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Zum Buch

Wie viele Frauen glaubte Tiffany Dufu, mühelos alles unter einen Hut bringen zu können – Erfolg im Beruf, zufriedene Kinder, einen perfekt organisierten Haushalt und dazu noch eine glückliche Beziehung. Und merkte schnell: Es ging nicht. Also krempelte sie ihr Leben um: Die Geschäftsführerin und Mutter zweier kleiner Kinder befreite sich von dem Druck, alles selbst machen zu müssen, und entdeckte die Kunst des Loslassens. Sie machte ihren Mann zum Teamplayer und schuf ein Familienmodell, das zukunftsträchtig ist.

In »Den Ball weiterspielen« schildert sie, warum Frauen umdenken und sich auf das konzentrieren sollten, was ihnen wirklich am Herzen liegt. Wie das gemeinschaftliche Miteinander in einer Partnerschaft in der Praxis funktionieren kann. Und sie macht Mut, weniger von sich und mehr von den anderen zu erwarten.

Zur Autorin

TIFFANY DUFU gilt als eine der einflussreichsten Meinungsbildner in den USA und berät amerikanische Top-Unternehmen in Sachen Frauenförderung. Von 2011 bis 2013 leitete sie das »White House Project«, eine Non-Profit-Organisation, die Frauen den Zugang zu Führungspositionen erleichtern soll. Tiffany Dufu lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in New York City.

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Drop the Ball« bei Flatiron Books, New York.


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1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Dezember 2017
btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © der Originalausgabe 2017 by Tiffany Dufu
Copyright © des Vorworts 2017 by Gloria Steinem
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by btb Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Covergestaltung und Covermotiv: semper smile, München
Redaktion: Lisa Wolf
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
Klü · Herstellung: sc
ISBN 978-3-641-17672-3
V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Für Kojo natürlich

INHALT

Vorwort

Einführung

I. Alles haben, alles schaffen

1. Kapitel: Der Platz der Frau

2. Kapitel: Der Märchenprinz

3. Kapitel: Berufstätige Mutter

4. Kapitel: Häuslicher Kontrollzwang

5. Kapitel: Das Hamsterrad des Lebens

II. Es muss was passieren

6. Kapitel: Am Wendepunkt

7. Kapitel: Das Wichtigste

8. Kapitel: Das Gesetz des komparativen Nutzens

9. Kapitel: Am Abgrund

III. Den Ball weiterspielen

10. Kapitel: Na los, spiel ab!

11. Kapitel: Klare Verhältnisse schaffen

12. Kapitel: Teamgeist

13. Kapitel: Manchmal braucht es ein ganzes Dorf

IV. Gleichberechtigte Partnerschaft

14. Kapitel: Gut ist gut genug

15. Kapitel: In Dankbarkeit bestärken

16. Kapitel: Nicht dem Stereotyp aufsitzen

17. Kapitel: Glück motiviert uns alle

18. Kapitel: Warum wir Männer brauchen

V. Ausblick

19. Kapitel: Die vier Grundregeln

20. Kapitel: Die größte Herausforderung

21. Kapitel: Freiheit

Danksagung

Anmerkungen

Personenregister

Sachregister

VORWORT

Die wahre Revolution findet Zuhause statt.
Gloria Steinem

Für ein herrschendes System gibt es zwei Möglichkeiten, um an der Macht zu bleiben. Erstens die naheliegende – ungleiche Gesetze, ungleiche Behandlung, sehr ungleiche Geldverteilung sowie Gewalt oder die Androhung von Gewalt –, zweitens eine eher verinnerlichte, der viel schwerer beizukommen ist: Die allgemeine Vorstellung dessen, was als normal gilt; wie wir uns verhalten müssen, um Gleichberechtigung und Macht zu erlangen, und wie früh in unserem Leben uns diese Normen vermittelt werden. Da Frauen die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und anders als andere Sekundärgruppen nicht nur mit Männern zusammenleben und -arbeiten, sondern als Mütter Jungen wie Mädchen gebären, besteht konstant die Gefahr, dass wir erkennen, dass wir alle menschliche Wesen sind – und gegen das System aufbegehren. Darum müssen Geschlechterrollen schon so früh in der Kindheit ansetzen und so tief verankert sein. Mit diesen Ungleichheiten wachsen wir auf, angefangen bei rosa oder hellblauen Babydecken bis hin zur Erfindung von Begrifflichkeiten wie »männlich« und »weiblich«. Um uns herum sehen wir überall diese Geschlechterrollen, wir halten sie für naturgegeben und erwarten bald auch von uns selbst, uns entsprechend zu verhalten und anzupassen.

Wenn ein Glaube seine Gläubigen bestraft – wenn man Frauen beispielsweise glauben macht, wenn sie »alles wollen«, müssten sie auch »alles schaffen« –, dann wird daraus das, was Psychologen internalisierte Unterdrückung nennen.

Tiffany Dufus Buch Den Ball weiterspielen ist auch deshalb so wichtig, weil sie sich darin nicht nur mit den Symptomen auseinandersetzt, sondern mit der eigentlichen Ursache: dem zugrunde liegenden System. Seit fünfzig Jahren versuchen wir nun schon, das äußere Machtsystem aufzuzeigen – und sind dabei so weit gekommen, dass wir uns eingestehen müssen, dass wir noch viel weitergehen können und müssen –, und doch haben wir die Ungleichheit, die zuhause in der eigenen Familie beginnt, noch lange nicht ausgemerzt. Der alten Logik zufolge ist es so: Da die Mutter das Kind mindestens ein Jahr lang austrägt und stillt, sollte sie, bis das Kind erwachsen ist, auch den größeren Teil der Erziehungsverantwortung übernehmen. Tatsächlich aber haben doch alle Kinder zwei Elternteile. Wenn die Mutter also schon mindestens ein Jahr lang das Kind austrägt und stillt, wäre es dann nicht die Pflicht des Vaters, mehr als die Hälfte der späteren Kinderbetreuung zu übernehmen? Logik liegt eben im Auge des Logikers.

