Walter Schöni
Bildungswertschöpfung
Zur politischen Ökonomie der berufsorientierten Weiterbildung
ISBN Print: 978-3-0355-0733-1
ISBN E-Book: 978-3-0355-0737-9
1. Auflage 2017
Alle Rechte vorbehalten
© 2017 hep verlag ag, Bern
www.hep-verlag.com
VORWORT
Weiterbildung ist tätige Auseinandersetzung mit der Welt, Wissenserwerb und Subjektbildung. Sie ist andererseits »Produkt«, sie ist Marketing und Konsum. Weiterbildung verspricht Prestige, verleiht symbolische Macht und wird zum Fetisch.
Mit solchen Phänomenen befasst sich die vorliegende Studie. Einen ersten Zugang bietet die Weiterbildungswerbung, die Erfolg und Wachstum verspricht und manchmal seltsame Blüten treibt. Einige davon sind als Zitate in das Buch eingestreut. Sie zeichnen ein Bild bunten Markttreibens, in dem innovative Lernangebote um motivierteste Lernende konkurrieren und zu besten Lernleistungen anspornen. Aber: Treiber des Weiterbildungsbooms sind weniger die Lernmotive als die Marktstrategien der Anbieter. Ihnen gilt die Aufmerksamkeit dieser Studie. Ebenso der Frage, wie man (außerhalb der Welt des Marketings) die Wertschöpfung der Weiterbildung in Wirtschaft und Gesellschaft fassen könnte.
Der Autor, seit Jahren als Dozent und Bildungsanbieter tätig und dem bunten Treiben nicht fern, unternimmt hier den Versuch einer Analyse. Er betrachtet die Weiterbildung mit theoretisch begründeter Skepsis: Weder ihr unbändiges Kommerzstreben noch die Gegenbewegung, die sie dem Markt entreißen möchte, können überzeugen. Beide übersehen die strukturelle Macht, die in die Weiterbildung eingewoben ist, aber auch ihr emanzipatorisches Potenzial, Machtverhältnisse infrage zu stellen. Die Studie möchte zur Analyse der Verhältnisse beitragen. Und sie liefert Impulse und Instrumente für die Praxisdiskussion.
Das Buch ist über eine längere Zeitspanne entstanden. Theoriearbeit und Weiterbildungspraxis in Bildungsinstitutionen und Unternehmen wechselten sich ab. Der Autor dankt allen, mit denen er sich in diesen Jahren fachlich austauschen durfte und die ihn zu dem Vorhaben ermunterten, ganz besonders Elke Tomforde, Lehrentwicklung und -technologie, ETH Zürich. Susanne Gentsch vom hep verlag sei herzlich gedankt für die wertvollen Hinweise und die gute Zusammenarbeit.
Walter Schöni
Basel, im Dezember 2016
ÜBERSICHT
Einleitung
Paradoxien der Weiterbildung
Fragestellungen und Zielsetzung der Studie
Themen und Argumentationslinien
Teil I
Entwicklungsdynamik der berufsorientierten Weiterbildung
1 Strukturwandel der Arbeit und der Bildung
2 Weiterbildungspolitik und Weiterbildungsmärkte
3 Gesellschaftliche Wirksamkeit des Weiterbildungssystems
Teil II
Wertschöpfung der berufsorientierten Weiterbildung
4 Bildung als Dienstleistung
5 Die Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen
6 Bildungswertschöpfung in Wirtschaft und Gesellschaft
7 Erweiterte Analyse der Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen
Teil III
Leistungsprozesse der berufsorientierten Weiterbildung
8 Prozessorganisation von Bildungsdienstleistungen
9 Controlling der Prozesse von Bildungsdienstleistungen
Teil IV
Märkte, Diskurse und Politik der berufsorientierten Weiterbildung
10 Die Legitimität der Weiterbildung
11 Ansatzpunkte und Kontroversen der Weiterbildungspolitik
Anhang
Literatur
Abkürzungen
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
PARADOXIEN DER WEITERBILDUNG
Fragestellungen und Zielsetzung der Studie
Themen und Argumentationslinien
TEIL I
ENTWICKLUNGSDYNAMIK DER BERUFSORIENTIERTEN WEITERBILDUNG
1 Strukturwandel der Arbeit und der Bildung
1.1 Arbeitsverhältnisse unter Marktdruck
Bewirtschaftung von Arbeitsverhältnis und Arbeitskraft
Marktanbindung der Arbeitskraft – und ihres Umfelds
»Unternehmerische« Arbeitskraft, ungleiche Entwicklungschancen
1.2 Arbeitsmarkt – Deregulierung und ihre Folgen
Öffnung der Arbeitsmärkte
Neue Qualifikationsordnungen, neue Inflexibilitäten
Segmentierung und soziale Selektivität
1.3 Bildungssystem im Fokus der Politik
Reformen im Zeichen von Kohärenz und Durchlässigkeit
Internationale Regulierung und Steuerung von Bildung
Kohärenz der Bildung aus gesellschaftspolitischer Sicht
2 Weiterbildungspolitik und Weiterbildungsmärkte
2.1 Weiterbildungspolitik in der Schweiz
Ursprünge und Professionalisierungsschritte
Traditionen: Marktliberalismus, Korporatismus, schwache Regulierung
Neues Weiterbildungsgesetz: Marktfreiheit plus Wirtschaftsförderung
Fazit: Geschäftige Weiterbildungsbranche, konzeptlose Politik
2.2 Strukturen und Trends in der Weiterbildungsbranche
Gliederung des Weiterbildungsangebots
Marktvolumen und Trendeinschätzungen der Branche
2.3 Dynamik der Angebotsentwicklung
Pfadabhängigkeit, Expansion und Ausdifferenzierung
Funktionsbezug der berufsorientierten Weiterbildung mit Abschluss
Volatilität der allgemeinen berufsorientierten Weiterbildung
Fazit: Heterogene Angebotsstrukturen, schwierige Orientierung
3 Gesellschaftliche Wirksamkeit des Weiterbildungssystems
3.1 Deckung von Qualifizierungsbedarf
Begriffsklärung: Qualifizierungsbedarf, Bedarfsdeckung
Wie die Weiterbildung Bedarf und Angebot »zur Deckung« bringt
Implikationen unzureichender Ausrichtung am Qualifizierungsbedarf
3.2 Kohärenz von Angebot und Bildungswegen
Begriffsklärung: Kohärenz im System der Weiterbildung
Systemmerkmale der Weiterbildung beeinträchtigen die Kohärenz
Implikationen unzureichender Kohärenz
3.3 Regulierungs- und Steuerungsfähigkeit
Begriffsklärung: Regulierung und Steuerung
Defizite der Regulierung und Steuerung schwächen die Wirksamkeit
Implikationen unzureichender Regulierung und Steuerung
3.4 Egalisierung der Bildungschancen
Begriffsklärung: Weiterbildung und Chancenausgleich
Das Weiterbildungssystem verstärkt die Ungleichheit der Chancen
Implikationen eines unzureichenden Chancenausgleichs
3.5 Fazit: Wirksamkeits- und Orientierungsdefizite der Weiterbildung
Ergebnisse der Wirksamkeitsanalyse
Ansatz der Bildungswertschöpfung als Orientierungsrahmen
Von der Ökonomisierungskritik zur Kritik des Bildungsgeschäfts
TEIL II
WERTSCHÖPFUNG DER BERUFSORIENTIERTEN WEITERBILDUNG
4 Bildung als Dienstleistung
4.1 Dienstleistung und Güterproduktion
4.2 Merkmale von Bildungsdienstleistungen
Das konstruierte Setting der Leistungserbringung
Klärung der Leistungsmerkmale im Dienstleistungskonzept
4.3 Fremdorganisation versus Selbstorganisation von Lernen
Selbstorganisiertes Lernen als (hypothetische) Alternative
Nutzenkalkül der Weiterbildungsinteressierten
Selbst- und fremdorganisiertes Lernen sinnvoll verbinden
4.4 Kundenbeziehungen und »Kundenorientierung«
Analyse der Kundenbeziehungen
Was heißt Kundenorientierung in der Weiterbildung?
