Es gibt immer jemandem zu danken, wenn man ein Buch schreibt, denn ohne Inspiration würde man es nicht schaffen. Dieses Mal geht mein Dank an die vielen geistreichen Köpfe von Science-Fiction-Filmen und Sci-Fi-Literatur, insbesondere an die Macher von «Zurück in die Zukunft» («Back to the Future»). Es war der Film, der mich bis in meine Erwachsenenjahre hinein inspiriert und beeinflusst hat. Dank «Zurück in die Zukunft» hatte ich immer eine Vision vor Augen, wie ich im Jahr 2015 einmal sein wollte. «Deine Zukunft ist noch nicht geschrieben – die Zukunft ist das, was du daraus machst. So mach etwas Gutes draus» – dieser Satz von Doc Emmett Brown am Schluss der Filmtrilogie war der Satz, der mich oft begleitet hat.
Ein anderer Satz von Søren Kierkegaard, auf den ich durch einen Freund gestoßen bin, hat ebenfalls in jedem neu gelebten Jahr seine Wahrheit mehr und mehr entfaltet: «Man kann das Leben nur vorwärts leben. Aber man kann es nur rückwärts verstehen.» Wie wahr … Was würde man doch alles anders machen wollen, wenn man nochmals in der Zeit zurückreisen könnte. Was wäre zum Beispiel, wenn man mit all dem, was man inzwischen gelebt, beobachtet, gewichtet, gesucht, gefunden, verworfen und eben endlich auch verstanden hat, nochmals zurückgehen dürfte an bestimmte wichtige Wegkreuzungen des eigenen Lebens? Nämlich an die Wegmarken, an denen man sich früher vielleicht einmal falsch entschieden hat, das Falsche getan oder gesagt hat, den Falschen geliebt oder verlassen hat – weil man eben etwas sehr Entscheidendes noch nicht gewusst oder bedacht hatte. Aber ob mit mehr Wissen alles besser herausgekommen wäre? Vielleicht ja, vielleicht nein. Wir müssen wohl alle lernen, mit den Entscheidungen zu leben, die wir in der Vergangenheit getroffen haben, und das Beste daraus machen.
Lisa, Mrs. Whitfield, Zac, Doc Silverman, Momo und ein paar andere – sie sind diesen Geheimnissen auf der Spur. Mein Dank gilt auch ihnen. Denn wie so viele andere Schriftsteller erlebe auch ich beim Schreiben: «Ups, die Figuren machen sich ja teilweise selbständig und gehen ihre ganz eigenen Wege!» Und ich muss ihnen manchmal fast hilflos zusehen, wie sie ihre Entscheidungen wieder ausbaden müssen …
Ein weiterer Dank geht an all die Menschen, die mit mir stundenlang über die «Was wäre wenn?»-Möglichkeiten philosophiert haben. Nicht zuletzt haben mich all diese «What if?»-Diskussionen auch auf die Idee gebracht, eine Zeitreise-Geschichte zu schreiben. Denn wie immer stammt ein Großteil der Ideen in meinen Romanen aus meinem eigenen Leben und aus dem Erfahrungsschatz der Menschen um mich herum.
Danken möchte ich zuletzt auch jener gänzlich unbekannten Frau, die ich vor einiger Zeit in Norwegen auf einem meiner vielen Spaziergänge über Brücken getroffen hatte und von der ich sogleich dachte: «Oh, das könnte mein zukünftiges Ich in dreißig Jahren sein!» Sie gab mir die Steilvorlage für die Grundstruktur dieser Romantrilogie: Brücke, Frau, Time Portal, zukünftiges Ich, Zeitreise.
Infos über die Autorin und über
«Maya und Domenico»
sowie «Time Travel Girl» gibt es auf:
www.schreibegern.ch
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2017 by Fontis – Brunnen Basel
Umschlag: Susanne Wittpennig
Fotos Umschlag: nizas (Mädchen); Kuzma (Junge) / Shutterstock
Foto Innenteil (Uhren): Shutterstock / Black Moon
E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel
E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg
ISBN (EPUB) 978-3-03848-452-3
ISBN (MOBI) 978-3-03848-453-0
www.fontis-verlag.com
Prolog
Wie fast alles begann
1. Verhasster Donnerstag
2. Zeitmaschinen und Wurmlöcher
3. Horrorstunde Physik
4. Der Time Transmitter
5. Fanny weiß alles besser
6. Nachsitzen mit Folgen
7. Tomsbridge Valley
8. «If I could turn back time …»
9. Lisa und Momo
10. Missglückter Moonwalk
11. Geschichtsunterricht mal anders
12. Verzwickter Telefonanruf
13. Mehr Zeit als geplant
14. Verheerende Entscheidungen
15. Carols Komitee
16. Informationen aus der Zukunft
17. Professor Ashs Drohung
18. Schockierende Entdeckung
19. Doc Silverman kennt die Vergangenheit
20. Tanz durch Raum und Zeit
21. Geh heim, Zeitreisemädchen!
22. Wettlauf gegen die Uhr
23. Ich will nicht sterben!
Epilog
Dank
Sie wusste nicht, wie ihr geschah, und fühlte nur noch, wie sie durch einen Strudel gezogen wurde. Es war wie auf dem Drehkarussell, auf dem sie damals, als sie Kinder waren, die Zentrifugalkraft getestet hatten. Alles um sie herum rotierte wie in einem Wirbelsturm, und sie hatte längst den Überblick verloren, was oben und unten, links und rechts, vorne und hinten war.
Von allen Seiten zerrten unsichtbare Kräfte an ihr und schienen sie in Stücke reißen zu wollen. Die Luft um sie herum bestand ganz offensichtlich nur noch aus elektrischer Ladung. Sie hatte mittlerweile keine Ahnung mehr, ob alle ihre Körperteile noch an ihr dran waren oder nicht. Alles vibrierte, zitterte, bebte. Ein einziges Flimmern und Flackern, dazu eine dröhnende Geräusch-Kulisse ohne Anfang und Ende, ein Flirren ohne Unterlass. Katapultartige Schübe in immer neue Kraftfelder hinein. Fast zu viel für so eine kleine Menschenseele.
«Zac …», presste sie hervor. «Zac … Hilfe!»
Aber Zac war nicht mehr da.
Und auch Momo hatte sie verlassen. Momo, der ihr so viel bedeutet und den sie in einem einzigen Moment verloren hatte. Momo, für den sie ja überhaupt erst angefangen hatte, durch die Zeit zu reisen …
Sie hielt die Kette mit dem kleinen Uhrenanhänger fest, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte – ihrer Mutter, die schon lange in einer anderen Zeitdimension war.
Mitten in all dem, was innerhalb weniger Augenblicke auf sie einprallte, nahm sie immerhin noch wahr, wie Chronos, die Zeitlinie, in atemberaubender Geschwindigkeit an ihr vorbeizog. Ihr Körper fühlte sich an, als würde er gar nicht mehr zu ihr gehören. Vielleicht war sie ja bereits ins Äon, in die Ewigkeit, hinübergetreten? Vielleicht würde sie bald ihre Eltern treffen? Vielleicht war sie nun tatsächlich gestorben?