Die gute Nachricht ist, wenn wir die Tür zu der Erkenntnis, dass wir alle Menschen sind, erst einmal aufgestoßen haben, tun sich neue, ungeahnte Möglichkeiten auf; nicht nur für Frauen, auch für Männer und Kinder.

Bis zu meinem zehnten Lebensjahr hat mein Vater bei meiner Erziehung eine wesentlich größere Rolle gespielt als meine Mutter. Was daran lag, dass sie manchmal krank und außer Stande war, sich um mich zu kümmern. Und auch, weil er als fahrender Antiquitätenhändler sein eigener Boss sein und mich mitnehmen konnte, wenn er seine Einkaufstouren zu den kleinen Trödelläden am Straßenrand machte. Er war alles andere als ein konventioneller Vater. Eiscreme durfte ich essen, so viel ich wollte – mein Dad selbst wog über hundertdreißig Kilo –, und er nahm mich immer mit in die neuesten Hollywoodfilme, die gerade ins Kino kamen. Kein einziges Mal schickte er mich ins Bett, stattdessen ließ er mich vor dem Kamin oder neben unserer Hündin schlafen, wenn sie gerade einen Wurf Welpen säugte. Er selbst schlief oft auf dem Sofa ein, während er mir die Witze aus der Zeitung vorlas. Ich wusste nur, dass er mich gerne um sich hatte, mich genauso gut behandelte wie sich selbst, wenn nicht sogar besser, mich nach meiner Meinung fragte und mir immer aufmerksam zuhörte. Was konnte man als Kind mehr verlangen?

Indem ich so viel Zeit mit diesem sanften, liebevollen Mann verbrachte, lernte ich, dass es auf der Welt sanfte, liebevolle Männer gibt. Wohl auch deshalb fühlte ich mich als Erwachsene nie zu emotional unerreichbaren, distanzierten oder dominanten Typen hingezogen – ganz im Gegensatz zu vielen meiner Freundinnen, bei denen ich hilflos mit ansehen musste, wie sie die Traumata ihrer Kindheit ein ums andere Mal wiederholten und zu verändern versuchten, weil sie einen distanzierten, kühlen, emotional oder tatsächlich abwesenden oder gar grausamen Vater hatten. Schon als kleines Kind wusste ich, dass Männer genauso gut Kinder großziehen können wie Frauen, und dass sie genauso fürsorglich sein können. Mein Vater hat mir ein großes Geschenk gemacht. Und ich bin ihm dafür bis heute sehr dankbar.

Das Besondere an diesem Buch ist, dass Tiffany sich auf den inneren Pfad zu echter Gleichberechtigung konzentriert. Sie stellt in Frage, warum Frauen – als Ehefrauen, Töchter oder einfach Menschen – mehr oder sogar allein für sämtliche Aufgabenbereiche innerhalb der Familie zuständig sein sollen: Essen, Kindererziehung, Kranken- oder Altenpflege, Aufbau und Erhalt des sozialen, schulischen, gesundheitlichen und familiären Netzwerks und so ziemlich alle anderen unbezahlten Arbeiten. Obwohl es heutzutage mehr fürsorgliche Väter und gleichberechtigte Partnerschaften gibt als noch zu Zeiten meines Vaters, hinkt unsere Nation bezüglich familienfreundlicher Gesetzgebungen und Regelungen den meisten modernen Demokratien noch immer hinterher. Wir tun, was man uns vorlebt, nicht, was man uns sagt. Taten, nicht Worte, sind entscheidend. Wir haben noch nicht genügend Veränderungen eingefordert, weshalb Männer mit Kindern immer noch als zuverlässiger und »beschäftigbarer« gelten, Frauen mit Kindern dagegen als weniger zuverlässig und »beschäftigbar«. Jetzt, wo Frauen 50 Prozent der berufstätigen Bevölkerung ausmachen und zu 40 Prozent die Hauptverdiener sind – und Männer nicht einmal annähernd 40 bis 50 Prozent der häuslichen Pflichten übernehmen –, hat sich vielleicht genug Frust angestaut und der Leidensdruck ist hoch genug, um die Revolution endlich nach Hause zu tragen.

Aus unserer Zeit als Aktivistinnen, als wir gemeinsam für die Ermächtigung von Frauen und Mädchen gearbeitet haben, weiß ich, dass Tiffany die richtige Autorin und Agitatorin ist für diesen wichtigen Moment. Sie hat Spenden für eine bessere Bildung von Mädchen gesammelt, eine landesweite Organisation für Frauen in Führungspositionen geleitet, Fortune-500-Unternehmen bei ihren Programmen zur Förderung der Diversität beraten und sich für familienfreundliche Regelungen am Arbeitsplatz starkgemacht. Aber viel wichtiger ist vielleicht, dass sie, als Mutter und Ehepartnerin, ihre ganz eigene, mutige Reise unternommen hat, von einer ungleichen Familiendynamik hin zu einer wahrhaft demokratischen. Auf dem Weg dorthin hat sie wertvolle Lektionen gelernt, die sie mit uns teilt – Lehrstunden am Schreibtisch und am Küchentisch. Sie hat handfeste, brauchbare Weisheiten an uns alle weiterzugeben, von ihrer eigenen Familie an die ihrer
Leserinnen.

