Jule Eisenbud
Psychologie mit Psi
Aus dem Amerikanischen
FISCHER Digital
Die Bedeutung der Psi-Kräfte für die Analyse und Therapie der menschlichen Psyche – ein neuer Weg der Wissenschaft vom Unbewußten in der Seele
Jule Eisenbud (1908–1999) war ein US-amerikanischer Psychiater und Psychologe.
Der bekannte Psychiater und Psychologe Jule Eisenbud war einer der ersten, die Gedankenübertragung und andere Psi-Fähigkeiten als echte Kommunikationsmittel erkannt und sie als wesentliche Faktoren in die Psychoanalyse einbezogen haben.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER Digital
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe:978-3-10-561683-3
Einige dieser Namen sind natürlich abgewandelte Formen der tatsächlichen, doch wurde dabei die Stellung der entscheidenden Buchstaben oder deren Äquivalente möglichst sorgfältig beibehalten.
Validität (Gültigkeit) bedeutet im psychologischen Sprachgebrauch: die Genauigkeit, mit der eine empirische Methode tatsächlich das erfaßt, was sie zu erfassen vorgibt.
Kapitel 5 des Originals, das sich mit diesem Gebiet befaßt, wurde vom Übersetzer-Team in gekürzter Form hier eingearbeitet. Als erster Überblick sei empfohlen: Hans Bender, Unser sechster Sinn, Stuttgart 1971 (auch als Taschenbuch, rororo Sachbuch 6796). Eine Fülle von Originalarbeiten maßgeblicher Autoren bietet die von Hans Bender herausgegebene Anthologie: Parapsychologie. Entwicklung, Ergebnisse, Probleme, Darmstadt 31974. Weitere grundlegende Literatur findet man in: Heinz C. Berendt, Parapsychologie. Eine Einführung, Stuttgart 1972 (Urban-Taschenbücher 143). Da die wichtigste Literatur nach wie vor in englischer Sprache erscheint, sei hier auf eine kritische Bibliographie der parapsychologischen Standardwerke hingewiesen: Rhea A. White/Laura A. Dale, Parapsychology. Sources of Information, Metuchen, N.J., 1973.
Gemeint sind »spontan« (also unkontrolliert bzw. nicht bewußt provoziert) auftretende Erlebnisse mit paranormalem Gehalt, so etwa Wahrträume, Ahnungen, Erscheinungen Sterbender usw. 141, 245.
So lautet der Titel eines bedeutenden Werks zu diesem Thema: Alexander Aksakow, Animismus und Spiritismus. Versuch einer kritischen Prüfung der mediumistischen Phänomene mit besonderer Berücksichtigung der Hypothesen der Halluzination und des Unterbewußten, Leipzig 1890; s.a.Fanny Moser, Das große Buch des Okkultismus, Olten/Freibg.i.Br. 1974 (Standardwerk zur gesamten Forschung bis zu den dreißiger Jahren).
Hans Driesch, Parapsychologie. Die Wissenschaft von den »okkulten« Erscheinungen, München 1967 (»Geist und Psyche« Bd. 2030).
Einen wichtigen Anstoß für die Gründung des Instituts gaben die Versuche zur telepathischen Übertragung von Zeichnungen, die der berühmte Schriftsteller Upton Sinclair mit seiner Frau durchführte (Upton Sinclair, Radar der Psyche, Bern/München 1973).
Siehe dazu: Sheila Ostrander/Lynn Schroeder, Psi. Die wissenschaftliche Erforschung und praktische Nutzung übersinnlicher Kräfte des Geistes und der Seele im Ostblock, Bern/München 101971.
Siehe dazu in der Bibliographie die Nummern: 47, 69, 115, 132, 171, 194, 221, 223, 321, 328.
»Schwanger« heißt im Englischen »with child«, also wörtlich »mit Kind«.
Nur wenn es um mögliche Beschädigungen seines Autos geht, kommen die sonst stark unterdrückten Aggressionen des Patienten voll zum Ausbruch. Sie richten sich gegen Pförtner, Mechaniker, Taxifahrer oder andere, die seinem Wagen eine Schramme beibringen könnten; er tobt dann gewöhnlich vor Wut, manchmal gefolgt von Amnesie.
»To wake« heißt im Englischen »aufwachen, aufwecken«.
Als ich diesen Film Jahre später noch einmal sah, war ich verblüfft, wie stark das Motiv der Potenz in der einen oder anderen Weise eine Rolle darin spielt. Gleich zu Beginn bringt der Held des Films, Spartakus, es nicht fertig, »männlich« zu reagieren, als man ihm eine nackte Sklavin in seine Gladiatorenzelle wirft. Er wird so zur Zielscheibe bösartigen Spottes über seine »Männlichkeit«.
»Scharfsinn« heißt englisch »wit«; daher die Verbindung zu »Bonwit«.
Servadio hat einen ähnlichen Fall beschrieben.289
Dieser Traum liegt mehrere Monate vor dem Zeitpunkt zu dem ich Ted Serios kennenlernte, über den ich dann mein Buch zur Gedankenfotografie schrieb.101
So wird der »Empfänger« in telepathischen Experimenten bezeichnet.
In Anlehnung an Freuds Zur Psychopathologie des Alltagslebens.127
Greenacre beschreibt Frauen mit einer Vorgeschichte von Kindheits-Enurese, die »als Ersatz für männliches Urinieren« oder »aus Zorn und teilweiser Resignation darüber, daß sie das männliche Urinieren nicht kopieren können«, weinen.134
Siehe dazu The World of Ted Serios, Kap. 14.101
Genau wie I. Hollós – und anscheinend auch andere – habe ich in späteren Jahren weniger Fälle mutmaßlicher Psi-Vorgänge in der Analyse gefunden, obwohl diese keineswegs ganz verschwanden. Das läßt natürlich Raum für verschiedene Hypothesen, auf die ich hier jedoch nicht näher eingehen will.
Coleman, der meint, daß »jeder Mensch (in der Analyse) unter den entsprechenden Übertragungsbedingungen potentiell zu paranormaler Wahrnehmung fähig ist«, schreibt: »Ein andrer Eindruck, den ich gewonnen habe, ist der, daß paranormale Produktionen meist einen bestimmten Wendepunkt in der Behandlung introvertierter Grenzfallpatienten ankündigen.«47
Für meine Frau Molly und unsere
Kinder Joanna, John und Eric
Die Psychoanalyse beschäftigt sich mit Entsprechungen zwischen Ereignissen verschiedener Art: Gedanken, Träumen, Gefühlen und vielen anderen Verhaltensäußerungen, zum Beispiel mit dem, was jemand sagt und tut oder den physiologischen Veränderungen, die auftreten, wenn jemand mit anderen Menschen in bestimmten Situationen in Beziehung tritt. Der Hauptbeitrag der Psychoanalyse bestand in einer Reihe zusammenhängender Hypothesen, die auf der Annahme sogenannter unbewußter psychischer Funktionen beruhen. Diese Hypothesen helfen einem Beobachter menschlichen Denkens und Verhaltens, verschiedene Ereignisse sinnvoll aufeinander zu beziehen, die sonst leicht als zusammenhanglos und rein zufällig angesehen werden könnten.
