Eine typische Stadt heute: am Beispiel Frankfurt / Main

Frankfurt heute: Vorherrschende Oberflächen sind Glas, Metall und Beton, was Hitze speichert oder abstrahlt und Wasser schnell ableitet. Die Stadt heizt sich im Sommer sehr schnell auf. Die Luft ist ungefiltert und feinstaubbelastet, die Lebensqualität ist sicherlich nicht optimal.

Die Vision: So könnte Frankfurt in etwa 20 Jahren aussehen

Frankfurt im Jahr 2040. Dachgärten, grüne Fassaden, Baumparkplätze, Naturparks bestimmen das Bild. Das Leben mit und in der Natur mitten in der Stadt hat eine vollkommen neue und gesundheitsfördernde Qualität erreicht.

Projekte und Beispiele für Alleen

1 | Landallee in Mecklenburg-Vorpommern (D):Weithin sichtbare Orientierung, Windschutzgürtel für die landwirtschaftlichen Flächen und vor allem beschattete und beschützte Verkehrsfläche (s. Seiten ab hier).

2 | Wanderbaumallee in München (D): 15 Bäume werden in baumlose Straßenzüge gefahren und einige Wochen aufgestellt. Engagierte Bürger kümmern sich um das Gießen der Bäume und das Befestigen. Im Vordergrund Silvia Gonzalez von GreenCity (s. Seite hier).

3 | Alleechaussee in Berlin (D): neu gesetzte, vierreihige Eichenallee im Regierungsviertel. Wo heute noch recht kleine Bäume stehen, wird sich die Atemluft in einigen Jahren deutlich verbessert haben (s. Seite hier).

4 | Kirschbaumallee in voller Blütenpracht, Innenstadt von Bonn (D): Die Bäume locken jährlich unzählige Besucher zu den Kirschblütenfesten; die grüne Stadt als Tourismusfaktor. Foto: Michael Sondermann/Bundesstadt Bonn (s. Seite hier)

5 | Obstbaumallee in der Feldberger Seenplatte (D): Hier stehen gesunde, prächtige Birn- und Apfelbäume (s. Seite hier).

6 | Landallee in Mecklenburg-Vorpommern (D): Eichen, Linden, Kastanien, zum Teil bis zu 200 Jahre alt; ohne Leitplanken oder anderen Schutz für die Bäume (s. Seite hier).

7 | Vorbildlicher Kreisverkehr bei Hohenems (A): Grüner Bereich mit üppig blühender Bienenwiese, drei vitalen Linden und einem Insektenhotel (s. Seiten ab hier).

8 | Hundertwasserhaus, Wien (A): Seit über 30 Jahren wachsen hier ungehindert die Bäume im und über das Gebäude (s. Seiten ab hier).

Projekte und Beispiele für grüne Häuser

9 | Dachgarten mit Baum auf dem Hundertwasserhaus in Wien (A): Eine romantische und naturnahe Oase für Erholung mitten in der Großstadt. Foto: Vera Enzi

10 | Dachgarten mit Baum auf dem Hundertwasserhaus in Wien (A): Lauschiges Plätzchen mit gesunder Luft und Wohlfühlatmosphäre (s. Seiten ab hier). Foto: Vera Enzi

11 | Hundertwassertherme in Blumau, Burgenland (A): Patienten und Besucher erwandern den Dachhügel und ruhen im Schatten von Bäumen (s. Seite hier). Foto: Rogner, Bad Blumau

12 | Hundertwasserhaus »Waldspirale« in Darmstadt (D): Fast wie eine märchenhafte Naturwelt, in der nicht nur die Fantasie blühen darf. Foto: Optigrün

13 | Dachgarten auf der Diakonissen-Klinik in Augsburg (D): Mitten in der Stadt eröffnet sich dem Patienten eine natürliche Welt mit Baumschatten und blühenden Stauden. Foto: Optigrün

14 | Dachgarten der LVM-Versicherungs-AG mit Baumbestand in Münster (D): Was wird hier den Mitarbeitern geboten, wie schön kann eine Pause auf dem Dach sein (zu beiden Bildern s. Seiten ab hier)! Foto: Optigrün

15 | Dachgarten (privat) in Wien (A): Seit 20 Jahren leben hier bis zu 5 m hohe Bäume auf einem bis zu 100 cm hohen Bodenaufbau, kleines Biotop mit Fröschen inbegriffen (s. Seite hier).

16 | Lavendelgarten mit Innenhof-Begrünung, Boutique-Hotel in Wien (A): Den Ausblick auf den duftenden Dachgarten hat jedes Hofzimmer. Für die Gäste gibt es Biohonig (s. Seiten ab hier).

17 | Dachgarten in Wien (A): Er vermittelt duftende Eindrücke und einen wunderbaren Ausblick auf die Stadt. Hier kann man zufrieden und ungestört Urlaub machen.

18 | Grüne Fassade mit Blumenschmuck am Boutique-Hotel in Wien (A): Eine herrliche Auffälligkeit in der sonst grauen Straße, mitten in der Großstadt (s. Seiten ab hier sowie hier).

19 | Dachgarten mit Baum und Blütenpracht, Wien (A): Gemütliche Sitzecken und schattige Plätzchen auf einer ehemaligen Sargfabrik, die zu einem Wohnpark umgestaltet wurde.

20 | Obstbaum und Ackerbau auf Dachgarten, Wien (A): Kleine Ackerfläche für jeden Hausbewohner; gezogen werden Gemüse, Kräuter, Gewürze, der Pflaumenbaum spendet jährlich eine satte Obsternte (zu beiden Bildern s. Seiten ab hier).