Aber dann hätte sie doch nicht diese brennende Qual in ihrem Herzen gefühlt, oder? Diesen unendlich tiefen Schmerz darüber, dass derjenige, den sie doch mehr liebte als alles andere und für den sie alles gegeben hätte, sie verlassen hatte. Dabei hätte sie mit ihm doch für alle Ewigkeit durch Raum und Zeit tanzen wollen, mit ihm noch so viele Abenteuer und Geschichten erleben wollen. Sie hätten alles füreinander sein können. Sie hätten einander beschützen und stärken können. Sie hätten einander das geben und schenken können, was sie beide in ihrem Leben bisher so vermisst hatten.
Aber er war aus ihrem Leben getreten.
Im Äon gibt es kein Leid, das hatte Doc Silverman ihr mal gesagt. Doch wenn das wirklich stimmte, warum war dann dieser Schmerz in ihrem Herzen so viel realer als alles andere?
War sie am Ende doch noch am Leben, nur in einer anderen Dimension? Oder … in einer anderen Zeit?
Einen Moment lang fühlte sie sich komplett schwerelos.
13. Juni 1979
Sie stand in einer Kartonschachtel auf der Wiese neben dem Haus und wollte ihre Reise ins einundzwanzigste Jahrhundert antreten. Am Tag davor war sie noch in der Vergangenheit gewesen. Heute hingegen wollte sie mal schauen, wie es in der Zukunft so aussehen würde. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass noch etwas fehlte. Sie schaute sich um. Die Zielzeit war eingestellt. Der Tank war gefüllt. Und ihren Proviant, den sie mit in die Zukunft nehmen wollte, hatte sie auch dabei. Wer wusste denn, ob es dann noch Äpfel und Erdbeeren geben würde?
Gerade als sie mit ihrer Zeitmaschine abheben wollte, trat ein kleiner Junge mit braunen Locken und Latzhose zu ihr. Er schaute sie mit großen schokoladebraunen Augen an. Auf seiner linken Wange war ein kleiner Leberfleck. Er hatte ihr vermutlich schon eine ganze Weile aus der Ferne zugesehen, und sie hatte es nicht bemerkt.
«Waf mascht du denn da?», fragte der Junge.
«Ich reise in die Zukunft», sagte sie und wunderte sich, ob er etwas im Mund hatte, weil er so komisch redete.
«Daff ich mitkommen?»
Sie sah ihn an und überlegte eine Weile, dann entschied sie, dass er das war, was ihr noch gefehlt hatte.
«Ja», sagte sie. «Du darfst mitkommen.»
Der Junge strahlte sie an wie ein kleiner Engel.
«Dann musst du aber jetzt einsteigen! Wir haben nicht mehr viel Zeit.»
«Wohin reischen wir denn?»
Sie stemmte ihre Hände in die Hüfte und blickte streng auf ihn hinunter. «Die Frage ist nicht, wohin wir reisen. Die Frage ist, nach wann wir reisen.»
«Ach fo. Dann reischen wir nach wann.»
Sie sah, dass er nichts im Mund hatte, sondern wirklich so komisch redete.
Sie machte ihm Platz, und er stieg zu ihr in die Kiste. Er stellte sich ganz dicht zu ihr und schlang seine kleinen Arme um ihren Bauch. Sein Körper fühlte sich ganz warm und weich an. Und von dem Moment an wusste sie, dass sie Freunde waren. Obwohl er mindestens einen halben Kopf kleiner war als sie. Aber das machte nichts. Dafür roch er gut, fand sie. Nach Tannenzapfen.
«Wie alt bist du denn?», fragte sie.
«Schünsch. Und du?» Er presste sein Kinn an ihre Brust und guckte mit seinen Schokoaugen zu ihr hoch.
«Fünf? Ich bin auch fünf. Aber bald sechs.»
«Du bift aber gosch für schünsch.»
Sie beschloss, dass sie einfach nicht mehr darauf achten wollte, dass er nicht alle Buchstaben richtig aussprechen konnte.
Sie fand, dass es vielleicht angebracht war, sich vorzustellen.
«Ich bin Captain Lambridge», sagte sie und reichte ihm die Hand. «Und wie ist Ihr werter Name?»
Der Junge ließ sie los, nahm ihre Hand und musterte sie.
«Kann ich auch ein Caftain schein?», fragte er.
«Aber klar doch. Wir können beide Captain sein. Also, wie ist Ihr werter Name, Captain?»
Der Junge schaute stumm zu ihr hoch.
«Dein … Name? Wie heißt du?»
«Momo.»
«Und wie weiter?»
«Wie heift du denn?»
«Lisa. Ich heiße Lisa Leonor Lambridge. Und du? Du heißt doch nicht nur Momo?»
Er schüttelte den Kopf und lächelte sie an.
«Wie denn noch?»
Statt einer Antwort zeigte der Junge auf das große weiße Haus am Ende der Straße.
«Du wohnst in dem Haus dort?»
Der Junge nickte.
«Dann heißt du Kendall.» Sie wusste das, weil ihre Tante immer mit Mrs. Kendall zusammen einkaufen fuhr. «Du heißt Momo Kendall.»
Der Junge nickte wieder.
«Gut. Dann bist du also Captain Kendall!»
«Ja!» Der Junge strahlte. «Und du bift Ischa?»
«Lisa. Mit L.»
«Ischa.»
«Llllisa.»
Doch er schüttelte nur betrübt den Kopf.
«Macht nichts.» Sie streichelte vorsichtig seine schönen braunen Locken, die sich anfühlten wie Seide.
«Fiegen wir jescht nach wann?»
«Ja», sagte sie. «Wir starten jetzt die Zeitmaschine.» Sie drückte mit dem Zeigefinger auf die Kartonschachtel und machte mit ihren Lippen ein brummendes Geräusch. Er schaute sie an und fing an zu lachen, weil das so lustig klang. Er konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen, und das war der Moment, in dem sie den Jungen für immer in ihr Herz schloss.
«Fiegen wir jescht?», fragte er, als er aufgehört hatte zu lachen.
«Wir fliegen doch schon lange!»
«Wo ift denn wann?»
Sie überlegte. «Im Jahr 2000.»
«Fo weit?» Er riss seine Schokoladenaugen auf.
«Ja.»
«Gibt es dort A…au…f…sch?» Er sah sie fragend an und konnte das Wort nicht aussprechen.
«Außerirdische?», half sie ihm.
Er nickte wieder und lächelte.
Sie überlegte erneut. «Ja. Dort gibt es bestimmt Außerirdische», beschloss sie. «Und wir müssen gegen sie kämpfen.»
«Boah!» Er schlang wieder fest seine Arme um sie und schmiegte seinen Kopf an ihre Schulter.
«Also, Captain Kendall, wir setzen an zur Zeitverschiebung. Halten Sie sich gut fest!»
Es gab einen Überschallknall, und die Zeitmaschine landete im Jahr 2000.
Von diesem Nachmittag an kam der Junge jeden Tag zu ihr und klingelte an ihrer Haustür, um mit ihr zu spielen.