Es gibt inzwischen viele Arten von Entsprechungen, die die Psychoanalyse mit mehr oder weniger großem Erfolg in das Netz von Determinanten einbezogen hat, das durch ihre Haupthypothesen geschaffen wurde. Gelegentlich jedoch können Entsprechungen beobachtet werden, die in keines der üblichen Bezugssysteme zu passen scheinen, hauptsächlich deswegen, weil einem nicht ohne weiteres vernünftige Erklärungen einfallen, mit deren Hilfe die beobachteten Daten »eingeordnet« werden könnten. Solche Entsprechungen werden meist ohne weitere Überlegung einer vage definierten Kategorie von »zufälligem Zusammentreffen« subsumiert, und es wird kaum ein Versuch unternommen, zu verstehen, warum solche manchmal verblüffenden Koinzidenzen auftreten.
Hier einige Beispiele für derartige Entsprechungen. Das erste Beispiel gehört zu der Kategorie von Entsprechungen, die sich aus dem Vergleich von Träumen verschiedener Personen ergeben.
Eine Patientin träumt: Ich stand an einem Strand. Auf einer der Sanddünen vor mir lagen zwei blaue Teller, die in zwei Teile zerbrochen waren. Der eine war ein blauweißer Eßteller, der andere ein verzierter Dessertteller. Ich sah eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Leuten den Strand entlangkommen und überlegte, ob es Landstreicher wären und ob sie die Teller zerbrochen hätten. Als sie jedoch näher kamen, sagten sie, daß sie Schauspieler seien, und fragten, ob ich nicht ihre Vorstellung in einem Theater hier am Ort besuchen wolle. Ich fühlte mich erleichtert.
In der gleichen Nacht träumte eine andere Patientin: Ich stand an einem Strand und schaute auf riesige, haushohe Wellen, die mich zu verschlingen drohten. Ich war erschrocken, aber fasziniert. Dann spürte ich den Drang, mich in die Wellen zu werfen, aber um dorthin zu gelangen, mußte ich über eine Art Mauer klettern, auf der Geschirr und Nippsachen standen. Ich stieß einen großen blauen Eßteller herunter, der in zwei Teile zerbrach. Dann hob meine Mutter, die von irgendwoher auftauchte, die beiden Stücke auf und sagte: »Sieh nur, was du getan hast.«
Im manifesten Inhalt dieser Träume gibt es Punkte von auffallender Ähnlichkeit, aber auch eine Reihe von Details, die völlig ohne Zusammenhang zu sein scheinen, wenn man die Träume zueinander in Beziehung setzt. Die Übereinstimmungen sind spezifisch, wenn auch nicht zahlreich: Beide Träume spielen am Strand; Eßteller sind zerbrochen, und zwar ausdrücklich in zwei Teile; in dem einen Traum ist der Teller blauweiß, im anderen blau.
Wären beide Träume von ein und demselben Patienten geträumt worden, so wäre die Entsprechung von Elementen in diesen Träumen wohl kaum besonders erwähnenswert. Die Tatsache jedoch, daß die Träume von verschiedenen Patienten stammen, wirft die Frage auf, wie so etwas geschehen kann.
Das folgende Beispiel ist etwas komplizierter, da die Entsprechung nicht so klar auf der Hand liegt.
Drei Analyse-Patienten berichten Träume, in denen jeweils ein Element auftaucht, das man zu Elementen in den Träumen der beiden anderen in Beziehung setzen könnte. Ein Patient träumt: Ich schaue auf endlose Reihen von Aspirin-Tabletten, die ganz regelmäßig angeordnet sind, vielleicht ein modernes grafisches Muster. Ich bin aber nicht sicher, ob es nicht doch andere Tabletten sind, irgendein anderes Medikament, vielleicht X. In der nächsten Nacht träumt der zweite Patient: Ich stelle ein Rezept aus über Terpenhydrat mit Kodein und überlege, wieviel Kodein hineingehört.
In der folgenden Nacht träumt ein dritter Patient: Ich finde zwei kleine Pillen in der Tasche meines Morgenmantels. Irgendwie werden die Pillen zu zwei kleinen, einen Tag alten Säuglingen. Ich gerate in Panik. Was soll aus diesen hilflosen Kindern werden?!
In dem einen Traum taucht das Element »Aspirin-Tabletten« oder »ein anderes Medikament« auf, im zweiten »Terpenhydrat mit Kodein«, im dritten »Pillen«. Als gemeinsamen Nenner erkennen wir die Vorstellung eines oral einzunehmenden Medikaments. Indem wir diese Elemente nun miteinander in Beziehung setzen, nehmen wir eine intuitive, aber dennoch wohlüberlegte Abstraktion vor; wir stellen eine Entsprechung her. Was haben wir uns darunter vorzustellen? Übereinstimmungen sind nichts »Naturnotwendiges«, sie werden nicht geboren, sie werden »gemacht«.
Wenn zwei Ereignisse aus verschiedenen Bereichen – symbolischen, verhaltensmäßigen, psychosomatischen usw. – als einander entsprechend bezeichnet werden, so hängt die Entscheidung, ob man das akzeptiert oder ablehnt, nicht von strengen Methoden der Beweisführung ab, die von gegebenen Postulaten ausgehen, auf die man sich beziehen könnte, sollte es Zweifel oder Widerspruch geben. Auch kann man nicht immer – wie oft vorgeschlagen wird – Beobachtung und Experiment zu Hilfe rufen, um so eine geeignete Urteilsgrundlage herzustellen. Praktisch muß jede einzelne angenommene Entsprechung nach allen Richtungen hin überprüft werden, sobald von irgendeiner Seite Einwände kommen.
Trotzdem sollten wir versuchen, eine gewisse Übereinstimmung in Punkten von allgemeiner Bedeutung herzustellen, auch wenn sich diese Übereinstimmung nicht auf jedes einzelne der folgenden Beispiele erstrecken kann. Ich möchte hier keine Definition dessen geben, was eine Entsprechung ist, sondern darlegen, wie ich vorgehe, wenn ich Beziehungen zwischen Ereignissen entdecke, die ich dann interpretiere, um irgendeine Entsprechung zwischen ihnen herzustellen.
