»John Hands hat das Unmögliche versucht: Sein Buch beschreibt auf 700 Seiten den aktuellen Stand des naturwissenschaftlichen Wissens über den Ursprung von allem, von Materie, Leben und Menschheit; es ist dazu ein kühner Versuch, die Grenzen des Wissens auszuloten … Dieses Buch will mehr und greift weiter aus als die meisten populären Sachbücher, eher ist es das Werk eines Universalgenies … Eine unschätzbare enzyklopädische Leistung.«
— The Times Literary Supplement, Book of the Year
»Lange haben wir auf ein solches Werk gewartet, das sich mit dem Homo sapiens im Hinblick auf das gesamte Universum befasst … Cosmosapiens punktet hier hoch … Das Buch hat es in sich und wird seine Leser nicht enttäuschen.«
— San Francisco Book Review
»Geschrieben in der Freiheit des Außenseiters, mit wissenschaftstheoretischer Haltung. Hands universale Arbeit wird vor allem diejenigen begeistern, die sich dafür interessieren, inwieweit Wissenschaftler wirklich wissen, was sie vorgeben zu wissen.«
— Booklist
»Hands nimmt an, dass Geist und Materie sich gemeinsam entwickelten […] Spannend, die Hegelschen Ideen nun – im Zeitalter des Quantenuniversums – wieder zu hören.«
— The Telegraph, Best Science Books
»Mutig, ambitioniert, philosophisch. Für alle, die wissen wollen, wer wir sind und wo wir herkommen.«
— Publishers Weekly
»Oft braucht es einen Außenstehenden, um die Grenzen der traditionellen Wissenschaft zu erkennen. Was die Entwicklungsgeschichte des Menschen angeht, hat John Hands Bemerkenswertes geleistet. Er hat viele Themen, die längst eine Neuinterpretation nötig hatten, klar dargestellt. Ein Riesenverdienst.«
— James Shapiro, Autor von Evolution. A View from the 21st Century
»Ein wagemutiges und hervorragendes Buch. John Hands nimmt die wichtigsten Fragen der Naturwissenschaften vom Entstehen des Universums bis zur Entwicklung der Menschheit in Angriff. Das Buch ist fesselnd geschrieben und schwierige naturwissenschaftliche Ansichten auf den Gebieten der Physik und der Biologie sind verständlich erklärt.«
— Larry Steinman, Professor of Neurological Sciences, Stanford University
John Hands gibt einen klaren Überblick darüber, was die Wissenschaft belegen kann und was nicht. Ein wirklich außergewöhnliches Werk.
— Tim Crane, Knightsbridge Professor of Philosophy, University of Cambridge
Wer sind wir? Warum sind wir auf der Erde? Was kann uns die Wissenschaft zu diesen Fragen sagen?
John Hands begann sich mit den großen Rätseln des Lebens zu beschäftigen, als sich sein eigenes dramatisch veränderte. Der Krebstod seiner Frau lenkte sein Denken auf neue Bahnen. Und er wollte wissen: Wozu das Ganze? Zehn Jahre widmete er der Recherche für dieses Buch. Der Chemiker traf Experten aus allen Bereichen der Naturwissenschaften, um zu erfahren, wie diese – im Gegensatz zu Religion und Philosophie – die fundamentalen Fragen beantworten. Selbst nicht hauptberuflich in der Forschung tätig, steht er den verschiedenen Theorien unvoreingenommen gegenüber und evaluiert objektiv, was Fakt ist und was Spekulation. Mit Leidenschaft und investigativem Gespür vermittelt er dem interessierten Leser seine Erkenntnisse, klar und allgemein verständlich.
Hands hat an der Open University London Physik und Management unterrichtet und war Royal Literary Fund Fellow am University College London. Außerdem ist er Gründer einer staatlichen Organisation für sozialen Wohnungsbau in England und Autor dreier Romane, die in acht Sprachen übersetzt wurden.
Kapitel 1
Die Suche
Teil 1
Entstehung und Evolution der Materie
Kapitel 2
Ursprungsmythen
Grundmotive
Erklärungen
Überprüfung auf Belegbarkeit und Vernünftigkeit
Gründe für die Beständigkeit
Der Einfluss auf das wissenschaftliche Denken
Kapitel 3
Die Entstehung der Materie: Die herrschende Lehre in der Wissenschaft
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
Die aktuelle Theorie: Der Big Bang
Probleme mit der Big-Bang-Theorie
Lösung durch die Inflationstheorie
Wie stichhaltig ist die inflatorische Big-Bang-Theorie?
Folgerungen
Kapitel 4
Was die herrschende Lehre nicht erklären kann
Singularität
Das beobachtete Verhältnis von Materie zu Strahlung
Dunkle Materie und Omega
Dunkle Energie
Die Feinabstimmung kosmologischer Parameter
Erschaffung aus dem Nichts
Folgerungen
Kapitel 5
Weitere kosmologische Mutmaßungen
Grenzenloses Universum nach Hartle-Hawking
Ewige chaotische Inflation
Veränderliche Lichtgeschwindigkeit
Ein zyklisch pulsierendes Universum
Natürliche Selektion von Universen
Schleifenquantengravitation
Kosmologie des Quasi-Steady-State
Plasma-Kosmologie
Quintessenz
Zyklisch-ekpyrotisches Universum*40
Die Landschaft der Möglichkeiten in der Stringtheorie
Probleme mit der Stringtheorie
Definitionen für das Universum
Folgerungen
Kapitel 6
Probleme der Kosmologie als Erklärungsinstrument
Praktische Schwierigkeiten
Dateninterpretation
Unzureichende Theorie
Immanente Beschränkungen der Wissenschaft
Folgerungen
Kapitel 7
Wie plausibel sind kosmologische Mutmaßungen?
Die Reichweite kosmologischer Mutmaßungen
Kapitel 8
Die Evolution der Materie in großem Maßstab
Die grundlegenden Naturkräfte
Die herrschende Lehre in der Kosmologie über die Evolution der Materie
Die Struktur des Universums
Die Ursache für die Struktur des Universums
Fortdauernde Evolution?