Ich habe gesehen, wie sie arbeitet, und habe mit ihr zusammengearbeitet, und ich weiß, das Geheimnis ihres Erfolgs ist, dass sie, wie Eleanor Roosevelt, immer »einen größeren Kreis zieht«. Sie zeigt uns nicht nur, was wir alle zu gewinnen haben, wenn Frauen an der Welt außerhalb der eigenen vier Wände teilhaben, ihren Beitrag dazu leisten, sie verändern und selbst von ihr verändert werden; sondern auch, was wir alle nur gewinnen können, wenn Männer an der Welt innerhalb der eigenen vier Wände teilhaben, ihren Beitrag leisten, sie verändern und selbst von ihr verändert werden.

Um Barrieren im Innen wie im Außen einzureißen, braucht es Vorbilder, die mit gutem Beispiel vorangehen. Ganz gleich, wie lange jede Einzelne von uns schon für Chancengleichheit kämpft – und wie gut wir wissen, dass Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Kaste und Klasse allesamt erfundene Kategorisierungen sind, die es aufzulösen gilt –, brauchen wir Menschen, die schon jetzt in dieser neuen, gleichberechtigten Welt leben. Tiffany selbst ist ein gutes Beispiel, und sie zeigt uns viele weitere auf. Weil das Geschlecht üblicherweise die erste Schublade ist, die wir sehen – und die alle anderen von Geburt an bestehenden Ungleichheiten normalisiert –, ist das ein radikaler Ansatz. Aber würden wir mehr über die 90 Prozent der menschlichen Geschichte erfahren, die wir normalerweise als dunkle »Vorgeschichte« abtun, wüssten wir, dass er nicht zu radikal ist, um wahr zu sein. Wie Dorothy Dinnerstein und viele andere Wissenschaftler bereits belegt haben, entwickelten die Männer damals den ganzen Kreis menschlicher Fähigkeiten, ohne ihre »Männlichkeit« irgendwie unter Beweis stellen zu müssen, genauso wie Frauen sich voll entfalten konnten und auch außerhalb der Familie gleichberechtigt waren, ohne ein festgelegtes Konzept von »Weiblichkeit« verkörpern zu müssen.

Inspiriert von Tiffanys leuchtendem Beispiel, hier eine Geschichte aus meinem eigenen Leben, die Ihnen vielleicht einen kleinen Einblick erlaubt, welche Möglichkeiten das für Ihr eigenes Leben eröffnen kann.

Als junge Frau retteten mich die Werke von Schriftstellerinnen wie Simone de Beauvoir, Andrea Dworkin und Florynce Kennedy. Sie schenkten mir das Wissen, weder verrückt noch allein zu sein mit meiner Hoffnung, Frauen könnten sicherer leben, ihre Talente entfalten und wie vollwertige menschliche Wesen behandelt werden. Das war etwas Großes. Und doch gingen alle drei davon aus, dass es nie eine Gesellschaftsform gegeben hatte, in der Frauen wirklich gleichberechtigt waren. Weshalb es mir auch nicht ganz die Angst nahm, womöglich auf ein unerreichbares Ziel hinzuarbeiten.

1977 nahm ich dann an der National Women’s Conference in Houston teil. Die Medien berichteten zwar kaum darüber, obwohl sich dort zweitausend gewählte Delegierte aus allen Staaten und Territorien versammelt hatten, um über demokratisch ausgewählte Themen zu sprechen. Weil dort diverse nationale Bewegungen zusammenkamen und sich über eine gemeinsame Agenda abstimmten, ist es bis heute vermutlich eine der wichtigsten feministischen Veranstaltungen überhaupt geblieben. Während ich also den vielen Abgesandten der Ureinwohner aus Nordamerika und Alaska zuhörte, ging mir langsam auf, dass ich überhaupt nichts über die Geschichte des Landes wusste, in dem ich lebte. Während wir anderen auf eine unbekannte, gleichberechtigte Zukunft hofften, erzählten diese Aktivistinnen von einer bekannten, gleichberechtigten Vergangenheit. Bei den amerikanischen Indianern bestimmten die Frauen, ob und wann sie ein Kind gebären wollten, und nutzten dazu ihr Wissen über Kräuter, Abtreibungsmittel und Zeitberechnung. Die Väter waren bei der Geburt dabei und bei der Erziehung der Kinder ebenso eingebunden wie die Mütter. Die Frauen waren für den Ackerbau zuständig, die Männer für die Jagd, und beide waren gleich wichtig und gleichwertig. Weibliche wie männliche Stammesälteste trafen alle wichtigen Entscheidungen. Spirituelle Figuren konnten ebenso weiblich wie männlich sein. Bis heute kennen viele Sprachen der amerikanischen Ureinwohner kein geschlechtsspezifisches Pronomen, kein »er« oder »sie«. Menschen sind Menschen. Was für eine Vorstellung!

Vielleicht besinnen wir uns heute auf die Vergangenheit, wenn wir das Recht für uns beanspruchen, frei über unseren Körper und unser Leben zu entscheiden – innerhalb und außerhalb der Familie. Wir brauchen Frauen und Männer, die mit gutem Vorbild vorangehen, wie diese Frauen aus dem Indianerterritorium es damals vor beinahe vierzig Jahren für mich getan haben, und wie Tiffany es für die Leserinnen und Leser dieses Buchs tut.

Weil ihr nichts anderes übrigblieb, hat meine Mutter damals, als ich noch klein war, den Ball weitergespielt, und mein Vater hat ihn angenommen, aus Liebe und Pflicht. Heute können wir als Frauen und Männer frei entscheiden, wieder alle Aspekte des Lebens miteinander zu teilen und uns als ganzheitliche menschliche Wesen zu begreifen.