21 | Gewerbeobjekt in Wien (A): So schön und lebendig können funktionale Gebäude aussehen. Kühlung im Sommer, Isolierung im Winter und Feinstaubfilter inklusive (s. Seite hier sowie hier). Foto: Vera Enzi

22 | Grüne Fassade von MA 48, Wien (A): Direkt neben dem neuen Hauptbahnhof gelegen fällt dieses städtische Gebäude durch sein frisches Grün auf. Seit einigen Jahren kühlt der grüne Mantel die Büros der Mitarbeiter (s. Seite hier sowie hier).

23 | Wohnanlage Alt-Erlaa, Wien (A): Über zehn Stockwerke reichen die mit den unterschiedlichsten Pflanzen bewachsenen Balkontröge. Eine atemberaubende Vielfalt an Pflanzen (s. Seite hier).

24 | Europapark Rust (D): Ein riesiges, neu erstelltes Gebäude wird durch diese imposante Pflanzenfassade überwachsen und gekühlt. Ein Dschungel im Kleinen (s. Seiten ab hier).

25 | Die Waldstadt in Stuttgart (D): Am Stadtrand und in leichter Hanglage verbinden sich die Häuser mit dem üppigen Grün, bevor der Waldrand beginnt. Eine gesunde Wohnlage.

26 | Townhouse in Venlo, (NL): Großflächige Pflanzenfassaden wirken sich auf die Raumtemperatur und Luftqualität im Gebäude regulierend aus. Selbst im Innenbereich sorgen grüne Pflanzenwände für angenehme und natürliche Arbeitsbedingungen (s. Seite hier).

27 | Dachgarten auf dem Wälderhaus in Hamburg (D): Neben Birken, Erlen und dem Dachgrün sind Fotovoltaikanlagen aufgestellt. Der Wirkungsgrad für die Stromerzeugung ist höher, wenn die Paneele durch Dachgrün gekühlt werden.

28 | Congresscenter in Hamburg (D): Ein blühender Dachgarten mit Sträuchern und Bäumen, bereit für die eigene Honigernte (zu beiden Bildern: s. Seite hier).

29 | Innenhof mit Dachgarten, Wien (A): Auf den verschiedenen Ebenen und am Hofgrund gibt es Naturflächen zur freien Benutzung, für Ruhe und für eine angenehme Beschattung (s. Seiten ab hier).

30 | Innenhof über der Tiefgarage des Bundesumweltamtes Hamburg (D): Der Pflanzballen der Bäume steht einen Stock tiefer auf dem Dach der Tiefgarage. Regenwasser erreicht den Baum über die Holzstrukturen (s. Seite hier).

31 | Bosco verticale, Mailand (I): Zwei stattliche Wohntürme mit 1000 Bäumen und Pflanzen in ihren Balkontrögen. Noch sind solche Gebäude die Ausnahme (s. Seiten ab hier).

32 | Bosco verticale, Mailand (I): Hier wohnt jeder Bewohner „im Grünen“, die Lebensqualität steigt. Im blütenduftenden Alltag lebt es sich angenehm temperiert und frei von Feinstaub (s. Seiten ab hier).

33 | Erdhaus in Untersiggental (CH): Die Einbindung in den Hang und der meterhohe Erdauftrag ergeben ein herrliches Raumklima mit stabilen Temperaturen. Die Häuser funktionieren sehr energiesparend (s. Seiten ab hier). Foto: Stefan Wittwer

Projekte und Beispiele für grüne Korridore

34 | Obstbaumweg durch Nürnberg (D): Anstelle der stark befahrenen Hauptstraße bietet sich dieser einladende Weg an, in Ruhe zu Fuß in die Stadt zu gehen (s. Seiten ab hier bis hier).

35 | Grüner Korridor in Berlin (D): Naturweg mitten durch die Stadt. Dank der grünen, beschattenden Baumtunnel kann man sich herrlich entspannt bewegen. Draußen die hektische Stadt, hier »drinnen« die erfrischende Waldluft (s. Seiten ab hier sowie Seiten ab hier).

36 | Grüner Korridor in Berlin (D): Von Bäumen beschattet mit freiwachsenden Sträuchern und von guter, frischer Luft umgeben – das ist der Weg durch die Städte der Zukunft (s. Seite hier und Seiten ab hier).

37 | Grüne Gleise für die Straßenbahn (in Stuttgart, Berlin, Linz, Schwerin): Die einfache Pflege, die Kühlung des Bodens und der Umgebung sowie das Mehr an optischer Qualität sind überzeugende Argumente (s. Seite hier).

Projekte und Beispiele für Naturschattenplätze

38 | Naturschattenparkplatz in Berlin (D): An einem der meistbesuchten Plätze der Stadt (Dokumentationszentrum mit Berliner Mauer) bietet sich dieser herrlich beschattete Parkplatz an.

39 | Parkplatz unter einer beeindruckenden Trauerweide: Es ist fast schon ein Privileg, wenn man hier exklusiv parken darf (zu beiden Bildern: s. Seiten ab hier).

40 | Naturschattenparkplatz, Lauterach (A): In wenigen Jahren sind diese Baum-gruppen wertvolle Schattenspender für parkende Autos und dienen als praktische Orientierungshilfe (s. Seiten ab hier).

41 | Gastgarten unter Kastanienbäumen, Rankweil (A): Sofort auffindbar und eine herrliche Auffälligkeit in der sonst grauen Straße, mitten in der Stadt (s. Seiten ab hier).

