Zum Inhalt:
Das Vorgehen ließ nichts Gutes ahnen: In der zweiten Februarwoche 2017 erließ der Landtag von Baden-Württemberg innerhalb von nur drei Tagen zwei Gesetze – unter Umgehung der üblichen Fristen und fast ohne Debatte im Parlament.
Wer so handelt, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er etwas zu verbergen hat. Und tatsächlich: Beschlossen wurde ein Gesetz, das die Wiedereinführung der staatlichen Altersversorgung für Landtagsabgeordnete vorsieht, und ein zweites, das die Pauschalen der Abgeordneten für Kosten und Mitarbeiter gewaltig erhöht. Das handstreichartige Durchpeitschen des Gesetzes sollte offenkundig verschleiern, dass keiner der vorgebrachten Begründungsversuche einer Nachprüfung standhält.
Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim deckt die Hintergründe des baden-württembergischen Diätenfalls auf und analysiert das Verfahren und den Inhalt dieses Coups. Sein klarer Befund: Beide Gesetze sind sachlich unhaltbar und definitiv verfassungswidrig. Da hilft es auch nichts, dass der Landtag das Pensionsgesetz auf den massiven öffentlichen Protest hin inzwischen zurückgezogen hat und eine Expertenkommission einsetzen will: von Einsicht keine Spur, zu durchsichtig ist das Manöver, mit dem die Entscheidung auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben werden soll. Und auch sonst liegt im »Ländle« manches im Argen, wie ein Blick auf weitere Privilegien der Stuttgarter Abgeordneten zeigt.
Trotzdem: Zu Resignation besteht kein Grund. Auch wenn das Parteienkartell sich in eigener Sache über die demokratischen Spielregeln hinwegsetzt, können die Medien und die Bürger noch dafür sorgen, dass die Selbstbedienung scheitert. Vom Volksantrag bis zum Volksbegehren gibt es direktdemokratische Mittel, mit denen solche Willkürentscheidungen rückgängig gemacht werden können. Den Weg dorthin eröffnet Hans Herbert von Arnim mit dieser fulminanten Kritik der Blitzgesetze, Aktionsplan inklusive.
Ein Lehrstück, das geradezu beispielhaft vor Augen führt, wie die politische Klasse die Öffentlichkeit oft mit vorgeschobenen Argumenten in die Irre führt – und dabei sämtliche Stammtischvorbehalte gegen »die Politiker« bestätigt. Ein Lehrstück aber auch, das zeigt, wie das Volk die Kontrolle über seine Volksvertreter zurückgewinnen kann.
Zum Autor:
Hans Herbert von Arnim, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, früherer Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und Verfassungsrichter in Brandenburg, hat als einer der Ersten Machtmissbrauch, Inkompetenz und Opportunismus in den politischen Parteien angeprangert. Der Autor zahlreicher Bestseller, u.a. Staat ohne Diener, Fetter Bauch regiert nicht gern, Die Deutschlandakte und Die Hebel der Macht gehört zu den versiertesten Kennern unserer Wahlsysteme und Parteienstrukturen.
