The way love goes

Vereint

Sophia Chase


ISBN: 978-3-95573-620-0
1. Auflage 2017, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2017 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de

Titelbild: Unter Verwendung eines Bildes von shutterstock.

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Inhalt

EINS

 

Nach der Arbeit erledige ich ein paar wichtige Einkäufe, um übers Wochenende eingedeckt zu sein. Ich hole die Medikamente für meinen Dad in der Apotheke ab und kaufe Blumen und eine Flasche Sekt für Roberta, um mich im Namen meines Dads bei ihr zu entschuldigen. Ich kann nur hoffen, dass es auch fruchtet, ansonsten stehe ich nicht nur ziemlich alleine da, sondern mein Dad hat neben mir die wohl letzte Bezugsperson verloren. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es ihm ohne sie gehen muss.

Von der Tube-Station ist es nicht mehr weit bis zu mir nach Hause. Wie fast jeden Tag treffe ich die Jungs aus der Nachbarschaft, die auf der schmalen Grünfläche zwischen den beiden Wohnhäusern Fußball spielen. Ich winke ihnen zu, schleppe die Tüte mit den Einkäufen nach oben, wo ich sie bloß schnell in den Flur stelle, ehe ich an Robertas Tür klopfe. Sie öffnet mir, lächelt zwar etwas gezwungener als sonst, wirkt aber dennoch immer freundlich. Sie ist wohl die gute Seele des Hauses; wenn man das bei einem solch großen Mehrparteienhaus über irgendjemand behaupten kann. Doch sie war für Dad und mich immer da. Sie lebt alleine, hat zwei erwachsene Söhne, die ab und an zu Besuch kommen. Ihr Mann ist mit irgendeiner Kellnerin durchgebrannt und ließ sie nicht nur mit zwei kleinen Kindern, sondern auch einem Berg Schulden alleine. Vielleicht ist diese Parallele auch der Grund, warum sie sich für meinen Dad und mich interessiert.

Jedenfalls mag ich sie, sehr sogar, und ich würde mir aus tiefstem Herzen wünschen, dass sie Dad noch eine Chance gibt, auch wenn er nicht die beste Wahl oder einfach ist. Aber neben mir scheint lediglich Roberta zu wissen, was für ein netter Kerl tief in ihm steckt.

„Oh, Naomi, ich wollte dich heute Abend noch anrufen ... es ... du kennst ihn ja“, begrüßt sie mich tief seufzend und bittet mich herein.

Ihre Wohnung ist genauso geschnitten wie unsere; ein dunkler, schmaler Flur, eine Tür mit Glaseinfassung in die Küche neben vier Holztüren und der akuten Hellhörigkeit frappierend dünner Wände. „Ja, er hat mir zumindest seinen Standpunkt vermittelt“, erwidere ich. „Aber ich fürchte, dass ich ihm nicht so ganz glauben kann.“

Sie zuckt die Achseln und bringt damit ihre perfekt geföhnte, schulterlange rotbraune Mähne zum Hüpfen. „In letzter Zeit trinkt er wieder mehr, damit kann ich ja umgehen. Aber diesmal ist er, meiner Meinung nach, unbegründet an die Decke gegangen. Du weißt, Naomi, dass ich deinen Vater sehr mag und meine Toleranzgrenze sehr hoch angesiedelt ist.“

Sie macht eine wegwischende Handbewegung, während in ihren Augenwinkeln Tränen glitzern. Roberta mag zwar durchsetzungsfähig sein, sie ist aber auch sentimental und mein Vater weiß diese Eigenschaft gut für sich einzusetzen.

„Was war denn?“, frage ich und trete einen Schritt näher, um ihr eine Hand auf die Schulter zu legen.

