Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, eine Tätigkeit, die er aufgrund des großen Erfolgs seiner Romane nur widerwillig und aus Zeitgründen einstellen musste.
Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter www.simonscarrow.co.uk
Der wichtigste Bericht über Claudius’ Eroberung Britanniens, der uns aus der Zeit des römischen Reichs überliefert ist, besteht aus nicht einmal achthundert Worten, die von Cassius Dio abgefasst wurden. Dio, der hundert Jahre nach den Ereignissen schrieb, stützte sich auf ältere Quellen. Man kann nur raten, wie zutreffend oder detailliert diese gewesen sein mögen, und ärgerlicherweise fehlt in den Annalen des Tacitus der Teil, der sich auf die Eroberung bezieht. Von den Ungewissheiten der Historiker kann der Romanautor jedoch nur profitieren. Meine Erzählung über Cato, Macro und Vespasian habe ich in größtmöglicher Übereinstimmung mit Dios Bericht verfasst, wobei ich alle archäologisch gesicherten Erkenntnisse so weit wie möglich mit einbezog. Es wäre natürlich nett, wenn ich eines Tages auf einen Artikel stieße, demzufolge man in Essex gerade ein paar Elefantenknochen ausgegraben hat …
Trotz der Knappheit von Dios Bericht gibt es keinen Zweifel, dass der Erfolg der Invasion keineswegs von Anfang an feststand. Der Vorstoß über den Mead Way (heute Medway) war insoweit ungewöhnlich, als die Schlacht zwei Tage dauerte – was zeigt, wie heftig die Briten sich dem Vordringen der Legionen widersetzten. Warum die Briten auf dem Nordufer der Tamesis (Themse) längere Zeit Halt machten, ist unter Historikern umstritten. Einige vertreten die Ansicht, das Heer der Briten sei nach der gescheiterten Verteidigung des Flussübergangs zerrieben gewesen, doch Claudius habe den Halt von vornherein angeordnet, damit er den Angriff auf Camulodunum persönlich leiten konnte. Dem halten andere Historiker entgegen, nach den heftigen Auseinandersetzungen mit den britischen Verteidigern hätten Plautius’ Truppen tatsächlich einer Verstärkung bedurft. Angesichts der prekären politischen Lage des Kaisers tendiere ich persönlich zur Interpretation der ersten Gruppe.
Ich habe mich bemüht, die Stammespolitik der Briten möglichst unkompliziert darzustellen, um den Erzählfluss nicht zu verlangsamen. Zur Zeit der römischen Invasion 43 n. Chr. war die Insel von wechselnden Bündnissen zerrissen, und die meisten Stämme betrachteten die raschen Landgewinne der Catuvellauni mit zunehmender Sorge. Nachdem die Catuvellauni sich die Trinovantes einverleibt und deren wohlhabende Stadt Camulodunum zu ihrer Hauptstadt gemacht hatten, fielen sie immer wieder tief in die Gebiete südlich der Themse ein. Nach der Landung der Römer gestaltete es sich für die Catuvellauni daher als schwierig, unter den ehemaligen feindlichen Stämmen Verbündete gegen Rom zu mobilisieren. Da diese Stämme weder vom Sieg der einen noch der anderen Seite viel zu erwarten hatten, schoben die meisten ein Bündnis auf, bis der Sieger feststand.
Gegen Ende dieses Bandes wird Caratacus ein weiteres Mal geschlagen, und die Hauptstadt seines Stammes fällt an Rom. Doch die Eroberung der Insel ist noch lange nicht abgeschlossen. Caratacus ist noch immer frei und hetzt die stolzen britischen Kriegerstämme zum Widerstand gegen die Invasoren auf. Nirgendwo ist dieser Widerstand entschlossener als unter den Stämmen des Südwestens, die in ihren großen Bergfesten verschanzt die Römer verächtlich herausfordern, aufs Ganze zu gehen.
Für Cato und Macro gibt es nur eine kurze Verschnaufpause, bevor Vespasian sie und die Männer der geschundenen Zweiten Legion erneut in den Kampf führt, gegen die gewaltigen Festungen der Briten und einen gefährlichen neuen Feind.
»Auf den Langen würde ich nicht setzen«, murmelte Zenturio Macro.
»Warum denn nicht, Herr?«
»Schau ihn dir doch an, Cato! Der Kerl besteht ja nur aus Haut und Knochen. Gegen diesen Gegner wird der nicht lange durchhalten.« Macro nickte zur anderen Seite der improvisierten Arena hinüber, wo gerade ein stämmiger Gefangener mit Rundschild und Kurzschwert ausgestattet wurde. Der Mann nahm die ungewohnten Waffen widerstrebend entgegen und fasste seinen Gegner ins Auge. Cato schaute zu dem hoch gewachsenen, mageren Briten hinüber, der bis auf einen kleinen Lendenschurz nackt war. Einer der Legionäre, die Arenadienst hatten, stieß ihm einen langen Dreizack in die Hand. Der Brite wog ihn prüfend, bis er gut ausbalanciert in der Hand lag. Er wirkte wie ein Mann, der eine Waffe zu handhaben wusste, und in seinen Bewegungen lag viel Selbstsicherheit.
»Ich setze auf den Langen«, entschied Cato.
Macro drehte sich um. »Bist du blöd? Schau ihn dir doch an.«
»Hab ich, Herr. Und ich bekräftige mein Urteil mit meinem Einsatz.«
»Dein Urteil?« Der Zenturio hob die Augenbrauen. Cato war erst im vergangenen Winter zur Legion gestoßen, ein Bursche aus dem kaiserlichen Haushalt in Rom, ein rechter Grünschnabel noch. Nicht mal ein Jahr lang war der Junge Legionär, und schon warf er mit seinem Urteil um sich wie ein alter Veteran.
