Claudia Donno
Kikki Krümel und das magische Fernrohr
Das Buch:
Es ist unheimlich. Überall verschwinden Dinge in Waldheim – Autos, Bäume, sogar die Glocke des Rathausturms ...
Und plötzlich geschieht es auch im Hexenwald. Kikki und Florina sind entsetzt und beschließen, der Sache nachzugehen. Sie vermuten, dass eine mächtige Hexe oder ein Zauberer damit zu tun hat. Wer sonst wäre in der Lage, solche Magie zu wirken? Als auch noch sämtliche Hexenhäuser verschwinden, denken die beiden Freundinnen, es könnte nicht mehr schlimmer werden. Doch da haben sie sich geirrt …
Die Autorin:
Claudia Donno lebt mit ihrer Familie in der Schweiz. Seit 2002 nimmt das Schreiben einen wichtigen Teil in ihrem Leben ein. Daraus sind Geschichten in den Bereichen Kinder, Fantasy, Horror, Krimi und Satire entstanden, die bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurden. Zurzeit arbeitet sie am nächsten Teil der Serie von Kikki Krümel. Eine liebenswerte und oftmals schusselige Junghexe. Die Bücher erscheinen hier im bookshouse-Verlag.
Claudia Donno
Roman
Kikki Krümel und das magische Fernrohr
Claudia Donno
Copyright © 2017 at Bookshouse Ltd.,
Villa Niki, 8722 Pano Akourdaleia, Cyprus
Umschlaggestaltung: bookshouse Verlag
Coverabbildungen: www.shutterstock.com
Satz: at Bookshouse Ltd.
Druck und Bindung: CPI books
Printed in Germany
ISBN: 978-9963-53-638-2 (Paperback)
978-9963-53-641-2 (E-Book .mobi)
978-9963-53-639-9 (E-Book .pdf)
978-9963-53-640-5 (E-Book .epub)
www.bookshouse.de
Urheberrechtlich geschütztes Material
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
Kapitel 1
Kikki Krümel und das magische Fernrohr
Kikki und Florina sausten auf ihren Hexenbesen zwischen den Bäumen hindurch. Sie waren unterwegs zum Haus der Oberhexe.
»Wie lange sollst du ihre Katzen füttern?« Florina drehte ihren Kopf in Kikkis Richtung, worauf ihr die eigenen Haare ins Gesicht peitschten. Schnell blickte sie wieder nach vorn.
Zum Glück, denn so konnte sie gerade noch rechtzeitig dem Stamm einer Weißtanne ausweichen.
»Höchstens drei Wochen. So genau weiß ich das nicht. Die Oberhexe sagte, dass wir schon merken werden, wenn sie wieder zurück ist.«
»Wo ist sie denn?«
»In Schweden bei einem Hexenkongress. Da dürfen nur die höchsten und wichtigsten Hexen hin. Das ist strengstens geheim. Selten erzählt sie uns, was dort besprochen wurde. Außer natürlich, es ist für uns alle wichtig und betrifft diesen Wald.«
Sie landeten im Kräutergarten vor dem rosafarbenen Haus ihrer Anführerin und stiegen von ihren Besen. Kikki zog den Zauberstab aus ihrer Umhängetasche und zeigte damit auf das schwarz schimmernde Türschloss.
»Fünf Katzen und sieben Drachen,
wir wollen nur Gutes machen.
Haus der Oberhexe, lass uns hinein,
wir benehmen uns auch artig und fein.«
Ein Pfeifen ertönte. Der Schlüssel, den Kikki mit der anderen Hand in die Luft warf, flog in das Schloss. Dort drehte er sich dreimal. Die Tür schwang mit einem Knarren auf.
Der liebliche Duft von Froschaugentee und Gebäck, der ständig im Haus lag, strömte ihnen entgegen.
Florina wollte schon eintreten, als Kikki sie am Arm zurückhielt.
»Wir müssen auf die Einladung warten.«
»Welche Einladung?«
»Na, die …!« Kaum hatte Kikki das gesagt, erklang die Stimme der Oberhexe. Es schien, als würde sie aus jeder Ecke der Stube kommen. »Sag mir den vereinbarten Spruch! Schnell, bevor dich der Fluch des Baumschnupfens trifft!«
»Eine gute Hexe will ich sein.