Donnerstag, 31. August 1989
Der Wecker rasselte, und Lisa schrak auf. Sie brauchte eine kleine Weile, um sich zurechtzufinden. Sie hatte wieder mal so intensiv geträumt. Wie so oft. Immer denselben Traum. Sie war irgendwann in der Zukunft, fünfundzwanzig oder dreißig Jahre in der Zukunft. Aber irgendwie hatte dort alles fast genauso ausgesehen wie heute. Also keine Wolkenkratzertürme oder Roboter, die durch die Straßen gingen. Oder Autos, die wie Raketen aussahen. Dafür, wie war das nochmals gewesen? Alle Menschen waren mit so einem Taschencomputer rumgerannt. Ein Taschencomputer, der tatsächlich so klein war, dass man ihn in die Handtasche oder Jeanstasche stecken konnte. So was Verrücktes!
Immer noch benommen, schob sie ihre Füße aus dem Bett und stellte sie auf den Boden. Vom Poster an der Wand gegenüber erinnerte sie ein nervöser Marty McFly, der breitbeinig vor einem brennenden Auto stand und erschrocken auf seine Uhr starrte, daran, dass sie ebenfalls Ärger bekommen würde, wenn sie sich nicht sputete und schleunigst wieder zurück in die Gegenwart kam. Die grünen Leuchtziffern auf ihrem Digitalwecker zeigten «Donnerstag, 31. August 1989».
Donnerstag.
Der katastrophalste Tag der Woche, ihrer Meinung nach. Von ihr aus konnte man alle Donnerstage einfach aus dem Kalender streichen. Sie hatten ihr nichts als Scherereien gebracht. Schließlich war es auch ein Donnerstag gewesen, an dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren, damals, am 21. August 1975, kurz nachdem sie zwei Jahre alt geworden war.
Doch es blieb ihr nichts anderes übrig, als diesen Tag einfach hinter sich zu bringen. Eine Zeitmaschine zu besitzen, mit der sie die Donnerstage spielend überspringen könnte, wäre manchmal wirklich praktisch gewesen.
Sie drückte die Play-Taste ihres Kassettenrekorders, und «The Look» von Roxette schepperte durch ihr Zimmer. Sie hatte wochenlang darum gekämpft, das Lied endlich in fast voller Länge auf Kassette aufnehmen zu können.
Sonntag für Sonntag hatte sie mit dem Kassettenrekorder vor dem Radio ausgeharrt, hatte die Charts von Anfang bis Ende durchgehört und Zeige- und Mittelfinger in Bereitschaftsposition gehalten, um exakt in der richtigen Sekunde die Record- und Playtaste zu drücken. Und wenn sie es dann mal geschafft hatte, hatte garantiert der Moderator mitten ins Lied gequatscht. Erst nach vier Wochen hatte es endlich geklappt. Aber wenn das Taschengeld nun mal nicht für Singles reichte, musste man sich eben mit mittelmäßigen Kassettenaufnahmen begnügen.
What in the world can make a
Brown-eyed girl turn blue?
When everything I'll ever do
I'll do for you
And I go la la la la la …
She's got the look!
Sie trällerte den Song leise mit, während sie ihre Schuluniform anzog. Sie hatte so ziemlich genau die Schallgrenze gefunden, mit der sie ihre Musik laufen lassen konnte, um Thomas und seine Freundin Fanny nicht zu wecken und keinen Rüffel einzufangen. Fanny musste entweder vor ihr oder nach ihr aufstehen, je nachdem, ob sie Frühschicht oder Spätschicht hatte. Sie arbeitete nämlich als Krankenschwester im Saint Claire's Hospital im Stadtzentrum.
Lisa machte sich im Bad fertig. Sie brauchte nie lange. Ihr Haar war in fünf Minuten erledigt, und auf Make-up verzichtete sie. Das war ihr zu kompliziert.
Bevor sie ihr Zimmer verließ, zog sie rasch die Kiste unter ihrem Bett hervor und steckte das kleine Game&Watch-Donkey-Kong-Spiel ein. Thomas wusste nicht, dass sie in der Kiste heimlich ein paar Spielsachen aufbewahrte, obwohl sie ihm hoch und heilig versprochen hatte, alles wegzuschmeißen und endlich erwachsen zu werden. Dabei wünschte sie sich sehnlichst einen Gameboy, aber das konnte sie sich mit dem mickrigen Taschengeld an den Hut stecken. Also musste sie sich mit ihrem uralten Donkey-Kong-Spiel begnügen, das sie mittlerweile mit verbundenen Augen hätte spielen können.
Und dann kehrte sie noch ein letztes Mal zurück, um ihren Eltern, die ihr von dem Foto auf dem Nachttisch aus zulächelten, eine Kusshand zuzuwerfen. Sie hätte gerne gewusst, wie sie ausgesehen hatten, wenn sie ernst waren oder zornig oder belustigt oder traurig – oder wenn sie mit ihr geschimpft hätten, wie normale Eltern das tun. Und überhaupt, wie ihre Stimmen geklungen hatten. Aber sie kannte nur dieses eine Lächeln, das jeden Tag dasselbe war und sich seit vierzehn Jahren nicht geändert hatte. Nur manchmal im Traum, da glaubte sie, die Stimme ihrer Mutter zu hören. Vielleicht schlummerten in ihr drin immer noch tief verborgene Baby-Erinnerungen.
«Bye-bye, Mom und Dad», flüsterte sie. «Wünsch euch einen schönen Tag!»
Eine Zeitmaschine zu haben, so wie Marty McFly aus «Zurück in die Zukunft», und in die Vergangenheit reisen und ihre Eltern kennen lernen zu können – das wär's wirklich gewesen!
Und dann musste sie ruckzuck die Beine in die Hand nehmen.
Während sie über die Straße lief, schob sie ihre Halskette unter die Bluse. Die Kette war ein Erbstück ihrer Mutter, und sie hasste es, mit Fragen bombardiert zu werden, woher sie diesen schönen smaragdgrünen Uhrenanhänger mit dieser fein verarbeiteten Goldfassung hatte. Ihre Familientragödie ging keinen was an.
Die Busstation war ganz am Ende der Straße. Es war eine dieser einfachen, langweiligen Reihenhausstraßen mit den schmalen Backsteinhäusern, in denen die Leute lebten, die sich nichts Besseres leisten konnten. Aber so war es nun mal, wenn man bei seinem vier Jahre älteren Bruder wohnte, der noch in Ausbildung war. Sie hatten vorher zwar in einer besseren Gegend gewohnt, doch Lisa waren die ständigen Streitereien zwischen ihrer neurotischen Tante Sally und ihrem griesgrämigen Onkel Bob – Streitereien, die sich natürlich meistens um Geld gedreht hatten, was denn sonst? – so auf den Wecker gegangen, dass sie zehnmal lieber mit einem etwas bescheideneren Heim vorliebnahm und dafür ihre Ruhe hatte. Na ja, einigermaßen Ruhe wenigstens …
Sie hörte den Bus kommen und legte einen Endspurt hin. Sie erreichte gerade noch die hintere Tür, bevor die sich mit einem Knirschen und Zischen wieder schloss.
Die Stadt Tomsborough hatte kürzlich etwa sechs neue Busexemplare für die Linie 16 angeschafft, aber es war selten, dass Lisa mal das Glück hatte, einen dieser modernen Busse zu erwischen. Meistens musste sie sich mit einem jener rumpelnden und schnaufenden Oldtimer abfinden, die teilweise noch aus den Fünfzigerjahren stammten.
