Meike Wiedemann|Kirsten Segler
Neurofeedback
Wie eine spielerisch leichte Therapie dem Gehirn hilft, Probleme zu überwinden
Kösel
Krafttraining fürs Gehirn
Jeder kann von Neurofeedback profitieren, das auf spielerische Weise die Entwicklungsfähigkeit des Gehirns anregt. Diese effektive Therapieform wird bei einer ganzen Reihe psychischer Probleme angewendet, wie ADHS, Autismus, Depressionen, Burnout, Migräne, Chronischen Schmerzen und psychischen Verletzungen.
Meike Wiedemann und Kirsten Segler erklären leicht verständlich, wie Neurofeedback funktioniert. Sie verdeutlichen anhand zahlreicher Fallgeschichten die vielfältigen Chancen dieser Therapiemethode und geben wichtige Hinweise, wie man diese am besten nutzen kann. Effektiv und ohne Nebenwirkungen.
Neurofeedback rückt derzeit immer stärker ins öffentliche Bewusstsein. Das liegt daran, dass es heute neben der Möglichkeit der geistigen Leistungssteigerung Therapieoptionen für eine Reihe von psychischen Problemen bietet, von denen immer mehr Menschen betroffen sind. Dazu gehören ADHS bei Kindern und Erwachsenen, Depressionen, Angststörungen und Traumata, aber auch Migräne, Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie Stressbelastung und Burnout.
Von Neurofeedback kann jeder profitieren, ohne wie in einer Psychotherapie seine Vergangenheit ausbreiten zu müssen. Anstrengungslos regt das Verfahren das Gehirn an, sich selbst besser zu regulieren – in vielen Fällen mit lebenslangem Erfolg. Meike Wiedemann und Kirsten Segler erklären leicht verständlich, wie Neurofeedback funktioniert und angewendet wird. Anhand zahlreicher Fallgeschichten zeigen sie die vielfältigen Chancen, die diese effektive Therapiemethode bietet. Außerdem geben Sie wichtige Hinweise darauf, wie eine gute Therapie aussehen sollte und wie man den richtigen Therapeuten findet.
Über die Autorin
Dr. rer nat. Meike Wiedemann ist Neurobiologin, Privatdozentin an der Universität Hohenheim und Heilpraktikerin mit eigener Praxis in Stuttgart. Sie arbeitet seit über 20 Jahren mit Neurofeedback und engagiert sich über Forschungsprojekte und Schulungen besonders für das ILF-Training.
Kirsten Segler ist ebenfalls Biologin, aber gleich nach ihrem Diplom zum Journalismus abgebogen. Sie schreibt heute für Zeitschriften wie Men’s Health und Brigitte Woman und verfasst zudem Bücher zum Themenbereich Gesundheit und Ernährung.
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Copyright © 2017 Kösel-Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München
Illustrationen: Stefan Dangl, München
Fotos: S. 67 Edith Schneider, S. 73 EEGinfo.ch
Redaktion: Sylvi Schlichter
ISBN 978-3-641-21490-6
V002
www.koesel.de
Inhalt
Was ist Neurofeedback?
Teil 1: Gehirn und Nervensystem
Man muss nichts über die »grauen Zellen« wissen, um vom Neurofeedback zu profitieren. Doch wer möchte, kann in diesem Teil des Buches mehr darüber erfahren, wie das Gehirn die Gegenwart erlebbar macht, Erinnerungen hervorruft und Zukunftsträume formt.
1. Das Großhirn: Willkommen in der Chefetage!
2. Botschaften aus der Tiefe: das Unterbewusstsein
3. Das Nervensystem: voll verkabelt
4. Netzwerke: Gehirnfunktionen sind Teamarbeit
Teil 2: Neurofeedback-Gerätetraining für das Gehirn
Wenn von Neurofeedback die Rede ist, werden häufig drei prinzipiell verschiedene Herangehensweisen in einen Topf geworfen, die aber klar voneinander abgegrenzt werden müssen. Die wichtige Gemeinsamkeit: Für den Klienten wirken sie alle leicht und spielerisch.
1. Souveränes Wellenreiten: das Frequenzband-Training
2. Die Wächter stärken: das SCP-Training
3. Die Neuordnung des Gehirns fördern: das ILF-Training
4. Die Studienlage
Teil 3: So kann Neurofeedback helfen
Hier lernen Sie die Chancen der Neurofeedback-Therapie bei zwölf verschiedenen Störungen und ihren Symptomen kennen. Für alle diese Beschwerden gilt: Die grundsätzliche Erregbarkeit des Gehirns und seine Fähigkeit, sich selbst zu regulieren, sind nicht (mehr) in einer gesunden Balance.
1. Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS/ADHS)
2. Autismus-Spektrum-Störung
3. Depression – Burnout – bipolare Störungen
4. Angststörungen
5. Zwangsstörungen
6. Ess-Störungen
7. Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)/Psychische Verletzung
8. Sucht-Erkrankungen
9. Epilepsie
10. Migräne
11. Chronische Schmerzen
12. Stressbelastung
Mehr Muße für das Gehirn!
Anhang
Anhang
Stichworte zu allen Störungen, bei denen Neurofeedback eingesetzt werden kann
Register
Was ist Neurofeedback?
Als mich der Neurofeedback-Virus erwischte, befand ich mich gerade auf dem besten Wege, Laborleiterin in der Pharmaindustrie zu werden. Ich war dabei, das Studium der Neurobiologie abzuschließen und sichtete für meine Diplomarbeit die Studienlage zum Thema Migräne. Besonders interessierte mich die Frage, wie das Gehirn es schafft, seine Erregbarkeit zu regulieren und zu steuern, wie stark sich eine bestehende Erregung entwickelt und ausbreitet. Es gehört nämlich zu den größten Herausforderungen des Nervensystems, anregende und hemmende Impulse – also »Gas und Bremse« – so fein zu justieren, dass die gerade anstehenden Aufgaben bestmöglich bewältigt werden können. Wenn dies nicht gut gelingt, kann das verschiedenste Symptome nach sich ziehen – Migräne ist nur eines von vielen Beispielen dafür.
Mit all meinem neurobiologischen Wissen über den Aufbau des Gehirns und die wichtige Rolle von Nervenbotenstoffen war es damals für mich naheliegend, die Lösung in chemischen Substanzen zu suchen – pharmakologischen Wirkstoffen, die das Gehirn bei seinem »Erregungsmanagement« unterstützen könnten. Doch dann stieß ich bei meinen Recherchen auf das Thema Neurofeedback und war sofort wie elektrisiert. Da wurde behauptet: Mithilfe von Geräten würden Patienten trainieren, ihr Gehirn besser zu regulieren. Sie könnten dadurch lernen, die Erregbarkeit ihres Nervensystems in eine gesunde Balance zu bringen und so Migräne- und epileptische Anfälle zu verhindern. Wenn das möglich ist, dachte ich, was mag das Gehirn dann noch alles lernen können, wenn es mit den richtigen Feedback-Signalen unterstützt wird? Dieser Spur wollte ich unbedingt nachgehen! Von da an war ich mit der Begeisterung für Neurofeedback infiziert, und wie sich herausstellen sollte, handelte es sich um einen schweren Fall: Die Faszination für diese Therapieform hat mich bis heute nicht mehr losgelassen – sie wird eher immer noch größer.
Obwohl das alles erst gut 20 Jahre her ist, war die Welt damals eine andere. So hatte sich zum Beispiel der Zugang zum »World Wide Web« des Internets gerade erst geöffnet, und es ahnte wohl kaum jemand, wie tiefgreifend sich das Leben dadurch verändern würde. Das Erbgut wurde damals noch als unveränderliche Kopiervorlage für alle Körperfunktionen angesehen, während man heute weiß: Gene hat man nicht einfach, sondern sie können an- und abgeschaltet werden – je nachdem, mit welchen Umweltbedingungen der Organismus sich auseinandersetzen muss. Auch das Wissen um die Entwicklungsmöglichkeiten des Gehirns hatte sich noch nicht verbreitet. Es galt das Dogma: Erwachsene können keine neuen Nervenzellen bilden, und deshalb ist es ab einem gewissen Alter unmöglich, die Hirnorganisation noch entscheidend zu verändern. Sicher kennen Sie das Sprichwort: »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr«. Nichts könnte falscher sein.
Tatsächlich ist das Gehirn bis ins hohe Alter formbar. Wie ausgeprägt diese Fähigkeit ist, die als Neuroplastizität bezeichnet wird, sieht man zum Beispiel an Schlaganfallpatienten. Je intensiver sie trainieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Aufgaben der beschädigten Hirngebiete von anderen Bereichen übernommen werden. Sehr eindrucksvoll sind auch die Versuche des amerikanischen Neurophysiologen Paul Bach-Y-Rita, einem Pionier in der Erforschung der Neuroplastizität. Ihm gelang es, Sinneseindrücke auf neuen Wegen erfahrbar zu machen. So bastelte er zum Beispiel Apparaturen, die von einer Kamera aufgenommene Bilder in elektrische Impulse umwandeln und auf eine Metallplatte übertragen, sodass sie von blinden Menschen mit der Zunge wahrgenommen werden können. Je intensiver Blinde damit üben, desto besser können sie wieder »sehen«: Ihr Gehirn lernt, die erfühlten Signale zu Bildern zu formen.
