Stille umgab den See in der Morgensonne. Lichtpunkte tanzten wie Sterne auf dem kristallklaren Wasser. Es duftete nach frischem Grün. Leise Hufschläge näherten sich. Eine hellbraune schlanke Stute trat ans Ufer, sah sich wachsam um, senkte den Kopf und trank. Eine weitere Pferdenase schob sich ans Wasser. Und noch eine. Schließlich stand eine kleine Herde am See. Gierig saugten sie das kühle Nass auf.
Plötzlich hob die Stute den Kopf und stieß ein durchdringendes Wiehern aus. Sofort kam Bewegung in die Herde. Die ersten Pferde drehten auf der Hinterhand um, ihre wirbelnden Hufe ließen Wasserfontänen aufspritzen. Im Galopp brachen sie durch Sträucher und Gräser die Böschung hinauf und jagten hinaus auf die weite Ebene. Vereinzelte Korkeichen säumten die Steppe, dahinter erhoben sich schroffe Felsen. In lang gezogener Formation preschte die Herde dahin, eine Staubfahne hinter sich herziehend.
Ganz vorn galoppierte die hellbraune Stute, an ihrer Seite ein schwarzer Jährling. Dann geschah etwas Seltsames: Statt weiter voranzusprengen, begann die Herde im Zickzack zu laufen, änderte immer wieder abrupt die Richtung, trabte in Schlangenlinien. Der Staub wurde zu einer dichten Wolke, in der sich das Trommeln der Hufe schließlich in der Ferne verlor.
Langsam sank der Staub zu Boden. Stille. Die Herde war verschwunden, aber ihre Hufabdrücke hatten etwas zurückgelassen. Im blassgrünen Gras der Steppe war deutlich ein übergroßes Symbol zu erkennen: eine fünfzackige Blüte, darunter zwei parallele Wellenlinien.
»Hallo?«
Die Stimme sickerte wie durch Watte an Mikas Ohr. Die Steppe aus ihrem Traum verblasste.
»Hallooo?« Die Stimme wurde lauter. Und aufgebrachter. »Schläft sie etwa?«
Wie aus weiter Ferne hörte Mika ihren Freund Sam eine Entschuldigung stammeln. »Nein, natürlich nicht. Sie, äh … denkt nach!«
Ein unsanfter Tritt traf Mika am Schienbein. »Mika!«
Sie schrak hoch. »Was, wo, wer?« Mika brauchte eine Weile, bis sie wieder wusste, wo sie war. Nicht in der hellen, lichtdurchfluteten Steppe aus ihrem Traum, sondern in der Reithalle von Gut Kaltenbach. Das Lächeln schwand aus ihrem Gesicht. Kurz rieb sie sich den schmerzenden Nacken. Da war sie doch tatsächlich auf diesem unbequemen Regiestuhl eingeschlafen, mit nach hinten gekipptem Kopf. Hoffentlich hatte sie wenigstens nicht gesabbert.
Mika blickte hoch. Direkt vor ihr ragte ein Schimmel wie ein Turm empor. Auf seinem Rücken thronte seine Reiterin, Frau Düsenberg-Oldermann. Sie musterte Mika mit empörtem Blick.
»Ich habe das volle Paket bezahlt und bin den ganzen weiten Weg hierhergekommen, um herauszufinden, was mit meinem Pferd nicht stimmt.« Aus ihrem perfekt geschminkten Mund kam ein verächtliches Lachen. »Und jetzt so was!« Sie schien nicht fassen zu können, dass ihre Trainerin mitten in der Stunde eingeschlafen war.
Mika setzte sich auf und sah dem Schimmel für einen Moment tief in die traurigen Augen. Sie spürte genau, was er sagen wollte. Mika seufzte. »Mit ihrem Pferd stimmt alles. Das Problem sind Sie.«
Frau Düsenberg-Oldermann verschlug es für einen Moment die Sprache, und auch Sam sah Mika entsetzt an.