Sie war eine der wenigen in der Schule, die im Stadtteil East River lebten, was bedeutete, dass sie den längsten Schulweg hatte. Immerhin kam sie dadurch in den Genuss einer fast freien Sitzplatzwahl, und sie wählte immer den gleichen Sitz: hinten links, von wo aus sie alles, was sich im Bus abspielte, im Blick hatte.
Bis zum Stadtzentrum Tomsborough Square reichte es normalerweise gerade, um die ersten zwei Songs ihrer Lieblingskassette durchzuhören, doch gerade heute hatte sich das Band der Kassette wieder mal im Walkman verfangen. Sie seufzte ungeduldig und versuchte es vorsichtig aus dem Laufwerk zu lösen, ohne es zu beschädigen. Sie holte einen Bleistift aus ihrer Schultasche, steckte ihn in eine der Spulen und drehte ihn so lange herum, bis das Band wieder aufgewickelt war. Sie beneidete ein paar ihrer stinkreichen Schulkameraden, die sich CDs und Discmans ohne Ende leisten konnten und für die das Problem «Bandsalat» der Vergangenheit angehörte.
Da wohl mit Musikhören dieses Mal nichts war, nahm sie ihr Donkey-Kong-Spiel hervor und drückte Game B.
Beim Tomsborough Square war die Ruhe dann vorbei. Der Bus wurde auf einen Schlag von mindestens fünfzig, sechzig Schülern gestürmt, die alle wie Lisa auf die Tomsbridge School gingen. Allen voran stampfte die fast einen Meter achtzig große Carol Sanders mit ihren langen Haxen, die ungefähr den Gang eines Pferdes und eine ebensolche Stimme hatte.
«Hier ist noch frei», wieherte sie und winkte ihrer Freundin, Beatrice Evans, zu. «Schnell!»
«Stress doch nicht so!», feixte Beatrice, die dicht hinter ihr folgte. Auch sie war recht groß, hatte ungefähr die Stimme eines Brecheisens, fast so breite Schultern wie ein Mann und stand auf harte Kerle. Sie rauchte auch wie ein Kerl.
Carol und Beatrice ließen sich auf einen freien Viererplatz plumpsen. Carols braune Pudelmähne war so wuchtig, dass ihre Haare auf der einen Seite die Fensterscheibe und auf der anderen Seite Beatrices Schultern berührten. Sie streckte ihre große Papageiennase Richtung Tür, um genau zu kontrollieren, wer alles in den Bus einstieg. Lisa hatte einmal zu ihrer eigenen Belustigung festgestellt, dass Carol insgesamt drei Tiere mit P vertrat: Pudel, Pferd und Papagei. Aber das war ihr privater Witz, den sie für sich behielt.
Drei blonde Mädchen mit perfekt zurechtgemachten Frisuren gesellten sich zu ihnen und quetschten sich zu dritt auf einen Zweiersitz gegenüber von Carol und Beatrice, indem die Dickste von ihnen die Kleinste auf den Schoß nahm. Lisa hatte die drei insgeheim das Blondie-Trio genannt, weil sie sich alle drei blonde Strähnchen ins Haar hatten machen lassen.
«Na, seid ihr alle wieder hübsch geföhnt?», frotzelte Beatrice mit ihrer kratzigen Stimme. «Bin ja gespannt, ob der Kendall sich heute wieder aus dem Bett bequemt.»
«Muss er ja, wenn er nicht noch mehr Ärger kriegen will», spottete Carol. «Hab gehört, seine Noten stehen jetzt schon arg auf der Kippe. Der muss echt seinen Hintern hochkriegen, wenn er die nächste Versetzung schaffen will.»
«Er kann doch nichts dafür, dass er so oft krank ist», entgegnete Sandy, die Niedlichste des Blondie-Trios, die mit den meisten platinblonden Strähnchen im Haar. Sie hatte volle Lippen, die sie gern zu einem spitzen Schmollmündchen formte, wenn die Dinge nicht nach ihrem Geschmack liefen.
Aber da lachte Beatrice so gellend auf, dass ihr ganzer Körper wackelte.
«Ach, komm schon. Der ist doch einfach nur zu faul, um sein Bett zu verlassen.»
Kimberley, die die zierliche Sandy auf ihrem Schoß hatte, begann zu kichern – was sich eher wie ein grunzendes Schwein anhörte –, als wäre das das Lustigste, was sie je gehört hatte. Sie trug ihre Haare in einem Pagenschnitt und hatte sie am Pony zu Stacheln aufgerichtet. Nur Camilla, die dritte Blondine, mit einer braven pinkfarbenen Schleife im Haar, schwieg und zuckte teilnahmslos mit den Schultern, während sie ihren Blick durch das Fenster hinaus zu den vorbeiziehenden Straßen und Häusern schweifen ließ.
«Apropos!», dröhnte Carols Marktweiberstimme wieder durch den Bus. «Findet jetzt die Party bei den Kendalls am Samstag eigentlich statt oder nicht?»
«Ja», sagte Sandy, und Camilla nickte bestätigend.
«Ja und? Sind wir eingeladen?» Carol sah die drei Blondinen herausfordernd an.
«Keine Ahnung. Das musst du Morgan selber fragen. Es ist ja eigentlich sein Bruder, der die Party veranstaltet.» Sandy räkelte sich auf Kimberleys Schoß, um bequemer zu sitzen, was Kimberley dazu veranlasste, ein erneutes Grunzen von sich zu geben.
«Der große Steven Kendall!» Beatrice warf lachend ihre dunkelblonde Löwenmähne zurück, die sie mit einem grünen Stirnband in Schach hielt. «Der beste Rugby- und Hockey-Kapitän ever! Dass sie dem nicht noch ein Denkmal bauen, wundert mich! Mal sehen, ob wir der Durchlauchten Hoheit cool genug sind. Aber ich vermute mal, der will meinen Freund Ross auch einladen, schließlich kennen die sich ja schon lange.»
Der Bus näherte sich der Station Westhill Mall und verringerte seine Fahrtgeschwindigkeit. Westhill Mall war das große Einkaufszentrum am Anfang des Nobelviertels Westhill. Sandy und Camilla strafften zusehends ihre Körper, während Kimberley auf dem Sitz herumrutschte und weitere grunzende Laute von sich gab.
«Herrje, das wird noch ein Drama geben», schmunzelte Beatrice amüsiert.
«Drama?» Sandy starrte Beatrice mit ihren großen Puppenaugen verwundert an. «Ich verstehe nicht, was du meinst?»
«Na, der Herbstball natürlich. Oder hat Klein-Kendall sich nun endlich entschieden, welche von euch drei Schönheiten er zur Tanzpartnerin wählen will?»
«Ah, der Herbstball!» Sandy brauchte offenbar eine Weile, um zu kapieren, dass Beatrice das Thema von der Party zum Herbstball gewechselt hatte. Sie tauschte einen ratlosen Blick mit Kimberley und Camilla. Offenbar konnte keine der drei Beatrice die Frage beantworten.
