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Buch

Ganze Armeen sind über ihre Pässe marschiert, Herden von Pilgern mussten sie auf dem Weg nach Rom überqueren, Schmuggler und Räuberbanden nutzten ihre vielen Täler als Unterschlupf und nicht wenige Bergbauingenieure und alpine Pioniere ließen ihr Leben bei dem Versuch, ihnen einen menschlichen Stempel aufzudrücken. Heute leben etwa 14 Millionen Menschen zwischen den Gipfeln des größten Gebirges Europas, und die einst furchterregenden Höhen sind ein beliebtes Ziel von vielen Millionen Bergwanderern, Skifahrern und Wellnessurlaubern geworden.

Dieses Buch nimmt seine Leser mit auf eine spannende und unterhaltsame Reise quer durch die Geschichte der Alpen. Der Historiker Stephen O’Shea begegnet den Einheimischen, ihren Eigenarten und erzählt wie im Vorübergehen die zahlreichen Mythen und Legenden, die sich an den Hängen und in den Tälern zwischen Grenoble und Triest finden lassen. Der Bogen dieser einzigartigen Reise spannt sich über 800 Kilometer durch Frankreich, Italien, die Schweiz, Liechtenstein, Deutschland, Österreich und Slowenien und über mehr als 2000 Jahre Geschichte – von Hannibal bis Heidi und darüber hinaus.

Autor

Stephen O’Shea ist Historiker und Autor zahlreicher Bücher über europäische Geschichte. Er zog bereits 1980 nach Paris und war nach einem Studium an der Sorbonne und am renommierten Institut d’Etudes Politiques als Frankreich- und Europa-Korrespondent für diverse Zeitungen und Magazine tätig, darunter Elle, Variety, The Observer, The Times of London, Harper’s Bazaar, Interview und Allure. Er lebt mittlerweile mit seiner Familie in Providence, Rhode Island, USA.

Stephen O’Shea

Die Alpen

Von Hannibal bis Heidi – Geschichten, Mythen und Legenden

Aus dem Amerikanischen

von Regina Schneider

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »The Alps« bei W. W. Norton & Company, Inc., New York.

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Deutsche Erstausgabe Dezember 2017

Copyright © 2017 der Originalausgabe: Stephen O’Shea

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: © Nick Misani

Redaktion: Linde Wiesner

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

JT ∙ Herstellung: CB

ISBN 978-3-641-21481-4
V003

www.goldmann-verlag.de

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Für meine Helfer

H. Ellison, Dana H., Edward H., Ernst H.

Inhalt

Vorwort

TEIL EINS

Vom Genfer See zum Gotthardpass

1.Genfer See

2.Mont Blanc

3.Col de l’Iseran und Savoyen

4.Col du Mont Cenis

5.Großer St. Bernhard und Matterhorn

6.Furkapass und Gotthardpass

TEIL ZWEI

Von Heidiland bis Grindelwald

7.Heidiland, Meiringen und Eiger

TEIL DREI

Von Innsbruck nach Triest

8.Fernpass, Sudelfeld und Berchtesgaden

9.Salzkammergut und Großglockner

10.Dolomiten und Stilfser Joch

11.Plöckenpass und Vršičpass

Dank

Sachregister

Personenregister

Vorwort

Die beste Beschreibung der Alpen, die mir je begegnet ist, stammt aus der Feder eines Geologen namens Richard Fortey. In Der bewegte Planet: Eine geologische Reise um die Erde schildert er die gewaltige Kollision der Afrikanischen mit der Europäischen Kontinentalplatte, verursacht durch die Macht tektonischer Vorgänge über Jahrtausende, und schreibt: »Alpine Gebirge können mit schlecht gemachter Lasagne verglichen werden, grob übereinander geschichtet und bei der Zubereitung verbogen.«

Geboren aus einem Prozess der Gebirgsbildung, der vor rund 65 Millionen Jahren begann, sind die Alpen heute furchterregend hoch aufgefaltete Gesteinsmassen, die sich nicht etwa an der Saumkante Europas befinden, sondern hinderlicherweise mittendrin.

Fast zwei Jahrzehnte lang lebte ich in Paris, danach einige Jahre in Perpignan im Schatten der Pyrenäen. Und immer wieder war ich angezogen von den Alpen, Europas mächtigster Gebirgskette, habe sie überflogen, ihre Tunnel im Zug durchfahren, ihre atemberaubenden Passstraßen im Auto überquert und ihre beschneiten Hänge auf Skiern befahren.

Man mag versucht sein, die Alpen als winterliches Märchenland abzutun, als eine Kulisse für Skisportbegeisterte, die sich dort dick eingemummelt selbst fotografieren. Doch die Alpen sind – und waren stets – weit mehr als das. Sie stehen der ungehinderten Passage zwischen dem nördlichen und südlichen Europa im Weg. Durch ihre schiere Größe und Unzugänglichkeit bilden sie eine Trennlinie zwischen Sprachen, Küchen, Kulturen, Religionen, historischen Entwicklungen und vielem mehr. Genau diese Humangeografie ist es, was mich am meisten interessiert. Die versteckten Täler der Alpen haben seit der Antike vieles gesehen – marschierende Heere, waffenklirrende Kreuzzügler, wandernde Pilger. Über ihre widrigen Pässe haben sich Händler ebenso gekämpft wie Bischöfe, Kaiser, Edelfrauen und Diebe. 14 Millionen Menschen leben heute in den Alpen, und viele von ihnen können sich nicht miteinander unterhalten, derart groß sind die Sprachbarrieren, die das Gebirge geschaffen hat. In ihrer bewegten Geschichte bestand die Rolle der Alpen also hauptsächlich im kulturellen Bruch bzw. in der Disruption, um einen derzeit sehr populären Begriff zu verwenden.