Folgerungen
Kapitel 9
Die Evolution der Materie in kleinem Maßstab
Die Evolution der Atomkerne der Elemente
Die Bildung von Atomen
Die Evolution der Atome
Moleküle im Weltall
Folgerungen
Kapitel 10
Muster in der Evolution der Materie
Übereinstimmung mit den bekannten wissenschaftlichen Gesetzen
Widersprüche im Prinzip der zunehmenden Entropie
Kapitel 11
Überlegungen und Folgerungen zur Entstehung und Evolution der Materie
Überlegungen
Folgerungen
Teil 2
Die Entstehung und Evolution des Lebens
Kapitel 12
Ein für das Leben geeigneter Planet
Notwendige Voraussetzungen für bekannte Lebensformen
Die Entstehung der Erde und ihrer Biosphäre
Kapitel 13
Das Leben
Leben im Verständnis der Antike
Die Entwicklung der wissenschaftlichen Erklärung für das Leben
Angebliche Aussöhnungen zwischen alten Erkenntnissen und moderner Wissenschaft
Die Reaktion der herrschenden wissenschaftlichen Lehre
Der herrschende wissenschaftliche Erklärungsansatz für das Leben
Behauptete Merkmale des Lebendigen
Definitionen von Leben
Arbeitsdefinition für Leben
Folgerungen
Kapitel 14
Die Entstehung des Lebens I: Wissenschaftliche Belege
Direkte Belege
Indirekte Belege
Größe, Komplexität, Struktur und Funktionsweise der einfachsten Zelle
Folgerungen
Kapitel 15
Die Entstehung des Lebens II: Hypothesen
Kapitel 16
Die Entwicklung wissenschaftlicher Ideen über die biologische Evolution
Präevolutionäre Ideen
Die Entwicklung der Vorstellungen von einer Evolution
Wallace
Charles Darwin
Orthogenese
Kropotkin und die wechselseitige Unterstützung
Symbiogenese
Mendel und die Vererbung
Neodarwinismus
Molekularbiologie
Grundsätze der herrschenden Lehre in der Biologie
Folgen des aktuellen Paradigmas
Kapitel 17
Belege für die biologische Evolution I: Fossilien
Art (Spezies)
Kapitel 18
Belege für die biologische Evolution II: Analysen lebender Arten
Homologe Strukturen
Rudimentäre Körperteile
Biogeographie
Embryologie und Entwicklung
Veränderungen bei Arten
Biochemie
Genetik
Genomik
Folgerungen
Kapitel 19
Belege für die biologische Evolution III: Das Verhalten lebender Arten
Einzeller
Mehrzeller
Gene
Pflanzen
Insekten
Kapitel 20
Die Abstammung des Menschen
Phylogenetische Bäume
Taxonomie der menschlichen Abstammungslinie
Kapitel 21
Ursachen der biologischen Evolution: Die aktuell herrschende Lehre
Das derzeitige Paradigma
Was die herrschende neodarwinistische Lehre nicht erklären kann
Kapitel 22
Ergänzende und konkurrierende Hypothesen I: Zunehmende Komplexität
Intelligent Design
Punktualismus (unterbrochenes oder punktiertes Gleichgewicht))
Plötzliche Ursprünge
Stabilisierende Selektion
Theorie der Neutralität
Verdoppelung des gesamten Genoms
Epigenetik
Tiefe Homologie und Parallelevolution
Evolutionäre Konvergenz
Emergenztheorie
Selbstorganisierende Komplexität
Gesetze der Genom-Evolution
Natürliche Genmanipulation
Systembiologie
Die Gaia-Hypothese
Formgebende Verursachung
Kapitel 23
Ergänzende und konkurrierende Hypothesen II: Zusammenarbeit
Soziobiologie
Zusammenarbeit
Kapitel 24
Die Evolution von Bewusstsein
Die Evolution des Verhaltens
Kapitel 25
Die Entstehung und Evolution des Lebens: Überlegungen und Folgerungen
Überlegungen
Folgerungen
Teil 3
Die Entstehung und Evolution des Menschen
Kapitel 26
Die Entstehung des Menschen
Was ist ein Mensch?
Vorläufer des Menschen
Früheste Anzeichen für den Homo sapiens
Vollendung der Menschwerdung
Erklärende Hypothesen
Vorgeschlagene Ursachen für die Entstehung des Menschen
Folgerungen
Kapitel 27
Die Evolution des Menschen I: Ursprüngliches Denken
Wie der Mensch sich entwickelt hat
Die Evolution ursprünglichen Denkens
Folgerungen
Kapitel 28
Die Evolution des Menschen II: Philosophisches Denken
Die Entstehung des philosophischen Denkens
Die Evolution philosophischen Denkens
Verzweigungen des philosophischen Denkens
Überblick über die noetische Evolution
Folgerungen
Kapitel 29
Die Evolution des Menschen III: Wissenschaftliches Denken
Die Entstehung wissenschaftlichen Denkens
Die Evolution wissenschaftlichen Denkens
Kapitel 30
Die Einzigartigkeit des Menschen
Die herrschende Lehre
Verhaltensweisen, die allein dem Menschen zu eigen sind
Kapitel 31
Folgerungen und Überlegungen zur Entstehung und Evolution des Menschen
Folgerungen
Überlegungen
Teil 4
Ein kosmischer Prozess
Kapitel 32
Grenzen der Wissenschaft
Beschränkungen innerhalb des Bereichs der Wissenschaft
Grenzen des Bereichs der Wissenschaft
Eine weitere mögliche Beschränkung
Kapitel 33
Überlegungen und Folgerungen zur Evolution des Menschen als kosmischem Prozess
Überlegungen
Folgerungen
Dank
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Glossar
Abbildungsverzeichnis
Register
… wenn wir jedoch eine vollständige Theorie entdecken, dürfte sie nach einer gewissen Zeit in ihren Grundzügen für jedermann verständlich sein, nicht nur für eine Handvoll Spezialisten. Dann werden wir uns alle – Philosophen, Naturwissenschaftler und Laien – mit der Frage auseinandersetzen können, warum es uns und das Universum gibt. Wenn wir die Antwort auf diese Frage fänden, wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft – denn dann würden wir Gottes Plan kennen.
Stephen Hawking, 1988
Denn erst wenn wir genügend gesicherte Erkenntnisse vereint haben, werden wir verstehen, wer wir sind und warum es uns gibt.
