»Sozialarbeiterische Minimalethik: Steigere Alternativität!«
Peter Fuchs
Soziale Arbeit, als Einheit von Sozialarbeit und Sozialpädagogik, kann inzwischen als etablierte Profession und als aufstrebende Disziplin der Sozialwissenschaften gelten. Hinsichtlich der Profession lässt sich die Soziale Arbeit als systemische Praxis beschreiben und erklären sowie mit den vielfältigen Handlungsoptionen systemischer Methodik anreichern. In der Wissenschaft der Sozialen Arbeit sind Systemtheorie und Konstruktivismus als Paradigmen anerkannt.
Systemische und systemtheoretische Konzepte entsprechen den komplexen Aufgabenfeldern und Herausforderungen der Sozialen Arbeit in besonderer Weise. Sie erlauben es, einen Blick zu schulen und zu vertiefen, den die Soziale Arbeit seit jeher einzunehmen versucht: einzelne Menschen bei der Bewältigung ihrer alltäglichen Lebensführung nicht mit ihren Problemen zu verwechseln. Vielmehr geht es Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in ihrer Unterstützungsarbeit darum, die sozialen Verhältnisse, die systemischen Kontexte einzublenden, die die Verhaltensweisen von Menschen, ihre Eigenschaften und Probleme herausfordern, verfestigen und auch lösen können. Die klassische These, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, lässt sich mit der Systemtheorie nicht nur postulieren, sondern wissenschaftlich darstellen und methodisch so nutzen, dass überraschende Potenziale des Denkens und Handelns kreiert werden können.
Die Reihe Systemische Soziale Arbeit verfolgt das Ziel, die Potenziale und Grenzen der systemischen Sozialarbeitspraxis und Sozialarbeitstheorie auszuloten und weiterzuentwickeln. Dabei sollen das gesamte Spektrum der Sozialen Arbeit, ihre Vielschichtigkeit, ihre zahlreichen Arbeitsfelder und Rahmenbedingungen ausgeleuchtet und methodisch fundiert werden. Damit bieten die Bücher der Reihe praktizierenden Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen sowie Studierenden und Lehrenden Perspektiven an, die den Möglichkeitsraum des Denkens und Handelns nachhaltig erweitern.
Heiko Kleve
Herausgeber der Reihe Systemische Soziale Arbeit
Zweite Auflage, 2021
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
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Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
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Themenreihe »Systemische Soziale Arbeit«
hrsg. v. Heiko Kleve
Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlagfoto: pixabay
Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Zweite Auflage, 2021
ISBN 978-3-8497-0175-8 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8070-8 (ePUB)
© 2017, 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
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Vorwort
Einleitung
Zum Aufbau des Buches
Teil I: Systemisches Denken in der Schulsozialarbeit
1Ausgangslage und Leitgedanken
1.1Schule
1.2Soziale Arbeit
1.3Schulsozialarbeit
Was Schulsozialarbeit ist und was sie kann
Fragen stellen, um Dinge zu klären
Wozu eine »neue« Sichtweise einnehmen?
Der etwas andere Blick auf Schule
2Nun das Ganze auf Systemisch
2.1Wie funktioniert ein System? Weiß das nicht jeder?
Handlungsperspektive 1 für die Schulsozialarbeit: Haltung des Wissens
2.2Was heißt denn hier »Autopoiese«?
Handlungsperspektive 2 für die Schulsozialarbeit: Respektvolle Neutralität
2.3System/Umwelt – gängige Begriffe?
Handlungsperspektive 3 für die Schulsozialarbeit: Kooperatives Nichtwissen
2.4Komplexität – und auch noch Differenz?
Handlungsperspektive 4 für die Schulsozialarbeit: Ressourcen- und Lösungsorientierung
2.5Beobachtung, Kommunikation – und auch noch Sinn?
Handlungsperspektive 5 für die Schulsozialarbeit: Kommunikation und Sprache
Zusammenfassung
3Bedeutung für die Schulsozialarbeit
3.1Den Platz im »System Schule« finden
3.2»Was tue ich, wenn …?«
3.3Eine systemische Haltung entwickeln
3.4Konfliktfelder als Einladung betrachten
3.5Umliegende Kontexte erfassen oder (er)finden
3.6Kooperatives Arbeiten beschreiben und reflektieren
3.7Vielfalt reduzieren, um Klarheit zu gewinnen
3.8Widersprüche erkennen
3.9Hürden als Chancen nutzen
Teil II: Systemisch handeln in der Schulsozialarbeit
4Einstieg in die systemische Beratung
4.1Was wir bisher geschafft haben
4.2Aller Anfang ist nicht schwer (Linda wird geärgert)
4.3Wenn andere etwas tun sollen (Stress in Klasse 7)
4.4Freiwilligkeit oder Zwangskontext (Jan und Mark)
4.5Wie zirkulär darf es sein? – Systemische Fragen und Techniken
Zirkuläre Fragen
Hypothetische Fragen
Skalierungsfragen
Lösungsorientierte Fragen
Sonstige Fragen
5Systemische Konzepte und Interventionen
5.1Grundlagen systemischer Beratung an Modellen
5.2Die Beispiele Max und Otto
Beispiel Max
Beispiel Otto
5.3Ressourcen (dynamisches Modell)
Der Blick auf die Beispiele nach dem dynamischen Ansatz
5.4Kommunikation (humanistisches Modell)
Der Blick auf die Beispiele nach dem humanistischen Ansatz
5.5Weitere Entwicklung
5.6Grenzen (strukturelles Modell)
Der Blick auf die Beispiele nach dem strukturellen Ansatz
5.7Hypothese, Zirkularität, Neutralität (strategisches Modell)
Der Blick auf die Beispiele nach dem strategischen Ansatz
5.8Weitere Entwicklung (konstruktivistische Ansätze)
5.9Kooperation (lösungsfokussiertes Modell)
Der Blick auf die Beispiele nach dem lösungsfokussierten Ansatz
5.10Erzählen, fantasieren, externalisieren (narratives Modell)
Der Blick auf die Beispiele nach dem narrativen Ansatz
5.11Fazit
Teil III: Beispiele aus der Praxis
6Der Schulsozialarbeiter als systemischer Berater
6.1Ein ganz normaler Tag?