Zunächst: Was verstehe ich unter »Ereignis«? Ich betrachte als Ereignis alles, was in irgendeiner Form wahrgenommen oder gedacht wird, und das benannt oder beschrieben werden kann: Worte, Gedanken, Gefühle, Träume, Symbole, Gegenstände, Handlungen, Gedrucktes usw. In einzelnen müssen diese »Ereignisse« natürlich genauer bestimmt werden, denn faktisch stellt diese Definition von »Ereignis« eine allumfassende Kategorie dar – ich unterscheide nicht zwischen Dingen und Geschehnissen, die »wirklich« in der physikalischen Welt vorkommen, und Ideen und Symbolen, die nur in Gedanken existieren.
Ich stelle eine Entsprechung zwischen Ereignissen her, indem ich sie vergleiche und Zusammenhänge sehe, die mir von Bedeutung scheinen. Ich kann zum Beispiel eine Perle und einen Planeten nach Form und Glanz vergleichen; ich kann ebenso eine Perle und eine bestimmte Dame aus meiner Bekanntschaft miteinander vergleichen. Ich behaupte, daß sich auf diese Weise eine Entsprechung zwischen diesen »Ereignissen« herstellen läßt. Was für einen Nutzen mir diese Entsprechungen bringen – was ich damit anfangen kann, wenn ich sie einmal aufgestellt habe –, ist eine andere Sache.
Es lassen sich so viele Arten von Entsprechungen denken, wie es Individuen gibt, die in der Lage sind, Ereignisse in einer bestimmten, ihrer Erfahrung gemäßen Hinsicht zu vergleichen. Dabei wird der Grad der allgemeinen Zustimmung zu einer postulierten Entsprechung abhängen von der Zahl der Menschen, die einen bestimmten Erfahrungsbereich teilen. So wird zum Beispiel die rein formale Entsprechung zwischen den C-Dur-Dreiklängen, die auf zwei verschiedenen Instrumenten in derselben Tonlage gespielt werden, wahrscheinlich von den meisten Menschen akzeptiert werden. Der Zusammenhang jedoch, der mit Hilfe der Begriffe der Harmonielehre zwischen einem C-Dur-Dreiklang und dem dazugehörenden Dominantseptakkord hergestellt werden kann, wäre wohl nicht für jeden einsichtig. Ein unmusikalischer Mensch oder einer, der nur mit klassischer indischer oder japanischer Musik vertraut ist, könnte diese spezifisch »westliche Entsprechung« nicht entdecken.
Bedeutung existiert also nicht als vorgegebener Bezugsrahmen, sie ist kein Raster, in das wir jede Situation oder Beobachtung einordnen können. Eine Bedeutung kann sowohl ausschließlich privat als auch mehr oder weniger allgemeingültig sein. Aber in keinem Fall (ausgenommen bei einem axiomatischen System) können wir etwas Endgültiges über die Richtigkeit einer bestimmten Art, Beziehungen herzustellen, aussagen. Alles was wir sagen können ist, daß diese Art, die Dinge zu sehen, für ein Individuum oder eine bestimmte Anzahl von Personen Bedeutung oder Gültigkeit besitzt. Ist die Anzahl groß, läßt sich im allgemeinen erklären, warum; aber die Tatsache, daß wir für den Grad der allgemeinen Zustimmung zu einer bestimmten Aussage den Grund kennen, sollte nicht verwechselt werden mit einem Nachweis, daß diese Aussage wahr oder falsch ist, auch dann nicht, wenn es sich um sogenannte wissenschaftliche Feststellungen handelt.
Nun zurück zu den Beobachtungsdaten in der analytischen Situation.
Bei den beiden ersten Beispielen haben wir uns mit Träumen verschiedener Personen befaßt, die in bezug auf bestimmte Elemente ihres manifesten Inhalts übereinzustimmen schienen. Wenn ich sage »übereinzustimmen schienen«, meine ich damit, daß wir durch einen von uns vorgenommenen Abstraktionsvorgang etwas aufgestellt haben, was wir »eine Entsprechung zwischen ausgewählten Elementen« nennen wollen. Bei bestimmten Elementen war das nicht allzu schwierig: So schien zum Beispiel der »Strand« des einen Traumes leicht vergleichbar mit dem »Strand« des zweiten Traumes, obwohl wir uns darüber im klaren sein müssen, daß wir eine Entsprechung zwischen zwei verschiedenen Beschreibungen von zwei verschiedenen Plätzen herstellen, von denen jeder mit anderen Details ausgestattet wurde. Dennoch benutzen wir einen einzigen Abstraktionsbegriff: »Strand.«
Der andere Fall – die »Pillengeschichte« – war entschieden komplexer und verlangte daher ein größeres Abstraktionsvermögen.
Beim nächsten Beispiel sehen wir uns einer noch schwierigeren Situation gegenüber. Wir wollen versuchen, eine Entsprechung nicht zwischen Elementen in zwei verschiedenen Träumen herzustellen, sondern zwischen Elementen eines Traumes und »wirklichen« Ereignissen. Bei der »geschlossenen« Situation der beiden ersten Beispiele, wo es um Querverbindungen zwischen Träumen ging, hatten wir mit gleichartigen Ereignissen zu tun, und der Traum lieferte einen bestimmten Bezugsrahmen, innerhalb dessen wir abstrahieren und vergleichen konnten. Die Situation, die jetzt vorgestellt werden soll, ist nicht so klar umgrenzt. Bei diesem Beispiel für den Typus der »offenen« Form einer Entsprechung handelt es sich um einen meiner eigenen Träume.
Ich streichle und liebkose eine dunkelhaarige Frau in einem Negligé. Später komme ich zu einer Art Restaurant. Als ich nach dieser Frau frage, die anscheinend Amanda Stetson heißt, sagt jemand: »Ja, wissen Sie denn nicht? Sie ist gestorben; hat Selbstmord begangen.« Ich bin tief erschüttert.
Ich wachte mit einem wenig angenehmen Gefühl auf. Immer wieder drängte sich der Name »Amanda Stetson« in meine Gedanken, bis ich schließlich begann, mich nach seiner Bedeutung zu fragen. Das erste, was mir in den Sinn kam, war »Amanda Stoughton«, der Name einer Psychoanalytikerin aus Washington, die ich nicht weiter kannte. Auf diesen Namen war ich am Tag zuvor gestoßen, als ich die Mitgliederliste der American Psychoanalytic Association überflog und einen Augenblick wegen des ungewöhnlichen Namens »Amanda« innegehalten hatte.
