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Barbara Pachl-Eberhart

Federleicht

Die kreative Schreibwerkstatt

Wie die Kraft Ihrer Worte zur Lebenskraft wird

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Copyright © 2017 by Integral Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Dr. Diane Zilliges

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

unter Verwendung eines Motivs von © paladin13 / iStock

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-21522-4
V002

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Inhalt

Gute Nachrichten

Was dieses Buch zu bieten hat

Teil 1: Das Schreiben beginnt

1. Krimskramslade, ausgekippt

Die Fülle der Gedanken sichten

2. Sprachmelodie

Von der Musik, die in einzelnen Sätzen wohnt

3. Liebes Ich

Das Blatt Papier als Zuhörer nutzen

4. Rotz und Wasser

Schmieren, fetzen, brüllen, kotzen – und es genießen

5. Seelenspiegel

Das Innehalten nach dem Schreiben

Teil 2: Schreiben trifft Leben

6. Die Hochzeit zwischen Wort und Welt

Wie das Schreiben zum Leseabenteuer wird

7. Du darfst

Sprachliche Freiheit, gepflückt vom dichterischen Erlaubnisbaum

8. Badeschaumbartblasenburg

Blödeln, probieren und Unsinn erfinden: die Logik der Fantasie

9. Antwort inklusive

Wie Sie schreibend Gespräche führen, ohne sich zu verzetteln

Teil 3: Lesen und lesen lassen

10. Im Verwandlungslabor

Freude am Verändern, Freiheit im Stil

11. Alles wird gut

Wie Sie sich selbst ermutigen, während Sie Ihre Texte korrigieren

12. Die Techniken der Profis

Fünf Luxus-Werkzeuge, die inspirieren und Erdung schenken

13. Ein guter Platz für meine Worte

Welche Fragen Sie sich stellen sollten, ehe Sie Texte veröffentlichen

14. Ermutigung

Vier Mythen rund ums Schreiben, denen Sie keinen Glauben schenken müssen

Teil 4 – Schreibprojekt und Serviceteil

15. Sonntags am Kamin

Einen Schreibtag genießen, ein ganzes Buch füllen

Verzeichnis der Übungen

Serviceteil

Dank

Für meine Tochter Erika

Gute Nachrichten

Schreiben. Ein Lebenselixier, das kein Ablaufdatum kennt. Ein Freizeitvergnügen, für das man sich nicht erst Kondition antrainieren muss. Ein Goldbarren ohne Kursverfall, ein Wohnwagen ohne TÜV-Termin, ein Nahversorger ohne Sonn- und Feiertag.

Schreiben, das ist die Freundin, die jederzeit den Hörer abhebt, zuhört und mit uns lacht, auch wenn wir uns jahrelang nicht mehr gemeldet haben. Es ist der Sommer, mit dessen Zeit wir nicht geizen müssen, weil die Großwetterlage hält. Es ist die vertraute Quelle, der lang bekannte Wald, es ist das Urlaubsquartier, das wir einmal liebten und das uns immer noch offen steht. Das Schreiben ist immer für uns da, in jedem Moment.

Es ist nie zu spät, um mit dem Schreiben zu beginnen. Man hat nie zu lange Pause gemacht. Und man ist auch nie zu jung oder zu alt. Nicht mit zwanzig, nicht mit vierzig, nicht mit achtzig. Der Zeitpunkt ist immer der richtige. Vielleicht schon übermorgen. Warum nicht gleich heute?

Fangen Sie gerade mit dem Schreiben an? Oder wollen Sie wieder neu beginnen? Egal, ob Sie schon wissen, was Sie schreiben wollen, oder ob Sie einfach nur von der Idee bezaubert sind, dass die Spitze Ihres Stiftes wieder einmal ein leeres Blatt Papier berühren könnte. Egal, ob Sie früher mit Leichtigkeit ganze Bücher gefüllt haben oder ob Sie schon immer um jedes Wort gerungen haben. Egal, ob Ihre Sehnsucht zaghaft flüstert oder schon ungeduldig ist und schreit. Der Anfang des Schreibens, er könnte diesmal wirklich neu sein. Ein Anfang ohne Zaudern, ohne das Echo alter Zweifel und Ängste.

Weg mit dem staubigen Glauben, dass andere viel talentierter sind. Dass man studiert haben muss, um wirklich schreiben zu dürfen. Weg auch mit dem Gedanken, dass man nichts zu sagen hätte, dass man ja doch keine guten Ideen hat. Weg mit alledem! Und her: her mit dem erstbesten Blatt Papier, das zur Hand ist. Her mit dem Stift und her mit den Worten. Ihren Worten, die darauf warten, geschrieben zu werden.

Dieses Buch schenkt Ihnen den Freibrief für einen Neubeginn. Und dazu ein paar Versprechen: Schreiben muss nicht schwierig sein. Gute Ideen entstehen, während man schreibt. Stil entwickelt sich schnell, sobald man zu spielen beginnt, sobald man Worte verkostet und schreibend das Leben genießt.