4.5 Fazit: Weiterbildung als Dienstleistung verstehen
5 Die Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen
5.1 Grundlagen der Wertschöpfungsdiskussion
Betriebswirtschaftliche Definitionen von Wertschöpfung
Anbieter- und kundenbezogene Wertschöpfung in der Weiterbildung
Die »Gleichwertigkeit« von monetären Werten und Gebrauchswerten am Bildungsmarkt
Wertschöpfung in der betrieblichen Weiterbildung
Fazit: Wertschöpfungsbegriffe und ihre Anwendung in der Bildung
5.2 Wertschöpfungskonzepte für Industrie und Dienstleistungen
Das Modell der industriellen Wertkette
Elemente der Wert- und Kostenanalyse
Wertschöpfungsmodelle für Dienstleistungen
Fazit: Konzepte und Modelle der Wertschöpfung
5.3 Wertschöpfungskonzepte für Bildungsdienstleistungen
Konzept 1: Wertkette für Kursangebote und Programme
Konzept 2: Wertshop für Bildung, Beratung, Begleitung
Konzept 3: Wertnetzwerk für intermediäre Dienstleistung
Dienstleistungstrends am Bildungs- und Beratungsmarkt
5.4 Analyse der Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen: Vorgehen und Fallbeispiel
Vorgehen der Wertschöpfungsanalyse
Fallbeispiel: Förderungsprogramm für Führungskräfte
Fazit: Analyse der einzelwirtschaftlichen Wertschöpfung
6 Bildungswertschöpfung in Wirtschaft und Gesellschaft
6.1 Bezugssysteme der Bildungswertschöpfung
Die Systematik: Wertschöpfungs- und Verwertungssysteme
Wertbeitrag der Weiterbildung und seine symbolische Anerkennung
Vereinnahmung durch hegemoniale Diskurse
6.2 Wertschöpfungssysteme der Wirtschaft und der Bildung
Wertschöpfungssysteme der Wirtschaft
Mehrstufige und einzelwirtschaftliche Wertschöpfung
Wertschöpfungssysteme der berufsorientierten Weiterbildung
Stabilisierende Funktionen des Weiterbildungssystems
6.3 Verwertungssysteme der Gesellschaft
Anerkennung von Leistungen der Weiterbildung
Verwertung von Leistungen der Weiterbildung
Verwertung im Kontext »Arbeitsmarkt«
Verwertung im Kontext »Betrieb«
Verwertung im Kontext »Wirtschaftsstandort«
6.4 Fazit: Paradoxe Effekte systemischer Wertschöpfung
Wertschöpfungssysteme ermöglichen und neutralisieren Bildungswerte
Verwertungssysteme anerkennen und vereinnahmen Bildungswerte
Folgerungen für die erweiterte Analyse der Wertschöpfung
7 Erweiterte Analyse der Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen
7.1 Grundlagen und Zielsetzung der erweiterten Analyse
Variante 1: Quantitative Analyse des Wertschöpfungspotenzials
Variante 2: Qualitative Analyse der Kohärenz der Wertschöpfung
Entscheidung für das qualitative Analyseverfahren
7.2 Gegenstand und Verfahren der Analyse
Ebene A: Einzelwirtschaftliche Analyse
Ebene B: Systembezogene Analyse
Ebene C: Gesellschaftsbezogene Analyse
Bilanz des Wertschöpfungspotenzials und Folgerungen
7.3 Leitfaden »Erweiterte Wertschöpfungsanalyse«
1 Leistungsangebot, Märkte, Kundenbeziehungen
2 Wertschöpfungskonzept(e)
3 Wertschaffende Aktivitäten und Schnittstellen
4 Wert- und Kostentreiber, Wertschöpfungspotenzial
5 Integration in Wertschöpfungssysteme
6 Positionierung in Verwertungssystemen
7 Beitrag zur gesellschaftlichen Qualifizierung
8 Bilanz des gesamten Wertschöpfungspotenzials
9 Folgerungen für die Angebotspolitik im Bildungssegment
7.4 Fallbeispiel: Förderungsprogramm für Führungskräfte
Integration in das Wertschöpfungssystem der Verwaltung
Positionierung im Verwertungssystem der Verwaltung
Wandel in der öffentlichen Verwaltung schafft Handlungsbedarf
Beitrag zur Qualifizierung für gesellschaftliche Anforderungen
Bilanz des gesamten Wertschöpfungspotenzials und Folgerungen
7.5 Fazit zur erweiterten Wertschöpfungsanalyse
TEIL III
LEISTUNGSPROZESSE DER BERUFSORIENTIERTEN WEITERBILDUNG
8 Prozessorganisation von Bildungsdienstleistungen
8.1 Dimensionen und Bezugsgrößen der Prozessorganisation
Dimensionen der Prozessorganisation: Aktivitätenfolge, Interaktion
Konfigurationen der Prozessorganisation im Weiterbildungsgeschäft
Externe Bezugsgrößen der Prozessgestaltung in der Weiterbildung
8.2 Modellierung und Inszenierung von Dienstleistungsprozessen
Prozesse und ihre Inszenierung bei Dienstleistungen
Inszenierung bei Bildungsdienstleistungen: Lernwelten
8.3 Prozessorganisation bei Bildungsdienstleistungen
Einfaches Prozessschema: Kernaktivitäten aus Anbietersicht
Erweiterte Prozessorganisation: Einbezug von Prozessfokussen
