Nina Horaczek, Sebastian Wiese

GEGEN VORURTEILE

Wie du dich mit guten Argumenten
gegen dumme Behauptungen wehrst

Federschwert

Nina Horaczek, Sebastian Wiese

GEGEN VORURTEILE

Wie du dich mit guten Argumenten
gegen dumme Behauptungen wehrst

Czernin Verlag, Wien

Produziert mit Unterstützung der Stadt Wien MA 7/ Kultur – Wissenschafts- und Forschungsförderung und des Zukunftsfonds der Republik Österreich

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personen nicht durchgängig die männliche und weibliche Form angeführt. Gemeint sind selbstverständlich immer beide Geschlechter.

Horaczek, Nina; Wiese, Sebastian: Gegen Vorurteile. Wie du dich
mit guten Argumenten gegen dumme Behauptungen wehrst /
Nina Horaczek; Sebastian Wiese
Wien: Czernin Verlag 2017
ISBN: 978-3-7076-0608-9

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe
in Print- oder elektronischen Medien

Inhalt

Vorwort

1. Was ist ein Vorurteil?

2. Ausländer kosten mehr, als sie bringen

3. Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg

4. Ausländische Sozial­touristen nutzen unseren Staat aus

5. Ausländer kriegen viel mehr Kinder als wir

6. Ausländer sind viel weniger gebildet als wir

7. Ausländer sind viel krimineller als wir

8. Die Jugend wird immer gewalttätiger

9. Wir können nicht alle Flüchtlinge aufnehmen

10. Es kommen nur Wirtschaftsflüchtlinge zu uns

11. Die Asylwerber kriegen alles und wir nichts

12. Die Flüchtlinge sind alle ungebildet

13. Die Flüchtlinge vergewaltigen unsere Frauen und Kinder

14. Islamische Staaten sollen die muslimischen Flüchtlinge aufnehmen

15. Unsere Großeltern haben ihr Land auch selbst aufgebaut

16. Frauen sind doch längst gleichberechtigt

17. Der Islam hat in Europa nichts verloren

18. Das Kopftuch ist ein politisches Symbol

19. Wer ein Kopftuch trägt, will sich nicht integrieren

20. Der Islam ist eine kriegerische Religion

21. Wir dürfen in islamischen Staaten auch keine Kirchen bauen

22. Bei uns gilt sogar schon die Scharia

23. Die EU ist undemokratisch

24. Die EU ist ein Verwaltungsmoloch

25. Die EU schikaniert uns mit sinnlosen Verboten

26. Homosexualität ist eine Krankheit

27. Bei den Nazis war nicht alles schlecht

28. Den Holocaust hat es nie gegeben

29. Die Auschwitzlüge: Das wird man ja noch sagen dürfen!

Glossar

Anmerkungen und Literatur

Vorwort

Vorurteile erleichtern das Leben, sagen die einen. Sie erschweren unser Zusammenleben, antworten die anderen. Jeder hat sie, meinen die Ehrlichen. Aber immer nur die anderen, gestehen die ganz Ehrlichen.
Kaum jemand hat bewusst und absichtlich Vorurteile. Oft entstehen sie, weil man falschen Informationen vertraut. Diese lauern in Zeiten von »Fake-News« und »alternativen Fakten« zuhauf in sozialen Netzwerken und Internetmedien.
Erkennt man eine Meinung als Vorurteil, empfindet man sie als zu kurz gedacht, als falsch, vielleicht sogar als dumm. So weit, so einfach, der Knackpunkt ist bloß: Wie lässt sich ein Vorurteil erkennen?
Davon handelt dieses Buch. Es liefert Informationen zu den gängigsten Vorurteilen. Es soll helfen, die eigenen Vorurteile zu erkennen. Es soll Nachschlagewerk und Unterstützung in politischen Debatten sein. Und es soll vor allem eines zeigen: dass die einfachen Antworten oft nicht die richtigen sind. Dass es sich lohnt, nachzufragen und sich seine eigene Meinung zu bilden.

1. Was ist ein Vorurteil?

Jeder Mensch hat Vorurteile. Das bedeutet aber nicht, dass wir Vorurteilen einfach freien Lauf lassen sollen. Denn Vorurteile sind vorgefasste Meinungen, die ganze Gruppen ungerecht beurteilen. Wer Vorurteile hat, denkt ohne ausreichenden Grund schlecht über andere. Gerade das macht Vorurteile gefährlich. Denn wer schlecht über andere denkt, richtet auch sein Handeln danach aus. Auf lange Sicht führen Vorurteile so zu Diskriminierung. Außerdem passen sich die Opfer von Vorurteilen oft an das Vorurteil an. So rechnen Mädchen, denen man sagt, dass Burschen in Mathematik besser sind, tatsächlich schlechter als Mädchen, die von diesem Vorurteil nichts »wissen«. Manchmal bewirkt also erst das zunächst völlig falsche Vorurteil, dass es später einmal wirklich zutrifft.

Wie unterscheidet sich ein Vorurteil von einem Urteil? Und wieso machen Vorurteile blöd?

Ein Vorurteil ist eine Meinung, die vor dem Urteil steht, also noch nicht endgültig ist. Es ist ein Zwischenergebnis, eine vorläufige Meinung, bevor man sich ein endgültiges Urteil gebildet hat.

So gesehen wären Vorurteile veränderbar. Der alltäglichen Erfahrung entspricht das nicht. »Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom«, erklärte schon der Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein.

Vorurteile werten – positiv oder negativ. Sie sind Wertungen, die breit akzeptierten Maßstäben widersprechen:

• der Rationalität, also dem Gebot, zunächst gewissenhaft zu prüfen und dann zu urteilen. Vorurteile sind vorschnelle Schlüsse aus Einzelbeobachtungen;

• der Gerechtigkeit, weil der Meinungsträger mit seiner Äußerung über einzelne Menschen oder Gruppen nach anderen Maßstäben urteilt als über sich selbst;

• der Mitmenschlichkeit, weil der Äußerung das gesellschaftlich akzeptierte Mindestmaß an Toleranz, Mitgefühl und Verständnis für andere fehlt.1

Vorurteile sind »stabile negative Einstellungen gegenüber einer anderen Gruppe bzw. einem Individuum, weil es zu dieser Gruppe gerechnet wird«.2

Um diese Definition zu vereinfachen, muss man sich bloß überlegen, was man tut, wenn man ein Vorurteil hat: von anderen schlecht denken – ohne ausreichende Begründung. Fein ist das nicht. Wer an sich selbst etwas höhere Ansprüche stellt, wird lernen müssen, seine eigenen Vorurteile zu erkennen und zu hinterfragen.
Vorurteile haben gemeinsame Charakteristika:

1. Sie beziehen sich stets auf Gruppen, zum Beispiel auf »die Homosexuellen«, »die Ausländer«, »die Muslime«, »die Frauen«, »die Türken«.