Schreiben, das darf eine sehr egoistische Tätigkeit sein. Etwas, das wir nur für uns tun, ohne den Anspruch, anderen zu gefallen. Und doch könnte es, beinahe aus Versehen, passieren, dass anderen gefällt, was wir schreiben. Es kann, es könnte aber auch noch etwas ganz anderes passieren. Und zwar: dass man uns fragt, was denn mit uns geschehen ist. Warum wir plötzlich so viel fröhlicher, ausgelassener, ruhiger oder selbstbewusster wirken. »Ach, das kommt wohl daher, dass ich neuerdings schreibe.« Das könnte unsere Antwort sein. Denn die Entfaltung des Lebens, hin zur Vollständigkeit, hin zu größerem Selbstbewusstsein, zu Mut und Kraft ist eine der häufigsten Nebenwirkungen des Schreibens. Sie werden es bald bemerken.

Es macht mich glücklich, dass diese Versprechen nicht nur leere Behauptungen sind. Ich kann sie aufgrund meiner persönlichen Erfahrung geben. Darf ich Ihnen ein wenig von diesen Erfahrungen erzählen? Ich bin heute eine Autorin, die ehrlich sagen kann, dass sie lebt, um zu schreiben, und schreibt, um zu leben. Und ich bin ein Mensch, dessen Leben durch das Schreiben beglückt und bereichert wird.

Doch ich bin zugleich eine Frau, die Ihnen erzählen kann, dass das nicht immer so war. In der Schule, da hatte ich panische Angst vor dem Schreiben. Vor den Klassenarbeiten in Deutsch, ja sogar vor jedem Aufsatz, den ich abgeben musste. »Ich kann nicht schreiben«, das hielt ich leider für wahr. Ich wurde damals von einer Lehrerin geplagt, die meinen Stil nicht leiden konnte. Ihr Rotstift traf mich stets an den überraschendsten Stellen. »Ausdrucksmangel!!« Das war, wenn es um meine Texte ging, ihr Lieblingswort. Ein schlimmes Wort. Unberechenbar, ein Wort ohne verstehbare Regeln. Ein willkürliches Urteil, das in der Lage war, mich in tiefe Unsicherheit zu stürzen und mir die Lust, mich schreibend auszudrücken, völlig zu vergällen.

Ich hatte damals eine beste Freundin. Sie hieß Christina, ging in meine Klasse, sie hatte am selben Tag Geburtstag wie ich – und sie träumte davon, einmal Schriftstellerin zu werden. Im Gegensatz zu mir wurde sie immer gelobt. Sie bekam die Einsen. Da war kein Hauch von Rot in den Korrekturen ihrer Arbeiten zu sehen. Christina half mir oft bei den Hausaufgaben, sie besserte aus, was unsere Lehrerin stören könnte. Doch das half leider gar nichts. Ausdrucksmängel findet man immer, wenn man sie finden will.

Ein schreibendes Leben

Niemals hätte ich es gewagt, gemeinsam mit meiner Freundin vom Schreiben, von einem schreibenden Leben zu träumen. Nun ja: Geflüstert haben sie schon, die Stimmen der Sehnsucht, des großen Traums vom Schreiben. Aber ich versuchte gewissenhaft, sie nicht mehr zu hören. Ich brachte meine Matura hinter mich, begann, Musik zu studieren – und schrieb fortan lieber nichts mehr. Fast gar nichts. Bis zu dem Jahr, in dem ich vierunddreißig wurde.

Es war das Jahr, in dem ich erstens: wieder zu schreiben begann, weil das immer noch besser war, als verrückt zu werden, und in dem ich zweitens wie durch ein Wunder einen Verleger fand, der an mich glaubte und mich zum Weiterschreiben, zum Überarbeiten und zum hingebungsvollen Feilen an meinen Texten ermutigte. Dieser Verleger brachte mir bei, was guter Ausdruck wirklich ist. Er zeigte mir, wie eng authentische, lebendige Sprache, wie eng die Freude am Schreiben mit der Freude am Fühlen, am Denken und am Erleben zusammenhängt – und wie sich das alles fast wie von selbst entwickelt, sobald man lernt, sich selbst ernst zu nehmen, während man zu Papier bringt, was man sagen will.

Was folgte, war ein Buch, das zum Bestseller wurde: Vier minus drei. Dann eine Ausbildung in Poesie- und Bibliotherapie. Ein zweites Buch, das ebenfalls auf der Spiegel-Bestsellerliste landete: Warum gerade du? Der Beginn meiner Tätigkeit als Schreibpädagogin. Und, inzwischen, ein Leben, aus dem das Schreiben nicht mehr wegzudenken ist.

Seltsam genug: Es war die Sprachlosigkeit, die am Neuanfang meines Schreibens stand. Warum? Weil das Leben meines Mannes und meiner beiden kleinen Kinder zu Ostern 2008 ein allzu frühes Ende genommen hatte. Das Auto, in dem die drei gerade einen Ausflug machen wollten, war an einem unbeschrankten Bahnübergang mit einem Zug kollidiert. Mein Mann war sofort tot, meine Kinder starben ein paar Tage später im Krankenhaus.