»Also, das ist ja wohl …« Die Reiterin wusste offenbar nicht, ob sie schreien oder heulen sollte. Wutentbrannt packte sie die Zügel und bohrte dem Schimmel ihre Absätze in den Bauch. »Das habe ich nicht nötig, mir so etwas anzuhören!«, zischte sie. »Empedokles, wir gehen.« Der Schimmel verharrte wie ein Denkmal. »Los, vorwärts!« Mit aller Kraft presste die Frau ihre Beine zusammen. Mit dem Erfolg, dass ihr Pferd rückwärts lief. Frustriert ließ sie die Zügel fallen und deutete anklagend auf Mika. »Da! Sehen Sie, wie er mich ignoriert? Sehen Sie das?«
Mika zuckte mit den Schultern. »Ja. Er ignoriert Sie, weil Sie das Gleiche mit ihm tun.«
Frau Düsenberg-Oldermann fiel fast die Schminke aus dem Gesicht. »Was?« Sie brach in ein ungläubiges Lachen aus. Dann bedachte sie Mika mit einem kalten Blick. »Unverschämtheit!«
Bevor sie weitere Schimpftiraden loslassen konnte, stand Mika auf, drehte sich um und stapfte aus der Halle. Draußen lehnte sie sich gegen das Tor und atmete tief durch. Warum war es manchmal so schwierig? Warum verstanden die Leute einfach nicht, was die Pferde ihnen sagen wollten?
Für einen Moment schloss Mika die Lider. Bilder aus ihrem Traum tauchten in ihrem Kopf auf. Ein schwarzes Pferd, das im Zickzack über die weite Steppe lief, ein seltsames Symbol im Gras …
Mika riss die Augen auf. Plötzlich sah sie das Symbol so deutlich vor sich wie auf einer Zeichnung. Und sie hatte das komische Gefühl, es auf keinen Fall vergessen zu dürfen. Hastig zog sie einen Stift aus ihrer Jackentasche und malte das Zeichen auf ihren Handrücken: eine fünfzackige Blüte mit zwei Wellenlinien darunter.
Trotz des kühlen Herbstwetters war auf Kaltenbach auch heute wieder eine Menge los. Auf einem neuen großen Schild im Innenhof stand in geschwungener Schrift: »Therapiezentrum Gut Kaltenbach«. Das Logo daneben zeigte eine Kentaurin: halb Mensch, halb Pferd – eine Idee von Herrn Kaan, Mikas Lehrmeister.
Seit der Eröffnung vor einigen Monaten strömten die Leute nur so auf das Gestüt. Sie alle hatten das YouTube-Video von Mikas atemberaubender Dressurkür mit Ostwind gesehen und wollten die »Kentaurin« live erleben.
Gruppen von Reitschülern wuselten umher, Lachen und Gesprächsfetzen hallten über den Hof. Pferde wurden geputzt oder zur Weide geführt, im Hintergrund parkten Pferdeanhänger von Kunden, die mit ihrem Vierbeiner von weit her gekommen waren.
Mit zufriedenem Blick betrachtete Maria Kaltenbach den Trubel. Wenn das so weiterging, wäre Kaltenbach seine Schulden bald los. Allerdings gehörten zur neuen »Kundenfreundlichkeit«, wie Sam es nannte, auch Termine wie der, der ihr jetzt bevorstand. Eine Frau wollte sich den Hof zeigen lassen, bevor sie ihre Tochter anmeldete. Eigentlich führte Maria Kaltenbach die Gäste gerne herum, aber die Dame und deren Tochter schienen den Reiterhof mit einer Modenschau zu verwechseln. Mit weißer Pelzjacke und klimperndem Goldschmuck war jedenfalls noch niemand hier aufgekreuzt. Die Lieblingsfarbe des Mädchens dagegen war eindeutig Pink – von der Mütze bis zur Reithose.
»Es geht uns hier in Kaltenbach vor allem um einen freiheitlichen Umgang mit den Pferden«, begann Maria Kaltenbach zu erklären und machte mit der Hand eine unbestimmte Geste quer über den Hof. Wie hieß noch mal dieses neumodische Wort dafür?
»Natural Horsemanship«, flüsterte Tinka, die mit einem Clipboard im Arm neben ihr lief.
