NACHWEISE
Texte
Kapitel 2: Die unsichtbaren Atomraketen von South Dakota. Neue Zürcher Zeitung, 30.11.2012 und teilweise aus Von Fischtreppen, US-Sozialismus und einem verbreiteten Irrglauben. Telepolis, 08.08.2013 / Kapitel 3: teilweise aus Von Pinkelproblemen, Nazi-Bildern und den kulturellen Symbolen des Reichtums. Telepolis, 25.07.2013 / Kapitel 5: In den Höhlen analoger Technik. VDI-Nachrichten, 08.12.2016 / Kapitel 8: teilweise aus Von Pinkelproblemen, Nazi-Bildern und den kulturellen Symbolen des Reichtums. Telepolis, 25.07.2013 / Kapitel 9: teilweise aus Der späte Sieg der Seminolen. Neue Zürcher Zeitung, 20.08.2007 / Kapitel 12: teilweise aus Vom Sommer, dem Trinken und dem Land der großen Gegensätze. Telepolis, 17.08.2013 / Kapitel 13: Kerzenstummel für den Conducator. Der Freitag, 25.12.2009 / Kapitel 14: Das linke Erbe. Die Tageszeitung, 02.06.2013 / Kapitel 15: Bildpost, 01.11.2015 und Einsiedelei auf Zeit. Wiener Zeitung, 26.12.2015 / Kapitel 16: teilweise aus Der Retter der göttlichen Nymphen. VDI-Nachrichten, 08.05.2015 / Kapitel 17: Das Projekt Utopia. VSA-Verlag, Hamburg 2004 / Kapitel 19: Das gefährdete digitale Gedächtnis. VDI-Nachrichten, 04.03.2011 / Kapitel 21: Das kommunistische Amerika. Mandelbaum Verlag, Wien 2015 / Kapitel 29: teilweise aus Neue Signale für das Radom von Raisting. VDI-Nachrichten, 08.04.2011 / Kapitel 38: Warten auf Außerirdische. Wiener Zeitung, 27.06.2017 und Die Stadt der Außerirdischen. Telepolis 25.06.2017 / Kapitel 44: Jerome gibt noch einmal Gas. Der Freitag, 17.09.2009 / Kapitel 48: Delfine oder Wasserkraft. Wiener Zeitung, 14.01.2017.
Die Zitate auf den S. 53 und 54 f. stammen aus: Jack Kerouac, Unterwegs. Deutsche Übersetzung von Thomas Lindquist. Copyright © 1959, 1986 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.
Bilder
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DIE MÖNCHSREPUBLIK
ATHOS
CHALKIDIKI, GRIECHENLAND
Stille, Dunkelheit. Von irgendwoher ertönt ein Pochen. Nur langsam dringt dieses stete Geräusch in den Traum vor, bis man erwacht und gewahr wird: Es ist fünf Uhr morgens, und einer der Mönche weckt die schlafenden Pilger für den Morgengottesdienst. Sein Pochen an den Türen der Schlafsäle hallt durch die leeren Korridore des Grigoriou-Klosters. Noch ist es dunkle Nacht, und auch die Klosterkirche, in der bereits seit einer Stunde das Gebet in orthodoxem Ritus vor sich geht, ist nur im Vorraum von wenigen Kerzen erhellt. Wie Schatten bewegen sich die schwarz gekleideten Mönche im Hauptraum der Kirche, und ihr Gesang steigt durch den Weihrauch auf in die Kuppel. Zwischen den goldgefassten Ikonen und Reliquien entfaltet sich die Liturgie, und die Zeit scheint um das flackernde Licht der Kerzenflammen zu kreisen. Und dann wird im Hauptraum das Licht entzündet und die Mönche verlassen schnellen Schrittes das Katholikon. Es ist nun sieben Uhr am Morgen, die Sonne schickt ihre Strahlen über das Ägäische Meer und taucht das Kloster in ihr wärmendes Licht. In der griechischen Mönchsrepublik auf dem Berg Athos beginnt ein neuer Tag.