2. Vorurteile beziehen sich immer auf die anderen. Dass etwa »die Ausländer« kriminell seien, wird man in dieser Pauschalität wohl bloß von Inländern zu hören bekommen. Zum Wesen eines Vorurteils gehört auch, Angehörigen einer Gruppe bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, sogenannte Stereotype.

3. Vorurteile entstehen, wenn von Einzelfällen auf die Allgemeinheit geschlossen wird. Verstärkt wird dieser Effekt durch die Neigung des Menschen, über Mitglieder der eigenen Gruppe gnädiger zu urteilen als über jene fremder Gruppen. Das hängt auch damit zusammen, dass man sich in die Lage von Menschen der eigenen Gruppe besser hineindenken kann als in jene fremder Gruppen.

4. In Vorurteilen steckt meistens ein Körnchen Wahrheit. Schließlich findet sich zu jedem Vorurteil eine Person, die dem darin transportierten Klischee entspricht. Das Vorurteil entsteht aber durch Verallgemeinerung (Generalisierung) und vorschnell gezogene (falsche) Schlüsse aus einer an sich richtigen Einzelbeobachtung. Ein Vorurteil schließt vom Einzelnen auf die Gesamtheit.

Lesen wir zum Beispiel einen Zeitungsartikel über häusliche Gewalt in einem inländischen Haushalt, differenzieren wir gedanklich nach sozialer Schicht, Alter, belasteten Wohngegenden usw., ohne auf den Gedanken zu kommen, »unseren« Männern pauschal Gewalttätigkeit zu unterstellen. Lesen wir denselben Zeitungsartikel über ein tunesisches Ehepaar, tendieren wir rasch dazu, »die Tunesier« oder »die Muslime« generell für gewalttätiger zu halten (sofern wir selbst weder aus Tunesien stammen noch Muslime sind).

Hinzu kommt, dass wir alle dazu neigen, Mitglieder fremder Gruppen nicht nur stereotyper (generalisierender) zu beurteilen als Mitglieder der eigenen Gruppe, sondern auch negativer. Wir wissen nicht nur weniger über »die anderen«, wir können uns auch weniger in sie hineinversetzen und sagen deshalb ihr Verhalten schlechter vorher.

Vorurteil und Wirklichkeit

Eine Studentin an der Universität Wien hat 2002 im Rahmen ihrer Diplomarbeit ein spannendes Experiment zum Thema Vorurteile durchgeführt.3 Zuerst ließ sie ihre Versuchspersonen selbst einschätzen, ob sie über Kriminalität gut informiert sind. Dann mussten sie schätzen, wie viele Prozent aller Straftaten in Österreich von Ausländern begangen werden. Personen, die von sich behaupteten, über Ausländerkriminalität gut informiert zu sein, schätzten den Ausländeranteil an der Gesamtkriminalität besonders hoch ein. Nach eigenen Angaben uninformierte Personen schätzten den Ausländeranteil zwar noch immer zu hoch, aber durchgehend niedriger und damit realistischer ein als die angeblich gut informierten. Das legt nahe, dass Menschen, die in Zeitungen und im Fernsehen viel über Kriminalität von Ausländern lesen, ein überzeichnetes Bild der Ausländerkriminalität bekommen.

Dann wurden die Befragten nach dem Anteil an Ausländern bei kinderpornografischen Verbrechen befragt. Hier schätzten diejenigen, die meinten, über Kriminalität gut informiert zu sein, den Ausländeranteil auf 32,8 Prozent, die Uninformierten immer noch auf 27,57 Prozent. Tatsächlich ist gerade dieses Delikt fest in der Hand inländischer Täter: Der Ausländeranteil betrug 2007 gerade einmal 3,35 Prozent.

Besonders spannend wurde der Versuch, als die Befragten auch eine Geschichte zum Delikt hörten und danach schätzen mussten, wie wahrscheinlich der Täter ein Ausländer war. Nach der Aufforderung, sich vorzustellen, dass man eine Ansammlung von Polizisten vor einem Haus sehe und die Auskunft erhalte, in einer Wohnung des Hauses sei kinderpornografisches Material gefunden worden, stiegen die Schätzwerte bereits zulasten der Ausländer. Auch wer sich vorstellte, dass man einen Ausländer mit »sehr teurem Auto […], sehr elegantem, teurem Anzug« und einer »wertvollen Uhr« gesehen habe, schätzte viel häufiger als zuvor, dass der Täter eines Betrugs Ausländer sei.

All das legt den Schluss nahe, dass der subjektive Eindruck der Befragten zur Ausländerkriminalität weitaus stärker gefühlsbeeinflusst als faktenbasiert ist. Offenbar spielen Polarisierung und Wir-Gefühl, Imaginationen und negative Emotionen eine gewichtige Rolle bei der Wahrnehmung von Ausländerkriminalität.

Warum kümmern uns Vorurteile überhaupt? Es gibt doch immer irgendwen, der von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denkt. Ganz falsch ist das nicht. Aber dieser Zugang zu Vorurteilen ignoriert einen großen Unterschied zwischen einem »echten« Vorurteil und dem simplen Umstand, dass es selbst der netteste Zeitgenosse nicht allen Nachbarn und Mitschülern recht machen kann. Das ruft nämlich meist nur die negative Meinung einiger weniger hervor. Ein »echtes« Vorurteil wird hingegen oft von großen Teilen einer Gesellschaft getragen. Das Zielobjekt eines Vorurteils ist in einer besonders belastenden Situation: Es ist nicht bloß einer, sondern es sind viele, die schlecht über das Opfer eines Vorurteils denken.

Auch handelt es sich bei einem Vorurteil nicht um ein negatives Bild über einen einzelnen Menschen, sondern um eine schlechte Meinung über eine ganze Gruppe, also über eine Vielzahl an Individuen. Und das meist allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit. Problematisch ist das insbesondere, weil es auf Dauer nicht beim (negativen) Urteil in unseren Köpfen bleibt, sondern sich diese Urteile auf unser Verhalten auswirken.

Ist ein Vorurteil in einer Gesellschaft weit genug verbreitet, wird später aus dem Vorurteil sehr wahrscheinlich eine tatsächliche Benachteiligung für die Opfer des Vorurteils entstehen. Sie werden diskriminiert.