Edward O. Wilson, 2000
Was sind wir? Und warum sind wir hier? Diese Fragen schlagen die Menschen seit mindestens 25 000 Jahren in ihren Bann. Während des größten Teils dieser Zeit haben wir die Antwort im Glauben an übernatürliche Kräfte gesucht. Vor etwa 3000 Jahren begannen wir, die Antwort mithilfe der Philosophie zu suchen. Vor gerade mal 150 Jahren markierte Charles Darwins Die Entstehung der Arten einen vollkommen anderen Ansatz. Indem er die empirische Methode der Naturwissenschaften anwandte, gelangte er zu der Auffassung, wir seien das Ergebnis der biologischen Evolution. Vor ungefähr 50 Jahren wurde in der Kosmologie die Theorie entwickelt, dass Materie und Energie, aus denen wir letztlich bestehen, aus einem Big Bang oder Urknall hervorgegangen sind, durch den das Universum entstanden ist. Und vor etwa 30 Jahren begannen die Neurowissenschaften nachzuweisen, dass alles, was wir sehen, hören, fühlen und denken, mit der Aktivität von Neuronen in verschiedenen Teilen unseres Gehirns zusammenhängt.
Diese überragenden Errungenschaften der Naturwissenschaft wurden durch Fortschritte der Technologie ermöglicht, die für ein exponentielles Anwachsen der Daten sorgten. Das wiederum förderte die Verzweigung der Wissenschaft in immer engere und tiefer gehende Forschungsgebiete. In letzter Zeit hat niemand die Untersuchung seines speziellen Blattes an einem einzelnen Zweig ruhen lassen, um einen Schritt zurückzutreten und zu schauen, welches Bild uns der gesamte evolutionäre Baum davon vermittelt, was wir sind, woher wir kamen und warum wir existieren.
Mit diesem Buch versuche ich genau das. Ich möchte herausfinden, welche durch systematische Beobachtungen oder Experimente abgesicherten Aussagen die Naturwissenschaft darüber machen kann, warum wir entstanden sind, wie wir uns vom Ursprung des Universums an entwickelt haben und ob wir uns unserem Wesen nach von allen anderen Tieren unterscheiden.
Dieser Fragestellung gehe ich in vier Teilen nach. In Teil 1 untersuche ich, welche Erklärungen die Naturwissenschaft für die Entstehung und Evolution von Materie und Energie anbietet; in Teil 2 setze ich mich entsprechend mit der Entstehung und Evolution von Leben auseinander, weil wir lebende Materie sind, in Teil 3 mit der Entstehung und Evolution des Menschen. In Teil 4 werde ich prüfen, ob in den wissenschaftlichen Belegen irgendwelche durchgängigen Muster vorhanden sind, die es erlauben, übergreifende Schlüsse zu ziehen.
In jedem Teil werde ich die zentrale Frage »Was sind wir?« in die Teilfragen zerlegen, die von den einschlägigen Fachgebieten untersucht werden. Anhand der wissenschaftlich anerkannten Veröffentlichungen jedes Gebiets versuche ich Antworten zu finden, die sich nicht aus Spekulationen oder Glaubensüberzeugungen ableiten, sondern empirisch belegt sind, und prüfe, ob sich in den Befunden ein Muster erkennen lässt, das weitergehende Schlussfolgerungen erlaubt. Nur wenn auf diese Weise keine zufriedenstellenden Erklärungen zu finden sind, werde ich abwägen, wie plausibel Hypothesen, Vermutungen und andere mögliche Wege zur Erkenntnis (wie intuitives Verstehen) sind.
Anschließend bitte ich Experten auf dem jeweiligen Gebiet (sie sind in der Danksagung aufgeführt), meine vorläufigen Ergebnisse auf sachliche Fehler, Lücken oder nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen zu prüfen.
Am Ende jedes Kapitels liste ich alle Schlussfolgerungen auf, damit Leser, die irgendeinen der eher fachspezifischen Abschnitte überspringen wollen, ersehen können, zu welchen Erkenntnissen ich gelangt bin.
Die Frage, was wir sind, hat mich seit Beginn meines naturwissenschaftlichen Studiums gefesselt. Abgesehen davon, dass ich Ko-Autor zweier Forschungsstudien war, ein Buch auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften veröffentlicht habe und vier Jahre lang als Physik-Tutor in Teilzeit an der Open University beschäftigt war, bin ich nie als Wissenschaftler tätig gewesen und in diesem Sinn nicht für mein Vorhaben qualifiziert. Andererseits verfügen heutzutage nur wenige Forscher über das relevante Wissen außerhalb ihres Fachgebiets.
Wahrscheinlich werden viele dieser Experten den Eindruck haben, ich hätte ihr Gebiet nicht ausführlich genug dargestellt. In diesem Fall bekenne ich mich im Vorhinein schuldig. Ich habe mich bemüht, ein Buch zu schreiben, keine Bibliothek, und das erfordert zwangsläufig Verkürzungen, wenn man ein Gesamtbild der menschlichen Evolution herausarbeiten will – ein Bild davon, was wir sind und warum wir hier sind.
Trotz aller Bemühungen, Fehler zu korrigieren, dürften sich bei einer solchen Unternehmung einige Details als fehlerhaft erweisen, wofür ich die volle Verantwortung übernehme. Womöglich wird manches auch durch neue Forschungsergebnisse zwischen Schreiben und Veröffentlichung überholt sein, aber die Wissenschaft macht nun einmal – anders als der Glaube – Fortschritte. Ich hoffe jedoch, dass das Buch einen übergeordneten Rahmen bereitstellt, den andere verbessern und als Basis für weitere Arbeiten nutzen können.
Eine Mehrheit der Weltbevölkerung akzeptiert allerdings nicht, dass wir das Ergebnis eines evolutionären Prozesses sind. Sie glaubt an verschiedene Mythen, die unsere Ursprünge erklären sollen. Deshalb beginne ich mit einem Kapitel darüber, was diese Mythen ausmacht, warum sie sich auch fast 500 Jahre nach dem Beginn der wissenschaftlichen Revolution noch halten, und ob sie das naturwissenschaftliche Denken beeinflusst haben.
Viele Meinungsverschiedenheiten ergeben sich daraus, dass verschiedene Menschen dasselbe Wort in unterschiedlichen Bedeutungen verwenden. Bedeutungen wandeln sich mit der Zeit und sind je nach kulturellem Kontext verschieden. Um Missverständnisse möglichst gering zu halten, werde ich die von mir gemeinte Bedeutung jedes wichtigen und potenziell zweideutigen Wortes definieren, wenn ich es das erste Mal verwende. Außerdem findet sich am Ende des Buches ein Glossar mit solchen Begriffen, das zudem die Definitionen unvermeidbarer Fachausdrücke enthält.