Projekte und Beispiele für naturnahe Parkanlagen

42 | Totbaum im Schlosspark, Karlsruhe (D): Der abgestorbene Eichenstamm wird gestützt, ist er doch noch immer ein wertvoller Lebensraum für zahlreiche Organismen (s. Seite hier).

43 | Park in Berlin (D): Das Motto lautet »Weg folgt Baum«. So sollte mit der Natur umgegangen werden, respektvoll, angemessen und mit ästhetischem Anspruch (s. Seite hier).

44 | Lindenhofpark, Lindau (D): Wenn Bäume natürlich wachsen und ihre Äste tief am Stamm haben (wie diese Buche), sind Naturerlebnisse besonders naturnah (s. Seite hier).

45 | Bad Schachen, Lindau (D): Die stattliche Eiche durfte ihren untersten Starkast behalten, der Weg weicht dem Ast mit einer kleinen Biegung aus (s. Seite hier).

Projekte und Beispiele für ein Leben mit Bäumen

46 | Grüner Kirchplatz in Altach (A): Die Fassaden der Kirche und der daran anschließenden Gebäude wurden begrünt; auch die schräg wachsende Linde hat einen stützenden Freund gefunden.

47 | Congresscenter in Hamburg (D): Eine Treppe führt direkt in eine kleine Waldwiese mit einigen Bäumen – ein Gang in eine andere Welt (zu beiden Bildern: s. Seiten ab hier).

48 | Natur-Kunst-Projekt, Rankweil (A): Ein leer stehendes Haus in der Dorfmitte wird mit »Natur auf Zeit« beseelt. Signal und Mahnung zugleich (s. Seiten ab hier).

49 | Insel Mainau im Bodensee (D): Eine alte Weide neigt sich über den Gehweg. Sie darf, sorgsam gestützt, weiterleben. Der Baumtunnel schafft eine wunderbare Romantik für den Wanderer.

50 | Flügelnuss mit Schulhaus, Lauterach (A): Beim Bau der einzelnen Gebäudeteile wurde Rücksicht auf den wunderbaren Baumbestand genommen. Die riesige Flügelnuss beschattet nun das Klassenzimmer (s. Seiten ab hier).

51 | Zedernallee im Baum-Museum, Jona am Zürichsee (CH): Vor fünf Jahren stand noch kein einziger Baum. Die etwa 30 Jahre alten Zedern wurden neu angepflanzt und fühlen sich offenbar sehr wohl (s. Seiten ab hier).

52 | Ohlsdorfer Parkfriedhof, Hamburg (D): Waldkiefern beschatten die Wege und die von den Bäumen »bewachten« Gräber (s. Seite hier).

53 | Kirchberg am Wechsel, Niederösterreich (A): Diese 700 Jahre alte Linde lebt im Gastgarten des Gasthofs »Zur tausendjährigen Linde«. Ihr Wurzelwerk ragt tief in die Kellerräume. Seit Jahrhunderten bilden Baum und Haus eine bemerkenswerte Einheit (s. Seite hier).

54 | New York (Vereinigte Staaten): Der einmillionste Baum in New York wurde im Beisein vieler Prominenter sowie den Initiatoren dieser großartigen Aktion gepflanzt. Foto: Malcolm Pinckney, NYC Parks (s. Seite hier).

Projekte und Beispiele für Friedenswälder

55 | Alter Nordfriedhof, München (D): Seit vielen Jahren dürfen sich hier die Bäume ausbreiten. Die Natur überdeckt sacht die Erinnerung an die früheren Zeiten (s. Seite hier).

56 | Ohlsdorfer Parkfriedhof, Hamburg (D): Auf sich schlängelnden Wegen unter hohen Buchen und im schützenden Kleid des Waldes zu unseren Ahnen. Ruhe, Stille, Natur – ein Zusammenhang, wie er nicht stimmiger sein könnte (s. Seite hier).

57 | Waldgrab: Denkmal mit Grabtafeln als ehrende Erinnerung an vergangene Zeiten. Stattliche Bäume gehören dazu (s. Seite hier).

58 | Friedenswald Heiligenberg (D): Naturbestattung unter einer Buche. Bald schon wird ein schützender Pflanzenteppich alles überdecken. Eine Plakette erinnert an die letzte Ruhestätte in der Natur (s. Seiten ab hier).

image

Dieses E-Book ist die digitale Umsetzung der Printausgabe, die unter demselben Titel bei KOSMOS erschienen ist. Da es bei E-Books aufgrund der variablen Leseeinstellungen keine Seitenzahlen gibt, können Seitenverweise der Printausgabe hier nicht verwendet werden. Statt dessen können Sie über die integrierte Volltextsuche alle Querverweise und inhaltlichen Bezüge schnell komfortabel herstellen.

Vorwort

Die Bäume melden sich heute für viele unerwartet in unser Leben zurück. Immer mehr Menschen erkennen, dass sich unsere Gesellschaft mit einem Wirtschaftssystem, das auf ewigem, exponentiellem Wachstum beruht, in einer Sackgasse befindet. Ein maßloses Wegwerfsystem, das angeblich immer kürzere Nutzungszyklen benötigt, um Wohlstand zu sichern, hat sich als verantwortungslose Zerstörungsmaschinerie der Lebensgrundlagen unserer Kinder und Enkel entlarvt.

In dieser Situation vermittelt der Wald mit seinen Bäumen die Botschaft eines geschlossenen Kreislaufs, eines Wettbewerbes, der am Ende in die große Brüderlichkeit der Waldgemeinschaft übergeht, eines dezentralen Managements der Energie, von dem wir unglaublich viel lernen können. Es lohnt sich, die Weisheit der Bäume zu studieren.

