Harriet Lerner

Versuch’s mal mit Entschuldigung

Wie Versöhnung kleine und große Herzschmerzen heilt

Aus dem Englischen von Judith Elze

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Harriet Lerner

Harriet Lerner, geb. 1944, zählt zu den renommiertesten Psychologinnen der Welt. Bekannt wurde sie vor allem durch wesentliche Beiträge zur Psychologie von Frauen und Beziehungen. Ihr Buch »Wohin mit meiner Wut?« wurde in 35 Sprachen übersetzt und ist weltweit ein Longseller. Sie arbeitet als Psychologin und Psychotherapeutin bei der Menninger Foundation in Topeka, Kansas, wo sie mit ihrem Mann und zwei Söhnen lebt. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht und schreibt regelmäßig für das Magazin New Woman.

www.harrietlerner.com

Impressum

© 2017 der eBook-Ausgabe Knaur eBook

© 2017 der deutschsprachigen Ausgabe Knaur Verlag

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Lay

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic / shutterstock

ISBN 978-3-426-44429-0

Hinweise des Verlags

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Endnoten

Cartoon von Zach Kanin im New Yorker.

Zur guten und schlechten Entschuldigung auch in der Öffentlichkeit und in der Politik vgl. Aaron Lazare, On Apology, Oxford University Press, Oxford u. a. 2004, und John Kador, Effective Apology. Mending Fences, Building Bridges, and Restoring Trust, Berrett-Koehler, San Francisco 2009. Vgl. auch Susan McCarthy und Marjorie Ingall auf SorryWatch.com und @SorryWatch bei Twitter.

Zitiert nach www.goodreads.com/quotes/3207706-it-takes-years-as-a-woman-to-unlearn-what-you.

Maggie Nelson, The Argonauts, Graywolf Press, Minnesota 2015.

Carol Tavris und Elliot Aronson, Ich habe recht, auch wenn ich mich irre. Warum wir fragwürdige Überzeugungen, schlechte Entscheidungen und verletzendes Handeln rechtfertigen, Riemann, München 2010. Der Titel der Originalausgabe lautet Mistakes Were Made (but Not by Me).

Kador, Effective Apology, a. a. O.

Gary Chapman und Jennifer Thomas, Die fünf Sprachen des Verzeihens. Die Kunst, wieder zueinander zu finden, Francke-Buchhandlung, Marburg 2010.

Die Geschichte von Katherine und Dee erschien zuerst in Harriet Lerner, Magie der Worte, Krüger, Frankfurt am Main 2002.

Wir lassen uns entweder von Impulsen und Neigungen leiten (reagieren) oder entscheiden uns bewusst und frei (agieren). Diese Lebensweisen werden in verschiedenen buddhistischen Schulen als reaktiver und schöpferischer/kreativer Geist unterschieden.

Zu übertriebenen Entschuldigungen in der Öffentlichkeit des koreanischen Lebens vgl. Ed Park, »Sorry Not Sorry«, The New Yorker, 19. Oktober 2015.

Übertragen von Lothar Sauer, zitiert nach www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/wenn.html.

Darüber, wie man seinen Perfektionismus loslassen kann, vgl. Brené Browns Arbeit, darunter: Die Gaben der Unvollkommenheit. Lass los, was du glaubst, sein zu müssen, und umarme, was du bist. Leben aus vollem Herzen, Kamphausen, Bielefeld 2012.

»Bei der Schuld geht es ums Tun, bei der Scham dagegen ums Sein.« Helen Block Lewis traf diese Unterscheidung in ihrem klassischen Text Shame and Guilt in Neurosis, International Universities Press, Connecticut 1971. Unter jüngeren, gern gekauften Büchern über die Schwierigkeit, die Scham zu überwinden, finden sich: Harriet Lerner, Angst, Furcht und Scham. Vom befreienden Umgang mit schwierigen Gefühlen, Gütersloher Verlag, Gütersloh 2006; dies., Magie der Worte, a. a. O.; sowie Brené Brown, Laufen lernt man nur durch Hinfallen. Wie wir zu echter innerer Stärke finden, Kailash, München 2016; dies., Verletzlichkeit macht stark. Wie wir unsere Schutzmechanismen aufgeben und innerlich reich werden, Goldmann, München 2017, und dies., Die Gaben der Unvollkommenheit, a. a. O.