Manche Wissenschaftler sehen im Vorurteil sogar den ersten Schritt zur gewollten Vernichtung seiner Opfer. Die ihnen innewohnende Diskriminierung führt ihrer Meinung nach schleichend dazu, dass das Eigentum der diskriminierten Gruppe nicht mehr geachtet wird. Diese Phase der Enteignung münde schließlich in eine Phase der körperlichen Gewaltanwendung. Am Ende dieser Entwicklung stehe die physische Vernichtung der Zielgruppe durch Ermordung ihrer Angehörigen.

VOM STEREOTYP ZUR DISKRIMINIERUNG

Stereotyp

Gefühl

Diskriminierung

Muslime haben einen anderen Umgang mit Frauen.

Ich lehne ab, wie Muslime mit Frauen umgehen. Sie sind frauenfeindlich.

Mit einem muslimischen Freund kommt mir meine Tochter (Schwester) nicht ins Haus.

Ausländer sind öfter kriminell.

Ich mag keine Ausländer, weil sie kriminell sind.

Ausländer gehören abgeschoben oder weggesperrt.

Ausländer sind öfter arbeitslos.

Ich mag keine Ausländer, weil sie faul sind.

Einem Ausländer würde ich nie einen ordentlichen Job geben.

Jugendliche aus Südosteuropa geben sich besonders cool.

Mit Jugendlichen aus Südosteuropa gibt es ständig Probleme.

Jugendliche aus Südosteuropa dürfen nicht in unsere Disco.

Schwarze sind anders.

Ich respektiere Schwarze nicht als gleichwertig.

Einen Schwarzen würde ich nur für einfache Arbeiten einstellen, selbst wenn er Akademiker ist.

Oft wird diese Theorie am Beispiel des Schicksals der europäischen Juden erklärt. Jahrhundertelang waren sie Ziel von diffusen Vorwürfen und Vorurteilen. Ihre Diskriminierung begann im Mittelalter, etwa indem ihnen lediglich in besonders ausgewiesenen Gebieten, den Ghettos, das Ansiedeln erlaubt war. Sie erreichte 1935 mit den Nürnberger Rassengesetzen der Nationalsozialisten einen ersten Höhepunkt.4 Dieser Vorgang steigerte sich in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre zu einer Phase, in der jüdisches Vermögen systematisch »arisiert« wurde, also die Juden enteignet wurden. Die jahrhundertealten Vorurteile gegen Juden gipfelten schließlich in der planmäßigen Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten.

Das Beispiel der Judenvernichtung ist ein Extrembeispiel für jene Gefahr, die von Vorurteilen ausgeht. Dieses drastische Beispiel darf aber nicht davon ablenken, dass Vorurteile ihr Gift schon viel eher heimlich entfalten. Mit ihren (Ab-)Wertungen ordnen sie manche Gruppen als »wertvoller« und andere als »minderwertiger« ein. Diese Wertungen nehmen auch die Opfer eines Vorurteils wahr. Schon in den 1940er-Jahren zeigten beispielsweise Experimente in den USA, dass die überwiegend positive Bewertung heller Hautfarbe und die negative Bewertung dunkler Hautfarbe quer durch alle Bevölkerungsgruppen auch kleinsten Kindern vermittelt wird. Wissenschaftler boten zufällig ausgewählten Kindern hell- und dunkelhäutige Puppen zum Spielen an. Aus dem Aufbau des Experiments war klar, dass die Kinder jeweils zur nach ihrer Bewertung »besseren« Puppe greifen würden. Die meisten Kinder bevorzugten Puppen mit heller Hautfarbe. Selbst die Kinder dunkler Hautfarbe griffen viel häufiger zu hellhäutigen als zu dunkelhäutigen Puppen, auch sie beurteilten Puppen heller Hautfarbe offenbar als »besser«. Diese dunkelhäutigen Kinder »lernten« schon früh, dass sie selbst »schlechter« sind als Menschen mit heller Hautfarbe.5

Inzwischen ist auch wissenschaftlich belegt, dass Vorurteile dumm machen. Wie das funktioniert? Vorurteile sind zwar falsch. Wenn sie lange genug bestehen, sorgen aber ihre Opfer dafür, dass sie richtig werden. Denn die Opfer passen sich unbewusst den Vorurteilen an.

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hat für eine Studie gleichlautende Bewerbungen an unterschiedliche Unternehmen in Deutschland geschickt – ohne Foto des Bewerbers. Einziger Unterschied: die Namen der Bewerber. Für einen Teil der Bewerbungen benutzten die Studienautoren Namen, die besonders »deutsch« klangen, also vom Leser überwiegend mit einer Person ohne Migrationshintergrund und mit deutschen Vorfahren verbunden werden (z.B. Tim Schultheiss). Die übrigen Bewerbungen versandten sie mit Namen, die auf einen Migrationshintergrund hindeuten (z.B. Ahmed Aydin). Ergebnis: Tim musste im Durchschnitt vier Bewerbungsschreiben absenden, um zu einem Vorstellungsgespräch als Kfz-Mechatroniker eingeladen zu werden, Ahmed hingegen sieben.6

Die Folgen davon? Bewerber mit Migrationshintergrund erhalten bei gleicher Qualifikation schwerer einen Job als ihre Mitbewerber und sind infolgedessen eher von Arbeitslosigkeit bedroht. Wer öfter arbeitslos ist, hat in der Regel ein niedrigeres Durchschnittseinkommen. Je niedriger das Durchschnittseinkommen eines Bevölkerungsteils, desto höher die Kriminalitätsrate. Die Diskriminierung von Bewerbern mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt erhöht also auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese Bevölkerungsteile eine höhere Kriminalitätsrate aufweisen. Dieser Hintergrund interessiert den Durchschnittsfremdenfeind natürlich nicht. Für ihn zählt allein die höhere Kriminalitätsrate. Sie bestätigt, was er schon immer gewusst haben will: »Ausländer sind nicht nur fauler, sondern auch krimineller als wir.« So wird ein Vorurteil zur selbst erfüllenden Prophezeiung.