Komm liebes Haus, lass mich rein!
Geschwind flog ich her,
das war für mich nicht schwer.
Denn ich bin hier,
um zu schauen dem Getier.«
»Du darfst eintreten«, ertönte die Stimme der Oberhexe erneut.
Eine blaue Rauchwolke erschien und zog an Kikki und Florina vorbei nach draußen. Mit einem leisen Zischen löste sie sich auf.
»Die Luft ist rein.« Kikki betrat das Haus und wurde von den fünf schwarzen Katzen der Oberhexe begrüßt, die aus allen Richtungen auf sie zueilten.
»Hallo meine Freunde. Kommt, gehen wir futtern.« Sie ging in die Küche voraus.
Florina und die Katzen folgten ihr.
Kikki blicke sich in der großen Küche um. »Ist das nicht herrlich, dieses Durcheinander von Töpfen, Einmachgläsern, Kräutern und Zaubertränken, die hier überall herumstehen?«
»Ja, mir gefällt es auch.« Florina berührte den hohen Turm aus zehn Gläsern, die in der Spüle ineinander gestapelt waren.
»Heute herrscht noch mehr Chaos als gewöhnlich. Das ist ja wie euer Weihnachten. Sieh doch, da hängt eine Socke über dem Kupfertopf. Und der Kamin hat das Nachthemd der Oberhexe abbekommen.« Kikki klatschte begeistert in die Hände.
Sie ging auf den steinernen Kamin mit den Drachenköpfen zu, auf dessen Sims ein geblümtes Nachthemd hing. An den Ohren der beiden Ungeheuer waren die Stinktierpantoffeln der Oberhexe aufgehängt. »Sieht so aus, als hätte sie es eilig gehabt.«
»Hihi. Sehr eilig.« Florina betrachtete eingehend eine der Wollsocken und zog ihre Nase kraus.
Die fünf schwarzen Katzen strichen währenddessen Kikki und Florina unentwegt um die Beine. »Keine Angst, ich habe euch nicht vergessen.« Sie zeigte mit ihrem Zauberstab auf die leeren Schälchen, die auf dem Boden standen.
»Katzenfutter, komm hierher!
Mir zu gehorchen, ist nicht schwer.
Verteilt euch in den Schalen, schön gerecht,
so ist’s jeder Katze recht.«
Kaum hatte sie den Zauberspruch aufgesagt, flogen fünf Dosen Katzenfutter aus der Vorratskammer heraus und plumpsten ungeöffnet in die Schalen.
»Ups. Das ging wohl schief.« Kikki grinste. »Ich habe den Dosenöffnungsspruch nicht angehängt.«
»Dann müssen wir das eben dieses Mal von Hand machen.«
»Du hast mir doch erzählt, dass die Oberhexe ganz viele Sachen auf dem Dachstock hat. Spannende Sachen«, meinte Florina, während sie das Katzenfutter verteilten.
»O ja. Dort gibt es alles. Damit könnte man mühelos drei Hexenhäuser einrichten. Du glaubst gar nicht, wie groß und voll er ist.«
»Meinst du, die Oberhexe hat auch ein Fernrohr? Eines, das sie gerade nicht braucht?«
»Für was brauchst du ein Fernrohr?«
»Für die Schule. Ich muss fünf Seiten Text schreiben. Das Thema lautet Nah und Fern. Ich habe meiner Lehrerin gesagt, dass ich über Fernrohre schreibe. Wenn man da durchschaut, sieht man die Dinge ganz nah, obwohl sie weit weg sind.«
»Das klingt spannend. Bestimmt hat die Oberhexe eines. Komm, gehen wir nachschauen!« Kikki packte Florina an der Hand und zog sie von der Küche in die Stube und dann die vielen Treppenstufen hinauf in den zweiten Stock. Vor dem Dachstock angekommen blieben sie stehen, um den Zettel zu lesen, der an der Tür hing.
Kikki, ich weiß, dass du gern in meinen Sachen herumstöberst. Auch wenn du bisher gedacht hast, ich hätte das nie mitgekriegt. Natürlich wirst du auch dieses Mal nicht widerstehen können. Deshalb lass dir sagen, vieles in diesem Raum ist magisch. Deshalb sollten gewisse Dinge genau da bleiben, wo sie sind. Diese zauberhaften Sachen habe ich jeweils mit einem roten Faden gekennzeichnet. Von diesen Gegenständen musst du die Finger lassen. Das befehle ich dir!