Inzwischen weiß ich, dass der Verlust der Worte für viele Menschen ein wichtiger Schlüssel zum Schreiben ist. Wenn das Leben bricht, wenn die Stimme versagt, wenn ein schlimmes Erlebnis uns zum Verstummen bringt, steigt der innere Druck der Gedanken und Gefühle. Oft führt das zu einer Entladung auf Papier. Für manche Menschen ist das der Beginn einer regelmäßigen Schreibpraxis. Aus Not begonnen, wird das Schreiben schließlich zum Lebensquell.

Zur Sprache kommen

Bei mir sah das so aus: Am Wendepunkt meines Lebens, an diesem Ende, das ungeplant und ungewollt zu einem neuen Anfang werden musste, schrieb ich, in einer Art Marathon, eine acht Seiten lange E-Mail.

Ich schrieb an meine Freunde, weil ich ihnen sagen wollte, dass sie sich nicht davor fürchten sollten, mich zu besuchen, weil ich nämlich nicht sabberte, nicht mit Dingen um mich warf und kein wirres Zeug von mir gab, sondern einfach nur schweigen wollte, jedoch zu voll mit verwirrten Gefühlen war, um das ganz allein durchzustehen. Ich erzählte außerdem davon, was ich auf der Intensivstation im Krankenhaus erlebt hatte. Und ich bat um Geschenke für das Begräbnis: keine Kränze, sondern Geschichten über Erlebnisse mit meiner Familie, an die sie sich erinnerten, bitte auf buntem Papier notiert.

Diese Mail war wohl der erste Text meines Lebens, den ich vollkommen anspruchslos, zweckfrei und ohne jegliche Selbstzensur schrieb. Ein Text, der zwar an Freunde gerichtet, aber vor allem eines war: eine offene, unverhohlene Aussprache zwischen mir und mir. Er war: ich – in sehr einfache Worte gefasst.

Ich breitete meine Worte langsam und sorgfältig aus. Ich wurde zu einer Art Buchstabennudelhaufen in einem Word-Dokument, das einem weißen Teller glich. Ich ordnete mich, intuitiv, nach Kriterien, die sich während des Ordnens ergaben. Ich setzte Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort, ich folgte Regeln, die ich nicht wirklich verstand. Doch es schrieb sich, scheinbar wie von selbst. Und ich schaute zu.

Die Mail ging an meine Freunde, dann bald weiter an die Freunde meiner Freunde, sie landete im Internet, fiel Redakteuren von Zeitungen auf. Bald war der Text in mehreren Blättern abgedruckt und erregte Aufsehen. Warum? Bestimmt nicht, weil er besonders gut geschrieben war. Sondern eher: weil er überhaupt geschrieben worden war, von einer Frau, die etwas Existenzielles erlebt hatte und irgendwie in der Lage gewesen war, es so auszudrücken, dass man ihr folgen konnte und das Erlebte verstand.

Seit jener Mail im Jahr 2008 hat sich an der Art, wie ich schreibe, nur wenig geändert. Ich habe zwar Übung im Überarbeiten bekommen, habe gelernt, dass Texte ruhen müssen, um reifen zu können, und ich weiß heute, dass ein Text nach ein paar Tagen in der Schublade meistens selbst sagt, was er braucht, um noch besser zu strahlen. Aber jedes Mal, wenn ich wieder vor einer leeren Seite sitze, um etwas Neues zu beginnen, erfasst mich dieses ruhige Vertrauen: dass es genügt, mir selbst zuzuhören und einfach mit dem Schreiben zu beginnen. Dass die Worte sich schon fügen werden. Und dass es besser ist, überhaupt zu schreiben, als gut schreiben zu wollen.

Bis heute ist mein Schreiben eine ehrliche, ernst gemeinte Aussprache zwischen mir und dem Leben geblieben. Das Leben und ich, wir erschaffen immer wieder ein gemeinsames Werk. Wir suchen gemeinsam nach dem, was sagbar und wesentlich ist. Und wir freuen uns, wenn etwas, irgendetwas entsteht – vielleicht nur ein Wort oder ein einzelner Satz. Manchmal auch mehr.

Lebensquell und Lebenshaltung

Heute gebe ich dieses Vertrauen in das Finden der Worte an andere weiter. Ich ermutige Menschen in Workshops zum Schreiben. Dabei gebe ich ihnen Übungen, Werkzeuge und Inspirationen an die Hand. Doch wichtiger als jede Technik ist mir etwas anderes: das Vermitteln der inneren Haltung, die das Schreiben im Leben tragfähig macht. Für mich ruht diese Haltung, wie der stabile Schemel meiner Oma, der niemals wackelte, egal, was man mit ihm anstellte, auf drei einfachen Beinen.

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich meine, dass die Haltungen, die man beim Schreiben entwickeln kann, Haltungen für ein gutes Leben sind. Ehrlichkeit. Neugier. Liebe zu sich selbst. Man kann diese Haltungen üben, man kann sie pflegen. Zum Beispiel, indem man ab und zu ein wenig schreibt.

Ich kenne kaum einen Menschen, der hinter allem, was ihn verzagen lässt, hinter aller Entmutigung und Selbstzensur, nicht doch die leise Sehnsucht verspürt, irgendwann einmal etwas, irgendetwas zu schreiben. Die Sehnsucht, die da ruft, ist, so meine ich: die Sehnsucht danach, sich auszudrücken, gesehen zu werden, sich wahrhaftig zu zeigen. Und stolz sein zu dürfen auf das, was durch die eigene Hand entstanden ist. Es ist die Sehnsucht danach, ein Mensch zu sein, der dazugehört, weil er ist, was er ist – und sich zeigen darf, so, wie er ist.