«Hoho!» Beatrice klopfte sich amüsiert auf den Oberschenkel. «Ich seh schon, Klein-Kendall kann sich wieder mal nicht entscheiden, welches Spielzeug er wählen soll. Armer verwöhnter kleiner Bengel!»
Carol wieherte laut.
«Spielzeug?» Sandy runzelte verständnislos die Stirn.
«Ach, zum Glück habe ich dieses Problem nicht! Ich hab wenigstens einen festen Freund», meinte Carol.
«Ich gehe sowieso mit Ross Gallagher zum Ball», warf Beatrice ein. «Zum Glück dürfen wir auch Ehemalige einladen. Ich brauche einen richtigen Kerl. Der was im Kopf hat und etwas mehr spricht als nur zwei Silben am Tag.»
Sandy rümpfte nur die Nase. Ross Gallagher war vor langer Zeit mal auf die Tomsbridge School gegangen. Mittlerweile war er fünfundzwanzig Jahre alt und damit längst erwachsen. Er hatte einen richtig starken Bartwuchs und musste sich laut eigenen Aussagen zweimal täglich rasieren. Der Altersunterschied zwischen ihm und Beatrice betrug neun Jahre, und das war Beatrices Ansicht nach genau richtig so.
Lisa hatte das alles über ihr Donkey-Kong-Spiel hinweg genau mitverfolgt. Von dieser Party, die am Samstag bei Kendalls stattfinden sollte, hatte sie bis jetzt nur vage gehört, und an den blöden Herbstball wollte sie gar nicht erst denken.
Es war das erste Mal, dass ihr Jahrgang an dem alljährlichen Herbstball nächsten Monat teilnehmen durfte, weil er erst ab der Oberstufe auf der Agenda war, und die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sie fragen würde, lag ja sowieso nur bei nullkommanulleins Prozent. Zumal sie sogar größer war als viele der Jungs in ihrer Schule …
Der Bus fuhr bei der Westhill Mall ein und hielt an. Lisas Atem ebenfalls. Ihre Finger begannen zu beben, und Donkey Kong Junior verlor sein erstes Leben. Das Blondie-Trio setzte sich noch steifer hin. Carols Papageiennase drehte sich neugierig Richtung Tür.
Drei gutaussehende Jungs in dunkelblauen Schuluniformen betraten den Bus und schlenderten mit lässigen Schritten den Mittelgang entlang. Der Hübscheste von ihnen, ein schlaksiger Typ mit dunkelbraunem, lockigem Haar, das ihm fast bis zu den Schultern fiel, einem engelsgleichen Gesicht und einem kleinen Leberfleck auf der Wange, drehte sich zu den Mädchen um und nickte ihnen zu. Seine beiden Kumpel, beide ein Stück größer als er und beide mit blonden Fönfrisuren, hielten sich dicht hinter ihm und begrüßten die Mädchen mit einem freundlichen «Hi».
Die drei Jungs stellten sich in die einzige noch freie Stehnische und hielten sich an den Griffen fest. Der Braunlockige sah aus, als wolle er am liebsten gleich wieder einschlafen.
«He Kendall! Kriegst du nicht mal mehr den Mund auf für eine anständige Begrüßung?», stichelte Beatrice in seine Richtung, doch er gab ihr keine Antwort.
«Wieder mal krank gewesen, hä?», gackerte Carol. «Wie oft warst du jetzt eigentlich diesen Monat krank, Kendall?»
Lisa verfolgte die Szene mit angehaltenem Atem. Morgan Kendall, der Junge, der für eine Menge schlafloser Nächte und Herzklopfen verantwortlich war, drehte sich zu Carol um und musterte sie mit einem genervten Blick.
«Stimmt das jetzt, dass dein Bruder am Samstag eine Party schmeißen will?», fuhr Carol nahtlos mit ihrer Fragerei fort.
«Ja», gähnte Morgan.
«Geht's noch ausführlicher?»
«Hoffentlich hat er noch genug Wörter übrig für den Rest des Tages», höhnte Beatrice.
«Sind wir auch eingeladen?», fragte Carol hoffnungsvoll.
Morgan sah offenbar ein, dass mit Dösen nichts war und dass Carol ihn so lange nerven würde, bis sie bekam, was sie wollte.
«Weiß nicht. Muss Stevie fragen.»
«Mensch, kannst du auch mal mehr als zwei Sätze am Tag sprechen, Kendall? Oder ist es besonders cool, so wortkarg zu sein?»
«Wir sind halt Männer, Carol! Und Männer reden nun mal nicht so viel wie Frauen», grinste Nathan Fletcher, einer der beiden blonden Jungs. Er war der größte und kräftigste des Trios und trug seine blonden Locken vorne kurz und hinten lang. «Vokuhila» eben.
Paul Stewart, der Dritte im Bund und der Schmächtigste von allen, nickte zustimmend. Sie gehörten alle drei nicht zu den Gesprächigsten der Schule, wenn auch Morgan mit Abstand der Schweigsamste von allen war. Sie waren bekannt dafür, dass sie immer mal wieder einen kleinen Skandal in petto hatten, wie zum Beispiel Alkohol auf Schulpartys schmuggeln oder ab und zu ein paar Schulstunden schwänzen und sich stattdessen im Sommer auf der verbotenen Dachterrasse sonnen.
Der Bus holperte über irgendeine Erhebung, so dass Lisas Finger verrutschten. Boing! Donkey Kong Junior war schon wieder vom Krokodil gebissen worden und verlor ein weiteres Leben. Die kleine Spielkonsole kündigte das mit einem hässlich grellen Laut an.
Carol starrte belustigt in Lisas Richtung. «Die spielt tatsächlich immer noch mit diesem Schrott!»
«Die ist sowieso nicht ganz dicht», kommentierte Beatrice. «Mit sechzehn sollte man doch endlich mal über dieses Alter hinaus sein.»
Lisa hob kurz ihren Blick und streckte Beatrice die Zunge raus. Sie hatte schon vor langem aufgehört, sich darum zu kümmern, was die anderen von ihr dachten. Es war ja eh zwecklos. Sie hatte längst rausgefunden, dass sie nicht in deren Schema passte, und beschlossen, sich einfach damit abzufinden. Sie hatte sogar eine Liste in ihrem Kopf angefertigt mit allen Punkten, die bei ihr nicht normal waren.
Erstens: Sie hieß Lisa Leonor Lambridge. Mit drei L am Anfang. Einige fanden das sehr lustig, besonders Maddox Cox, der Klassenidiot.
Zweitens: Ihre Eltern waren bei einem Missionseinsatz in Vietnam ums Leben gekommen.
Drittens: Sie war mit Zac Silverman befreundet, dem zerstreuten Wissenschaftlerjungen, der schon seit Jahren versuchte, eine Zeitmaschine zu erfinden.
Viertens: Sie hatte nur eine einzige Freundin und hing sonst lieber mit Jungs herum.
Fünftens: Sie trug kein Make-up.
Sechstens: Sie hatte auch keine Dauerwelle, keinen Stufenschnitt und keinen vernünftig geschnittenen Kurzhaarschnitt. Und sie benutzte auch kein Gel oder Spray, um ihr Haar vorne zu einer Löwenmähne hochzutoupieren.