Oberhexe
PS: Schau bitte gut nach meinen geliebten Katzen!
»Oh, sie hat es die ganze Zeit gewusst!«
»Sieht ganz so aus. Du weißt doch, sie hat ihre Augen und Ohren überall.« Florina tätschelte Kikkis Schulter.
»Menno. Jetzt ist es nur noch halb so lustig. Komm, gehen wir rein.« Kikki öffnete die Tür und trat zur Seite, damit Florina gut in den Raum sehen konnte.
»Der ist ja riesig! Zum Glück gibt es hier genügend Licht.« Florina blickte auf das große Fenster auf der linken Seite. »Wir dürfen keinesfalls vergessen, dass die Dinge mit einem roten Faden für uns verboten sind. Die rühren wir nicht an.«
»Ist ja gut. Frau Oberhexe«, scherzte Kikki.
»Ich will doch bloß, dass wir keinen Ärger kriegen«, verteidigte sich Florina.
»Weiß ich doch. Sollen wir uns aufteilen?«
»Klar. Obwohl, wer weiß, was hier alles herumsteht. Ich habe keine Lust, auf ein Einmachglas voller getrockneter Spinnen zu stoßen. Oder noch Schlimmeres.« Florina verdrehte ihre braunen Augen. »Du würdest mich dann schon retten, oder?«
»Hexenehrenwort.«
Mehrere Holztruhen standen herum, alte Betten, Tische und Stühle, zerbrochene Hexenbesen, Kessel in verschiedenen Größen, bunte Kissen, einige Lampen und bestimmt fünfhundert verstaubte Einmachgläser, die auf verschiedenen Regalen standen. Überall auf dem Boden lagen zusammengerollte Teppiche und Stoffe. Etwa dreihundert Bücher waren vor einer Wand aufgestapelt. Die wertvollsten befanden sich jedoch in einer Holztruhe. Das wusste Kikki genau.
Rote, schwarze, blaue, grüne und weiße Kerzen standen herum. An zwei von ihnen klebte ein roter Faden.
»Für was die wohl gut sind?«, fragte Florina und machte einen Bogen um sie.
»Keine Ahnung. Das haben wir in der Hexenschule noch nicht durchgenommen.« Kikki setzte sich einen kanariengelben Hut auf den Kopf, den sie in einem der Schränke fand. Danach schlüpfte sie in ebenso gelbe Hexenstiefel. »Na, wie sehe ich aus?« Sie drehte sich langsam im Kreis.
»Wie eine Vogelscheuche. Warte, das geht bestimmt noch besser.« Florina trat neben sie und nahm ein schwarzes Kleid mit riesigen silbernen Knöpfen und grünen Mustern aus dem Schrank. Sie schlüpfte hinein und begann mit den Armen zu flattern, an denen lange schwarze Federn hingen.
»Du siehst wie eine Nebelkrähe aus.« Kikki trat ein Stück zurück, um ihre Freundin genauer zu betrachten.
Da bemerkte sie, dass sich die grünen Muster im Stoff bewegten. Es sah aus, als würden sie sich langsam zusammenziehen. Auch der Rock schien irgendwie kleiner zu werden.
Erst glaubte Kikki an eine Sinnestäuschung. Doch dann entdeckte sie den roten Faden am Saum des Kleides. »Schnell! Zieh es aus! Das ist verboten!«
Florina kreischte. Sie versuchte, das Kleid auszuziehen, aber es gelang ihr nicht. Es wurde enger und enger. Sie zerrte und zog an dem Stoff, doch er wollte nicht nachgeben.
Kikki versuchte, ihrer Freundin herauszuhelfen. Doch auch gemeinsam schafften sie es nicht.
»Es wird immer kleiner«, jammerte Florina. »Aua.«
»Bleib ganz ruhig stehen. Ich kenne einen Zauberspruch.«
Als sich Florina nicht mehr rührte, zielte Kikki mit ihrem Zauberstab auf das verhexte Kleid.
»Regenwetter an sieben Tagen,
Florina soll dich nicht länger tragen.