„Ich bin diese Woche mal vom Einkaufen zurückgekommen, da stand ein Mann – ein großer, dunkelhäutiger Mann mit schwarzem Anzug und weißem Hemd – unten bei den Briefkästen. Ich habe den Kerl ja noch nie gesehen und schon gar nicht so einen hier in dieser Aufmachung. Also habe ich ihn gefragt, ob ich ihm helfen könnte, weil er so suchend aussah. Ich dachte, dass einer der Mieter Schwierigkeiten hätte und der Typ von irgendeiner Behörde wäre.“

Klingt plausibel, zumal auch ich stutzig werden würde, wenn ich einen Mann dieser Beschreibung bei den Briefkästen und auch nur in der Nähe des Wohnhauses antreffen würde. Das hier ist keine Gegend, in die sich Anzugträger verirren; zumindest nicht, wenn sie nicht beruflich hier sind.

Roberta eilt in die Küche und wirkt zunehmend aufgebrachter. Ich folge ihr und lege meine Mitbringsel auf die Arbeitsplatte der in die Jahre gekommenen Küchenzeile.

„Er hat nach dir gefragt“, platzt sie heraus und betrachtet mich, als würde ich irgendein dunkles Geheimnis hüten.

„Nach mir?!“

„Ja. Er wollte wissen, ob ich dich kenne, wie lange du hier wohnst und mit wem.“

Was zum Teufel sollte so jemand von mir wollen? Entweder hat mein Vater wieder einmal Scheiße gebaut ... aber selbst wenn, noch nie hat jemand nach ihm oder mir aktiv gesucht. Meine Mutter? Wäre es möglich, dass sie nach mir sucht? Vielleicht ist der Kerl ja ein Detektiv. Ich kann die Hoffnung, die in mir aufkeimt, nicht leugnen, auch wenn sie mir falsch und unauthentisch erscheint. Meine Mutter hat sich einen Scheißdreck um mich geschert und ist stattdessen abgehauen. Was zum Teufel würde ich machen, wenn sie plötzlich vor meiner Tür steht?

Könnte ich ihr verzeihen?

„Das ist aber noch nicht alles, meine Liebe. Er war ein paar Tage später wieder da; ich konnte ihn von meiner Tür aus sehen, wie er Fotos vom Flur, eurem Klingelschild und weiß Gott was gemacht hat. Daher bin ich zu deinem Dad gegangen, hab ihm davon erzählt und darauf bestanden, dass er die Polizei informiert. Aber du kennst ihn ja.“

Mein Dad hasst die Polizei. Vermutlich nicht einmal aus persönlicher Erfahrung, sondern weil er sich von der Regierung, den Behörden und sämtlichen Institutionen im Allgemeinen im Stich gelassen fühlt.

„Ich habe keine Ahnung, wer der Typ sein könnte oder was er von mir will“, erkläre ich Roberta, deren Gesicht große Besorgnis ausstrahlt.

„Ich werde die Augen für dich offen halten, Liebes. Aber sei vorsichtig. Es geht mich zwar nichts an und bei mir ist es Jahre her, dass ich so jung und frei war wie du, doch du solltest auf dich aufpassen, überlegen, mit welchen Leuten du dich umgibst, und nichts riskieren.“

Ich denke nicht, dass der Kerl irgendetwas mit meinem lasterhaften Lebenswandel zu tun hat – ein verstoßener Verehrer zum Beispiel. Natürlich werde ich nun aufmerksamer sein und mir genauer überlegen, mit wem ich mich treffe. Ich sollte aber auch meinen Dad in die Mangel nehmen; vielleicht hängt er da ja wirklich irgendwie mit drin. Denn wenn es einer schafft, unermüdlich Scheiße zu bauen, dann mein Dad. Die Frage ist nur, wann der richtige Zeitpunkt ist, ihn darauf anzusprechen, ohne dass unser Gespräch ähnlich eskaliert wie Robertas und seins zuvor.