Antworten von Schulsozialarbeitern und Schulsozialarbeiterinnen
6.2Systemische Beratung für Eltern – Leistungsproblem in der Grundschule (Schulsozialarbeiterin Edith K., 49 Jahre, berichtet)
6.3Systemische Familienberatung – Aggressives Verhalten eines Zwölfjährigen? (Schulsozialarbeiterin Helene H., 45 Jahre, berichtet)
6.4Systemische Einzel- und Familienberatung – Jugendliche nach der Trennung (nochmals: Schulsozialarbeiterin Helene H., 45 Jahre, berichtet)
Teil IV: Wirksamkeit und Fortschritt
7Systemische Evaluation
8Resümee
9Ausbildung für eine systemische Schulsozialarbeit
Literatur
Über die Autorin
Schulsozialarbeit findet nicht im luftleeren Raum statt. Ganz im Gegenteil, kaum eine andere Disziplin der Sozialen Arbeit ist in ein derart komplexes organisatorisches, institutionelles und systemisches Umfeld eingebunden. In diesem Sinne ist Schulsozialarbeit zu einem nicht unerheblichen Teil vor allem Schnittstellenarbeit zwischen Schülern und ihren Familien, Schulen und ihren komplexen staatlichen und juristischen Arrangements, Trägerorganisationen mit spezifischen Interessen und Jugendämtern. Schulsozialarbeiter vor Ort werden dadurch mit unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Interessen, Motivationslagen und professionellen Aufträgen konfrontiert, deren Bearbeitung nicht nur fachwissenschaftliches Arbeiten, sondern in zunehmendem Maße auch systemische Basiskompetenzen voraussetzt. Schulsozialarbeit, verstanden als Arbeit mit komplexen Systemen und Netzwerken, befindet sich in einem andauernden Spannungsfeld von Unterschiedlichkeiten, die es zu differenzieren gilt. Das setzt zwingend eine systemische Haltung voraus, die durch Wertschätzung, Allparteilichkeit und ein vertieftes Verständnis der Motivationslagen der unterschiedlichen am »System Schule« beteiligten Akteure gekennzeichnet ist.
Diese Zusammenhänge erfordern von der Profession, aber auch von den Professionellen der Schulsozialarbeit ein erhebliches Maß an Kreativität, einen hohen Toleranzbereich sowie eine maximale Duldungskompetenz – insbesondere dann, wenn gutgemeinte Interventionen an Systemgrenzen umliegender Systeme zu scheitern drohen. Schulsozialarbeit ist in diesem Sinne einerseits eine unmögliche Profession, andererseits aber auch eine Ermöglichungsprofession, solange sie die Perspektive der netzwerkorientierten, auf Kooperation zielenden Arbeit nicht außer Acht lässt.
Im neoliberal geprägten wohlfahrtsstaatlichen Arrangement der gegenwärtigen Zeit wird Schulsozialarbeit vor allem dann als sinnstiftende Profession erlebt, wenn aufgrund zunehmender Komplexität der Problemlagen an Schulen bei gleichzeitig ökonomischer Mangelausstattung die eher pädagogisch-didaktisch ausgerichtete Expertise der Lehrkräfte an ihre Grenzen zu kommen droht. Alle am »System Schule« Beteiligten stehen unter – auch ökonomisch bedingtem – Handlungs- und Vollzugsdruck. Dazu tragen Kinder mit z. T. extremen Verhaltens- und Lernschwierigkeiten bei, Eltern in sozioökonomisch prekären Lebenssituationen, eine Marginalisierung durch Ausgrenzung wie auch rechtspopulistisches und rechtsextremes Gedankengut. Hinzu kommen in der Folge der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention genormte inklusive Bestrebungen: »Systemsprenger« sollen nun im gemeinsamen Unterricht integrativ beschult werden, die Zahl der Förderschulen sinkt. Mittelknappheit macht auch vor dem Handlungsfeld Schule nicht Halt und verschärft die Situation noch. Insofern stellt das Arbeitsfeld Schule an Sozialarbeiter hohe Herausforderungen:
•Sie sollen sich eine möglichst unparteiliche Haltung bewahren – was durch das doppelte Mandat Sozialer Arbeit erschwert wird.
•Sie brauchen Netzwerkkompetenz – was durch eine überkomplexe Diffusion von Interessen und Verantwortlichkeiten erschwert wird.
•Sie sollen eine systemische Haltung einnehmen – was durch den individualpädagogischen (Lehrer-)Blick auf den einzelnen Schüler erschwert wird.