Viel zu eng bist du ihr,
geh von ihr fort, das rate ich dir!
Verzieh dich an deinen Platz zurück,
nur so hast du noch Glück.
Sonst verjage ich dich in kleinen Stücken,
von ihrem Bauch, Bein, Hals und Rücken!«
Der Rock wimmerte, als ihn der Zauberspruch traf, und er vergrößerte sich wieder.
Florina schlüpfte so schnell sie konnte heraus und versteckte sich hinter Kikkis Rücken. »Danke.«
Der Rock ging jammernd zum Kleiderschrank zurück und hängte sich selbstständig auf seinen Bügel.
Kikkis gestreifte Strümpfe kringelten sich auf und ab. »Bin ich gut oder was?«
»Du bist spitze.« Florina wagte sich wieder hinter ihrem Rücken hervor. »Zum Glück kanntest du diesen Spruch.«
»Den habe ich von der Oberhexe. Sie sagt ihn immer auf, wenn sie in ihren zu engen Röcken stecken bleibt.«
»Gibt es auch einen Zauber, womit wir herausfinden, ob es hier ein Fernrohr gibt?« Florina bückte sich und hob einen alten, muffigen Stiefel in die Höhe. Schnell ließ sie ihn wieder fallen.
»Vielleicht schon. Aber einen Suchzauber hier mit all den magischen Dingen auszusprechen, wage ich mich nicht. Wer weiß, was uns da alles um den Kopf fliegen würde.«
»Da ist eine lange Kiste hinter dem Schrank«, sagte Florina ein paar Minuten später.
Kikki, die gerade in einer alten Truhe voller Hexenhüte wühlte, wischte sich den Staub von der Nase und ging zu ihr. Da entdeckte sie zwischen Wand und Schrank die hölzerne Kiste, von der Florina gesprochen hatte.
Sie streckte sich, so gut es ging. Trotzdem gelang es ihr nicht, nach der Kiste zu greifen. »Meine Arme sind zu kurz. Wir könnten versuchen, den Schrank wegzuschieben.«
»Der ist viel zu schwer.« Florina blickte auf die vielen Dinge in seinem Inneren. »Das schaffen wir nie.«
»Ja, wenn das so ist, muss ich wohl ein bisschen hexen.« Kikki kratzte sich am Kinn und überlegte. Es war zum Niesen. Es gab so viele Zaubersprüche, die sie in ihrem Leben schon hatte auswendig lernen müssen. Da dauerte es manchmal eine Weile, bis sie den passenden fand. Doch dann fiel er ihr wieder ein.
»Spinnenbein und Kräutersud,
Schrank, mach Platz und zwar genug.
Du darfst auch bald wieder zurück,
doch nun rutsch ein gutes Stück!«
Es knarrte und knarzte. Aus dem Schrank wuchsen vier kräftige hölzerne Füße. Er ging ächzend einen halben Meter von der Wand weg und blieb stehen.
»Danke, lieber Schrank.« Kikki strich über sein dunkles Holz. »Das ist nett von dir.« Sie griff nach der länglichen Kiste und zog sie hervor.
Mehrere Bilder waren in den Deckel geritzt. Sie erkannte Sterne, den Mond, die Sonne und einige Berge. An ihrem Rand waren seltsame Zeichen eingeschnitzt. »Das sind Runen«, erklärte sie.
»Runen?«
»Ach, nur so eine alte Schrift, die vor ganz, ganz langer Zeit benutzt wurde.«
»Na los, mach auf!« Florina klang ungeduldig.
Kikki öffnete die beiden silbernen Schnallen an der Vorderseite. Langsam hob sie den Deckel an. »Was für ein Glück du hast! Es ist ein Fernrohr.«
»Zeig mal.« Florina ging neben ihr in die Knie und strich über das glänzende Metall. »Guck mal, wie schön das ist. So eines habe ich noch nie zuvor gesehen. Es sieht alt aus. Bestimmt ist es sehr wertvoll. Wie das wohl hinter den Schrank gekommen ist?«
»So schön chaotisch, wie die Oberhexe nun mal ist, wundert mich das nicht.« Kikki kicherte.
Der Schrank knurrte ungeduldig.
