig und vernünftig. Das verschlug mir die Sprache. Später, als ich über diese Begebenheit nachdachte, wurde mir klar, wie unberechenbar man wird, wenn man wütend ist, und wie wunderbar deine Großmutter diese Situation entschärft hat. Hätte sie zornig dagegengehalten, hätten wir um die Wette geschrien, und wer weiß, wie es ausgegangen wäre. Je länger ich darüber nachdachte, desto überzeugter war ich, dass wir alle lernen müssen, unsere Wut klug zu nutzen.«
Meine Großmutter war vor Kurzem im Gefängnis gestorben, man hatte sie zusammen mit Bapuji wegen zivilen Ungehorsams festgenommen, und ich wusste, wie sehr er sie vermisste. Jeden Monat hielt er eine Andacht zu ihrem Gedenken. Durch seine Geschichte erkannte ich, dass eine ruhige Antwort der Wut die Schärfe nehmen kann. Und ihre Reaktion war ja auch ziemlich ungewöhnlich. Normalerweise beginnt der eine zu schreien und der andere verteidigt sich, indem er noch lauter schreit. Und so schaukelt sich die Wut hoch und höher. Bleibt man jedoch freundlich, obwohl man verletzt oder gereizt wurde, verpufft meist auch die Wut des anderen.
Als Bapuji mich dies lehrte, verstand ich diese Lektion nur theoretisch. Erst Jahre später wurde sie für mich in einer konkreten Situation erfahrbar, in der all meine Gefühle hochkochten und die ich erfolgreich meisterte. Ich war zweiundzwanzig Jahre alt und lebte wieder in Südafrika. Mein Verwandtschaftsbesuch in Indien neigte sich dem Ende zu