Was die Stärkung der Selbstachtung eines Menschen angeht und die Einladung an den Tatverantwortlichen, die Verantwortung auch zu übernehmen, bin ich dankbar für die Gespräche mit meiner Freundin und Kollegin Julie Cisz wie auch für die Schriften von Alan Jenkins, darunter Invitations to Responsibility. The Therapeutic Engagement of Men Who are Violent and Abusive, Dulwich Centre Publications, Adelaide 1990, und die Arbeit von Rhea Almeida und ihren Kollegen. Meine eigene Arbeit dazu, wie Scham die Fähigkeit des Schuldigen einschränkt, Verantwortung zu übernehmen, erschien zuerst in Magie der Worte, a. a. O.

Ellen Wachtel, We Love Each Other, But …, St. Martin’s Press, New York 1999.

Für den Mut zu Veränderungen in wichtigen Beziehungen vgl. Harriet Lerner, Wohin mit meiner Wut, a. a. O., und dies., Zärtliches Tempo. Wie Frauen ihre Beziehungen verändern, ohne sie zu zerstören, Fischer, Frankfurt am Main 2001. In allen meinen Büchern habe ich sehr profitiert von Murray Bowens Lehren über die systemische Familientherapie sowie von feministischen Theoretikerinnen und Therapeutinnen wie Jean Baker Miller, Marianne Ault-Riché, Monica McGoldrick und The Women’s Project in Family Therapy (Betty Carter, Peggy Papp, Olga Silverstein und Marianne Walters).

Wachtel, a. a. O.

Der Forscher John Gottman kommt zu dem Schluss, dass Kritik, Verachtung, Abwehr und Mauern »die vier apokalyptischen Reiter« seien, die direkt ins Herz einer Ehe hineingaloppieren und sie zerstören können.

Der Beginn von Lettys und Kims Geschichte erschien zuerst in Magie der Worte, a. a. O.

Claudia Rankine, Citizen. An American Lyric, Graywolf Press, Minnesota 2014.

Janis Abrahms Spring und Michael Spring, How Can I Forgive You? The Courage to Forgive, the Freedom not to, William Morrow Paperbacks, New York 2005.

Zur Entscheidung, nicht zu vergeben, vgl. Roxanne Gay, »Why I Can’t Forgive Dylann Roof«, New York Times, 23. Juni 2015.

Über die Transformationskraft von Vergebung und bedingungsloser Liebe aus einer spirituellen Perspektive vgl. Carolyn Conger, Through the Dark Forest, Plume, New York 2013. Vgl. auch die Arbeit von Sharon Salzberg, Autorin und Lehrerin der buddhistischen Prinzipien der liebenden Güte und des Mitgefühls.

Anne Lamott, »Have a Little Faith«, AARP The Magazine, Dezember 2014/Januar 2015.

Spring, a. a. O.

Harriet Lerner, Der Tanz ums Kind. Wie Muttersein unser Leben verändert, Fischer, Frankfurt am Main 2002.

Besonders dankbar bin ich Julie Cisz für ihre klare theoretische Untermauerung der problematischen Aspekte, wenn es um das Ermutigen von Vergebung im therapeutischen Prozess geht, sowie für ihre großzügige Hilfe bei diesem Kapitel.

Janis Abrahms Spring und Michael Spring, Nach dem Seitensprung. Wie Sie den Schmerz bewältigen, Selbstvertrauen zurückgewinnen und die richtigen Entscheidungen treffen, mvg, München 2016.

Zur »Wachsamkeitsübertragung« vgl. Spring, How Can I Forgive You?, a. a. O.

Was irische Familien betrifft, vgl. Monica McGoldrick, Joe Giordano und Nydia Garcia-Preto (Hrsg.), Ethnicity & Family Therapy, 3. Ausg., The Guilford Press, New York 2003. Vgl. auch Monica McGoldrick, Wieder heimkommen. Auf Spurensuche in Familiengeschichten, Carl-Auer-Systeme, Heidelberg 2003 (und spätere Auflagen).

Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR, Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen) ist eine integrative Psychotherapie, die in der Traumabehandlung wirksam sein und viele Arten seelischer Not lindern kann.

Für meine Enkelkinder

Cyrus und Theo

Lucía und Marcela

 

Und für ihre Eltern

Matt und Jo

Ben und Ari

Kapitel 1

»Es tut mir leid« hat viele Gesichter

Meine Freundin, die Cartoonistin Jennifer Berman, hat einmal eine Karikatur von dem »Typen mit den tausend Entschuldigungen« gezeichnet. Mein persönlicher Favorit ist: »Es tut mir leid … aber du hast ja nie gefragt, ob ich verheiratet wäre und Kinder hätte.« Und dann gibt es da diesen Cartoon im New Yorker, der einen Vater im Gespräch mit seinem Sohn zeigt. »Ich wollte ja für dich da sein, als du klein warst«, sagt der Vater. »Aber ich bekam einen Krampf im Fuß. Und dann passierte da was im Laden – na ja, du verstehst schon.«[1]

Während sich aus der Absurdität dieser Begründungen der Humor beider Cartoons ergibt, haben wir doch alle schon weniger skurrile Entschuldigungen gehört, die bereits mit dem nächsten Atemzug rationalisiert und dadurch wieder aufgehoben wurden. Das ist nie befriedigend, im Gegenteil richtet es einen ziemlichen Schaden an.

Mehr als zwei Jahrzehnte lang habe ich immer wieder Entschuldigungen studiert – und die Männer und Frauen, die sie nicht zuwege brachten. Natürlich muss man kein Experte sein, um erkennen zu können, wann eine erforderliche Entschuldigung ausbleibt oder eine schlechte uns brüskiert. Ein »Es tut mir leid« hat keinen Sinn, wenn es nicht ehrlich gemeint ist, einzig und allein dazu dient, ein unangenehmes Gespräch schnell abzuwürgen, oder wenn ihm eine Rechtfertigung oder Ausrede folgt.

Die Heilkraft einer guten Entschuldigung ist ebenfalls gleich erkennbar. Wenn sich jemand ehrlich bei mir entschuldigt, fühle ich mich erleichtert und beruhigt. Was sich vielleicht an Ärger oder Groll angestaut hatte, schmilzt dahin. Ich fühle mich auch besser, nachdem ich mich bei jemandem entschuldigt habe, wenn es nötig war. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Störung beheben kann, wenn ich einen Fehler begangen oder etwas Dummes angestellt habe. Dabei bin ich nicht gerade eine Weltmeisterin im Entschuldigen. Bei meinem Mann Steve zum Beispiel entschuldige ich mich gern nur für das, was ich als meinen Anteil an einem Problem sehe, und erwarte zugleich von ihm, dass er sich für das entschuldigt, was ich als seinen Part betrachte. Man kann sich vorstellen, dass wir uns da nicht immer einig sind.

Manchen Leuten gegenüber und unter bestimmten Umständen fällt es uns besonders schwer, um Nachsicht zu bitten. Es gibt Entschuldigungen, die uns leichter von den Lippen gehen als andere: Ob ich vergesse, meiner Nachbarin die Frischhaltedosen zurückzubringen, oder ob ich mit ihrem Mann ins Bett gehe, sind nicht nur in dieser Hinsicht zwei Paar ganz verschiedene Schuhe. Für eine kleine unsensible Geste mag ein einfaches, aufrichtiges »Es tut mir leid« genügen, aber unsere unsensiblen Gesten sind nicht immer nur klein.

Dieses Buch will Ihnen zeigen, wie Sie eine wirklich ehrliche Entschuldigung gestalten und wie Sie eine Abbitte erkennen können, die eigentlich die Schuld auf den anderen abwälzt, zweideutig oder geradezu niederträchtig ist. Über das »Wie« einer guten Entschuldigung hinaus werden wir uns Geschichten anschauen, die überzeugend illustrieren, wie wichtig ein einfaches »Es tut mir leid« ist und warum wir es so oft vermasseln. Wir werden auch heldenhafte Entschuldigungen betrachten, die selbst unter schwierigsten Bedingungen eine Tür zu Vergebung und Heilung öffnen können.