Hans Herbert
von Arnim
DIE ARROGANZ
DER MACHT
Der baden-württembergische Diätencoup
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
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ISBN: 978-3-641-22014-3
V001
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Inhalt
Vorwort: Selbstversorgung im Handstreich – Ein Blitzgesetz par excellence
I. Zwei Diätengesetze auf einmal
II. Vorgeschobene Begründungen, unangemessene Erhöhungen: Kritik der einzelnen Teile der Änderungsgesetze
1. Zu hohe Entschädigung
Die Diätengesetze von 2008 und 2010
Die Wiedereinführung der staatlichen Altersversorgung – Ein Wortbruch
Nachgeschobene Begründungsversuche
2. Privilegierte Altersversorgung
3. Willkürlich erhöhte Kostenpauschalen
Die Erhöhung der allgemeinen Kostenpauschale – Eine verdeckte Einkommenserhöhung
Die Erhöhung der Sonder-Kostenpauschalen – Sachlich nicht gerechtfertigt
Die Erhöhungen – Verfassungswidrig
4. Indirekte Parteienfinanzierung oder Schaffung reiner Versorgungsposten? – Das nahezu verdoppelte Budget für Mitarbeiter sowie Werk- und Dienstleistungen
Die Fast-Verdoppelung – Reine Willkür
Ohne Kontrolle – Dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet
III. Ignorieren, missachten, verschleppen: Weitere problematische (Nicht-)Regelungen des Abgeordnetengesetzes
1. Fragwürdige Extragehälter: Funktionszulagen
Verfassungswidrige Regelungen
Politisch fraglich: Die Versorgung von Funktionsträgern
2. Publikation der Höhe der privaten Einnahmen? – Fehlanzeige!
3. Gewaltenteilung: Quo vadis? – Regierungsmitglieder als Abgeordnete
IV. Cui bono? – Wer von dem Coup profitiert
1. Ein Projekt der Grünen?
2. Lottogewinn für grüne Spitzenfunktionäre
V. Überstürzt, heimlich, in eigener Sache: Kritik des Gesetzgebungsverfahrens
1. Müssen Abgeordnete über ihre eigenen Gehälter entscheiden? – Ein Vorwand! Die Möglichkeiten von Volksantrag, Volksbegehren, Volksentscheid und zeitlicher Verschiebung der Entscheidung
2. Schnellverfahren unter Aufhebung der Fristen und fast ohne Debatte
3. Dreifach verfassungswidrig
Mangelnde Öffentlichkeitskontrolle
Fehlende Begründung und evidente Unrichtigkeit
Ausfertigung der Gesetze: unzulässig
4. Politische Verantwortung …
… für den Schnellschuss
… für das Für-dumm-Verkaufen der Bürger durch ungerechtfertigtes Verschieben nach den Wahlen
VI. Zusammenfassung: Willkür und Maßlosigkeit – Ein Diätencoup unter Missachtung von Recht und Gesetz
Anhang
Anmerkungen
Vorwort:
Selbstversorgung im Handstreich – Ein Blitzgesetz par excellence
Auf der ersten Seite meines Mitte Februar 2017 erschienenen Buches Die Hebel der Macht und wer sie bedient wird genau beschrieben, wie ein Diätencoup nach allen Regeln der Kunst durchgezogen wird:
Just zum Erscheinen von Die Hebel der Macht lieferte der Landtag von Baden-Württemberg die Probe aufs Exempel und erließ in der zweiten Februarwoche 2017, als die Wahl des Bundespräsidenten schon ihren publizistischen Schatten vorauswarf, innerhalb von nur drei Tagen ein Gesetz, das die Wiedereinführung der staatlichen Altersversorgung für die Landtagsabgeordneten vorsieht, und ein zweites Gesetz, das die den Abgeordneten zustehenden Pauschalen für Kosten und Mitarbeiter gewaltig erhöht. Es handelt sich dabei um ein Blitzgesetz par excellence, das all die Merkmale aufweist, die ich in meinem Buch beschrieben hatte.