Prozessfokus »Kundenprozesse/Teilnahme«
Prozessfokus »Angebotsmanagement«
Prozessfokus »Service- und Supportprozesse«
8.4 Fazit: Anforderungen an eine wertschöpfungsorientierte Prozessorganisation
9 Controlling der Prozesse von Bildungsdienstleistungen
9.1 Schritte der Operationalisierung von Leistungsmerkmalen
1 Zuordnung des Wertschöpfungskonzepts
2 Darlegung der Prozessorganisation, Wahl des Prozessfokus
3 Identifikation der zentralen Leistungsparameter
4 Operationalisierung der Leistungsparameter
9.2 Systematik des Controllings: Fokusse und Parameter
Selektivität als methodisches Prinzip
Controlling im Fokus »Kundenprozesse/Teilnahme«
Controlling im Fokus »Angebotsmanagement«
Controlling im Fokus »Service- und Supportprozesse«
9.3 Der operative Controllingzyklus: Auslöser, Ablauf
Controlling heißt messen, planen und steuern
Der operative Controllingzyklus
9.4 Fallbeispiel: Programmangebot »Deutsch im Arbeitsteam«
Ausgangslage
Das Wertschöpfungskonzept
Die Prozessorganisation
Leistungsparameter und ihre Messung
Probleme im Geschäftsfeld und Einleitung eines Controllingzyklus
Optimierung der Leistungsprozesse
Über die Prozessoptimierung hinaus
9.5 Fazit zum Prozesscontrolling bei Bildungsdienstleistungen
TEIL IV
MÄRKTE, DISKURSE UND POLITIK DER BERUFSORIENTIERTEN WEITERBILDUNG
10 Die Legitimität der Weiterbildung
10.1 Wirksamkeit und Wertbeitrag des Weiterbildungssystems
Die gesellschaftliche Wirksamkeit des Weiterbildungssystems
Das Wertschöpfungspotenzial der Weiterbildungsbranche
Fazit: Funktionsdefizite des Weiterbildungssystems
10.2 Die symbolische Ordnung der Weiterbildungsmärkte
Äquivalenz als diskursives Schlüsselelement
Grundlagen der Äquivalenzbeurteilung am Markt
Der kognitive Horizont der Äquivalenzbeurteilung
Fazit: Zur Stabilität der symbolischen Marktordnung
10.3 Steuerung von Kosten und Nutzen durch die Anbieter
»Marktsignale« und andere Vorgaben für das Bildungsmarketing
Strategien der Kostensteuerung und des Nutzenmarketings
Marketing in den Angebotssegmenten
Fazit: Strategien des Marketings an den Weiterbildungsmärkten
11 Ansatzpunkte und Kontroversen der Weiterbildungspolitik
11.1 Analyse, Bewertung und Steuerung von Weiterbildung
Analyse und Bewertung von Weiterbildungsprogrammen
Politische Aushandlung und Steuerung von Weiterbildung
11.2 Themen und Kontroversen künftiger Weiterbildungspolitik
»Stellenwert des Marktes in der Weiterbildung«
»Weiterbildung als Konsumgeschäft«
»Nutzenversprechen der Weiterbildung«
Fazit: Die Verantwortung der Weiterbildungspolitik
ANHANG
Literatur
Abkürzungen
Kein anderer Bereich unserer Gesellschaften erfährt wohl so breite Zustimmung wie die Bildung. Über Chancen, Wege und Titel wird gestritten, als gesellschaftliche Institution wird Bildung aber kaum infrage gestellt. Der Begriff steht für individuelle und gesellschaftliche Entwicklung schlechthin. Selbst soziale Ungleichheiten und Entwicklungsblockaden, die von der Bildung mitverantwortet werden, vermögen ihrer Legitimität wenig anzuhaben. Vielmehr gelingt es ihren Diskursen, soziale Ungleichheit als Resultat ungleicher Bildungsanstrengungen zu deuten und zu rechtfertigen. Und wo Chancen auf Bildung unleugbar schief verteilt sind, verspricht Weiterbildung eine »zweite Chance«, nachzuholen, was vorher in der formalen Bildung verpasst wurde. Zu fragen ist dennoch, wie weit solche diskursiven Versprechen in der Praxis eingelöst werden.
Diese Studie untersucht die berufsorientierte Weiterbildung, und zwar sowohl ihre Selbstdarstellung als auch die faktische Einlösung ihrer Leistungsversprechen. Dass beides auseinanderlaufen kann, hat mit der widersprüchlichen Rolle der Bildung in kapitalistischen Gesellschaften zu tun: Sie ist Entwicklung, sie ist aber auch Geschäft. Der ersten Bedeutung zufolge meint Bildung Lernen, also Horizonterweiterung, beruflichen Kompetenzerwerb, soziale Innovation. Bildung verschafft Autonomie, sie »gehört« jenen, die sie erarbeiten, sie ist individuelles und gemeinschaftliches Gut. In der zweiten Bedeutung ist Bildung wirtschaftliche Aktivität, eine Dienstleistung: Bildungsanbieterinnen und -anbieter unterstützen Lernende mit Schulung, Abklärung, Beratung und anderen Leistungen. Bildung präsentiert sich an Märkten und schafft Nutzen gegen Bezahlung – sofern ihr Angebot zahlungsbereite Kundinnen und Kunden findet.