Die eigentliche systemische Kunst besteht darin, nicht den kritischen Blick zu verlieren, sich nicht einer der involvierten Institutionen anzudienen und zugleich einen Kontext zu schaffen, in dem Lernen gelingen kann. In diesem Sinne ist auch Lernen ein systemisches Phänomen: Lernen von Schülern, Lernen von Lehrern, Lernen von Eltern und Sorgeberechtigten und allen weiteren komplementären Institutionen. Schulsozialarbeit ist dabei eben vor allem eines: eine unmögliche Ermöglichungsprofession. Sie ist nicht vorrangig dann gelungen, wenn sich der einzelne Schüler bildungs- und systemkonform verhält, sondern wenn Veränderungen auf allen Systemebenen unvermeidlich sind.
Annette Just gelingt es mit diesem Band, Leuchttürme zu errichten, Orientierungspunkte für gegenseitige Lernprozesse zu setzen und mit den Impulsen der Schulsozialarbeit koevolutionäre Lernprozesse anzustoßen. Nur so kann erfolgreiche Schulsozialarbeit gelingen.
Prof. Dr. Ingo Zimmermann
Olsberg, Februar 2017
Systemisches Denken in der Schulsozialarbeit ist für alle Beteiligten in der Schule nutzbringend und zugleich ein innovativer Ansatz für Schule selbst, wenn sie die Beziehungs- und Kommunikationsebenen konstruktiv beleben und fördern sowie Sinn herleiten möchte.
In der sozialen Arbeit findet die Zeit nach dem Studium und der fortgeschrittenen Praxis statt in unterschiedlichen Dienstleistungsbereichen wie Pflege- und Erziehungsdienst, Senioren- und Behindertenarbeit (betrifft Menschen mit Beeinträchtigung), in Altenpflege, Erwachsenenbildung, Verwaltung, in psychiatrischen Einrichtungen ebenso wie im Gesundheitswesen, in sozialen Diensten der Justiz und der Kommunen und – in der jüngeren Zeit – in der Schule als Schulsozialarbeit. Lüssi (2008, S. 75) sagt: »Der Sozialarbeiter kann optimale Sozialarbeit nur leisten, wenn er systemisch denkt und handelt.« Wenn von »Beratung« gesprochen wird, wovon in der sozialen Arbeit zum großen Teil auszugehen ist, ist auch die Frage danach zu stellen, was genau darunter verstanden wird. Im Kontext der Schulsozialarbeit findet sich der Leitgedanke »Beratung für Schüler, Lehrer und Eltern«. Nach welchem Konzept geht die Schulsozialarbeiterin vor, wenn sie »Klienten« in der Schule berät? Woran ist Qualität wie zu erkennen, und wie bindet sie theoretische Grundlagen, Kompetenzen und Kontextwissen in ihr spezifisches Arbeitsfeld ein? Wonach richtet sich die Reflexion ihrer Arbeit, und woran erkennt sie, ob sie gute Arbeit leistet? Und schließlich darf die Frage gestellt werden, nach welchen Gesichtspunkten die Schulsozialarbeit als »Kooperation Jugendhilfe und Schule« nicht nur unterschiedliche Aufgaben- und Konfliktfelder bedient, sondern ihre Position im »System Schule« benennt und spezifiziert. Wie ist ihr Auftrag formuliert, und wer sind ihre Auftraggeber?
Das Anliegen des Buches besteht darin, auf Fragen nach Theorien, Konzepten und Qualität, nach Auftrag, Klarheit und Beziehung, nach Kommunikation, Kooperation und Lösungsfindung näher einzugehen und sie an der systemischen Beratung in der schulsozialpädagogischen Praxis zu erklären.
Das Beispiel einer 15-jährigen Schülerin vermittelt insofern einen ersten Eindruck, als Lisa mit 13 Jahren die Schule verlässt, zwei Jahre durch Orte und Städte tingelt und regelmäßig mit ihrem Hund in die kommunale Einrichtung eines Mädchenkrisenhauses geht. Schlimmer hätte es nicht werden können, sagt sie, als Erinnerungen an Familie und Schulzeit das zum Teil selbstgefährdende Verhalten des Mädchens bestimmen und unerträgliche Ereignisse Anlass dafür waren, aus alldem auszusteigen. Wie andere Mädchen in der Einrichtung gehört auch Lisa zu den Schulverweigerinnen. Die Aufgabe der sozialpädagogischen Fachkräfte besteht darin, die Mädchen zu begleiten und zu beraten. Die Arbeit soll man niedrigschwellig ansetzen, um Vertrauen zu gewinnen. In der Beratung soll Lisa darin bestärkt werden, sich wegen ihres Drogenkonsums für eine unterstützende Maßnahme zu entscheiden. Sie soll dabei unterstützt werden, wieder auf einen gesunden Weg zu gelangen. Kontakte gibt es genug, nur Lisa soll auch »wollen«. Nach einem Gespräch mit einer Freundin findet sie von sich aus nach zwei Jahren den Weg zurück zur Schule. Nach anfänglicher Eingewöhnung sucht Lisa die Schulsozialarbeiterin auf, denn nicht immer schafft sie es, regelmäßig zur Schule zu gehen.
Will man einem »Fall« wie Lisa angemessen begegnen, ist Professionalität eine unbedingte Voraussetzung. Was bedeutet das?