»Dann mach eben, was du willst.« Macro schüttelte den Kopf und setzte sich in Erwartung des Kampfs auf seinen Platz. Dies war der letzte Kampf der vom Legaten Vespasian improvisierten Spiele, die in einem kleinen, waldigen Tal mitten im Marschlager der Zweiten Legion stattfanden. Morgen würden die vier Legionen und ihre Hilfstruppen wieder auf dem Marsch sein, angetrieben von General Plautius und seiner Entschlossenheit, Camulodunum noch vor Einbruch des Herbstes einzunehmen. Wenn die feindliche Hauptstadt fiel, würde das Bündnis britischer Stämme unter ihrem Anführer Caratacus vom Stamm der Catuvellauni zerbrechen. Mehr als die vierzigtausend Mann unter Plautius konnte Kaiser Claudius für die verwegene Invasion der nebligen Insel vor der Küste Galliens nicht entbehren. Jeder in der Armee war sich bewusst, dass die Briten ihnen zahlenmäßig weit überlegen waren. Doch bislang waren die Feinde unter sich gespalten. Wenn es den Römern gelang, rasch ins Herz des britischen Widerstands vorzustoßen, bevor die Legionen durch ihre geringere Mannstärke ins Hintertreffen gerieten, war der Sieg zum Greifen nahe. Jeder schien von dem Wunsch beseelt, so schnell wie möglich vorzurücken, doch für diesen Ruhetag und die von den Kampfspielen gebotene Unterhaltung waren die erschöpften Legionäre dankbar.
Zwanzig Briten waren mit den unterschiedlichsten Waffen ausgerüstet und paarweise gegeneinander aufgestellt worden. Um die Spannung zu steigern, hatte man Lose in den Helm eines Legionärs geworfen und die Gegner ausgelost, was einige amüsant ungleichgewichtige Paarungen ergeben hatte. So schien es auch bei diesem letzten Kampf zu sein.
Der Standartenträger der Legion hatte die Aufgabe des Zeremonienmeisters übernommen und schritt, die Arme schwenkend, in die Mitte der Arena, um die Zuschauer zur Ruhe aufzufordern. Seine Helfer beeilten sich, die letzten Wetten anzunehmen, und Cato ließ sich wieder neben dem Zenturio nieder, nachdem er seine Wette zu einer Quote von fünf zu eins abgeschlossen hatte. Recht unvorteilhaft, aber Cato hatte einen ganzen Monatslohn gesetzt, und falls der Mann gewann, würde er ein hübsches Sümmchen einsacken. Macro hatte auf den muskelbepackten Gegner mit Kurzschwert und Rundschild gesetzt. Eine wesentlich kleinere Summe, dafür aber zum günstigsten Verhältnis, das sich angesichts der allgemeinen Einschätzung der Kämpfer aushandeln ließ.
»Ruhe! Ruhe dort!«, brüllte der Standartenträger. Trotz der wegen der Ruhepause sehr gelösten Stimmung zeigten die versammelten Legionäre sofort Disziplin. Von einem Moment auf den anderen verstummten zweitausend schreiende, gestikulierende Soldaten und setzten sich in Erwartung des Zweikampfs hin.
»Nun also der letzte Kampf! Zu meiner Rechten präsentiere ich euch einen Schwertkämpfer, athletisch gebaut, ein erfahrener Krieger, das behauptet er zumindest.«
Die Menge johlte verächtlich. Wenn der Brite so verdammt gut war, warum, zum Teufel, kämpfte er dann hier als ihr Gefangener um sein Leben? Der Schwertkämpfer grinste höhnisch zu den Zuschauern hinüber, hob plötzlich den Arm und stieß einen trotzigen Kampfruf aus. Die Legionäre grölten zurück. Der Standartenträger ließ das Geschrei noch eine kurze Weile zu und forderte dann erneut Ruhe ein. »Zu meiner Linken haben wir einen Dreizack. Behauptet, er sei der Knappe irgendeines Häuptlings. Ein Waffenträger also von Beruf, kein Waffenkämpfer. Da wird das hier wohl eine saubere, schnelle Sache werden. Und jetzt, ihr faulen Säcke, vergesst nicht, dass gleich nach dem Mittagssignal der normale Dienst weitergeht.«
Die Menge stöhnte so laut, dass es nicht ganz echt wirkte, und der Standartenträger lächelte gutmütig. »Also aufgepasst, Kämpfer – auf eure Plätze!«
Der Standartenträger zog sich aus der Mitte der ›Arena‹ zurück, einer grasbewachsenen Fläche, die an den Stellen, wo Kämpfer gefallen waren, blutrot und schmierig schimmerte. Die Gegner wurden einander gegenübergestellt, wobei zwei in die Grasnarbe geschnittene Kerben die Markierungen bildeten. Der Schwertkämpfer hob Kurzschwert und Rundschild und duckte sich kampfbereit. Im Gegensatz dazu hielt der Dreizackkämpfer seine Waffe senkrecht nach oben gerichtet, ja, er schien sich fast darauf zu stützen, das Gesicht vollkommen ausdruckslos. Ein Legionär versetzte ihm einen Tritt, um ihm klarzumachen, dass er sich bereit machen solle. Der Dreizackkämpfer rieb sich jedoch nur mit schmerzlich verzogenem Gesicht das Schienbein.
»Ich hoffe nur, du hast auf den nicht viel gesetzt«, kommentierte Macro.
Cato antwortete nicht. Was, zum Teufel, hatte der Dreizackkämpfer im Sinn? Wo war das Selbstvertrauen, das er gerade eben noch ausgestrahlt hatte? Der Mann wirkte unbeteiligt, fast so, als hätte der ganze Vormittag aus einem langweiligen Training bestanden und nicht aus einer Folge von Kämpfen auf Leben und Tod. Er sollte sich besser mal in Bewegung setzen.
»Los!«, schrie der Standartenträger.
Bei diesem Wort stürzte sich der Schwertkämpfer mit Geheul auf seinen fünfzehn Schritt entfernten Gegner. Der senkte den Schaft seiner Waffe und stieß mit den scharfen Zacken nach der Kehle des untersetzten Mannes. Das Kriegsgeheul einstellend duckte sich dieser, schlug den Dreizack zur Seite und holte zum Todesstreich aus. Doch der Angriff wurde sauber pariert. Der hoch gewachsene Brite setzte nicht etwa erneut die Spitze des Dreizacks ein, sondern wandelte den Schwung des empfangenen Stoßes in eine Drehbewegung um und ließ das Schaftende gegen die Schläfe seines Gegners krachen. Der Schwertkämpfer sackte benommen zu Boden. Der Dreizack wendete rasch die Waffe und holte zum tödlichen Stoß aus.
Cato lächelte.
»Steh auf, du verpennter Sack!«, schrie Macro, die Hände trichterförmig vor den Mund gelegt.