Beide Bedeutungen von Bildung sind in der gesellschaftlichen Praxis untrennbar verbunden. Autonom motiviertes Lernen ganz außerhalb von marktgängigen Bildungsdienstleistungen ist vorstellbar, findet aber keine gesellschaftliche Anerkennung. Umgekehrt können Bildungsdienstleistungen losgelöst von autonomen Lernmotiven der Teilnehmenden nicht erbracht werden. Selbst in der kapitalistischen Wirtschaft ist Bildung keine Ware, die man auf Vorrat herstellt und dann als Konsumgut absetzt. Die Inanspruchnahme einer Bildungsdienstleistung setzt voraus, dass Adressatinnen und Adressaten die vom Anbieter deklarierten Bildungsziele als sinnhaft erachten, dass sie seine Kompetenz, sein Leistungsversprechen akzeptieren und bei der Durchführung aktiv mitwirken. Eine Bildungsdienstleistung erbringen heißt sie auf die Handlungsfelder der Lernenden ausrichten, verbindliche Beziehungen eingehen und in der Zusammenarbeit lernen.
Die kooperative Leistungserbringung wird jedoch für das boomende Weiterbildungsgeschäft zum Hindernis. Weiterbildungsmärkte funktionieren wie andere Märkte nach der Logik des Wachstums, der Marktbeherrschung und der Verdrängung von Konkurrenten. Im Kampf um Themenführerschaft und Marktanteile, um Rankingpositionen und Renditeziele geraten soziale Beziehungsstrukturen des Lernens aus dem Blick. Die Weiterbildungsbranche ist bestrebt, für beliebige Veränderungen im Geschäftsfeld »Arbeitswelt« passende Bildungs- und Beratungsangebote bereitzuhalten, die Nachfrage zu lenken und die Geschäfte voranzutreiben; ihren Fokus hat sie längst auf das »Produkt« und seinen Absatz verlagert. Weiterführende Ziele der Zusammenarbeit, der Befähigung und gesellschaftlichen Entwicklung verlieren an Bedeutung. Je mehr aber Bildungsanbieter den Marktanteil und die Nachfragenden das Abschlusszertifikat ins Zentrum stellen, desto wichtiger wird das Preis-Leistungs-Verhältnis dieses Produkts, und desto austauschbarer werden seine Inhalte und Prozesse.
Der Primat des Produktabsatzes prägt das Geschäftsverhalten. Öffentlich-rechtliche und privatwirtschaftliche Bildungsanbieter scheinen in ihrer Marktoffensive zu »vergessen«, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wertbeiträge, mit denen sie werben und ihr Angebot rechtfertigen, verpflichtend sind: dass selbst das trendigste Angebotssortiment ein Leistungsversprechen darstellt; dass das Angebot seinen Gebrauchswert nur in kooperativen Prozessen realisieren kann; und dass der Gebrauchswert einem gesellschaftlichen Bildungsauftrag entsprechen und Anerkennung finden sollte. Diese Verpflichtungen werden öffentlich zwar kaum bestritten, durch die Praxis aber konterkariert. Vom Anbieter vororganisierte und kontrollierte Lernsettings bestimmen die Abläufe des Lehrens und Lernens. Wirtschaftlichkeitsvorgaben beschränken den Spielraum, den das Fachpersonal erhält, um Lernvoraussetzungen zu klären, Lerntransfer zu begleiten und wertschätzenden Service zu erbringen, kurz: um den Gebrauchswert des Lernens zu sichern.
Die Weiterbildung verantwortet diese Prioritätensetzung nicht allein, sie ist aber zum Treiber der Absatzorientierung geworden, mit qualifizierungspolitisch fragwürdigen Folgen. Einseitig funktional interpretierte Bildungsbedarfe und kurzlebige Trends geben heute die Richtung der Angebotsentwicklung vor; und die Leistungserbringung hat formale Ziele des Umsatzes, der Wirtschaftlichkeit und Kundenzufriedenheit zu erfüllen. In vielen Angebotsbereichen, selbst bei öffentlichem und gemeinnützigem Leistungsauftrag, entscheidet die Marktgängigkeit über das Angebot. Marketingmethoden der Konsumwirtschaft werden auf die Bildung übertragen. Was nicht unbedingt dem Marketing anzulasten ist, schon eher dem kommerzialisierten Selbstverständnis vieler Anbieter und Programme der Weiterbildung.
Umso grundsätzlicher ist zu fragen: Nach welchen markt- und anbieterunabhängigen Kriterien ließen sich Leistungsangebot und Wertbeiträge der Weiterbildung beurteilen? Wie wäre das Leistungsangebot weiterzuentwickeln, welche weiterbildungspolitischen Folgerungen wären möglich? Im Gesamtsystem der berufsorientierten Weiterbildung fehlen heute die Grundlagen für eine Beantwortung dieser Fragen. Zum einen sind die Bildungsaufträge seitens der Wirtschaft und der Gesellschaft, an denen das Leistungsangebot zu messen wäre, in der Geschichte der Weiterbildung schon frühzeitig abhandengekommen. Zum anderen mangelt es der Branche an eigenen weiterführenden Visionen, die den spezialisierten Bildungswegen und Bildungsgängen heute Orientierung geben könnten.
Gesucht sind daher wissenschaftlich fundierte Ansätze, nach denen wir die von der Weiterbildung erbrachten Leistungen und geschaffenen Werte kategorisieren, objektivieren und vergleichend bewerten können. Wertkategorien der Weiterbildung sind etwa monetäre Anbietererträge, qualifikatorische Fortschritte von Lernenden und Abnehmern, ferner Wertbeiträge an die Wirtschaftsregion, an die Lösung sozialer Probleme, an gerechtere Sozialsysteme. Wertschöpfung und Wertbeiträge von Bildungsdienstleistungen zu beurteilen, setzt allerdings voraus, dass wir einen für die Bildung tauglichen Wertschöpfungsbegriff besitzen und Wertgrößen methodisch verlässlich erfassen können.
Die begrifflichen und methodischen Grundlagen gilt es zu erarbeiten. Anregung dafür finden wir unter anderem in den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere bei der Wertschöpfungstheorie und dem Dienstleistungsmanagement. Sie machen darauf aufmerksam, dass Wertschöpfung an Voraussetzungen gebunden ist und Standards zu beachten hat. Bei Dienstleistungen sind die Kundenanforderungen genau abzuklären, damit die Kundinnen und Kunden im ganzen Leistungsprozess eine produktive Dienstleistungshaltung erkennen können. Welche Werte dabei geschaffen werden, wie sie objektiviert und beurteilt werden, ist Gegenstand der Wertschöpfungsanalyse. Diese Aspekte sind auch für die Bildungsdienstleistung überlegenswert. Die Auseinandersetzung damit hilft, die oft ungenau formulierte Kritik an der Ökonomisierung der Bildung zu schärfen.