Das erste Wort, das nach einer Definition verlangt, ist »Wissenschaft«. Es ist von »Wissen« abgeleitet. Man kann verschiedene Arten von Wissen auf unterschiedlichen Wegen erwerben oder schlicht behaupten, darüber zu verfügen. Ungefähr vom 16. Jahrhundert an stand der Begriff zunehmend für das Wissen von der – unbelebten und belebten – Natur, das durch Beobachtung und Experiment erlangt wird; damit unterschied es sich von Wissen, das allein durch Nachdenken, intuitives Verständnis oder Offenbarung zustande kommt. Folglich muss eine Definition der (Natur-)Wissenschaft*1 die Methoden berücksichtigen, mit denen ihr Wissen gewonnen wird. Unser derzeitiges Verständnis von Wissenschaft ließe sich folgendermaßen zusammenfassen:
Wissenschaft — Der Versuch, Naturphänomene mithilfe systematischer, vorzugsweise messbarer Beobachtungen oder Experimente zu verstehen und zu erklären, und aus den so gewonnenen Ergebnissen durch die Anwendung logischer Überlegungen überprüfbare Gesetze abzuleiten und Vorhersagen oder Retrodiktionen zu machen.
Retrodiktion — Ein Befund aus der Vergangenheit, der sich aus später entwickelten wissenschaftlichen Gesetzen oder Theorien ableiten oder mit ihrer Hilfe vorausberechnen lässt.
Die Wissenschaft zielt darauf ab, ein Gesetz oder eine allgemeine Theorie zu formulieren, die das unveränderliche Verhalten eines Systems von Erscheinungen erklärt. Ein Gesetz oder eine Theorie dieser Art verwenden wir, indem wir es auf konkrete Phänomene innerhalb des Systems anwenden, um künftige Ereignisse vorherzusagen. So können wir innerhalb des Systems bewegter Objekte mithilfe von Newtons Bewegungsgesetzen vorhersagen, was passiert, wenn wir eine bestimmte Rakete unter bestimmten Bedingungen abfeuern.
Die Wissenschaft kann uns auch über Ergebnisse in der Vergangenheit informieren. Mit einer solchen Retrodiktion können wir beispielsweise aus der Theorie der Plattentektonik ableiten, dass ähnliche Fossilien aus der Zeit vor dem Auseinanderbrechen des Superkontinents Pangäa vor etwa 200 Millionen Jahren sowohl an der östlichen Küstenlinie Südamerikas als auch an der gegenüberliegenden westlichen Küstenlinie Südafrikas zu finden sein werden.
Vom 18. Jahrhundert an wurde die Untersuchung von Naturphänomenen auf Menschen und ihre sozialen Beziehungen ausgedehnt. Die Anwendung der wissenschaftlichen Methode auf diesem Gebiet führte im 19. Jahrhundert zur Herausbildung der Sozial- und Geisteswissenschaften, ein Oberbegriff, der Disziplinen wie Archäologie, Anthropologie, Soziologie, Psychologie, Politische Wissenschaft und sogar Geschichte abdeckt. Wichtige Erkenntnisse dieser Disziplinen werde ich in Teil 3 abhandeln.
Einige bezeichnen Mathematik als Naturwissenschaft, doch ihr Forschungsgebiet erstreckt sich weit über Naturphänomene hinaus, und ihre Theorien können nicht empirisch überprüft werden. Im Rahmen dieser Untersuchung halte ich es für besser, Mathematik als eine Sprache einzustufen, in der einige Aspekte der Naturwissenschaften und speziell deren Gesetze ausgedrückt werden können.
In der Wissenschaft hat »Theorie« eine speziellere Bedeutung als im allgemeinen Sprachgebrauch, doch selbst in der Wissenschaft benutzt man die Begriffe »Theorie« und »Hypothese« oft recht frei. Daher ist es hilfreich, zwischen den beiden zu unterscheiden.
Hypothese — Eine vorläufige Theorie, die man aufstellt, um ein Phänomen oder eine Gruppe von Phänomenen zu erklären; man nutzt sie als Basis für weitere Untersuchungen. Gewöhnlich entwickelt man sie entweder durch intuitives Verstehen oder durch induktives Denken, nachdem man unvollständige Belege untersucht hat. Es muss möglich sein, sie zu falsifizieren.
Das Kriterium der Falsifizierbarkeit wurde von dem Wissenschaftsphilosophen Karl Popper aufgestellt. In der Praxis dürfte es nicht immer einfach umzusetzen sein, doch die meisten Wissenschaftler akzeptieren zumindest das Prinzip, dass eine wissenschaftliche Hypothese im Unterschied zu einer Mutmaßung oder Glaubensüberzeugung empirischen Tests unterzogen werden muss, durch die sie falsifiziert werden kann.
Theorie — Eine Erklärung für eine Gruppe von Phänomenen, die durch eine Reihe unabhängiger Experimente oder Beobachtungen bestätigt wurde und dazu verwendet wird, genaue Vorhersagen oder Retrodiktionen über solche Phänomene zu machen.
Je größer die Bandbreite der erklärten Phänomene ist, desto nützlicher ist eine wissenschaftliche Theorie. Da sich die Wissenschaft durch die Entdeckung neuer Fakten und die Anwendung neuer Denkweisen weiterentwickelt, kann eine wissenschaftliche Theorie zwar infolge widersprechender Tatsachen abgewandelt oder widerlegt werden, doch absolut beweisen lässt sie sich nie. Manche wissenschaftlichen Theorien sind aber allgemein als gut abgesichert anerkannt. So hat man beispielsweise die Theorie widerlegt, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist und die Sonne und andere Sterne um sie kreisen, wohingegen die Theorie, dass die Erde die Sonne umkreist, durch so viele Beobachtungen und präzise Vorhersagen bestätigt wurde, dass sie als gesicherte Tatsache gilt. Doch selbst das muss nicht immer so bleiben. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es in etwa fünf Milliarden Jahren nicht mehr zutrifft: Dann wird sich die Sonne den meisten Berechnungen zufolge in einen Roten Riesen verwandeln, der sich so weit ausdehnt, dass er die Erde schließlich umschließt und verbrennen lässt.
Jede Untersuchung wird durch vorher vorhandene Überzeugungen stark beeinflusst. Ich wurde als Katholik geboren und erzogen, entwickelte mich zum Atheisten und bin inzwischen Agnostiker. Ich gehe also nicht von theistischen, deistischen oder materialistischen Vorstellungen aus. Im Grunde weiß ich es einfach nicht. Und nicht zuletzt das macht es so spannend, auf Entdeckungsreise zu gehen und anhand des wissenschaftlich Nachgewiesenen Antworten auf die Frage zu suchen, was wir sind und vielleicht sein werden. Ich lade Leser mit offenem Geist ein, sich mir bei dieser Suche anzuschließen.