Conrad Amber ist einer, der das getan hat – und daraus ganz eigene Schlüsse zieht. Er stellt zahlreiche Ideen vor, die in einer Debatte, in der sich unser Verhältnis zum Wald teilweise sehr polarisiert zeigt, wertvoll sind. Die einen misstrauen den Förstern und vermuten in der modernen Forstwirtschaft die altbekannten Motive von Gier, Monokultur und naturwidrigem Verhalten aus Gründen des Profits. Die anderen finden alles rund um Bäume romantisch, tun sich aber mit der Idee schwer, dass Bäume das Holzmaterial liefern, das ein zeitgemäßes Leben durchaus bereichert. Bäume nicht als Holzlieferanten zu nutzen, führt zwingend zu mehr Plastik und anderen problematischen Ersatzstoffen.

Es ist eine Tatsache, dass Holz als Bau- und Werkstoff unverzichtbar ist. Holzhäuser machen uns nachweisbar gesünder, stärken das Immunsystem und lassen uns ruhiger und, statistisch gesehen, länger leben. Jeder Baum, der nicht nachhaltig geerntet wird, führt somit zu einem Schaden für die Umwelt. Beton- und Steinhäuser, giftige Dämmungen aus reiner Chemie sowie Kunststoffe aller Art sind die belastende Alternative zum nachwachsenden Rohstoff Holz.

In einem zeitgemäßen, ganzheitlichen Sinn kommt es darauf an, in unseren Wäldern – wie im Biogarten – für Artenvielfalt und gesunde, standortgerechte Mischungen der Baumarten zu sorgen. Dazu gehört auch, die Bäume am Ende ihres Lebens zu ernten, damit der Jungwuchs Raum bekommt und nachwachsen kann. Die deutsche Forstwirtschaft darf im internationalen Vergleich in punkto Nachhaltigkeit als Vorbild gelten und liegt an der Weltspitze. Das Bild langweiliger und anfälliger Monokulturen hat die Köpfe der Förster hierzulande Gott sei Dank schon lange verlassen.

Heute kommt es vor allem darauf an, dass wir das geschlagene Holz immer sauber und chemiefrei verarbeiten, damit es am Ende wieder in den Kreislauf des Lebens eingehen kann, ohne dort zu Umweltschäden zu führen. Schonend bewirtschaftete Wälder und eine regionale Holzverwertung sind der effektivste Naturschutz, den es gibt. Conrad Amber zeigt dazu viele Beispiele und Projekte.

Darüber hinaus hat er visionäre Vorschläge entwickelt oder weiterentwickelt, in welcher Weise die Bäume unser Leben bereichern können: beispielsweise für grüne Städte und Häuser, eine neue Art von die Lebensvielfalt fördernder Alleen, die zukunftsorientierte Form der Waldnutzung entlang der Autobahn oder für Hausbäume und persönliche Baumpatenschaften. Auf konstruktive und undogmatische Weise macht er Lust auf mehr Natur. Vieles ist als Anstoß zu sehen und muss sicher noch weiterentwickelt und in der Praxis erprobt werden. Dennoch: Jeder kann etwas für eine grünere Zukunft tun – im Sinne der Bäume, und vor allem im Sinne unserer Nachkommen.

Erwin Thoma

Die Zukunft beginnt jetzt!

Wir schreiben das Jahr 2040. So gut wie in der letzten Nacht habe ich schon lange nicht mehr geschlafen. Wahrscheinlich liegt das am vorangegangenen Abend.

Zusammen mit meinen Kollegen erlebe ich zum ersten Mal dieses gigantische Abenteuer, über 150 Meter senkrecht gen Himmel zu klettern. Sie schwärmten mir immer wieder davon vor. Gestern war es dann so weit. Um 18 Uhr stehen wir vor dieser überwältigend grünen Fassade an dem Waldhochhaus mitten in der Stadt. An der Außenfassade ranken sich dicke Efeustämme empor. Baumäste ragen über die Balkone, und von oben ergießt sich ein rauschender Wasserfall mit moosigem Untergrund und herrlich kühlendem Nass in die Tiefe. Nachdem die Sicherungsseile angelegt sind, geht es los.

Meter um Meter klettert unsere kleine Gruppe nach oben. Über Baumstämme und Steingebilde, über Äste und Blattwerk, entlang der Ranken, immer weiter. Zwischendrin erwischt uns manchmal eine aufstäubende Wolke des Wasserfalls. Ein grandioses Erlebnis! Auf etwa 100 Meter Höhe ist der Rundblick auf die grünen Dächer und Gebäude der Großstadt atemberaubend.

Dort drüben, nur eine Querstraße von unserem Gebäude entfernt, spielen sie auf einer riesigen Rasenfläche Fußball. Im Schatten der Bäume hat das johlende Publikum Platz genommen. Auf der anderen Seite dösen ein paar Schafe unter blühenden Birnbäumen und erholen sich offenbar vom anstrengenden Leben in solcher Höhe. Geradeaus sitzt eine Gruppe fröhlicher Menschen in einer Art Schrebergarten auf dem Flachdach des Rathauses. Sie haben Bierkrüge in den Händen und lassen den Arbeitstag gemütlich ausklingen.

Auf unserem begrünten Hochhaus gibt es eine Bar, in der Mixgetränke aus den Obst- und Gemüsesorten des Hauses angeboten werden. So machen es viele der vertikalen Waldhäuser. Sie preisen ihre eigenen Obstmarken an, die ungespritzt und von intensivem Geschmack sind und keine langen Transportwege zurücklegen mussten. Alles direkt vom Erzeuger! Dieser köstliche, erfrischende Trunk belebt unsere beanspruchten Muskeln.