Die vorliegende Studie findet konzeptuelle Anregung somit auch außerhalb der Bildungswissenschaften. Sie macht wirtschaftswissenschaftliche Konzepte für die Wertschöpfungsdiskussion in der Weiterbildung nutzbar. Sie bezieht sich zudem auf soziologische Dimensionen, um die Wirksamkeit des Weiterbildungssystems einzuschätzen. Und sie rekonstruiert mit diskursanalytischen Mitteln die symbolische Ordnung der Weiterbildungsmärkte, die bislang verhindert, dass der Wertbeitrag des Weiterbildungsgeschäfts unter die Lupe genommen wird. Die Auseinandersetzung mit solchen »bildungsfremden« Ansätzen bringt neue Impulse für die Weiterbildungsdiskussion. Sie macht eine theoretische Integration zwar nicht einfach, führt aber zu alternativen Konzepten, die Anbieter und Bildungsfachleute in ihrer Praxis unterstützen, ihre Leistungen zu analysieren und zu verbessern.
Der Fokus der Studie liegt auf der berufsorientierten Weiterbildung: auf ihrem Geschäft, ihren Märkten und Diskursen, auch auf ihrem institutionellen System. Mit dem Begriff »berufsorientierte Weiterbildung« bezeichnen wir die der beruflichen und schulischen Ausbildung nachgelagerte, sie ergänzende Weiterbildung in den Segmenten 1. höhere Berufsbildung, 2. Weiterbildung an Hochschulen,
3. allgemeine berufsorientierte Weiterbildung (inklusive betriebliche Weiterbildung, Personalentwicklung), 4. arbeitsmarktbezogene Weiterbildung und 5. Weiterbildung für öffentliche Funktionen (zur Systematik vgl. Kapitel 2.2). Die Ausführungen der Studie konzentrieren sich auf die Angebotssegmente 1 bis 3, sie lassen sich unter Beachtung der Spezifika auch auf die anderen Segmente anwenden.
Berufsorientierte Weiterbildung als Geschäft, als Dienstleistung begreifen heißt, sich eingehend mit Nutzenerwartungen der Kundinnen und Kunden, mit kooperativen Leistungsprozessen, mit wirtschaftlicher Vernetzung, mit gesellschaftlicher Anerkennung und Verwertung von Bildungsleistungen zu befassen. Zu ihren Resultaten zählen nicht bloß bildungsökonomische Wertgrößen (Bildungsrenditen, wirtschaftlicher Output der Branche), sondern ebenso Gebrauchswerte für Lernende und Unternehmen, für Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Studie analysiert das Wertschöpfungspotenzial der Weiterbildung in diesen erweiterten Kontexten. Sie geht den folgenden Fragen nach:
–Welches sind die relevanten Bezugssysteme und Einflussfaktoren der berufsorientierten Weiterbildung?
–Wie gut erfüllt das berufsorientierte Weiterbildungssystem seine Funktionen für Wirtschaft und Gesellschaft, wie wirksam ist es?
–Wie unterscheiden sich Bildungsdienstleistungen von anderen Wirtschaftsaktivitäten, etwa bezüglich Kundenbeziehung, Abwicklung, Ergebnis?
–Welche Werte erzeugen Bildungsdienstleistungen für Einzelne, Wirtschaft und Gesellschaft? Wie werden die Leistungen anerkannt und verwertet?
–Welchen Einfluss haben Leistungsprozesse und Interaktionen auf die Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen?
–Welche Rolle spielen arbeitsteilige Wirtschaftssysteme und Bildungsstrukturen für die Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen?
–Welche ökonomischen und außerökonomischen Kräfte bestimmen den Weiterbildungsmarkt, worin gründet seine Stabilität?
Was die Bezugssysteme und Funktionen der berufsorientierten Weiterbildung betrifft, so verfügt die sozial- und bildungswissenschaftliche Forschung über analytische Instrumente und breite (allerdings heterogene) empirische Evidenz. Diese Grundlagen sind für eine Einschätzung der Wirksamkeit zusammenzuführen. Was das Geschäft der Weiterbildung betrifft, also die Konzeption, Vermarktung und Verwertung von Bildungsdienstleistungen, so hilft uns die Wertschöpfungstheorie und Wertschöpfungsanalyse weiter. Sie nimmt (einzelwirtschaftliche) Geschäftsbeziehungen, Geschäftsfelder und Branchen in den Blick; sie hat sich bisher allerdings kaum mit der Weiterbildungsbranche befasst, und umgekehrt sind ihre Konzepte in den Bildungswissenschaften kaum rezipiert worden.[1] Was die Märkte der berufsorientierten Weiterbildung betrifft, so erlaubt die Datenlage zur Situation in der Schweiz nur grobe Trendeinschätzungen. Unsere Analyse verfolgt einen politisch-ökonomischen Ansatz, der Weiterbildungsmärkte nicht als Sphäre selbsttätiger Marktgesetze versteht, sondern nach außerökonomischen Bestimmungskräften wie Macht, Interessen und Prestige fragt.
Die Ziele dieser Studie lassen sich wie folgt umreißen: Erstens geht es darum, gestützt auf sozial- und bildungswissenschaftliche Erkenntnisse ein Raster zu entwickeln, das uns erlaubt, die gesellschaftliche Wirksamkeit des Systems der berufsorientierten Weiterbildung einzuschätzen, summarisch zwar, aber auf empirischer Evidenz basierend. Das Raster dient in der Studie mehrfach als Referenz. Zweitens ist ein theoretischer und methodischer Ansatz zu erarbeiten, der erlaubt, das Wertschöpfungspotenzial von Bildungsdienstleistungen zu objektivieren, es vergleichend zu bewerten und Bezüge zu Wirtschaft und Gesellschaft herzustellen. Drittens soll auf werttheoretischer Grundlage erörtert werden, worin die symbolische Ordnung und die Stabilität der Weiterbildungsmärkte gründen. Und viertens sollen aus diesen Analysen neue Kriterien und Orientierungslinien hervorgehen, die in die Steuerung von Weiterbildung und in die weiterbildungspolitische Debatte einfließen.