»Ist ja gut. Du darfst wieder an deinen Platz zurück.«
Kikki drückte Florina das Fernrohr in die Hand und tippte mit ihrem Zauberstab dreimal gegen das dunkle Holz.
»Geh zurück an deinen Platz,
wahrlich, du warst ein Schatz.«
Der Schrank ging mit lautem Knarren und Knarzen wieder dahin zurück, wo er zuvor gestanden hatte. Kaum stand er an der richtigen Stelle, verwandelten sich seine Füße zurück.
»Geschafft.« Florina klang erleichtert. »Lass uns das Fernrohr ausprobieren.«
Als sie den Dachstock verließen, blickten sie sich noch einmal um. Alles sah wieder genauso aus, wie sie es vorgefunden hatten. Die Oberhexe würde dieses Mal ganz bestimmt nicht bemerken, dass sie hier gewesen waren.
Sie hatten sich nämlich besondere Mühe gegeben, keine Spuren zu hinterlassen.
»Ist das dort ein roter Faden?« Florina deutete auf den Schrank, hinter dem sie das Fernrohr gefunden hatten.
»Wo?« Kikki schaute in die angegebene Richtung.
Tatsächlich, da hing an der Seitenwand ein roter Faden von oben herab. »Uii! Hätte ich den vorher bemerkt, hätte ich es nicht gewagt, ihn einige Schritte von der Wand wegzuschicken. Da haben wir wohl mächtig Glück gehabt. Komm, gehen wir zu mir nach Hause und essen Nachtisch. Ich habe schrecklichen Hunger.«
Kikki verschloss das Haus der Oberhexe sorgfältig hinter sich. Florina und sie stiegen auf ihre Besen und düsten zu Kikkis Hexenhäuschen.
»Kuchen, Kuchen, komm hierher,
mir zu gehorchen ist nicht schwer.
Süß sollst du sein und lecker,
wie vom besten Bäcker!«
Sie tippte mit dem Zauberstab dreimal auf den Tisch, der in der winzigen Stube stand. Dann ging sie zur Tür und öffnete sie. »Die ersten fünf Kuchen, die ich in meinem Leben herbeigehext habe, sind alle kaputtgegangen.«
»Weshalb?« Florina hängte ihren Pullover an der Stuhllehne auf.
»Weil sie gegen die geschlossene Tür geklatscht sind.«
»Echt?« Florina lachte. »Das ist wirklich passiert?«
»Natürlich. Zweimal bin ich eingeschlafen, bevor der Kuchen angeflogen kam. Einmal war ich gerade in der Badewanne und beim letzten Mal hatte ich schon wieder vergessen, die Tür zu öffnen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie hart Kuchenteig wird, wenn er über Nacht an der Außenseite der Haustür klebt. Die Fliegen und Ameisen brauchten Tage, um alles abzuknabbern.«
In diesem Moment kam eine bunte Schachtel hereingeflogen und landeten vor ihnen auf dem Tisch.
»Der kommt von der Bäckerei Steiner aus Waldheim«, sagte Florina. »Die können richtig gut backen.«
»Stimmt. Von denen habe ich mir einmal einen Zitronenkuchen herbeigehext. Der war echt lecker.«
Dieses Mal jedoch war es ein Himbeerkuchen. Er war genauso süß, wie er aussah. Sogar Esmeralda, Kikkis Lieblingsspinne, knabberte daran und verdrehte genüsslich ihre acht Augen.
»Ich kann nicht mehr«, sagte Florina ein paar Minuten später. Sie rieb ihren Bauch. »Gleich platze ich. Komm, lass uns das Fernrohr ausprobieren.« Sie stand auf und trug die beiden Teller zur Spüle.
Kikki zeigte mit ihrem Zauberstab auf Florinas Umhängetasche.
»Taschenzauber, fließ dort hinein,
lass den Beutel größer sein!
Das Fernrohr muss darin verschwinden,
sodass nur wir es finden!
Gut geschützt soll es werden,
damit niemand kann es verderben.«
Es gab ein leises Zischen, und die Tasche begann zu wachsen.
»Die Kiste brauchst du nicht mehr. Dem Fernrohr kann nichts passieren, wenn es da drin verstaut ist.«
»Super.« Florina klang erleichtert. »Gehen wir nun den Wald erforschen?«
»Klar.«
Kapitel 2
Entdeckungen
»Wir könnten Krähen beobachten. Oder die Wolken«, schlug Florina vor.