Als nächstes dachte ich an die dunkelhaarige Frau im Negligé, mit der ich mich im Traum so liebevoll beschäftigt hatte. Ich identifizierte sie sofort als meine Patientin Marian Simpson. Die Verbindung zwischen den Namen ist offensichtlich:
aMAnda | STetSON |
MArian | SimpSON |
aMAnda | SToughtON |
Der erste Teil dieses Traumes schien eine Fortsetzung der erotischen Phantasien zu sein, die während des Tages durch diese Patientin ausgelöst worden waren; in ihrer Analysestunde hatte sie sich betont verführerisch gegeben. Ich beseitige sie offensichtlich in Selbstverteidigung. Das Negligé erinnert mich an eine Episode vor ein paar Monaten, als diese Frau nach einem halbherzigen Selbstmordversuch die Behandlung bei mir gerade angefangen hatte. Kurz darauf rief mich eines Abends eine Freundin der Patientin aus deren Wohnung an, um mich zu warnen: Mrs. Simpson sei schon wieder nahe daran, sich das Leben zu nehmen, und wenn ich eine Katastrophe verhindern wolle, müsse ich so schnell wie möglich herkommen. Ich fuhr sofort hin und stellte gleich fest, daß die Frau angetrunken und in dezidiert erotischer Stimmung war. Sie saß im Negligé aufrecht in ihrem Bett, machte mir eindeutige Avancen und drohte gleichzeitig mit Selbstmord. Die Lösung dieser Situation verlangte allen mir zur Verfügung stehenden Takt.
Offensichtlich hatte ich dieses Ereignis jedoch in bezug auf meine eigenen Gefühle nie richtig bewältigt. Unmittelbar nach diesem Vorfall schlug ich der Patientin vor, zu einer Analytikerin überzuwechseln. Aber ich bestand auf diesen Wechsel nicht mit dem nötigen Nachdruck und hatte es meiner Patientin zu leicht gemacht, mich umzustimmen. In meinem Traum befreie ich mich von weiblichen Analytikern, indem ich Dr. Stoughton töte.
Der Name Amanda erinnert mich jetzt, auf dem Umweg über einige mehr allgemeine Assoziationen, an »Mammi« und an eine Analytikerin (Pederson-Krag), der ich einmal in einer ähnlichen Situation eine junge Frau überwiesen hatte, die in ihr eine liebevolle schwarze Mammi aus dem Süden sah. Ich erinnere mich nun auch, daß diese Patientin Holliman hieß. Der Traum droht, sich als ein wahrer Massenmord zu entpuppen, sowohl an verführerischen Patientinnen als auch an Analytikerinnen, zu denen ich die Patientinnen letztlich doch lieber nicht schicken möchte, denn bezeichnenderweise schneide ich mir diese Rückzugsmöglichkeit ja ab.
An diesem Punkt fiel mir ein anderer Name ein, für den »Amanda Stetson« als ein sehr gutes Substitut betrachtet werden könnte: Der Mann meiner jetzigen Patientin heißt Adam Simpson – Adam, Amanda. Es scheint mir jetzt klar, daß neben dem fast zu offensichtlichen Wunsch nach dem Tod meiner hysterischen Versucherin der Wunsch nach dem Tod ihres Mannes besteht, als ein deutliches Wiederaufleben meines ödipalen Wunsches, freie Bahn zu haben. Das vervollständigt ein Muster, das in meinen Träumen wiederholt aufgetaucht ist.
Bald merkte ich, daß die Namensassoziationen zu »Amanda Stetson« noch lange nicht erschöpft waren. Vor einigen Jahren behandelte ich eine depressive Frau mit deutlich schizoiden Zügen, die Brenda Harrison hieß. Die Analyse schien recht gute Fortschritte zu machen, bis eine Reihe äußerer Rückschläge, die alle auf einmal kamen (so die Entwicklung einer ernsten organischen Erkrankung und die Entdeckung, daß ihr Mann eine Freundin hatte), die Patientin gebrochen und verzweifelt zurückließen. Eines Nachts, nach einer heftigen Szene mit ihrem Mann, beging sie Selbstmord. Ich war schrecklich deprimiert und quälte mich mit Schuldgefühlen, weil ich die analytischen Regeln auch in diesem Fall nicht gebrochen hatte, obwohl eine Liebeserklärung meinerseits die Patientin vielleicht hätte retten können. Rückblickend erkannte ich, daß ich Angst hatte, von den Gefühlen für diese Frau überwältigt zu werden (ähnlich wie in der gegenwärtigen Situation mit Mrs. Simpson).
Einige Monate später beging meine Mutter Selbstmord. Wieder wurde mein Kummer verstärkt durch Schuldgefühle und den (auf einer Verteidigungshaltung beruhenden) quälenden Gedanken, daß ich wegen meines verborgenen Wunsches, sie möge sterben, irgendwie die Bedeutung der Ereignisse, die zu der Tragödie führten, falsch eingeschätzt hatte. Der Mädchenname meiner Mutter lautete Abramson, und mir schien nun klar, daß auch er in die endgültige Traumrepräsentation »Amanda Stetson« eingegangen sein mußte. Ich erkannte jetzt ebenfalls, daß das manifeste Element »Restaurant« im Traum – neben dem allgemeinen symbolischen Zusammenhang mit »Mutter« (und gut zahlenden Patientinnen) – überdeterminiert gewesen sein muß, weil es sich von einer spezifischen »Restaurant-Situation« herleiten läßt, in der ich als Kind das letztemal ärgerlich meinen Wunsch nach dem Tod meiner Mutter offen zum Ausdruck brachte.
Ein Jahr danach fand ich mich erneut in der Lage, daß ich eine Patientin behandelte, deren stärker werdende Depressionen – wiederum in Zusammenhang mit einer Reihe katastrophaler äußerer Ereigisse – durch die Analyse nicht beeinflußbar zu sein schienen. Es ging ihr immer schlechter, und schließlich glaubte sie, Selbstmord sei der einzige Ausweg für sie. An diesem Punkt hatte ich die Wahl, sie entweder gegen ihren Willen in eine Klinik einzuweisen oder ihr die Art von Liebe und Trost zu geben, die eine Mutter ihrem unglücklichen Kind gewährt. Als könnte ich dadurch meine Mutter und Brenda Harrison wieder zum Leben erwecken, wählte ich die zweite Möglichkeit, nachdem ich – als Vorsichtsmaßnahme – meine beabsichtigte Therapie dem damaligen Präsidenten der New Yorker Psychoanalytic Society mitgeteilt hatte. Mit meiner neuen Methode hatte ich Erfolg, doch nun war es schwierig, ja, praktisch unmöglich, zu einem streng analytischen Vorgehen zurückzukehren, so daß ich der Patientin vorschlug, bei einem anderen Analytiker weiterzumachen. Daraufhin verfiel sie natürlich wieder in eine ebenso tiefe Depression wie vorher. Schließlich gelang es mir, sie ohne Gefahr einer Analytikerin zu überweisen. Diese Patientin hieß STOw.