Nachdem ich Roberta die Blumen und den Sekt gegeben habe und ihr an der Tür nochmals versichere, dass ich auf mich aufpassen werde, gehe ich in Dads und meine Wohnung. Ich fühle mich seltsam; irgendwie beobachtet, was bestimmt mit Robertas Informationen zu tun hat. Es ergibt einfach keinen Sinn. Bei Dad und mir gibt es nichts zu holen und wenn es wirklich, wirklich, wirklich meine Mutter ist, die nach mir suchen lässt, dann muss ich irgendwie eine Entscheidung treffen. Nur nicht jetzt. Denn würde ich mir weiter den Kopf über all die Möglichkeiten zerbrechen, die mit einem eventuellen Wiedersehen mit der Frau, die mich geboren hat, einhergehen, wäre ich nur enttäuscht, wenn dieser Kerl nichts mit ihr zu tun hat. Ich sollte mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Zum Beispiel auf Georges Einladung und die Tatsache, dass ich meinen Dad schnarchend auf dem Sofa vorfinde, was bedeutet, dass ich heute wieder nicht mit ihm über die momentanen Vorkommnisse sprechen kann. Ich weiß nicht einmal, ob Roberta nun wiederkommt oder ob sie weiterhin auf Abstand zu meinem Dad bleibt.

Seufzend gehe ich in mein Zimmer, werfe meine Handtasche aufs Bett und krame in meinem Kleiderschrank nach Klamotten, die ich für das Treffen mit George anziehen möchte. Obwohl die Details zum heutigen Abend äußerst dürftig ausfielen, greife ich automatisch nach etwas Schickerem – eines meiner schönsten Kleider; ein schwarzgoldenes Trägerkleid, knielang und so geschnitten, dass die Vorzüge meines Körpers ideal unterstrichen werden.

Ich springe unter die Dusche, merke, wie langsam Vorfreude und das berühmte Kribbeln aufkommen. Gut, ich scheine das, was zwischen George und mir abläuft, rein rational noch immer nicht verstanden zu haben. Ich bin zwiegespalten – neugierig, aber auch etwas angespannt. Ich weiß nicht, was George von mir möchte. Es kann auch sein, so kommt mir der Gedanke, während ich Mascara auftrage, dass er beruflich so sehr eingespannt ist, dass ihm schlichtweg die Zeit fehlt, sich nach was Neuem umzusehen. Und wer fällt ihm da ein? Genau, die Kleine aus Schottland, die laut seinen Aussagen auf eine verdammt geile Art besitzergreifend ist.

Doch als mein Look steht, schüttele ich alles von mir ab und vergewissere mich stattdessen, dass es meinem Dad so weit gut geht. Ich hinterlasse ihm eine handgeschriebene Nachricht auf dem Küchentisch, da er erfahrungsgemäß erst in den Abendstunden richtig aktiv wird. Ich bezweifele zwar, dass er sich Sorgen machen würde, wenn er mich nicht findet, doch um des guten Willens wegen kritzele ich ein paar rasche Worte auf ein Stück Papier.

Nach einer etwas längeren Anfahrt als gedacht stehe ich erneut vor diesem hübschen Haus, in dieser noch viel hübscheren Gegend, mit den teuren Wagen davor. Meine Füße bleiben hinter der imaginären Grenze, die den Bürgersteig von der ersten Stufe zu Georges Haus hinauf trennt. Ich frage mich, was ich mir hier erwarte. Nein, ernsthaft. Von all den Männern, denen ich eine zweite oder gar dritte Chance hätte geben sollen, ist George nicht unbedingt der Kandidat, der auf den ersten Blick infrage käme.

Also, noch einmal – was will ich hier?

Bilde ich mir ein, dass etwas von dem Glanz der Gegend auf wundersame Weise auf mich herabrieselt und mir das Glück fortan vor die Füße fällt?

Bis jetzt konnte ich mich sehr gut auf meinen Instinkt verlassen. Andere Menschen mögen zwar behaupten, dass Instinkt bloß die wunschhafte Einbildung eines Menschen sein mag. Ich aber denke, dass mein inneres Gefühl sehr genau weiß, was tief in mir verankert ist. Und alles, wirklich alles, schlägt im Falle von George in den roten Bereich aus. Und auch heute habe ich kein gutes Gefühl. Es mag daran liegen, dass ich ihn überhaupt nicht einschätzen kann und ich die persönliche Empfindung habe, als würde ich mich in etwas hineinstürzen, das Dimensionen annehmen könnte, die mich verletzen oder schädigen könnten. Das Potenzial ist vorhanden. Wenn ich also diese Schwelle zwischen neutralem Bürgersteig und Georges Treppe überwinde, bedeutet das, dass ich mir mein Grab schaufele?