Auf dem Dach wollen wir im Grünen picknicken. Alles, was es zu essen und trinken gibt, wächst am und auf dem Haus und wird als vegetarische Kletterkost angepriesen. Nur der Honig stammt aus einem anderen Dachgarten, einem mit einem Wald aus Weidenbäumen, der von hier aus aber zu sehen ist. Ein dichtes Geäst aus niedrigen Weidenbäumen überzieht das gesamte Gebäude. Dazwischen stehen die Bienenstöcke. Per Drohnen werden die Honigtöpfe an die verschiedenen Dachrestaurants der Stadt geliefert.

Gegen 21 Uhr machen wir uns auf den Heimweg. Dazu kann man entweder mit dem Außenlift – einer offenen Plattform, auf der man angegurtet wird – auf der anderen Seite des Hauses nach unten schweben, oder es geht per Flugdrachen im Kombiflug hinaus zum Waldpark. Nach kurzer Bedenkzeit entscheide ich mich als Einziger für den Tandemflug. Nach entsprechender Einweisung geht es los, und lautlos gleite ich über die grüne Stadt.

Hier lebe und arbeite ich, mache Urlaub, erhole mich, treibe Sport und besuche alle möglichen kulturellen Veranstaltungen und sonstigen Events. Deswegen bin ich viele Jahre schon nicht mehr aus der Stadt herausgekommen und habe das auch nie vermisst. Es fehlt mir nichts. Hier zu leben bedeutet, sparsam, gesund und effizient zu leben. Ein Großteil unserer Nahrungsmittel wird auf den Dächern und in den Waldgebieten in der Stadt und im Umland angebaut.

Der Korridorwald entlang des Stadtflusses bietet mir an den drei Tagen, an denen ich ins Büro gehe, einen gesunden Weg zur Arbeit. Den Rest der Woche arbeite ich zu Hause. Den Weg zum Forschungsgebäude am Stadtrand im Schatten der Bäume lege ich entweder zu Fuß zurück oder bewege mich mithilfe meiner Federschuhe vorwärts. Das ist eine Art Sprungschuh, mit dem ich die sieben Kilometer in rund 20 Minuten bewältige. Die gute Luft ist ideal für meinen Früh- und Abendsport.

In unserem Planungsteam entwickeln wir neue Techniken, in welcher Weise die vertikalen Wälder an unseren Häusern die statische Funktion der Gebäude stärken oder sogar übernehmen können. Immerhin reichen die höchsten Waldhochhäuser schon jetzt über 500 Meter in die Höhe. Begrünte Balkone mit großen Bäumen gibt es außen wie im Innenbereich, wo sie über dem riesigen Atrium hängen – einer Waldschlucht ähnlich.

Der Tandemflug nähert sich dem Ende, und wir setzen zur Landung auf einer herrlichen Wiese an. Diese liegt inmitten des Waldparks und ist durch Positionsleuchten gekennzeichnet. Die anderen erwarten uns schon, wir werden gefilmt und mit Applaus empfangen. Das war ein herrlicher Ausklang unserer sportlichen Aktivitäten. In der Waldbar stoßen wir noch mit einem köstlichen Gebräu aus Naturhopfen an, das an ein frisches Bier erinnert, nur ohne Alkohol.

Den Heimweg legen wir per Magnetschwebern zurück. Mit einer Flughöhe von bis zu zehn Metern sind sie eine wertvolle Alternative an den Tagen, wenn am Boden allgemeines Verkehrschaos herrscht. Übrigens unternehmen meine Frau und ich demnächst seit Jahren wieder die erste längere Bahnreise. Mit der Rapidbahn reisen wir in den Norden, wobei die 800 Kilometer in rund drei Stunden zurückgelegt werden. Wir wollen uns ein Erfolg versprechendes Projekt in den Fjorden Norwegens vor Ort anschauen.

Dort ist es gelungen, Häuser mit lebenden Bäumen zu bauen und statisch zu stabilisieren. Immerhin wird das Versuchshaus bereits seit drei Jahren bewohnt und ist rund 90 Meter hoch. Die Lebensdauer dieses Hauses wird auf etwa 300 Jahre geschätzt, ein enormer Fortschritt. Ich werde weiter davon berichten.

Zurück ins Heute

Gehören Sie zu den glücklichen Menschen, die einen Blick ins Grüne haben? Erleben Sie persönlich den Lauf des Jahres anhand der wunderbaren Verwandlung der Pflanzen? Genießen Sie die Düfte und Gerüche von Bäumen und Blumen? Oder spielt das für Sie alles keine Rolle?

Die Städte und Dörfer der Gegenwart verdrängen immer öfter die Natur, wo sie zum Wohlbefinden des Menschen eigentlich sein sollte. Natur in Form von Wäldern und Bäumen wird systematisch ausgeschaltet, verletzt und vernichtet. Verkehrsflächen, Wohngebäude, Gewerbegebiete, Einkaufszentren – all das und anderes mehr führt dazu, dass wertvoller Boden zugebaut und versiegelt wird. Doch zu welchem Preis?

Dort, wo ehemals ein Bauernhaus mit Obstbaumwiese war, steht jetzt ein Wohnblock. Und die romantische Allee von früher wurde durch eine vierspurige Straße mit angrenzenden Gewerbebauten ersetzt. Laut einer Studie des Mauna Loa Observatory auf Hawaii war der weltweite CO2-Gehalt in der Luft noch nie so hoch wie heute.1 Diese jahrzehntelange Entwicklung hat inzwischen offenbar den Höchststand erreicht, und ein Ende ist nicht absehbar.