Wenn Worte zu Gedanken werden

Ein Spruch aus dem Talmud beginnt so: »Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden zu deinen Taten.« Ich mag diesen Spruch – vor allem an Tagen, an denen es in meinem Kopf gerade liebevoll und aufgeräumt zugeht und die Worte, die aus mir herauskommen, schöne Worte sind. Dann habe ich nichts dagegen, dass diesen Gedanken zwangsläufig Worte und Taten folgen.

Doch es gibt auch andere Tage. Da wünschte ich, dass es einen Stopp-Schalter für Gedanken gäbe, die wild oder selbstgerecht oder einfach nur verzweifelt sind. An solchen Tagen wirkt der Talmud-Spruch wie eine Drohung: Wenn du so weiterdenkst, wird es bald noch schlimmer kommen, nicht nur in deinem Kopf, sondern in deinem Leben!

Wie kann ich Gedanken verändern, die ich nicht mag? Wie kann ich ihnen Liebe einhauchen? Wie kann ich sie – und mich – aus dem Spinnennetz der Angst und der Trübsal befreien?

Ich habe den Schalter in meinem Kopf noch nicht gefunden. Aber was ich gefunden habe und immer wieder finde, ist: ein Stift. Und ein Stück Papier. Der Weg, den ich nutze, um meine Gedanken mit Licht zu fluten, kehrt den Spruch aus dem Talmud um: Ich achte erst einmal auf meine Worte. Und lasse zu, dass sie meine Gedanken verändern. Ich schreibe Dinge auf, die mir guttun. Wenn ich meine Worte forme, wenn ich ernsthaft mit ihnen spiele, wenn ich Sätze sanft zu Textgeweben verknüpfe, wenn ich beim Schreiben Mut fasse und die Freiheitsgrade meines Ausdrucks erprobe, dann geschieht es wie von selbst: Ich werde lustiger, lauter, zarter oder feiner. Ich werde, Schritt für Schritt, ehrlicher zu mir selbst. Nach und nach verändern, veredeln, verwandeln sich dabei die Gedanken in meinem Kopf. Und mit ihnen: mein Blick auf die Welt. Meine Art, in Beziehung zu treten. Mein Augenblick, mein Dasein, mein Leben.

Schreiben, das ist eine Lebenskunst. Eine Kunst, die stärkt und Gelassenheit schenkt. Eine Kunst, bei der man langsam sein darf und die doch schnell Wirkung zeigt. Eine Kunst, die Freude macht.

Wollen wir mit dem Schreiben beginnen?

Was dieses Buch zu bieten hat

Ich wüsste gern, wie viele Schreibratgeber Sie bisher schon gelesen haben. Waren es fünf? Zehn oder dreiundfünfzig? War es einer? Oder bisher noch keiner?

Ich selbst bin ganz versessen auf Schreibratgeber. Meine Bücherregale sind voll, sehr voll mit Büchern über das Schreiben. (Dreiundfünfzig? Das könnte hinkommen. Vermutlich sind es noch ein paar mehr.)

In einem Regal, das gleich rechts neben meinem Schreibtisch steht, da horte ich Bücher aus dem Bereich der Poesie- und Bibliotherapie, Schreibdenken, The New Diary, Der Weg des Künstlers, Poesie und Therapie, Writing to heal the soul … Diese Bücher bieten vielfältige Ansätze und Übungen, sie sind sich jedoch in einer Botschaft einig. Sie sagen: Schreibe regelmäßig, schreibe am besten jeden Tag. Egal was: Hauptsache, du schreibst.

Die Autoren dieser Bücher bieten Methoden an, um loszuschreiben, ohne lang zu grübeln. Das wirkt, das klappt, das hält einen am Ball. Doch es gibt ein paar Fragen, die in diesen Büchern offenbleiben. Zum Beispiel: Was kann man tun, wenn einem das, was man schreibt, nicht gefällt? Wie kann man sich helfen, wenn die eigenen Worte nicht zu funkeln beginnen, wenn sie nicht kribbeln, nicht zünden, wenn es einfach nicht »fetzt«? Muss man ein Jahr lang schreiben, zwei oder drei, bis endlich ein lustvoll lesbarer Text entsteht? Oder ist es keine Frage von Dauer, sondern eine der Technik oder gar, oh je … doch eine Frage des Talents?

»Schreib, was du willst, wie du willst, ganz egal, es ist gut«?

Diese Ermutigung ist wichtig und richtig – zu Beginn. Doch ich meine: Die Entwicklung muss hier nicht zu Ende sein.

Ich selbst hatte, bei der Arbeit an meinem ersten Buch vier minus drei, das Glück, mit einem Lektor arbeiten zu dürfen, der meinen ersten langen Textentwurf Seite für Seite, Satz für Satz, Wort für Wort mit dem Feinsinn eines Uhrmachers polierte. Er brachte mir bei, wie man Texte entschlackt und präzisiert, wie man sie literarisch überarbeitet, sodass sie zu schnurren beginnen.