Schulsozialarbeit ist heute eine politisch gewollte Erweiterung der Jugendhilfe. Schülerinnen wie Lisa sollen frühzeitig die Möglichkeit haben, sich beraten und begleiten zu lassen. In den Sozial- und Erziehungswissenschaften gewinnt die systemische Beratung zunehmend an Bedeutung, und systemische Beratungskonzepte werden in der Sozialen Arbeit vielerorts praktiziert. Es sind aber auch Unterscheidungen zu treffen.
Der Begriff »systemisch« wird häufig unreflektiert angewandt, und die Frage, was genau damit gemeint ist, wird oft mit der Erklärung, dass man ganzheitlich und in Systemen denke, für ausreichend beantwortet gehalten. Jedoch geht es eher um die Frage: »Wie gucke ich, und wie handele ich?«
Was ist denn eigentlich systemisch, und was ist ein Systemiker? Die Antwort auf die Frage an eine Schulsozialarbeiterin, wie sie ihren Beratungsansatz bezeichnen würde, lautete: »Ich bin Systemikerin.« Damit schien alles gesagt zu sein. Die Anschlussfrage, was genau sie damit meine, lautete: »Ich arbeite mit Systemen.« Wie man sich das vorstellen könne? »Ich berate, mache Mädchentrainings und unterstütze Theatergruppen mit der Klassenlehrerin.«
Solche oder ähnliche Aussagen lassen das Verständnis des Begriffs verschwimmen. Sie führen dazu, als systemisch alles zu bezeichnen, was individuell als Beratung oder Begleitung verstanden wird. Schnell lassen sie den Verdacht aufkommen, dass die Schulsozialarbeiterin selbst keine genauen Vorstellungen davon hat, was sie tut, wenn sie berät. Allein deshalb ist es wichtig, wesentliche theoretische Aspekte anzusprechen, die ein Verstehen in der Praxis erleichtern.
Es soll gezeigt werden, dass eine systemische Schulsozialarbeit mit einer wissenschaftlichen Theorie, einer klaren Haltung und einem fundierten Denk- und Beratungsansatz zu einem spezifischen Profil für die Schulsozialarbeit beiträgt. Für die Schulsozialarbeit soll der Anspruch erhoben werden, ihr Handeln theoretisch, konzeptionell und methodisch zu untermauern. Dies gilt sowohl in der Beratungsarbeit für Einzelne, Familien und Gruppen als auch für unterschiedliche Trainings wie Förderung von sozialem Lernen, Krisenintervention oder Unterstützung einer konstruktiven Streit- und Kommunikationskultur. Jedoch sollte die systemische Schulsozialarbeit sich nicht allein auf ein methodisches Können beschränken, sondern an der Entwicklung der Profession teilnehmen und bei der Formulierung ihrer Ziele mitwirken. Das mag als Herausforderung gelten, und gerade dazu möchte das Buch einen Beitrag leisten.
Zunächst geht es in Teil I um einen jeweils eigenständigen wie auch gemeinsamen Kontext von Schule und Schulsozialarbeit, in dem beide Systeme mitgedacht werden. Zusammenhänge erklären sich, wenn wir sie metaperspektivisch betrachten. Es geht darum, einen Überblick über die vorhandenen Strukturen und einen Eindruck von systemischem Denken in komplexen Systemen zu gewinnen. Wozu soll es eigentlich systemisch sein? … Neben Methoden und Konzepten gehört die systemische Grundhaltung zur elementaren Ausrüstung gelingender Beratung. Sie wird mit systemtheoretischen Ansätzen untermauert, die für den praktischen Bereich relevant erscheinen. Es ist jedoch nicht von einem »fertigen Produkt« in Form einer Anleitung auszugehen, vielmehr wird es Anregungen für die Praxis und viele Fallbeispiele geben. Ebenso werden gängige systemische Begriffe erklärt und Handlungsperspektiven für ein Fundament systemischer Schulsozialarbeit zusammengeführt. Die eigene Haltung und Orientierung wird zur wichtigen Ressource. Damit gestaltet sich der Übergang zu Teil II, der sich mit der Eingebundenheit des Schulsozialarbeiters in Systemen beschäftigt. Der metaperspektivische Blick auf sich selbst ermöglicht ein anderes Sehen, führt zu Entwicklung in den eigenen Reihen. Die systemische Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, taucht immer wieder auf, verfestigt sich und macht auch vor Interventionen nicht halt. Es wird um ausgewählte Beratungs- und Fragetechniken gehen, der Einsatz von Methoden wird an Fallbeispielen dargestellt. Sie führen zum methodischen Handeln, das an unterschiedlichen systemischen Modellen erprobt wird; auch auf den Ursprung dieser Modelle wird kurz eingegangen. Idealerweise wird der schulsozialpädagogische Kontext mit Geschichten von Max und Otto verbunden. Schließlich werden in Teil III die gewonnenen Erkenntnisse zusammengeführt und die Umsetzung einer systemisch-lösungsorientierten Beratung im schulsozialpädagogischen Alltag beschrieben. An Beispielen, die von Konfliktsituationen in der Schule, in Familien, unter Peers oder in Klassen bis hin zu gesundheitsgefährdendem Verhalten Einzelner reichen, werden systemische Methoden dargestellt und erläutert. Zuletzt geht es in Teil IV um beratende Funktionen in Form von Prozessverläufen und darum, Schulsozialarbeit intern wie extern an Ergebnissen zu präsentieren. Dazu werden Auswertungen bezüglich Beratungssituationen in quantitativer und qualitativer Form kurz erläutert.