Oder wäre es mein Ticket ins Glück?

„Ms Banks.“ Mit angenehmem Bariton lenkt der Mann am oberen Absatz der Treppe meine Aufmerksamkeit auf sich. Er trägt einen schwarzen Anzug, sieht aber dennoch sportlich aus. Sein Haar ist raspelkurz, sein Gesicht eine Maske, die weder unfreundlich noch allzu freundlich wirkt. Ich würde ihn als absolut respekteinflößend beschreiben. Doch viel dunkler als sein Anzug ist seine Hautfarbe, die es mir kaum ermöglicht, ihn im Zwielicht der Überdachung auszumachen. Ich weiß nicht, ob ich vor ihm weglaufen oder neugierig auf ihn zugehen soll.

„Ms Banks“, wiederholt er und tritt einen Schritt vor. „Wenn Sie möchten, dürfen Sie selbstverständlich gerne hochkommen.“

Wer auch immer er ist, distanzierte Höflichkeit scheint ihm eingeimpft worden zu sein. Um nicht wie der letzte Esel dazustehen, wage ich Schritt um Schritt nach oben. Dabei halte ich Blickkontakt zu ihm, versuche ihn einzuschätzen.

„Mr Bloomfield wartet schon auf Sie.“

„Mr Bloomfield?“

Er runzelt die Stirn und da er um einiges größer ist als ich, wirkt das abwertender, als er vermutlich beabsichtigt hat. „George“, erklärt er geduldig. „Er erwartet Sie drinnen.“

Weil ich endlich kapiert habe, wer Mr Bloomfield ist – Mann, wir haben uns echt nie über mehr als Sex unterhalten –, gewinnt sich der Riese ein angedeutetes Lächeln ab. Hurra, ich werde also nicht gefressen!

„Folgen Sie mir?“, fragt er und dreht den Kopf so, dass seine Frage nicht mehr streng, sondern freundlich klingt.

„Okay.“ Ich atme tief ein, als der Riese die Tür öffnet und mich eintreten lässt. Während ich den Flur, der in diesem Fall einer repräsentativen Eingangshalle gleicht, betrete, frage ich mich, was die Show mit dem Riesen soll und wo zur Hölle George ist. Ich wusste ja, dass mein Bauchgefühl mich nicht täuscht. Jetzt muss ich wohl oder übel mit der Konsequenz, nämlich alleine mit diesem Hulk hier rumzustehen, leben.

Doch gerade als dieses peinliche Schweigen zwischen uns epochale Ausmaße annimmt und ich lieber einen Schwächeanfall erleiden würde, als weiter hier zu stehen, taucht George auf. Erstaunlich gut gelaunt kommt er die Treppe herunter, grinst machohaft und zieht mich besitzergreifend in seine Arme. Er küsst mich, als würden wir uns schon immer so begrüßen. Der Riese besitzt nicht einmal so viel Anstand, den Blick abzuwenden, sondern gafft uns an, als würden wir diese Show nur für ihn abziehen. George scheint das nicht weiter zu stören, da er sogar so weit geht und meinen Arsch abtastet, als müsse er sich seiner Existenz dringlich überzeugen.

„Hey, Süße“, sagt er und zieht mit der Kuppe seines Daumens meine Unterlippe nach. „Freut mich, dass du hier bist.“

„Ähm … mich auch. Wer … er sieht uns an“, flüstere ich hoffentlich so leise, dass es Hulky-Boy nicht hören kann.

„Rufus“, stellt mir George den Kerl indirekt vor. „Mach dir um ihn keine Sorgen. Er arbeitet für mich.“

Gut, das erklärt einiges. Doch nur, weil ich nun weiß, welche Funktion der Typ hat, heißt es noch lange nicht, dass er etwas von seiner Autorität eingebüßt hat. „Was soll das alles? Diese Inszenierung?“

Mit einem kurzen Geräusch, das einem Pfiff ähnelt, verursacht durch George, empfiehlt sich der Typ. Überrascht leichtfüßig tänzelt er davon, sodass ich mich frage, wo er dieses ninjamäßige Kraftpaket aufgegabelt hat. Ob es für Reiche einen Markt für Angestellte mit Superkräften gibt?