Ich durfte dabei zum Beispiel lernen, wie viel es bewirken kann, die Zeitform zu tauschen, in der man erzählt. »Schreiben Sie diese Szene lieber in der Gegenwartsform.«: Im elften Kapitel dieses Buchs werde ich Ihnen erzählen, warum diese Anmerkung zu einer der wichtigsten in meiner Entwicklung zur professionellen Autorin wurde.

Von meinem Lektor lernte ich auch, dass der Schlüssel zur Selbsterkenntnis manchmal darin liegt, ein intuitiv geschriebenes Märchen in ein kurzes Gedicht zu verwandeln oder ein Gedicht in eine lebendige, realistische Szene. Ich weiß inzwischen auch, wie erlösend es sein kann, ganze Seiten zu streichen. (Natürlich immer die, an denen man tagelang saß. Natürlich die Stellen, die man für die allerbesten gehalten hat. Natürlich das Stück Text, um das man sehr verzweifelt kämpft, bevor man es loslassen kann.)

Ich lernte, literarisch zu denken, literarisch zu schreiben.

In diesem Buch möchte ich Sie teilhaben lassen an dem, was ich über das persönlich-therapeutische, aber auch über das literarische Schreiben, vor allem aber über die Begegnungszone dieser beiden Schreibarten gelernt habe. In meiner Arbeit schlage ich eine Brücke zwischen jenem Schreiben, das der Seelenhygiene dient, und dem literarischen Schreiben, bei dem man bewusst auf Stil und Formulierungen, auf Genauigkeit und Aussagekraft, auf Rhythmus, auf Vielfalt der Formen und Reichtum im Wortschatz achtet.

Ich selbst habe bei der Arbeit an meinem ersten Buch erlebt, wie aus einem intimen, privaten Text ein Werk werden kann, das nicht nur Lesern Kraft vermittelt, sondern auch mich, die Autorin, in ihrer Lebenskraft stärkt. Als Schreibpädagogin beschäftige ich mich seither mit der Frage: Wie kann man die Techniken des literarischen Schreibens, die Techniken der Profis, so einsetzen, dass sie das private Schreiben beleben? Wie kann es gelingen, das Schreiben mithilfe literarischer Werkzeuge tiefer, wahrhaftiger, interessanter zu machen? Darf man das eigene Tagebuch wie ein literarisches Werk behandeln? Und: Hat die literarische Arbeit an Selbstgeschriebenem therapeutischen Wert? Ich meine: ja. Nicht anstelle, nicht als Ersatz für eine Psychotherapie. Aber als lebensbegleitende, stärkende Maßnahme – wenn das Schreiben zum Freund wird, der bittet: »Sag es noch einmal klarer.« Zu einem Freund, der »Hast du Beispiele?« fragt. Oder: »He, wie meinst du das genau?« Zu einem Freund, der wie ein guter Lektor bemerkt: »Du redest um den heißen Brei herum. Wovor drückst du dich die ganze Zeit?«

Die literarische Arbeit an einem privaten Text kann auf das Selbstbewusstsein wirken wie ein Vitaminpräparat auf den Organismus: unterstützend, belebend. Man wächst, persönlich, indem man seinen eigenen Texten – und damit der eigenen Persönlichkeit – beim Reifen hilft.

Kommen Sie noch einmal mit mir in mein Büro. Ich will Ihnen auch noch mein zweites Bücherregal zeigen, das auf der anderen Seite des Schreibtisches. In diesem Regal sammle ich die Bücher aus dem Autorenhaus-Verlag und viele, viele aus Amerika, die es nur auf Englisch gibt. Das sind Bücher über das Schreiben von Literatur, also über das Schreiben von Geschichten und Romanen. The Art of Time in Fiction, Dialogue, Subtext, Writing for Emotional Impact, Ein Roman in einem Jahr, Kurzgeschichten schreiben und veröffentlichen und viele mehr.

Ich finde die Übungen in diesen Büchern spannender als jeden Krimi. Ich lese und genieße sie. Viele der Übungen sind ziemlich anspruchsvoll und aufwendig – ich zwinge mich nicht, sie alle zu probieren. Aber: Ich lasse mich von ihnen inspirieren. Ich erlaube ihnen, den Blick, mit dem ich durchs Leben gehe, zu schärfen.

Zwar schreibe ich keinen »Lebenslauf einer gescheiterten Ballerina«, der mir im Kurzgeschichten-Buch vorgeschlagen wird, aber ich lasse mich von den vorgeschlagenen Lebenslaufthemen inspirieren, frage Freunde nach dem Sport ihrer Kindheit, nach alten, verlorenen Träumen und danach, welches Ziel sie derzeit verfolgen.

Ich schreibe vielleicht keinen »Dialog, in dem ein Fleischer sich mit dem Liebhaber seiner Frau über das Wetter unterhält«. Aber: Ich spitze plötzlich meine Ohren, wenn ich beim Friseur auf den Haarschnitt warte und die Kundin mit Alufolie im Haar dem Lehrmädchen von ihrer neuen Wohnung erzählt. Was erzählt sie genau? Wie abstrakt, wie konkret sind die Worte? Wie schmückt sie ihre Geschichte aus? Wie antwortet sie auf Fragen? Antwortet sie überhaupt? Wie weicht sie aus?