Doch sind die folgenden Kapitel auch für die verletzte oder wütende Person gedacht, der eine hinterhältige oder unehrliche – oder gar keine – Bitte um Vergebung vorgetragen worden ist. Wenn wir von jemandem beleidigt oder verletzt worden sind, der es einfach nicht kapiert, können wir die nötigen Schritte lernen, um den Ton eines Gesprächs zu ändern und zu ihm durchzudringen. Manchmal wird allerdings nichts den sturen Übeltäter umstimmen, da können wir tun oder sagen, was wir wollen. Tatsächlich ist es, je ernster der Schaden war, umso unwahrscheinlicher, dass der Schuldige bereut oder Wiedergutmachung leistet. Was tut dann die verletzte Seite?

Die Herausforderung einer Entschuldigung und Versöhnung ist ein Tanz, der zwischen mindestens zwei Personen stattfindet. Und jeder von uns sieht sich nur zu oft auf beiden Seiten der Gleichung. Fangen wir mit einer kurzen Auswahl an – mit Entschuldigungen, die von einfach bis mittel und schwer rangieren.

Das einfachste »Es tut mir leid«

Am leichtesten ist es, »Es tut mir leid« zu sagen, wenn es nicht um irgendeine Schuld unsererseits geht. Wir bitten damit nicht um Vergebung, sondern reagieren mitfühlend auf den Schmerz unseres Gegenübers. (»Es tut mir so leid, dass du das jetzt durchmachen musst.«) Damit erkennen wir an, dass unser Mitmensch verärgert ist oder eine schwere Zeit hat, und wir kommunizieren so, dass uns das etwas ausmacht.

In vielen Situationen kostet es nicht viel, auf diese Weise sein Bedauern auszudrücken, während ein solches Versäumnis keine Kleinigkeit ist. Das Leben ist hart, und schon die geringfügigste Kommunikation mit einem Fremden kann uns den Tag verschönern oder auch vergällen. Nicht, dass wir in die tiefste Depression verfielen, bloß weil die Frau in der Drogerie uns mit ihrem Einkaufswagen fast umgefahren hätte und dann auch noch abgerauscht ist, ohne auch nur aufzusehen. Vermutlich hat sie es gar nicht bemerkt oder sich nicht entschuldigt, weil es ihr egal war oder auch weil es ihr zu viel ausmachte und sie sich zu sehr schämte, als dass sie hätte Augenkontakt aufnehmen und uns ansprechen können. Gleich, warum, es fühlte sich nicht gut an, und das ungute Gefühl bleibt. Manchmal trifft uns die versäumte Entschuldigung eines anderen härter als die Ursache, derentwegen er sich hätte entschuldigen sollen.

Lange Warterei im Untersuchungszimmer

Wenn es um eine wichtige Beziehung geht, kann das Versäumnis einer Entschuldigung die Verbindung kappen, und zwar auch, wenn beide Seiten wissen, dass keiner von ihnen verantwortlich für die Ursache ist. Nehmen wir zum Beispiel meine Klientin Yolanda, die, nur mit einem dürftigen Krankenhaushemd bekleidet, auf einem kalten Tisch im Untersuchungszimmer fast eine ganze Stunde auf ihre Ärztin warten musste.

»Da kommt meine Ärztin also endlich«, erzählt mir Yolanda erbost in der Therapiestunde, »und sie sagt nichts, nicht mal: ›Entschuldigung.‹ Ich habe mich vor ihr überhaupt nicht mehr als Mensch gefühlt. Und hinterher habe ich mich auch noch über mich selbst geärgert, weil ich so überempfindlich war.«

Dass wir uns selbst in Frage stellen, weil wir »überempfindlich« waren, ist typisch für Frauen – wir disqualifizieren damit vor allem unsere legitime Wut und Verletzung. Wohl jeder, der sich schon mal bei einem Arzt im Untersuchungszimmer aufgehalten hat, weiß, dass Patienten sich verletzlich fühlen. Die Tatsache, dass einige von uns in dieser besonderen Situation sensibler sind als andere, heißt nicht, dass wir schwach oder irgendwie weniger bedeutend wären.