Ich möchte wissen, wie Gott diese Welt erschaffen hat.
Albert Einstein, 1955
Also ist ohne Zweifel die Welt nicht in der Zeit, sondern zugleich mit der Zeit erschaffen worden.
St. Augustinus von Hippo, 417
Seit dem 11. Februar 2003*2 lautet die gewöhnlich als Tatsache dargestellte Lehrmeinung der Wissenschaft, dass das Universum einschließlich Raum und Zeit, Materie und Energie vor 13,7 Milliarden Jahren mit einer Explosion zu existieren begann. Zunächst ein punktförmiger Feuerball von unendlicher Dichte und unglaublich hoher Temperatur, dehnte es sich aus und kühlte ab, bis es schließlich die Gestalt angenommen hatte, die wir heute erblicken. Das sei der Big Bang, aus dem wir hervorgegangen sind.
Bevor ich mich damit befasse, ob die Wissenschaft unsere Evolution aus dem Ursprung von Materie und Energie erklären kann, möchte ich kurz auf die Ursprungsmythen eingehen, an die eine große Mehrheit der Weltbevölkerung glaubt. Es ist aufschlussreich, die Grundideen der verschiedenen Mythen sowie die vielfältigen Erklärungen zu untersuchen, welche die Sozialwissenschaften für sie gefunden haben, und zu sehen, wie weit diese Erklärungen einer empirischen Überprüfung oder Vernunftkriterien standhalten, warum die Mythen bestehen blieben und in welchem Umfang sie das wissenschaftliche Denken beeinflusst haben.
In allen Kulturen der überlieferten Geschichte gibt es eine oder mehrere Erzählungen darüber, wie das Universum und wir Menschen entstanden sind. Verstehen zu wollen, woher wir kommen, ist Teil eines im Menschen angelegten Wunsches zu verstehen, was wir sind. Der Rigveda als ältester heiliger Text der Welt und wichtigste Schrift dessen, was heute als Hinduismus bezeichnet wird, enthält in seinem zehnten Buch der Hymnen an die Götter drei solcher Mythen. Die Brahmana – Texte – der zweite, weitgehend Ritualen gewidmete Teil jeder Veda – bieten andere, während die meisten der Upanishaden – Berichte über die mystischen Eingebungen von Sehern, die traditionell ans Ende der Veden*3 angehängt sind – lediglich ein einziges Verständnis der Ursprünge des Universums auf unterschiedliche Weise ausdrücken. 1 Jüdisch-christliche und islamische Kulturen stimmen in ihren Schöpfungserklärungen weitgehend überein, andere Kulturen besitzen ihre jeweils eigenen. In China gibt es mindestens vier Ursprungsmythen, die in mehreren Versionen vorliegen. Auch wenn jeder Mythos anders ist, 2 tauchen neun Grundmotive immer wieder auf; einige davon überlappen sich.
Viele Mythen berichten von einem präexistenten Chaos, das oft als Wasser versinnbildlicht wird; aus diesem geht ein Gott hervor, der die Welt oder Teile davon erschafft. Als die Pelasger um 3500 v. Chr. von Kleinasien her auf die griechische Halbinsel zogen, brachten sie die Geschichte der Schöpfergöttin Eurynome mit, die nackt dem Chaos entsprungen ist. 3 Die Mythen von Heliopolis in Ägypten aus dem vierten Jahrtausend v. Chr. sprechen von Nu, der Urflut, aus der Atum auftauchte; dieser masturbierte, und aus seinem Sperma wurde die Welt. Um 2400 v. Chr. wurde Atum mit dem Sonnengott Re (auch als Ra bekannt) gleichgesetzt, und sein Erscheinen brachte man mit der aufgehenden Sonne und der Vertreibung der chaotischen Finsternis in Zusammenhang.
In Sibirien, Asien und bei manchen Stämmen der amerikanischen Ureinwohner sind Mythen von einem Urtier – oft eine Schildkröte oder ein Vogel – verbreitet, das in die Urgewässer taucht und ein Stück Land zutage fördert, das sich später zur Welt erweitert.
In Teilen Indiens, Asiens, Europas und im pazifischen Raum gilt ein Ei als Ursprung der Schöpfung. Dem Shatapatha-Brahmana zufolge haben die Urgewässer den Schöpfergott Prajapati in Form eines goldenen Eis hervorgebracht. Nach einem Jahr sprengt er die Schale und versucht zu sprechen. Sein erstes Wort wird zur Erde, sein zweites zur Luft und so weiter. Eine Version des chinesischen Pangu-Mythos beginnt mit einem großen kosmischen Ei, in dem Pangu als Embryo im Chaos treibt. Im orphischen Schöpfungsmythos des griechischen Altertums, der aus dem siebten oder sechsten Jahrhundert v. Chr. stammt und sich von den olympischen Mythen Homers abhebt, erschafft die Zeit das silberne kosmische Ei, aus dem der zweigeschlechtliche Phanes-Dionysos schlüpft, der in sich die Samen aller Götter und aller Männer trägt und Himmel und Erde erschafft.
In einem weitverbreiteten Motiv zeugt der Weltenvater – gewöhnlich der Himmel – mit der Weltenmutter – gewöhnlich die Erde – die Elemente der Welt. Oft bleiben die Eltern in leidenschaftlicher Umklammerung liegen und verhalten sich ihren Kindern gegenüber gleichgültig, etwa in einem Schöpfungsmythos der Maori.
In mehreren Mythen erhebt sich der Nachwuchs gegen die Welteneltern. Die Kinder im Mythos der Maori – Wälder, Nahrungspflanzen, Ozeane und Menschen – kämpfen mit ihren Eltern um Raum. Der wohl bekannteste Mythos dieser Art ist die Theogonie des Griechen Hesiod aus dem achten Jahrhundert v. Chr. Darin zeichnet er die Rebellion aufeinanderfolgender Generationen von Göttern gegen ihre Eltern nach – die ersten von ihnen waren Chaos, Gaia (die Erde), Tartaros (die Unterwelt) und Eros (die Liebe); am Ende steht der Triumph des Zeus.