EINFÜHRUNG

Ich war einmal eine Vorzeigehausfrau, die perfekt auf das Cover von Good Housekeeping gepasst hätte. Und ich war eine ehrgeizige berufstätige Frau. Diese beiden Persönlichkeiten waren wohl schon immer auf Kollisionskurs miteinander. Aber davon ahnte ich nichts, bis es schließlich knallte.

Acht Jahre nach meiner Hochzeit und sechs Monate nach der Geburt meines ersten Kindes sollte ich eine neue Arbeitsstelle antreten. Eigentlich ging ich davon aus, als perfekte Karrierefrau und Mutter alles spielend zu meistern. Ich war glücklich verheiratet mit meiner Jugendliebe vom College, wir hatten ein bildhübsches Baby, und wir waren wild entschlossen, gemeinsam die Welt zu verändern. Mir war zwar klar, dass es nicht immer einfach werden würde, sämtliche Anforderungen einer jungen Familie zu jonglieren, dabei die höchsten Stufen der Karriereleiter zu erklimmen und ganz nebenbei auch noch meinen Mann in seiner beruflichen Laufbahn zu unterstützen – aber wir glaubten, auf Höhen wie Tiefen bestens vorbereitet zu sein.

Vielen Frauen fällt es nach der Elternzeit bei der Rückkehr in den Beruf schwer, das Kind zum ersten Mal allein in der Obhut von jemand anderem zurückzulassen. Mir nicht. Ich liebe meine Arbeit. Ich hatte mich schon immer leidenschaftlich für die Ermächtigung und Förderung von Frauen und Mädchen eingesetzt, und die Leitung der Spendenabteilung einer landesweit tätigen Organisation für Frauen in Führungspositionen zu übernehmen, war mein absoluter Traumjob. Ich würde also in einem Bereich arbeiten, der mir wirklich am Herzen lag, und dabei von einer Pionierin der Frauenbewegung lernen können, Marie Wilson, Mitbegründerin des Take Our Daughters to Work Day (einer Initiative, bei der Eltern für einen Tag ihre Töchter mit zur Arbeit nehmen) und ehemaligen Präsidentin der Ms. Foundation for Women. Als krönendes Sahnehäubchen war die Bezahlung auch noch so gut, dass ich mein Kind ruhigen Gewissens in die Hände einer erfahrenen und liebevollen Tagesmutter geben konnte – ein Privileg, das viele arbeitende Mütter sich nicht leisten können –, und darüber hinaus hatte ich das Recht auf einen privaten Rückzugsraum ausgehandelt, wo ich meine Milch abpumpen konnte. Meine Elternzeit neigte sich langsam dem Ende zu, und ich freute mich schon auf die Arbeit.

Als Kind hatte ich immer zu hören bekommen, ich könne alles schaffen, ich müsse es nur wollen. Und als ich mich an diesem ersten Morgen fürs Büro zurechtmachte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, irgendwelche Kompromisse eingehen zu müssen: sei es bezüglich Karriere, Ehe, Kindererziehung, Haushaltsführung oder der Förderung von Frauen und Mädchen. Ich verließ die Wohnung in der felsenfesten Überzeugung, das alles schon irgendwie zu wuppen.

Es dauerte keine sechs Stunden, bis meine schillernde Seifenblase platzte.

Mein erster Arbeitstag war unglaublich anstrengend und aufregend, alles ging drunter und drüber, und ich wollte mich unbedingt möglichst schnell überall hineinarbeiten und mitmischen, deshalb flitzte ich von einem Meeting zum nächsten. Als mir schließlich siedend heiß einfiel, dass ich vergessen hatte, Milch abzupumpen, waren meine Brüste schon merklich geschwollen. Und es wurde minütlich schlimmer. Sie wurden praller und immer praller und taten höllisch weh. Außerdem trieften sie vor Milch, die durch meine Bluse auf die Kostümjacke suppte.

Und als sei das alles noch nicht schlimm genug, entpuppte sich der mühsam ausgehandelte »Rückzugsraum« als Toilettenabteil. Ich hatte keine Ahnung, dass es so etwas wie einen Milchstau überhaupt gab, und versuchte verzweifelt, Milch abzupumpen. Aber die Maschine schaffte es einfach nicht, sich an diesen beiden pochenden Bowlingkugeln, die ich inzwischen vor mir hertrug, festzusaugen. Um den Schmerz etwas zu lindern, legte ich feuchtwarme Papiertücher auf und versuchte, die Milch per Hand herauszudrücken. Das funktionierte zwar, aber ich konnte nicht die Milch ausstreichen und gleichzeitig die leere Flasche halten. Der liebe Gott hat Frauenbrüste leider nicht mit einer besonders guten Zielvorrichtung versehen.

Da kniete ich nun also mit milchdurchweichter Bluse und Designerkostüm auf dem Boden eines Toilettenabteils und goss heulend meine Muttermilch ins Klo. Die Tränen liefen mir in Strömen über das Gesicht, während die Milch den Abfluss hinuntergluckerte. Meine Brüste standen kurz vor der Explosion, und meine rosarote Zukunftsvision, in der ich mit spielerisch leichter Anmut Karriere und Haushalt managte, hatte sich mir nichts, dir nichts in Luft aufgelöst.