„Ich möchte dir etwas zeigen“, sagt George sanft. „Vertraust du mir?“

Erstaunlicherweise antworte ich mit einem schnellen, selbstsicheren „Ja“. Ob es meiner Neugier oder blinder Dummheit geschuldet ist, kann ich nicht genau erörtern.

Einen Atemzug lang sieht George mich anerkennend an, als habe er mit einer völlig anderen Antwort gerechnet. Doch dann nimmt er meine Hand, umschließt sie mit seiner und führt mich auf eine Tür neben der Treppe zu. Dahinter verbirgt sich ebenfalls eine Treppe; eine geschwungene mit rotem Teppich ausgelegt und goldenen Teppichhaltern. An der Wand weisen uns Lampen mit warmem Licht den Weg und ich gebe zu, dass ich kurz innehalte, um mich zu fragen, was dort unten auf mich warten mag. Schon längst bin ich über die Illusion, heute ein nettes Date mit Essen und Wein zu erleben, hinweg. Was auch immer passieren wird, da er mich in einen Keller führt, wird es wohl äußerst speziell sein.

Doch George zeigt Einfühlungsvermögen, was mich überrascht. Sehr sogar, um ehrlich zu sein. Er dreht sich zu mir um, küsst meine Stirn und sagt: „Keine Angst, Süße. Es wird dir gefallen, sonst würde ich dich nicht mitnehmen.“

Seine Augen wirken tröstend, sein Lächeln ehrlich und als ich Stufe um Stufe mit ihm nach unten gehe, frage ich mich, was ich schon zu verlieren habe.

Nach der Treppe erstreckt sich ein Gang mit Glasvertäfelung an den Wänden. Auch hier wurde effektvoll für Licht gesorgt. Am Ende des Ganges ist eine massive Tür aus Holz, mit feinen Schnitzereien und einem robusten Messinggriff. Mein Entdeckergeist ist geweckt und ich schiebe die Tür auf, die genauso schwer ist, wie sie aussieht. Dahinter finde ich einen Raum, der mich an einen noblen Club erinnert. Eine Bar an der linken Seite und in Nischen eingelassene Sitzgruppen auf der rechten Seite. Dunkelrote Wände, die aussehen, als wären sie mit einem Tuch bespannt; ein glänzender Marmorboden. Ein süßlicher Duft nach Vanille und Rosenholz steigt in meine Nase und obwohl ich keinen blassen Schimmer habe, was das hier sein soll, finde ich es gemütlich. Ich bin regelrecht erleichtert, etwas so Banales wie eine Kellerbar im weitesten Sinne vor mir zu haben. Ich war schon auf einen Folterkeller eingestellt. Das hier aber ist … beruhigend.

„Eine Bar“, sage ich an George gewandt. Meine anfängliche Erleichterung beginnt sich aber Stück für Stück in Verunsicherung zu verwandeln. Mir wird nämlich klar, welch Aufsehen er um diesen Raum gemacht hat, was wohl bedeutet, dass ich mit der Annahme einer Bar nicht so ganz richtigliege. „Was mache ich hier?“

„Hier finden regelmäßig Veranstaltungen statt“, erklärt er und schlendert auf die Tür links neben der Bar zu.

Diese öffnet er und ein weiterer Gang erschließt sich mir. Das Haus ist der reinste Irrgarten. Perfekt für einen Serienkiller, wie mir einfällt, als George mir mit einem Kopfnicken deutet, ihm zu folgen.