Der Weg hierher war lang und mühsam. Zwei Tage zuvor war früh am Morgen Aufbruch im Kloster Megisti Lavra an der Ostküste, dem ältesten der insgesamt 20 Athos-Klöster. Der Weg führt entlang einem der alten Monopati – mit Steinen befestigte Pfade. Langsam beginnt das Gewicht des Rucksacks zu drücken, denn wer auf Athos zu Fuß unterwegs sein will, sollte die entsprechende Ausrüstung dabeihaben: Wasser, Essen, einen Schlafsack für den Notfall. Zu kaufen gibt es abseits der Hauptstadt Karyes nämlich nichts. Unterkunft und Verpflegung der Pilger wird nur durch die Gastfreundschaft der Klöster gewährt. Die Mönchsrepublik ist eine eigene Welt. Eine Welt des Glaubens und der Männer.
Diese Welt kann man nur mit dem Diamonitirion in der Tasche betreten. Das ist das Einreisevisum, das man möglichst Monate zuvor bei dem Pilgerbüro in Thessaloniki beantragen sollte. Ausgehändigt wird einem das Papier dann gegen einen Obolus von 30 Euro im örtlichen Athos-Büro von Ouranoupolis, einem Hafenort auf dem östlichsten Finger der Chalkidiki-Halbinsel im Norden Griechenlands. Nur von hier aus und nur per Schiff ist die Mönchsrepublik erreichbar. Denn wer die Straße hinter der Stadt weiter entlangfährt, der gelangt schließlich an einen Zaun, der die Mönchsrepublik vom Rest der Halbinsel abtrennt. »Grenze zum Heiligen Berg« steht auf einem Schild geschrieben und »Das Überqueren der Grenze ist illegal.«
Die orthodoxe Mönchsrepublik zieht sich 43 Kilometer von Nordwest nach Südost, umfasst rund 330 Quadratkilometer und besteht aus 20 eigenständigen Großklöstern mit einer Regierung in der Hauptstadt Karyes. Die Regierung besteht aus der »Heiligen Versammlung«, einem Gremium, in dem die auf Lebenszeit gewählten Äbte der Klöster vertreten sind. Politisch hat der Kleinstaat einen autonomen Status, ist aber der Souveränität Griechenlands unterstellt. Derzeit leben rund 2000 Mönche in den Klöstern, den Einsiedeleien und den sogenannten Skiten, von Mönchen bewohnten Dörfern.
Betreten werden darf die Mönchsrepublik nur von männlichen Pilgern, für Frauen ist der Heilige Berg verboten. Theologisch begründet wird dies damit, dass der Athos der obersten Heiligen des orthodoxen Christentums, der Heiligen Maria, vorbehalten ist. Das Frauenverbot wird vielfach kritisiert, so von der Europäischen Union und zuletzt vom Weltkirchenrat, doch die Mönche des Athos wollen an ihrer Männerwelt festhalten.
Der Weg durch das Gestrüpp führt an mehreren Wasserstellen vorbei, und dann ist am frühen Nachmittag Rast angesagt. Plötzlich taucht aus einem der Seitenwege ein Mönch auf seinem Pferd auf, und kaum kann man die Begrüßungsformel »Evlogite« – »Segne mich!« (die Antwort lautet »O Kyrios«) – murmeln, da sind Ross und Reiter auch schon wieder im Dickicht verschwunden. Beim erneuten Schultern des Rucksacks macht sich dessen Gewicht deutlich bemerkbar, und nach etlichen Stunden des Wanderns spürt man seine Füße. Doch die Prüfung wird erst noch kommen. Noch zwei Stunden sind es bis zum Kloster Pavlou, das wie das Kloster Grigoriou, das wir am nächsten Tag erreichen wollen, an der Westküste gelegen ist. Jeder Schritt fällt schwer, und jetzt tut nach acht Stunden Fußmarsch auch der Rücken weh – für welche Sünden büßt man hier?
Schließlich aber kommt das Kloster in Sicht: Hoch an den Felsen geschmiegt, mit unzähligen Fenstern und hölzernen Balkonen, von denen der Blick in die Weite des Meeres schweifen kann. Und schließlich durchschreitet man die Klosterpforte und erklimmt die letzten Stufen hinauf zur Unterkunft für die Pilger. Während man völlig fertig seinen Namen in das Gästebuch schreibt, versammeln sich im Katholikon schon die Mönche zum Abendgebet.