In Deutschland leben 80 Prozent der Bevölkerung in städtischen Ballungsräumen, in denen aufgrund der immensen Nachfrage ein hoher Druck zur Bebauung und Umwidmung brachliegender Flächen besteht. Täglich wird eine Fläche von zirka 100 Fußballfel-dern verbaut oder versiegelt. Das sind 70 Hektar pro Tag oder etwa 260 km2 pro Jahr! So berauben wir uns unserer Atemluft.

Wir können, nein, wir müssen das ändern, sollen unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft haben. Es gibt etliche Ansätze, einen Wandel selbst und mit wenig Aufwand herbeizuführen. Wir müssen das nur wollen und mithelfen, dass das weltweit schnell und an vielen Orten gleichzeitig passiert. Jeder von uns kann für eine gesunde, natürliche Welt sorgen. Tatsächlich ist es unsere Pflicht. Unsere Generation hat den luxuriösen und ressourcenvernichtenden Lebensstil erfunden und zelebriert ihn nach wie vor.

Wer offenen Auges und mit gesundem, unverfälschtem Naturverständnis sowie mit kritischen Gedanken zur Zukunft durch Städte, über Land und durch den Wald geht, nimmt wahr, wo wir heute stehen. Solche Betrachtungen lassen nur einen Schluss zu: Wie wir mit der Natur, mit den Bäumen und Wäldern umgehen, ist weder logisch noch ökonomisch oder ästhetisch nachvollziehbar. Meiner Meinung nach haben wir es oftmals mit einer Spirale aus Aggression, Argwohn und Unwissenheit und bei manchen Menschen sogar mit einer nicht zu überbietenden Geringschätzung gegenüber allem pflanzlichen Leben und der Natur im Allgemeinen zu tun.

Vor diesem Hintergrund sollte man sich eine grundlegende Tatsache immer wieder ins Gedächtnis rufen: Bäume sind langlebige Wesen, sie überdauern uns alle, und die meisten von ihnen werden um ein Vielfaches älter als wir. Über Bäume und Wälder nachzudenken und mit ihnen die Zukunft zu gestalten bedeutet, über Generationen hinweg zu denken und zu handeln. Tief aus der Vergangenheit bis weit in die Zukunft. Das macht es uns, die wir im Jetzt und Heute leben, eher schwierig.

Denn wer kann sich eine Zeitspanne von 300, 400 Jahren wirklich vorstellen? Eine Linde oder Eiche wird leicht so alt oder älter. Und wer weiß schon, wie die Welt, unsere Umgebung und die Natur, unser Klima in 100 oder 200 Jahren sein werden? Wann oder wo auch immer ein Baum gepflanzt wird, ist zu bedenken, dass er bis zu seinem natürlichen Lebensende wächst. In die Höhe zumindest bis zur Lebensmitte, dann in die Breite und im Stammumfang.

Rabindranath Tagore hat dazu einmal ganz richtig bemerkt: »Wer Bäume pflanzt in dem Wissen, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen.« Für uns Heutige heißt das, für eine Zukunft vorzusorgen, die unsere Kinder und Enkelkinder erleben werden. Je mehr wir richtig machen, desto besser wird es ihnen gehen. Geht uns die Luft aus und fehlt uns das Wasser, wird in Europa ein Wüstenklima herrschen, sodass wir und unsere Nachkommen es sehr schwer haben werden.

Diese Erkenntnis muss eine Verpflichtung und eine vordringliche Aufgabe für alle Menschen sein, die ihre Verantwortung ernst nehmen und aktiv werden wollen. Unsere Zukunft wird auf der Erde stattfinden – und nicht auf irgendwelchen anderen Planeten. Mit steigender Weltbevölkerung brauchen wir mehr Bäume. Denn sie neutralisieren die Schadstoffe, die wir ausatmen und produzieren, und wandeln sie in Atemluft um. Wir haben keine Wahl, sondern müssen lernen und akzeptieren, dass unser Leben nur gemeinsam mit Bäumen zu schaffen ist.

Es gibt zahlreiche Lösungen für unsere nahe und weitere Zukunft mit Bäumen, die uns helfen, wesentlich gesünder zu leben, die Klimaerwärmung einzudämmen, Nahrungsmittel in unserer direkten Umgebung zu produzieren. Das Motto lautet deshalb: Wir holen uns die Natur zurück, nehmen uns den Wald zum Vorbild und verbünden uns wieder mit den Bäumen.

Einiges, über das ich schreibe, ist an dem einen oder anderen Ort bereits umgesetzt worden. So wurden, über die ganze Welt verteilt, inzwischen Millionen von Bäumen in Städten gepflanzt. Das ist vor allem auf private Initiativen und ehrenamtlichen Einsatz zurückzuführen. Die Tradition der Dachbegrünung und der Dachgärten etwa wird in manchen Teilen der Welt – beispielsweise in Norwegen – schon seit Hunderten von Jahren gepflegt. Vor 200 Jahren wurden Alleen, also von Bäumen gesäumte Straßen, quer durch Europa angelegt. Vieles davon wird heute wieder belebt, neu definiert, in die heutige Zeit eingepasst, die Vorteile werden aufs Neue entdeckt.

Manches passiert, weil es fünf vor zwölf ist. Einige haben verstanden, dass diese Veränderungen unser Leben verbessern können, dass sie die Gesundheit fördern und letztlich unsere Welt retten. Machen Sie mit, lassen Sie sich überzeugen und dazu animieren, das Ihre dazu beizutragen, an der überfälligen Rückbesinnung auf die Natur teilzunehmen. Es ist höchste Zeit und es ist wichtig!