Drei scharfe Spitzen stießen auf den am Boden Liegenden nieder, doch mit einem verzweifelten Schwertstreich rettete der Gestürzte seinen Hals. Er wurde zwar getroffen, doch es war nur ein flacher Schnitt in die Schulter. Die wenigen im Publikum, die gegen den Favoriten gesetzt hatten, stöhnten entsetzt auf, als der Schwertkämpfer sich zur Seite rollte und wieder auf die Beine kam. Er keuchte, die Augen weit aufgerissen, und jetzt, nachdem er so sauber ausgetrickst worden war, war alle Arroganz verschwunden. Sein hoch gewachsener Gegner riss den Dreizack aus dem Boden und duckte sich, das Gesicht grimmig verzerrt. Von nun an würde keiner dem anderen mehr etwas vormachen, jetzt zählten nur noch Waffenkunst und Kraft.
»Los!«, schrie Macro. »Durchbohr dem Schwein das Gedärm.«
Cato saß still da, zu befangen, um sich dem Geschrei der anderen anzuschließen, aber auch er trieb seinen Mann in Gedanken energisch an, die Fäuste geballt – trotz seiner sonst üblichen Abneigung gegen solche Kämpfe.
Der Schwertkämpfer testete mit einem Seitenschritt das Reaktionsvermögen seines Gegners, um einzuschätzen, ob das eben nur ein Glückstreffer gewesen war. Sofort waren die drei Zacken wieder auf einer Linie mit seiner Kehle. Die Menge johlte anerkennend. Hier wurde schließlich doch noch ein richtig guter Kampf geboten.
Einer plötzlichen Finte des Dreizackkämpfers wich der Gegner mit einem wohl ausgewogenen Sprung nach hinten aus, und wieder jubelte die Menge.
»Sauber!« Macro schlug sich mit der Faust in die Hand. »Hätten wir mit mehr von dieser Sorte zu tun gehabt, würden jetzt wir da vorne kämpfen. Die beiden sind gut, wirklich ausgezeichnet.«
»Ja, das stimmt, Herr«, antwortete Cato angespannt, die Augen auf das Paar geheftet, das einander jetzt auf dem blutverschmierten Gras umkreiste. Die Sonne strahlte auf das Schauspiel nieder. Das Vogelgezwitscher in den Eichen, die das Tal säumten, wirkte völlig unpassend. Einen Moment lang verwirrte Cato der Gegensatz zwischen den vom Kampf berauschten Soldaten, die mit heiserem Gejohle zwei Männer zum Kampf auf Leben und Tod anfeuerten, und der friedlichen Harmonie der umgebenden Natur. In Rom hatte er die Gladiatorenkämpfe immer missbilligt, doch hier, in Gesellschaft von Soldaten, die nach einem Kodex von Blut, Kampf und Disziplin lebten, konnte er seinen Abscheu unmöglich äußern.
Ein metallisches Klirren begleitete einen wilden Austausch krachender Schläge. Ohne dass eine der beiden Seiten einen Vorteil gewonnen hätte, begannen die beiden erneut, sich zu umkreisen. In den Rufen der zuschauenden Legionäre machte sich allmählich Enttäuschung bemerkbar, und so gab der Standartenträger den Männern mit dem Glüheisen das Zeichen, hinter die Kämpfer zu treten, wo sie die schwarzen Stangen mit den rotglühenden Spitzen in der Luft schwenkten. Über die Schulter des Schwertkämpfers hinweg erblickte der Lange die Gefahr, warf sich in einen wüsten Angriff und versuchte, dem Gegner mit einer Serie von heftigen Hieben die Klinge aus der Hand zu hauen. Der Schwertkämpfer parierte verzweifelt mit Schwert und Schild und wurde dabei immer näher an den Rand der Arena gedrängt, direkt auf die glühenden Eisen zu.
»Los!«, schrie Cato mit den Fäusten fuchtelnd, auch er jetzt von der Erregung mitgerissen. »Gib’s ihm!«
Ein schriller Schrei durchschnitt die Luft, als der Schwertkämpfer mit dem Rücken gegen glühendes Eisen stieß, instinktiv zurückzuckte und direkt in die mit Widerhaken versehenen Spitzen des Dreizacks sprang. Er heulte auf, als eine der Zacken seinen Oberschenkel unmittelbar unter der Hüfte durchbohrte und gleich wieder herausgerissen wurde. Ein mächtiger Blutschwall ergoss sich am Bein hinunter ins Gras. Der Schwertkämpfer wich den glühenden Eisen mit raschen Seitenschritten aus und versuchte, einen gewissen Abstand zwischen sich und die gefährliche Dreifachspitze zu bringen. Wer auf ihn gewettet hatte, unterstützte ihn mit Gebrüll und hoffte ungeduldig, dass er den Kampf wieder aufnahm und es dem Gegner zeigte, solange er noch konnte.
Cato bemerkte das Grinsen des Dreizackkämpfers, der wusste, dass die Zeit nun für ihn arbeitete. Er musste seinen Widersacher nur so lange auf Abstand halten, bis der Blutverlust ihn geschwächt hatte. Und dann konnte er ihm den tödlichen Stoß versetzen. Doch die Menge hatte keine Lust auf eine solche Wartepartie und heulte wütend, als der Dreizack vor seinem blutenden Gegner zurückwich. Wieder kamen die glühenden Eisen heran. Diesmal suchte der Schwertkämpfer seinen Vorteil, wusste er doch, dass die Zeit zum Handeln für ihn nur noch kurz bemessen war. Er stürzte sich auf den Gegner, ließ einen Schauer von Hieben auf die drei Zacken niederregnen und trieb den anderen rückwärts. Doch der Lange würde nicht in dieselbe Falle tappen. Er ließ die Hand am Schaft seiner Waffe heruntergleiten, schwang sie plötzlich gegen die Beine des Schwertkämpfers und rannte dann um ihn herum zur Seite, weg von den Eisen. Sein Gegner sprang ungeschickt und wäre fast gestrauchelt.
Es folgte eine Serie von Stößen und Paraden, und dann merkte Cato, dass der Schwertkämpfer taumelte und seine Schritte vom steten Blutverlust immer unsicherer wurden. Einen weiteren Angriff des Dreizacks wehrte er ab, allerdings nur mit Müh und Not. Dann schien die Kraft des Schwertkämpfers verbraucht, langsam sank er auf die Knie, das Schwert schwankte in seiner Hand.