Maria Kaltenbach stockte kurz. »Gibt es da kein deutsches Wort?«
Tinka verdrehte die Augen. So hieß das eben!
Aber Maria hatte sich schon wieder gefangen und redete munter weiter. »Natürliche Reitkunst, nennen wir es doch so. Jedenfalls …«
»Da ist sie«, kreischte das kleine Mädchen plötzlich und zeigte aufgeregt auf Mika, die weiter hinten über den Hof lief. »Ich hab sie auf YouTube gesehen!«
Nicht schon wieder. Hatte wirklich jedes Mädchen auf diesem Planeten Fannys Video angeklickt? Mika zog sich die Mütze ins Gesicht und wollte unauffällig verschwinden.
»Mika, kommst du mal bitte und sagst Hallo?«, hörte sie die Stimme ihrer Oma. Okay, das konnte sie jetzt nicht mehr ignorieren.
Mit einem schiefen Grinsen ging Mika auf die Gruppe zu. Oh nein – filmte das Mädchen sie etwa auch noch? Unverwandt hielt die Kleine ihr Handy mit der glitzernden pinkfarbenen Hülle in Mikas Richtung.
»Hallo.« Mehr fiel Mika gerade nicht ein.
»Die kleine Sabina hier möchte …«, begann Maria Kaltenbach.
Mit einem affektierten Lächeln schaltete die Mutter sich ein. »Sha-qui-na«, verbesserte sie Maria.
»Aha.« Mikas Großmutter atmete leicht genervt ein, ließ sich aber ansonsten nichts anmerken. Sie war schon mit ganz anderen Kalibern fertig geworden. »Also«, fuhr sie fort. »Die kleine DAME würde gerne lernen, ein bisschen zu … äh …«
»Pferdeflüstern«, platzte es aus dem Mädchen heraus. Es ließ kurz das Handy sinken und strahlte Mika an wie eine Erscheinung.
Mika und Tinka tauschten einen Blick. »Äh, na klar«, murmelte Mika.
Unbemerkt schob in diesem Moment Archibald, Tinkas schwarz-weiß geschecktes Pony, seinen Kopf über die Schulter von Shaquina – und schnappte sich zielstrebig das Glitzerhandy, drehte sich um und trabte eilig mit seiner Beute davon.
Mika konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Seit wann stand Archi auf Pink?
»Hey«, schrie die Kleine und sah dem Pony unglücklich hinterher.
»Archi, was soll denn das?« Tinka hechtete ihm nach. »Stopp, bleib stehen!«
Ihre hastige Bewegung erschreckte das Pony, es ließ das Handy fallen – direkt in eine schlammige Pfütze. In Sekunden überzog Matschbraun das grelle Pink.
Entgeistert starrte die Mutter abwechselnd auf das Handy und auf Maria Kaltenbach.
Die breitete entschuldigend die Arme aus. »Das tut mir leid«, beeilte sie sich zu sagen. »Freiheitlicher Umgang heißt natürlich nicht, dass unsere Pferde hier frei herumlaufen!« Sie warf ihrer Enkelin einen strengen Blick zu, die sich nur mit Mühe das Lachen verbeißen konnte.
»Natürlich nicht«, stimmte Mika mit gespieltem Ernst zu.
In diesem Moment erklang ein lautes Wiehern von der Hofeinfahrt, Hufe trommelten über Asphalt. Alle Köpfe fuhren herum.
In vollem Galopp preschte ein schwarzes Pferd mit wehender Mähne auf den Hof, direkt auf den kleinen Besichtigungstrupp zu. Auf Mikas Gesicht machte sich ein Grinsen breit, Maria ließ resigniert den Kopf sinken. »Natürlich.« Was sollten die Leute jetzt denken? Ganz offensichtlich machten die Pferde hier ja, was sie wollten.
Im Moment hatte Shaquinas Mutter allerdings andere Sorgen. Verängstigt presste sie ihre Tochter an sich, während der schwarze Hengst die vier mit erhobenem Schweif umkreiste. Schließlich blieb er schnaubend vor Mika stehen und senkte vertrauensvoll seinen Kopf vor ihr.