Ehe ich meine Neugierde befriedigte und zu meiner Reise ins Herz der Alpen aufbrach, war mir nicht bewusst, dass dieses Gebirge die Geburtshelferin der »romantischen Revolution« war. Es war mir nicht bewusst, dass die Alpen die Art und Weise, wie wir heute die Natur betrachten, verändert haben, dass das, was einst als abweisend erachtet wurde, eine geradezu sinnlich-ästhetische Anziehung entfaltete. Die Alpen haben den Tourismus mehr oder weniger erfunden und die Wintersportmanie entfacht. Sie haben Künstler und Kriminelle inspiriert. Sie haben Draufgängern und Intellektuellen ganz neue Herausforderungen eröffnet. Die Bergsteigerei ist hier ebenso wie die Wissenschaft der Geologie ihren Kinderschuhen entwachsen. Die Alpen sind ein Ort grandioser Meisterleistungen der Ingenieurskunst, aber auch ein Ort schrecklicher Katastrophen.

Die Gebirgsketten der Alpen nehmen eine Gesamtfläche von 220000 Quadratkilometern ein und erstrecken sich in einem 1200 Kilometer langen und 200 Kilometer breiten Bogen von Frankreich bis Slowenien – Tausende von Gipfeln: riesige, mittlere und kleine. 1599 von ihnen sind höher als 2000 Meter. Nach langem Hin- und Herüberlegen entschied ich mich für eine Route von West nach Ost, vom Genfer See in der Schweiz bis nach Triest in Italien. Dies bedeutete, dass ich die Mammutgipfel zu Beginn meiner Reise angehen konnte. Zudem war es mir wichtig, mich auf die Hochgebirgspässe der Alpen zu konzentrieren, nicht auf ihre hohen Gipfel. Man muss einen Pass überqueren, erst dann erkennt man die Vielfalt in der kulturellen Geografie, erfährt die verschiedenen Geschichten, die man sich zu beiden Seiten des Berges erzählt, sieht, dass es Dinge gibt, die man hüben albern findet, drüben aber großartig. Der Aufstieg zu einem Pass führt zunächst durch Wälder, die allmählich schwinden, bis sich oberhalb der Baumgrenze nur noch alpine, schneebedeckte Tundra hinzieht. Bergab geht es über unzählige Haarnadelkurven, und am Ende landet man meist ganz woanders. Vielleicht hat man eine Staatsgrenze passiert, eine »Schweinefett-Grenze« (Schweinefett vs. Olivenöl, dazu später mehr), eine linguistische Trennlinie (die germanisch-romanische oder die germanisch-slawische), eine architektonische Schwelle oder eine, die einen plötzlichen Wandel menschlicher Verhaltensweisen und Bräuche mit sich bringt. Auf jemanden wie mich, der sich schon immer für Grenzen und Unterschiede interessiert hat, üben die hohen Alpenpässe einen unwiderstehlichen Reiz aus. Und mit diesem Gefühl bin ich wohl kaum allein. Der britische Bergsteiger William Conway schrieb 1904:

»Einen Gipfel zu besteigen gleicht einer Expedition, aber einen Pass zu überqueren bedeutet, eine Reise zu machen. Im ersteren Falle kehrt man normalerweise zum Ausgangspunkt zurück; im anderen geht man vom Bekannten ins Unbekannte, vom Sichtbaren zum Unsichtbaren dahinter. Der Gipfel, den man vor sich sieht, sobald man sich aufmacht, ihn zu erklimmen, wird beim Aufstieg lediglich deutlicher, nicht offenbar; jeder Pass hingegen ist eine Offenbarung: Er führt dich hinüber in einen anderen Landstrich. Du lässt eine Gegend hinter dir und betrittst eine andere; du findest dich wieder inmitten von Fremden in gänzlich neuem Gefilde. Alles, was gestern noch vertraut war, sperrst du aus und eröffnest dir eine völlig neue Welt.«

Ich habe mir viel vorgenommen: sechs Alpenländer, Zehntausende Kilometer bergauf, bergab, bergauf, bergab. Ich habe nicht die Absicht, für jeden einzelnen Pass eine ausführliche Routenbeschreibung zu geben – das wäre angesichts der schieren Anzahl ein Ding der Unmöglichkeit. Vielmehr will ich mich auf jene Pässe mit den tollsten Geschichten konzentrieren. Die Aussichten sind grandios, beängstigend gar, aber die gewonnenen Einsichten lohnen alle Anstrengung und Angst.

Und hatte ich schon erwähnt, dass ich Höhenangst habe?