„Veranstaltungen der besonderen Art. Vorne im Barbereich wird getrunken, geredet, getanzt und sich kennengelernt. Und hier“, verkündet er, während uns grob geschätzt sieben oder acht Türen umringen, „hier findet das wahre Spektakel statt. Die Leute, die hier herkommen, sind Freunde von mir, aber auch Unbekannte. Sie wollen Spaß haben.“

Mir bleibt jegliche Erwiderung, jegliche Frage, alles, was ich momentan fühle, im Halse stecken, als er die Tür zu seiner Rechten öffnet und dahinter ein mittelgroßer Raum mit Teppichboden, hellgrauen Wänden und einem Bett mit ledernem Kopfteil zum Vorschein kommt. Vor dem Bett wurde an der Decke etwas befestigt, das mich an eine Seilwinde erinnert; doch vermutlich ist auch das nicht der dienliche Zweck davon. Genauso wie das hier keine verdammte Bar ist. Mein Mund ist staubtrocken, so trocken, dass ich nicht einmal ein entrüstetes Röcheln zustande bringe. Doch George scheint den Augenblick nutzen zu wollen, da er den Raum einmal durchquert und einen weißen Schalter am Rahmen des Fensters drückt. Mit einem Mal kann ich den Barbereich sehen – die Gläser hinter der Decke, Tische, Stühle, alles jedoch etwas verschwommen, wie durch eine hauchdünne Nebeldecke.

Schlagartig wird mir klar, was das hier alles ist. Und obwohl alles so harmlos wirkt, ist es das nicht.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, spreche ich mit kratziger Stimme, die fast so klingt, als hätte ich die ganze Nacht durchgesungen.

George nickt, steckt sich die Hände in seine Hosentaschen und lehnt sich an die Wand hinter ihm. „Das verstehe ich. Es ist … das hat sich alles irgendwie ergeben. Zuerst …“

„Du willst, dass ich hier mitmache?“, unterbreche ich ihn schroff und gehe im Zimmer auf und ab. „Darum hast du mich doch hergebracht. Natürlich.“

„Süße“, erwidert er sanft und hebt beide Hände, „ich habe dich hergebracht, weil ich denke, dass es dir Spaß machen könnte.“

Ich lasse jedes seiner Worte auf mich wirken, beäuge parallel aber die Umgebung und suche nach irgendetwas, das mich sofort dazu bewegt, von hier zu verschwinden. Warum bin ich überhaupt noch hier? Ja, ich stehe auf Neues, doch das … keine Ahnung.

Alles sieht unheimlich sauber aus, irgendwie vertraut. Vielleicht liegt es auch an George, der mich mustert, als würde meine Meinung Berge versetzen können. „Lass mich raten: Junior Benchy ist auch Mitglied in deinem Sex-Swinger-Ekel-Club und hat Rose mitgebracht. Das war diese abscheuliche Sache, an der du beteiligt warst, von der sie mir nicht erzählen durfte. Nicht wahr?!“

An seinem Gesichtsausdruck kann ich ablesen, dass er sich meine Einführung in seine Welt etwas anders vorgestellt hat. Doch er nickt, und das, obwohl er sich ziemlich gestresst durch die Haare fährt. „Ich hänge die Existenz dieses Clubs nicht an die große Glocke. Es dürfen nur sehr wenige Auserwählte herkommen. Wenn jemand, so wie William es gemacht hat, eine Freundin oder Partnerin mitbringt, ist es seine Sache, sie davon zu überzeugen, dass sie die Klappe halten soll. Ich will keine Schwierigkeiten – es soll lediglich witzig sein.“

Immer wieder muss ich dieses Fenster betrachten und mich fragen, wie es sein muss, hier Sex zu haben, während einem die Leute da draußen zusehen können. Je länger ich mich dieser Vorstellung hingebe, desto verlockender erscheint sie mir. Verlockend, aber auch sehr, sehr abstrakt.

„Viele tragen Masken, um nicht erkannt zu werden“, erklärt er mir weiter. „Das macht es vielleicht einfacher, wer weiß.“

„Wie lange machst du das schon?“, frage ich und zeichne mit meinen Fingerspitzen das Muster auf der Bettdecke nach.