Später sitzt man mit anderen Pilgern im Refektorium beim Abendmahl: Es gibt Wasser, Oliven, Brot und Halva. Gegessen wird an großen Tischen, die Wände des Speisesaals sind voll von Darstellungen der biblischen Geschichte. Nach dem Essen ziehen sich die meisten Pilger in ihre Schlafstätten zurück. Langsam verebbt das Leben im Kloster, und Stille legt sich über die langen Korridore. Bei Sonnenuntergang beginnt nach den Regeln von Athos die Zeitrechnung für den neuen Tag. Die Tore des Klosters schließen, und wer nicht drinnen ist, muss draußen bleiben.
2
DIE ATOMRAKETEN
VON SOUTH DAKOTA
SOUTH DAKOTA, USA
Der Aufstieg zum Bear Butte im Westen von South Dakota – ein alleinstehender Hügel, der 300 Meter aus der ansonsten flachen Prärie herausragt – kann einen zum Schwitzen bringen. Am Ende geht es noch einige steinerne Stufen empor. Unterwegs sieht man immer wieder bunte Gebetstücher an den Bäumen und Sträuchern hängen, denn für die hier lebenden Lakota-Indianer ist der Bear Butte ein heiliger Ort. Schließlich steht man ganz oben, der Wind weht kräftig, und von hier geht der Blick weit hinaus in die Ebene und reicht bis in die Nachbarstaaten Wyoming, Montana und North Dakota.
Auch wenn man ein Fernglas dabeihätte und damit intensiv den Horizont absuchte: Sie wären weitgehend unentdeckt geblieben, die mehr als einhundert unterirdischen Atomraketensilos mit ihren Kommandoständen. Denn hier in South Dakota war eines der Raketenzentren der USA, die im Kalten Krieg für das Gleichgewicht des Schreckens sorgten. Einmal abgefeuert, konnten die Minuteman-Raketen mit ihren atomaren Gefechtsköpfen innerhalb von 30 Minuten ihre Ziele in der damaligen Sowjetunion erreichen. South Dakota ist ein Staat im Mittleren Westen, dünn besiedelt und schier endlos breitet sich die Prärie bis zum Horizont aus. Quer durch den Bundesstaat zieht sich wie eine Hauptschlagader der Interstate Highway Nr. 90. Die Ausfahrt 131 führt nach Cactus Flat, der Ort besteht aber eigentlich nur aus einer Tankstelle mit angegliedertem Supermarkt und aus der Kontaktstelle des Badlands-Nationalparks. Die Badlands sind ein Gebiet mit bizarren Felsformationen, das von Park-Rangern verwaltet wird. Ranger Butch Davis aber hat nicht mit Adlern, Wildkatzen oder Büffeln zu tun, er kümmert sich um die Besucher eines Raketensilos.
Denn 1991 unterzeichneten US-Präsident George Bush und der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow einen Vertrag zur Abrüstung strategischer Waffensysteme. In der Folge wurden die Minuteman-Silos in South Dakota deaktiviert, eine von insgesamt sechs Minuteman-Atombasen in sieben US-Bundesstaaten. Heute ist »Delta-09«, ein Raketensilo, und »Delta-01«, ein unterirdischer Befehlsstand, als »Nationales Historisches Denkmal« für die Öffentlichkeit zugänglich.
Eine unbefestigte Straße führt hinaus in die weite Ebene der Prärie. Schließlich erreicht man ein einsam liegendes, flaches Gebäude, umzäunt mit Stacheldraht – hier befindet sich im Untergrund verborgen »Delta-01«, eines der ehemaligen Kontrollzentren. Das Gebäude an der Oberfläche beherbergte die Versorgungseinrichtung – Stromgeneratoren, eine Küche, Schlafräume, einen Aufenthaltsraum mit Fernseher, die Wache und die Kommunikationsapparate. In dieser Baracke schob die Mannschaft ihren Dienst: Die acht Männer der Raketenschwadron – Offiziere der US Airforce –, das Wachpersonal, der Koch und die für die Versorgung Zuständigen. Eine Schicht dauerte drei Tage. Mehrmals pro Monat rückten die Bunkerbesatzungen zu einer dieser Schichten aus.
Neben dem Gebäude ist ein gepanzertes Fahrzeug geparkt, mit dem das Gelände kontrolliert wurde. Der eigentliche Kontrollraum aber liegt rund zehn Meter unter der Erde, eine durch Schockabsorber abgefederte Metallkapsel in einer 18 Meter langen Betonschale mit einem Durchmesser von rund zehn Metern, dafür ausgelegt, auch eine Atomexplosion zu überstehen.