»Oder wir fliegen zu den Moorhexen und spionieren sie aus. Wer weiß, was die so alles aushecken.«
»O ja. Ich will schon lange wissen, wie sie sich benehmen, wenn sie allein sind.« Florina grinste hexisch.
Schnurstracks flogen sie zum stinkenden Sumpf. Der dichte Nebel, der hier das ganze Jahr über lag, waberte bis zu den Baumspitzen hoch.
Sie flogen langsam vorwärts und erreichten schon bald die skelettartigen Bäume mit den langen grünen Fäden. Hier lag weniger Nebel, und sie fanden sich gut zurecht.
»Pst. Jetzt müssen wir leise sein«, sagte Kikki. Sie deutete nach vorn. »Wir sind fast da.«
Sie landeten mit ihren Besen hinter einem großen grünen Strauch und stiegen ab.
»Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind? Ich kann die Hexenhäuser nicht sehen.«
»Du mit deinen Menschenaugen«, witzelte Kikki. »Glaub mir, in ein paar Jahren wirst du genauso gut sehen können wie ich. Ich jedenfalls kann etwas erkennen.« Sie streckte ihren rechten Arm aus. »Da hinten, siehst du den Steinbrunnen?«
Florina schüttelte den Kopf. »Wie denn auch?«
»Ich zeige ihn dir.«
Kikki blickte als Erste durch das Fernrohr. Dann überreichte sie es Florina.
»Da ist wirklich der Brunnen der Moorhexen.« Sie klang begeistert. »Klar und deutlich kann ich ihn sehen. Es ist, als würde er direkt vor mir stehen. Als müsste ich bloß meinen Arm ausstrecken, um ihn zu berühren. Das ist toll.«
»Lass mich wieder. Ich möchte wissen, was die Moorhexen gerade machen.« Doch anstatt das gewünschte Moorhexendorf zu sehen, sah Kikki nur den dicken Stamm einer Tanne.
Sie schwenkte das Fernrohr ein Stückchen nach rechts und sah die halbe Tür von Ragnas Haus. Mehr nicht. Denn sobald sie sich noch weiter nach rechts bewegte, stand schon wieder ein Baum im Weg. »Bei allen Spinnen. Das ist zum Flöhe niesen. Ich schaffe es nicht, das ganze Dorf zu sehen. Immer wieder sind Bäume im Weg. Das hat keinen Sinn. Wir müssen näher ran.«
Sie wollten gerade auf ihre Besen steigen, um näher an das Moorhexendorf heranzufliegen, als sich Kikkis Rocksaum nach oben rollte und ihre Stiefel zu jammern begannen. Kikkis und Florinas Besen ließen sich auf den Boden fallen.
»Nanu? Was ist denn hier los?«, fragte Florina.
Kikki spitzte ihre Ohren. Da vernahm sie mehrere Stimmen, die näher kamen. »Versteck dich! Die Moorhexen sind im Anflug.« Sie deutete nach Süden. »Von da hinten.«
Schnell krabbelten sie unter ein Gebüsch, das sich gleich neben ihnen befand. Dort blieben sie still liegen.
»Fliegenpilz und Knollenkraut,
nun wird eine Suppe gebraut!
Blätterpilz und Schwefelkopf
kochen stundenlang im Hexentopf.
Sie sind giftig, wie jeder weiß,
doch gut gegen Hexenschweiß.
Kommt, ihr Frauen, lasst uns kochen,
eine Suppe, die noch nie ein Mensch gerochen.«
Die sieben Moorhexen flogen keine dreißig Meter von Kikkis und Florinas Versteck zwischen den Bäumen hindurch.
»Pech gehabt. Hier wird es lange Zeit nichts Spannendes zu sehen geben. Es braucht nämlich mindestens sieben Stunden, bis diese Pilzbrühe eingekocht ist«, erklärte Kikki, nachdem die Moorhexen außer Hörweite waren. »Die werden ihre Häuser nicht so bald wieder verlassen.«
»Du, Kikki.« Florina flüsterte.
»Ja.«
»Wir könnten nach Waldheim fliegen. Da gibt es immer etwas zu sehen.«