Ausländerfeindlichkeit macht dumm

Der Psychologe Markus Appel hat Jugendliche mit Wahlplakaten konfrontiert, die Slogans wie »Sozialstaat statt Zuwanderung«, »Daham statt Islam« (»daham« ist österreichisch für »zu Hause«) und »Deutsch statt nix verstehn« enthielten. Vor und nach Betrachten dieser Plakate mussten die Jugendlichen schwierige Denkaufgaben erfüllen. Testpersonen mit Migrationshintergrund schnitten nach Betrachten der Plakate schlechter ab als davor. Ihre Denkleistung verminderte sich durch die Konfrontation mit Vorurteilen um 6 Prozent. Wurden sie nicht mit diesen ausländerfeindlichen Slogans konfrontiert, blieb ihre Leistung unverändert. Auf die Denkleistung von Jugendlichen ohne Migrationshintergrund hatten die Sprüche keinen Einfluss.7

Lange hatte man angenommen, dass Mädchen durchschnittlich weniger mathematisch begabt seien als Buben. Noch beim PISA-Test im Jahr 2006 hatte der Unterschied zwischen Mädchen und Buben in der Mathematik 20 Punkte betragen. Neuere Studien zeigen, dass Mädchen durchaus dasselbe mathematische Talent aufweisen wie Buben. Eine unter 500.000 Schülern in 69 Ländern durchgeführte Studie zeigte, dass Mädchen umso bessere Ergebnisse erzielten, je besser die Chancengleichheit der Geschlechter in ihrem Land ausgeprägt war. Eine Gesamtschau der neueren Studien zeigt, dass Mädchen nur dann schlechter als Buben rechnen, wenn sie selbst glauben, dass sie schlechter seien.8 Mit anderen Worten: Mädchen verlernen das Rechnen, wenn man sie glauben lässt, dass sie mathematisch weniger begabt sind. Vorurteile gefährden also die Intelligenz. Ungerechterweise aber jene der Opfer.

2. Ausländer kosten mehr, als sie bringen

Welches Ergebnis man bei einer Kosten-Nutzen-Rechnung über Ausländer erzielt, hängt immer davon ab, welche Faktoren man in die Rechnung einbezieht. Die meisten Studien errechnen jedenfalls positive wirtschaftliche Effekte für den Sozialstaat. Fest steht: Je höher die Ausbildung, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit einer bezahlten Beschäftigung und desto mehr »Nutzen« erzielt ein Ausländer für den Staat. Denn eine positive Bilanz kann nur vorweisen, wer am Arbeitsmarkt aktiv ist – das gilt für Ausländer und Inländer gleichermaßen.

Spitäler, Kindergärten, Schulen, Unis, Sozialhilfe und vieles mehr gibt es nicht nur für Inländer, sondern auch für Migranten. Das verursacht Kosten. In einer Umfrage des European Social Survey in Österreich sagten nur 7 Prozent der Befragten, dass Ausländer mehr in die Sozialtöpfe einzahlen, als sie erhalten, während 30 Prozent meinten, Ausländer kassieren mehr Geld aus Sozialleistungen, als sie ins System einzahlen. Wer hat recht?

Auf die Frage, was Ausländer den Staat kosten, gibt es viele Zahlen, aber keine einfache Antwort. Denn wie misst man den wirtschaftlichen Nutzen oder Schaden des Einzelnen für die Gesellschaft? Und was kostet ein Mensch und was bringt er ein?

Prinzipiell gilt, dass der Mensch in den verschiedenen Phasen seines Lebens unterschiedlich viel oder wenig für die Allgemeinheit erwirtschaften kann. Wer zur Welt kommt, »kostet« erst einmal: die ärztliche Betreuung der Mutter während der Schwangerschaft, die Spitalskosten für die Geburt, Familienleistungen wie Kindergeld, staatliche Ausgaben für Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, eventuell Universität, und während dieser Zeit natürlich auch Krankenversicherung. Dem steht das bisschen Geld gegenüber, das Kinder und Jugendliche an Steuern zahlen, etwa Umsatzsteuer, wenn sie sich mit ihrem Taschengeld ein Eis oder eine Limonade kaufen. Die ersten Jahre ist der Mensch also ein Verlustgeschäft für den Staat.

Das ändert sich in dem Moment, in dem ein Mensch auf dem Arbeitsmarkt aktiv wird. Dann dreht sich die Bilanz, denn jeder Unternehmer und jeder Arbeitnehmer hilft durch seine Steuern und Abgaben mit, die Staatskassen zu füllen.

Am Ende eines Lebens nimmt der wirtschaftliche »Wert« eines Menschen wieder ab: Dann zahlt die Allgemeinheit diesen Menschen Pensionen und Renten dafür, dass sie gearbeitet und Pensionsbeiträge einbezahlt haben. Alte Menschen sind auch öfter krank und brauchen Pflege, die finanziert werden muss. Der in Zahlen ausgedrückte »Wert« eines Menschen verändert sich also im Laufe eines Lebens.

Bei Ausländern kommt noch ein anderes Kriterium hinzu: Ob Zuwanderer das Sozialwesen belasten oder entlasten, hängt davon ab, aus welchem Grund sie hier sind. Wer als Asylwerber kommt, um aus humanitären Gründen bei uns Schutz zu suchen, verursacht zuerst einmal Kosten. Während des Asylverfahrens haben Asylwerber kaum Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Allgemeinheit muss deshalb bis zum Abschluss des Asylverfahrens für ihren Lebensunterhalt aufkommen.

Mehr als die Hälfte der Bezieher der sogenannten Bedarfs­orientierten Mindestsicherung (der früheren Sozialhilfe) lebt in der österreichischen Hauptstadt Wien. Dort bezogen 2015 insgesamt 180.646 Personen Mindestsicherung. 57 Prozent der Bezieher waren österreichische Staatsbürger. Der Anteil von anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzbedürftigen an allen Mindestsicherungsbeziehern in Wien stieg von 13,4 Prozent 2014 auf 17,4 Prozent 2015. Nicht-Österreicher, die diese Sozialleistung bezogen, waren:

• 1. Menschen mit nicht-geklärter Staatsangehörigkeit

• 2. Türken

• 3. Serben

• 4. Syrer

• 5. Afghanen

• 6. Polen

• 7. Rumänen

• 8. Russen

• 9. Bulgaren.

Nur 10 Prozent aller Mindestsicherungsbezieher erhielten den vollen Betrag von 837,76 Euro pro Person. Der durchschnittliche Bezug betrug 311 Euro pro Person. Insgesamt gab Wien 2015 544 Millionen oder 4,2 Prozent des Gesamtbudgets für die Mindestsicherung aus.

Im April 2016 bezogen in Deutschland 5,93 Millionen Menschen Arbeitslosenunterstützung. 1,541 Millionen Ausländer waren Hartz-IV-Empfänger, das sind um 12,4 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Insgesamt stammt jeder vierte Hartz-IV-Bezieher aus dem Ausland. Die starke Zunahme ausländischer Unterstützungsbezieher ist eine Konsequenz der vielen Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland kamen. Die Zahl der Syrer, die Hartz IV beziehen, stieg binnen eines Jahres um 195,1 Prozent auf mehr als 242.000, jene der Eritreer um 229 Prozent auf 16.700. Insgesamt verringerte sich die Zahl der Bezieher von 2015 auf 2016 um 70.900 Personen oder 1,2 Prozent, was vor allem auf die sinkende Zahl der deutschen Bezieher zurückzuführen ist (zu Ausländern und Arbeit siehe Kap. 3).