Siebtens: Sie wollte nicht zu den Pfadfindern.
Achtens: Sie wollte nicht in einen Musikverein.
Neuntens: Sie wollte in überhaupt keinen Verein.
Zehntens: Sie wollte stattdessen Informatik studieren.
Elftens: Sie spielte immer noch Donkey Kong.
Zwölftens: Sie mochte immer noch den Hit «Never Ending Story» von Limahl. Den Song, der seit fünf Jahren out war und den man gemäß Carol und Beatrice nur hören durfte, wenn man unter zwölf Jahren alt war.
Dreizehntens: Sie fuhr lieber Skateboard statt Fahrrad.
Und Vierzehntens: Sie war, seit sie etwa fünf Jahre alt war, unsterblich in Morgan Kendall verliebt.
Der Bus fuhr bei der Tomsbridge School ein. Weil die Schule etwas außerhalb der Stadt lag, hatten die Schüler den Bus noch einmal kurz nach der Westhill Mall wechseln müssen.
Die meisten Schüler, die auf diese Privatschule gingen, kamen aus recht wohlhabenden Familien. Es gab einige, die waren sogar ziemlich gut betucht. Und dann gab es die Wenigen, die aus dem bescheidenen East River stammten – so wie Lisa. Ihr Schulgeld wurde einerseits von Stipendien und andererseits von dem Erbe ihrer verstorbenen Eltern bezahlt, das ihre Tante und ihr Onkel verwalteten. Es war nicht viel, aber es reichte immerhin für eine gute Schulbildung.
Von der Bushaltestelle bis zum Schulgebäude war es noch ein Stückweit zu gehen. Der viktorianische Gebäudekomplex stand auf einer kleinen Anhöhe und hatte einen großen Turm in der Mitte. An dem Turm prangte eine imposante Uhr mit schweren kupferbeschlagenen Zeigern, die stets fünf Minuten vorging und die Schüler zur Eile antrieb. Vor dem Eingang war ein weiter gepflasterter Vorhof mit Parkplätzen und einem verschnörkelten Brunnen. Die Schüler, die mit dem Bus kamen, mussten erst eine lange Treppe hinaufgehen, während die Glücklichen, die mit dem Auto hergebracht wurden, bequem die Seitenstraße hinauf direkt vor das Gebäude gefahren werden konnten.
Schüler strömten von allen Seiten heran. Brittany Webster, genannt Britt und Lisas beste und einzige Freundin, wartete wie üblich oberhalb der Treppe am Brunnen auf sie.
«Hast du es mitgekriegt, Lee?», fragte Britt aufgeregt und wedelte mit ihrem Aufgabenheft.
«Was denn?» Lisa hatte keine Ahnung, was so spektakulär sein konnte, dass es ihre sonst eher nüchterne Freundin in eine solche Begeisterung versetzte. «Etwa, dass Morgan Kendalls Bruder am Samstag eine Party schmeißen will?»
«Sicher nicht das», winkte Britt desinteressiert ab. «Dieser verpennte Langweiler interessiert mich nicht die Bohne. Nein, dass sie die Prüfungen dieses Jahr zwei Wochen später ansetzen wollen. Das heißt, wir haben endlich Gelegenheit, unsere Noten aufzubessern.»
Nein, davon hatte Lisa keinen Schimmer gehabt. Das war so ein Ding mit Britt: Sie interessierte sich vorwiegend für die praktische Seite des Lebens und nicht, wie Lisa, für irgendwelche unerreichbaren Hirngespinste.
«Lee, sag mal, informierst du dich denn gar nicht?» Britt lachte und strich sich eine schwarze, widerspenstige Haarlocke hinters Ohr, die sich immer wieder löste und ihr ins Gesicht fallen wollte. Mit ihrer Brille und dem Pagenschnitt sah sie ein bisschen aus wie eine Lehrerin, und sie war auch fast einen ganzen Kopf kleiner als Lisa.
Die beiden Freundinnen waren sowohl innerlich wie auch äußerlich verschieden wie Tag und Nacht. Lisa bezweifelte, dass überhaupt eine Freundschaft entstanden wäre, hätten sie sich nicht schon im Kindergarten kennen gelernt. Aber nach all den Jahren kannten sie sich immerhin in- und auswendig, und auch wenn Britt nicht immer mit Lisas Gedankengängen einverstanden war (und umgekehrt auch nicht!), so wusste Lisa doch, dass sie sich auf ihre beste Freundin verlassen konnte.
In diesem Augenblick fuhr ein dicker schwarzer Mercedes vor und stoppte direkt an der Pforte.
«Oh nein», stöhnte Lisa. «Unsere zwei Oberprotze.»
Die beiden hinteren Wagentüren gingen synchron auf, und rechts und links stiegen zwei strohblonde Jungs mit sorgsam frisierten Haartollen aus. Die Cox-Zwillinge waren die Söhne des stinkreichen Modeschöpfers Armand Cox und glichen sich wie ein Ei dem anderen. Sie waren vorher in einem horrend teuren Internat gewesen, dann aber von der Schule genommen und an die Tagesschule versetzt worden, weil ihre Mutter es vor Sehnsucht nach ihren Jungs nicht mehr ausgehalten hatte. Nun durfte sie der Chauffeur jeden Tag zur Schule kutschieren und hinterher wieder abholen.
Maddox und Louie Cox machten jedes Mal ein Riesenszenario aus ihrer Ankunft. Vor allem Maddox. Er grinste und winkte sämtlichen Anwesenden zu, als wäre er der große Star und als hätten alle nur auf ihn gewartet. Er war äußerlich von seinem Bruder Louie darin zu unterscheiden, dass er sich ungefähr die doppelte Menge Gel ins Haar schmierte und am linken Ohr einen Ohrring mit einem langen Anhänger trug. Lisa fand, dass er von Glück reden konnte, dass sein Haar strohblond war und nicht schwarz, sonst hätte man sich vielleicht noch glatt in dieser Menge an Haarpomade spiegeln können.
Louie benahm sich dagegen eher wie ein gesitteter Mensch und folgte seinem Bruder in gebührendem Abstand.
Ein anderer Mercedes fuhr vor, aber kein schwarzer, sondern ein cremefarbener, der auch um einiges älter und rostiger war als der von den Cox-Zwillingen.
«Da ist Zac!» Britt winkte in Richtung des Jungen, der sich gerade mit seinen langen Gliedmaßen aus der Autotür zwängte und gleich mal über seine großen Füße stolperte. Er landete direkt vor Maddox auf dem Kopfsteinpflaster und verlor das Heft, das er in seinen Händen gehalten hatte.
«Oh nein», seufzte Britt. «Sein Schnürsenkel ist offen.»
«Hehe. Bruchlandung, Professor?», gackerte Maddox und stellte sofort seinen Fuß auf das Heft, das nun etwa einen halben Meter vor Zac auf dem Boden lag.
«Zeig mal. Was hast du denn da Schönes?» Er bückte sich und hob es auf. Zac starrte ihn mit einem erschrockenen Ausdruck in den Augen an und streckte verzweifelt seine Hand danach aus.
Sofort hetzte Lisa wie eine Furie los und entriss Maddox das Heft.
«Du wagst es nicht, Cox!»