Macro sprang auf. »Hoch mit dir! Hoch, bevor er dir den Bauch aufschlitzt!«
Auch die anderen Zuschauer erhoben sich, da alle das Ende des Kampfes nahen fühlten, und die meisten drängten verzweifelt den Schwertkämpfer zum Aufstehen.
Das Schwert geriet zwischen die Spitzen des vorschnellenden Dreizacks. Eine kurze Drehbewegung, und die Klinge wirbelte dem Schwertkämpfer aus der Hand und landete mehrere Schritte entfernt. Im Wissen, dass nun alles verloren war, ließ der Schwertkämpfer sich auf den Rücken sacken und erwartete ein schnelles Ende. Der Dreizackkämpfer stieß einen Siegesschrei aus, verlagerte seinen Griff an der Waffe nach vorn und trat über seinen Gegner, um ihm den Rest zu geben. Mit gespreizten Beinen über dem stark blutenden Schwertkämpfer stehend, holte er mit dem Dreizack weit nach oben aus. Plötzlich aber riss der Schwertkämpfer in wilder Verzweiflung den Rundschild hoch und rammte ihn dem hoch gewachsenen Gegner in die Lenden. Der Dreizackkämpfer krümmte sich unter lautem Stöhnen, die Menge jubelte. Mit einem zweiten Hieb wurde ihm der Schild ins Gesicht geschmettert, und die Waffe entglitt ihm, als er, die Hände vor Nase und Augen geschlagen, aufs Gras niedersank. Zwei weitere Schläge mit dem Schild gegen den Kopf, und der Dreizackkämpfer war erledigt.
»Wunderbarer Kampf!« Macro hüpfte auf und nieder. »Verdammt gut!«
Cato schüttelte verbittert den Kopf und verfluchte die Großspurigkeit des Dreizackkämpfers. Es zahlte sich nie aus, wenn man einen Feind vorschnell für erledigt hielt. Hatte der Dreizackkämpfer es nicht am Anfang des Kampfes mit genau demselben Kniff probiert?
Der Schwertkämpfer stand auf, weit behender, als man das bei einem Schwerverletzten für möglich gehalten hätte, und nahm eilig sein Schwert an sich. Das Ende war gnädig: Der Dreizackkämpfer wurde mit einem scharfen Stoß mitten ins Herz zu seinen Göttern geschickt.
Dann aber ereignete sich etwas äußerst Ungewöhnliches. Bevor der Standartenträger und sein Helfer den Schwertkämpfer entwaffnen konnten, hob der Brite die Arme und stieß einen herausfordernden Ruf aus. Mit einem starken Akzent schrie er auf Lateinisch: »Römer! Römer! Seht!«
Der Brite packte das Schwert mit beiden Händen, kehrte es gegen sich und stieß es sich tief in die Brust. Einen Moment lang stand er schwankend da, den Kopf in den Nacken gelegt, dann brach er neben der Leiche des Dreizackkämpfers auf dem Gras zusammen. Die Menge verstummte.
»Verdammt noch mal, warum hat er das denn gemacht? «, brummte Macro.
»Vielleicht wusste er, dass seine Verletzungen tödlich waren.«
»Er hätte sie vielleicht überlebt«, entgegnete Macro widerwillig. »Man weiß nie.«
»Dann wäre er doch nur zum Sklaven geworden. Vielleicht wollte er das nicht, Herr.«
»Dann war er ein Narr.«
Der Standartenträger, dem der plötzliche Stimmungsumschwung des Publikums Sorgen bereitete, eilte mit erhobenen Armen vor. »So, Leute, das war’s. Der Kampf ist vorbei. Ich erkläre den Schwertkämpfer zum Sieger. Die Wettgewinne werden ausgezahlt, und dann zurück an eure Pflichten.«
»Moment mal!«, rief eine Stimme. »Der Sieger muss ausgelost werden! Schließlich sind beide tot.«
»Der Schwertkämpfer hat gewonnen!«, schrie der Standartenträger zurück.
»Der war doch so gut wie am Ende. Der Dreizackkämpfer hätte dafür gesorgt, dass er verblutet.«
»Hätte«, stimmte der Standartenträger zu. »Wenn er es zum Schluss nicht versaut hätte. Meine Entscheidung ist endgültig. Der Schwertkämpfer hat gewonnen, und jeder hat seine Wettschulden zu begleichen. Oder er bekommt es mit mir zu tun. Und jetzt zurück zu euren Pflichten!«
Das Publikum zerstreute sich und strömte schweigend durch die Eichen zu den Zeltreihen zurück, während die Helfer des Standartenträgers die beiden Toten hinten auf einen Wagen luden, wo schon die Leichen derjenigen lagen, die in den vorangegangenen Zweikämpfen umgekommen waren. Während Cato wartete, eilte der Zenturio los, um seinen Gewinn beim Standartenträger seiner Kohorte einzukassieren, zusammen mit einer sich drängelnden Gruppe von Legionären, die ihre nummerierten Wettscheine in Händen hielten. Kurz darauf kam Macro zurück und wog glücklich die Münzen in seinem Beutel.
»Nicht gerade die gewinnträchtigste Wette aller Zeiten, aber trotzdem ein hübsches Sümmchen.«
»Wird wohl so sein, Herr.«
»Warum machst du denn so ein langes Gesicht? Oh, natürlich, du hattest dein Geld auf das großspurige Arschloch mit dem Dreizack gesetzt. Wieviel hast du denn verloren? «
Cato sagte es ihm, und Macro pfiff durch die Zähne.