Es schien mir ziemlich klar, daß es in meinem Traum, zusätzlich zu der Situation mit meiner jetzigen Patientin, die der unmittelbare Auslöser meiner Ängste war, Hinweise auf mehrere frühere Situationen gab, in welchen meine ambivalente Gegenübertragungshaltung zu Tragödien oder Beinahe-Tragödien geführt hatte, wobei die Beziehung zu meiner Mutter den Kern der ganzen Problematik bildete. Man kann den Namen »Amanda Stetson« als Sammelbegriff ansehen, der all diese Verbindungen auf anagrammatische Weise enthält.[1]
holliMAN |
|
| STOw |
AMANDA | STO–TON |
AMANDA | STETSON |
adAM | SimpSON |
MArian | SimpSON |
AMANDA | STETSON |
abrAM | SON |
breNDA | harriSON |
| pederSON–krag |
Das einzige Problem bei diesem Traum: Er ließ mich zurück als einen wahren Massenmörder, auch wenn es sich nur um ein anagrammatisches Massaker handelte, das sich durch die Verdichtung der verschiedenen Namen der Opfer, die beide Seiten der ödipalen Problematik repräsentierten, in den einen Traumnamen »Amanda Stetson« ergeben hatte.
Zweifellos wäre dieser Traum in Vergessenheit geraten, hätte ich nicht zufällig einen Blick auf die Todesanzeigen der Tageszeitung geworfen, wo ich interessiert feststellte, daß ein gewisser Emanuel Sturtz gestorben war. Hier, so ging mir auf, gab es einen angstmildernden Faktor, der ausgezeichnet zu dem mutmaßlichen Schema des Traumes passen würde: ein Name, gefunden in einer »Liste«, genau wie im Fall von »Amanda Stoughton«. Nicht Amanda Stetson (Simpson-Harrison-Stoughton-Stow-Abramson-Pederson-Krag) war also gestorben, sondern jemand, der Emanuel Sturtz hieß, und mit dessen Tod ich nicht das geringste zu tun hatte – abgesehen von der Übereinstimmung der Buchstaben in den beiden Namen
aMANda | STe TSon |
eMANuel | STurTz |
Die Klangverbindung zwischen beiden scheint mir ins Auge zu springen. Doch wir stellen auch fest, daß wir zwischen diesen Ereignissen Beziehungen herstellen können, die in irgendeiner Weise über die rein strukturelle Beziehung hinausgehen, die zwischen »Amanda Stetson« und »Emanuel Sturtz« besteht. Diese deutliche formale Beziehung, die uns beim ersten Hinsehen auffällt (und die so tatsächlich nur ein Teil des Auswahlvorganges ist), stellt nur den augenscheinlichsten Faden eines komplexen Stranges ineinander verwobener Beziehungen dar, den wir in das Ganze einer entstehenden Gestalt einfügen können.
Durch eine Reihe von Fakten, die wir über den Hintergrund der Situation kennen, und mit Hilfe mehrerer, sich gegenseitig stützender psychoanalytischer Annahmen, beginnt die zunächst relativ einfache Entsprechung, die wir aufgestellt haben, sich jetzt entlang mehrerer struktureller und dynamischer Ebenen auszuweiten. Wir sehen, daß selbst der strukturelle Aspekt der Beziehung zwischen »Amanda Stetson« und »Emanuel Sturtz« als komplexer determiniert angesehen werden kann, sofern man die beiden Namen nicht aus ihrem Zusammenhang reißt – »Amanda Stetson« kann ja als Zusammensetzung mehrerer Namen betrachtet werden, für welche dieser eine als letzter gemeinsamer Bezugspunkt zu »Emanuel Sturtz« steht. (Wir projizieren natürlich im Augenblick unsere eigenen Abstraktionsversuche in eine Beziehung, von der wir jetzt als äußerlich »determiniert« sprechen.) Wir können noch auf eine andere Entsprechung hinweisen: die Beziehung zwischen »Amanda Stetson« und »Emanuel Sturtz« sowie zwischen »Amanda Stetson« und den verschiedenen Namen, aus denen dieser eine vielleicht abgeleitet ist. Diese Beziehungen sind jeweils anagrammatischer Natur, es wird somit eine Ähnlichkeit des Prozesses oder eine Symmetrie aufgezeigt. Die Entsprechung nimmt zu, wird mehr zu einer Entsprechung.
Wenn wir jetzt durch diese »Zwischenphase«, in der Strukturelles und Dynamisches miteinander verbunden sind, zu den dynamischeren latenten Aspekten des entstehenden Gesamt von Entsprechungen fortschreiten, nehmen wir Bezug auf eine wichtige psychoanalytische Erkenntnis, daß nämlich anagrammatische Prozesse in Träumen – das Zerlegen und Wiederzusammenfügen von Wörtern und Silben – sich oft als Repräsentanten von Todeswünschen erweisen, vor allem wenn diese Wünsche zugleich unbedingt unterdrückt, »beseitigt« werden müssen, indem man eine Art Wiedergutmachung leistet, eine Wiederherstellung oder »Auferstehung« zu erreichen sucht.
Diese Vorgänge – die ich häufig in Träumen von Patienten und gelegentlich in eigenen Träumen beobachten konnte – haben ihre Entsprechung in den zahlreichen Formen der Magie und Hexerei (z.B. kabbalistische Anagramme), wo eine ähnliche Manipulation von Wörtern und Namen den Ausführenden Macht über die Kräfte von Licht und Finsternis, von Leben und Tod geben soll. In diesem anagrammatischen Zusammenhang könnte der Name Stetson so konstruiert sein, daß er seinen eigenen Mechanismus des Ungeschehen-Machens enthält, in Beziehung zum latenten Inhalt des Traumes also die Auferstehung. »Stet« ist, wie jeder amerikanische Autor weiß, ein Zeichen für den Setzer, ein bestimmtes Wort bzw. eine Wortfolge so stehenzulassen, wie es vor der Änderung oder Streichung lautete. Das »Stet« könnte daher besagen: »Sei, wie du warst! (Es ist alles nur ein Traum.)«
Einige Psychoanalytiker und vielleicht ein paar Anthropologen werden meiner »Tod-und-Auferstehungs-Bedeutung« zustimmen, die ich der anagrammatischen Magie in der mutmaßlichen Traumarbeit zuschreibe; dabei findet meine ambivalente Haltung gegenüber Leben und Tod massiv Ausdruck in »Amanda Stetson«, die ich im Traum umbringe, zugleich aber mit Hilfe meiner Assoziationen wieder zum Leben zu erwecken versuche.
Wenn das zugestanden wird, lassen sich auch hinsichtlich des nun noch übrigbleibenden Elements »Emanuel Sturtz«, das durch eine ähnliche anagrammatische Methode zu »Amanda Stetson« und den latenten Gedanken hinter diesem Namen in Beziehung gesetzt werden kann, bestimmte Schlußfolgerungen ziehen: Dieses Element erfüllt die Bedingung der Entsprechung mit dem Traum allein durch die Brauchbarkeit eines solchen Vorgehens, ganz abgesehen von seinem Wert, was andere dynamische Aspekte anbelangt, wie zum Beispiel seine Bedeutung als »Angstminderer«. Form und Methode bilden hier also eine Einheit wie bei einem Kunstwerk, und man könnte folglich sagen, daß sich die einfache strukturelle Entsprechung, von der wir ausgingen – das bloße Skelett (der »Aufspür-Effekt«, wie Ehrenwald es nennt) –, entsprechend unseren Abstraktionsbemühungen zu einer Entsprechung höherer Valenz entwickelt hat, um eine Analogie aus der Chemie zu gebrauchen.