„Einige Jahre. Am Anfang war das bloß ein Treffpunkt für mich und meine Freunde. Irgendwann haben wir ausschweifende Partys gefeiert und Stück für Stück hat sich das alles so entwickelt.“

Das klingt irgendwie … greifbar. Ja, ich kann mir gut vorstellen, wie eine Gruppe Jungs eine Partylocation besitzt, um dort ein paar wilde Feten zu feiern. Es fließt Alkohol, Mädchen sind anwesend und schon ergibt sich das ein oder andere. George ist ein Mann, der äußerst offen und direkt ist – übrigens etwas, das uns deutlich verbindet –, wenn er den Partys also den perfekten Schliff geben möchte, warum dann keine Schlafzimmer einbauen, um den Weg zu verkürzen und die Neugier aller anderen zu wecken. Und Leute stehen nun einmal auf außergewöhnliche Dinge, vor allem, wenn sie eine Maske tragen und sie nach ihrem Brotjob abends alle Hüllen fallen lassen können.

„Du musst nichts machen, was du nicht möchtest. Ich würde mich freuen, wenn du dir heute Abend einfach einmal einen Überblick verschaffst.“

„Heute Abend?! Du verstehst es wirklich, einen ins kalte Wasser zu schmeißen.“

Wenn ich mich bis jetzt auch für ziemlich cool und unerschütterlich hielt, so merke ich nun doch, wie meine Beine leicht zittern und ich den Barbereich mit großem Argwohn betrachte. Klar klingt das Angebot auf eine gewisse Art verlockend, doch ich habe Angst, dass ich einen Schritt zu weit gehe und zu tief in etwas gezogen werde, das ich nicht genau einschätzen kann. Zu intim mit George verbunden, der geduldig in meine Richtung blickt und keine Miene verzieht.

„Was ist der Preis hierfür?“, frage ich und vollführe mit meinen Händen eine Kreisbewegung, die uns beide und die Räumlichkeiten einschließt.

„Du meinst, ob du mir deine Seele verkaufst, wenn du zustimmst?“

„Ja.“

„Nein, das tust du nicht. Es dient deinem Vergnügen und du kannst gehen, wohin und wann immer du willst.“ Er kommt einen Schritt auf mich zu, wirkt nun plötzlich ziemlich entschlossen. „Du bist eine Frau, die genau weiß, was sie möchte und was nicht. Es wird dir Spaß machen.“

„Gut, ich bin dabei“, verkünde ich rasch, bevor ich es mir anders überlege und nach Hause laufe, um mich unter meiner Bettdecke zu verstecken.

Wer weiß, möglicherweise ist es der beste Weg, um zwischen George und mir eine klare Linie zu ziehen. Alles, was ich wollte, war eine unverbindliche Bekanntschaft, und genau die verspricht es nun zu werden.

Auf seinem Gesicht taucht ein anerkennendes Lächeln auf und die Art, wie er meine Wange berührt, mag auf den ersten Blick intim sein, doch ich weiß, dass da nichts ist. Gar nichts. Bloßes momentanes Interesse. Und das ist gut so.

„Toll, Süße. Die Leute werden bald hier sein – wenn du möchtest, kannst du dich noch ein wenig umsehen. Ich muss ein paar Dinge erledigen. Wir treffen uns dann gleich in der Bar. Okay?“

Ich nicke und lasse meinen Blick erneut zum Fenster schweifen, während ich tief einatme. George beugt sich vor und küsst mich ganz sanft. Als er weg ist, kann ich sein Parfum in dem kleinen, stickigen Raum riechen – ein herber Duft, der mich an Kiefern erinnert. Ich spüre seine Berührung, fühle mich darin eingehüllt wie in einen warmen Mantel, den man sich, um die Post aus dem Briefkasten zu holen, schnell überwirft und der einen erstaunlich gut vor der akuten Kälte schützt. Ich bin alleine, doch nicht schutzlos den Menschen, die in wenigen Augenblicken hier sein werden, ausgeliefert. Denn George wird an meiner Seite sein und egal, wie unser Verhältnis auch sein mag, er wird für mich da sein und hey, das ist immerhin beruhigender als die Vorstellung, alleine zu Hause zu hocken und meinem Vater mein Saufen zuzusehen.