Somit ist das Buch eine Einladung für Schulsozialarbeiter, die auf der Suche nach einer theoriegestützten Beratungsmethode sind, wie auch allgemein eine Einladung für alle Berater und Therapeuten, die mit Kindern, Jugendlichen und Familien arbeiten.
Aufgrund häufiger Nachfragen noch ein Wort zum Unterschied zwischen systemischer Beratung und Therapie: In der gängigen Literatur wird der Übergang als fließend beschrieben und jeweils die systemische Haltung in den Vordergrund gestellt. Beiden geht es um Gemeinsamkeiten im Rahmen von Veränderung, Erschließung neuer Perspektiven und darum, Lösungen mit dem Systemerleben zu verknüpfen. Beide arbeiten nach dem systemischen Ansatz und benutzen dieselben Methoden. Sie werden austauschbar verwandt, solange sie sich auf eine grundlegende Methode beziehen. Insofern geht es auch nicht um eine Therapie in der Schulsozialarbeit, sondern um das methodische Vorgehen in der Beratung.1
1Wenn in diesem Buch von »wir« die Rede ist, soll das Gemeinsame hervorgehoben werden, das Schulsozialarbeiter in ihrer Arbeit verbindet, denn viele unterschiedliche Erfahrungen aus der Praxis konnten hier dankenswerterweise einfließen. Wenn die maskuline Form überwiegend benutzt wird, hat dies nur mit der technischen Vereinfachung der Schreibweise zu tun.
Eine Ausgangslage zu beschreiben bringt die Frage mit sich, wovon denn ausgegangen werden soll und welche Grundkenntnisse vorhanden sein sollten, wenn es wie hier darum geht, Schulsozialarbeit als eine am Anfang ihrer Entwicklung stehende Profession darzustellen. Das ist gar nicht so einfach. Aber gerade das macht es andererseits auch spannend: spannend für eine systemische Schulsozialarbeit, einen bisher weniger bedachten Gedanken in ihren Entwicklungsprozess einzubringen.
Sprechen wir zunächst vom zusammengesetzten Begriff »systemische Schulsozialarbeit«. Dazu verweilen wir kurz bei dem Wortpaar »Schule« und »Sozialarbeit«; es bezeichnet zwei eigenständige staatliche Systeme, die an einer Schnittstelle gemeinsam handeln sollen. Für unterschiedliche Denkstrukturen und Hierarchien, Berufsgruppen und Ansätze, die in Wechselwirkungen zueinander stehen, gelten für gelingende Kooperationen elementare Grundvoraussetzungen: Beziehung und Kommunikation. Auch wenn diese Begriffe allgemein bekannt sind, gehören sie auf besondere Weise in das systemische Vokabular.
Schule ist geprägt durch politische Einflussnahmen und pädagogische Entwicklungen. Nach Art. 7 des Grundgesetzes steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates und des föderalistischen Bundesstaatsprinzips. Begriffe wie »Unterrichts-« oder »Bildungsanstalt«, »Schulpflicht« oder »Schulgesetz« zeugen von hierarchischen Strukturen. Schule ist eine bürokratische Organisation. Schulentwicklung soll im Rahmen personeller, organisatorischer oder inhaltlicher Veränderungen auch hinsichtlich gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen begleitet werden. Schule hat einen Bildungsund Erziehungsauftrag zu erfüllen. Dies ist eine komplexe Aufgabe für ein System. Schule erfüllt vorrangig nicht den Erziehungs-, sondern den Bildungsauftrag, dem sie per Gesetz in Form von Lehr-, Lerninhalten und -plänen näher steht und der durch Überprüfungen unterschiedlicher Art stärker verankert ist.
In Schulen selbst geht es ebenfalls um gesetzliche Vorgaben, Umsetzungen, Ursache-Wirkungs-Prinzipien, um Bewertungen, Belohnungen, Sanktionen – jeder kennt das. Wollte man nun ein Andersdenken in die gesetzten Regularien hineinbringen, würde das eine gewisse Unruhe erzeugen, und manches würde zunächst fremd erscheinen. Betrachtet man aber die systemische Sichtweise als das, was erst mal ungewöhnlich sein darf, kann mit Anderson (1994, S. 35) gesagt werden:
»[…] wenn Menschen dem Gewohnten ausgesetzt sind, bleiben sie meist dieselben. Wenn sie aber etwas Ungewöhnlichem begegnen, könnte dieses Ungewöhnliche eine Veränderung auslösen. Wenn nun das Neue, auf das sie treffen, sehr (zu) ungewöhnlich ist, verschließen sie sich, um davon nicht inspiriert zu werden.«
Ungewöhnliches ruft neue Möglichkeiten hervor, wenn man versucht, etwas zu wagen, was bisher nicht üblich war. Neben gewohnten Beschreibungen entstehen neue Perspektiven, die zu überraschenden Erkenntnissen führen (Selvini Palazzoli et al. 2011).
Schule kann sich durchaus verändern, das zeigt ihre Geschichte, insofern ist ihr Veränderungspotenzial auch Stärke. Diese Stärke könnte Schule dazu veranlassen, ungewöhnlichere Wege als bisher zu gehen. Aber warum sollte sie das tun?