Aber nicht jeder ist bereit, so weit mit mir zu gehen. Wenn man bedenkt, daß die meisten Menschen nicht in der Lage sind, die Annahme von latenten Gedanken und Gefühlen, die sich in Träumen ausdrücken, zu akzeptieren, oder die Vorstellung von Traumarbeit oder überhaupt von irgendeiner Bedeutung, die hinter dem manifesten Trauminhalt entdeckt werden kann – wo bleibt dann unsere Entsprechung? Gibt es sie, oder gibt es sie nicht?
Faßt man dies als Frage auf, ob von Anfang an eine Entsprechung vorhanden ist, mit der wir beginnen können, so ist deutlich geworden, daß diese Frage nicht durch Verweis auf objektive Kriterien beantwortet werden kann – unter diesem Gesichtspunkt sind die Bedingungen für unsere Arbeit wenig günstig.
Man kann allerdings kaum etwas tun, um die Situation in dieser Hinsicht annehmbarer zu machen. Wir können nicht vorwärts kommen, wenn wir die Schwierigkeiten und Probleme unserer Arbeit beschönigen. Tatsache ist, daß wir bei der Form der Untersuchung, die hier unternommen wird, den entsprechenden erkenntnistheoretischen Begrenzungen unterliegen, und wir sollten das zunächst als unausweichliche Bedingung unseres Vorgehens betrachten.
Wir wollen uns nun der Frage zuwenden, was zu tun ist, wenn wir einmal – unter besseren oder schlechteren Voraussetzungen – entschieden haben, daß bestimmte uns auffallende Ereignisse in Beziehung zueinander gesetzt werden können.
Wir wollen einmal annehmen, daß wir uns über das »Faktum« einer Entsprechung zwischen bestimmten beobachteten Ereignissen einig sind, wobei wir immer berücksichtigen müssen, daß (wie dargelegt) die »Faktizität« einer solchen Entsprechung ganz und gar eine Sache der Übereinkunft zwischen den interessierten Parteien ist und daß wir letztlich zugeben müssen, daß die Regeln, die uns beim Erstellen von Entsprechungen leiten, bestenfalls Notbehelfe sind.
Die Frage ist jetzt nicht »Welche Bedeutung hat diese Entsprechung?«, denn das hieße, daß »Bedeutung« tatsächlich ein Aspekt von Ereignissen wäre, eine Dimension, die selbstverständlicher Teil solcher Ereignisse ist, die uns auf vage Weise miteinander verbunden scheinen, ein Etikett auf einer Beziehung, das nur wahrgenommen und gelesen werden muß. Die Frage ist vielmehr: »Welche mögliche Bedeutung hat die Entsprechung, die wir hergestellt haben für uns?« Mit anderen Worten: Welche weiteren Konsequenzen können wir aus den Abstraktionsvorgängen ziehen, die wir vorgenommen haben? Werden sie uns zu anderen Beziehungen, zu anderen Entsprechungen führen und schließlich zu dem, was wir »Erklärung« nennen? Kurz, werden sie die Einführung neuer und – für uns – bedeutungsvoller Elemente in die Ausgangsdaten erleichtern, von denen die anfängliche Entsprechung abstrahiert und aufgestellt wurde, oder nicht?
Was wir aus unserer Entsprechung herausholen können, hängt ganz davon ab, was wir in sie hineinlegen. Eine Entsprechung besitzt keine Eigenaktivität, sie kann nichts von sich aus unternehmen, und folglich endet sie auch dort, wo sie beginnt – nämlich bei uns. Wenn wir nichts weiter mit der Entsprechung anfangen, als sie aufzuzeigen und einfach als merkwürdigen Zufall anzusehen, dann ist es vorbei mit ihrer Bedeutung. Wir können nicht sagen, daß sie eine Bedeutung besitzt oder besitzen könnte, die wir nur nicht wahrgenommen oder richtig eingeschätzt haben. Die Entsprechung existierte ja gar nicht, bevor sie durch unsere Beobachtung, unseren intuitiven Abstraktionsakt, ins Leben gerufen wurde. Aus dem gleichen Grund hat sie auch keine »Bedeutung an sich«, wenn sie einmal aufgestellt ist. Was wir nicht im Verlauf unserer Maßnahmen und Überlegungen in die Situation einführen, ist – so kann man sagen – einfach nicht vorhanden.
Man kann einwenden, daß die Einführung dieses »psychozentrischen« Aspekts die Grundlagen unseres gesamten Zugangs zur objektiven Realität in Frage stellt. Man könnte argumentieren: Entweder ist etwas dran an dieser sogenannten Entsprechung – oder nicht. Wenn etwas da ist, dann existiert es unabhängig davon, ob wir es entdeckt haben oder nicht; wenn nichts da ist – wenn das, was wir beobachtet haben, nur ein »rein zufälliges Ereignis« darstellt –, dann können wir auch mit noch so scharfsinnigen Denkleistungen nichts daran ändern.
Was können wir diesem Argument entgegensetzen? Betrachten wir die Fälle von Übereinstimmung, die sich innerhalb einer geschlossenen Situation von vergleichbaren Träumen (oder Träumen mit »Querverbindungen«) zeigen. Wenn wir tatsächlich beim Vergleich zweier Träume einzelne Elemente als einander entsprechend zusammenfassen können, so müssen wir nun nach Hypothesen suchen, die uns helfen könnten, dieses Vorgehen zu begründen.
Es gibt drei Hypothesen, die anscheinend alle Möglichkeiten umfassen: 1. eine bestehende Entsprechung ist rein zufällig; 2. die Träumer waren, unabhängig voneinander oder nicht, den gleichen Einflüssen unterworfen (das setzt bestimmte, zumindest latent vorhandene Archetypen des Denkens, der Symbolik und ähnlichem voraus); 3. es findet eine Art von Kommunikation zwischen den Träumern statt, die für die Entsprechung verantwortlich ist.
Die Zufallshypothese wird im Zusammenhang mit Entsprechungen der hier behandelten Art am häufigsten angeführt, und in diesem Kapitel werden wir uns vor allem mit dieser Hypothese befassen. Natürlich wird dabei angenommen, daß das Auftreten eines jeden Elements in einem Traum determiniert ist entsprechend den üblichen Gesetzen psychischer Funktionen. Die Frage der Zufälligkeit bezieht sich nur darauf, ob sich Faktoren aufzeigen lassen, durch die das determinierte Auftauchen eines bestimmten Elements in dem einen Traum zu dem gleichfalls determinierten Auftauchen in dem anderen in Beziehung gesetzt werden kann.
