Buch
Zoe und Ed sind ein Traumpaar, doch im Laufe der Jahre ist ihre Beziehung ins Wanken geraten. Nach einer ihrer häufigen Auseinandersetzungen geschieht das Unfassbare: Ed stirbt bei einem Unfall. Zoe glaubt, an ihrem Schmerz zu zerbrechen. Wieso hat sie Ed an diesem Morgen nicht mehr gesagt, wie sehr sie ihn liebt? Als sie wenig später schwer stürzt, erwacht sie in einer Version ihres Lebens, in der Ed noch am Leben ist und sich die beiden gerade erst kennenlernen. Fortan hat Zoe die Chance, jeweils einzelne Tage der gemeinsamen Jahre mit Ed nochmal zu durchleben und dabei die Geschehnisse zu verändern. Bis der Tag von Eds Unfall immer näher rückt …
Autorin
Clare Swatman arbeitet als Journalistin und schreibt für erfolgreiche Frauenmagazine wie Bella, Woman’s Own und Real People. Before you go – Jeder letzte Tag mit dir ist ihr Debütroman, der sich noch vor Erscheinen in 19 Länder verkauft hat. Clare Swatman lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen in Hertfordshire, England, und schreibt derzeit an ihrem nächsten Roman.
Besuchen Sie uns auch auf
www.facebook.com/blanvalet
und www.twitter.com/BlanvaletVerlag
CLARE SWATMAN
Jeder letzte
Tag mit dir
Roman
Deutsch von Sonja Rebernik-Heidegger
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel
»Before you go« bei Macmillan, an imprint of Pan Macmillan, London.
1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © Clare Swatman 2017
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2018
by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Margit von Cossart
Umschlaggestaltung: © NETWORK! Werbeagentur
Umschlagmotiv: © Keith Young
JvN · Herstellung: sam
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-19567-0
V002
www.blanvalet.de
Prolog
29. Juni 2013
Es ist ein heißer Tag, und die Sonne strahlt vom Himmel, doch Zoe ist so traurig wie noch nie in ihrem Leben. Mit blassem, ausdruckslosem Gesicht steigt sie aus dem schwarzen Auto und macht sich unsicher auf den Weg zu dem bedrückenden Backsteingebäude. Ihre Mutter eilt hinter ihr her und greift beschützend nach ihrem Ellbogen.
Etliche Menschen warten vor dem Eingang. Die Sonne steht so hoch, dass sie kaum Schatten werfen, und das Licht ist so grell, dass Zoe ihre Gesichter nicht erkennen kann. Einige rauchen und blasen wabernde Wolken in die warme Sommerluft. Sie beobachten Zoe, jemand wirft ihr zur Begrüßung ein kurzes Lächeln zu, aber sie bemerkt es kaum.
Zoe und ihre Mutter betreten das Gebäude und gehen steif auf die erste Reihe zu. Zoes Schwiegermutter Susan ist bereits da. Ihre Augen wirken trotz des sorgsam aufgetragenen Make-ups rot und geschwollen. Sie ringt sich ein schwaches Lächeln ab, als sich die beiden Frauen neben sie setzen. Zoe nimmt Susans Hand und hält sie fest umklammert.
Man hört das Schniefen und das Gemurmel der anderen Trauergäste, die sich langsam auf ihre Plätze begeben, doch Zoes ganze Aufmerksamkeit gilt Eds Sarg, der umgeben von Blumen und Kerzen im vorderen Teil der Trauerhalle steht. Sie starrt auf die schlichte Holzkiste und kann einfach nicht glauben, dass sich tatsächlich der Körper ihres geliebten Mannes darin befinden soll. Es erscheint ihr so surreal.
Und so unfair.
An dem Tag, an dem er gestorben ist, war es ebenfalls unerträglich heiß gewesen. Am Morgen hatte sie wie immer wahllos Dinge in ihre Handtasche gestopft: ihren Laptop, den Kalender, einen Apfel, ihr Handy, eine Cola light, ein Buch, ihr iPad. Wie ein Film läuft alles, was passiert ist, nun an ihr vorbei.