Zu Schule aus anderer Sicht liegen ausführliche Lehr- und Praxisbücher vor (Reich 2005; Voß 2002; Hubrig u. Herrmann 2005; Reich 2012; Holtz 2008). Zum Beispiel spricht Holtz von einer systemischen Pädagogik, durch die Lehrer eine neue Sicht und neue Lösungsmöglichkeiten wahrnehmen können, die entlasten. Er stellt den Aspekt »intensive Beziehungsgestaltung und sozialemotionale Unterstützung« in den Vordergrund von Lernen und Lehren (ebd., S. 12). Nun müsste ein solches Umdenken von Schule selbst ausgehen. Schaut man sich die hierarchischen Strukturen von Schule an, ist sie eher einem Reglementierungsgeschehen ausgesetzt, das die eigentlichen pädagogischen Energien und Fähigkeiten oftmals mehr lähmt als beflügelt. Geht man jedoch von der Selbstorganisation von Systemen aus, kann ein Weg zu mehr Beziehung und Kommunikation durchaus von der Basis ausgehen, also von den Menschen, die in Systemen leben.
Soziale Arbeit ist in der staatlichen Ordnung bundesweit aufgestellt. Durch Sozialrecht, politische Eingebundenheit, Pluralismus von Jugendhilfeträgern und Verwaltungsstrukturen geprägt, ist sie im Sozialgesetzbuch (SGB) in zwölf Büchern verankert. Das Wesentliche in der Sozialen Arbeit, wie sie gelehrt und praktiziert wird, ist die »Rechtsanwendungskompetenz der sozialpädagogischen Fachkraft« (Falterbaum 2012, S. 11; Hervorh. im Orig.). Zunächst ist Soziale Arbeit als ein Überbegriff für soziale Berufe zu verstehen. Sie umfasst ein großes Spektrum von Tätigkeiten in unterschiedlichen Berufsfeldern wie auch in der Freiwilligenarbeit. Die Handlungsformen der Beratung in der Sozialen Arbeit verstehen sich als gesellschaftsorientierte Aufgaben in Form von Unterstützung subjektiver Bewältigungsansprüche im Rahmen sozialer Gerechtigkeit (Thiersch 2007).
In vielen Bereichen der Sozialen Arbeit wird der systemische Beratungsansatz praktiziert (Galuske 2011), und auch von Schlippe und Schweitzer (2012) weisen auf die große Verbreitung der systemischen Praxis in der Sozialen Arbeit hin. Staub-Bernasconi (2007) spricht beispielsweise von der Sozialen Arbeit als einer Handlungsdisziplin, die auf systemtheoretischen Grundlagen basiert und metaperspektivisch den Blick auf die Mikro-, Meso- und Makroebene (Familie, Nachbarschaft, Kultur, Gemeinde) richtet. In systemischer Hinsicht geht es ihr um die Erklärung von Entstehung, Erhaltung und Veränderung in sozialen Systemen.
In dieser Zusammensetzung der Wortteile wird die engste Form der Kooperation von Jugendhilfe und Schule verstanden. Das bedeutet, dass sozialpädagogische Fachkräfte kontinuierlich am Ort »Schule« tätig sind und mit Lehrkräften zusammenarbeiten. Sozialarbeiter, die in der Schule arbeiten, werden als Schulsozialarbeiter bezeichnet. Die Besonderheit, die mit der Schulsozialarbeit einhergeht, ist ihr spezieller Arbeitsbereich. Geht man im Allgemeinen davon aus, dass Sozialarbeiter in vielen unterschiedlichen Einrichtungen arbeiten, wird beispielsweise nicht von Gesundheitssozialarbeitern oder Justizsozialarbeitern gesprochen. Das bedeutet, dass das spezielle Tätigkeitsfeld der Schulsozialarbeiter inhaltlich hervorzuheben und die Kooperation mit Schulen klar zu beschreiben ist. Bis heute ist die Schulsozialarbeit jedoch auf der Suche nach einem klaren inhaltlichen Verständnis, einer eigenständigen Funktion und einem eindeutigen Profil. Im Gegensatz dazu hat die Bildungseinrichtung »Schule« einen klaren Status. In beiden Systemen gelten unterschiedliche Wahrnehmungen und Beziehungsdynamiken, die das jeweilige Arbeitsfeld prägen. Das bedeutet für die Schulsozialarbeit, sich dieses Unterschiedes zu bedienen. Das ist ein hoher Anspruch. Es geht also darum, sich auf der Handlungsebene in zwei unterschiedlichen Lernfeldern und Theorien wie zu Hause zu fühlen und Widersprüche und Andersartigkeiten als eine Art Konstruktion zu sehen, die neugierig macht und mit Leben zu füllen ist. Für dieses Zusammenspiel gibt es keine allgemeingültigen Regeln oder gar Vorschriften. Insofern ist der Schulsozialarbeiter zwar anders als der Lehrer, aber eben auch ein Einzelkämpfer im System »Schule«. Ein solcher Status benötigt eine sichere Grundlage.