Auf der stickigen Zugfahrt von der Wall Street nach Hause in die 125th Street in Harlem wurde mir langsam bewusst, was diese neue Wirklichkeit wirklich für mich bedeutete. Wenn ich im Büro so viel um die Ohren hatte, dass ich nicht mal an etwas so Lebenswichtiges dachte, wie Milch für mein Baby abzupumpen, was würde sonst noch alles unter den Tisch fallen? Wann sollte ich den Poststapel durchsehen oder die Rechnungen bezahlen? Wie sollte ich mit Wäsche und Kochen hinterherkommen? Wann sollte ich die Einkäufe erledigen? Die Fußböden in unserem Haus würden für meinen Sohn zum Gesundheitsrisiko werden, sobald er anfing zu krabbeln, denn wie sollte ich dafür sorgen, dass sie immer keimfrei sauber blieben? Während ich in einem Meeting saß, hatte ich zwei E-Mails von der Tagesmutter verpasst. Wie sollte ich es schaffen, all ihre Fragen prompt zu beantworten? Wann sollte ich das Auto zur Inspektion bringen? Würde mein Buchclub mich je wiedersehen? Würde ich überhaupt je wieder ein Buch lesen? Wie wollte ich mir Zeit nehmen für Freunde und Familie? Und für mich? Auf einmal erschien mir die Idee, stark und dynamisch die Karriereleiter zu erklimmen und die Welt dabei zum Guten zu verändern – und ganz nebenbei auch noch eine vorbildliche Ehe zu führen und ein gesundes, glückliches Kind großzuziehen – plötzlich nicht mehr als Selbstverständlichkeit, sondern als Unmöglichkeit.

Im College nannten die anderen Mädels in unserer Studentinnenverbindung mich, weil ich so gut organisiert war, immer Trapper Keeper – so was wie Ms. Aktenordner. Aber wenn ich mir die Lage jetzt so ansah, fühlte ich mich vom Leben abgeheftet und von widersprüchlichen Anforderungen geschreddert wie von einem Reißwolf. Ich wollte die perfekte berufstätige Mami sein – kein milchdurchweichtes, gestresstes heulendes Etwas. Aber hier konnte auch die beste Organisation nicht mehr helfen. Irgendetwas würde wohl zwangsläufig auf der Strecke bleiben.

Mir war klar, dass viele Frauen dieses Dilemma lösten, indem sie einen Großteil der häuslichen Pflichten delegierten. Wer es sich leisten kann, dem steht eine große Auswahl professioneller Helferlein (ebenfalls meist Frauen) zur Verfügung, die einem vom Kochen über Putzen bis hin zum Kinderherumfahren alles abnehmen. Aber diese Lösung ist etwas für Frauen, die nicht aufs Geld schauen und sich Personal leisten können – Frauen in den oberen Chefetagen, die selbst viel verdienen, oder solche, die mit gutbetuchten Männern verheiratet sind. Mein Mann und ich waren weder das eine noch das andere. Wir verdienten gerade genug, um unsere Kosten für Lebenshaltung, Kinderbetreuung, Rücklagen und Studentenkredite zu decken und hin und wieder jemanden aus unserer weitläufigen Verwandtschaft zu unterstützen. Wie um alles auf der Welt sollte ich das alles schaffen? Das unüberschaubare Ausmaß dieser Herkulesaufgabe ließ mich unvermittelt wieder in Tränen ausbrechen.

Als mein Mann um zehn Uhr abends von der Arbeit nach Hause kam, lag ich noch immer schniefend im Bett. Für seine Verhältnisse war er recht früh zurück; oft ackerte er die ganze Nacht durch. Nichts Ungewöhnliches bei der Bank, für die er arbeitete. Ich hörte, wie er die Schuhe abstreifte und sie einfach im Flur liegen ließ, statt sie in den Schuhschrank zu stellen. Ich wusste haargenau, wann er seine Jacke aufhängte, weil ich die Plastiktüte mit den Sachen von der Reinigung rascheln hörte, die ich auf dem Nachhauseweg für ihn abgeholt hatte. Dann marschierte er schnurstracks zum Kühlschrank, wohl wissend, dass dort das Abendessen auf ihn wartete. Nach dem Essen hörte ich das altbekannte Klappern, und ich wusste, er stellt Teller und Besteck wieder einmal in die Spüle, statt sie gleich in den Geschirrspüler zu räumen. Dann ein Plumpsen – er, wie er sich auf die blaue Couch fallen ließ. Wie oft hatte ich ihn dort so sitzen sehen. Die rechte Hand ruhte träge auf dem Oberschenkel, während er mit dem Daumen auf die Fernbedienung drückte. Ich hörte den Fernseher angehen, den altbekannten Jingle des ESPN Sportkanals, und fühlte eine kleine Spur Unmut in den Zehen kribbeln. In den Knien angekommen, hatte sich das Gefühl in blanken Neid verwandelt, der sich in meinem Bauch zu Ärger auswuchs und mir dann als brodelnde Wut in die Brust stieg. Er und ich waren eindeutig auf derselben Schnellstraße unterwegs, aber irgendwie hatte er es geschafft, den Unfallort weiträumig zu umfahren, während ich mit Volldampf gegen die Wand geknallt war.

Für ihn war ich die Antwort auf die Frage, ob man wirklich alles haben konnte, und wenn ja, wie.

Aber was war meine?