»Wenn du noch mehr hineinstopfst, brauchst du einen Packesel, um die Tasche zur Arbeit zu befördern«, sagte Ed und kam mit der Zahnbürste im Mund auf sie zu.
Zoe sah, wie Zahnpasta von seinem Kinn aufs Parkett tropfte.
Sie verdrehte die Augen. »Um Himmels willen, Ed«, fuhr sie ihn ungeduldig an. Sie wusste genau, dass sie überreagierte, dass er nur versuchte, die Stimmung zu heben, doch sie konnte nichts gegen ihre Wut tun. Sie stapfte ins Badezimmer, um Toilettenpapier zu holen und die Zahnpasta damit aufzuwischen, dabei sah sie, dass einer ihrer Fingernägel eingerissen war. »Verdammt noch mal«, murmelte sie und spürte, wie bittere Galle in ihr hochstieg.
Fieberhaft riss sie sämtliche Badezimmerschranktüren auf und suchte nach einer Nagelschere. Sie war spät dran, und Ed ging ihr gehörig auf die Nerven. Sie musste schleunigst raus aus der Wohnung. Endlich fand sie die Schere, schnitt den Nagel ab, warf sie zurück in den Schrank und knallte die Türen zu.
Ed stand im Wohnzimmer und schmollte. Er versuchte, ihr nicht in die Quere zu kommen, und sie konnte ihm keinen Vorwurf machen. Sie war in letzter Zeit ständig schlechter Stimmung. Der Zorn brodelte unter der Oberfläche, bereit, jeden Moment hervorzubrechen. Die Tatsache, dass sie sich dessen bewusst war, bedeutete jedoch nicht, dass sie die Situation unter Kontrolle hatte. Sie wusste, dass die Hormone daran schuld waren. Es waren immer die verdammten Hormone.
Sie lief in die Diele und zog ihre Sandalen an. Eds gedämpfte Stimme drang aus dem Wohnzimmer an ihr Ohr.
»Was?«, fuhr sie ihn an, als er zur Haustür ging. Seinen Fahrradhelm hatte er schon aufgesetzt.
»Ich fahr dann mal«, sagte er nur. »Wir sehen uns später.«
»Gut«, erwiderte sie barsch.
Zoe war nicht in der Stimmung für mehr. Er wandte sich ab und ging hinaus, Sekunden später fiel die Tür zu. Sie hörte, dass er sein Fahrrad aufschloss und schließlich davonfuhr. Ihr Herz zog sich vor Bedauern zusammen, doch sie ignorierte es.
Es war das letzte Mal, dass sie ihn lebend sah.
Zoe erhielt die Nachricht erst einige Zeit später. Sie hatte den ganzen Vormittag in einer Besprechung verbracht, sich dann in der kleinen Küche einen Kaffee gemacht. Als sie mit dem Becher in der Hand an ihren Schreibtisch zurückging, sah sie ihre Chefin Olive mit aschfahlem Gesicht auf sich zukommen.
»Olive? Ist alles in Ordnung?«, fragte Zoe.
Olive sagte einige Sekunden lang gar nichts, und Zoe begann sofort, sich Sorgen zu machen. Hatte sie vielleicht einen Fehler gemacht, was die Arbeit betraf? Befand sie sich in ernsten Schwierigkeiten?
»Komm bitte mit«, forderte Olive sie auf. Ihre Stimme klang freundlich und beschwichtigend und nicht etwa barsch, was Zoe noch mehr verwirrte. Sie folgte ihr in das Besprechungszimmer zurück, aus dem sie gerade gekommen war, und Olive schloss die Tür. »Setz dich«, bat sie Zoe und deutete auf einen Stuhl, ehe sie sich selbst niederließ. »Bitte.« Zoe hockte sich nervös auf die Stuhlkante. Ihre Hände begannen zu zittern. »Zoe«, begann Olive mit ernster Stimme. »Ich … ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll … Es gab einen Unfall. Ed wurde von einem Bus angefahren.«
Olive brach ab, und Zoe hielt den Atem an. Sie hoffte, dass Olive die nächsten Worte so schnell wie möglich aussprach, auch wenn sie sie eigentlich gar nicht hören wollte.