Oft findet sich die Vorstellung einer Schöpfung durch eine Opfergabe. Im chinesischen Pangu-Mythos heißt es: »Die Welt war erst fertig, als Pangu starb. Denn nur sein Tod konnte das Universum vervollkommnen. Aus seinem Schädel wurde die Himmelskuppel gebildet, aus seinem Fleisch der Humus der Äcker … Und aus dem Ungeziefer, das seinen Körper bedeckte, entstand die Menschheit.« 4
Das große babylonische Epos Enuma Elisch schildert den Krieg zwischen den sumerischen Göttern und dem babylonischen Stadtgott Marduk und dessen Gefolgschaft. Marduk tötet die überlebende Urgöttin Tiamat und ihre Chaosmonster, schafft Ordnung und wird zum höchsten, universellen Schöpfergott: Die gesamte Natur mitsamt den Menschen verdankt ihm ihre Existenz. Ähnliche Mythen treten überall auf der Welt in Erscheinung, so etwa wenn auf dem Olymp die männlichen Himmelsgötter der eindringenden Arier über die fruchtbaren Erdgöttinnen der Pelasger und Kreter siegen.
Nur wenige Mythen enthalten das Motiv einer Schöpfung aus dem Nichts. Doch der entsprechende Glaube gehört nicht nur zu denen, die am weitesten verbreitet sind, sondern stimmt auch mit der derzeit favorisierten wissenschaftliche Erklärung überein.
Die älteste Version des Motivs findet sich im Rigveda. Dessen Datierung durch Max Müller im 19. Jahrhundert wird durch jüngste archäo-astronomische Untersuchungen in Frage gestellt – sie stützen die indische Überlieferung; demnach wurde der Rigveda von etwa 4000 v. Chr. an über einen Zeitraum von 2000 Jahren zusammengetragen. 5 Im zehnten und letzten Buch steht in der Hymne 129: »Weder Nichtsein noch Sein war damals; nicht war der Luftraum noch der Himmel darüber […] Es atmete nach seinem Eigengesetz ohne Windzug dieses Eine. Irgendein Anderes als dieses war weiter nicht vorhanden.«
Dieser Gedanke wird in den Upanishaden weiterentwickelt, deren wichtigste wahrscheinlich zwischen 1000 und 500 v. Chr. niedergeschrieben wurden. Ihre zentrale Einsicht wird in der Chandogya-Upanishad auf den Punkt gebracht: Das Universum geht aus Brahman hervor und kehrt dorthin zurück; alles ist Brahman. In verschiedenen Upanishaden werden Metapher, Allegorie, Parabel, Dialog und Anekdote eingesetzt, um Brahman als ultimative, außerhalb von Raum und Zeit existierende Realität darzustellen, aus der alles hervorgeht und aus der alles besteht. Allgemein wird es als kosmisches Bewusstsein oder Geist oder Höchste Gottheit jenseits aller Form gedeutet.
Eine ähnliche Vorstellung kennt auch der Taoismus. Sein wichtigster Text, in China als Lao-Tzu und im Westen als Tao-Te-King bekannt, wurde wahrscheinlich vom sechsten bis zum dritten Jahrhundert v. Chr. zusammengetragen. Er betont die Einheit und Ewigkeit des Tao, des Weges. Das Tao ist »nichts« insofern, als es »kein Ding« ist. Es hat weder Namen noch Form, es ist die Grundlage allen Seins und die Form allen Seins. Der Weg oder das Nichts lässt die Existenz entstehen, die Existenz lässt die Gegensätze von Yin und Yang entstehen, und Yin und Yang lassen alles entstehen: männlich und weiblich, Erde und Himmel und so weiter.
Das erste Buch der hebräischen Bibel, nicht vor dem späten siebten Jahrhundert v. Chr. 6 verfasst, beginnt mit den Worten: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« 7 Der nächste Vers beschreibt die Erde in einer Weise, die an die Mythen von einem Urchaos aus Wasser erinnert, danach spricht Gott, es werde Licht, und das Licht wird erschaffen, und schließlich scheidet Gott an diesem ersten Schöpfungstag noch das Licht von der Dunkelheit. In den folgenden fünf Tagen erschafft er in gleicher Weise durch sein Gebot alles andere im Universum.
Im Koran, der vom siebten Jahrhundert n. Chr. an verfasst wurde, erschafft Gott Himmel und Erde ebenfalls durch sein Gebot. 8
Mehrere aus Indien stammende Mythen bestreiten, dass das Universum geschaffen worden sei, und behaupten stattdessen, es habe schon immer existiert, sei jedoch Zyklen unterworfen.
Buddha meinte im fünften Jahrhundert v. Chr., wer versuche, Mutmaßungen über den Ursprung des Universums anzustellen, werde dem Wahnsinn anheimfallen. 9 Seine Anhänger ließen sich dennoch nicht davon abhalten. Dabei wandten sie seine Erkenntnis an, wonach die Dinge nicht von Dauer sind, ständig entstehen, werden, sich verändern und wieder vergehen. Deshalb lehren die meisten buddhistischen Schulen heute, dass das Universum sich in einem ewigen Kreislauf ausdehnt und zusammenzieht, sich ins Nichtsein auflöst und wieder ins Sein zurückentwickelt.
Möglicherweise wurden sie von den Jainisten beeinflusst, deren letzter Tirthankara (wörtlich Furtbereiter, der zeigt, wie der Fluss der Wiedergeburten zu überqueren ist, um zum Zustand ewiger Befreiung der Seele zu gelangen) bereits vor Buddha in Ostindien zu lehren begann. Die Jainisten glauben, das Universum sei nicht erschaffen worden und ewig. Die Zeit ist für sie wie ein Rad mit zwölf Speichen, die das Maß für Yugas oder Weltalter bilden, die jeweils 1000 Jahre dauern. Sechs Yugas bilden einen aufsteigenden Bogen, in dem Wissen und Glück der Menschen zunehmen, während diese Eigenschaften in den sechs Yugas des absteigenden Bogens abnehmen. Wenn der Zyklus seinen tiefsten Punkt erreicht, ist selbst der Jainismus verloren. Im Lauf des folgenden Aufschwungs wird das jainistische Wissen wiederentdeckt und durch neue Tirthankaras abermals verbreitet werden, nur um am Ende des nächsten Abschwungs im endlos kreisenden Rad der Zeit wieder verloren zu gehen.
Dies ähnelt den meisten Glaubensinhalten des Yoga, das sich aus der vedischen Philosophie ableitet. Üblicherweise gehen sie von nur vier Yugas aus. Das erste – Satya Yuga oder Krita Yuga – dauert 1 728 000 Jahre, während das vierte – Kali – 432 000 Jahre dauert. Der Abstieg von Satya zu Kali geht mit einer fortschreitenden Schädigung des Dharma oder der Rechtschaffenheit einher und ist mit einer Abnahme der menschlichen Lebensdauer und einem Verfall moralischer Normen verknüpft. Unglücklicherweise befinden wir uns derzeit im Zeitalter von Kali.