Ranger Butch öffnet mit seinem Schlüssel das Scherengitter des Aufzugs, der summend hinab in die Tiefe fährt. Ein Vorraum führt zu dem eigentlichen Bunker, die letzte Besatzung hat sich hier mit einem Wandgemälde verewigt: Es zeigt eine amerikanische Rakete, die eine Sowjetfahne zerfetzt. Auch das acht Tonnen schwere stählerne Bunkerschott ist auf einer Seite bemalt: »Wir liefern weltweit in 30 Minuten oder weniger«, steht da geschrieben.
Zu dieser Tür hatten nur die beiden Crew-Mitglieder Zutritt, 24 Stunden lang schoben sie ununterbrochen Dienst im Kontrollraum. Zur Ausrüstung im Inneren des Bunkers gehörten ein Bett mit blauem Sichtvorhang und eine Toilette. Und natürlich die Apparate für die Kommunikation nach draußen und für den Abschuss der Atomraketen. Zehn »Minutemen II« wurden von hier aus kontrolliert, insgesamt waren 150 Raketen in South Dakota stationiert, die in drei squadrons organisiert waren.
Das Herzstück des Bunkers sind die beiden Kommandostände, hier saßen die wachhabenden Offiziere auf ihren Stühlen, einige Schritte voneinander entfernt. Ranger Butch Davis zeigt auf einen Lautsprecher und erklärt: »Hier wäre der Warnton für den Ernstfall durchgegeben worden.« Danach wäre eine Stimme gekommen: »Stand by! Stand by! Prepare to copy!« – am anderen Ende der Leitung ein Offizier des Hauptquartiers des strategischen Kommandos auf der Airforce Base in Nebraska. Die Stimme hätte einen Code durchgegeben: »Bravo, Bravo, Echo, Tango, …«. Jeder der beiden Kommandeure hätte den Code mit einem Bleistift mitgeschrieben und anschließend mit dem des anderen verglichen. Hinter den Codes verbargen sich verschiedene Bedrohungsszenarien wie etwa der Anflug von Raketen.
Das Prinzip der Zweierbesatzung diente der gegenseitigen Kontrolle. Ein Offizier allein hätte keine Rakete abfeuern können. Im Alarmfall hätten beide den Safe mit den Startschlüsseln geöffnet. Der Kommandeur hätte dem zweiten Mann den Befehl gegeben, seinen Schlüssel in die Startvorrichtung zu stecken und auf sein Zeichen hin zu drehen. Auch der Kommandeur hätte seinen Schlüssel eingesteckt. Er hätte gezählt: »Fünf, vier, drei, zwei, eins.« Dann hätten beide ihren Schlüssel gedreht – und der Kalte Krieg wäre ein heißer Krieg geworden. »Es gab nie einen Knopf, auf den man drücken musste«, sagt der Ranger.
Zurück an der Oberfläche, geht es durch die Prärie zu »Delta-09«, einem der Raketensilos, die von »Delta-01« kontrolliert wurden. Ein Drahtzaun umgibt ein nicht allzu großes, steiniges Areal, in der Mitte eine Plattform aus Beton. Auf der Plattform sitzt ein Silodeckel aus Glas, von hier geht der Blick hinunter zu der weißen Minuteman-Rakete. »Delta-09« war von 1963 bis 1991 einsatzbereit, heute ist sie die einzige Abschussrampe in dieser Region, die nach den Abrüstungsverhandlungen noch erhalten ist. Die anderen wurden alle gesprengt und mit Erde aufgefüllt, die Raketen entnommen und deaktiviert. Aber: Heute sind noch 450 aktive Minuteman-Raketen des Typs III in Montana, Wyoming und North Dakota stationiert.
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DAS GRÖSSTE
MOTORRADMUSEUM
DER WELT
BIRMINGHAM, USA
Dieses Birmingham liegt nicht in England, sondern im US-Bundesstaat Alabama. Und von hier sind es nur ein paar Kilometer bis zum »Barber Vintage Motorsports Museum«, das von außen wie eine moderne Fabrikationshalle von General Motors oder wie ein großer silberner Flugzeughangar aussieht. Linker Hand sind auf grünem Rasen drei übergroße Metallfiguren aufgestellt, die an »Supermänner« erinnern: Mit den Beinen auf der Achse eines Rades stehend, mit wehendem Umhang und nach vorn gerichteter Geste sollen sie wohl die Dynamik der Fortbewegung symbolisieren. Drinnen im Gebäude lassen sich dann die technischen Vehikel bestaunen, die derartiges dynamisches Fahren erlauben: Rund 1200 Motorräder und Gespanne, ausgestellt auf fünf Ebenen und aufgestapelt wie Matchbox-Spielzeugautos. Ob ein Yale-Gespann aus dem Jahre 1913 oder eine Münch »Mammut«, das Museum – das wohl größte seiner Art in der ganzen Welt – bietet eine umfassende Sammlung von motorisierten Zweirädern und gibt so einen eindrucksvollen Überblick über die Geschichte und Produktion des Motorrads.
