Mexikanische Grenze, Arizona
Es war Nacht geworden.
Gruppe eins konnte die Markierung der Grenze sehen, die Mexiko von den USA trennte, einen schnöden Stacheldrahtzaun, dessen Bau zur Abschreckung augenscheinlich kaum der Mühe wert gewesen war, da sich an einigen Abschnitten zwischen den Pfosten große Löcher auftaten.
Weit weg in der Ferne blinkten zwischenzeitlich die Lichter der Stadt Naco in Arizona.
Die drei Araber kauerten neben der Aluminiumkiste nieder und achteten auf etwaige bedenkliche Geräusche. Ihre weitere Gesellschaft belief sich auf einen einzelnen Kojoten, dessen Umrisse sie im hellen Mondlicht oben an einem Felshang sahen. Im Dunkeln funkelten seine Augen wie Quecksilber, jenes eigentümliche wie kurze Aufblitzen glänzender Glaskörper vor schwarzem Hintergrund. Er kläffte mehrmals und verzog sich schließlich in ein dichtes Gestrüpp.
Die Ausländer warteten weiter unter dem Dreiviertelmond, indem sie hocken blieben und mit Geduld als erlernter Tugend horchten. Die Stille beunruhigte sie allerdings, weil ihnen alles viel zu einfach vorkam. Naco hatte sich im Lauf der Jahre zu einem beliebten Ort entwickelt, an dem man die Grenze überqueren konnte, wenn man illegal einwandern wollte. Fünfzehn Meter weiter, dann hätten die drei in Arizona gestanden, ohne von jemandem oder etwas aufgehalten zu werden.
Abdul-Ahad richtete sich zu voller Größe auf – eins zweiundneunzig – und rückte merklich humpelnd mehrere Schritte vorwärts. Sein angeschlagenes Bein machte sich nach dem langen Weg bemerkbar, den sie zurückgelegt hatten, seitdem der Van stecken geblieben war. Dann kniete er sich zwischen zwei Dünen und hielt eine geschlossene Faust hoch: das Signal für die anderen, sich vorerst nicht von der Stelle zu bewegen.
Die Beleuchtung der Stadt fernab, ihre blinkende Helligkeit spornte alle Grenzübergänger zu einem Neubeginn an, doch ihn als einst elitäres Mitglied des syrischen Muchabarat, der nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs auf die Seite der Rebellenkämpfer gewechselt war, fiel etwas Merkwürdiges auf, wie es nur ein erfahrener Soldat spüren konnte.
Nachdem er die Hand heruntergenommen hatte, hielt er sich vor Augen, wie weit seine Gruppe gekommen war, um Allahs Wünsche zu erfüllen. In dieser Nacht, mit den Vereinigten Staaten im Fadenkreuz, würden sie ihre Pflicht ausführen und früher als vorgesehen ins Paradies aufsteigen.
Der Araber steckte eine Hand in die Tasche seiner Armeehose, nahm den Fernzünder der Atombombe heraus und klappte den Deckel des Tastenfelds auf. Ihm war allzu deutlich bewusst, was in der Dunkelheit vor ihnen auf sie wartete.
Während er einen Zeigefinger über die Bedienung hielt, um zu tippen und den Sprengsatz scharfzumachen, dachte Abdul-Ahad: Ich weiß, dass du da draußen bist … Ich kann dich spüren …
Wie auf ein Zeichen hin sprangen mehrere Flutscheinwerfer an, in einer Reihe montiert an einer Querstange eines Jeeps der Grenzpatrouille, und strahlten ihn wie seine Gefährten gnadenlos hell an.
»Zollbehörde! Auf den Boden! Sofort … runter … auf den Boden!« Und dann für Mexikaner: »¡Patrulla Fronteriza! Abajo al suelo ahora mismo!«
Tut mir leid, Freundchen, ich verstehe kein Spanisch.
Abdul-Ahad begann sofort mit der Eingabe, schnell und mit Fingerspitzengefühl, sodass er sich kein einziges Mal vertippte, während das Passwort in kyrillischer Schrift auf dem Display erschien. Als es auf den Auslösemechanismus in dem Alubehälter übertragen wurde, begann die Aktivierung der Bombe.
»¡Patrulla Fronteriza! Abajo al suelo ahora mismo!«
»Majid, Quasay! Haltet sie ab!« Abdul-Ahads Arabisch wirkte aufgrund seines äußerst dringlichen Tonfalls hektisch, während er sich hinter eine niedrige Anhöhe zurückzog, um in niemandes unmittelbare Schusslinie zu geraten. »Ich brauche Zeit!«
Die beiden anderen bewegten sich im weichen Sand vorwärts und feuerten in schneller Abfolge. Sie schossen die Hälfte der Scheinwerfer aus, und Funken flogen, wo ihre Kugeln das Blech der Stoßstange des Jeeps trafen.
Abdul-Ahads Männer waren zielsicher, sodass sie die Beamten aus dem Wagen treiben konnten. Den Salbei als Deckung zu nutzen war unsinnig, doch die vier legten sich bäuchlings hinein, um das Feuer zu erwidern. Projektile sausten an ihnen vorbei wie aufgescheuchte Wespen, und als sie schließlich selbst Salven abgaben, schallte es misstönend nach Norden in den Staat hinein.
Die beiden Araber rückten vor die Position ihres Anführers, um ihn zu schützen, während er sie dem Paradies näherbrachte. Noch sieben von zehn Ziffern, dann begann auf dem Display der Fernbedienung der Countdown für die Zündung der Kernwaffe.
… jetzt die vierte …
… bleiben sechs …
Er tippte erbittert weiter.
… fünftens …
… und Allah noch einen Schritt näher …
Einige Meter vor ihm bewährten sich seine beiden Mitstreiter, indem sie dafür sorgten, dass die Zollbeamten liegen blieben, doch dann spritzte auf einmal eine rote Fontäne aus Qusays Brust. Kugeln schlugen quer in seinen Oberkörper ein, und mit jedem Treffer platzte das Fleisch auf. Durch die Wucht des Aufpralls kippte er rückwärts in den Sand.
Majid erschrak kein bisschen, als sein Magazin leer war, sondern entfernte und ersetzte es schnell durch ein neues, bevor er weiter auf die Mündungsblitze der Amerikaner feuerte. Ringsum wirbelten die Einschläge Staub auf, wobei die Linie langsam auf ihn zuwanderte, doch er hielt seine Stellung auf einem Knie.
Abdul-Ahad tippte, so schnell er konnte, doch die Ziffern erschienen quälend langsam auf der LED-Anzeige. Mittlerweile waren es sechs von zehn. Auch als sich dicht neben ihm eine Kugel in den Boden bohrte, fuhr er ungerührt fort. Seine Finger verfehlten keine Taste.
Einer der Beamten passte sein Ziel durchs Visier seines Sturmgewehrs aus der Minimaldeckung heraus an und versuchte, Majids Schläfe zu treffen. Er atmete flach und gleichmäßig mit erzwungener Zurückhaltung, um den richtigen Moment zum Abdrücken zu erkennen.
Die Zeit schien viel zu langsam zu vergehen, weshalb es surreal wirkte, als Majids Gesicht wie vom Wind zerstäubt oberhalb der Kieferpartie weggerissen wurde, sodass man nichts mehr außer Fleischbrei und glattem Knochen sah, bis er rücklings mit ausstreckten Armen, als wolle er dem Gekreuzigten spotten, in den Sand fiel.