»Hallo Ostwind«, begrüßte Mika ihn liebevoll.
Der Blick von Shaquinas Mutter sprach Bände. Offenbar hielt sie hier alle für völlig durchgeknallt. Maria Kaltenbach war klar, dass damit die Anmeldung geplatzt war.
Nachdem Shaquina und ihre Mutter Hals über Kopf geflüchtet waren, führte Mika Ostwind zurück auf seine Koppel. Die ersten Sonnenstrahlen drängten sich durch die dichten Wolken. Auf der Weide rechts vom Schotterweg arbeitete Milan an einer großen Holzwippe für Pferde. Das war seine neueste Idee. Sie sollte das Gleichgewicht der Pferde trainieren. Mika lächelte. Sie freute sich, den dunkelhaarigen Jungen zu sehen. Seit Kurzem benahmen sie sich schon wie ein richtiges Paar.
Als Milan sie sah, legte er das Werkzeug beiseite und kam näher. »Ach was. Schon wieder über den Zaun?«
Mika grinste. »Ist halt ein Springpferd.« Dann wurde sie ernst. »Er ist einsam, seit 34 wieder im Stall ist.« Die schöne Schimmelstute, Ostwinds Gefährtin, war irgendwann nicht mehr gerne zu der abgelegenen Weide am Wald gegangen. Milan hatte sie schließlich im Stall untergebracht.
Milan lehnte sich gegen die obere Zaunlitze. »Sie wollte eben nicht mehr da draußen sein. So sind Pferde manchmal.« Nachdenklich sah er Ostwind an, der mit hängendem Kopf neben ihnen stand. »Aber du musst irgendwas machen.«
Mika wusste genau, was er meinte. Ostwind hatte in den letzten Wochen immer öfter am Zaun gestanden und in die Ferne geblickt. Beim Reiten war er munter, doch er tobte nicht mehr so oft über die Weide wie früher. Seine Augen hatten einen anderen Ausdruck bekommen, aber Mika konnte ihn nicht deuten.
»Was soll ich denn tun?« Es klang heftiger als beabsichtigt. »Ich muss den ganzen Tag diese blöden Leute ertragen mit ihren blöden Fragen und blöden …«, sie suchte nach Worten, »… Handys!«
Spielerisch zog Milan ihr die Mütze ins Gesicht, legte den Arm um sie und zog sie an sich.
»Hey«, sagte er leise. Mika lehnte sich an ihn und schob ihre Mütze wieder hoch. Bei der Bewegung entdeckte Milan die Zeichnung auf ihrer Hand. Überrascht hielt er ihren Arm fest.
»Was ist das?«, fragte er und strich mit zwei Fingern darüber.
Zuerst wollte Mika den Arm zurückziehen, denn plötzlich war ihr die Sache mit dem Traum peinlich. Schon seit Wochen verfolgte er sie. Aber dann streckte sie Milan doch die Hand entgegen. Vor ihm wollte sie keine Geheimnisse haben.
»Davon träume ich. Fast jede Nacht.« Sie sah Milan an. »Es ist ganz komisch, irgendwie als würde es mich rufen.« Als sie ihre eigenen Worte hörte, zog sie schnell die Hand weg. »Boah, wie bescheuert klingt das denn!«
Milan schüttelte belustigt den Kopf. »Du warst doch immer ganz gut darin, deinen Träumen zu vertrauen.« Er kletterte über den Zaun und stellte sich neben Ostwind. »Weißt du echt nicht, was das ist?«, fragte er und fuhr mit einer Hand über die Kruppe des Hengstes.
Mika runzelte die Stirn. Sie hatte immer wieder darüber nachgedacht. Die Form kam ihr fremd und gleichzeitig seltsam vertraut vor.
An einer aufgerauten Stelle im Fell hielt Milans Hand inne. Auffordernd sah er Mika an.