Die Haltung zählt

Das vorliegende Buch gliedert sich in sieben Hauptthemen, die aus unterschiedlicher Perspektive alle mit dem Thema »Bäume und wir« zu tun haben. Die Kapitel haben nicht unbedingt direkt etwas miteinander zu tun in dem Sinne, dass sie aufeinander aufbauen würden. Es ist also möglich, in jedem Kapitel einzusteigen. Immer geht es aber konkret darum, wie wir unseren Alltag begrünen können. Wie also funktioniert es zum Beispiel, Bäume in dicht bebaute Städte zu bringen, die Fassaden und Dächer der Häuser mit richtigen Gärten aufzuwerten oder die vielen Straßen zu lebendigen bunten Adern des Lebens umzugestalten? Kurzum, wie holen wir eine möglichst vielfältige und gesunde Natur in unsere Nähe?

Mir ist bewusst, dass manche Themen, wie beispielsweise breite Alleen oder ein möglichst durchgängiger Waldstreifen an unseren Autobahnen von manchen vielleicht zunächst als reine Utopie belächelt werden. Dennoch glaube ich fest daran, dass wir nur dann etwas ins Positive verändern, wenn es dafür zunächst eine unverkrampfte, von Zwängen freie Vision gibt – und aus dieser dann eine Motivation, ein fester Wille wird. Das Motto sollte sein: Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Und ein Teil des Weges, so sehe ich es, ist es, die in den Kapiteln zitierten Beispiele erfolgreicher Projekte jetzt auf eine größere Ebene zu heben.

Was die Idee eines Autobahnwaldes betrifft, so bedeutet das, sich zunächst ein grünes lebendiges Netz in Mitteleuropa vorzustellen, von den Alpen bis an die Küsten der Nord- und Ostsee – und sich dann konkret zu überlegen, was man selbst dazu beitragen möchte, an welchen konkreten Stellen es verwirklicht werden kann. Ein reger Gedankenaustausch dazu und Gespräche darüber setzen bereits Impulse in diese Richtung …

Außerdem gilt: Selbst wenn eine Vision nicht hundertprozentig umsetzbar ist, wurde schon viel erreicht, wenn auch nur ein Teil dessen Wirklichkeit wird. So ist mir klar, dass wir beispielsweise nicht von heute auf morgen die Fläche von Urwäldern als wertvolle Lebensräume für Tiere und Pflanzen – und als wertvolle Erholungsräume für den Menschen – verdoppeln oder verdreifachen werden können. Doch wenn der Wille wach wird, damit anzufangen, zumindest manche geeignete Waldfläche wieder einfach sich selbst zu überlassen, wird das viel bewirken. Irgendwann wird es selbstverständlich sein, dass es in jeder Region solche Refugien gibt. Das schließt nicht aus, dass es in Deutschland, Österreich und der Schweiz in vielen Regionen weiterhin eine zeitgemäße und naturschonende Forstwirtschaft gibt, die im weltweiten Vergleich ohnehin in Sachen Nachhaltigkeit Vorbildcharakter hat.

Ja, manchmal bin ich ein Idealist, vielleicht sogar ein Romantiker, der von einer grünen Zukunft träumt, auch von heiler Natur – doch bin ich auch Realist genug, um zu wissen, dass es nur dann eine Chance auf Veränderung gibt, wenn möglichst viele Menschen nicht nur mit gesundem Menschenverstand, sondern auch mit dem Herzen an die Machbarkeit glauben. Erprobtes Wissen vieler anderer »pragmatischer Idealisten«, auch die verschiedensten Erfahrungen von Gärtnern, Baumpflegern oder Fassadenbegrünern gehören als solide Grundlage dazu, ebenso die heute technischen oder auch rechtlichen Möglichkeiten für die Umsetzung sowie zahlreiche wissenschaftliche Studien und alle bereits verwirklichten Projekte. Es ist mir ein Anliegen, nicht zu theoretisieren, sondern ganz nah an der praktischen Machbarkeit zu sein. Die Listung der zitierten Quellen am Ende des Buches soll dazu dienen, bei Bedarf das eigene Wissen zu verdichten und sich tiefer mit den verschiedenen Themen zu beschäftigen.

Kurz gesagt: Meine Ausführungen sind durchaus im Sinne einer fruchtbaren, anregenden Provokation gemeint, und an manchen Stellen wird von mir bewusst auch ein wenig überzeichnet. Trotzdem und gerade deshalb lade ich Sie, liebe Leser, und alle, denen Sie von dieser Lektüre berichten, ein, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und manches davon einmal auszuprobieren. Als Vordenker und Vorreiter werden Sie viele Menschen erreichen und in den jeweiligen Kreisen die Welt ein Stück verändern.

Schließlich ist Zeit Geld. Auf die Bäume übertragen heißt das, wir können deren Wachstum nicht beschleunigen. Erst wenn sie stattlich sind, können sie ihre enorme positive Wirkung für uns und die Umwelt entfalten. Dazu braucht es Jahrzehnte. Überall dort, wo bereits vor Jahren Bäume gepflanzt sowie Alleen und Stadtwälder angelegt wurden, ist dieser Zeitvorsprung bereits gegenwärtig. In diesem Sinne gilt: Packen wir die Zukunft an – heute!

Conrad Amber, Dornbirn

1 › Der Autobahnwald

Schlagadern für Mobilität und Wohlstand

Das europäische Autobahnnetz ist der sichtbare Ausdruck unserer heutigen Mobilität und auch der Wirtschaftskraft. Ein Großteil des wirtschaftlichen Austauschs zwischen den Staaten und Wirtschaftsräumen findet aber leider immer noch per Schwerlasttransport auf der Straße statt. Zu diesem Zweck ist ab der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein immer dichter geknüpftes Autobahnnetz entstanden. Doch um welchen Preis?