Teil I setzt ein beim Strukturwandel der Arbeitswelt. Er analysiert die Rolle der Weiterbildung und untersucht ihre gesellschaftliche Wirksamkeit. Der Weiterbildung fehlt es nicht an geschäftlicher Dynamik, wohl aber an qualifikationspolitischer Orientierung. Ersatz bietet hier das Konzept der Bildungswertschöpfung, das in der Weiterbildungsdiskussion bisher allerdings keine Rolle spielt. Teil II erarbeitet methodische Grundlagen für die Analyse von Bildungswertschöpfung, Teil III befasst sich mit den Leistungsprozessen der Weiterbildung. Teil IV führt die Ergebnisse zusammen. Er fragt nach der symbolischen Ordnung der Weiterbildungsmärkte, skizziert Ansätze der Marktsteuerung und benennt kontroverse Themen der Weiterbildungspolitik.
Die vier Teile der Studie sind als Einheiten mit je eigenen theoretischen und empirischen Bezügen konzipiert. Sie bewegen sich nicht nur in den disziplinären Grenzen der Bildungswissenschaften, sondern integrieren bildungsfremde Ansätze. Sie stellen Instrumente für die Entwicklung und Bewertung von Weiterbildungsangeboten zur Verfügung. Im Folgenden finden die Leserinnen und Leser eine detaillierte Beschreibung der Inhalte und Argumentationslinien der Studie. So können sie Teile für eine selektive Lektüre auswählen.
Teil I: Entwicklungsdynamik der berufsorientierten Weiterbildung
Ausgangspunkt ist der Strukturwandel der Arbeitswelt und der Bildung in den letzten Jahrzehnten. Mit dem Wandel haben sich Bezugssysteme und Vorgaben der berufsorientierten Weiterbildung verschoben. Wie antwortet die Branche darauf, wie orientiert sich ihre Angebotspolitik?
Kapitel 1 beschreibt erstens, wie Arbeitsverhältnisse flexibilisiert und die Arbeitskräfte enger an die Märkte angebunden wurden; zweitens, wie sich Angebots- und Nachfragestrukturen am Arbeitsmarkt verändert und Segmentierungen neu herausgebildet haben; und drittens, wie durch bildungspolitische Reformen und internationale Regulierungen die Bildung standardisiert, aber nicht immer kohärenter gestaltet worden ist. Festzuhalten ist: Die großen Veränderungen erzeugen ständig neue Lernbedarfe. Sie halten das Bildungsgeschäft im Gang, schaffen aber auch Unsicherheiten für Beschäftigte.
Am Beispiel der Schweiz analysiert Kapitel 2, wie sich das System der berufsorientierten Weiterbildung entwickelt hat, wie es auf den Strukturwandel der Arbeitswelt reagiert, wie die Weiterbildungsmärkte funktionieren und wie sie gesteuert werden. Weiterbildungsmärkte sind weniger durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage als durch Anbieterstrukturen und korporative Interessenverbünde geprägt. In vielen Teilbereichen der Weiterbildung sind funktionale subsidiäre Lösungen entstanden, im Gesamtsystem jedoch beanspruchen Sonderinteressen und bildungspolitische Zuständigkeitskonflikte sehr viel Raum. Von diesen Realitäten weitgehend unberührt, pflegt die Weiterbildung ihren Marktdiskurs. Gleichzeitig wird eine zielführende politische Regulierung unterbunden, wie das neue schweizerische, per 1. Januar 2017 in Kraft getretene Weiterbildungsgesetz deutlich erkennen lässt.
Kapitel 3 fragt nach der gesellschaftlichen Wirksamkeit des Weiterbildungssystems. Die Einschätzung der Wirksamkeit erfolgt anhand von vier sozial- und bildungswissenschaftlichen Dimensionen: Bedarfsgerechtigkeit des Angebots, Kohärenz der Bildungswege, Regulier- und Steuerbarkeit des Systems sowie Egalisierung der Bildungschancen. Das Weiterbildungssystem der Schweiz zeigt grundlegende Wirksamkeits- und Orientierungsdefizite. Die ideologische Fixierung auf Markt und Wettbewerb scheint jedoch zu verhindern, dass solche Defizite wahrgenommen und korrigiert werden, was für den Fortgang der Studie die Frage aufwirft, wie Leistungen der Weiterbildung künftig angebotsunabhängig und segmentübergreifend objektiviert werden könnten; und ob sich daraus Orientierungslinien für eine zielorientierte Weiterbildungspolitik gewinnen lassen.
Teil II: Wertschöpfung der berufsorientierten Weiterbildung
Dieser Teil befasst sich mit den Grundlagen der Bildungswertschöpfung. Ziel ist, die von Bildungsdienstleistungen erzeugten Werte zu analysieren und daraus Kriterien zu gewinnen für die Bewertung von Weiterbildungsleistungen, für die Angebotsentwicklung und für die Weiterbildungspolitik. Die Überlegungen knüpfen an Theorien der Wertschöpfung, der Dienstleistung und des Prozessmanagements an, d. h. an betriebswirtschaftlich geprägte Theoriestränge. Ihre Begriffe und Konzepte werden referiert und in der bildungswissenschaftlichen Diskussion verortet.
In einem ersten Schritt wendet Kapitel 4 dienstleistungstheoretische Konzepte auf die Bildung an. Für Bildungsdienstleistungen gelten die Merkmale einer »starken Kundenintegration«, typisch für personenbezogene Dienstleistungen: Weiterbildung führt nur in der direkten Zusammenarbeit mit Teilnehmenden, Abnehmern und Auftraggebern zu Lernfortschritten. Leistungsprozesse der Weiterbildung sind daher nur begrenzt standardisierbar und steuerbar. Die Weiterbildung ist mit heterogenen Nutzenerwartungen, Lern- und Handlungsbedingungen konfrontiert. Anbieter müssen mit diesen Gegebenheiten produktiv arbeiten, sie können sich nicht damit zufrieden geben, vorgefertigte Lernsettings zu inszenieren. Praxisrelevanz und Gebrauchswert der von Lernenden und Bildungsfachpersonal gemeinsam erbrachten Lernleistung müssen klar ersichtlich sein.