«Miss Lollipop!» Maddox sah Lisa mit seinen hellblauen Augen an, als wäre sie Madonna höchstpersönlich. «Was für eine Ehre!» Er verbeugte sich vor ihr.
«Hör auf, mich Miss Lollipop zu nennen.» Lisa schlug mit dem Heft nach Maddox, während Britt zu Zac ging und ihm beim Aufstehen half.
«Aber das bist du doch?» Maddox richtete sich wieder auf und tätschelte Lisas Schopf, bevor sie ihm entweichen konnte. «So ein richtig süßer Lollipop. Mit drei L und Haaren wie ein Soufflé.»
«Igitt. Nimm deine Gelpfoten weg», fauchte Lisa, die bis zum heutigen Tag nicht verstand, was ihre Haare mit einem Soufflé zu tun hatten. Wenn jemand ihr gehörig auf den Sender ging, dann war es Maddox Cox mit seinen manchmal merkwürdig verdrahteten Gehirnwindungen. Sie zog ihm sicherheitshalber nochmals das Heft über den Schädel und ging davon.
Louie gab ein grunzendes Geräusch von sich, das irgendwie klang, als hätte er ein Stück Zwiebel im Nasenloch.
«Dumm gelaufen, Kleiner. Mit ihr legst du dich besser nicht an.»
Louie machte immer eine Riesensache daraus, dass er genau zehn Minuten älter war als Maddox. Gemäß Lisas Auffassung mussten es allerdings ziemlich lange zehn Minuten gewesen sein, wenn man den Reifegrad der beiden in Betracht zog.
Sie gesellte sich wieder zu Britt und Zac. Britt klopfte gerade Zacs staubige Hosenbeine ab und zog ihm das Hemd gerade. Zac war so lang, dass es keine Schuluniform gegeben hatte, die für seine Größe passte. Das Hemd war zu kurz und rutschte ständig aus dem Hosenbund, und die Hosenbeine hörten über den Knöcheln auf. Doch Zac war das ziemlich egal. Er bekam sowieso nicht immer so viel davon mit, was außerhalb seines Kopfes vorging. Zachary Matthew Levi Silverman, wie er mit vollem Namen hieß, war nämlich der Sohn eines hoch angesehenen Wissenschaftlers und hatte einen IQ von 178.
Leider mussten just in diesem Augenblick Carol und Beatrice an ihnen vorbeirauschen.
«Oh wie süß, muss Mummy dem Professor wieder die Kleider richten», frotzelte Carol auch prompt und bedachte Britt mit einem herablassenden Blick.
«Steck deine Papageiennase besser in deine eigenen Angelegenheiten», konterte Lisa an Britts statt. Sie hätte gern noch was von Pferd oder Pudel hinzugefügt, ließ es dann aber. Carol warf ihr einen weiteren hochnäsigen Blick zu und trollte sich dann zum Glück.
«Dumme Weiber», stöhnte Britt. «Lee, ich glaub, du hast da was an den Haaren …»
«Bäh», machte Lisa, als Britt ihr ein zerklumptes Stück Haargel aus der Frisur fischte. Wusch sich Maddox eigentlich nie die Finger?
«Tja, Lee», lachte Britt. «Du scheinst wirklich eine starke Anziehungskraft auf Idioten zu haben.»
«Tja. Bloß leider nie auf den richtigen.» Lisa verdrehte die Augen.
«Sieh es so rum: Maddox ist stinkreich.»
«Ja. Und stinkt nach Haargel.»
Es gab noch einen weiteren, fünfzehnten Punkt auf Lisas «Nicht-normal»-Liste: Sie war sechzehn und hatte noch nie einen Freund gehabt. Gemäß Carol und Beatrice war das alles andere als normal, und sie hatten schon eingehende Nachforschungen angestellt, was denn mit Lisa verkehrt war. Es nützte nichts, dass Lisa ihnen ungefähr siebenhundertmal erklärt hatte, dass sie sich einfach nicht in jeden beliebigen Hinz oder Kunz verlieben konnte und dass die Liebe für sie etwas Besonderes war, das man nicht einfach irgendjemandem schenkte.
Und außerdem brauchte niemand zu wissen, wem ihr Herz insgeheim schon seit über zehn Jahren gehörte …
Zac strahlte überglücklich, als Lisa ihm das Heft wieder in die Hand drückte.
«Lee! Ich glaub, ich hab's nun!» Zac hatte wieder mal nicht so richtig mitbekommen, was sich um ihn herum abgespielt hatte. Er blätterte eifrig in seinen Notizen und streckte Lisa strahlend eine Seite mit lauter exakten Skizzen und abstrusen Formeln unter die Nase.
«Was denn?»
«Den Time Transmitter!»
Lisa starrte verständnislos auf das Gekritzel und die Zeichnungen. Darauf waren eine Brücke zu sehen und ein Felsen und eine seltsam aussehende Maschine, die irgendeinen Strahl auf die Brücke warf.
«Time Transmitter?», fragte sie kopfschüttelnd. Zac kam manchmal wirklich auf Ideen …
«Die Zeitmaschine! Na ja, ich nenne sie eben Time Transmitter. Weil ich damit einen Zeitstrahl in das Wurmloch sende …»
«Wurmloch?»
Lisa sah zu ihrem besten Freund hoch, und sie musste ziemlich weit hochsehen, da Zac fast zwei Meter groß war. Er war nicht unbedingt das, was man attraktiv nennen konnte. Nicht nur, dass er eine Bohnenstange war, auch seine Nase, seine Ohren und sein Kinn waren ziemlich lang geraten. Sein cremefarbenes Haar hing ihm bis auf die Schultern und war oben auf dem Kopf schon ziemlich schütter. Vermutlich würde er wie sein Vater bald eine Halbglatze bekommen. Dafür hatte er unwahrscheinlich blaue Augen, fast wie zwei funkelnde Saphire.
«Ja, Wurmloch. Oder von mir aus Zeitportal. Mit dem richtigen Einfallswinkel kann ich nämlich mit Hilfe von Photonen unter der Brücke ein Zeitportal öffnen und Informationen hineinsenden, wie viel Zeit vergehen soll, weißt du, und diese Informationen enthalten unter anderem eine genaue Berechnung der …»
Lisa hörte nur mit halbem Ohr hin. Sie hatte sich längst daran gewöhnt, dass Zac voller verrückter Ideen steckte. Er redete schon so lange von einer Zeitmaschine. Seit sie sich kannten, um genau zu sein. Und um noch genauer zu sein, war es sogar Lisa selbst gewesen, die ihn damals auf diese Idee gebracht hatte, eine Zeitmaschine zu erfinden. Allerdings glaubte sie im Gegensatz zu ihm nicht mehr so richtig daran, dass das je in der Praxis funktionieren würde. Aber Zac hatte den Traum nie aufgegeben.
«Das Tomsbridge Valley ist nämlich prima geeignet dafür», schloss Zac seine Erklärung. «Dort herrschen die idealen Bedingungen!»
Das Tomsbridge Valley war ein wildes kleines Tal mit einem kleinen Fluss, glitschigem Schilfgras und einer Menge Felsvorsprüngen. Es befand sich direkt hinter der Tomsbridge School und war für die Schüler verbotenes Gebiet. Das steil abfallende Gelände war deswegen auch mit einem Maschendrahtzaun abgesperrt.