Wir wissen heute: So wie Muskeln kräftiger werden, wenn man sie viel benutzt und dabei auch fordert, so erweitert auch das Gehirn seine Möglichkeiten durch Training. Es passt sich immer den Anforderungen an, mit denen es konfrontiert wird. Allerdings ist es auch faul und versucht, die anstehenden Aufgaben mit möglichst wenig Aufwand zu erledigen. Das heißt: Es liebt Routine und verlässt sich am liebsten auf gut eingefahrene Wege – selbst wenn diese ziemlich holprig sind. Wenn es dagegen etwas anders machen soll als bisher, muss es aus der Reserve gelockt werden. Zu den machtvollsten Mitteln, um dies zu erreichen, gehören Neugier, Begeisterung und Spaß – also Zustände, in denen man entspannt, aber trotzdem munter und der Welt zugewandt ist. Gäbe es am Kopf eine Art Drehzahlmesser für das Gehirn, würde dieser anzeigen, dass es sich dann gerade auf einem optimalen Erregungsniveau befindet: weder zu untertourig noch zu sehr überdreht.
Auf einer bogenförmigen Kurve, die ich meinen Klienten gerne aufzeichne, stellt dieser Zustand das Gipfelplateau dar. Dort ist ein Mensch besonders leistungsfähig, weil ihm auf diesem Erregungslevel die meisten Reaktions- und Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Er ist sogar dazu fähig, ganz neue Strategien auszuprobieren. Damit wird es wahrscheinlicher, dass das Gehirn einen Weg findet, mit dem ein angestrebtes Ziel auch wirklich erreicht werden kann. Und »Ziel« meint hier auch so alltägliche Dinge wie: freundlichen Kontakt zu einem anderen Menschen herzustellen, eine Aufgabe konzentriert und mit Spaß zu erledigen oder einfach nur in der Sonne sitzend ein Eis zu essen und das rundum zu genießen.
Bei vielen Funktionsstörungen des Gehirns liegt das Problem jedoch genau darin, dass die Betroffenen dieses optimale Aktivierungsniveau nicht (mehr) oder viel zu selten erreichen. Und hier kommt Neurofeedback ins Spiel. Das Training unterstützt das Gehirn darin zu lernen, wie es leichter aus überdrehten oder untertourigen Zuständen in die entspannt-offene Gipfellage gelangen kann. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass sich das Nervensystem anders organisieren, weiterentwickeln und mitunter sogar nachreifen kann. Dieser Prozess vollzieht sich allerdings weniger während der Therapiestunden in der Praxis als im normalen Alltag der Klienten. Die Möglichkeit, öfter und länger ein optimales nervliches Erregungsniveau zu halten, erweitert ihre Wahrnehmung und damit auch ihr Empfinden. Neue Verhaltensweisen können ausprobiert und dadurch andere Erfahrungen gemacht werden als bisher. Ein Kind mit ADHS, das durch seine Unbeherrschtheit früher überall angeeckt ist, erkennt vielleicht zum ersten Mal, wie es sich beim Spielen in eine Kindergruppe einfügen kann und fühlt sich an diesem fröhlichen Nachmittag von den anderen akzeptiert. Durch solche angenehmen Erfahrungen festigen sich die neuen Strategien – und zwar ganz von allein. Das Gehirn organisiert sich durch das, was es erlebt, selbst neu.
Es begeistert mich nach wie vor, dass all dies mit einer Behandlung erreicht werden kann, die für die Klienten so locker und spielerisch ist: Sie schauen sich einfach nur Filme an oder daddeln am Computer. Diese Leichtigkeit freut mich besonders, weil viele von ihnen (und auch ihre Angehörigen!) schon ungeheuer viele Kämpfe hinter sich haben.
Mit dieser großartigen Methode arbeiten zu können, verdanke ich auch meinem Doktorvater Professor Wolfgang Hanke von der Universität Hohenheim: Zu einer Zeit, als Neurofeedback noch als eher suspekt galt, war er offen für meine frisch entflammte Begeisterung und ließ mich meinen Weg in diese Richtung gehen. Ganz besonders dankbar bin ich auch Sue und Siegfried Othmer, die in den USA das ILF-Neurofeedback entwickelt haben, mit dem ich arbeite. Diese modernste Variante der Neurofeedback-Methode erzielt meiner Ansicht nach in den meisten Fällen die besten Ergebnisse.