Anknüpfend an die betriebswirtschaftliche Definition von Wertschöpfung, fragt Kapitel 5 nach dem spezifischen Charakter von Bildungswertschöpfung. Es referiert Wertschöpfungsmodelle der Industrie und des Dienstleistungssektors, um dann die Wertschöpfung von kursförmigen, beratenden und intermediären Bildungsdienstleistungen mit ihren Leistungslogiken, Wert- und Kostentreibern zu rekonstruieren. Es werden die monetären Werte und Gebrauchswerte der Weiterbildung bestimmt, und zwar aus Kunden- und aus Anbietersicht. Die Analyse der Wertschöpfung richtet ihren Fokus auf die einzelwirtschaftliche Ebene. Sie wird am Fallbeispiel »Förderungsprogramm für Führungskräfte« illustriert.
Kapitel 6 weitet die Konzeption der Bildungswertschöpfung auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bezugssysteme aus, in denen Bildungsdienstleistungen erbracht werden. Es macht deutlich, dass Bildungswertschöpfung – wie andere wertschaffende Aktivitäten – nicht nur von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Anbieters und vom Engagement der Lernenden abhängt, sondern ein geeignetes Umfeld benötigt. Die Bildungsdienstleistung muss in branchenübergreifende Wertschöpfungssysteme der Wirtschaft integriert sein; Qualifikationen müssen in die Systematik der Weiterbildung passen; Abschlüsse müssen in Unternehmen, am Arbeitsmarkt und in Sozialstrukturen in Wert gesetzt werden. Bildungswerte entstehen also nur in Bezugssystemen; hier können sie aber auch infrage gestellt werden, etwa durch die Dynamik der Bildungsmärkte, durch tradierte Wissenshierarchien und durch vereinnahmende Diskurse.
Kapitel 7 führt die verschiedenen Ebenen der Bildungswertschöpfung in einem integrierten Verfahren der Wertschöpfungsanalyse zusammen. Das Verfahren unterscheidet eine einzelwirtschaftliche, eine systembezogene und eine gesellschaftsbezogene Analyseebene. Es überprüft die Kohärenz der Bildungswertschöpfung über alle drei Ebenen. Der Leitfaden »Erweiterte Wertschöpfungsanalyse« führt durch die Analyseschritte, ausgehend von der Darlegung des Leistungsangebots und seiner Wertschöpfungslogik bis hin zur Bilanz des Gesamtpotenzials und seiner Verortung im Bildungssegment. Leitfragen helfen, das Wertschöpfungspotenzial und seine ebenenspezifischen Komponenten einzuschätzen. Am Fallbeispiel »Förderungsprogramm für Führungskräfte« wird aufgezeigt, welche zusätzlichen Erkenntnisse die erweiterte Wertschöpfungsanalyse bringt.
Teil III: Leistungsprozesse der berufsorientierten Weiterbildung
Im Fokus stehen hier die Prozessorganisation und die Leistungsprozesse von Bildungsdienstleistungen, also operative Fragen. Die Prozessorganisation muss richtig modelliert sein, damit wir erfolgsentscheidende Prozesse erkennen und ihren Beitrag zur Sicherung der Lernwertkette einschätzen können. Die Ausführungen stützen sich auf Konzepte des Dienstleistungs- und Prozessmanagements und des Controllings. Sie nehmen aber auch Elemente der Wertschöpfungsdiskussion aus Teil II auf, so die Erkenntnis, dass Wertschöpfung in der Bildung nur in kooperativen Prozessen zustande kommt. Vom Anbieter einseitig festgelegte und möglicherweise intransparente Leistungsprozesse ermöglichen eine glatte Inszenierung, sie schaffen aber nicht unbedingt Outcomes im Sinne beruflicher und sozialer Handlungsfähigkeit. Solche Outcomes sind für die Weiterbildung sehr relevant, wichtiger als für viele andere Bereiche des Dienstleistungsmanagements.
In Kapitel 8 werden zuerst die grundlegenden Dimensionen der Prozessorganisation erläutert und auf Bildungsdienstleistungen angewendet. Modelldarstellungen unterstützen die Ausführungen. Wie soll die Prozessorganisation eines Weiterbildungsprogramms, eines Kurses, eines Coachings gestaltet sein, damit die in Aussicht gestellten Qualitäten und Werte für die Kunden/innen tatsächlich entstehen, damit unterstützende Service- und Managementleistungen wirksam werden? Eine in diesem Sinn wertschöpfungsorientierte Prozessorganisation nimmt Bezug auf Prozessketten im Anwendungsfeld; sie integriert die Beiträge der Beteiligten und trägt ihren unterschiedlichen Fokussen im Leistungsprozess Rechnung. Sie arbeitet produktiv mit Einflussfaktoren, mit Handlungsressourcen und -restriktionen der Beteiligten.
Kapitel 9 führt ein in das Controlling der Leistungsprozesse von Weiterbildung. Es zeigt, wie die für den Lernerfolg entscheidenden Prozessmerkmale und Einflussfaktoren operationalisiert, gemessen und bei Bedarf beeinflusst werden. Es stellt Übersichtslisten von Prozessmerkmalen und Messgrößen zur Verfügung, die für die Beteiligten in ihrem jeweiligen Fokus aussagekräftig sein können. Gemeinsam überprüfen die Beteiligten, inwieweit eine gegebene Prozessorganisation die Wertschöpfung des Weiterbildungsprogramms wirklich unterstützt und welche Messgrößen dies belegen können. Methoden und Anwendungszyklus des Controllings werden am Fallbeispiel des Programmangebots »Deutsch im Arbeitsteam« illustriert, die Erkenntnisse werden bilanziert.
Teil IV: Märkte, Diskurse und Politik der berufsorientierten Weiterbildung
Die Analyse der berufsorientierten Weiterbildung bezieht sich in dieser Studie auf sehr unterschiedliche Theoriekontexte. Teil IV führt die Analysen zusammen. Er zieht Bilanz aus den Befunden zur gesellschaftlichen Wirksamkeit und zur Wertschöpfung des Weiterbildungssystems. Und er untersucht die Stabilität der Weiterbildungsmärkte, ihre symbolische Ordnung und Wertebasis und die darin sich realisierenden Anbieterstrategien. In Abgrenzung zum marktwirtschaftlichen Systemverständnis verfolgen wir hier einen politisch-ökonomischen Ansatz. Er versteht Weiterbildungsmärkte nicht als Sphäre selbsttätiger Marktgesetze, sondern als gesellschaftliche Verhältnisse, die durch Macht- und Produktionsstrukturen, durch organisierte Interessen und symbolische Ordnungen bestimmt sind. Die Analyse führt zu einigen Kernthemen künftiger Weiterbildungspolitik.