Der Fluss wurde von einer alten Gewölbebrücke aus Basaltsteinen überspannt, die irgendwann im neunzehnten Jahrhundert erbaut worden war und unter Denkmalschutz stand, weil ihr innerer Bogen so präzise ausgearbeitet war, dass er mit seinem Spiegelbild im Wasser zu einem perfekten Kreis verschmolz.
Es war hochgefährlich, diese Brücke zu betreten. Es war schon zu mehreren Unfällen gekommen, einige davon hatten sogar tödlich geendet. Deswegen war die Brücke mittlerweile abgesperrt und wurde im Volksmund oft «Todesbrücke» genannt.
Außerdem rankten sich viele mysteriöse Legenden um das Tomsbridge Valley. Legenden, denen zufolge Menschen auf unerklärliche Weise verschwunden und nicht mehr aufgetaucht waren. Einige behaupteten, dass es im Fluss unterirdische Wesen gab, die die Verschwundenen in Erdlöcher zogen, während andere darüber fantasierten, dass jene Menschen durch Wurmlöcher in andere Zeiten verschwunden seien.
Vielleicht waren diese Gerüchte dadurch entstanden, dass in dem Gebiet um das Tomsbridge Valley herum merkwürdige Witterungsverhältnisse herrschten und es erstaunlich oft zu Gewittern kam. Viele Wissenschaftler hatten schon daran herumgeforscht, aber eine richtige Erklärung für diese Wetterphänomene hatte bisher niemand liefern können.
Natürlich glaubte Lisa nicht wirklich an diese Märchen, doch sie war schon immer ziemlich neugierig gewesen, was es mit dieser Brücke und dem verbotenen Gelände auf sich hatte. Wie die meisten hielt sie sich jedoch an die Anweisung. Sie hatte sowieso schon ständig genug Ärger und wollte sich nicht noch mehr aufhalsen.
Die Schulglocke klingelte. Ihr aufdringliches Rasseln fuhr Lisa besonders an Donnerstagen durch Mark und Bein. Sie, Britt und Zac setzten sich in Bewegung. Während sie die Treppen in den ersten Stock hinaufstiegen, wo der Geschichtsunterricht stattfinden sollte, hörte Zac nicht auf, Lisas und Britts Ohren mit physikalischen Formeln vollzulabern.
Britt winkte nur lachend ab. Die Idee einer Zeitmaschine war für sie sowieso weit jenseits ihrer Gedankenwelt.
Lisa hielt sich so dicht hinter Morgan, wie es nur ging, als sie direkt hinter den Jungs ins Klassenzimmer schlenderten. So dicht, dass sie an seinem seidigen, braunen Haar schnuppern konnte, das nie aufgehört hatte, nach Tannenzapfen zu riechen.
Wie gern hätte sie auch nur eine einzige Locke davon berührt, so wie damals, als sie noch als Captain Kendall und Captain Lambridge mit ihrer Zeitmaschine aus Karton in ferne Zeiten und Welten gedüst waren. Sogar zum Raumschiff in den unendlichen Weiten des Alls hatten sie den Karton in ihrer Fantasie werden lassen! Wie gern hätte sie jetzt die Arme um Morgan gelegt und ihn an sich gedrückt, ihren kleinen Momo, der nun zwar ein ganzes Stück gewachsen war, aber immer noch etwa fünf Zentimeter kleiner war als sie.
Wie gern hätte sie ihn wieder einmal lachen gehört, so wie in ihren gemeinsamen unschuldigen Kindertagen, als es noch erlaubt war, frei zu sein und zu spielen, und als es nur sie und Momo gegeben hatte, sie beide und ihre eigene kleine Welt, die sie sich gemeinsam erbaut hatten.
Bevor andere Menschen, Geld und Pflichten in diese Welt eingedrungen waren und angefangen hatten, sie nach und nach zu zerstören.
Bevor Momo weggezogen war, weil sein Vater im «Bonzenviertel» Westhill ein noch größeres und luxuriöseres Haus gekauft hatte.
Bevor er aufgehört hatte, mit ihr zu spielen, und angefangen hatte, erwachsen zu werden und lieber im Zentrum Tomsborough Square mit seinen Kumpels rumzuhängen, anstatt jeden Nachmittag bei ihr zu klingeln.
Bevor sein einst so niedliches Kindergesicht schmal und spitz geworden und sein Lachen ganz verschwunden war.
Bevor seine Lippen diesen aufmüpfigen Bogen gekriegt hatten und sein Gesicht diesen herablassenden Ausdruck.
Und bevor andere Mädchen angefangen hatten, durch sein Haar zu wühlen, wie Kimberley es gerade tat, die keinen Hehl daraus machte, dass sie auf ihn stand, und Lisa dabei fast auf die Füße trat.
Und bevor er angefangen hatte, sie gänzlich zu übersehen und nun stattdessen grinsend Kimberleys Nacken kraulte und nicht mal bemerkte, dass Lisa dicht hinter ihm stand und alles dafür gegeben hätte, nur mal wieder ein einziges kleines Lachen von ihm zu hören.
Und Lisa konnte nichts anderes tun, als die Distanz zu wahren, die er zwischen ihnen geschaffen hatte. Sie hätte es eher gewagt, den Mount Everest zu besteigen, als mit einem falschen Wort das letzte bisschen Hoffnung zu ruinieren, das sie noch in sich trug, nämlich dass ihre Wege eines Tages doch wieder zueinander finden würden.
Doch vorläufig gingen sie getrennte Wege, und der seine führte genau auf die gegenüberliegende Seite des Unterrichtszimmers, wo er zwischen seinen Freunden und dem Blondie-Trio Platz nahm, während Lisa sich zu Britt und Zac setzte.
Sie war unendlich froh, dass die Donnerstage mit Geschichtsunterricht starteten und die Klasse eine Stunde Zeit hatte, sich auf die mentale Folter vorzubereiten, die danach losgehen würde.
Mr. Teuber, der Geschichtslehrer, war ein alter Veteran deutscher Abstammung, der nie über den Zweiten Weltkrieg und die Berliner Mauer hinweggekommen war. Er hatte unter anderem bei einem Bombenangriff auf Berlin seinen linken Fuß verloren und trug seither eine Prothese. Wenn er unterrichtete, setzte er sich immer erst auf den Stuhl, zog seine Schuhe aus, nahm seinen künstlichen Fuß ab und stellte alles säuberlich neben sich. Dann fing er an, wie ein Buch Jahreszahlen herunterzuleiern.
Da er sich nicht so rasch bewegen konnte, hatten die Schüler angefangen, in seinem Unterricht zu treiben, was sie wollten. Obwohl einige sich beschwerten, dass man für das teure Schulgeld eigentlich besseren Unterricht bekommen sollte, schmiss die Schulleitung Mr. Teuber nicht raus, da er kurz vor der Rente stand. Die Schule warb zwar damit, die Lehrer mit dem besten Fachwissen des Landes vorweisen zu können, allerdings konnten deren pädagogische Fähigkeiten damit nicht Schritt halten.