»Waffen ablegen!«, rief jemand. Es war dieselbe Stimme, die Abdul-Ahad bereits zuvor gehört hatte, und wieder übersetzte sie ins Spanische: »¡Entregue su arma!«
… acht Ziffern eingegeben …
… nur zwei weitere …
»¡Esta es su última oportunidad de entregar su arma! O … abriremos … fuego!«
»Dies ist Ihre letzte Gelegenheit, Ihre Waffen niederzulegen! Oder wir eröffnen das Feuer!«
Im Licht der Scheinwerfer, die Abdul-Ahads Männer nicht zerschossen hatten, sah man ihn zu der Pistole greifen, die in seinem Hosenbund steckte. Er brauchte nur noch ein paar kurze Sekunden, um die letzten beiden Ziffern einzutippen und diesen Landstrich für die nächsten zehntausend Jahre zu verseuchen. Dies würde Zeugnis von Allahs Macht ablegen, und seine Bereitschaft zum Sterben sollte seinen Glaubensbrüdern zum Vorbild gereichen.
In dem Moment, da er die Waffe nach vorn richtete, um die Grenzbeamten mit mehreren Schüssen fernzuhalten, kamen sie ihm mit einer Salve zuvor. Die Schüsse schlugen faustgroße Löcher in Abdul-Ahads Brust, wobei er rückwärts taumelte und den Fernzünder fallen ließ.
In der gespenstischen Stille, die folgte, war es ungewiss, ob die Gefahr endgültig gebannt sei oder nicht.
Mit Bedacht schlichen die Amerikaner mit ihren Waffen im Anschlag vorwärts und suchten die Umgebung nach weiteren Angreifern ab.
Erst als sie das Areal abgesichert, die Liegenden examiniert und deren Tod bestätigt hatten, nahmen sie ihre Gewehre herunter.
Der Alukiste hatte das Feuergefecht nichts anhaben können, obgleich sie jetzt mit einer feinen Staubschicht überzogen war und nicht mehr glänzte. Daneben lag die Fernbedienung.
»Drogen.« Die Bemerkung eines Beamten erübrigte sich eigentlich, weil sie sich in der Regel ständig mit Rauschgiftschmuggel herumschlugen.
Sergeant Cary Winslow, ein alter Veteran und eher stiller Typ, ließ sich beschwerlich auf einem Knie nieder, hob den Zünder auf und betrachtete ihn einmal von allen Seiten. Das Display zeigte acht russische Buchstaben an. Nachdem er den Deckel zugeklappt hatte, steckte er es in seine Hemdtasche und widmete sich der Metallkiste.
»Wie viele Kilo fasst die, was meinst du, Cary?«, fragte Officer Roscoe Winchell, ein großer, dünner Kerl mit schnoddrig gedehntem Sprachduktus. »Sieht wie 'ne Kartelllieferung aus.«
Winslow bemühte sich nicht um eine Antwort, sondern öffnete die Verschlüsse und hob den Deckel an. Darunter fand er nicht, was er erwartet hatte. Dort waren unter Plexiglas drei Kugeln eingefasst, umgeben von elektronischen Schaltkreisen, Platinen und einer Festplatte.
»Was, glaubst du, ist das, Cary?«, wollte Winchell wissen.
Er trat von dieser unerhörten Truhe zurück und starrte darauf. Als ausgebildeter Spürhund, der aufhalten sollte, was unerlaubterweise die Grenze überquerte, schloss er den Behälter sofort wieder und befahl seinen Kollegen, ebenfalls zurückzutreten. »Ich möchte, dass ihr alle Abstand haltet«, stellte er klar.
»Was ist das?«, beharrte Winchell.
»Das erfährst du noch früh genug, Roscoe. Fürs Erste siehst du lieber zu, dass du ans Funkgerät gehst und das Hauptquartier einschaltest. Bitte darum, sofort das FBI zu verständigen. Gib Bescheid, dass uns hier jemand ein Dante-Päckchen geschnürt hat.«
Winchell schien zu erblassen, was man selbst im schwachen Licht erkannte.
»Geh jetzt … sofort!«
Schon dampfte der Beamte ab und rannte zu ihrem Jeep.
Weniger als ein Jahr vor seiner Rente kam Sergeant Winslow nicht umhin, fassungslos kopfschüttelnd zum Himmel aufzuschauen. Die Sterne funkelten wie Feenstaub, die frische Wüstenluft roch sauber, unbelastet. Dann machte er seine Augen zu. Sie haben es getan, dachte er. Sie haben schließlich doch versucht, eine ins Land zu schleusen.
Nachdem er seinen Blick an der Grenze, dem Stacheldrahtzaun mit den schiefen Pfosten entlang schweifen lassen hatte, bestand für ihn kein Zweifel mehr daran, dass mindestens ein Nuklearsprengkörper in die USA gelangt war.
Absolut kein Zweifel.
»Dante-Päckchen« war der Codename für eine portable Kernwaffe mit niedriger Sprengkraft. Im Kalten Krieg hatte Russland Dutzende davon gebaut, optisch Fünf-Gallonen-Kanistern entsprechend, also passend für Stoffrucksäcke. Was sich die Agenten von FBI, NSA und CISEN – dem mexikanischen Gegenstück zur CIA – jedoch anschauten, war nichts dergleichen.
Dieses Modell spiegelte den neusten Stand der Technik wider und stellte gegenüber jenen aus der Zeit des alten Ost-West-Konflikts eine erhebliche Weiterentwicklung dar.
Die Aluminiumkiste wurde gleißend hell von rings um den Fundort aufgestellten Lampen angestrahlt, wodurch ihr die Aufmerksamkeit aller zuteilwurde, während die toten Araber blutbesudelt im Sand daneben lagen.
Um halb vier Uhr am Morgen hatte sich der Leiter des CIA-Außenbüros Phoenix die Mühe gespart, eine Krawatte oder feine Schuhe anzuziehen, stattdessen trug er Jeans, Freizeittreter und ein hellbraunes Shirt, das er weit genug in die Hose geschoben hatte, damit man die Dienstmarke an seinem Gürtel sah. Unter seinem linken Oberarm hing ein flaches Holster, in dem griffbereit seine Handfeuerwaffe steckte.
Sechs Minuten lang verharrte John Abraham und überlegte, stierte mit durchdringendem Blick und verinnerlichte alles, so wie er es vorfand. Dann untersuchte er die Truhe und die Körper derjenigen, die ihr Leben gelassen hatten, um sie zu verteidigen.
Neben ihm standen mehrere NSA-Angestellte in Anzügen und mit konservativen Frisuren, und Abraham musste sich fragen, wie man so kurzfristig derart proper herausgeputzt am Schauplatz präsent sein konnte. Um sein Erscheinungsbild dem professionellen Standard anzugleichen, stopfte er auch den hinteren Zipfel seines Shirts in die Hose, als würde dies wenigstens einigermaßen mit seiner Vollzugsbehörde konform gehen. Das tat es jedoch nicht einmal ansatzweise.