Literarischer Alltag

Am meisten liebe ich es, Elemente des literarischen Schreibens in ganz normale Alltagstexte einfließen zu lassen. Da beschreibe ich vielleicht in einer Mail an meine Steuerberaterin den Spatz, der eben auf meinem Fensterbrett gelandet ist – natürlich nicht im ausführlichen Stil von Marcel Proust, aber in wenigen, lebendigen Worten, durch die ein freundliches Bild entsteht. Oder ich reime einen Abschiedsgruß, wenn ich an einen meiner Veranstalter schreibe. Fast immer bekomme ich eine lustige, kreative Antwort zurück.

Manchmal beginne ich den Eintrag in meinem Tagebuch, einfach so, mit einem Anführungszeichen, ohne zu wissen, was darauf folgt. Oft meldet sich eine Stimme zu Wort, die mich liebt und mir ein paar nette Dinge sagt. Oder es ruft mich der Tee im Schrank, der gekocht werden möchte. Anführungszeichen öffnen den Blick, reißen mich aus der Gewohnheit. Sie sind ein wirksames Zaubermittel gegen drohende Tagebuch-Lethargie.

Ich schreibe Urlaubserinnerungen, inspiriert von der Farbe Blau oder von der Frage, wie viele Kreise ich auf der Reise gesehen habe. Ich ersetze in meinem Lebenslauf gewohnte Worte durch knackige Synonyme. Ich schreibe gereimte Morgenbriefchen an meinen Mann – oder, sonntags, wenn ich ausgeschlafen und zum Blödeln aufgelegt bin: eine schwülstige Ode an das Frühstücksei, schnell, in vier Minuten, nur so lange, bis die Eieruhr läutet. Eine Ode mit einer Prise Herausforderungs-Salz, zum Beispiel eine … ohne den Buchstaben e. Oder eine mit möglichst viel »ei«. Dabei fühle ich mich, als würden meine Gedanken unter der Dusche stehen, als würden sie plätschern und trällern. Meistens bin ich stolz auf die Miniatur, die entsteht.

Ja, auch zu solchem Unsinn wird Sie dieses Buch verführen. Doch die Hauptsache ist: Wir werden die lustigen und ernsten, leichten und tiefen, schwungvollen und feinen Begegnungszonen zwischen Leben und Schreiben, zwischen Selbsterkundung und literarischer Arbeit erkunden. Ich werde Ihnen zeigen, wie die Arbeit mit Stift und Papier, die Arbeit mit Worten Ihr Denken und Ihr Leben bereichern kann. Und wie der geschärfte Blick auf das Leben die Art, wie Sie schreiben, erfrischt. Das Ziel: das pulsierende Leben, die Freude am Menschsein zu feiern – egal, ob Sie gerade schreiben oder nicht.

Das dürfen Sie erwarten

Die Inspirationen und Übungen in diesem Buch sind in vier Abschnitte geteilt. Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit den grundlegenden Bausteinen des kreativen und therapeutischen Schreibens: Wir üben zuerst, auf frische Gedanken zu kommen, statt uns mit den erstbesten Denkklischees zufriedenzugeben. Wir verwandeln Stichwörter in ganze Sätze, spielen mit Grammatik und Sprachstil. Dann erlauben wir uns, Worte und Sätze fließen, ausfließen, anschwellen und wieder verebben zu lassen. Ich zeige Ihnen Methoden, die stumme Worte aus ihren Höhlen locken. Sie üben, frei und ohne Anspruch zu schreiben und dann mit dem, was intuitiv aus Ihnen gesprochen hat, in produktive Resonanz zu treten. Dabei widmen wir uns auch der Frage, wie man das Denken entschleunigen kann: wie man ihm Richtung gibt, wie man so schreibt, dass Fokus statt Wirrnis entsteht.

Gleich danach kümmern wir uns um laute Gefühle: um das, was man Katharsis, Entladung, nennt. Wir nutzen Papier und Stift, um Gefühle anzuerkennen, die kaum je zu Wort kommen dürfen – und wir lassen uns vom kreativen Potenzial überraschen, das freigesetzt wird, wenn wir uns nichts mehr verbieten.

Das letzte Kapitel des ersten Teils ist dem »Schreiben nach dem Schreiben« gewidmet. Es erinnert uns daran, nicht nur zu produzieren, nicht nur voranzugehen, sondern innezuhalten und auszukosten, was wir uns selbst durch unser Schreiben geschenkt haben.

Im zweiten Teil dieses Buchs geht es darum, dem wirklichen Leben schreibend die Hand zu reichen. Wir schreiben konkret, über das, was unsere Sinne wahrnehmen. Dann machen wir einen Ausflug ins Land der Poesie, schreiben Gedichte und erfahren dabei, dass es jenseits des Rationalen auch noch eine andere Logik mit ganz anderen Gesetzen gibt.

Wir widmen uns auch dem Blödeln. Dabei stellen wir unsere Sprache, unser Denken und unsere Schreibgewohnheiten auf den Kopf und erobern uns neue Freiheitsgrade. Schließlich üben wir das Schreiben von Dialogen. Das hilft uns, die Perspektive zu wechseln. Unser Denken darf noch wendiger werden, unser Herz darf sich noch weiter dehnen.