Yolanda nahm das lange Warten nicht persönlich. Sie verdächtigte ihre Ärztin nicht etwa, heimlich irgendwelche Videospiele zu spielen oder mit ihren Freunden zu chatten. Yolanda wollte einfach nur etwas hören wie: »Entschuldigung, dass Sie so lange warten mussten. Für den letzten Patienten brauchte ich mehr Zeit, als ich eingeplant hatte.« Das Versäumnis der Ärztin, ihre Verspätung auch nur zu erwähnen, fühlte sich an wie ein kleiner Riss in einer Beziehung zu jemandem, von dem Yolanda sich abhängig fühlte. Ein einfaches »Es tut mir leid« hätte ihr die Möglichkeit gegeben, sich respektiert, behütet und gewürdigt zu fühlen.

Ein mittelschweres »Es tut mir leid«

Sich zu entschuldigen wird schon schwieriger, wenn wir tatsächlich einen Grund dafür haben und unser Verhalten bereuen. Hier kann selbst eine kurze, gute und späte Entschuldigung mitunter eine große Rolle spielen.

Meine Klientin Deborah war nicht auf der Hochzeitsfeier ihrer Schwester Skye gewesen, weil sie zur selben Zeit einen Vortrag auf einer Konferenz zu halten hatte. Die Konferenz war schon lange geplant, als Skye das Hochzeitsdatum festlegte, und Deborah ärgerte sich, weil ihre Schwester erwartete, dass sie dabei wäre, und behauptete, es sei das einzig mögliche Datum für die Hochzeit. Deborah fühlte sich schrecklich mit ihrer Entscheidung, und sie hätte sich gewünscht, sie wäre bei einem so wichtigen Ereignis bei ihrer Familie gewesen.

Auch wenn das Leben weiterging, fraß die Angelegenheit doch an beider Nerven. Zuerst hatte Deborah nicht die Absicht, sich bei Skye zu entschuldigen. Zudem fand sie, Skye hätte sich entschuldigen sollen. Es sei unverzeihlich, sagte mir Deborah, dass sie den Hochzeitstag als »beschlossene Sache« verkündet hatte, statt Deborahs Termine mit zu berücksichtigen. Als ihr später klar wurde, dass sie einen Riesenfehler begangen hatte, wollte sie das Thema aus einem anderen Grund nicht wieder aufwärmen. Sie meinte, eine Entschuldigung würde das Problem nur vergrößern, und am Ende würden sie sich beide nur umso schlechter fühlen.

Jahre später schickte Deborah ihrer Schwester in einer plötzlichen Gefühlsregung eine E-Mail mit dem Inhalt: »Ich habe Dir nie gesagt, wie schrecklich es für mich war, dass ich Deine Hochzeit verpasst habe, und wie leid mir meine damalige Entscheidung tut. Als ich bei der Konferenz damals meinen Vortrag hielt, dachte ich die ganze Zeit nur: ›Was tue ich hier eigentlich?‹ Ich habe keine Erklärung und auch keine Entschuldigung dafür, warum ich eine so dumme Entscheidung getroffen habe.«

Ihre Schwester schrieb zurück: »Ja, Deb, Du warst ein richtiges Arschloch. :–)«

E-Mails sind normalerweise kein guter Ort für eine Entschuldigung. In diesem Fall aber erzählte mir Deborah, dass sich nach diesem Austausch zwischen ihnen alles leichter anfühlte. »Als hätte sich ein Stück Vertrauen und Nähe wiederhergestellt, das ich gar nicht bewusst vermisst hatte.«

Den Sprung wagen – Die härtesten Entschuldigungen

Es kostet ganz schön Mut, ein Gespräch mit der Entschuldigung für etwas zu eröffnen, was wir gern anders gemacht hätten. Vielleicht wollen wir nicht aufdringlich sein, oder wir machen uns Sorgen, wie unsere Entschuldigung aufgenommen wird und was als Nächstes passiert. Wenn unser Gegenüber das Thema nicht aufgebracht hat, könnten wir denken, dass wir es auch nicht tun sollten. Doch Margarets Geschichte zeigt, dass wir das Gespräch über ein bedauerliches Fehlverhalten unsererseits am besten doch ermöglichen sollten.