Zwei Männer in Gefahrstoffschutzmontur betraten den abgesperrten Bereich. Die Spuren, die sie mit ihren Stiefeln im weichen Grund hinterließen, weckten Assoziationen zu jenen von Astronauten auf dem Mond. Sie hatten Geigerzähler dabei und fuhren mit deren Rohren an der Aluminiumverkleidung entlang.
Die Knackgeräusche folgten äußerst langsam aufeinander, harmlos.
Einer der beiden kniete nieder, entriegelte die Kiste und klappte den Deckel auf, während der andere sein Zählrohr weiter geruhsam hin und her schwenkte.
Das Knacken hielt sich in Grenzen, die Strahlungswerte blieben gefahrlos niedrig. Jegliche Bedenken, was eventuelle Verseuchung anging, wurden kurzum aufgehoben.
»Entwarnung.« Diese gab der führende Beamte der beiden in Schutzkleidung. Er blieb immerzu mit seinem Team in Verbindung und tauschte sich per Lippenmikrofon mit der Kommandozentrale vor Ort aus, die sich in einem Kastenwagen außerhalb des ausgeleuchteten Rundes befand.
Abraham trat vor, und mit ihm jeder Vertreter der NSA wie des CISEN respektive mexikanischen Zentrums für Nachforschungen und nationale Sicherheit. So bildeten sie einen Kreis um die Kiste.
Diesen zogen die Beamten enger, ohne die Toten im Vorbeigehen nur eines Blickes zu würdigen, und besahen den Inhalt. Im Licht glänzten die glatten Kugeln stattlich.
»Wie Sie erkennen«, begann Valente DeMora-Cuesta, der einen hohen Rang im CISEN bekleidete, während er mit einer Handbewegung auf die Region südlich der Grenze verwies, »ist das mexikanisches Gebiet.« Ihm haftete etwas fürwahr Napoleonisches an, denn er war klein und strahlte mit seinem Gebaren freche Arroganz aus, womit er auf die Wichtigkeit seiner Position hinwies, indem er die Amerikaner daran erinnerte, dass auf mexikanischem Boden er derjenige sei, der den Ton angibt. Seine US-Kollegen nahmen ihn dennoch nicht für voll, auch wenn sich DeMora-Cuesto noch so sehr anstrengte. »Diese Bombe gehört meiner Regierung und wird im Namen Mexikos beschlagnahmt.«
Bis in die Vereinigten Staaten waren es keine fünfzehn Meter. Davon abgesehen würde sich das Weiße Haus nicht wegen Grenzdisputen abwimmeln lassen, wenn die nationale Sicherheit auf dem Spiel stand.
DeMora ließ sich allerdings keinen Deut von seiner überheblichen Art abbringen. »Muss ich Sie noch einmal darauf stoßen, dass sie mexikanisches Land betreten haben, ein hoheitliches Staatsgebiet?«
»Wir brauchen diese Bombe, um zu erfahren, wie man sie risikofrei entschärft«, hielt Abraham dagegen, »falls andere in die USA gelangt sind.«
»Das ist nicht unser Problem«, erwiderte DeMora. Daraufhin befahl er seinen Leuten barsch auf Spanisch, den Sprengsatz fortzuschaffen.
»Ich würde das bleiben lassen«, riet ihm Abraham.
»Was Sie tun würden, solange sie in Mexiko stehen, ist für mich mehr oder weniger belanglos.«
Während die Beamten aus dem Süden auf die Alukiste zugingen, nickte Abraham dem leitenden NSA-Kollegen zu, der dann etwas in sein Kopfmikrofon wisperte. Wenige Augenblicke später näherte sich von der Absperrung her ein behelmter Trupp mit kugelsicheren Westen und Gesichtsschirmen. Alle trugen Sturmgewehre mit aufgeschraubten Laserfernrohren. Diese warfen dunkelrote Strahlen, die sich mittig auf DeMora-Cuestas Oberkörper einpendelten. Binnen Sekunden hatten zwei Dutzend Elitesoldaten die Angestellten der mexikanischen Behörde aufs Korn genommen.
»Das würden Sie nicht wagen«, protestierte DeMora. Dann verschaffte er sich einen Überblick. Sie waren von allen Seiten umstellt, ein jeder im Visier der Amerikaner. »Eine Waffe gegen Vertreter der Regierung Mexikos zu erheben ist ein offensichtlicher Verstoß gegen unser Abkommen mit den Vereinigten Staaten. Meine Regierung reicht gewiss Beschwerde bei Ihrer ein, und Ihr Name, Mr. Abraham, wird genauso fallen wie jene aller anderen hier.«
»Ich glaube nicht, dass meine Regierung auch nur fünf Cent darauf gibt, weil wir diejenigen sind, die von ihr hergeschickt wurden, und zwar überhaupt erst mit diesem Auftrag – die Bombe sicherzustellen.«
DeMora-Cuesta trat zähneknirschend aus dem Rund zurück und winkte seinem Team, damit es ihm hinter die Absperrung folgte. Abraham war sich ganz sicher, der Kerl werde Verstärkung anfordern. Das war sonnenklar.
Er beobachtete, wie die CISEN-Beamten das Feld räumten, bevor er sich über den Sprengsatz beugte und die drei Kugeln, Computerplatinen sowie zwei phallischen Zylinder ins Auge fasste, die oben spitz zulaufend mit wenigen Zoll Abstand dazwischen montiert waren. Wahrscheinlich, so vermutete er, handelte es sich um zwei Polkontakte.
Als Nächstes schickte er sich an, die Leichen zu begutachten. Ihm fiel auf, dass die Araber glattrasiert waren – ein Beleg dafür, dass sie sich mittels Körperpflege aufs Sterben vorbereitet hatten, um dann, so die Auffassung von Märtyrern, ins Jenseits aufzufahren. Diese Achtsamkeit bezüglich solcher Details war noch etwas, das er sich während seines Aufstiegs in der Hierarchie der Antiterrorabteilung der Agency angeeignet hatte.
Ohne sich die Leiche anzusehen, deren Gesicht von einem hochkalibrigen Geschoss aus einem Sturmgewehr getroffen und somit nicht mehr identifizierbar war, verließ Abrahams den Platz. Unterdessen trafen seine Landsleute rasch Vorkehrungen, um den Behälter sicher zur Area 4 des Waffentestgeländes in Nevada zu transportieren.
Perugia, Italien | Kurz nach Einbruch der Abenddämmerung
Obwohl ihre Zelle unabhängig von Hakams Leuten agierte, einte sie eine gemeinsame Sache. Sie waren Krieger für Allah: Sechs Mann, die Beachtliches in der Republikanischen und der Revolutionsgarde geleistet hatten, bevor sie von nationalen Geburtsrechten und Vorurteilen abgekommen waren, um unter der einen wahren Flagge ihres Gottes als Dschihadisten zu kämpfen, die einzig richtige Soldatenschaft.
Allerdings gaben sich nicht alle als Kämpfer zufrieden. Jung, körperlich fit und voller Entschlossenheit, etwas zu bewegen, blickten sie doch immerzu gleichmütig drein – alle außer al-Rashad, ein wie Hakam in den USA geborener Araber, der sich der radikalen Seite des Islam zugetan fühlte. Er war eins fünfundneunzig groß, hatte breite Schultern und Arme so dick wie Beine. Seine Stirn wölbte sich deutlich nach vorn, und durch die muskulöse Statur erweckte er einen affenartigen Eindruck, zurückzuführen ohne Zweifel eher auf chemische Hilfsmittel statt genetische Veranlagung. Die Einnahme von Steroiden hatte ihn süchtig nach deren Auswirkungen gemacht, was man ihm nun deutlich ansah, und niemand traute sich, gegen seine oftmals aggressive Art und Launenhaftigkeit anzugehen.