Ein sanftes Klopfen durchbrach die furchtbare Stille, Zoe wäre vor Schreck beinahe aufgesprungen. Olive eilte zur Tür und öffnete sie. Zoe sah einen Polizisten und eine Polizistin, hörte, dass sie nach ihr fragten. In diesem Moment zerbrach Zoes Welt in tausend Scherben.
Ein ersticktes Schluchzen drang aus ihrer Kehle. Sie versuchte aufzustehen, doch ihre Beine gaben unter ihr nach, und sie fiel auf den Stuhl zurück. Ihre Hände zitterten nun unkontrollierbar, und als die Beamten das Zimmer betraten, suchte Zoe Olives Blick. Ihre Augen flehten sie an, ihr zu sagen, dass hier ein schreckliches Missverständnis vorlag. Olive wich ihrem Blick aus.
Zoe starrte auf die Schuhe der Polizistin. Sie waren derart auf Hochglanz poliert, dass sich das Licht der Neonröhren in ihnen spiegelte. Sie stellte sich vor, wie sich diese Frau am Morgen für ihren Arbeitstag bereit gemacht hatte. Wie sie in der Küche gestanden, ihre Schuhe poliert und über den Tag nachgedacht hatte, der vor ihr lag. Hatte sie erwartet, dass sie später einer Frau eine schreckliche Nachricht überbringen musste?
»Zoe?«, hörte sie eine Stimme.
Sie hob den Kopf. Die beiden Beamten und Olive schienen darauf zu warten, dass sie etwas sagte.
»Ich … ich …« Doch sie schaffte es einfach nicht. »Wo ist er?«, brachte sie schließlich heraus.
Der Polizist schien erleichtert, endlich etwas tun zu können. Er kam einen Schritt auf sie zu. »Er wurde ins Royal Free Hospital gebracht«, antwortete er. »Es tut mir sehr leid, aber er … Die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun.« Er hielt kurz inne. »Wenn Sie möchten, bringen wir Sie zu ihm«, fügte er dann hinzu.
Wie gelähmt nickte Zoe und stand auf.
Olive eilte auf sie zu, auch sie schien begierig darauf, eine Aufgabe zu bekommen. »Holen wir erst einmal deine Sachen, meine Liebe«, sagte sie und dirigierte Zoe zur Tür hinaus.
Zoe nahm ihre Tasche, die sie unter den Schreibtisch gestellt hatte, zog ihre Strickjacke von der Stuhllehne und ließ ihren Blick über den Tisch wandern, um sicherzugehen, dass sie auch nichts vergessen hatte. Dann folgten sie und Olive den beiden Polizisten zu dem wartenden Streifenwagen. Olive half ihr hinein.
Auf den Straßen war es seltsam ruhig. In Zoes Hinterkopf machte sich der Gedanke breit, dass es Menschen gab, die erfahren mussten, was passiert war. Sie holte ihr Handy heraus und tippte eine vertraute Nummer ein, Janes Nummer. Jane war ihre beste Freundin.
»Hey«, antwortete Jane nach dem ersten Klingeln. Ihre Stimme klang fröhlich und so unpassend, dass Zoe nach Luft schnappte. »Zoe, was ist los?«
»Ed …« Ihre Stimme brach, sie kämpfte darum, weitersprechen zu können. »Es ist Ed. Er ist … Es gab einen Unfall, und er ist …« Sie schaffte es einfach nicht. Sie konnte dieses Wort nicht laut aussprechen. Und sie musste es auch nicht.