Doch schon nach einer Woche zwang der öffentliche Protest die Initiatoren des Altersversorgungsgesetzes (Grüne, CDU und SPD), dieses Gesetz erst einmal auf Eis zu legen. Jetzt wird zwar auch von ihnen eingeräumt, dass das blitzartige Durchpeitschen völlig unangemessen und ein schwerer Fehler war. Das zweite Gesetz aber, mit welchem die Kostenerstattungen hochgepusht wurden und das auch von der Fraktion der FDP/DVP mitgetragen wird,1 wurde gleichzeitig mit dem Altersversorgungsgesetz und auf genau dieselbe Art und Weise durchgezogen; trotzdem soll es wie vorgesehen in Kraft treten. Dabei verschweigen die Verantwortlichen, dass dieses Gesetzgebungsverfahren genauso fehlerhaft ist. Schon allein aus diesem Grund dürfte auch dieses Gesetz zur Erhöhung der Kostenerstattungen nicht zum 1. Mai 2017 wirksam werden.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch und der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Reinhart räumen lediglich ein, die vier Fraktionen hätten nicht das nötige Gespür gehabt und es versäumt, den Bürgern den Inhalt der Gesetze genau zu erklären – ein Eingeständnis, das, wie erwähnt, auf die Altersversorgung beschränkt ist. Es sei also lediglich eine Art Kommunikationspanne unterlaufen, im Übrigen seien die Gesetze in Ordnung. Doch das ist falsch. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich nämlich beide Gesetze als grob unangemessen und sogar mehrfach verfassungswidrig. Zweifellos wurden sie gerade deswegen so rasch durch den Landtag gedrückt.
Dass die neuen Regelungen insgesamt unhaltbar sind, wie das vorliegende Buch zeigen wird, bestätigt die fatale Erfahrung: Je anfechtbarer das Gesetz, desto rascher das Verfahren. Kein einziger der Begründungsversuche, die die Gesetzesinitiatoren vorgebracht haben, hält einer Nachprüfung stand.
Der baden-württembergische Diätenfall zeigt geradezu beispielhaft, wie die politische Klasse die Öffentlichkeit oft mit vorgeschobenen Argumenten in die Irre führt – und dabei sämtliche Stammtischvorbehalte gegen »die Politiker« bestätigt. Der Diätencoup markiert einen der vielen Schritte, mit denen die politische Klasse, immer wieder in eigener Sache entscheidend, unsere Demokratie zum exzessiven Parteienstaat umwandelt. Die Instrumente und die Verfahren, derer sie sich dabei bedient, werden ausführlich in Die Hebel der Macht und wer sie bedient beschrieben.
Am meisten überrascht, dass die Fraktion der Grünen das Vorhaben an vorderster Stelle mitgetragen hat. Es gab einmal eine Zeit, da wandten die Grünen sich entschieden gegen jede Form übermäßiger parlamentarischer Selbstbedienung. Nun aber waren die grünen Abgeordneten anscheinend bereit, den Protest allein der AfD zu überlassen – und hinsichtlich der Altersversorgung ein wenig auch der FDP/DVP.
Im Folgenden werden neben Inhalt und Zustandekommen der beiden Gesetze auch weitere problematische Bereiche des finanziellen Status von Abgeordneten durchleuchtet. Beispielsweise müssen baden-württembergische Volksvertreter die Höhe ihrer privaten Einnahmen immer noch nicht publizieren, obwohl dies in anderen Parlamenten längst gängige Praxis ist. Und hinsichtlich der Einkommenszulagen, die bestimmte Funktionsträger aus der Fraktionskasse bekommen, mogelt der Landtag sich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Richtlinien des Rechnungshofs vorbei.
I.
Zwei Diätengesetze auf einmal
Am 9. und 10. Februar 2017 beschloss der Landtag zwei Gesetze in erster und zweiter Lesung, jeweils gegen die Stimmen der AfD-Fraktion. Beide sollten am 1. Mai 2017 in Kraft treten. Der eine Gesetzentwurf war von den Fraktionen der Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP eingebracht worden2 und sieht die Erhöhung der Kostenpauschalen und der Mittel für Abgeordnetenmitarbeiter sowie Werk- und Dienstverträge vor. Die Kostenpauschale, die alle Abgeordneten erhalten, wurde um 40 Prozent erhöht: von 1548 auf 2160 Euro monatlich, also um über 600 Euro. Um denselben Prozentsatz erhöhen sich auch die Sonderpauschalen für Fraktionsvorsitzende und andere Funktionsträger. Diese Kostenpauschalen sind steuerfrei und werden stets voll gewährt, unabhängig davon, wie hoch die Aufwendungen des Abgeordneten tatsächlich sind. Zugleich wurden die Fonds für Mitarbeiter sowie Werk- und Dienstverträge von Abgeordneten fast verdoppelt: von monatlich 5409 auf 10 438 Euro für jeden Abgeordneten, wozu noch vom Landtag ebenfalls übernommene Sozialleistungen hinzukommen. Um diese Gelder zu beziehen, muss das Beschäftigungsverhältnis beziehungsweise der Werk- oder Dienstvertrag nachgewiesen werden.