Dank pflichtbewusster Gewissenhaftigkeit stand er fünf anderen Männern vor, die sich Allah hingaben, was er auch respektierte. Allerdings fand er die Rolle des Aufpassers dreier ungezogener Kinder und ihrer Mutter erniedrigend, obwohl ihm ein Imam der Moschee Ponte Felico versichert hatte, der Dienst seiner Gruppe sei auch ein Dienst an Allah.
Al-Rashad leuchtete einfach nicht ein, weshalb diese Frau und ihre Bälger im weiteren Rahmen so wichtig sein sollten. Dennoch hielt er an der Behauptung des Imams fest und glaubte, seine Zelle sei ein unerlässliches Werkzeug für Allah.
Während der Abend hereinbrach, ging al-Rashad allein durch die leere Lagerhalle, wobei seine Schritte dumpf verhallten. Seine Männer waren im Obergeschoss vor dem Gefangenencontainer postiert, den sie mithilfe eines Schweißbrenners aus Wellblech und Stahlstreben gebaut hatten.
Die Geiseln blieben in der Regel ruhig, bloß das eine Mädchen weinte zuweilen leise und schluchzte. Allein diese Geräusche brachten al-Rashad dazu, diese doch recht langen Spaziergänge zu unternehmen, die in gewisser Weise heilsam waren.
Er nahm stets dieselben dunklen Flure, wo sich das gleichmäßige Tropfen des Wassers immer gleich anhörte, und kam deshalb auch jedes Mal an dieselbe vergitterte Treppe, die auf den oberen Balkon führte. Von dort aus konnte man nach Westen in die Landschaft schauen.
In der Ferne stand hübsch wie von Scheinwerfern angestrahlt die Moschee Ponte Felico. Deren runde Kuppel schien selbst im Schatten der zunehmenden Dunkelheit mit Gold überzogen zu sein. Es war das Haus seines Gottes, eine Stätte Allahs.
Während er die Augen schloss und tief Luft holte, genoss al-Rashad diesen Moment.
Er würde Allah Folge leisten, versprach er sich, und zwar unhinterfragt. So konnte er, wenn es an der Zeit war, die Frau und ihre Kinder zu richten, ebendies mit Lauterkeit als Teil der Bewegung tun, die Mordwaffe selbst schwingen. Unterschwellige Schuldgefühle, Gewissensbisse brauchte er dann nicht zu haben, und da es nichts Leichteres für einen Mann gab, als sein Tun zu rechtfertigen, egal wie abscheulich es sein mochte, verstand er die Beseitigung Ungläubiger als von Allah gestellte Aufgabe.
Mit einem letzten wertschätzenden Blick auf die Moschee sog al-Rashad alles in sich auf.
Er war gänzlich mit sich selbst im Reinen.
Raven Rock (Präsidentenbunker), Pennsylvania | 17:00 Uhr
Während die Sonne in Perugia bereits unterging, war es im Osten der USA noch nicht so weit.
Raven Rock nahm mehr als zwanzigtausend Morgen Land in Staatsbesitz ein. Im Basislager vor Ort stand in der Mitte eines eingeebneten Bereichs mit nach Norden hin angelegtem Hubschrauberlandekreuz eine Hütte. Wachtürme mit Satellitenschüsseln dienten der Erfassung von unerlaubten Flugkörpern bereits auf mehrere Meilen Abstand. Alles, was auch nur annähernd feindlich wirkte, würde von Kampfdrohnen angegriffen, die eine Verteidigungseinheit des Militärs vom Luftwaffenstützpunkt Nellis in Las Vegas im Bundesstaat Nevada aus per Computer bediente.
Die Natur wirkte völlig unberührt, so wie sich die Wiesen in Windrichtung wiegten, wodurch eine konstante Wellenbewegung entstand, ein Kräuseln in der Landschaft. Im Einklang mit dem Rest der Flora tanzten die Nadelbäume, wobei ihre Äste langsam mit hypnotischer Anmut wogten, während kühle Luft durch die Region strömte. Alles schien in perfektem Einklang miteinander zu stehen.
Von Osten her näherte sich Marine One dem Areal, nicht zu überhören im Anflug aufgrund des anschwellenden Lärms der Rotoren. Als der Helikopter über dem Landekreuz schwebte, peitschte der Abwind der kreisenden Blätter das Gras, und die Glieder der Kiefern zuckten, als lägen sie im spielerischen Widerstreit miteinander.
Nach dem Aufsetzen wurde die Bordtür geöffnet, woraufhin der Präsident und sein Team ausstiegen.
Das Gebäude wirkte rustikal, wie es sich für eine Blockhütte geziemte. Das Holz sah verwittert aus, doch dieser Schein war trügerisch, denn die Hütte sollte einen sanierungsbedürftigen Eindruck vermitteln. In Wirklichkeit handelte es sich um einen Bunker auf dem neusten Stand der Technik. Er war mit explosionshemmenden Fenstern ausgestattet, und die Holzwände dienten nur als Verkleidung für mit drei Zoll dickem Stahl versteifte Zementwände, was ihn zu einer Festung machte, der kaum ein Angriff etwas anhaben konnte.
Drinnen gab es keine stehenden Wände zur Raumaufteilung, sondern einen großen Saal mit einer Steuerkonsole für eine Überwachungsmannschaft, die in Reihe an den Gerätschaften saß. In der Mitte ragte ein dickes Rohr fast bis zur Decke auf, eine Art Zylinder mit zwei Türen und Spiegeloberfläche. Als der Präsident und seine Männer nähertraten, machte ein Elektrosensor ein Bild von ihnen, woraufhin ihre Züge sofort von einer Gesichtserkennungssoftware analysiert wurden. Sobald ihre Identitäten feststanden, gewährten die Türen Eintritt in einen Aufzug.
Sie schlossen sich, dann fuhren die Ankömmlinge zweihundert Fuß tief hinab in eine Höhle, die als Kommandozentrale fungierte.
Die Türen gingen auf, und schon umwehte sie die kühle Luft des unterirdischen Gewölbes, die konstant gefiltert, aufbereitet und wieder zugeführt wurde. Die in Stein gehauene Decke über ihnen war ebenmäßig rund. Die Hauptaufmerksamkeit in der Zentrale galt einem breiten Tisch, den von oben an Metallschienen montierte Lampen beleuchteten, und an einer Wand reihte sich eine Vielzahl von Plasma-Bildschirmen sowie Anzeigetafeln.
Präsident Burroughs nahm mit seinem Stab und weiteren einheimischen Führungspersonen Platz, die von anderswo im Land hergebracht worden waren.
»Danke, dass Sie so spontan Zeit gefunden haben«, begann Burroughs.
Innerhalb weniger Augenblicke sprangen die Monitore an der Wand an, die anscheinend aus gestrichenem Schiefer bestand. Die Bildqualität war gestochen scharf, und die Technologie dahinter musste erst noch offiziell auf den Markt gelangen.