Im dritten Teil beginnen wir damit, uns mit unserem Schreiben auch nach außen, an mögliche Leser zu wenden. Wir widmen uns der Frage, womit wir unsere Texte ausstatten – beziehungsweise: wovon wir sie befreien müssen, damit sie auch von anderen gern gelesen und gut verstanden werden. Dafür üben wir zuerst das Verwandeln: Wir kleiden vorhandene Texte spielerisch in neue Gewänder, erheben uns gestaltend über den automatischen Fluss unseres Schreibens und dürfen erkennen, was abseits der gewohnten Schreibautobahn noch alles möglich ist.

Auf der Grundlage dieser Freiheit beginnen wir damit, unsere Texte liebevoll zu schärfen und zu korrigieren. Wir lernen nicht nur, was einen guten Text ausmacht, sondern auch, wie wir uns selbst ein guter Leser sein können.

Am Ende des dritten Teils lernen Sie die wichtigsten Profiwerkzeuge aus der Werkstatt der großen Literatur kennen. Sie bekommen Ideen, wie Sie diese Werkzeuge für Ihr Schreiben nutzen können, als Inspirationsquelle und als Sicherheitsnetz.

Zuletzt beschäftigen wir uns mit der Frage, wie und wo man Texte veröffentlichen kann. Der »Traum vom Buch«, er hat viele kleine Geschwister. Gerade heute, im digitalen Zeitalter, ist es sehr einfach, Texte mit anderen Menschen zu teilen. Welche der Möglichkeiten sinnvoll sind und welche nicht, welche Art der Veröffentlichung Ihren Texten und Ihren Wünschen dient, das werden wir gemeinsam erkunden.

Im vierten Teil erwartet Sie ein Schreibprojekt. Sie schreiben tatsächlich ein Buch. Ein Glücksbuch mit fünfundzwanzig Seiten – und zwar innerhalb eines Tages. Ganz zuletzt habe ich einen Serviceteil zusammengestellt, mit vielen Tipps und weiterführenden Ideen rund um Ihr Schreiben.

Noch eine Gebrauchsanweisung

Dieses Buch besteht aus Philosophie und Praxis. Ich habe die Übungen möglichst kurz und knapp formuliert. Nehmen Sie meine Anleitungen als Grundlage für Ihr eigenes Schreib-Spiel, für den freien, lustvollen Fluss Ihrer eigenen Ideen. Halten Sie sich dabei an folgende »Regeln«:

  1. Nehmen Sie meine Anleitungen wörtlich. Halten Sie sich streng an sie – außer es meldet sich ein innerer Schreibimpuls, der wichtiger, dringlicher ist. Dieser »wichtigere Impuls« könnte, zum Beispiel, ein anderes Thema sein, das Sie plötzlich mehr interessiert. Oder: eine andere Form (Gedicht statt Geschichte, Brief statt Gedicht …) oder auch der Impuls, eine Collage zu machen, etwas zu malen oder spazieren zu gehen, statt zu schreiben. Versuchen Sie zu spüren, ob der Impuls, etwas anderes zu machen, nur eine Flucht in etwas Einfacheres ist oder tatsächlich ein Hinweis auf etwas, das aus Ihnen hervordrängt. Fliehen Sie nicht vor dem, was ich vorgebe. Aber nehmen Sie alles ernst, was in Ihnen nach Ausdruck ruft.
  2. Überprüfen Sie meine Impulssätze/Textanfänge. Lassen Sie sich die einzelnen Worte auf der Zunge zergehen – und verändern Sie Details, wenn es eine Variante gibt, die Ihnen besser gefällt. Jeder Mensch hat seine eigene Lieblingssprache, vor allem, wenn es um das Locken von Ideen und Gefühlen geht. Kleine Veränderungen, sei es das Austauschen eines Wortes oder eine andere Wortstellung im Satz, bewirken oft einen großen Unterschied.
  3. Schreiben Sie im Zweifelsfall nie, um irgendjemandem zu gefallen. Bewegen Sie sich beim Schreiben immer dorthin, wo das größte Fragezeichen, die größte Ungewissheit, vielleicht sogar die Angst zu versagen auf Sie wartet. Sobald sich Ihre Nackenhaare aufstellen, sobald Sie ein wenig zu schwitzen beginnen oder heftig am Bleistift kauen, wissen Sie: Sie sind auf dem richtigen Weg.

Die meisten Übungen in diesem Buch machen praktisch erfahrbar, was ich zuvor theoretisch erklärt habe oder nach der Übung erkläre. Es macht Sinn, immer wieder innezuhalten und die Übungen sofort zu probieren, da sie einen bestimmten, eben besprochenen Aspekt des Schreibens antippen und durch Erfahrung vertiefen. Falls Sie allerdings (wie ich) zu den Menschen gehören, die sich zuerst einen theoretischen Überblick verschaffen wollen, ehe sie sich selbst praktisch betätigen, ist das auch kein Problem. Lesen Sie einzelne Kapitel (oder, von mir aus, das ganze Buch), und machen Sie die praktischen Übungen danach. Oder: Markieren Sie sich jene Übungen, die Sie beim Durchlesen besonders ansprechen, mit einem Stern – und machen Sie dann, nach dem Lesen, zuerst eine Übung, die keinen Stern bekommen hat. Und erst dann diejenigen, die Sie besonders reizten.