Ich wünschte nur, ich hätte damals schon gewusst, dass ich bei weitem nicht die einzige Frau war, die mit so wahnwitzig vielen widerstrebenden Anforderungen zu kämpfen hat, um irgendwie Arbeit und Familienleben unter einen Hut zu bringen. In einer kürzlich veröffentlichten Pew-Studie unter berufstätigen Millennial-Müttern gaben 58 Prozent der Befragten an, Kinder zu bekommen habe ihnen das berufliche Fortkommen erschwert. Nur 19 Prozent der Väter waren dieser Meinung.1 Der Grund für diesen gravierenden Unterschied liegt auf der Hand. Just zu dem Zeitpunkt, wenn Frauen die mittlere Managementebene erreichen und ihre beruflichen Verpflichtungen exponentiell zunehmen, gründen sie oft zeitgleich auch eine Familie und übernehmen ganz selbstverständlich zuhause einen Großteil der anfallenden Aufgaben. Grausam, wie bei Akademikerinnen Karrierehoch und biologische Uhr aufs Ungünstigste zusammenfallen. Im durchschnittlichen Alter von dreißig Jahren2 tragen Frauen mehr Verantwortung denn je zuvor in ihrem Leben, sei es nun bei der Arbeit im Büro oder zuhause bei der Kinderbetreuung. Dieses katastrophale Timing kulminiert dann mit zwei weiteren externen Faktoren. Erstens sind die meisten Stellen auch heute noch auf Angestellte ausgerichtet, die in allen anderen Bereichen auf optimale Unterstützung zählen können. In der Berufswelt scheint man einfach davon auszugehen, dass jeder Vollzeitbeschäftigte zuhause jemanden hat, der ihm den Rücken freihält und den gesamten Haushalt schmeißt. Zweitens machen die gewachsenen Ansprüche moderner Kindererziehung, Elternschaft und Haushaltsführung heutzutage diese zu einer größeren Belastung denn je zuvor. Zusammengenommen vermitteln der Mythos des optimal unterstützten Angestellten und die gesellschaftliche Erwartungshaltung bezüglich der bestmöglichen Kindererziehung einer neuen Generation von Frauen eine klare Botschaft: Ihr könnt alles haben, wenn ihr alles schafft. Und früher oder später müssen wir zerknirscht einsehen, dass es schlichtweg unmöglich ist, alles zu schaffen.

Die vernünftigste Lösung für dieses Problem wäre eine einheitliche, erschwingliche Kinderbetreuung, bezahlte Auszeiten für frischgebackene Eltern, fortschrittliche, flexible Arbeitsplatzregelungen und eine Gesellschaft, in der Fürsorge wertgeschätzt wird. Anne-Marie Slaughter hat in ihrem Buch Was noch zu tun ist: Damit Frauen und Männer gleichberechtigt leben, arbeiten und Kinder erziehen können3 nachdrücklich und überzeugend für diese grundlegenden Voraussetzungen argumentiert. In Island beispielsweise gibt es, wie in vielen anderen europäischen Ländern, staatlich subventionierte Kindertagesstätten und den längsten Erziehungsurlaub weltweit. Das Land gilt für Frauen als eins der lebenswertesten überhaupt.4 Im krassen Gegensatz dazu haben amerikanische Frauen oft nicht mal mehr Zeit, ins Fitnessstudio zu gehen, geschweige denn, darauf zu warten, dass Washingtoner Bürokraten eine fortschrittlichere Gesetzgebung in Gang bringen, um Familien mit zwei arbeitenden Elternteilen besser zu unterstützen.

Abgesehen von der Möglichkeit, bei den zuständigen Senatoren gezielte Lobbyarbeit zu betreiben, und dem Traum vom hauseigenen Personal, bleibt Frauen (und den Männern, die sie lieben) also nichts weiter übrig, als das Problem selbst in die Hand zu nehmen. Die traditionellste Lösung ist noch immer die, den Beruf vollständig aufzugeben. Frauen, die sich für diesen Weg entscheiden, sind inzwischen eine verschwindend geringe Minderheit; nur fünf Prozent aller verheirateten Mütter entscheiden sich dafür.5 Für die überwältigende Mehrheit der Frauen kommt diese Lösung nicht in Frage, da die Familie auf zwei Gehälter angewiesen ist. Tatsächlich sind in 40 Prozent aller US-amerikanischen Haushalte mit Kindern unter achtzehn Jahren Frauen die alleinigen oder Haupteinkommenserzieler.6

Die zweite Lösung ist, die eigene Karriere hintanzustellen. 17 Prozent der Frauen reduzieren oder verlegen ihre Arbeitszeiten, um sich um Haushalt und Kinder kümmern zu können.7 Dieser Weg wird häufig auch »mommy track«, der Mamiweg, genannt. Diese Frauen arbeiten in Teilzeit oder Gleitzeit – wobei dieser Lösung in den allermeisten Unternehmen auch heute noch das Stigma fehlenden beruflichen Engagements anhaftet.8 In den letzten Jahren wurde das Kürzertreten im Beruf häufig als »nicht-linearer Weg« bezeichnet.9 In einer Studie unter Alumni der Harvard Business School gaben 37 Prozent der Millennial-Frauen, und unter diesen 42 Prozent, die bereits verheiratet waren, an, ihre Karriere zugunsten der Familie zurückstellen zu wollen. Mit dreißig hatte sich beinahe die Hälfte von ihnen bereits für einen flexibleren Karriereweg entschieden oder die berufliche Überholspur verlassen. 9 Prozent hatten aufgrund familiärer Verpflichtungen auf eine Beförderung verzichtet.10

Die dritte Möglichkeit ist es, sich grundsätzlich gegen Kinder zu entscheiden. 1992 gaben noch beinahe 80 Prozent aller weiblichen Studienabgänger der Wharton Business School an, eine Familie gründen zu wollen. 2012 war diese Zahl bereits auf 42 Prozent gesunken.11 Millennial-Frauen, die sich zugunsten der Karriere gegen Kinder entscheiden oder keine Kinder bekommen können, sind nicht allein: Gegenwärtig haben 49 Prozent aller Frauen in den höchsten Führungsetagen keine Kinder. Demgegenüber stehen nur 19 Prozent bei den männlichen Führungskräften.12