Gezeigt wurde zunächst das Präsidentensiegel. Auf einem großen Multipixel-Gerät, das an einem Stahlrahmen hing, sah man den Kopf von CIA-Nachrichtenkorrespondent Jaxson Wilhite.
»Also gut«, fuhr das Oberhaupt fort. »Wir stehen vor einem Haufen Arbeit, und danke auch Ihnen, Mr. Wilhite, dass Sie sich zugeschaltet haben.«
Dieser saß im Londoner CIA-Büro und arbeitete eng mit dem MI6 zusammen, dem hochgeschätzten Auslandsgeheimdienst des Vereinigten Königreichs. »Keine Ursache, Mr. President.«
»Mr. Wilhite.« Burroughs neigte sich mit zusammengefalteten Händen nach vorn. »Bitte zählen Sie uns Ihre Informationen über die Lage auf, falls Sie überhaupt welche haben.«
Der Auswärtige nickte. »Mr. President, vorerst stehen unsere Kontakte im Mittleren Osten, auch der Mossad, mit leeren Händen da. Momentan lässt der fernmündliche Verkehr nicht darauf schließen, dass arabische Rebellen versucht haben, Kernwaffen über unsere Grenzen zu bringen. Alle Wortmeldungen, die wir aus dem Mittleren Osten abgefangen haben, sind gehaltlos. Wer auch immer hinter dieser Aktion steht, hält sie penibel unter Verschluss.«
Gerade das wollte der Präsident nicht hören. Gespräche argloser Parteien per Telefon oder Funk wurden oft, falls nicht sogar immer abgehört, obgleich sie in der Annahme gingen, ihrer gesicherten Leitungen und Frequenzen oder ach so wohlbehüteten Datenquellen könne niemand habhaft werden. Darum waren sie für amerikanische Spionagedienste immerzu leicht angreifbar. In diesem Fall hatte es jedoch nichts zu ermitteln gegeben, was in Anbetracht der Umstände und Tragweite der Situation ungewöhnlich anmutete.
»Was ist mit diesem Hakam und seiner Gruppe? Irgendwelche Hinweise bisher?«
»Nein, Sir. Noch nicht.«
Burroughs sah kommen, dass sein Frust bald mit ihm durchgehen würde, konnte sich aber noch zur Ruhe zwingen. »Damit meinen Sie also, dass wir überhaupt nichts wissen?«
»Ich fürchte, Sie haben recht, Mr. President.«
Am liebsten hätte er mit einer flachen Hand auf den Tisch geschlagen. »Würde mir gefälligst jemand erklären, wie zum Teufel diese Terroristen überhaupt erst in Mexiko gelandet sind? Machen Sie mir – irgendjemand – bitte begreiflich, wie es einer Gruppe radikaler Aufständischer gelungen ist, allen Interpol-Kontrollen zum Trotz Atomwaffen um die halbe Welt zu transportieren, ohne Misstrauen zu erregen! Irgendwo muss doch ein Mensch irgendetwas wissen. Finden sie den!«
Wilhite blieb gelassen. »Wir bemühen uns weiterhin darum, Ihnen Aufschluss geben zu können, Mr. President.«
»Bleibt noch Yorgi Pertschenko. Sind Sie ihm auf die Schliche gekommen?«
Der CIA-Mann nickte. »Wir haben seinen Aufenthaltsort entdeckt und Einheiten mobilgemacht, um ihn festzunehmen. Es gibt allerdings ein Problem, Mr. President.«
Burroughs schloss die Augen, sonst hätte er sie verdreht. Natürlich. Wie könnte es anders sein? »Fahren Sie fort, Wilhite.«
»Wie es aussieht, ist auch der russische Außenaufklärungsdienst unterwegs, um ihn zu ergreifen.«
»Schaffen Ihre Männer es, dem SWR zuvorzukommen?«
»Könnte knapp werden.«
»Scheuen Sie keinerlei Maßnahmen, um diesen Kerl in Verwahrung zu nehmen und Informationen von ihm zu erhalten. Sollten Sie sich dazu mit den Russen anlegen müssen, tun Sie es.«
»Mr. President«, lenkte Alan Thornton merklich erschrocken ein. »Wir schneiden uns zweifellos ins eigene Fleisch, wenn wir auf Agenten des SWR schießen. Unsere Geheimermittler auf diese Weise zu entlarven, hätte schwere Folgen, falls man sie inhaftiert oder tötet.«
»Ich würde Ihnen gern beipflichten, Al, doch von meinem Standpunkt aus betrachtet haben wir keine andere Möglichkeit. Yorgi Pertschenko besitzt den Schlüssel zu allem, was wir herausfinden müssen, und das ist es wert, wenn Sie mich fragen, unsere Mitarbeiter so zu gefährden. Haben sie Erfolg – großartig; scheitern sie, dürfen wir uns fraglos auf die Explosion einer Atombombe in unserem Land und den atomaren Niederschlag gefasst machen, der darauf folgt. Uns bleibt von nun an nichts anderes übrig, als hoch zu pokern.« Er kehrte sich wieder dem Großbildschirm zu. »Mr. Wilhite?«
»Ja, Mr. President.«
»Inwieweit können Sie mir garantieren, dass die CIA vor den Russen bei Pertschenko ist?«
Wilhite zögerte. »Ich kann Ihnen leider überhaupt keine Garantie geben«, gestand er dann. »Im Augenblick scheint es auf eine direkte Konfrontation hinauszulaufen.«
»Wissen die Russen, dass auch unsere Männer hinter ihm her sind?«
»Nein, Sir.«
»Dann hoffen wir mal, ihre Selbstsicherheit erweist sich als Vorteil für uns.« Nachdem er sich auf seinem Platz zurückgelehnt hatte, überlegte Burroughs schnell. Er betete darum, die amerikanischen Eingreifer in Minsk würden sich durchsetzen, auch weil es dort schon dunkel war, was ihrer Heimlichkeit zugutekam. Dabei wusste er genau, dass der SWR alles versuchen musste, um die Wahrheit über Pertschenko zu verbergen, damit die Weltöffentlichkeit das Land nicht dafür anprangerte, eine Regierung zu haben, welche die Verbreitung derartiger Waffen bei aller Wachsamkeit geschehen ließ. Bügelte man einen so groben Schnitzer nicht beizeiten aus, erntete man weltweit Misstrauen. Deshalb war der russische Geheimdienst wahrscheinlich auf den Plan gerufen worden, um Pertschenko zu fassen, verschwinden zu lassen und alles zu leugnen. Politapparate retteten sich aus tiefen Verstrickungen, indem sie etwas zur Ablenkung vorschoben und die Wahrheit mit einem Berg Lügen kaschierten.
»Mr. Wilhite?«
»Sir?«
»Wie lange brauchen die Agenten, um bei Pertschenko zu sein?«
»Ich würde sagen, keine volle Stunde mehr.«
Burroughs schaute auf seine Uhr.
Sechzig Minuten kamen ihm wie eine Ewigkeit vor.
Flughafen LAX, Los Angeles, Kalifornien | 08:47 Uhr
Den Piloten von Shepherd One außen vor gelassen, waren alle Besatzungsmitglieder umgebracht und in ihrer jeweiligen Position durch Hakams Männer ersetzt worden.