Birmingham lebte früher vom Stahlkochen und vom Eisengießen. Das ist freilich mittlerweile an die 40 Jahre her und aus den Eisengießereien wurden Industriemuseen, die alten Werkhallen dienen heute als Show-Bühne. Fährt man auf dem Highway Nr. 20 in Richtung Atlanta, erreicht man von Birmingham Downtown aus in 15 Minuten die Abfahrt 140 und gelangt so zum Barber Vintage Motorsports Museum. Dessen Ausstellungsstücke gehen zurück auf eine private Sammlung aus dem Jahre 1988, die 1994 in eine Non-Profit-Organisation umgewandelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Der Gründer, Georg Barber, kommt aus einer Familie, die im Milchgeschäft und mit Grundstücken reich wurde, und fuhr in den 1960er-Jahren selbst Autorennen. 1999 wurden die ursprünglichen Ausstellungsräume in Birmingham schließlich zu klein, und 2003 wurde das neue Museumsgebäude an der Interstate 20 eröffnet. Der Ort ist auch deshalb eine Attraktion für Motorsport-Enthusiasten, weil auf dem Gelände eine 3,7 Kilometer lange Rennstrecke angesiedelt ist. Hier können sich die amerikanischen Besitzer von Porsches und anderen Sportwagen, die ansonsten wegen der landesweiten Geschwindigkeitsbeschränkung von maximal 130 Stundenkilometern auf den Autobahnen gern weinen, endlich einmal austoben.
Wer das weitläufige Museumsgebäude betritt und den Eintrittspreis von 15 Dollar bezahlt hat, ist zunächst vom Anblick der Architektur und den darin ausgestellten Motorrädern beeindruckt. Bis in schwindelnde Höhen stapeln sich in einer Art Boxen die PS-Schätze, weitläufig führt eine Rampe hinauf zu den verschiedenen Ebenen des Museums. In der Mitte sorgt ein zentraler gläserner Lift sowohl für den Transport der Besucher wie auch der Ausstellungsstücke.
Der Motorrad-Enthusiast arbeitet sich auf den verschiedenen Ebenen quasi durch die Geschichte der Zweirad- und Motorentechnik hindurch. Von der Jahrhundertwende 1900 bis zur Gegenwart sind in der Ausstellung rund 200 Hersteller aus 20 Ländern vertreten. Das älteste Modell ist die luftgekühlte Einzylindermaschine der amerikanischen Firma Steffey aus dem Jahre 1902 – das Ding erinnert mit seinen über einen Riemen angetriebenen Speichenrädern noch sehr an ein Fahrrad. Nicht weit davon entfernt findet sich die »Fliegende Merkel«. Freilich ist damit nicht die deutsche Bundeskanzlerin gemeint, sondern eine Zweizylindermaschine aus Ohio/USA. Die »Flying Merkel Model 71« stammt aus dem Jahr 1913, brachte sieben PS auf die Straße und sah schon richtig wie ein Motorrad aus. Einige Jahre später war man mit der »Militor«, einer amerikanischen Vierzylindermaschine, schon mit 35 Meilen per Stunde unterwegs, das im Museum ausgestellte Modell ist eine Beiwagenmaschine, ganz in Grün lackiert. Die für das Militär konzipierte Maschine kam 1918 auch in geringer Stückzahl in Frankreich zum Einsatz.