Für mich taugte keiner dieser drei Lösungsansätze. Ich hatte keinen reichen Mann geheiratet, aber selbst wenn, würde ich das Risiko scheuen, meine finanzielle Eigenständigkeit (und die meines Sohnes) zu gefährden, indem ich aufhörte zu arbeiten. Meine Mutter hatte ihre Karriere auf Eis gelegt, um sich um uns Kinder zu kümmern, und die grausamen Konsequenzen hatte ich mit eigenen Augen gesehen: Nach der Scheidung von meinem Dad war sie unaufhaltsam in die Armut abgerutscht. Als Jugendliche hatte ich nach Kräften versucht, sie zu unterstützen, und ich schwor mir, mich finanziell nie von irgendwem abhängig zu machen. Auszusteigen – also meine bezahlte Arbeit aufzugeben – kam für mich einfach nicht in Frage. Ganz besonders nicht mit einem Kind. Weniger als Vollzeit zu arbeiten ging auch nicht, weil wir uns dann die Kinderbetreuung nicht mehr hätten leisten können. Und als Frischling im Unternehmen wagte ich es nicht, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen und nach flexiblen Arbeitszeiten zu verlangen. Außerdem liebte ich meine Arbeit. Ich wollte nicht aufhören oder kürzertreten. Ich wollte meine beruflichen Ambitionen nicht zurückschrauben.

Und was die Frage nach Kinderhaben oder nicht anging: Der Zug war längst abgefahren.

Blieb also nur eine Möglichkeit, und zwar die, für die sich die meisten Frauen notgedrungen entscheiden: Ich musste irgendwie alles schaffen, zuhause und im Büro. Leider hat diese Lösung einen hohen Preis, den wir vor allem mit unserer Gesundheit und unserem seelisch-geistigen Wohlbefinden bezahlen. Wer sich als Frau mit Leib und Seele sowohl dem Beruf als auch der Familie verschreibt, wer keine Pause einlegen oder ein bisschen kürzertreten kann oder will, ist am Ende erschöpfter, gestresster, ausgelaugter und kränker, als die Frauen irgendeiner vorherigen Generation es je waren.13

Als ich also am Abend meines ersten Arbeitstags nach der Elternzeit schluchzend im Bett lag, traf mich dieses Dilemma mit ganzer Wucht, und mir wurde klar, eine bessere Lösung musste her. Es sollte Jahre dauern, bis ich sie gefunden hatte. Und der Weg dorthin war steinig und schwer und nicht immer konfliktfrei. Aber letztendlich konnte ich doch die richtige Lösung für mich finden.

Heute kann ich mit Stolz behaupten, beruflich erfolgreich zu sein. Meine Arbeit ist meine Herzensangelegenheit. Meine Gesundheit hat nicht gelitten. Und als Mutter konzentriere ich mich auf die Dinge, die mir am wichtigsten sind und mir am meisten am Herzen liegen. Es war kein leichter, vorhergezeichneter Weg, der mich hierhergeführt hat, aber er sollte mein ganzes Leben verändern. Im Gegensatz zu vielen anderen berufstätigen Müttern leide ich nicht unter Angstzuständen und chronischer Nervosität – was früher bei mir ganz anders war. Im Durchschnitt schlafe ich sieben Stunden die Nacht und gehe vier Mal die Woche zum Sport. Ich breche nicht unter der Last von Kindererziehung und -betreuung zusammen. Ich kann guten Gewissens berufliche Abendtermine annehmen, weil ich weiß, dass mein Mann für mich einspringt oder für den Notfall einen Babysitter organisiert. Und das Allerwichtigste: Ich werde nicht von Schuldgefühlen zerfressen. Mein Leben ist zwar alles andere als perfekt – man muss sich nur das Gerümpel ansehen, das aus sämtlichen Schränken unserer Wohnung quillt –, aber meistens habe ich das beruhigende Gefühl zu wissen, dass das, was ich tue, reicht. Es ist genug.

Beruflich konzentriere ich mich darauf, die besten Ansätze zu verfolgen, um den eklatanten Frauenmangel in den Führungsetagen US-amerikanischer Unternehmen anzugehen – als Leiterin des White House Project, einer nationalen Organisation für Frauen in Führungspositionen, und derzeit auch als Vorstandsvorsitzende bei Levo, einer Technologieplattform, gegründet zur Karriereförderung speziell für weibliche Millennials. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass Frauen, selbst wenn es ihnen gelingt, die Karriereleiter hochzuklettern, selten bis ganz nach oben kommen. Wir machen 51 Prozent der Bevölkerung aus14, und bis 2020 werden wir voraussichtlich 47 Prozent der Arbeitskräfte stellen15, und doch liegt der Frauenanteil in den höchsten Führungsetagen bei gerade einmal 18 Prozent.16 Kluge Unternehmensführer sind bemüht, an diesem unhaltbaren Zustand etwas zu verändern. Ich wurde bereits von vielen Fortune-500-Unternehmen und großen gemeinnützigen Organisationen engagiert, um sie bezüglich der Bildung und Förderung von Frauen zu beraten, und ich spreche häufig öffentlich über die Vorteile von Diversität in der Unternehmensführung.

Es hat mir Mut gemacht zu sehen, dass im Laufe meiner Karriere Frauen so viel Unterstützung erfahren haben und dadurch in der Lage waren, ihre berufliche Position zu stärken. Aber mir ist sehr wohl bewusst, dass die allermeisten dieser Bemühungen darauf abzielen, es Frauen zu ermöglichen, den Fuß beruflich nicht vom Gaspedal nehmen zu müssen: Arbeitgeber sollen dafür sensibilisiert werden, weibliche Angestellte offensiver zu unterstützen, oder es sollen die politischen Voraussetzungen geschaffen werden, um Unternehmen mehr Anreize dafür zu bieten. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin eine entschiedene Befürworterin all dieser lobenswerten Ansätze (wie wir alle das eigentlich sein sollten), aber ich habe einsehen müssen, dass all das jenen Frauen, die von Schuldgefühlen zerfressen, von Ängsten geplagt und schlichtweg zu Tode erschöpft sind, keine gangbare, praktikable Lösung an die Hand gibt, um die konkurrierenden Anforderungen von Beruf und Familie irgendwie unter einen Hut zu bringen.