»Verdammt, Zoe, wo bist du? Ich komme sofort.«
»Ich bin … im Royal Free. Ich meine … wir fahren gerade hin.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Bin schon unterwegs.«
Als sie das Telefonat beendet hatte, hielt der Streifenwagen auch schon vor dem Krankenhaus. Es blieb keine Zeit mehr, noch jemanden anzurufen. Das braune Backsteingebäude hob sich seltsam unheimlich vor dem blauen Himmel ab. Zoe stieg aus dem Wagen. Nun begannen auch ihre Beine zu zittern, und sie stolperte. Gleich nahm die Polizistin ihren Arm, um sie zu stützen. Wie hieß sie noch? Zoe wünschte, sie könnte sich an ihren Namen erinnern. Hatte sie ihren Namen überhaupt genannt? Sie gingen gemeinsam auf die Eingangstür zu, und als sich diese hinter ihnen schloss, hatte Zoe plötzlich das Gefühl, in der Hölle zu sein.
Sie wurde in ein kleines Zimmer mit einer Sitzgruppe gebracht. Während sie wartete, starrte sie mit leerem Blick auf die Plakate an der Wand, die Beratungen im Trauerfall oder bei Depressionen anboten, ohne sie jedoch wirklich wahrzunehmen. Die Anstrengung, an gar nichts zu denken, raubte ihr die letzte Kraft.
Schließlich hörte sie eine vertraute Stimme, hob den Blick und sah Jane. Sie lief auf ihre Freundin zu und schloss sie fest in die Arme. Und dann begann Zoe zu weinen. Ihr Schluchzen war so gewaltig, dass ihr ganzer Körper bebte. Sie hatte das Gefühl, in der Mitte auseinanderzubrechen.
»Er … er ist tot«, stieß sie unter Tränen hervor.
»O nein … Zoe …«
Jane hielt sie fest und streichelte ihr über den Rücken, bis ihr Schluchzen verebbte. Dann setzten sie sich Hand in Hand.
»Ich hab mich heute Morgen einfach schrecklich verhalten«, erklärte Zoe, als sich ihr Atem langsam beruhigt hatte. »Er konnte mich nicht einmal ansehen. Er muss mich verabscheut haben, Jane.«
»Zoe, Ed hätte dich niemals verabscheut. Er hat dich vergöttert, und er wusste, dass du ihn liebst. Bitte mach dir keine Gedanken darüber, Süße.«
»Aber ich war so wütend auf ihn, dabei hat er absolut nichts falsch gemacht. Ich habe mich nicht einmal von ihm verabschiedet, und jetzt ist er für immer fort, und ich kann ihm nie mehr sagen, wie sehr ich ihn liebe. Es ist zu spät. Was um alles in der Welt soll ich jetzt nur tun?«
Ehe Jane antworten konnte, erschien ein Arzt. Sanft erklärte er Zoe, sie müsse Ed identifizieren, er bringe sie jetzt zu ihm. Sie hörte wie durch einen Nebel hindurch, dass Ed von einem Bus angefahren worden war und nicht die geringste Chance gehabt hatte. Als er ins Krankenhaus eingeliefert worden war, war er bereits tot gewesen. Die Worte »Schädelhirntrauma« und »Wir konnten nichts mehr für ihn tun« drangen zu Zoe durch. Sie ertrug den Gedanken nicht, dass Ed vielleicht unter Schmerzen gelitten hatte, bevor er gestorben war.
Warum hatte sie ihn gehen lassen, ohne ihm zu sagen, dass sie ihn liebte? Hätte sie ihn umarmt und damit seinen Aufbruch noch um ein paar Augenblicke hinausgezögert, wäre er noch am Leben, und sie hätten ihre Probleme in den Griff bekommen, da war sie sich ganz sicher. Hätte sie ihn zur Arbeit gefahren, anstatt ihn mit dem Fahrrad fahren zu lassen … Sie hatte nie gewollt, dass er mit dem Fahrrad fuhr. Sie hatte ständig Angst gehabt, dass er angefahren wurde, dass ihm etwas passierte …
Doch jetzt war es zu spät. Ed war tot.
O mein Gott, Ed war tot.
Sie ließ sich wie in Trance an sein Bett führen. Sie schienen ihn bereits gewaschen zu haben, doch sein Gesicht und seine Brust waren blutverkrustet. Der Mann mit den Verletzungen, der hier vor ihr lag, war Ed, ihr Ehemann … Der Drang, die Hand auszustrecken, ihn zu berühren, ihn zu umarmen und ihm zu sagen, dass alles wieder in Ordnung kommen würde, war überwältigend. Doch Zoe wusste, dass es unmöglich war. Sie nickte dem Arzt zu, wandte sich ab und verließ, von Jane gestützt, den Raum.