Die vielen Erklärungen für diese Ursprungsmythen lassen sich in fünf Kategorien einordnen.
Weil jeder Ursprungsmythos anders ist, können nicht alle buchstäblich wahr sein. In manchen Kulturen geht man jedoch davon aus, beim eigenen Mythos sei das sehr wohl der Fall. 63 Prozent der Amerikaner sind fest davon überzeugt, dass die Bibel das Wort Gottes und im Wortsinn wahr ist, 10 gleichzeitig glaubt die überwiegende Mehrheit*4 der 1,6 Milliarden Muslime weltweit an die buchstäbliche Wahrheit des Koran, weil er das ewige Wort Gottes sei, das auf einer Tafel im Himmel niedergeschrieben und Mohammed durch den Erzengel Gabriel diktiert worden sei.
Viele, die an die buchstäbliche Wahrheit der Bibel glauben, stimmen auch James Ussher zu, der anhand der Genesis errechnet hat, dass die sechstägige Erschaffung des Universums am Samstag, dem 22. Oktober 4004 v. Chr., um 18 Uhr vollendet gewesen sei.*5 11 Die radiometrische Datierung von Gesteinen, Fossilien und Eisbohrkernen hat jedoch erdrückende geologische, paläontologische und biologische Befunde geliefert, wonach die Erde mindestens 4,3 Milliarden Jahre alt ist. Astronomische Daten deuten darauf hin, dass das Universum vor 10 bis 20 Milliarden Jahren entstanden ist. Die wissenschaftlichen Beweise gegen den Kreationismus sind also zwingend. 12 An eine buchstäbliche Wahrheit der Bibel zu glauben heißt außerdem, mindestens zwei einander widersprechenden Schilderungen der Schöpfung anzuhängen. In Mose 1:26-1 erschafft Gott Pflanzen und Bäume am dritten Tag, Fische und Vögel am fünften Tag, Tiere zu Beginn des sechsten Tages und Mann und Frau nach seinem Ebenbild erst an dessen Ende. In Mose 2 dagegen erschafft Gott zuerst den Mann aus Staub; erst danach legt er einen Garten an und lässt Pflanzen und Bäume wachsen; aus der Erde erschafft er dann all die Tiere und Vögel – Fische werden gar nicht erwähnt –, und am Ende lässt er aus der Rippe des Mannes eine Frau entstehen.
Auch diejenigen, die an eine buchstäbliche Wahrheit des Koran glauben, stehen vor einem logischen Widerspruch: In Sure 41:9-12 hat Gott Erde und Himmel in acht Tagen geschaffen, in Sure 7:54 sind es sechs Tage.
Barbara Sproul, eine der führenden Expertinnen auf diesem Gebiet, ist der Meinung, dass die Ursprungsmythen zwar nicht buchstäblich wahr sein mögen, jedoch allesamt ihre Wahrheiten metaphorisch ausdrücken. Als einzigen Beleg führt sie an, wie der Ethnologe Marcel Griaule die Aussage eines Weisen der Dogon deutet, wonach der Mythos seines Volkes in Worten der niederen Welt auszusprechen sei. Ansonsten erklärt sie lediglich die eigentliche Bedeutung verschiedener Ursprungsmythen. Im Heliopolis-Mythos repräsentiert demnach der Schöpfergott, der durch Masturbation die Welt hervorbringt, die internalisierte Dualität, in der sich jegliche Dualität manifestiert, und er »wird heilig und enthüllt uns das Wesen der Wirklichkeit, sobald wir verstehen, was gemeint ist«. 13 Sproul bleibt jeden Beleg schuldig, dass die Schöpfer des Heliopolis-Mythos oder gar die Bevölkerung von Heliopolis vor 5000 Jahren ihre Ansicht teilten.
Was die anderen von ihr zitierten Beispiele angeht, kann man sich schwer des Eindrucks erwehren, dass sie einfach ihre eigenen Interpretationen aus dem späten 20. Jahrhundert auf diese Mythen projiziert. Wenn 63 Prozent der Bevölkerung in der technologisch am weitesten entwickelten Nation auf Erden glauben, dass ein Schöpfungsmythos aus der Genesis buchstäblich wahr ist: Kann man dann vernünftigerweise annehmen, dass nomadische Stämme vor 4000 Jahren oder auch die Schreiber des Königs Joschija vor 2500 Jahren glaubten, es handle sich um eine Metapher?
Es ist zwar einleuchtend, aus dem Kontext mancher Ursprungserklärungen wie etwa jener in den Upanishaden zu schließen, dass sie absichtlich Metaphern verwenden, doch Sproul bietet keine Belege dafür, dass die meisten dieser Mythen nicht als wörtlich zu verstehende Berichte gedacht waren oder nicht als solche aufgefasst wurden.
Sproul hält daran fest, dass alle Religionen eine absolute Wirklichkeit verkünden, die sowohl transzendent (immer und überall wahr) als auch immanent (im Hier und Jetzt wahr) ist. Sie meint: »Die eigentliche Aufgabe der Schöpfungsmythen ist es gerade, diese absolute Wirklichkeit zu proklamieren«. 14 Zudem zeige ihre Sammlung von Schöpfungsmythen, »dass sich die Mythen ihrer wesentlichen Essenz nach nicht voneinander unterscheiden. Sie lässt aber sehr wohl eine Vielzahl ähnlicher Perspektiven erkennen, ausgehend von einer Fülle unterschiedlicher Standpunkte.« 15
Demnach ist in vielen Ursprungsmythen von polaren Gegensätzen die Rede: hell und dunkel, Geist und Materie, männlich und weiblich, gut und böse und so weiter. Die besonders tiefsinnigen Mythen gehen bis zum Gegensatz von Sein und Nichtsein zurück, wobei manche – wie die Changoya-Upanishad – besagen, das Nichtsein sei durch das Sein hervorgebracht worden, während andere – wie ein Maori-Mythos – behaupten, das Nichtsein selbst sei die Quelle allen Seins und Nichtseins. Einige sehen den Ursprung aller Gegensätze als Chaos, in dem alle Unterscheidungen potenziell vorhanden sind; die Schöpfung findet statt, sobald das Chaos Form annimmt und auf das übrige Nichtgeformte einwirkt, um weitere Unterscheidungen zu erschaffen und so die Welt hervorzubringen. »Was ist hierbei die absolute Wirklichkeit? Das Chaos an sich? Oder das ›Kind‹ des Chaos, das wieder auf das Chaos zurückwirkt? Beide. Sie sind ein und dasselbe.« 16
Die offenkundigen Unterschiede zwischen den Mythen entstehen demnach nur, weil sie alle das Nicht-Wissbare in bekannten und vertrauten Begriffen ausdrücken; gewöhnlich versuchen sie, das Absolute mit relativen Vorstellungen oder Anthropomorphisierungen zu beschreiben. Laut Sproul setzen selbst Buddhismus, Jaininismus und Yoga-Lehre, die einen Schöpfungsakt zurückweisen, ihr ewiges Universum nicht von einem solchen ab, das erschaffen wurde. Mythen, die von Schöpfungsakten handeln, verzeitlichen nur: Sie sprechen vom Absoluten als etwas zuerst Dagewesenem.