Der zweite Gesetzentwurf, der von der FDP/DVP-Fraktion nicht mitinitiiert und mitgetragen wurde,3 sieht die Einführung einer staatlichen Altersversorgung vor. Sie soll pro Mandatsjahr einen Anspruch auf spätere Versorgung, eine sogenannte Versorgungsanwartschaft, in Höhe von 2,5 Prozent der monatlichen Abgeordnetenentschädigung von 7616 Euro erbringen. Das wären monatlich 190,40 Euro. Die Zahlungen sollen mit Vollendung des 67. Lebensjahres beginnen, unter Inkaufnahme gewisser Abschläge aber auch bereits mit dem vollendeten 63. Lebensjahr.
Diese staatliche Versorgung soll neben die bisher bestehende private Versorgung treten. Für diese erhalten die Abgeordneten einen sogenannten Vorsorgebeitrag, derzeit 1679 Euro monatlich. Damit wird ihnen die Höchstversorgung in der allgemeinen Rentenversicherung ermöglicht. Die Abgeordneten sollen nun die Möglichkeit erhalten, das eine oder das andere System zu wählen, wobei die Staatsfinanzierung allerdings finanziell ungleich attraktiver ist. Auch dieses Gesetz sollte zum 1. Mai 2017 in Kraft treten.
Das blitzartige Gesetzgebungsverfahren konnte nicht verhindern, dass sich alsbald öffentlicher Protest erhob, der rasch anschwoll; auch eine Verfassungsklage wurde öffentlich empfohlen, ebenso ein sogenannter Volksantrag. Mit einem Volksantrag können 0,5 Prozent der Stimmberechtigten den Landtag zwingen, sich mit einer Thematik zu befassen,4 in diesem Fall also erneut mit dem Thema der Gesetzentwürfe.
Angesichts des zunehmenden Protests, der auch innerhalb der Mitgliedschaft der Parteien laut wurde, die die Gesetze beschlossen hatten, äußerten die Landesvorsitzende der SPD Leni Breymaier und schließlich auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) öffentlich Vorbehalte gegenüber der beschlossenen Altersversorgung, und bereits am Dienstag, dem 14. Februar 2017, erklärten die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, der CDU und der SPD, sie würden den Gesetzentwurf über die staatliche Altersversorgung erst einmal auf Eis legen und Sachverständige berufen, um ihn prüfen zu lassen. Mit deren Bericht sei allerdings nicht mehr im Jahr 2017 zu rechnen.5
Am 21. Februar wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt, um den Beschluss des Landtags zum Altersversorgungsgesetz6 zunächst einmal wieder aufzuheben.7 Wie es in der Begründung heißt, soll die Aufhebung es »ermöglichen, dass sich eine unabhängige Expertenkommission mit der Frage der angemessenen Altersversorgung von Abgeordneten auseinandersetzen kann«.8 Am 22. Februar beschloss der Landtag in erster Lesung die Überweisung an den Ständigen Ausschuss. Am 8. März 2017 wurde in zweiter Lesung beschlossen, das Gesetz aufzuheben.9
Dagegen tritt das Gesetz, das die Kostenpauschalen und die Mitarbeiterfonds drastisch erhöht, wie von seinen Verfechtern beabsichtigt,10 unverändert am 1. Mai 2017 in Kraft.11