»Na, mein lieber Bursche, da musst du wohl noch ein wenig über solche Kämpfer lernen, scheint mir.«
»Ja, Herr.«
»Mach dir nichts draus, Junge, das kommt schon noch.« Macro schlug ihm auf die Schulter. »Lass uns mal sehen, ob’s irgendwo einen anständigen Wein zu kaufen gibt. Und danach haben wir noch einiges zu tun.«
Der Kommandant der Zweiten Legion, der aus dem Schatten einer großen Eiche zuschaute, wie seine Männer das waldige Tal verließen, verfluchte lautlos den Schwertkämpfer. Die Männer brauchten dringend etwas, was sie von dem bevorstehenden Feldzug ablenkte, und das Schauspiel der britischen Gefangenen, die sich gegenseitig fertig machten, hätte eigentlich unterhaltsam sein sollen. Das war es ja auch tatsächlich gewesen, unter den Männern hatte Hochstimmung geherrscht. Dann aber hatte der verdammte Brite sich ausgerechnet diesen Moment für seine sinnlose Geste trotzigen Widerstands ausgesucht. Oder vielmehr gar nicht so sinnlos, überlegte der Legat grimmig. Vielleicht war das Opfer des Briten eben dazu gedacht gewesen, die Moral der Legionäre, die sich durch die Unterhaltungseinlage gehoben hatte, wieder zu untergraben.
Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, trat Vespasian langsam aus dem Schatten ins Sonnenlicht. An Kampfgeist mangelte es den Briten gewiss nicht. Wie die meisten Kriegerkulturen hielten sie sich an einen Ehrenkodex, unter dessen Einfluss sie sich voll hochmütiger Verwegenheit rücksichtslos in den Kampf stürzten. Noch besorgniserregender war allerdings die Tatsache, dass das lose Bündnis britischer Stämme von einem Mann angeführt wurde, der seine Kräfte gut einzusetzen wusste. Vespasian empfand eine widerwillige Hochachtung für den Führer der Briten, Caratacus, Häuptling der Catuvellauni. Dieser Mann hatte noch einige Tricks auf Lager, und die römische Armee unter General Aulus Plautius täte gut daran, dem Feind mehr Achtung zu zollen, als das bisher der Fall war. Der Tod des Schwertkämpfers beleuchtete die erbarmungslose Natur dieses Feldzuges nur allzu deutlich.
Die Gedanken an die Zukunft für den Moment beiseite schiebend, machte Vespasian sich auf den Weg zum Lazarettzelt. Es gab da eine unglückselige Angelegenheit, die er nicht länger aufschieben konnte. Der Oberzenturio der Zweiten Legion war kürzlich in einem Hinterhalt tödlich verwundet worden und wollte ihn vor seinem Tod noch einmal sprechen. Bestia war ein vorbildlicher Soldat gewesen und hatte sich während seiner gesamten militärischen Laufbahn Lob und Bewunderung seiner Männer, aber auch Respekt und Furcht erworben. Er hatte in vielen Kriegen an allen Grenzen des Imperiums mitgekämpft, wovon unzählige Narben auf seinem Körper zeugten. Jetzt aber war er durch ein britisches Schwert gefallen, in einem kleinen Scharmützel, von dem kein Historiker jemals berichten würde. So war nun mal das Leben im Heer, dachte Vespasian bitter. Wie viele unbesungene Helden würden wohl noch ausgelöscht werden, während eitle Politiker und imperiale Lakaien sich auf ihre Kosten bereicherten?
Vespasian dachte an seinen Bruder Sabinus, der aus Rom herbeigeilt war, um im Stab von General Plautius zu dienen, solange sich noch etwas Ehre einheimsen ließ. Wie die meisten anderen politisch ambitionierten Aristokraten sah auch Sabinus das Heer nur als eine weitere Stufe auf der Karriereleiter. Der Zynismus der römischen Politik erfüllte Vespasian mit kalter Wut. Es war mehr als wahrscheinlich, dass Kaiser Claudius die Invasion nur dazu benutzte, seine Stellung auf dem Thron zu festigen. Falls den Legionen die Unterwerfung Britanniens gelang, gab es mehr als genug Beute und Pfründe, um die Räder des politischen Getriebes zu ölen. Manche Männer würden ein Vermögen machen, andere hohe Ämter erhalten, und in die unersättliche kaiserliche Kasse würde Geld fließen. Der Ruhm Roms wäre neu bestätigt, und die Bürger hätten erneut einen Beweis dafür erhalten, dass göttlicher Segen auf dem Reich ruhte. Doch es gab Männer, denen diese großen Leistungen wenig bedeuteten, da sie alle Ereignisse nur dahingehend abschätzten, ob sich damit neue Chancen für ihr persönliches Weiterkommen eröffneten.
Diese wilde Insel mit ihren in ewiger Fehde begriffenen Stämmen würde eines Tages vielleicht von der Ordnung und dem Wohlstand profitieren, die unter römischer Herrschaft entstanden. Für eine solche Ausdehnung der Zivilisation lohnte es sich zu kämpfen, und mit dieser Vision vor Augen diente Vespasian Rom und ordnete sich denen unter, die Rom ihm als Vorgesetzte gab – zumindest vorläufig. Nun aber musste erst einmal der Feldzug gewonnen werden. Zwei große Flüsse waren zu überqueren, wobei mit dem heftigen Widerstand der Eingeborenen gerechnet werden musste. Hinter den Flüssen lag die Hauptstadt der Catuvellauni – des mächtigsten der gegnerischen britischen Stämme. In den letzten Jahren hatten sich die Catuvellauni unter Caratacus im Zuge einer verwegenen Expansion die Trinovantes und ihre blühende Handelsstadt Camulodunum einverleibt. Jetzt betrachteten viele der anderen Stämme Caratacus mit nahezu ebenso viel Furcht, wie sie sie den Römern entgegenbrachten. Daher musste Camulodunum noch vor dem Herbst fallen, um den nach wie vor unentschlossenen Stämmen vor Augen zu führen, dass Widerstand gegen Rom zwecklos war. Selbst im günstigsten Fall waren jedoch weitere Feldzüge und Jahre der Eroberung nötig, bevor jeder Winkel dieser großen Insel ins römische Reich eingegliedert war. Sollte den Legionen dagegen die Einnahme Camulodunums misslingen, würde Caratacus vielleicht die bisher noch unabhängigen Stämme für sich gewinnen und genug Männer unter Waffen bekommen, um die römische Armee zu schlagen.
Mit einem müden Seufzer schlüpfte Vespasian durch die Zelttür und nickte dem obersten Wundarzt der Legion grüßend zu.
»Bestia ist tot.«
Cato blickte von seinem Papierkram auf, als Zenturio Macro das Zelt betrat. Der Sommerschauer, der auf das ziegenlederne Zelt niederprasselte, hatte Macros Erklärung übertönt.