In Österreich zahlten Ausländer 2015 ungefähr 5,3 Milliarden Euro an Sozialbeiträgen ein, haben aber nur Sozialversicherungsleistungen in der Höhe von 3,7 Milliarden bezogen. Im Gegensatz dazu zahlten österreichische Staatsbürger 50,5 Milliarden Euro ein, erhielten aber 57,6 Milliarden Euro an Sozialversicherungsleistungen. Pro Kopf bekamen Österreicher um 970 Euro mehr, als sie einzahlten, Ausländer um 1.490 Euro weniger. Zu diesem Ergebnis kamen Experten des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und des österreichischen Sozialministeriums.9

Bei der Arbeitslosenversicherung und bei Familienleistungen profitierten hingegen Ausländer mehr als Inländer. Sie zahlten 600 Millionen Euro in die Arbeitslosenversicherung ein, bekamen aber 800 Millionen ausbezahlt. Bei den Familienleistungen bekamen sie eine Milliarde heraus, zahlten aber nur 600 Millionen ein.

Anders ist das Bild bei den Pensionen. 2015 zahlten Ausländer 2,8 Milliarden als Altersvorsorge ein, bezogen aber nur 1,1 Milliarden Euro.

Dass Ausländer mehr Sozialversicherungsbeiträge einzahlen, als sie erhalten, liegt vor allem daran, dass sie durchschnittlich um einiges jünger sind als die inländische Bevölkerung. Nichts kommt den Staat günstiger als Arbeitskräfte, für deren teure akademische Ausbildung ein anderer Staat zahlen musste, die frisch auf seinen eigenen Arbeitsmarkt kommen und noch weit vom Pensionsalter entfernt sind. Falls ihr Potenzial genutzt wird. Denn der ausländische Herr Doktor, der Taxi fährt, oder die Biochemikerin, die als Putzfrau arbeitet, sind zwar traurige Realität, aber vergeudetes Potenzial.

In Deutschland hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im November 2014 eine Untersuchung vorgelegt. Darin wird berechnet, welche Sozialleistungen Ausländer im Jahr 2012 inklusive der Ausgaben für Bildung erhalten und wie viele Steuern und Abgaben sie im gleichen Jahr dem Staat überwiesen haben. Das Ergebnis: Pro Ausländer bleiben dem deutschen Staat jedes Jahr 3.300 Euro mehr im Steuertopf, als er den Staat kostet. 2012 zahlten alle Ausländer in Deutschland insgesamt 22 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben.

Diese Berechnungen erfolgten sehr vorsichtig. Es wurden nur Beiträge von Menschen einbezogen, die nicht deutsche Staatsbürger sind. »Nähme man noch jene ausländischen Mitbürger hinzu, die die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben, würde der fiskalische Nutzen mit großer Wahrscheinlichkeit noch höher ausfallen, da dieser Personenkreis im Durchschnitt ökonomisch erfolgreicher ist als die Gruppe der Ausländer«, schreibt der Studienautor.10

Würde mehr in die Bildung von Migranten investiert, würde dieser Wert noch weiter steigen. Denn wer besser qualifiziert ist, bekommt meist besser bezahlte Jobs und zahlt dadurch auch mehr Steuern. Der durchschnittliche Deutsche bringt dem Staat durchschnittlich jährlich übrigens etwa 4.000 Euro Gewinn – nicht zuletzt aufgrund der besseren Qualifikation.

Es gibt aber auch andere Stimmen: Der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn kommt anhand derselben Daten zu einem ganz anderen Ergebnis. Er kritisiert, dass in dieser Berechnung nur die allgemeinen Ausgaben des Staates auf den einzelnen Bürger umgelegt und abgezogen werden. In seiner Berechnung, die auch Kosten für Straßenbau und Landesverteidigung einbezieht, fällt der »Wert« eines Ausländers von einem Plus von 3.300 Euro auf ein Minus von 1.800 Euro. Aber Straßen müsste Deutschland auch ohne Ausländer bauen. Und die Landesverteidigung wäre ohne Migranten auch nicht billiger – die deutsche Grenze bleibt schließlich gleich lang, egal wie viele Ausländer sich im Landesinneren befinden.

Auch was den Bezug von Sozialleistungen betrifft, findet sich kein eindeutiges Ergebnis zugunsten oder zulasten von Ausländern. Eine Studie des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts anhand von Daten aus dem Jahr 2009 stellt zwar fest, dass ausländische Haushalte in Österreich pro Jahr durchschnittlich um 2.391 Euro weniger aus der Kranken-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung erhalten als inländische Haushalte. Bei Kindergeld und Sozialhilfe würden sie hingegen im Durchschnitt um 319 Euro mehr kassieren. In Deutschland ist die Situation wieder anders: Dort würden, so das Ergebnis der Studie, Migrantenhaushalte im Durchschnitt gar um 7.194 Euro mehr an staatlichen Leistungen pro Jahr erhalten als inländische Haushalte.

Was kosten uns die Flüchtlinge?

Im Jahr 2016 musste Deutschland für die vielen neu ins Land gekommenen Flüchtlinge 21,7 Milliarden Euro aufwenden. Für 2017 sind 21,3 Milliarden Euro prognostiziert. In Österreich fielen nach Angaben des Finanzministeriums in den Jahren 2015 und 2016 Mehrkosten von 1,4 Milliarden Euro an. Der Budgetentwurf für 2017 plant 2,055 Milliarden Euro für Asyl, Flüchtlinge und Integration ein.

Ziemlich viel Geld. Flüchtlinge werden den Staat auch noch länger mehr kosten als an Geld einbringen. Das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut an der Universität zu Köln hat im Februar 2016 eine Studie über die Finanzierung der Flüchtlingspolitik veröffentlicht, in der nicht nur die kurzfristigen Kosten während des Asylverfahrens berechnet wurden, sondern auch die langfristigen Kosten für Integration. Das Ergebnis: Für jeden Flüchtling, der in Deutschland bleiben darf, muss der Staat Mehrkosten von etwa 12.000 Euro pro Jahr kalkulieren.

Allerdings kosten Flüchtlinge nicht nur, sie bringen auch Geld in die Staatskassen. Nach Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln kann das deutsche Bruttoinlandsprodukt durch den Zustrom Hunderttausender Menschen bis 2020 um insgesamt rund 90 Milliarden Euro steigen. Aufgrund der vielen Flüchtlinge, die ins Land kamen, schätzen die Forscher, dass die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland im Jahr 2020 um 1 Prozent höher sein wird, als dies ohne die Aufnahme der Flüchtlinge der Fall gewesen wäre. Gleichzeitig prognostizieren sie, dass die gesamtwirtschaftliche Leistung im Jahr 2020 um 1 Prozent oder 30 Milliarden Euro höher sein wird als ohne die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge.