Viele Menschen reagieren skeptisch, wenn sie die umfangreiche Liste an Indikationen sehen, bei denen Neurofeedback erfolgreich sein soll – wie im Anhang dieses Buches. Tatsächlich entsteht schnell der Eindruck, die Methode solle als Allheilmittel beworben werden. Doch es ist leicht erklärbar, warum sich so viele Störungen damit positiv beeinflussen lassen. Sie alle haben eine entscheidende Gemeinsamkeit: Die Erregung im Nervensystem wird nicht optimal reguliert. Manchmal ist das die grundlegende Ursache des Problems – wie fast immer bei Migräne –, manchmal nur ein Teil. Bei chronischen Rückenschmerzen zum Beispiel kann Neurofeedback unterstützend wirken, wenn sie durch übermäßige Anspannung ausgelöst oder verstärkt werden. Steckt hinter den Beschwerden jedoch ein struktureller Schaden wie etwa ein Wirbelbruch, bleibt das Gehirntraining dagegen in der Regel erfolglos. Wichtig ist auch zu wissen, dass Neurofeedback häufig nur ein Teil einer umfassenderen Behandlung ist und durch Coaching, Psychotherapie, Familienberatung, Massagen oder Bewegungstraining ergänzt werden sollte.
Eigentlich ist es ohnehin gar nicht das Neurofeedback, das mich so begeistert, sondern das Gehirn – dieses unendlich faszinierende Organ, das auch paradoxe Anforderungen simultan erfüllen kann und uns Menschen die Welt nicht nur passiv erleben, sondern sogar völlig Neues erschaffen lässt. Vor allem die Othmers haben mich mit ihrer Sichtweise des Gehirns geprägt. Für sie ist an diesem Organ nie etwas falsch oder reparaturbedürftig, nichts muss medikamentös stimuliert oder blockiert werden. Sie sind überzeugt: Die allermeisten Funktionsstörungen zeigen lediglich, dass das Nervensystem an dieser Stelle ungeübt ist und sich mit gezieltem Training die fehlenden Fähigkeiten selbst aneignen kann. Genauso sehe ich das auch – und meine Klienten bestätigen mich in dieser Ansicht. Es ist jedes Mal wieder ungeheuer befriedigend zu erleben, wie sich ein Mensch durch seine eigene Kraft von den Einschränkungen seiner Erkrankung befreit und zu einem erfüllteren Leben findet. Ich hoffe, dass ich mit diesem Buch vielen Betroffenen Anregungen und Ratschläge geben kann, dieses Ziel zu erreichen.
Dr. Meike Wiedemann
Neurofeedback ist mir bei der Recherche zum Thema ADHS bei Erwachsenen zum ersten Mal begegnet, und auch ich erlag sofort der Faszination für diese Therapieform. Schon immer haben mich Methoden angezogen, die Körper und Geist trainieren und Entwicklungen fördern, statt mit Tabletten oder Operationen von außen in das System einzugreifen – auch wenn Letzteres auf den ersten Blick vielleicht leichter zu sein scheint.
Wenn Sie ähnlich denken und nach einem neuen Behandlungsweg für eine psychische Erkrankung, eine neurologische Störung oder andere chronische Beschwerden suchen, könnte Neurofeedback für Sie das Richtige sein. Mit diesem Buch können Sie sich einen Eindruck verschaffen, ob Sie diese Therapieform für sich oder Ihr Kind ausprobieren oder sie einem Angehörigen empfehlen möchten.
Der erste Teil des Buches ist dem Gehirn gewidmet, er erzählt davon, wie dieses geheimnisvolle Organ funktioniert und die Welt erlebbar macht. Im zweiten Teil lernen Sie dann die drei unterschiedlichen Neurofeedback-Varianten kennen. Der dritte Teil schließlich behandelt die wichtigsten Gehirnfunktionsstörungen, bei denen die Therapie mit Neurofeedback gute Aussichten auf positive Veränderungen bietet (Informationen zu weiteren Beschwerden finden Sie im Anhang). Hier werden immer wieder echte Fälle geschildert, um Ihnen einen Eindruck zu geben, wie sich die Behandlung und die Entwicklung der Klienten gestalten können. Die Namen der Personen sind allerdings geändert und ihre Geschichten so verfremdet, dass die Anonymität gewahrt bleibt.
Es wäre wunderbar, wenn auch Sie schon bald eine Mut machende Geschichte zu erzählen hätten.