Betrachtet man allein das Haus der Jugendhilfe, führen verschiedene Formen von Kooperationen mit Schulen aufgrund der Trägervielfalt, der unterschiedlichen Auftragslagen, der Auftraggeber, der fehlenden Dienst- und Fachaufsichten oder der Einbindung des Bildungs- und Teilhabepaketes dazu, eher ein unübersichtliches als ein klares Bild der Schulsozialarbeit zu generieren. Ein Teilbereich der Sozialen Arbeit ist die Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII). Je nach kommunaler Struktur und Organisation ist die Schulsozialarbeit diesem Ressort zuzuordnen. Eine eindeutige gesetzliche Grundlage besteht nicht, wohl aber ein intensives Bemühen darum. Zu den neuesten Entwicklungen der Schulsozialarbeit als Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule wie auch zu kontroversen fachlichen und politischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte auf der Suche nach Eindeutigkeit liegt eine ausführliche Fachliteratur vor (z. B. Speck 2006; Spies u. Pötter 2011; Just 2016a, b, c). Folgt man den Kinder- und Jugendberichten der Bundesrepublik Deutschland von 1961 bis 2013 (Just 2016b), etabliert die Schulsozialarbeit sich zwar zunehmend als ein neues Arbeitsfeld der Jugendhilfe, jedoch benötigt sie nach Ansicht des 14. Kinder- und Jugendberichtes (Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend 2013) ein fachliches Profil mit einem eigenständigen Angebot der individuellen Hilfe mit dem Schwerpunkt »Beratung«. Dazu soll dieses Buch beitragen.
Schulsozialarbeit richtet sich an der Sozialen Arbeit aus. Hier sind ihre Handlungsoptionen, und hier ist sie zu Hause. Nun liegt dem bereits eine kleine Erschwernis zugrunde. Geht man von Methoden der Sozialen Arbeit aus, werden in erster Linie soziale Einzelfallhilfe, Gruppen- und Gemeinwesenarbeit, im erweiterten Fokus multiperspektivische Fallarbeit, Case-Management, auch klientenzentrierte Gesprächsführung, systemische Beratung, sozialpädagogische Begleitung, Familientherapie, Prävention, Jugendhilfeplanung oder soziale Netzwerkarbeit als Methoden der Sozialen Arbeit genannt. Geht man von den Zielgruppen der Sozialen Arbeit aus, wird sie meist mit Menschen beschrieben, die auf Unterstützung angewiesen sind und in der Fachliteratur nicht selten als »hilfebedürftig« gelten. Die gesellschaftliche Funktion der Sozialen Arbeit ist der sozialen Gerechtigkeit verbunden. In ihren Einrichtungen und Diensten zeigt sich jedoch eine enge Verkopplung von Hilfen, Sanktionen und Kontrollen in einer Wechselwirkung der Gewährung oder Ablehnung von Hilfen und finanziellen Zuwendungen.
Schulsozialarbeit, ebenso (oder auch) bezeichnet als Soziale Arbeit in Schulen, ist anders aufgestellt. Ihre Zielgruppe ist begrenzt und nicht allgemein als »hilfebedürftig« einzuordnen. In der Schule geht es um schulische Beteiligte. Gemeint sind alle Schüler, Lehrer und Eltern in allen Schulformen mit individuellen Belangen aller Art aufgrund von (lang- oder kurzfristigen) Belastungs- und Problemsituationen. Die Kernaufgabe der Schulsozialarbeit besteht in der Beratung für Schüler, Lehrer und Eltern. Eine Beratungsmethode in der Sozialen Arbeit ist jedoch nicht vorhanden, sodass Beratung mithilfe von Methoden aus Teilen unterschiedlicher Therapieschulen pragmatisch angewandt wird (Weinberger 1994; Nußbeck 2006).
Schauen wir uns zum Einstieg in die Schulsozialarbeit zwei Beispiele an.
Der Schulsozialarbeiter Peter S. (38), früher im Altenpflegebereich tätig, arbeitet seit drei Jahren mit einer halben Stelle in der Schule. Er weiß, dass Lehrer es mitunter nicht leicht haben. Das ist nicht nur in der Literatur so beschrieben, er erlebt es auch. Aber was sollte er dagegen tun? Beratung ist anstrengend, wie er sagt, wenn zum Beispiel Familien eine jahrelange Streitkultur pflegen, die bei ihren Kindern in der Schule dazu führt, dass sie nicht miteinander sprechen »dürfen« und ein Konfliktpotenzial entsteht, das Lernen nicht mehr möglich macht. Aber was soll er tun, wenn Lehrer an ihn herantreten und untragbare Situationen in ihrer Klasse schildern? Übt er nicht selbst einen Spagat zwischen zwei Systemen aus, die unterschiedlicher nicht sein könnten? Ist er nicht selbst in einem System verankert, das zu Unklarheit neigt und eine gewisse Intransparenz, ja bisweilen sogar Willkür zeigt? Würde man ihn fragen, was er aus welchen Gründen wann wie wozu in der Schule genau tut, würde ihm die Antwort schwerfallen, sagt er. Wie soll er seine Rolle eindeutig vertreten, wenn er selbst seinen Auftrag nicht konkret bezeichnen kann und ihm die Möglichkeit, sich an eine professionelle Dienst- und Fachaufsicht zu wenden, nicht gegeben ist? Sein Arbeitgeber sei der Schulleiter, und nicht selten übernehme er als Schulsozialarbeiter die Hausaufgaben- oder Über-Mittag-Betreuung. Er wurschtele so vor sich hin, aus dem Bauch heraus, sagt er.