In Österreich kostet ein Asylwerber den Staat pro Jahr durchschnittlich 10.724 Euro. Das hat die Forschungsgesellschaft Joanneum Research im Auftrag von Caritas und Rotem Kreuz in einer Studie über die ökonomischen Effekte von Asylberechtigten in Österreich berechnet. Allerdings zeigt sich über die Jahre (die Studie hat die Erwerbssituation von 65.000 Flüchtlingen, die zwischen 2000 und 2015 nach Österreich kamen, analysiert), dass anerkannte Flüchtlinge durchschnittlich pro Jahr um 3.050 Euro mehr an Steuern ins Sozialsystem einzahlen, als sie herausbekommen. Dieser Berechnung liegt die Annahme zugrunde, dass Flüchtlinge so viel verdienen wie die untersten 10 Prozent der Gesellschaft, weil sie häufig in Sparten mit niedrigen Löhnen wie Gastronomie oder Reinigung beschäftigt sind. Sozialleistungen wie Familienbeihilfe wurden in die Berechnung einbezogen, aber nicht zum Beispiel Infrastrukturkosten, etwa wenn für Flüchtlingskinder zusätzliche Schulklassen aufgemacht wurden.

Damit diese Bilanz positiv bleibe, müsse der Staat in die Weiterbildung von Flüchtlingen investieren, und dies schon beginnend bei der Sprachförderung im Kindergarten. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit sei bedenklich, schreiben die Studienautoren. Hier müsse der Staat vermehrt Aus- und Weiterbildungsangebote machen.

Zahlen aus der Vergangenheit geben aber Hoffnung: Im Jahr 1992 prognostizierten Wirtschaftsforscher in Österreich ein Wachstum von nur 0,5 Prozent. Ab April kamen viele Tausende Bosnier als Kriegsflüchtlinge ins Land, denen es an allem fehlte. Der Konsum sprang an, Ende 1992 war die Wirtschaft um 1,5 Prozent gewachsen.

Es gibt keine einfachen Antworten auf die Frage nach den Kosten und dem Nutzen von Ausländern auf die Staatskasse. Je nachdem, welche der zahlreichen Parameter man verwendet, wird das Ergebnis unterschiedlich ausfallen. So kann die »Wahrheit« je nach politischer Einstellung auch schnell in die eine oder in die andere Richtung gebogen werden.

Die Mehrzahl der zur Verfügung stehenden Untersuchungen kommt aber zu dem Schluss, dass Migranten den Staatshaushalt nicht ruinieren, sondern mehr einzahlen, als sie herausnehmen.11 Abgesehen davon tragen arbeitende Ausländer durch ihre Arbeit und alle Ausländer durch ihren Konsum im Inland auch zum Wirtschaftswachstum bei.

Die gerade zu diesem Thema besonders verschiedenen, einander zum Teil widersprechenden Zahlen zeigen eines ganz klar: Es ist immer gut, gegenüber simplen Rechnungen misstrauisch zu bleiben.

3. Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg

Ausländer nehmen keine Arbeitsplätze weg. Sie haben in der Vergangenheit Jobs übernommen, für die keine einheimischen Arbeitskräfte gefunden wurden. Sie trugen dadurch zur Schaffung und Vermehrung unseres Wohlstands bei. In wirtschaftlich schlechten Zeiten sind Zuwanderer die Ersten, die um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen.

Es ist eine einfache Rechnung: Schmeißt man so viele Ausländer aus dem Land, wie es Arbeitslose gibt, hätten alle Inländer einen Job und die Arbeitslosigkeit wäre besiegt. Aber stimmt diese Rechnung?

Würden Ausländer uns die Arbeitsplätze wegnehmen, müsste Deutschland das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit sein.

2015 war schließlich ein Rekordjahr, was die Bevölkerung mit Migrationshintergrund betrifft. 17,1 Millionen Menschen mit ausländischer Herkunft wurden in Deutschland gezählt. 2016 kamen noch einmal 280.000 Asylsuchende dazu. Nähmen Ausländer den Inländern die Arbeitsplätze weg, müssten bei so einem Zuzug die Arbeitslosenzahlen ordentlich in die Höhe schnellen.

Tatsächlich waren aber im Jahr 2016 in Deutschland so viele Menschen berufstätig wie nie zuvor. Die Zahl der erwerbstätigen Personen stieg von 42,6 Millionen im Jahr 2014 auf 43,4 Millionen im Jahr 2016. Die Arbeitslosigkeit sank um 0,3 Prozent auf 6,3 Prozent.

In Österreich ist die Arbeitslosigkeit zuletzt ebenfalls um 0,9 Prozent gesunken. Sie lag Ende 2016 bei 10,3 Prozent (das sind 424.523 Arbeitslose). Gleichzeitig gab es Ende 2016 viele unbesetzte Arbeitsplätze, für die die Arbeitgeber keine Interessenten finden konnten.

Wer kriegt bei uns die Jobs?

Meldet ein Unternehmen eine Arbeitsstelle als frei, wird diese als Erstes an Inländer oder gleichgestellte EU-Bürger vermittelt, die Arbeitslosenunterstützung beziehen. Erst wenn kein Inländer oder gleichgestellter EU-Bürger den Job annehmen will, bekommt ihn ein Ausländer von außerhalb der EU angeboten, der ebenfalls Arbeitslosengeld bezieht. Nimmt auch der den Job nicht an, dann erst kann ein anderer Ausländer diese Stelle besetzen.

Um Arbeitslosengeld beziehen zu dürfen, muss man nach deutschem Recht zumindest ein Jahr in Deutschland gearbeitet haben, nach österreichischem Recht zumindest 52 Wochen innerhalb von zwei Jahren.

In Österreich gab es Ende 2016 etwa 50.000 offene Stellen und fast 14.000 unbesetzte Lehrstellen. In Deutschland hatten die Arbeitgeber Ende 2016 den Arbeitsagenturen sogar 658.000 zu besetzende Stellen gemeldet, auf 148.000 Lehrstellensuchende in Deutschland 2016 kamen 172.200 Ausbildungsplätze. Das EU-weite Arbeitsplatzportal Eures listet Anfang 2017 sogar mehr als 1,2 Millionen freie Jobs in den Staaten der EU auf.

OFFENE STELLEN IN DEUTSCHLAND, DEZEMBER 2016 (AUSWAHL)

45.557

Verkauf

43.400

Metallerzeugung, Metallberufe

27.449

Tourismus, Gastgewerbe

15.956

Reinigungsberufe

OFFENE STELLEN IN ÖSTERREICH, DURCHSCHNITT 2015 (AUSWAHL)

6.690

Dienstleistungsbereich

4.699

Hotel, Gastgewerbe

3.762

Handel

1.748

Bauberufe

Aber wieso gibt es überhaupt Arbeitslose, wenn so viele Jobs vorhanden sind?