Margaret hat eine Tochter namens Eleanor, eine alleinerziehende Mutter, deren zweites Kind Christian im Alter von sechzehn Tagen starb, noch bevor sie nach der Geburt das Krankenhaus verlassen hatte. Margaret hatte viel praktische Hilfe geleistet, indem sie sich in den zwei Wochen, in denen Eleanor im Krankenhaus war, um ihren dreijährigen Sohn und den ganzen Haushalt kümmerte.

Doch war Margaret emotional nicht bei der Sache. In echt britischer Manier hatte sie gelernt, dass man angesichts der Schwierigkeiten des Lebens Haltung bewahrte, und kam aus einer Kultur mit einer langen Tradition, die unter dem Motto stand: »Keine Sorge, das Leben geht weiter.« Sie liebte ihre Tochter sehr, wollte aber nicht, dass Eleanor in der Trauer versank. Außerdem wollte sie die eigene tiefe Trauer nicht wahrhaben. Um sowohl Eleanor als auch sich selbst zu schützen, gab Margaret ihrem Schmerz keinen Ausdruck und fragte ihre Tochter auch nicht, wie es ihr denn mit diesem schweren Verlust ging. Die wenigen Male, die sie Eleanor weinen oder bedrückt sah, sagte sie nur so etwas wie: »Dein Sohn braucht dich. Sei stark für ihn.«

Ein Jahrzehnt später hatte die Frau von Margarets Mitarbeiter und Freund Jorge eine Totgeburt. Sein Verlust wühlte verständlicherweise Margarets eigene vergrabene Trauer über ihren Enkel Christian und über sein nie gelebtes Leben auf. Als sie miterlebte, wie viel unglaubliche Liebe Jorge entgegengebracht wurde und wie offenherzig er die Fürsorge seiner Umgebung annahm, brachte das etwas in ihr in Bewegung. Zum ersten Mal fragte sich Margaret, ob sie mit ihrem Verhalten ihrer Tochter gegenüber nach Christians tragischem Tod das Richtige getan hatte.

Kurz danach erschien auf der ersten Seite ihrer Lokalzeitung ein Artikel über solche vorzeitigen Verluste. Zu ihrer eigenen großen Überraschung nahm Margaret all ihren Mut zusammen und bat Eleanor, den Artikel zu lesen. Sie sagte ihr außerdem, sie denke die ganze Zeit an Christian und bedaure es, dass sie nie über ihre Gefühle gesprochen habe, weil sie einfach nie wisse, was sie sagen solle, und Angst habe, Eleanor nur noch trauriger zu machen. Sie sagte, es tue ihr leid, dass sie nie den Raum dafür geschaffen habe, über dieses traurigste Ereignis in ihrem Leben zu sprechen.

Eleanors erste Reaktion war vorhersehbar. »Du hättest nichts tun können«, sagte sie ausdruckslos. »Du hättest es ja nicht wiedergutmachen können. Mach dir keine Sorgen.« Eleanor war eindeutig die Tochter ihrer Mutter.

Der interessanteste Teil einer Entschuldigung kommt oft viel später. Keine der beiden brachte die Sprache wieder darauf, doch Margaret erzählte mir, dass sie sich nach kurzfristigem Unbehagen besser fühlte, weil sie den Mund aufgemacht hatte. Monate später – Christians Todestag näherte sich – verspürte Margaret den Wunsch, Blumen an sein Grab zu bringen. Seit der Beerdigung war sie nicht mehr dort gewesen. Sie erwähnte es beiläufig Eleanor gegenüber, die nüchtern antwortete, sie werde ohnehin hinfahren und könne Margaret mitnehmen, wenn sie wolle.

Erst auf der Fahrt erfuhr Margaret, dass Eleanor in den zehn Jahren jeweils zweimal im Jahr beim Grab gewesen war. Als sie vor Christians kleinem Grabstein standen, fing Margaret plötzlich an zu schluchzen. Die Gefühlsaufwallung überrumpelte sie komplett, denn sie hatte nie über Christians Tod und auch sonst kaum jemals geweint. Noch unerwarteter war Eleanors Reaktion: Sie umarmte ihre Mutter, und sie weinten zusammen.