Maria K. (25) hat vor drei Monaten ihr Studium der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule beendet und eine Stelle (30 Stunden) als Schulsozialarbeiterin angetreten. Bis heute besteht ihre Hauptaufgabe darin, sich bei den Schülerinnen und Schülern vorzustellen und insbesondere bezugs- und leistungsberechtigte Eltern über das »Bildungs- und Teilhabepaket« (BuT) zu informieren. Der Schulsozialarbeitsauftrag ihres Arbeitgebers (das ist der Jugendhilfeträger für Stadtteilentwicklung) heißt »Inklusion in der Schule«. Der Inklusionsauftrag sei umfangreich, sagt Maria K. Ihre Aufgabe sei die Beratung für Schüler in schwierigen Situationen mit dem Zweck, sie in ihrer individuellen, sozialen und schulischen Entwicklung zu fördern. Ebenso beinhalte ihr Auftrag die Beratung für Eltern und Lehrer im Rahmen von Erziehungsfragen und einer guten Zusammenarbeit, und schließlich koordiniere sie die Verfahrensabwicklung nach dem BuT. Ihr Auftrag sei so formuliert, dass sie selbstständig arbeiten und ein »eigenes« Konzept erstellen könne. Die Frage nach dem fachlichen Konzepthintergrund beantwortet Maria mit »Beratung für Schüler, Lehrer und Eltern«. Nutzbringend für sie seien regelmäßige Treffen mit Schulsozialarbeitern aus anderen Schulen zum Austausch auf kommunaler Ebene (Schulamt). Vom Lehrerkollegium werde sie sehr geschätzt, und häufig werde bei ihr wegen Konflikten unter Schülern angefragt. Als ebenso förderlich erlebe sie die Zusammenarbeit mit den Inklusionsbeauftragten seitens der Kommune, die für bestimmte Schüler einige Stunden vor Ort tätig seien, sowie mit den Sonderpädagogen, die durch eine individuelle Förderung den Lernerfolg einzelner Schüler unterstützen sollen. Insofern sei auch Netzwerkarbeit gegeben, sagt Maria.
So wie Maria K. und Peter S. arbeiten viele Schulsozialarbeiter. Unterschiedliche Träger der Jugendhilfe, Kommunen und Länder bieten (unterschiedliche) Schulsozialarbeit an. Meist bekleiden Schulleiter die Position der Dienst- und Fachaufsicht, und oftmals haben die Schulen keinen Einfluss darauf, ob, wann und über welchen Zeitraum eine schulsozialpädagogische Stelle eingerichtet wird. Als Folge finden zwischen Schulsozialarbeit (Jugendhilfe[träger]) und Schule (Schulleitung) regelmäßige Kooperationsgespräche über Verlauf, Entwicklung und Zielerreichung für beide Seiten eher weniger statt.
Auch dort, wo Schulsozialarbeiter unter sich auf gleicher Augenhöhe kooperieren könnten, zeigt sich in der Praxis ein nicht gerade zuversichtliches Stimmungsbild. Schulsozialarbeiter leiden unter der Unsicherheit durch befristete Stellen oder durch die Verteilung von Stunden an mehreren Schulen und beschreiben ihre Tätigkeit als eine Koppelung schulsozialpädagogischer Aufgaben mit der Verwaltungsarbeit des Bildungs- und Teilhabepaketes (BuT). Nicht selten nehme die Verwaltungsarbeit einen größeren Raum ein, so eine Schulsozialarbeiterin an einer Realschule. Sie ist der Ansicht:
»Ich erachte es als äußerst schwierig, im Schulalltag Fuß zu fassen, da ich nur halbtags arbeite, beide Bereiche bediene und Schulleitungen und Lehrer häufig nicht wissen, was wir genau machen, und Lehrer meist auch nicht nachfragen. Irgendwie bin ich einfach vorhanden mit Bezug zum Lehrerzimmer. Würden Lehrer nachfragen, sich für meine Arbeit interessieren, würde ich sie nur darüber informieren können, dass wir ganzheitlich und ressourcenorientiert im Sinne von Prävention, Beratung und Netzwerkgestaltung arbeiten und uns um Benachteiligte im Rahmen des BuT kümmern.«
Befragte Schulleiter und Lehrer anerkennen »ihre« Schulsozialarbeit im eigenen Hause grundsätzlich und schätzen sie als sinnvoll ein, weisen aber auf das Erfordernis eines klaren Konzeptes hin, das nicht ausreichend zur Verfügung stehe. Ein Schulleiter (Gymnasium):
»Ja, wir haben eine Schulsozialarbeiterin. Ich weiß aber nicht, was sie macht, und ich weiß auch nicht, was sie kann, und, ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wozu sie da ist.«
Eine Lehrerin (Realschule):
»Ob unsere Schulsozialarbeiterin ein Konzept hat, kann ich nicht sagen, ich glaube, sie kann alles machen, in der Lehrerkonferenz ist ein Konzept auf jeden Fall nicht vorgestellt worden.«
Ein Lehrer (Sekundarschule):
»Unser Schulsozialarbeiter ist in gutem Kontakt mit den Schülern […], aber wenn es richtige Probleme gibt, ist dann doch die Schulleitung oder sind die Lehrer gefragt.«
Eine Lehrerin (Hauptschule):
»Wenn wir unsere Schulsozialarbeiterin nicht hätten, könnten wir störende Schüler nicht in den Trainingsraum schicken, den sie mit Eltern organisiert hat. Das funktioniert hervorragend.«