Eine Möglichkeit, dies festzustellen, wäre die Konstruktion eines empirisch abgeleiteten Modells, mit dessen Hilfe wir die Beziehung von zwei oder mehr unabhängig voneinander auftretenden Traumereignissen auf einer Wahrscheinlichkeitsbasis abschätzen könnten. Dazu müßten wir einen Katalog all der Elemente (Objekte, Ideen, Handlungen, Eigenschaften) aufstellen, die in einer ausreichend großen Zahl von Träumen einer repräsentativen Zufallsstichprobe von Personen vorkommen. Dann wäre es möglich, durch einfaches Abzählen die relative Häufigkeit des Auftretens einzelner Punkte zu bestimmen, die in den manifesten Inhalten dieser Traumsammlung vorgekommen sind. Durch unser Wissen über das Entstehen von Träumen würden wir – wie schon erwähnt – annehmen, daß das Auftauchen eines jeden Details auf unserer Liste ein determiniertes Ereignis darstellt. Unter den Bedingungen unseres Experiments würden wir dann außerdem annehmen, daß das Auftauchen eines bestimmten Details in zwei oder mehr Träumen eine Zufallsübereinstimmung darstellt (abgesehen von bestimmten ganz normalen Erklärungsmöglichkeiten, die in Betracht gezogen werden müßten). Wenn wir dann angeben wollen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Inhalt rein zufällig in verschiedenen Träumen von zwei voneinander unabhängigen Personen auftreten kann, so würden wir einfach abzählen, wie oft dieser Punkt in dem Inhaltskatalog unserer Träume erscheint. Es wäre denkbar, daß sich mit einer passenden Formel, die entwickelt werden müßte, diese Wahrscheinlichkeit in recht verläßlichen Grenzen bestimmen ließe.
Doch diese einzige quantitative Methode, die überhaupt durchführbar zu sein scheint, hat ihre Schwierigkeiten. Zunächst sind nur wenige Traumereignisse wiederholter Beobachtung zugänglich, die aber notwendig ist, um der vorgeschlagenen Art der Wahrscheinlichkeitsbestimmung operationale Validität[2] zu geben.
Zweitens wäre auch die Gesamtheit aller manifesten Elemente aller in der Menschheitsgeschichte geträumten Träume nicht mit der Gesamtheit von Ereignissen identisch, zwischen denen die Entsprechungen des Typus, um den es uns geht, aufgestellt werden, nämlich die weitreichenden latenten Gedanken.
Betrachten wir das eine Beispiel aus dem vorigen Kapitel: die Träume zweier Patienten, in denen jeweils blaue Eßteller am Strand in zwei Teile zerbrachen. Hier haben wir einen so »geschlossenen« Typus einer Wahrscheinlichkeitssituation, wie wir ihn uns nur wünschen können; zugleich eignen sich die Elemente »Strand« und »Teller« sehr gut für einen Vergleich. (Dabei bilden die beiden Elemente »blau« und »in zwei Teile zerbrochen« eine Entsprechung für sich.)
Vor einigen Jahren stellte ich einen Katalog von über sechzehnhundert Traum-Items auf, aus verschiedenen Träumen von zweihundert in den verschiedensten Gegenden wohnenden Personen. Dabei zeigte sich, daß man nach vorsichtiger Schätzung (auf die zugrunde liegende statistische Methode möchte ich hier nicht näher eingehen) im Durchschnitt mindestens anderthalb Millionen Träume zufällig zusammentragen müßte, bevor man erwarten kann, einen zu finden, der etwas Passendes zu den Punkten unserer Entsprechung liefern würde – und zwar in Form von einzeln auftauchenden Elementen, nicht unbedingt verbunden wie in unserem Beispiel.
Die Frage ist jedoch: Was können wir daraus schließen? Was sagt diese Information über das Wesen der vorliegenden Entsprechung aus? Daß sie kein Zufallsereignis ist?
Die beiden Patienten, um die es ging, kannten sich nicht, und ihre Analysestunden bei mir lagen weit auseinander. Im Zusammenhang mit der Frage, wie es dazu kam, daß sie in derselben Nacht derart ähnliche Träume hatten, war keine der Hypothesen haltbar, die ich aufzustellen versuchte, weil keine durch weitere Hinweise gestützt wurde. Mehr noch, keine meiner Hypothesen (einschließlich der Psi-Hypothese, um deren Erforschung und Anwendung es in diesem Buch geht, und auf die wir gleich kommen werden), konnte einen Anhaltspunkt liefern, der in bezug auf die mutmaßliche Verhaltensdynamik der betreffenden Patienten in irgendeiner Weise aufschlußreich oder fruchtbar gewesen wäre, nicht einmal auf der Ebene reiner Spekulation.
Geht man deshalb von unserem ursprünglichen Ziel aus, nämlich eine spezifische Hypothese zu finden, mit deren Hilfe verschiedene Gruppen von Daten so aufeinander bezogen werden können, daß sich ein Sinn für uns ergibt, dann bleibt die Entsprechung zwischen den Träumen meiner Patienten reiner Zufall, isoliert und bedeutungslos trotz aller Auffälligkeit.
Nun kann man durchaus den Standpunkt vertreten, daß mein Unvermögen, weitere relevante Informationen aufzudecken, nicht notwendig ein Zeichen für die Zufälligkeit dieser Entsprechung zwischen den Träumen meiner Patienten ist. Andererseits ist auch nicht zu widerlegen, daß das Geschehene möglicherweise Ergebnis rein zufälliger Ursachen ist (auch beim Würfeln etwa ergeben sich oft höchst unwahrscheinliche Kombinationen und Abfolgen), und es läßt sich nicht nachweisen, daß meine Unfähigkeit, mit der Entsprechung etwas anzufangen, nur ein Zeichen dafür ist, daß ich nicht in der Lage bin, auf die potentiell entdeckbaren determinierenden Faktoren zu stoßen, die irgendwo in der Situation verborgen sind.
Wir haben es hier aber nicht mit dem Idealfall zu tun, sondern mit einer spezifischen Ansammlung von historischen Ereignissen; wenn wir die Informationen betrachten, die wir tatsächlich gewinnen konnten, so sind beide Positionen nicht haltbar.
Erstens wurde beobachtet, daß die Entsprechung (so wie sie aufgestellt wurde) besteht, und zweitens kamen wir bei der Überlegung, was eine Zufallsauswahl von Träumen für das Vorkommen dieser Traumelemente ergeben würde, zu dem Schluß, daß ein Analytiker, der jeden Tag mit zehn Träumen zu tun hat, erst nach etwa gut vierhundert Jahren erwarten könnte, zufällig eine ähnliche Kombination anzutreffen.