Die nächsten Stunden versanken wie im Nebel. Zoe erinnerte sich, dass man sie in ein Wartezimmer für Angehörige brachte, dass ihr jemand Tee reichte und sie tröstend umarmte, und daran, dass das Personal des Krankenhauses im Flur hin und her eilte. Dann kam Eds Mum Susan, und die beiden Frauen hielten einander umklammert, vereint in der Trauer, die sie beide zu überwältigen drohte.
Und jetzt sind sie hier, in der Trauerhalle. Es sind erst zehn Tage vergangen, der Schmerz ist jedoch immer noch so groß, dass Zoe nicht glauben kann, dass sie überhaupt noch atmet.
Ein Schluchzen steigt ihre Kehle hoch und dringt aus ihrem Mund, und sie schlägt die Hand davor, versucht, die Fassung zu bewahren. Ihre Mum drückt ihre andere Hand noch fester.
Dann beginnt die Zeremonie.
Zoe sitzt regungslos da, während der Trauerredner mit sanfter Stimme freundliche Dinge über ihren Ehemann erzählt. Schließlich ist sie selbst an der Reihe. Sie weiß nicht, ob sie es schaffen wird, aber sie hat es Susan versprochen, und als sie mit dem bereits halb zerknüllten Blatt Papier die Stufen des Podiums emporsteigt und auf die Menschen hinunterblickt, die Ed geliebt haben und die auch sie lieben, weiß sie, dass sie etwas sagen muss. Sie tritt vor das Mikrofon.
»Ich habe einige Worte niedergeschrieben, die ich sagen wollte, aber ich bin mir nicht sicher, ob es die richtigen sind.« Ihre Stimme bricht, und ihre Mutter will schon aufstehen, um zu ihr zu kommen, doch Zoe schüttelt kaum merklich den Kopf und atmet tief ein. »Die letzten vierzehn Jahre war Ed meine Welt. Er war mein Ein und Alles. Der Gedanke, allein ohne ihn weiterleben zu müssen, ist unvorstellbar. Ich habe jetzt schon das Gefühl, als würde nur noch die Hälfte von mir weiterleben. Ich weiß, dass es heißt, die Zeit heile alle Wunden, aber ich glaube nicht, dass ich das überhaupt will. Ich will nicht, dass die Erinnerung an Ed und das, was wir zusammen hatten, jemals verblasst. Ich will sie für immer in meinem Herzen behalten und mich in den dunklen Tagen, die zweifellos immer wieder kommen werden, daran festhalten.« Zoe hält inne und wirft einen Blick auf ihre Hände. Sie hat sie zu Fäusten geballt, sodass die Knöchel weiß hervortreten. »Es wird immer Dinge geben, die ich ihm gern noch gesagt hätte, und Dinge, von denen ich wünschte, ich hätte sie nie laut ausgesprochen. Und ich werde mir immer wünschen, ich könnte einiges rückgängig machen, was ich an dem Tag, an dem er starb, und auch in den Monaten und Jahren davor getan habe. Doch das kann ich nicht, und so erinnere ich mich an die glücklichen Zeiten und versuche, die schlechten zu vergessen …« Sie hält erneut inne, hebt den Blick und sieht Jane in die Augen, sieht in das blasse Gesicht ihrer Freundin, die nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. »Und ich hoffe, euch gelingt das ebenfalls. Denkt voller Liebe an Ed zurück. Ich bin froh, dass ihr alle hier seid. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es ohne euch schaffen würde. Danke …«
Schließlich bricht ihre Stimme, die Tränen beginnen zu fließen, und sie eilt zurück an ihren Platz und in die Arme ihrer Mutter.
Der Trauerredner spricht weiter, doch Zoe hört ihn kaum. Endlich ist die Zeremonie zu Ende, und während sich der Vorhang vor den Sarg senkt, erklingt Eds Lieblingssong. Under My Thumb von den Rolling Stones.