Das liegt vor allem daran, dass ein großer Teil der Arbeitslosen keine oder nur eine schlechte Ausbildung hat. Von den Menschen in Deutschland, die keinen Berufsabschluss haben, war 2015 jeder Fünfte arbeitslos (20,3 Prozent). Mit Berufsabschluss liegt die Arbeitslosenquote bei 4,6 Prozent, unter Akademikern bei nur 2,4 Prozent.

Einwanderer schaffen Jobs

Zwischen 2005 und 2014 ist die Zahl der Arbeitsplätze, die in Deutschland von Selbstständigen mit Migrationshintergrund geschaffen wurden, von 947.000 auf 1,3 Millionen gestiegen. Auch in Österreich schaffen Migranten Jobs: Fast jeder dritte Unternehmensgründer wurde im Ausland geboren.

Es sind also nicht die Ausländer, die Jobs wegnehmen. Offene Stellen gibt es viele – allerdings fehlt einem großen Teil der Arbeitslosen die Qualifikation für diese Stellen. Es wird immer schwieriger, Jobs zu finden, für die man keine gute Ausbildung braucht. In diesem Segment kommt es tatsächlich zur Konkurrenz zwischen Inländern und Ausländern. Denn die Zahl der Hilfsjobs ohne besondere Qualifikationserfordernisse sinkt ständig. Allerdings stehen Arbeitsmigranten in diesem Segment weniger mit Einheimischen im Wettstreit um Arbeitsplätze als mit anderen Ausländern.

AUSLÄNDERANTEIL IN AUSGEWÄHLTEN BERUFEN DEUTSCHLAND (JUNI 2015)

Reinigungsberufe

27,3 %

Tourismus, Hotel, Gastgewerbe

22,9 %

Hoch- und Tiefbau

18,2 %

Angehörige der regulären Streitkräfte

16 %

Ausländeranteil am Arbeitsmarkt insgesamt

9,2 %

Medizin und Gesundheitsberufe

5,5 %

Warum sind eigentlich so viele Ausländer nach Österreich und Deutschland gekommen?

In den 1960er- und 1970er-Jahren haben Deutschland und Österreich Menschen aus Ländern wie der Türkei oder dem damaligen Jugoslawien aktiv angeworben, weil es bei uns nicht mehr möglich war, in bestimmten Branchen die Arbeitsplätze mit Einheimischen zu besetzen. Wären keine Ausländer gekommen, dann hätten die Unternehmen zu wenige Arbeiter gehabt und Aufträge ablehnen müssen. Durch die sogenannten Gastarbeiter konnten Aufträge ungebremst erfüllt werden. Das machte das »Wirtschaftswunder« der Nachkriegszeit mit Vollbeschäftigung und steigendem Wohlstand in der Bevölkerung überhaupt erst möglich. Während niedrig qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland – vor allem aus der Türkei, den Ländern des ehemaligen Jugoslawien oder aus Spanien – geholt wurden, um bei uns die einfachen, schlecht bezahlten Jobs zu erledigen, stiegen die hier Geborenen in der Hierarchie des Arbeitsmarktes auf.

Die Anwerbeabkommen

Während der 1950er- und 1960er-Jahre suchten Deutschland und Österreich gezielt nach ausländischen Arbeitskräften, um den Arbeitskräftemangel während der Hochkonjunktur zu beheben und das »Wirtschaftswunder« nicht zu bremsen. Deutschland schloss sogenannte Anwerbeabkommen mit Italien (1955), Spanien (1960), Griechenland (1960), der Türkei (1961), Portugal (1964) und dem damaligen Jugoslawien (1968). Österreich unterzeichnete Anwerbeabkommen mit Spanien (1962), der Türkei (1964) und dem damaligen Jugoslawien (1966).

In den großen Städten wurden eigene »Anwerbestellen« eingerichtet, und als die vor allem männlichen Arbeiter mit Zügen nach Deutschland und Österreich kamen, wurden sie bereits an den Bahnhöfen in provisorischen »Arbeitsämtern« an interessierte Unternehmen vermittelt.

An eine Integration dieser Menschen dachte niemand. »Der nicht integrierte, auf sehr niedrigem Lebensstandard vegetierende Gastarbeiter verursacht relativ geringe Kosten«, schrieb das Handelsblatt zu Beginn der 1970er-Jahre.12

Die allermeisten Gastarbeiter wollten ursprünglich nur wenige Jahre bleiben. Sie wurden aber von der Wirtschaft für viele Jahre gebraucht und deshalb länger als zunächst geplant bei uns behalten. Klar holten diese Arbeiter dann auch ihre Familien zu sich ins neue Heimatland.

Ausländer machen also nicht arbeitslos. Aber sie sind meist die Ersten, die ihre Jobs verlieren, sobald es mit der Wirtschaft bergab geht. Das zeigt sich etwa in Italien. Dort hat zwischen 2008, als die Wirtschaftskrise in Europa ausbrach, und 2012 etwa eine Million Ausländer das Land wieder verlassen.

Wie mobil eine Krise die Arbeitnehmer macht, sehen wir auch in Deutschland: Hier stammten fast 80 Prozent aller Migranten, die zwischen 2006 und 2011 ins Land kamen, aus europäischen Krisenstaaten. Migranten gehen tendenziell dorthin, wo es Arbeitsplätze gibt und füllen Lücken auf dem Arbeitsmarkt.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) berechnete, dass sich die Arbeitslosenquote der im Ausland Geborenen in allen 34 OECD-Ländern zwischen den ersten drei Quartalen des Krisenjahrs 2008 und 2009 merklich erhöhte.

Wieso sind Migranten stärker von Arbeitslosigkeit betroffen?

Es gibt mehrere Gründe, weshalb Migranten eher arbeitslos sind. Das kann an mangelnden Sprachkenntnissen liegen. Auch haben Migranten durchschnittlich niedrigere Bildungsabschlüsse. Zumindest das ändert sich aber gerade. Denn mittlerweile ist der Prozentsatz der Akademiker unter Migranten höher als unter der inländischen Bevölkerung (siehe Kap. 6).

Was kaum bekannt ist: Die Migrationsbevölkerung ist im Gegensatz zur »einheimischen« Bevölkerung in Deutschland und Österreich sehr jung. Die zweite Generation der Migranten ist im Durchschnitt etwa 30 Jahre alt. Die übrige Bevölkerung ist älter. Das Schwergewicht liegt dort bei etwa 40 Jahren. Und mit 40 Jahren ist die Wahrscheinlichkeit, beschäftigt zu sein, statistisch gesehen am größten.