Die kniff die Augen zusammen. »Ja, das ist so ein komischer Fellwirbel. Hat er schon immer.«
Milan grinste. »Schon lustig. Wie kann man so viel über Pferde wissen und dann wieder so wenig?« Mit einem Finger fuhr er den gezackten Haarwirbel nach. »Das ist sein Brandzeichen. Es sagt dir, wo Ostwind herkommt.«
Mika legte den Führstrick über Ostwinds Hals und trat näher. Und plötzlich erkannte sie die Form: Es war ein gezackter Stern mit zwei wellenförmigen Linien darunter! Ihr stockte der Atem. Ostwind trug das Zeichen aus ihrem Traum.
»Und wo kommt er her?« Ihre Stimme klang rau. Schon lange hatte sie versucht, mehr über Ostwinds Vergangenheit herauszufinden. Auch ihre Oma wusste nicht viel über ihn, außer dass er von Halla, dem berühmten Springpferd, abstammte.
Milan zuckte die Schultern. »Da gibt’s Tausende Brandzeichen. Müsste man nachschlagen. Darüber gibt’s Bücher.«
Nachdenklich starrte Mika in die Ferne. »Hm.«
In diesem Moment klingelte ihr Handy. Ostwind stupste sie ungeduldig an, als sie es aus der Tasche zog. Und als Mika ranging, flitzte er mit einem Bocksprung davon. Hä? War das etwa ein schlechtes Zeichen? Offensichtlich.
»Mika! Wo bist du? Ich brauch dich hier!«, drang eine verzweifelte Stimme an ihr Ohr.
Sam! Er stand in der Reithalle, umringt von aufgebrachten Kunden.
»Lady ist einfach nur frech«, schimpfte ein Möchtegern-Cowboy mit Hut und Stiefeln.
»Haben Pferde eigentlich auch Pubertät?«, wollte eine Frau mit englischem Akzent wissen. »Die ist sooo zickig …«
»Der will mich nur ärgern«, behauptete ein Mädchen, deren Pferd ihr sein Hinterteil zudrehte.
»Troubadour macht nie, was ich will«, beschwerte sich ein Herr im feinen Reitdress.
»Kontrollverlust, totaler Kontrollverlust«, rief eine Kundin, die am Zügel ihres großen Braunen hing.
»Ungezogen … unverschämt … frech … bockig«: Die Stimmen dröhnten durcheinander.
Mika schloss die Augen, ließ das Handy fallen und hielt sich die Ohren zu.
Es war Abend geworden. Ein langer Tag mit nervigen Reitschülern war zu Ende. Mika trat ins Gutshaus, warf die Tür hinter sich zu und holte tief Luft. »Aaaahhhhhh!« So ein Schrei war echt befreiend.
Maria Kaltenbach, die es sich im Salon auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte, zuckte zusammen. Fast wäre ihr das Buch über Natural Horsemanship aus der Hand gefallen, in dem sie gerade schmökerte.
Mika stampfte hinein und ließ sich schwer auf einen Stuhl neben dem Sofa fallen. »’tschuldigung. Harter Tag.«
Besorgt sah Maria sie an. »Was ist denn los?«
Aus Mika sprudelte es förmlich heraus. »Diese Leute sind so schwerhörig! Sie sagen, die Pferde sind das Problem, aber in Wahrheit sind immer sie das Problem!« Wütend klatschte sie ihre Hände auf die Stuhllehne. Leute wie diese Frau Düsenberg-Oldermann wollten den Pferden gar nicht zuhören. Sie wollten jemanden, der ihnen zuhörte.
Ihre Großmutter seufzte. »Aber Mika, genau dafür sind wir doch da.«
Schweigend starrte Mika vor sich hin. Sie hatte sich so auf die Arbeit im neuen Therapiezentrum gefreut. Es war ja auch gut, dass viele Kunden kamen, aber die Leute waren fast nie bereit, bei sich selbst etwas zu ändern – stattdessen sollte das Pferd »funktionieren«. Wenn sie das schon hörte …
»Ich hab mir das anders vorgestellt«, sagte Mika schließlich leise.
Maria Kaltenbach zuckte leicht die Schultern. »Ja, es ist anders«, gab sie zu. »Auch für mich. Aber manchmal muss man sich verändern. Neue Dinge wagen.«