Zeitsprung in die 1920er-Jahre: Es ist wohl eines der ungewöhnlichsten Motorräder, das hier unter dem Namen »Böhmerland« ausgestellt ist. Die im Jahre 1925 in der Tschechoslowakei hergestellte Einzylindermaschine sieht mit ihrem lang gestreckten Rahmen und der rotgelben Lackierung aus, als wäre sie von Pippi Langstrumpf erfunden. Auf der Maschine konnten drei Leute Platz nehmen, die 600 Kubik beschleunigten das Gefährt auf 80 Stundenkilometer, und die Räder aus Aluminium galten als technische Neuerung. An die 1000 Stück der »Böhmerland« wurden zwischen 1924 und 1939 gefertigt. Aber auch nicht von schlechten Eltern zeigt sich im Museum die Indian »Model 403« aus dem Jahre 1932. Der amerikanische Flitzer mit seinem Vierzylinder-Reihenmotor macht schon einen sehr soliden Eindruck und wurde bis zu 75 Meilen pro Stunde schnell.
Die 1950er-Jahre waren die Jahre des Designs und der ungewöhnlichen Modelle. So zeigt das Barber-Museum eine Reihe von kurios anmutenden kleinen Stadtflitzern wie das Cushman »Highlander Model 714« von 1953 aus den USA.
Das preisgünstige Modell sollte den Einstieg in die motorisierte Zweiradwelt erleichtern. Gegenüber dieser puristischen Ausstattung ist man vom italienischen Design zweier Aermacchi »Chimera« geradezu geblendet. Der »Traum« von 1957 (180 Kubik) ist in beigeroter Lackierung gehalten, der von 1960 (250 Kubik) in Azurblau. Doch das aerodynamische Design war selbst für Italien zu progressiv, das Modell verkaufte sich schlecht.
In der Sammlung der 1960er-Jahre darf natürlich eine britische Royal Enfield nicht fehlen. Die »750 Interceptor«, eine Zweizylinder-Maschine mit 736 Kubik, steht für die britische Motorradproduktion dieser Zeit. Als in den 1970er-Jahren das britische Werk seine Pforten schließen musste, wurde die Enfield in Lizenz in Indien weitergebaut und wird auch heute noch in Madras gefertigt. Als legendär gilt heute die Diesel-Version der Enfield: Mit einer Tankfüllung kam man angeblich 1000 Kilometer weit.
Wer sich weiter durch die Fülle der ausgestellten Motorräder hindurcharbeitet, stößt schließlich auf Maschinen wie die Harley-Davidson »Captain America«, wie sie Peter Fonda in Easy Rider fuhr. Von den Hondas und Kawasakis der 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahre reicht die Bandbreite der Modelle über eine Münch »Mammut« bis zur modernen BMW »R 1200 C« von 1998.
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DIE MAYA-RUINEN
VON TIKAL
TIKAL, GUATEMALA
Es ist ein unvergesslicher Anblick: Von der Spitze der Maya-Pyramide geht der Blick weit über die riesige grüne Fläche des Regenwalds. Ab und zu erheben sich Vögel von den Bäumen in die Luft und landen wieder in einem entfernten Baumwipfel. Irgendwo tief unten lärmen Brüllaffen. Dann ist wieder Stille. So muss es auch vor tausend Jahren gewesen sein, als die Hohepriester der Indianer-Kultur für ihre heiligen Zeremonien hier die vielen Steinstufen heraufstiegen. Uns läuft ein kleiner Schauer über den Rücken, und wir bekommen leicht feuchte Hände. Unten liegen die Ruinen von Tikal, der Stadt inmitten des Dschungels.
Tikal liegt in der Provinz Petén, einem nördlichen Regierungsbezirk von Guatemala. Während das mittelamerikanische Land im Süden durch seine hohen Berge geprägt ist, erstreckt sich hier eine grüne Tiefebene, an die im Norden Mexiko und im Osten Belize grenzt. Der Dschungel hier ist undurchdringlich, Petén gilt als abgelegene Region mit wenigen Straßen – vorwiegend Staubpisten, die sich bei Regen schnell in Schlamm verwandeln. Hierher kommt man meist mit dem Flugzeug, es ist die bequemste Art zu reisen. Wir sind in Guatemalas Hauptstadt in eine russische zweimotorige Propellermaschine gestiegen. Der nächstgelegene Flughafen befindet sich in Flores, einer Stadt, 60 Kilometer von der Ruinenstadt entfernt. Von hier aus geht es mit dem Bus weiter bis zum Besucherzentrum von Tikal. Dort befinden sich auch die Übernachtungsmöglichkeiten: ein paar kleine Hotels und ein Campingplatz.