Wer als Migrant in Deutschland oder Österreich arbeitet, bekommt auch oft Jobs, die unter seiner Qualifikation liegen und schlechter bezahlt sind als Jobs von Einheimischen. Für manche Jobs, etwa die 24-Stunden-Betreuung pflegebedürftiger Menschen, finden sich überhaupt nur Arbeitsmigranten, weil Österreicher und Deutsche nicht bereit sind, unter derartigen Bedingungen zu arbeiten.

23,5 Prozent der nicht-österreichischen Beschäftigten waren 2014 für ihren Job überqualifiziert (28 Prozent der Frauen und 19,3 Prozent der Männer). Unter den österreichischen Beschäftigten waren es 8,8 Prozent (10,7 Prozent der Frauen und 7,1 Prozent der Männer). Besonders gravierend ist die Überqualifikation von Frauen, die aus den EU-Beitrittsländern ab 2004 stammen. Von ihnen hatten 38,3 Prozent einen Job, für den sie überqualifiziert waren.

Jobmotor Flüchtlinge

Zwischen November 2015 und 2016 fanden in Deutschland 34.000 Menschen aus den Asyl-Herkunftsländern einen Job. Trotzdem war die Arbeitslosigkeit in Deutschland 2016 so niedrig wie in den vergangenen 25 Jahren nicht. In Österreich konnten 2016 15,2 Prozent aller 2015 nach Österreich Geflüchteten einen Job finden. Im Bundesland Vorarlberg waren es sogar 30 Prozent. Trotzdem stieg die Arbeitslosigkeit unter den Inländern in Vorarlberg nicht, im Gegenteil: 2016 ging die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Vorjahr um 3,3 Prozent zurück.

Auch der Flüchtlingszuzug selbst sorgte 2015 für Jobs: 50.000 Deutsche fanden aufgrund der vielen Flüchtlinge eine Arbeit. Besonders in den Sparten Bauwirtschaft, Sozialarbeit, Sprachausbildung, Sicherheitsdienstleistungen und in der öffentlichen Verwaltung sowie bei Erziehern gab es einen Zuwachs an Arbeitsplätzen.

Schließlich klagen zahlreiche Migranten und auch die Nachkommen einstiger »Gastarbeiter« darüber, auf dem Arbeitsmarkt aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert zu werden. Zum Beispiel werden Jugendliche mit Migrationshintergrund in Deutschland seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Jugendliche ohne Migrationshintergrund haben eine 59-prozentige Chance, nach einer Bewerbung zum Gespräch geladen zu werden, bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund bekommen hingegen nur 49 Prozent eine solche Einladung.

Um Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt zu minimieren, betreibt die deutsche Stadt Celle seit dem Jahr 2014 ein interessantes Projekt: Öffentliche Stellen werden nach einem anonymisierten Bewerbungsverfahren vergeben. Dafür werden Fotos sowie Namensangaben und weitere personenbezogene Informationen wie Geschlecht, Alter oder Herkunft aus den Bewerbungsunterlagen entfernt. Dadurch soll die Stelle ausschließlich nach dem Kriterium der Qualifikation vergeben werden. Seit es dieses Auswahlverfahren gibt, hat sich die Zahl der Migranten im öffentlichen Dienst messbar erhöht. »Man konzentriert sich darauf: Was hat die Person gemacht, welche Qualifikation bringt sie mit. Da leuchtet jemand, der mehrere Sprachen beherrscht, in einem ganz anderen Licht, wenn man nicht sehen kann, ob das jemand mit einem deutschen oder einem türkischen Hintergrund ist«, erklärte der Oberbürgermeister von Celle zu diesem Auswahlverfahren.13

4. Ausländische Sozial­touristen nutzen unseren Staat aus

Sozialtourismus ist weit weniger verbreitet als oft behauptet. Wer bei uns Sozialleistungen beziehen will, muss einen rechtmäßigen Wohnsitz im Land haben. Um einen solchen Wohnsitz in einem anderen EU-Land zu bekommen, muss man dort einen fixen Job oder ausreichende finanzielle Mittel nachweisen können. Genau das können arme Menschen nicht. Ausländer, die in Deutschland oder Österreich arbeiten, finanzieren übrigens unser Sozialsystem durch ihre Arbeit, Steuern und Abgaben mit.

Sie sind gekommen, um zu nehmen: Migranten, speziell aus den ärmeren EU-Ländern, bedienen sich aus unseren Sozialtöpfen. Wir dürfen dann die Zeche zahlen. Gibt es sie wirklich, die sogenannten Sozialtouristen?

Grundsätzlich muss ein EU-Bürger in einem anderen EU-Land arbeiten oder seinen dauerhaften Wohnort haben, um dort Sozialhilfe beziehen zu können. Einen dauerhaften Wohnsitz kann aber nur begründen, wer über ausreichende finanzielle Eigenmittel verfügt und das den Behörden nachweisen kann. Wer arm ist wie eine Kirchenmaus, kann es sich also nicht einfach so in einem wohlhabenderen EU-Land gemütlich machen.

Wie finanziert sich der Sozialstaat?

Sozialleistungen werden durch Steuern und Abgaben sowie durch die Beiträge finanziert, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezahlen.

In Österreich müssen EU-Ausländer nach drei Monaten Aufenthalt eine »Anmeldebescheinigung« vorlegen. Diese belegt, dass man sich legal im Inland aufhält. Wer keine Anmeldebescheinigung hat, kann ausgewiesen werden, obwohl er Unionsbürger ist. Denn Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit sind zwar Grundpfeiler des europäischen Binnenmarkts. Allerdings gelten die durch diese Grundfreiheiten gewährten Rechte auch für EU-Bürger nicht uneingeschränkt.

Für drei Monate kann jeder EU-Bürger problemlos in ein anderes EU-Land ziehen. In diesen ersten drei Monaten ist ein EU-Aufnahmeland nicht verpflichtet, einem fremden Unionsbürger Sozialhilfe zu bezahlen, danach besteht diese Verpflichtung nur, wenn der Unionsbürger in diesem EU-Staat einen ordentlichen Wohnsitz hat. Nur Unionsbürger, die fünf Jahre lang legal in einem anderen EU-Land leben, haben denselben Anspruch auf Sozialhilfe wie jeder andere Bürger dieses Landes. Schnell einmal die ganze Familie in den VW-Bus packen und von Rumänien oder Bulgarien zum deutschen oder österreichischen Arbeitsamt tuckern, um sich Geld abzuholen, geht also nicht.