Um den Gepflogenheiten von Alitalia Airlines Genüge zu tun, verlangte der Anführer, dass sie die entsprechenden Uniformen anzogen. Jeder seiner Komplizen trug wie vorgeschrieben eine marineblaue Hose mit roten Streifen an den Nähten und ein blütenweißes, kurzärmeliges Hemd mit aufgesticktem Logo der Fluggesellschaft an der Brusttasche. Da Shepherd One von allen Kontrollen der Transportsicherheitsbehörde ausgenommen war, wurde das gesamte Gepäck der päpstlichen Delegation unter der Abflughalle zusammengetragen und zwischengelagert.
Insgesamt waren es vier elektrische Karts, voll beladen mit den Koffern des Kirchenoberhaupts und seines Personals. Die Atomsprengsätze lagen verborgen unter Taschen aus Textil auf den ersten beiden Wagen.
Drei Mitglieder von Hakams Gruppe vermittelten überzeugend den Eindruck, dort unten hinzugehören. Jeder hielt einen Tablet-PC und ging die Bestandsliste durch, indem er die einzelnen Stücke mit einem Eingabestift abhakte. Den beiden Sicherheitsangestellten, die danebenstanden, kam alles wie üblich vor.
Gegen neun Uhr – eine halbe Stunde vor Pius' Ankunft in einer Limousine des Gouverneurs – erschienen Hakam, Enzio Pastore und die anderen Anhänger der Muslimischen Revolutionsfront im Untergeschoss, woraufhin der Kapitän die Männer von der Transportsicherheit mit einem Wink entließ. Dann war er mit dem al-Qaida-Militanten allein.
Auf den Motorkarts fanden jeweils zwei Personen Platz, Fahrer und Beifahrer. Der Tunnel, den sie zum Verlade-Hangar nehmen sollten, war neunhundert Fuß lang. Ohne ein Wort zu sagen, stieg Hakam auf der rechten Seite eines Wagens ein und bedeutete Enzio, er solle sich ans Steuer setzen.
»Wenn wir die Maschine erreichen«, sagte der Araber zu ihm, »sehen Sie zu, dass sie nicht ins Stocken geraten, sich verplappern oder den Sicherheitsleuten auf andere Weise andeuten, etwas stimme nicht.«
Enzio erwiderte nichts, als er sich auf dem Fahrersitz niederließ.
Hakam drehte sich nach vorn um und schaute durch den Tunnel, der unter der Rollbahn durchführte. »Sollten Sie das nicht schaffen, wird Ihre Familie sterben.«
»Das haben Sie jetzt schon oft genug gesagt.«
»Und ich werde es weiter wiederholen, damit Sie nicht vergessen, was auf dem Spiel steht, solange Sie Shepherd One fliegen. Los jetzt.«
Nachdem der Italiener den Zündschlüssel umgedreht hatte, gab er Gas, und das Elektrofahrzeug rollte durch die Betonröhre, die nur knapp breit genug für die Karts war. Die Lampen entlang der Decke, wo unter dem zigsten frischen Anstrich unzählige Leitungen verschiedener Dicke verliefen und in diesen oder jenen Abschnitt der Flughafenunterwelt abzweigten, gaben wenig Licht ab.
In der wechselhaften Helligkeit unterwegs, während sie eine schwache Lampe hinter sich ließen und dem Kegel der nächsten näherkamen, wanderten Schatten über Hakams Züge. »Egal was geschieht«, mahnte er, »Sie werden sich weiter nach Plan verhalten, es sei denn, ich befehle Ihnen etwas anderes. Ist das klar?«
Der Kapitän nickte.
Dann ließ sich der Terrorist zu einer verhaltenen Würdigung hinreißen: »Wie könnte man sich besser auf so etwas vorbereiten als mit einem Piloten, der zufällig zu den besten der Aeronautica Militare gehörte?«
»Sie kennen meinen Lebenslauf?«
»Ich lasse nichts außer Acht.«
Als sie die Rampe zur Verladestelle hinauffuhren, schwiegen die beiden. Der Wagen verließ den Tunnel und fuhr im Sonnenschein über den Zwischendamm, der zu Hangar 11 führte, wo das Gepäck für Shepherd One lag.
Es war jetzt 9:07 Uhr, also blieben noch dreiundzwanzig Minuten bis zur vorgesehenen Ankunft des Papstes. Vom Kart aus sah man hinter einem abgesperrten Bereich Gedränge, wo alle warteten, die den Geistlichen ein letztes Mal sehen wollten. Die Sicherheitskräfte konzentrierten sich auf die stark frequentierten Gebäudeabschnitte, während die Polizei offensichtliche Anlaufstellen bewachte. Deshalb kam die Terrorzelle hier ungehindert durch.
Als sie sich dem Ende des Damms näherten – die Karts in Reihe wie Zugwaggons – steuerte Enzio direkt auf Hangar 11 zu, und die anderen beiden folgten.
Das Gebäude war ein riesiges Halboval und so hoch wie ein zehnstöckiges Haus. Die Außenfassade bestand aus Wellblech an Stahlträgern. Die aufstehenden Tore gaben den Blick auf eine der beeindruckendsten technischen Entwicklungen der Gegenwart frei, die Boeing 787-9 Dreamliner, ein Spitzenmodell unter Verkehrsflugzeugen.
Obwohl die Alitalia-Maschine für Reisen des Papstes reserviert war, unterschied sie sich äußerlich nicht von anderen ihrer Baureihe. Wie jede aus der Flotte der Gesellschaft hatte Shepherd One einen grünen und roten Streifen am Heckflügel sowie einen weiteren grünen, der sich längs an den Bordseiten entlangzog.
»Ein schönes Flugzeug«, fand Hakam.
»Und was haben Sie damit vor? Wollen Sie es in ein Gebäude abstürzen lassen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen, das ist unnötig«, antwortete der Araber. »Um genau zu sein, Kapitän, schwebt mir keine Kollision mit irgendetwas vor.«
Kurz vor der Einfahrt bemerkten sie zwei Wachen der Transportsicherheitsbehörde an den Torflügeln.
»Tun und sagen Sie nur ja das Richtige«, drohte Hakam. »Meine Männer erledigen alles Weitere.«
Der Pilot blieb stumm, als er in den Hangar rollte und neben dem Abfertigungspodest parkte. Den Sicherheitsbestimmungen gemäß gab er den Angestellten Ausweise, die dann überprüft wurden. Die Männer überflogen sie aber nur; sie nahmen die Dokumente kurzerhand entgegen, glichen die Registriernummern auf ihren Formularen ab und händigten sie Pastore wieder aus, ohne länger auf die Porträtfotos geschaut zu haben.
»Danke, Kapitän. Brauchen Sie Hilfe beim Beladen des Frachtraums?«
Pastore verneinte. »Das schaffen wir allein«, sagte er mit Akzent auf Englisch. »Danke ebenfalls.«
»Kommen Sie gut zurück nach Rom.«
»Werden wir.«
Gleich nachdem die Aufseher ihre Zentrale über die Ankunft der Besatzung des Papstes informiert hatten, wurden sie zur Verstärkung des Sicherheitsaufgebots an anderer Stelle abberufen.
»Was, wenn Sie sich die Fotos genauer angesehen hätten?«, fragte Pastore Hakam.