»Nein!«, ruft Zoe, dreht den Kopf zur Seite, vergräbt ihn in den Händen und lässt ihren Tränen freien Lauf. Als sie den Blick hebt, ist Ed verschwunden.
16. August 2013
Zoe steht am Fenster und sieht zu, wie der Regen über das schmutzige Glas läuft und ihre Laune mit sich davonspült. Das leise Trommeln der Regentropfen gleicht ihrem Herzschlag, und sie weiß nicht, wo der Regen endet und wo ihre Tränen beginnen.
Der Garten ist nur unscharf zu erkennen. Es sind nicht einmal zwei Monate vergangen seit Eds Tod, und er ist bereits überwuchert. Die Rosen in ihren Töpfen brechen beinahe unter ihrem eigenen Gewicht zusammen, Unkraut und Disteln schießen aus dem Boden, die Terrasse ist glitschig vom Moos und vom Regen. Zoe schließt einen Moment die Augen und sieht Ed vor sich, wie er dort draußen steht, sorgsam Pflanzen setzt und beschneidet und Unkraut rupft. Dieser kleine Garten war sein ganzer Stolz. Er hat ihm eine so große Freude bereitet – nicht zuletzt wegen des Gartens haben sie die Erdgeschosswohnung gekauft.
Eigentlich sollte ich mich besser um ihn kümmern, denkt Zoe, doch sie hat es noch nicht über sich gebracht hinauszugehen. Schon beim Gedanken daran, ihn ohne Ed zu betreten, wird ihr das Herz schwer.
Zoe steckt eine Hand in die Tasche ihrer Strickjacke und tastet nach dem Blister. Dann wirft sie einen Blick auf die Uhr. Es sind erst zwei Stunden vergangen, seit sie die letzte Tablette genommen hat. Ihr wird immer ein wenig schwindlig von den Antidepressiva, aber sie braucht jetzt unbedingt noch eine Tablette. Sie steckt schnell eine in den Mund, schluckt sie trocken hinunter und würgt.
Rasch wendet sie sich vom Fenster ab, geht in die Küche und zur Hintertür. Der Schlüssel dreht sich nicht sofort, sie muss es ein paarmal versuchen, bis das Schloss mit einem Klicken nachgibt. Zoe reißt die Tür auf und stürmt raus. Es regnet so stark, dass ihr Haar sofort triefend nass ist, doch sie bemerkt es kaum. Sie läuft über den knirschenden Kies auf die Terrasse, reißt eine der Disteln aus, ohne auf die Dornen zu achten, die sich in ihre Haut bohren. Sie schleudert die Distel von sich, bevor sie die nächste ausreißt. Die Wut ergreift von ihr Besitz, sie kann nichts daran ändern. Sie packt Unkraut um Unkraut, Pflanze um Pflanze, zerrt daran, denkt nicht darüber nach, was sie tut. Zoe lässt ihren ganzen Zorn an dem Ort aus, den Ed am meisten geliebt hat. Sie kann einfach nicht aufhören, sein Werk zu zerstören.
Der Regen prasselt auf ihren Kopf, ihr Kleid klebt an ihrer kalten Haut, Wasser tropft von ihren Augenbrauen, den Lippen und den Wangen. Sie friert dennoch nicht. Sie spürt nichts. Als schließlich kaum etwas mehr übrig ist, das sie ausreißen könnte, beschließt sie, wieder ins Haus zu gehen. Wie in Trance setzt sie vorsichtig einen Fuß auf die nassen, glitschigen Holzdielen der Terrasse, und da passiert es. Sie verliert das Gleichgewicht, rudert mit den Armen in der Luft, versucht, sich an irgendetwas festzuhalten, doch da ist nichts. Mit dem Rücken schlägt sie auf dem Boden auf, im nächsten Moment trifft ihr Kopf auf einen Tontopf. Kurz nimmt sie einen überwältigenden Schmerz wahr, dann verliert sie das Bewusstsein, und alles wird dunkel.