Kirsten Segler
Teil 1
Gehirn und Nervensystem
Eigentlich müssen Sie überhaupt nichts über das Gehirn wissen, um vom Neurofeedback zu profitieren. Doch vielleicht gehören Sie ja auch zu den Menschen, die zumindest einen groben Überblick über die Funktionsweise des Nervensystems gewinnen möchten, um sich dadurch besser vorstellen zu können, wie diese so geheimnisvoll anmutende Therapie ihre Wirkung entfaltet. Dieser Teil des Buches verschafft Ihnen einen Eindruck davon, wie das Gehirn funktioniert: wie es die Gegenwart erlebbar macht, Erinnerungen hervorruft und Zukunftsträume formt.
Hübsch ist es ja nicht gerade, das Gehirn. Anders als zum Beispiel das Herz eignet es sich selbst als abstrahierte Grafik nicht als Autoaufkleber oder als Bildchen für lustige Textnachrichten: Zu blass ist die grau-weiße Oberfläche, zu unruhig erscheinen die sich windenden Falten und Furchen. Anderthalb Pfund wiegt das Gehirn eines erwachsenen Menschen. Es besteht zum größten Teil aus Fett – den Ausdruck »Hirnschmalz« gibt es also aus gutem Grund! Um dieses zu schützen, gibt sich die Natur viel Mühe. Sie verpackt das Gehirn nicht nur in eine stabile Schale aus Knochen, sondern unterhält mit der »Blut-Hirn-Schranke« auch eine extrascharf kontrollierte Grenze innerhalb des Stoffwechsels. Die »grauen Zellen« zwischen den Ohren sind so kostbar, dass auf keinen Fall schädigende Substanzen zu ihnen vordringen dürfen.
Doch wie bringen diese Zellen Bewusstsein hervor, Gedanken, Gefühle und Erinnerungen? Darüber werden Sie in den folgenden Kapiteln zwar mehr erfahren, doch restlos geklärt ist dieses Geheimnis bis heute nicht. Eins ist jedoch sicher: Wer das Gehirn mit einem Computer vergleicht, liegt falsch. Denn selbst den leistungsfähigsten Geräten fehlt die Eigenschaft, aus sich selbst heraus etwas Neues hervorzubringen. Wenn ein Vergleich schon sein muss, ist Hefeteig zwar weniger stylish, aber passender: Für einen guten Start braucht der Teig Wärme und das richtige »Futter«, er fügt sich stets den eifrig knetenden Händen, doch er entwickelt sich auch selbst und kommt seiner Umgebung entgegen.
Diese Wechselwirkungen zwischen äußeren und inneren Kräften machen auch das Gehirn aus, sie formen es bis ins hohe Alter stets so, dass es möglichst gut zu den gegebenen Umständen passt. Bekommt es nur wenige Anregungen, baut es eben die gleichen Nervenverbindungen zu immer breiteren Boulevards aus. Wird es jedoch auf inspirierende Weise vielfältig beschäftigt und gefordert, entstehen ständig neue Pfade. Dabei geht es nicht nur darum, was die Welt da draußen dem Gehirn objektiv bietet, sondern auch, wie es diese Gegebenheiten subjektiv wahrnimmt: Ist das Glas halb leer oder halb voll? Sollte man sich lieber an das klammern, was man hat und kennt oder immer wieder Schritte ins Unbekannte wagen? Solche inneren Einstellungen sind veränderbar. Manchmal ist dafür nur eine Entscheidung nötig, häufig hartnäckiges Üben und manchmal auch die Unterstützung eines Coachs oder eines Therapeuten.
Es lohnt sich, die Komfortzone immer weiter auszudehnen, denn es sind die vielen Querverbindungen, die ein munteres, kreatives, flexibles Gehirn ausmachen. Sie werden besonders wichtig, wenn ein Bereich geschädigt wird und andere seine Aufgaben übernehmen müssen. Nach einer Hirnverletzung wieder neu laufen zu lernen, ist zwar unendlich mühsam – aber häufig gelingt es. Das ist wohl eines der eindrucksvollsten Beispiele für Neuroplastizität, also die Formbarkeit des Nervensystems. Ein anderes: Seit vom Handy aus gesendete Textbotschaften die Welt erobert haben, hat sich vor allem bei Teenies die Region im Gehirn deutlich vergrößert, die für die Bewegung der Daumen zuständig ist – weil diese plötzlich viel geschickter agieren müssen als noch in der vorigen Generation.
Genauso spiegelt sich auch bei Ihnen wider, wie Sie den »Hefeteig« zwischen Ihren Ohren bis heute genutzt haben. Wenn Sie mit dem Ergebnis nicht so glücklich sind, dann lautet Ihre Aufgabe: Verändern Sie die Bedingungen, probieren Sie aus, was Ihnen gut tut – und »kneten« Sie sich Ihr Gehirn von morgen.