»Entschuldigung?«
»Ich sagte, Bestia ist tot!«, rief Macro. »Heute Nachmittag gestorben.«
Cato nickte. Diese Nachricht kam nicht überraschend. Die Gesichtsverletzung des alten Oberzenturios war schwer gewesen, man hatte bis auf die Knochen schauen können. Die Wundärzte der Legion hatten ihr Bestes getan, um ihm die letzten Tage so erträglich wie möglich zu machen, doch der Blutverlust und der zerschmetterte Kiefer, der sich bald auch noch entzündete, hatten den Tod unausweichlich werden lassen. Ganz spontan konnte Cato diese Nachricht zunächst nur begrüßen. In den Monaten der Grundausbildung hatte Bestia ihn erbarmungslos geschliffen. Damals war es Cato so vorgekommen, als hätte der Oberzenturio mit ganz besonderem Vergnügen auf ihm herumgehackt, und so hatte er einen schwelenden Groll gegen ihn entwickelt.
Macro öffnete die Schließe seines nassen Umhangs und warf ihn über die Rücklehne eines Klappstuhls, den er vors Kohlenbecken zog. Von verschiedenen anderen Kleidungsstücken, die schon auf weiteren Stühlen trockneten, stiegen orangefarbene Dampfkräusel auf und machten die dumpfe Luft im Zelt noch stickiger. Wenn der britische Sommer wirklich kein besseres Wetter zu bieten hatte als Regen, fragte Macro sich, ob die Insel überhaupt den Kampf lohnte. Die britischen Exilanten, die die Legionen begleiteten, sprachen von riesigen Vorkommen wertvoller Metalle und von fruchtbarem Ackerboden. Macro zuckte mit den Schultern. Vielleicht sagten die Vertriebenen ja die Wahrheit, aber sie hatten nun einmal ihre Gründe für den Wunsch, Rom über ihr eigenes Volk siegen zu sehen. Den meisten waren Land und Herrschaftsrechte von den Catuvellauni genommen worden, und sie hofften, als Lohn für ihre Hilfe beides von Rom zurückzuerhalten.
»Wer wohl Bestias Nachfolger wird?«, grübelte Macro. »Ich bin gespannt, für wen Vespasian sich entscheidet.«
»Vielleicht hast du ja selbst eine Chance, Zenturio?«
»Wohl kaum, junger Mann!« Macro schnaubte. Sein junger Optio gehörte noch nicht lange zur Zweiten Legion und kannte sich mit den Beförderungsregeln des römischen Heeres nicht aus. »Ich komme für diesen Posten nicht in Frage. Vespasian muss unter den Zenturionen der Ersten Kohorte wählen. Das sind die besten Offiziere der Legion. Ein Zenturio muss mehrere Jahre lang hervorragende Dienste geleistet haben, bevor er für eine Beförderung in die Erste Kohorte überhaupt in Frage kommt. Nein, ich werde das Kommando der Sechsten Zenturie der Vierten Kohorte wohl noch eine Weile innehaben. Ich wette, im Offizierszelt der Ersten Kohorte werden heute Abend ein paar Leute ganz schön gespannt sein. Schließlich hat man nicht jeden Tag die Chance, Oberzenturio zu werden.«
»Werden sie denn nicht um ihn trauern, Zenturio? Ich meine, Bestia war schließlich einer der ihren.«
»Doch, sicher.« Macro zuckte mit den Schultern. »Aber so ist es nun einmal im Krieg. Dass einer über den Styx setzen muss, das hätte jeden von uns erwischen können. Diesmal war eben Bestia dran. Jedenfalls war er schon ziemlich alt. Noch zwei Jahre, und er hätte in so einer langweiligen Veteranenkolonie gehockt und allmählich den Koller gekriegt. Besser er als einer, der sich noch auf was freuen kann, wie die meisten anderen armen Schweine, die es bisher erwischt hat. Wie die Dinge jetzt stehen, sind im Zenturionat ja so einige Lücken zu füllen.« Bei dieser Aussicht lächelte Macro. Er war nur wenige Wochen vor Catos Legionseintritt zum Zenturio befördert worden und damit der rangniedrigste Zenturio der Legion. Doch nachdem nun zwei Zenturionen der Vierten Kohorte durch die Hand der Briten gefallen waren, war er zum vierten Rang in der Kohorte aufgerückt und hatte fortan zwei frisch beförderte Zenturionen unter sich. Er blickte auf und grinste seinen Optio an.
»Falls dieser Feldzug noch ein paar Jahre so weitergeht, könntest sogar du es zum Zenturio schaffen!«
Cato lächelte über das zweischneidige Kompliment. Wahrscheinlich war die Insel längst erobert, bevor man ihm genug Erfahrung und Reife für eine Beförderung ins Zenturionat zuschrieb. Angesichts seines zarten Alters von siebzehn Jahren konnte er noch jahrelang darauf warten. Seufzend streckte er Macro das Wachstäfelchen hin, an dem er gearbeitet hatte.
»Hier ist der Bericht über die effektive Mannstärke der Zenturie, Herr.«
Macro ignorierte das Täfelchen. Er war kaum des Lesens und Schreibens mächtig und daher der Meinung, dass man beides möglichst vermeiden sollte; für die ordnungsgemäßen Aufzeichnungen über die Sechste Zenturie hing er daher im Wesentlichen von seinem Optio ab. »Und?«
»Sechs liegen im Feldlazarett – zwei von ihnen werden vermutlich nicht überleben. Der oberste Wundarzt sagte mir, drei der anderen müssten aus der Legion entlassen werden. Sie werden heute Nachmittag zur Küste transportiert. Ende des Jahres sollten sie wieder in Rom sein.«
»Und dann?« Macro schüttelte traurig den Kopf. »Eine einmalige Sonderzahlung als Pensionsvergütung, und den Rest ihres Lebens müssen sie betteln gehen. Wunderbare Aussichten.«
Cato nickte. Als Kind hatte er die verkrüppelten Veteranen in den dreckigen Nischen des Forums um Almosen betteln sehen. Nach dem Verlust eines Arms oder Beins oder einer anderen schwerwiegenden Verletzung blieb ihnen meist keine andere Wahl. Für so jemanden wäre der sofortige Tod vielleicht gnädiger gewesen. Plötzlich stellte er sich vor, wie er selbst als Krüppel dazu verurteilt wäre, in Armut zu leben, bemitleidenswert und der Lächerlichkeit preisgegeben. Cato erschauerte. Er hatte keine Familie, die ihn dann unterstützen würde. Der einzige Mensch außerhalb der Armee, dem etwas an ihm lag, war Lavinia. Sie war jetzt weit von ihm, befand sich mit den anderen Sklaven und Sklavinnen im Haushalt ihrer Herrin Flavia, der Ehefrau des Oberbefehlshabers der Zweiten Legion, auf dem Weg nach Rom. Cato konnte nicht hoffen, dass Lavinia im schlimmsten aller Fälle einen Krüppel würde lieben können. Er wusste, er würde weder ihr Mitleid ertragen können noch dass sie aus falschem Pflichtgefühl mit ihm zusammenbliebe.