Es ist unsere erste Nacht wirklich mitten im Dschungel, und wir untersuchen erst mal unser Zimmer in einer Lodge auf Spinnen oder andere ungewünschte Besucher. Am nächsten Morgen machen wir uns auf, die Umgebung zu erkunden. Wer sich in die weitläufigen Ruinen der antiken Stadt begibt, macht zugleich eine Zeitreise in jene Epoche, in der Tikal zu einem bedeutenden Zentrum der Maya-Welt aufgestiegen war. Ähnlich wie bei anderen Maya-Städten des Tieflands hatten sich um 600 v. Chr. die ersten Menschen hier wegen der erhöhten Lage angesiedelt. Fast 800 Jahre später war Tikal eine Großmacht in der Region, und König Große Jaguar-Tatze führte einen spektakulären und erfolgreichen Feldzug gegen den Stadtstaat Uaxactún, der nicht einmal 20 Kilometer nördlich von Tikal lag. Auf einer Steinstele ist das Datum des Sieges eingemeißelt: der 16. Januar 378. Es war der Beginn einer jahrhundertelangen Herrschaft über die Tiefebene Petén. Im frühen 9. Jahrhundert nahm die Macht von Tikal allerdings ab, und es entstanden keine neuen Bauten mehr. Wahrscheinlich leitete eine Dürreperiode den Untergang ein. Man geht davon aus, dass die Bevölkerung die Stadt im 10. Jahrhundert vollständig verlassen hat.
In der Neuzeit blieb Tikal lange unentdeckt. Der Urwald hatte die Gebäude erobert und zwischen den gewaltigen Ruinen blühten die Orchideen und schlängelten sich ungestört die Schlangen. Trotzdem galt Tikal noch immer als heiliger Ort. Erst in den 1950er-Jahren des 20. Jahrhunderts setzte eine archäologische Erforschung der im Regenwald versunkenen Stadt ein, wurden die Grundmauern der Stadt freigelegt und erstmals kartografisch erfasst. Heute beeindrucken vor allem die großen Steintempel, deren Spitzen sich über das Grün des Urwaldes erheben.
Eines der wohl bekanntesten Bauwerke in Tikal ist der 47 Meter hohe »Tempel des großen Jaguars«, offiziell bezeichnet als »Tempel I«. Erbaut wurde die Pyramide um 730 n. Chr. Sie beherbergt eine Grabkammer, in der man die Überreste eines Maya-Herrschers fand. Neben zahlreichen Jade-Objekten und Gefäßen wurden auch Knochen gefunden, in die Zeichnungen und Wörter geritzt waren. Die bekannteste Darstellung zeigt den König in einem Kanu auf dem Weg in die Unterwelt. Der deutsch-österreichische Maya-Forscher und Fotograf Teoberto Maler gab 1895 dem Tempel seinen Namen (Maler war 1865 im Gefolge von Kaiser Maximilian nach Mexiko gekommen und widmete sich ab Mitte der 1870er-Jahre der Erforschung der indigenen Bevölkerung und deren alten Kulturen, auch mit der Kamera. Er starb verarmt und kaum beachtet 1917 in der mexikanischen Stadt Merida). Ab dem Jahr 1955 arbeiteten Archäologen an der Pyramide, die aber erst 1962, zwei Jahre vor Beendigung der Arbeiten, die Grabkammer entdeckten. Die große Steinpyramide ist aus neun Stufen aufgebaut, eine Zahl mit mythischer Bedeutung – sie symbolisiert die neun Stufen der Unterwelt. Auf der Spitze der Pyramide befindet sich ein kleiner Tempel.