»Dann wären sie von meinen Männern getötet und mit an Bord genommen worden. Falls man sich aber auf eines in diesem Land verlassen kann, dann ist es typisch amerikanische Selbstgefälligkeit. Die zwei, mit denen Sie gerade gesprochen haben, sollten ihrem Gott dankbar sein.«
Der Anführer stieg aus, genauso wie seine Gefährten, und stellte sich vor die gewaltige Maschine. Die drei staunten darüber, wie hoch sie war, und legten ihre Köpfe beim Hinaufschauen langsam in den Nacken, als verfolgten sie die Flugbahn einer Rakete.
»Wir müssen an Bord«, sagte Hakam schließlich. »Sofort.«
Es war 9:16 Uhr.
In wenigen Minuten traf der Papst ein.
Hayden saß neben Pius XIII. im Wagen des Gouverneurs. In den Autos dahinter, drei schwarzen SUVs, fuhren die Bischöfe des Heiligen Stuhls und päpstlichen Rates mit.
Als Kimball die Skyline von Los Angeles vorbeiziehen sah, nahm er alles zur Kenntnis, was er einst als selbstverständlich erachtet hatte. Die meisten Betrachter hätten die mit Graffiti besprühten Brücken und Zementüberführungen, den immerzu stockenden Verkehr und die Staus sowie den Smog, der über der Stadt stand wie eine Abgaskrone, als trost- und bedeutungslos empfunden, doch für ihn war es ein Zuhause, das er vermisste. Sein selbst auferlegtes Exil machte ihn in seinem Vaterland und eigenen Gewissen zum Kriminellen.
Sobald er ausstieg, um dem Papst an Bord zu geleiten, musste er das rote Barett mit dem Zeichen der Ritter des Vatikan und eine Sonnenbrille aufsetzen. Wahrscheinlich wäre niemandem ein vergessener Mann aufgefallen, der früher verdeckt als hochangesehener Elitekiller gearbeitet hatte und nur den innersten Kreisen der Regierenden im Weißen Haus geläufig gewesen war. Mochte er allerdings, so man ihn doch wiedererkannte, letzten Endes selbst zum Todeskandidaten werden, um gewisse Geheimnisse zu wahren? Da Hayden das aktuelle Politklima nicht einschätzen konnte, wusste er keine Antwort darauf. Er wollte umgekehrt auch nicht davon ausgehen, alles sei vergeben und vergessen, zumal er eine Fülle von pikanten Informationen über frühere Regierungen hatte.
»Sie vermissen die Stadt, nicht wahr?«, fragte Pius.
Hayden drehte seinen Kopf vom Türfenster weg und setzte die Sonnenbrille auf. Das dunkelrote Barett steckte in einem Schultergurt seines Priesterhemds, einer Spezialanfertigung. »Das tue ich«, gab er zu. »Sie ist meine Heimat.«
»So sehr wir die Dienste zu schätzen wissen, die Sie dem Vatikan leisten, Kimball, haben wir nicht vergessen, dass Gott Ihnen einen freien Willen gab, um Entscheidungen zu fällen, egal, um welche Wünsche es geht.«
»Meine Wünsche und Pflichten sind zwei verschiedene Dinge«, betonte der Ritter verdrossen. »Im Augenblick gehöre ich der Kirche. Ich habe aus eigenen Stücken beschlossen, all dies hier hinter mir zu lassen.«
Da lächelte der Papst und sah ihn väterlich warmherzig an. »Sie sind ein guter Mensch. Ich weiß, Sie suchen das Licht der Vergebung für Dinge, die Sie in der Vergangenheit getan haben.«
»Es ist schwierig«, bestätigte Kimball. »Ich kann anscheinend einfach kein …« Er konnte den Satz nicht zu Ende bringen.
»Was? Kein solches Licht am Ende des Tunnels sehen?« Pius neigte sich vorwärts und legte ihm eine Hand auf den Unterarm. »Dieses Licht ist nicht nur ein solches im eigentlichen Sinn, sondern steht auch für Erleuchtung. Sie haben sich Ihren früheren Lebenswandel bewusst gemacht und hadern damit, wobei Sie eine Leere verspüren, die Sie mit tiefer Reue überwinden möchten. Für mich, Kimball, ist Ihre Zerknirschung als solche das Licht der Vergebung.« Er zog seine Hand zurück. »Wohingegen Sie vielleicht denken, es nicht gefunden zu haben, glaube ich, dass Sie von ihm gefunden wurden.«
Hayden wandte sich dem Papst zu, wobei er nicht sicher war, ob dieser ihn im Stillen dafür verurteilte, was er war … ein Mörder. »Während meines letzten Einsatzes habe ich zwei Kinder umgebracht«, sagte er, als ob es allgemein bekannt sei.
Pius schloss kurz die Augen und nickte wissend. »Aber wenn Sie das nicht getan hätten, wie viele weitere Menschen wären möglicherweise noch durch Ihre Hand gestorben?«
Das beantwortete Kimball nicht. Er wandte sich wieder der vorbeiziehenden Stadtkulisse zu.
»Diese beiden Kinder wurden zu Ihren Rettern«, fügte der Papst hinzu, »denn ihre Tode führten dazu, Ihr Leben zu verändern. Sie sind nicht vergeblich gestorben, Kimball.«
Da war der Ritter anderer Ansicht. »Warum sehe ich Ihre Gesichter dann jedes Mal, bevor ich einschlafe? Es gibt kein Entrinnen.«
»Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist: Sie sind für die Kirche von unschätzbarem Wert und haben sich Gott gegenüber ein ums andere Mal als würdig erwiesen. Sie haben sich der Aufgabe gewidmet, guten Menschen das Leben zu retten.«
Hayden dachte indes: Als Killer brachte ich weltweit Despoten und Gewaltherrscher zur Strecke, die der Machthoheit der USA gefährlich wurden. Dadurch rettete ich gute Menschen, das stimmt. Worin besteht also der Unterschied, wenn ich jetzt exakt das Gleiche für die Kirche in Gottes Namen tue statt für das ›heilige amerikanische Reich‹? Nach wie vor sterben Menschen durch meine Hand, bloß dass es heute unter Gottes Auge als akzeptabel bewertet wird, nicht als vertretbare Hinrichtung eines amtierenden Politikers. In dem Fall war nur die Nachfrage deutlich geringer. Womit könnte man es vergleichen? ›Lassen Sie sich Ihren neuen Boss vorstellen … es ist derselbe wie Ihr voriger.‹
»Ich fühle mich in mir selbst verloren«, sagte er schließlich. »Ich bin …verwirrt.«
»Manchmal braucht man mehr als seinen Glauben, Kimball, denn der Mensch lebt nicht allein davon, egal, was Sie Gegenteiliges gehört haben mögen. Manchmal braucht der Mensch noch etwas, und zwar jeder Mensch.«
Hayden schaute ihm nun ins Gesicht. Mit der Sonnenbrille sah er bedrohlich aus. »Und das wäre?«
»Der Vatikan unterhält nicht umsonst ein ganzes Geschwader von Psychologen«, antwortete Pius, »und einen aufzusuchen ist weder Schmach noch ein Zeichen von Schwäche. Ich rate dringend dazu.«
Kimball nickte verbindlich. Er hätte sofort alles Mögliche getan, um die Dämonen zu bändigen, die ihn im Traum verfolgten.