Aber das, als Summe unserer Informationen, sagt uns noch immer nicht mit Sicherheit, daß Zufall gänzlich auszuschalten ist, und andererseits haben wir noch immer nichts gefunden, das uns irgendwie von Nutzen sein könnte, wenn es darum geht, diese außergewöhnliche Entsprechung auf irgend etwas im Verhalten des einen Patienten oder beider zu beziehen. Wenn wir deshalb davon reden, wie »aller Wahrscheinlichkeit nach« der Fall bei dieser speziellen Entsprechung liegt, dann geben wir dem Begriff »Wahrscheinlichkeit« eine illusionäre Bedeutung, und währenddessen entschwindet diese Entsprechung in einem immer unerreichbarer werdenden Bereich der Vergangenheit.
Betrachten wir jetzt einen genau entgegengesetzten Situationstypus. Nehmen wir an, daß wir zwischen zwei Träumen eine Entsprechung feststellen, die nach den Informationen unseres Traumkatalogs etwa einmal in fünfzig Träumen zu erwarten ist. Da dies etwas unter der üblicherweise angenommenen Signifikanzgrenze liegt, würden sich viele zu dem Schluß berechtigt fühlen, daß die Suche nach bestimmenden Faktoren dieser speziellen Entsprechung nicht erfolgreich sein wird. Erst wenn wir uns mit einer ganzen Menge von Entsprechungen befassen, deren ermittelte Häufigkeit 1:50 wäre, könnte eine Aussage dieser Art eine verifizierbare Bedeutung haben. Wenn wir dann alle unsere Beispiele untersuchen würden, dürften wir erwarten, mutmaßliche kausale Determinanten in etwa x oder y der Fälle zu finden; aber im Fall jeder einzelnen Entsprechung haben wir keine Möglichkeit, im voraus zu bestimmen, ob dieser Fall zu den x Prozent gehört, bei denen wir Erfolg haben, oder zu denen, wo man nichts erreicht, sowenig, wie wir im voraus sagen können, ob beim Münzwurf Zahl oder Wappen herauskommt.
Wenden wir uns nun wieder einem Fall zu. Bei diesem Beispiel geht es um zwei Träume, deren manifester Inhalt vergleichsweise wenige übereinstimmende Elemente aufweist; wir werden hier auf einen zweiten Grund dafür stoßen, warum willkürlich aufgestellte, von herkömmlichen Wahrscheinlichkeitsannahmen abgeleitete Indikatoren bei einem ganz bestimmten einzelnen Fall nicht zu weiterer Untersuchung motivieren.
Eine Patientin träumt: Ich stieg in der Sixth Avenue in einen Bus, in der Erwartung, daß Sie mir folgen. Als der Bus losfuhr, schaute ich mich um und stellte fest, daß Sie nicht da waren. Ich war verwirrt und enttäuscht. Der Bus brachte mich zur Vierzigsten Straße.
In der gleichen Nacht träumte eine andere Patientin: Ich fuhr in einem Bus, der von einem Pferdegespann gezogen wurde.
In der Häufigkeitsliste meines Traumkatalogs wurden Busse in drei verschiedenen Träumen erwähnt, obwohl nur in einem von ihnen der Träumer selbst im Bus war. Zwei Träume von Bussen, in denen sich der Träumer befindet, weisen somit eigentlich mehr als nur einen einzigen Entsprechungs-Punkt auf, denn unsere Sammlung von Traumelementen zeigt, daß in Träumen Busse vorkommen, auch ohne daß sich der Träumer darin befindet. Für unseren augenblicklichen Zweck jedoch wollen wir die Entsprechung zwischen den beiden angeführten Träumen als eine solche einstufen, die etwa dreimal in zweihundert Träumen zu erwarten ist. Dies läge etwas unter dem Ein-Prozent-Niveau (eine der üblichen Signifikanzgrenzen) und kann daher als »zufälliges Zusammentreffen« angesehen werden. Genauer gesagt: Bei der vorliegenden Entsprechung von Elementen könnte man annehmen, daß sich eine nähere Untersuchung nicht lohnt. Im folgenden Bericht zeigt sich jedoch, daß wider Erwarten bedeutungsvolle Beziehungen zwischen den Träumen herzustellen sind, aus Gründen, die leicht hätten übersehen werden können, hätte man aufgrund der – statistisch gesehen – unbedeutenden Art der Entsprechung zwischen den manifesten Elementen die Möglichkeit irgendeiner dynamischen Verbindung außer acht gelassen.
Der Traum der ersten Patientin trat in der Nacht vor dem vierzigsten Geburtstag ihres Mannes auf. Dieser hatte sich die ganze Nacht ruhelos hin- und hergewälzt, gequält von dem Gedanken: »Nun bin ich schon vierzig, und was habe ich erreicht?« Die Patientin glaubte, daß ihr Traum irgendeine Beziehung zu dem Problem ihres Mannes hatte, und brachte als Assoziation, daß auch sie vierzig sei und ihr noch nie etwas im Leben gelungen wäre. Nach einer unglücklichen Liebesaffäre war sie diese – unglückliche – Ehe eingegangen und hatte versucht, das Beste aus der Sache zu machen, indem sie ein Kind bekam. Doch das Kind wurde mit einer Gesichtsdeformation geboren und erinnerte sie jetzt täglich daran, wie verpfuscht ihr Leben war.
Zur Sixth Avenue und der Vierzigsten Straße fiel ihr ein Treffen im dort liegenden Park mit ihrem früheren Geliebten ein, zu einer Zeit, als die Beziehung am intensivsten war. Er war gekommen, um ihr zu gestehen, daß er unter einer akuten Gonorrhöe leide. Doch ein Arzt stellte fest, daß es sich nur um eine Urethritis infolge zu häufigen Geschlechtsverkehrs handelte, und während der folgenden Wochen der Abstinenz zeigte sich bei ihr auch kein Zeichen einer Infektion.
Im Lichte dieser Assoziationen scheint es nicht sehr schwierig, eine Analyse einiger der hinter dem Traum der Patientin steckenden latenten Gedanken zu geben, die sich vermutlich zum Teil aus der trübsinnigen Beschäftigung ihres Mannes mit der bedrohlichen Zahl vierzig in jener Nacht herleiten lassen. Diese Zahl mag jetzt als Vehikel – oder besser als letzter Rest – des unbewußten Wunsches der Patientin angesehen werden, daß die tragische Situation ihres Kindes auf wunderbare Weise genauso glücklich erlöst werden könnte wie die Urethritis ihres früheren Geliebten, von der sie gerade erfahren hatte, als sie im Traum in den Bus stieg. Hätten ihr Mann und sie ebenfalls streng abstinent gelebt, wie sie und ihr damaliger Geliebter es einige Zeit tun mußten, dann wäre ihr vielleicht das ständige Leid um ihr entstelltes Kind erspart geblieben.
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