Diese Einsicht – und die Inspiration für dieses Buch – kam mir gegen Ende 2013. In diesem Jahr hatte ich auf sechzig verschiedenen Podien vor annähernd zwanzigtausend Frauen gesprochen; hauptsächlich zu dem Thema, was jeder Einzelne von uns ebenso wie Organisationen und Unternehmen für mehr Diversität auf der Führungsebene tun können. Ungeachtet des Themas meiner Reden oder der Zusammensetzung des Publikums war die meistgestellte Frage am Ende meines Vortrags immer eine sehr persönliche: »Wie schaffen Sie das bloß alles?«

Worauf ich stets antwortete: »Ich erwarte wesentlich weniger von mir und viel mehr von meinem Mann als die meisten anderen Frauen!« Was mir immer reichlich Lacher einbringt. Wobei ich allerdings dann immer bemüht bin, die meines Erachtens viel dringenderen Fragen zu beantworten, nämlich Möglichkeiten des Umgangs mit betriebsinternen Regelungen oder der Einflussnahme auf Unternehmen und Politik. Doch all meinen guten Absichten zum Trotz insistierten meine Zuhörerinnen, mehr über mich zu erfahren und wie ich mein Familienleben organisiere. Kleinkram, der mir selbst vollkommen unwichtig erscheint – beispielsweise, wie mein Mann und ich es geregelt haben, wer die Kinder zur Schule bringt oder die Einkaufsliste fürs Sommercamp abarbeitet oder wie wir die Betreuung bei beruflichen Abendterminen aufteilen – schien sie brennend zu interessieren. Irgendwann, nachdem ich mal wieder mit solchen Fragen bestürmt worden war, machte es bei mir Klick. Endlich verstand ich, dass diese Frauen, wenn sie mich fragten: »Wie schafft ihr das nur alles?«, eigentlich meinten: »Wie schaffe ich das nur alles?«

Loslassen ist meine einfache Antwort auf diese Frage. Das ist die Geschichte einer dreijährigen Reise, bei der ich herausfand, was mir am wichtigsten ist, wie ich es erreichen kann und welches Netzwerk ich mir aufbauen muss, um die Unterstützung zu bekommen, die das alles überhaupt erst möglich macht. Die Situation, in der ich mich an diesem ersten Abend nach meiner Elternzeit wiederfand – rat-, hilf- und schlaflos, wütend und voller Groll auf den einen Menschen, der eigentlich in der besten Ausgangsposition gewesen wäre, mir helfend unter die Arme zu greifen –, ist alles andere als ungewöhnlich. Die meisten Frauen kennen dieses Gefühl, wenn die Verpflichtungen zuhause immer drängender und zeitaufwendiger werden und gleichzeitig die berufliche Karriere alles an Aufmerksamkeit, Kraft und Kreativität erfordert. Dies ist die Geschichte, wie ich lernte, beruflich alles zu geben, eine glückliche Ehe zu führen, fröhliche Kinder großzuziehen, mich auch außerhalb der Familie sozial zu engagieren, tiefe Freundschaften zu pflegen und dabei gesund und fit zu bleiben – alles gleichzeitig.

Aber dieses Buch ist mehr als nur mein persönliches Resümee; es ist ein Manifest. Frauen sollen wissen, dass ihre ganz persönlichen, privaten Probleme auch kollektive, gesellschaftliche und politische Probleme sind. Studien sind sich in diesem einen Punkt einig: Die komplexesten Probleme lassen sich am besten lösen, wenn die damit befasste Gruppe möglichst divers ist. Und doch sitzt in den obersten Führungsetagen immer noch eine Einheitstruppe aus weißen, heterosexuellen, nicht-behinderten, wohlhabenden Männern. Woran sich seit der Frühzeit unseres Staates vor zweieinhalb Jahrhunderten nicht viel getan hat. Und daran könnte selbst eine weibliche Präsidentin nicht über Nacht etwas ändern. Verstehen Sie mich nicht falsch. Wie viele unserer Gründerväter sind die Entscheider in den Chefetagen heute meist gebildet, klug und wohlmeinend. Aber für das einundzwanzigste Jahrhundert, das uns vor komplexe Probleme stellt, ist ihr Horizont einfach zu beschränkt, um die gigantischen Aufgaben wie die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich, Klimawandel, Terrorismus oder den Niedergang des amerikanischen Bildungssystems effektiv anzugehen. Wenn uns diese Fragestellungen wichtig sind, dann müssen uns auch die Frauen wichtig sein, die bei der Lösung all dieser drängenden Probleme helfen könnten.

Heutzutage stellen Frauen die Hälfte der Arbeitskräfte, aber wenn es so weitergeht, wird es noch einmal hundert Jahre dauern, bis sie auch die Hälfte aller Führungskräfte stellen.17 Die Zukunft unserer Gesellschaft steht und fällt mit der Frage, ob es Frauen endlich gelingt, über das mittlere Management hinauszukommen und ihr volles Potential zu entfalten. Wir brauchen eine neue Bewegung – ein kollektives Loslassen – nicht nur, um zu verhindern, dass berufstätige Mütter vor die Hunde gehen, sondern auch, um dem trägen Lauf der Geschichte auf die Sprünge zu helfen.

I.

Alles haben, alles schaffen