Während draußen der Flughafen von Los Angeles in Sicht kam, fragte er sich, ob er der extremen Gewalt jemals entsagen würde, die einen Großteil seines Lebens ausmachte.
Die Antwort darauf sollte nicht lange auf sich warten lassen.
Sie würde »Nein« lauten.
Château Grand Hotel, Los Angeles
Die Kriminalpolizisten Louis Bardaggio und Chris Cardasian standen vor Zimmer 616, während die Spurensicherung drinnen weitersuchte. Allerdings waren sie nicht mehr vollzählig, weil man im Zuge weiterer Nachforschungen noch fünf Leichen gefunden hatte, alle Besatzungsmitglieder des Papstflugzeugs.
»Mr. Morgenessi war«, begann Bardaggio mit Blick auf seinen Notizblock, »soweit wir bestimmen konnten, Vater dreier Kinder ohne zweifelhafte Vergangenheit, wohnhaft in Rom und seit knapp drei Jahren Kopilot der Shepherd One.«
Sein Kollege beobachtete die Tatortermittler aufmerksam von der Tür aus. »Shepherd One?«
»Das ist die Boing des Papstes«, erklärte er und zeigte mit einem Daumen nach oben, ein Verweis auf überirdische Gefilde. »Die anderen fünf Toten gehörten auch zu seinem Personal, wie uns bestätigt wurde. Alle wurden im Schlaf erwürgt. Der Pilot ist der Einzige von ihnen, der noch vermisst wird.« Er schaute wieder auf seinen Zettel. »Kapitän Enzio Pastore, ein hochdekorierter Flieger der Aeronautica Militare und erster Mann in der Shepherd One.«
Cardasian machte einen perplexen Eindruck, bevor er auf seine Uhr schaute und sein Gesicht ein wenig verzog. »Ist die Maschine des Papstes nicht vor ungefähr 'ner halben Stunde gestartet?«, fragte er.
Bardaggio nickte. »Ist sie, und das mit voller Besetzung, die von der Transportsicherheitsbehörde überprüft wurde. Stellt sich also die Frage: Wer fliegt da oben mit, wo doch die wirklichen Mitarbeiter des Papstes hier unten sind?«
Cardasian fuhr sich mit einer Hand durch seine ausgehenden Haare. »Die Sicherheitsleute wissen demnach nicht, wen sie durchgewunken haben?«
»Das hab ich die vom Flughafen auch gefragt«, erwiderte Bardaggio, »woraufhin es hieß, die Shepherd One unterliege anderen Bestimmungen als normale Linienflugzeuge. Sie befördert immerhin den Papst.«
»Man ließ tatsächlich eine Crew an Bord gehen, über deren Hintergründe nichts bekannt ist?«
»Laut Leitungsstelle der Behörde hat Kapitän Pastore die Kennungen seiner Mitarbeiter eingereicht, und die wurden dann gespeichert. Die Informationen schickte man an den Tower, wo das ganze Personal abgesegnet und festgelegt wurde, wie lange es dauern würde, den Luftraum abzusperren, damit die Maschine starten könne. Die Aufgabe der Zuständigen bestand darin, die Namen der Besatzung zu hinterlegen, sonst nichts. Denen geht es nur um Zeitauflagen und Flugpläne. An die nationale Sicherheit hat niemand gedacht.«
»Dann könnte Pastore den Sicherheitsbeamten die Kennungen der Toten gegeben haben, und sie ließen das Ganze durchgehen, ohne die Nummern mit Ausweisfotos abzugleichen?«
Bardaggio überlegte kurz. »Wenn du mich fragst, ist das vorstellbar, aber die Männer, die diese Kennungen protokollierten, gaben an, Kapitän Pastore habe völlig normal gewirkt.«
»Natürlich hat er das. Er wurde entweder gezwungen oder steckt mit den anderen unter einer Decke.«
Cardasian trat vor der offenen Tür zurück und überlegte. Mittlerweile roch es auch auf dem Flur metallisch nach Blut. »Ich kontaktiere das FBI und den Heimatschutz«, sagte er. »Möglicherweise wurde die Shepherd One von einer Besatzung mit feindlichen Absichten bemannt.«
»Alles deutet darauf hin, nicht wahr?«
Jetzt nickte Cardasian vehement. »Und wie könnte man feindliche Absichten besser verschleiern, wenn nicht als Flugpersonal des Papstes?«
Nichts war Basilio Pastore je so schmerzhaft vorgekommen wie das Gefühl, als er sich einen Knöchel beim Fußball verstaucht hatte, aber die aufgeplatzte Lippe kam gleich danach. Sie war regelrecht gespalten, das Fleisch klaffte auf wie ein V. Beim Einatmen fühlte es sich an, als ströme eiskalte Luft über einen blank liegenden Nerv. Manchmal tat es so weh, dass er aufschrie und ihm Tränen in die Augen schossen.
Nachdem ihm der breite Kerl das Shirt vom Leib gerissen hatte, war er gezwungen worden, das Blut damit abzuwischen – so viel wie möglich –, damit sie es seiner Mutter zeigen konnten. Der Stoff hatte sich vollgesogen, die Blutung nicht aufgehört. Um sie zu stoppen, wäre ein Arzt vonnöten gewesen. Unterdessen hatte der Entführer den Jungen die ganze Zeit gehässig grinsend von oben herab angeschaut: eine Schadenfreude, die Zeugnis von seinem brutalen Wesen ablegte und darauf hindeutete, er sei zu mehr fähig.
Als er zufrieden gewesen war, hatte er Basilio lässig hochgezogen und durch einen feuchten, nach Abwasser stinkenden Gang fortgeschafft. »Was sollte das?«, so die Frage, während der kleine Italiener abwechselnd getragen oder geschleift worden war. »Hat dir der Komfort eurer Zelle nicht gefallen? Vielleicht ist die Dunkelkiste eher nach deinem Geschmack.«
Weit weg von seiner Familie, am entgegengesetzten Ende der Lagerhalle, stand ein Stahlkasten, der kaum größer war als ein Waffenschrank. Dessen Innenraum bot nicht viel Platz, weshalb er an einen Sarkophag denken ließ, der das Hinlegen ausschloss. Basilio kam er vor wie eine Grabkammer, zu früh für einen Knaben wie ihn.
Der große Mann zog nun die Tür auf und stieß ihn hinein. Basilio widersetzte sich nicht und leistete auch keine Gegenwehr, weil er wusste, dass der Muskelprotz viel zu stark war. Aufmüpfigkeit würde nur weitere Schmerzen nach sich ziehen.
»Mal schauen, ob du es hier bequemer findest«, bemerkte der Kerl mit der Affenstirn. Wenn er lächelte, zeigte sich ungeachtet gepflegter Zähne, dass er von Natur aus böswillig war. »Könnte sein, dass ich dich vergesse und du da drin verreckst.« Er trat zurück und betrachtete den Jungen, der mit freiem Oberkörper vor ihm stand. Nun lächelte er nicht mehr. »Nein, du wirst heute nicht sterben«, versicherte er ihm. »Morgen ist ja auch noch ein Tag.« Daraufhin schlug er die Tür zu, und ein Schließmechanismus klickte. Dann äußerte er noch etwas auf Arabisch, das Basilio leise durch den Stahl hörte, und verschwand. Es wurde beängstigend still.