Üben heißt, über den eigenen Schatten zu springen. Aus der Bequemlichkeitszone zu treten. Nur so findet Entwicklung statt, Erweiterung und Dehnung. Um diese Dehnung, hinein in ein Leben, das durch das Schreiben bereichert wurde, soll es gehen. Ich behaupte: Die Übungen, die Ihnen besonders schwierig, unbequem oder gar langweilig erscheinen, führen Sie am effizientesten in dieses Leben hinein. Glauben Sie mir. Oder, noch besser: Glauben Sie mir nicht, sondern probieren Sie es selbst aus.

Hier noch eine Möglichkeit, wie Sie mit den vielen Übungen in diesem Buch umgehen können: Nehmen Sie sich vor, wie oft und wann Sie gern schreiben möchten. Sie können sich diese Schreibzeiten in Ihrem Kalender notieren. Noch praktikabler finde ich es, das Schreiben mit Ereignissen zu verknüpfen, die in Ihrem Leben schon einen fixen Platz haben. »Ich werde immer schreiben, während mein Sohn in der Musikstunde ist.« »Ich werde schreiben, während mein Mann die Nachrichten anschaut.« »Ich werde schreiben, während der Sonntagsbraten im Ofen schmort.«

Arbeiten Sie in Ihren Schreibzeiten die Übungen der Reihe nach ab – oder pflücken Sie sich eine Übung aus einem Kapitel, das Ihren aktuellen Bedürfnissen, Ihrer aktueller Schreiblust entspricht. Im hinteren Buchteil finden Sie eine Liste, die alle Übungen im Überblick zeigt, da ist jede zur Erinnerung mit ein paar Worten beschrieben. Anhand dieser Liste können Sie auch den Zufall entscheiden lassen. Denken Sie sich dazu eine Zahl zwischen 1 und 111, und schlagen Sie die passende Übung nach.

Schreiben oder tippen?

Wenn nicht anders erwähnt, ist es Ihnen überlassen, ob Sie mit der Hand oder am Computer schreiben. Zwar gilt gerade im Feld des therapeutischen Schreibens das Dogma, dass das Schreiben mit der Hand wertvoller ist. Auch ich schreibe oft und gern mit der Hand, erkenne aber auch viele Vorteile im Schreiben am PC. Einer davon ist ganz banal: Tippen ist weniger anstrengend, vor allem für Menschen, die nicht mehr oft mit der Hand schreiben.

Das bedeutet: Getippte Texte entstehen müheloser. Wir sind eher bereit, solche Texte zu korrigieren, zu überarbeiten, vielleicht sogar zu verwerfen. Wir sind eher dazu zu verführen, nach einem ersten getippten Text einen zweiten zu schreiben. Da, wo es um Fülle geht, um längere Texte, empfehle ich das Schreiben am Computer – ebenso bei jenen Übungen, bei denen es ums Überarbeiten und ums spielerische Verbessern geht. Korrekturen in handgeschriebenen Texten wirken schnell unordentlich und unübersichtlich. Am Computer bleiben Texte, trotz Korrekturen, sauber und adrett.

Natürlich: Literaturwissenschaftler stöhnen, weil es heutzutage keine handgeschriebenen Manuskripte mehr gibt, in denen man die Korrekturen – und damit den Denk- und Korrekturprozess – des jeweiligen Autors nachvollziehen kann. Wenn Sie Ihr Prozess, Ihre Entwicklung interessiert und Sie die einzelnen Textstadien archivieren möchten, kopieren Sie Ihren Ursprungstext am besten auf eine neue Seite, und bearbeiten Sie diese Kopie. Und die Kopie der Kopie. So lange, bis Sie zufrieden sind.

Ein letzter Hinweis darf nicht fehlen, bevor ich damit fortfahre, mich an Sie zu wenden: Sind Sie Autor? Autorin? Sind Sie Mann oder Frau, Menschin oder Mensch? Wie alle modernen Autoren habe auch ich mir Gedanken zur Geschlechterform in diesem Buch gemacht – und bin zu einer Entscheidung gelangt, die mir gefällt: Ich möchte auf komplizierte Genderformen verzichten. Zugleich will ich der Tatsache Rechnung tragen, dass meine Schreibseminare vor allem von Frauen besucht werden. Die reine Verwendung der männlichen Form, die immer noch oft aus Gründen der Einfachheit bevorzugt wird, scheint mir daher unangebracht.

So habe ich mich entschieden: Ich verwende manchmal die männliche und manchmal die weibliche Form, nicht systematisch, sondern nach dem Zufallsprinzip. Wenn ich auf der Straße gehe, begegnen mir Männer und Frauen auch durcheinander. Ich freue mich dabei über jeden Kontakt und lächle den Passanten zu, wann immer es geht. Fühlen auch Sie sich gesehen und freundlich begrüßt. Egal, ob ich gerade die weibliche oder die männliche Form verwende. Sie, ja: Sie sind immer gemeint.

Teil 1

Das Schreiben beginnt