Macro spürte eine Veränderung in der Körperhaltung des jungen Mannes. Sonderbar, wie eindringlich er die Stimmungen des Burschen inzwischen wahrnahm. Jeder Optio, den er bisher gekannt hatte, war einfach nur ein ehrgeiziger Legionär gewesen, doch Cato war anders. Ganz entschieden anders. Der intelligente, belesene Junge hatte sich als Soldat bewährt, war aber dennoch sonderbar selbstkritisch. Falls er lange genug am Leben blieb, würde Cato sich mit Sicherheit eines Tages einen Namen machen. Macro verstand nicht, warum der Optio sich dessen anscheinend nicht bewusst war, und betrachtete Cato meist mit einer Mischung aus vorsichtiger Belustigung und Bewunderung.
»Keine Sorge, Junge. Du kommst hier heil wieder raus. Wenn es dich hätte erwischen sollen, dann wäre das inzwischen schon passiert. Du hast schon das Schlimmste überlebt, womit das Leben einen Legionär heimsuchen kann. Da wirst du dich bestimmt noch eine Weile hier herumtreiben, also Kopf hoch.«
»Ja, Herr«, antwortete Cato ruhig. Macros Worte waren ein leerer Trost, wie der Tod der Besten unter den Soldaten – zum Beispiel Bestias – ja bewies.
»Also gut, wo waren wir stehen geblieben?«
Cato schaute auf sein Wachstäfelchen. »Der letzte der Verwundeten im Lazarett erholt sich gut. Eine Schwertwunde im Schenkel. In ein paar Tagen dürfte er wieder auf den Beinen sein. Dann haben wir noch vier marschierfähige Verwundete. Die sind bald wieder einsatzbereit. Bleiben im Moment achtundfünfzig kampffähige Männer, Herr.«
»Achtundfünfzig.« Macro runzelte die Stirn. Die Sechste Zenturie war von den Briten schlimm dezimiert worden. Mit achtzig Mann waren sie auf der Insel gelandet. Jetzt, nur wenige Tage später, hatten sie siebzehn endgültig verloren.
»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten über Ersatzkräfte, Herr?«
»Die kriegen wir erst, wenn unsere Führung die Verschiffung der Reserve in Gallien organisiert hat. Es wird mindestens eine Woche dauern, bevor die Legionäre von Gesoriacum aus über die gallische Meerenge geschickt werden. Das heißt, die stoßen erst nach der nächsten Schlacht zu uns.«
»Die nächste Schlacht?« Cato setzte sich eifrig auf. »Was denn für eine Schlacht, Herr?«
»Jetzt mal langsam, Junge.« Macro lächelte. »Bei der Einsatzbesprechung haben wir es vom Legaten erfahren. Vespasian seinerseits weiß es vom General. Anscheinend müssen die Legionen einen Fluss überqueren. Einen hübsch großen, breiten Fluss. Auf der anderen Seite erwartet uns dann Caratacus mit seiner Armee – Streitwagen und allem.«
»Wie weit von hier, Herr?«
»Ein Tagesmarsch. Die Zweite wird wohl morgen am Fluss eintreffen. Aulus Plautius hat offensichtlich nicht vor, dort längere Zeit nutzlos zu verweilen. Schon am Tag darauf wird der Angriff losgehen, frühmorgens, sobald wir in Position sind.«
»Wie kommen wir denn an sie heran?«, fragte Cato. »Ich meine, wie kommen wir über den Fluss? Gibt es eine Brücke?«
»Sag mal, glaubst du wirklich, die Briten würden extra für uns so ein Ding stehen lassen?« Macro schüttelte müde den Kopf. »Nein, darüber muss der General sich noch den Kopf zerbrechen.«
»Denkst du, er wird uns als Erste in die Schlacht schicken? «
»Wohl kaum. Die Briten haben uns schon ziemlich übel mitgespielt. Die Männer sind noch sehr erschüttert. Das hast du sicherlich auch gespürt.«
Cato nickte. Die schlechte Moral der Legion war in den letzten Tagen deutlich spürbar gewesen. Schlimmer noch, er hatte gehört, wie einige Männer Vespasian offen kritisierten, weil sie dem Legaten die Schuld an den schweren Verlusten gaben, die sie seit der Landung auf britischem Boden erlitten hatten. Dass Vespasian persönlich Seite an Seite mit seinen Männern in vorderster Front gekämpft hatte, bedeutete den meisten Legionären, die seinen Mut nicht mit eigenen Augen gesehen hatten, wenig. Es herrschte derzeit ein beträchtlicher, mit Misstrauen gemischter Groll gegen den Kommandostab der Legion, und das war kein gutes Vorzeichen für die nächste Auseinandersetzung mit den Briten.
»Diese Schlacht sollten wir besser gewinnen«, meinte Macro ruhig.
»Das ist richtig, Herr.«
Beide Männer blickten einen Moment lang schweigend in die flackernden Flammenzungen des Kohlenbeckens. Dann ließ ein lautes Magenknurren die Gedanken des Zenturios unvermittelt zu einem nahe liegenderen Problem wandern.
»Ich bin verdammt hungrig. Gibt’s irgendwas zu essen? «
»Dort auf dem Tisch, Herr.« Cato zeigte auf ein Essgeschirr mit einem Laib dunklem Brot und einem großen Stück gepökeltem Schweinefleisch. Ein kleiner Krug mit Wasser versetzten Weines stand neben einem zerbeulten Silberbecher, einer Erinnerung an einen von Macros früheren Feldzügen. Mit gerunzelter Stirn betrachtete der Zenturio das Pökelfleisch.