Kapitel 10 bilanziert die gesellschaftlichen Funktionsdefizite der Weiterbildung und die Unzulänglichkeiten ihrer Dienstleistungs-, Wertschöpfungs- und Prozessorientierung. Es stellt sich die Frage, wie die Weiterbildung trotz dieser Defizite es »schafft«, an den Märkten eine symbolische Ordnung aufrechtzuerhalten, Legitimität zu beanspruchen und sich der Überprüfung ihrer gesellschaftlichen Wertbeiträge zu entziehen. Eine Schlüsselrolle spielt hier die Wertebasis der Weiterbildungsmärkte: das »gerechte« Verhältnis von monetären und Gebrauchswerten, von Preis und Leistung der Angebote. Das Weiterbildungsmarketing stabilisiert dieses Verhältnis, indem es die Wahrnehmung der Wertgrößen zum Vorteil der Anbieter beeinflusst. Strategien des Marketings werden für drei Angebotssegmente der Weiterbildung konkret beschrieben: für die berufsorientierte Weiterbildung mit Abschluss, für die allgemeine berufsorientierte Weiterbildung und für den Bereich Bildungsberatung und Coaching.
Wenn das Weiterbildungsmarketing die Wahrnehmung der Wertgrößen bearbeitet, so macht dies das Leistungsangebot nicht wirksamer. Forciertes Marketing deutet vielmehr darauf hin, dass das Weiterbildungsgeschäft sich nicht ausreichend an Bedarfen und Bedürfnissen ausrichtet, und es macht auf das Fehlen einer sinnstiftenden weiterbildungspolitischen Orientierung aufmerksam. Kapitel 11 beginnt mit der Feststellung, dass im marktorthodoxen Diskurs das Leistungsangebot der Weiterbildung ausschließlich nach seiner Akzeptanz am Markt beurteilt wird. Verbindliche Kriterien für die Bemessung des gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wertbeitrags der berufsorientierten Weiterbildung fehlen. Es bedarf daher erstens einer bildungswissenschaftlich fundierten Analyse und Bewertung von Weiterbildungsangeboten, etwa mithilfe der hier entwickelten Analyseverfahren (Wertschöpfungs- und Wirksamkeitsanalyse). Und es bedarf zweitens der politischen Aushandlung von kontroversen Themen und Handlungsmöglichkeiten zusammen mit den Anspruchsgruppen. Solche Themen gehören auf die Agenda der Weiterbildungspolitik.
Die berufsorientierte Weiterbildung ist, wie die Weiterbildung insgesamt, ein dynamischer Wirtschaftssektor. Das Angebot wird laufend erweitert, die Produkte sind stark differenziert und spezialisiert. In kurzen zeitlichen Abständen werden neue Programme lanciert und andere vom Markt genommen. Anbieter engagieren sich in Geschäftsfeldern, in denen sie über Know-how und Konkurrenzvorteile verfügen, ihr Leistungsangebot eigenwirtschaftlich und rentabel erbringen und/oder mit öffentlichen Beiträgen verbilligen können. In ihrer Angebotskommunikation beziehen sich Anbieter regelmäßig auf den »rasanten wirtschaftlichen Strukturwandel«, auf »neue dynamische Märkte«, »gestiegene berufliche Anforderungen« und »entgrenzte Lernbedürfnisse«. Daraus wird der Auftrag abgeleitet, das Angebot laufend zu erneuern und zu erweitern.
Worin aber der Bildungsauftrag der berufsorientierten Weiterbildung im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel besteht, darüber existieren oft nur vage Vorstellungen. Es fehlt eine zukunftsweisende Vision der Qualifizierung, es fehlen Orientierungslinien für die Ausrichtung der Programme. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass im Koordinatensystem der Weiterbildung wichtige Bezugspunkte instabil geworden sind. Der Strukturwandel der Arbeitswelt erzeugt zwar immer neue Lernbedarfe und Qualifikationsanforderungen; ob diese relevant und beständig sind, ist jedoch unklarer denn je. Die Weiterbildungspolitik richtet Erwartungen an die Weiterbildungsbranche, vor allem an ihre Reaktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit; selber kümmert sie sich aber kaum um Qualifizierungsziele, noch koordiniert sie die Weiterbildungsmärkte, noch stellt sie die Kohärenz der Bildungswege sicher. In diesem ersten Teil des Buches geht es darum, die Veränderungen in Wirtschaft und Arbeitswelt auszuloten und einzuschätzen, inwieweit die berufsorientierte Weiterbildung darauf in wirksamer Weise antwortet.
Kapitel 1 beschreibt den tief greifenden Wandel von Arbeitsverhältnissen, Unternehmen, Arbeitsmärkten und Bildungssystem. Es fragt, was der Wandel für die berufliche Qualifizierung bedeutet. Die Ausführungen stützen sich auf Erkenntnisse der industriesoziologischen Forschung, der arbeitswissenschaftlichen Forschung und der Qualifikationsforschung. Kapitel 2 analysiert Ursprünge und Politik der Weiterbildung am Beispiel der Schweiz. Es definiert die Angebotssegmente der berufsorientierten Weiterbildung, die Gegenstand dieser Studie sind. Und es beschreibt Märkte, Branchenstrukturen und Entwicklungsdynamik des Weiterbildungsangebots.
Kapitel 3 untersucht die gesellschaftliche Wirksamkeit des Weiterbildungssystems. Inwieweit deckt es Qualifizierungsbedarfe, stellt es kohärente Bildungswege bereit, reguliert es die Anbieterleistungen und sorgt es für Chancenausgleich? Die Analyse stützt sich auf Befunde der Weiterbildungsforschung und auf Beobachtungen zum Weiterbildungsgeschäft. Die Resultate zeigen, dass das System der berufsorientierten Weiterbildung einer Reorientierung bedarf. Es braucht allgemeine Orientierungslinien und Kriterien, um im Umfeld des Wandels seine Angebote und Leistungsprozesse zielgerichtet gestalten zu können. Anregungen dazu finden wir bei wertschöpfungs- und dienstleistungstheoretischen Ansätzen. Sie werden in Teil II auf die berufsorientierte Weiterbildung angewendet.