Ein weiteres Highlight von Tikal ist »Tempel IV«. Die Pyramide ist mit rund 65 Metern Höhe nicht nur das höchste Gebäude der antiken Stadt, sondern, wenn man Wikipedia glauben darf, auch »die höchste touristisch erschlossene Pyramide in der Maya-Welt und sogar in der neuen Welt«. Eine hölzerne Treppe führt entlang der Pyramide auf die Spitze. Hier sollte man wie bei allen Aufstiegen auf die Tempelruinen unbedingt auf festes Schuhwerk achten, der schräge Boden ist manchmal rutschig. Oben wird man mit einem grandiosen Überblick über den Regenwald belohnt, aus dem sich die anderen Tempel erheben. Das gefiel auch dem US-amerikanischen Filmproduzenten und Regisseur George Lucas. Er baute diese Aussicht von der Spitze der Maya-Pyramiden in den vierten Teil seiner Unten, am Fuß der Tempel, erstreckt sich der Große Platz, das politische und religiöse Zentrum der Stadt. Hier stehen eine Vielzahl von steinernen Stelen, deren Inschriften die Geschichte des Maya-Volks von Tikal erzählen. Wahrscheinlich basiert auf diesen Texten auch die Darstellung einer historischen Szene, wie sie die Autoren Linda Schele und David Freidel in ihrem Buch Die unbekannte Welt der Maya nachvollzogen haben. Danach wogte auf den Plätzen das festliche Treiben der Menschen, es gab Tanzprozessionen, Maskenumzüge und Festbankette, bei denen seltene Speisen und Getränke serviert wurden. Wie in Trance vollzogen Mitglieder der Königsfamilie das Blutritual und tanzten über die steinernen Terrassen. Ihnen folgte die wogende Volksmenge, und es flossen Bäche von Blut über den Boden.
Star Wars-Saga ein. Im Film heißt es dann, der Mond »Yavin IV« sei übersät von Ruinen antiker Tempel des »alten Sith-Imperiums«.
5
DAS GESUNKENE
U-BOOT VON
KOPENHAGEN
KOPENHAGEN, DÄNEMARK
Wo geht’s denn hier zum U-Boot? Der Kopenhagener Stadtteil Holmen ist durchzogen von vielen Wasserwegen und Brücken, hier befindet sich, in Nachbarschaft der alternativen Wohnsiedlung »Christiania«, eine Basis der dänischen Marine. Und da ist sie, die Saelen, ein Unterseeboot vom Typ 207, das hier seit gut zwölf Jahren als Museumsschiff am Pier liegt. Niels Mejdal ist ein ehemaliger Admiral der dänischen Marine und Ex-U-Boot-Kapitän, und manchmal führt der 72-Jährige durch das Boot. Der Einstieg für das Publikum wurde extra in die Stahlhülle geschweißt, ansonsten wäre die Saelen nur durch eine Luke zugänglich gewesen. Drinnen ist es erst mal eng und eher dunkel. Niels zeigt auf eine geschlossene Öffnung in der Decke. »Da kam das Wasser rein, was dann zum Untergang führte«, erklärt er. Ein paar Minuten später erzählt der Ex-Admiral in der Offiziersmesse die Geschichte des U-Boots: Gebaut 1965 in den Rhein-stahl-Nordseewerken in Emden für die norwegische Marine. 1990 wurde das Boot von Norwegen an Dänemark verkauft und sollte von Kopenhagen nach Aarhus geschleppt werden. Dabei drang aber Wasser ein, und das Ding versank. Später hob man das abgesoffene U-Boot wieder an die Oberfläche, und nach längerer Zeit im Trockendock war es wieder einsatzfähig. 2003 war es noch beim Golfkrieg im Persischen Golf mit dabei, ein Jahr später aber gab Dänemark seine U-Boot-Flotte auf. »Ich fand den Dienst im U-Boot eine schöne Zeit«, sagt der Ex-Admiral. Bewegt man sich durch das Boot, sieht man: Vieles wurde so belassen, wie man es 2004 vorfand. In einer Offizierskabine hängt noch ein Foto von Ehefrau und Kindern an der Wand.
Die Saelen ist eines von mehreren U-Boot-Museen, die an der Nord- und Ostsee zu besichtigen sind. Etliche davon, zum Beispiel in Hamburg, Fehmarn und Sassnitz, sind in privater Hand. Was in Kopenhagen noch unkompliziert erscheint – die dänische Marine stellt eines ihrer ehemaligen Boote aus –, wird dann aber spannend: Wo bitte kann man U-Boote kaufen? Und was kostet das?
Das U-Boot-Museum im Hafen Burgstaaken auf der Insel Fehmarn zeigt im Grunde den gleichen Typ wie in Kopenhagen. Das Museum wurde 2005 von dem Unternehmer Eduard Beneken gegründet. Die Fahrt dorthin geht entlang der E 47, die bis nach Puttgarden, dem Fährhafen nach Dänemark, führt. Bevor man am Hafen anlangt, muss man durch Burg, den Hauptort der Insel, zugleich eine touristische Hochburg. Dahingegen geht es am Pier vor U 11, einem ehemaligen U 11