»Noch immer kein frisches Fleisch?«
»Nein, Herr. Caratacus verwandelt alles Land in unserer Marschrichtung praktisch in eine Wüste. Die Kundschafter berichten, dass er beinahe jeden Acker und jede Farm bis zum Ufer der Tamesis hat niederbrennen lassen, während seine Leute alles Vieh mit sich fortgetrieben haben. Da bleiben für uns nur noch die Rationen aus dem Proviantlager in Rutupiae.«
»Ich kann dieses verdammte gepökelte Schweinefleisch nicht mehr sehen. Kannst du denn nichts anderes besorgen? Piso hätte uns etwas Besseres organisiert.«
»Mag sein, Herr«, antwortete Cato verstimmt. Piso, der Sekretär der Zenturie, hatte als altgedienter Veteran jeden Trick und jeden Kniff gekannt, und das war den Männern der Zenturie bestens bekommen. Vor ein paar Tagen, nicht einmal ein Jahr vor seiner ehrenvollen Entlassung, war Piso gleich bei seiner ersten Begegnung mit einem Briten gefallen. Cato hatte viel von dem Schreiber gelernt, doch das Wissen um die verschlungeneren Schleichwege im Dickicht der Militärbürokratie war mit Piso verloren gegangen, und Cato war nun auf sich selbst gestellt.
»Ich werde sehen, was sich wegen der Rationen tun lässt, Herr.«
»Gut!« Macro nickte, biss, das Gesicht verziehend, in das Schweinefleisch und begann mit der langwierigen Prozedur, den zähen Brocken zu einer Konsistenz zu zerkauen, in der er sich schlucken ließ. Beim Kauen murrte er weiter: »Wenn das mit diesem Fraß hier so weitergeht, quittiere ich den Dienst und konvertiere zum jüdischen Glauben. Alles immer noch besser als das hier. Ich weiß nicht, was diese Kerle in der Lebensmittelvesorgung mit den Schweinen anstellen. Man sollte meinen, es müsste eigentlich unmöglich sein, etwas so Einfaches wie gepökeltes Schwein derart ungenießbar zu machen.«
Cato hatte das alles schon oft genug gehört und machte mit seinem Papierkram weiter. Die meisten der Gefallenen hatten ein Testament hinterlassen, in dem sie das, was sie im Zeltlager an Eigentum besaßen, ihren Freunden vermachten. Doch einige der eingesetzten Erben waren ebenfalls gefallen, und nun musste Cato mit Hilfe der Dokumente eine Erbfolge erstellen, damit die gesammelten Hinterlassenschaften schließlich den richtigen Empfänger erreichten. Die Familien der Männer, die ohne Testament gestorben waren, brauchten eine Benachrichtigung, damit sie ihren Anspruch auf die Ersparnisse des Gefallenen bei der Legionskasse geltend machen konnten. Für Cato war die Testamentsvollstreckung eine neue Erfahrung, und da die Verantwortung nun bei ihm lag, wollte er keinen Fehler riskieren, der schließlich noch zu einem Gerichtsverfahren gegen ihn führen mochte. Daher las er sich die Unterlagen aufmerksam durch und überprüfte alle Berichte mehrfach, bevor er seine Feder in ein irdenes Tintenfässchen tauchte und eine offizielle Aufstellung der Hinterlassenschaften und der jeweiligen Empfänger verfertigte.
Die Zeltklappe ging raschelnd auf, und ein Sekretär des Kommandostabs trat ein, wobei er mit seinem klatschnassen Umhang alles volltropfte.
»He, weg von meinen Unterlagen!«, rief Cato, während er die Schriftrollen auf seinem Schreibtisch zudeckte.
»Tut mir Leid.« Der Sekretär des Kommandostabs trat zur Zeltklappe zurück.
»Und was willst du, verflixt noch mal?«, fragte Macro, während er in ein Stück dunkles Brot biss.
»Botschaft vom Legaten, Zenturio. Er möchte dich und den Optio baldmöglichst in seinem Zelt sehen.«
Cato lächelte. Wenn ein Angehöriger des Kommandostabs ›baldmöglichst‹ sagte, bedeutete das sofort oder besser schon vorhin. Rasch schob er die Unterlagen auf einen Stapel und überprüfte, ob es auch von keiner der undichten Stellen im Zelt auf seinen Feldschreibtisch tropfte. Dann stand er auf und nahm seinen Umhang vom Stuhl vor dem Kohlenbecken. Er war noch schwer vor Nässe und fühlte sich klamm an, als er ihn sich um die Schultern legte und mit der Schließe befestigte. Dennoch war es dann unter den vom Wollfett isolierten Stofffalten erfreulich warm.
Macro zog noch immer kauend seinerseits den Umhang über und winkte den Stabssekretär ungeduldig davon. »Du kannst dich jetzt verpissen. Wir kennen den Weg, danke.«
Mit einem sehnsüchtigen Blick zum Kohlenbecken schlug der Sekretär seine Kapuze hoch und zog sich aus dem Zelt zurück. Macro stopfte sich ein letztes Stück Gepökeltes in den Mund, winkte Cato mit dem gekrümmten Finger und nuschelte: »Komm schon.«
Der Regen prasselte zischend auf die schimmernden Legionärszeltreihen nieder und bildete unruhige Pfützen auf dem unebenen Boden. Macro schaute zu den dunklen Wolken am Abendhimmel auf. Weiter südlich konnte man am gelegentlich aufflackernden Wetterleuchten ein vorbeiziehendes Sommergewitter erkennen. Der Regen strömte über sein Gesicht, und er ruckte mit dem Kopf, um eine verirrte nasse Haarsträhne aus der Stirn zu schleudern. »Was hat diese Insel nur für ein Scheißwetter.«
Cato lachte. »Ich bezweifle, dass es noch wesentlich besser wird, Herr. Falls man Strabo Glauben schenken darf.«
Angesichts dieser Bezugnahme auf die Literatur verzog Macro das Gesicht. »Du konntest mir nicht einfach nur zustimmen, oder? Nein, du musstest unbedingt noch deinen gelehrten Senf dazugeben.«
»Tut mir Leid, Herr.«
»Schon gut. Also, sehen wir mal, was Vespasian von uns will.«