Im Vordergrund steht der schnelle und kostengünstige Transport der Güter von A nach B − ohne Rücksicht auf die Natur oder die Befindlichkeit des Menschen. Aber auch das Reise- und Freizeitverhalten des modernen Menschen soll durch ein dichtes Autobahnnetz ermöglicht werden. Aus diesem Grund sind diese Lebensadern unserer Gesellschaft nicht nur überall anzutreffen, sondern sie befinden sich zumeist in sehr gutem Zustand. Bereitwillig investieren die Staaten Europas in den Erhalt und den Ausbau dieser Verkehrswege.

Dabei wird aus sogenannten übergeordneten Gesichtspunkten ein Hauptaugenmerk auf die Verkehrssicherheit gelegt. Das heißt, nicht nur der Fahrdamm samt Straße und entsprechendem Fahrbelag unterliegen höchsten Kriterien der Verkehrssicherheit, sondern ebenso der Straßenrand wird unter diesem Aspekt angelegt und gestaltet. Meist jedoch in einer unangenehmen Optik, da langweilig und hässlich. Öde Lärmschutzwände, ohne Sinn und Verstand abgeholzte Böschungen, kurz geraspelte Rasenflächen samt bestens einsehbaren Müllhaufen, Betonmauern und Brachflächen sind die üblichen, ermüdenden Begleiter all derer, die sich auf Autobahnen fortbewegen. Nicht nur die Lenker der Lkw werden mit dieser Langeweile tagtäglich konfrontiert, sondern auch die zahlreichen Insassen von Reisebussen oder Pkw.

Muss eine solch einfallslose Straßenumgebung wirklich sein? Gäbe es nicht vielleicht etwas, das abwechslungsreicher und ansprechender daherkäme, gleichzeitig aber auch viel natürlicher, nutzbringender und schöner wäre? Dass in Sachen Ästhetik des Straßenrands einiges verbessert werden kann, zeigen uns die Streifen mit blühendem Mohn, die Blumenränder und Hecken, die vereinzelt anzutreffen sind.

Auf meinen langen Fahrten quer durch Europa habe ich immer wieder beobachten können, mit welch riesigem Aufwand Straßenböschungen baum- und strauchfrei gehalten werden. Die Arbeiter der Straßenmeistereien präparieren den Untergrund für Starkregen, Schneelast und Trockenheit. Sie legen Sickerflächen, Wasserrinnen und unterschiedliche Schrägflächen an. Manchmal säen sie Gras, manchmal entwickeln sich, sich selbst überlassen, Dornen und angewehte Stauden. Bei der nächsten starken Regenperiode wird dann wieder gebaggert, geschaufelt und betoniert.

Diese unterschiedlichen Wettersituationen hätte der Baum- und Strauchgürtel, der ursprünglich die Straße säumte, allesamt und ohne Schaden verkraftet. Solche natürlichen Befestigungen finden in den Augen der Straßenplaner jedoch kaum Gnade. Denn unter ihnen finden sich auch Hochstammbäume, die – vor allem, wenn sie alt und krank sind – bei Sturm, Starkregen oder unter hohen Schneelasten umfallen oder brechen können und damit auf die Fahrbahn fallen.

Im Sinne der Verkehrssicherheit und laut der gängigen Gesetzeslage wäre das Risiko einer damit verbundenen Sachbeschädigung zu groß. Allerdings sei angemerkt, dass es immer wieder zu solchen Baumstürzen kommt und dabei zumeist Sachschaden entsteht. Menschenleben fordern solche Ereignisse eher selten.

Wege aus der Ausweglosigkeit

Das Autobahnnetz in Deutschland umfasst derzeit 12.900 km, in Österreich sind es 2200 und in der Schweiz 1400 km. Würde man bei einem Drittel davon den Straßenrand beidseitig auf 15 bis 40 m Breite mit Sträuchern und Bäumen bepflanzen, entspräche das einer Fläche von insgesamt 20.000 Hektar: Das sind 200 Millionen m2! Eine solche Fläche böte, ausgehend von einem Platzbedarf von 16 m2 pro Baum, Platz für mindestens 12 Millionen Bäume. Bei dichterer Bepflanzung wären es gar 15 Millionen Bäume oder noch mehr.

Rechnen wir zu obigem Beispiel noch Schnell- und Überlandstraßen hinzu, könnte sich das Ergebnis leicht verdreifachen. Dadurch würde eine riesige Fläche an zukünftigen Erntewäldern – Energieplantagen – entstehen!

Was macht den Unterschied aus zur bisherigen Bepflanzung mit Bäumen und Sträuchern? Die bislang beliebig anmutende Bepflanzung oder natürlich entstandene Gehölzmischung am Straßenrand wird im Fall eines Erntewalds durch gezielt ausgewählte und entsprechend nutzbare Gehölze ergänzt. Auch die Reihung und Anordnung erfolgen nach bestimmten Kriterien. So werden zur Straße hin niedrigwüchsige Sträucher angelegt, dahinter höherstämmige Bäume. Ein solcher erntefähiger Straßenwald ist etwas ganz Besonderes und kann unglaublich viel leisten. Sein Vorbild ist der Nieder- oder Schneitelwald, eine Waldform, die besonders in der Zeit vor der Entdeckung des Erdöls und seiner industriellen Nutzung in Europa stark verbreitet war.2 Damals war der Bedarf an Holz als Heizmaterial riesig.