Dass alle Ursprungsmythen Aspekte der gleichen absoluten Wirklichkeit enthüllen, ist eine faszinierende Behauptung. Sie wird jedoch durch keinerlei wissenschaftliche Belege gestützt. Erklären lässt sie sich vielmehr dadurch, dass Sproul diese Mythen so interpretiert, dass sie mit ihrer eigenen Vorstellung von absoluter Wirklichkeit in Einklang stehen.
Laut Sproul, die bei Joseph Campbell studiert hat, sind Schöpfungsmythen nicht nur von historischem Interesse. Sie würden auch archetypische Werte offenlegen, mit denen sich unser persönliches Wachstum besser verstehen lässt – »körperlich, seelisch und geistig im Rahmen des zyklischen Fließens von Sein und Nichtsein und schließlich in der absoluten Vereinigung dieser beiden«. 17
Dieser Rückgriff auf Campbells von Jung abgeleitete Psychologie liefert allerdings keine überzeugende Erklärung.
Der Molekularbiologe Darryl Reanney meint, das verbreitete Motiv eines prä-existenten, dunklen und formlosen Gewässers, in das Licht eintritt und die Geburt des Universums einleitet, könnte vielleicht durch unterschwellige Erinnerungen an das Geburtserlebnis des Fötus aus den dunklen, gestaltlosen und nährenden Wassern des Mutterleibs erklärt werden. »Eindrücke vom Geburtserlebnis im pränatalen Gehirn stellen die Weichen dafür, dass Mythen eine speziell konfigurierte symbolische Bildsprache entwickeln, die äußerst empfängliche Saiten der Psyche anschlägt.« 18 Um das zu untermauern, verweist er darauf, dass im Großhirn von Föten etwa vom siebten Monat an elektrische Aktivität aufgezeichnet werden kann (jüngere Daten deuten darauf hin, dass dies vor dem sechsten Monat einsetzt).
Eine interessante Vermutung – es ist aber schwer ersichtlich, wie sie bestätigt oder widerlegt werden kann.
Ich schlage drei andere Erklärungen vor.
In dem Stadium der menschlichen Evolution, in dem diese Mythen entstanden, besaßen die meisten Kulturen ein falsches oder begrenztes Verständnis von den Kräften der Natur, und mit Ausnahme Ostindiens und Teilen Chinas hatte das philosophische Nachdenken noch nicht begonnen.
Dass in so vielen Mythen das Element des Urgewässers auftaucht, dürfte auf denselben Grund zurückzuführen sein, aus dem viele Völker der Jungsteinzeit ihre Siedlungen an den Ufern eines Flusses anlegten. Sie nutzten das Wasser zum Trinken und für andere alltägliche Zwecke sowie zur Bewässerung ihrer Ackerfrüchte. Wasser war die Quelle von Leben und Fruchtbarkeit, vor dem Aufkommen der Städte wurde es gewöhnlich mit dem Geist oder der Gottheit des Lebens in Zusammenhang gebracht.
Die meisten Mythen stammen aus Kulturen der Bronzezeit, in der man noch keine Wissenschaft – abgesehen von Astronomie – kannte. Sollten die Weisen den Ursprung der Welt erklären, gingen sie von ihren eigenen Erfahrungen einer Schöpfung aus. Und weil Menschen und Tiere durch die sexuelle Vereinigung von Vater und Mutter gezeugt wurden, wurde auch die Welt an sich durch die Vereinigung eines Vaters und einer Mutter erschaffen. Um die Welt zu befruchten, musste dieser Vater allmächtig sein, und die mächtigste Kraft, die die Menschen kannten, war der Himmel; er sandte die Wärme der Sonne, Donner, Blitz und den Regen, mit dem alles befruchtet wird, was wächst. Die Mutter wiederum musste, um mit der Welt schwanger zu gehen, allfruchtbar sein, und das fruchtbarste, was sie kannten, war die Erde, aus der alle Bäume, Pflanzen und Feldfrüchte wuchsen. Daher der Himmel als Vatergott und die Erde als Muttergöttin.
Die Weisen unterschiedlicher Völker verstanden das Ei als das Ding, aus dem das Leben hervorgeht. Deshalb musste auch der Kosmos oder der Gott, der ihn erschafft, aus einem Ei geschlüpft sein. Andere Weise bemerkten die Zyklen von Sonne, Mond, Jahreszeiten und Ernten. Alles schwindet, stirbt, erscheint wieder und wächst in scheinbar endloser Folge. Wenn die wesentlichen Bestandteile des Universums diesem Muster unterworfen sind, dann muss das auch für das Universum selbst gelten.
Mit der Bronzezeit hatten die von den Jägern und Sammlern sowie den frühen Ackerbaukulturen angerufenen Naturgeister sich zu Göttern entwickelt, deren funktionale Hierarchie jene der sich entwickelnden Stadtstaaten widerspiegelte, während ihre Ursprungsmythen oft politische oder kulturelle Bedürfnisse erfüllten.
So wurde Atum, den man im Heliopolis des 4. Jahrtausends v. Chr. als eigenständigen Schöpfergott verehrt hatte, von den Theologen des Pharao Menes zu einem Abkömmling und Erfüllungsgehilfen von Ptha heruntergestuft, der bis dahin nur der Gott des Schicksals gewesen war. Nun wollten sie diesen zu einem Schöpfergott erheben, weil er eine lokale Gottheit von Memphis war und Menes in Memphis eine neue Hauptstadt errichtet hatte.
Die Mythen von einer Schöpfung durch eine Urschlacht lassen sich in der Regel ebenfalls auf diese Weise erklären. Im babylonischen Mythos Enuma Elisch