Bernhard Hoëcker

Erik Haffner | Tobias Zimmermann

Für Fragen und Anregungen
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3. Auflage 2021

© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89
80799 München
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Fax: 089 652096

Dies ist eine Neuauflage des 2011 erschienenen Titels Hoëckers Entdeckungen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Fotos: Erik Haffner, Tobias Zimmermann
Umschlaggestaltung: Laura Osswald
Innenlayout und Satz: Meike Herzog

ISBN Print 978-3-7423-0419-3
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-937-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-936-0

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INHALT

Vorwort

Verlassen, vergessen, verboten
Eine fotografische Reise durch den unentdeckten Konjunktiv

How to: Urban Exploration
Kleiner Leitfaden für den Besuch längst verlassener Orte

Der Schatz der Diamaltwerke

Ein Tag im Museum

Im Auge des Betrachters
Das Erholungshotel auf dem Sonnenberg im schönen Thüringen. Die Geschichte eines No-win-Szenarios

House of burning children brains II
The revenge

Die Uranmaschine
Dr. Hoëcker, oder wie er lernte, den Reaktor zu lieben

Die alte Ziegelei
Ein Gedicht über Neugier, Mut und böse Orte

Eriks neue Wohnung
Der verzweifelte Versuch, „Mein Home ist mein Castle“einfach zu wörtlich zu nehmen

House of burning children brains III

Zeitreise
Wenn die Fantasie mal Freigang hat

Was tun, wenn’s geknallt hat?
Bernhards kleines Post-Apokalypse-Training

Einmal richtig entspannen
Von den Tücken moderner Marketingstrategien

Schneeflockchen, Weissrockchen
Wo die Engel Plätzchen back(t)en

Bildverortungsbemerkungsanhang

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VORWORT

Schon als Kind streifte ich auf ansonsten natürlich völlig langweiligen Spaziergängen gerne durch alte Burgruinen. Wie haben die Leute hier gelebt? Geht die Wendeltreppe wirklich rechts herum nach oben? Diese kleinen Zeitreisen fanden ihren neuen Höhepunkt, als ich vor 5 Jahren mit diesem Geocachen angefangen habe. Teilweise liegen die Verstecke dieser modernen Schnitzeljagd neben alten Fabrikgeländen, verlassenen Krankenhausanlagen, in Bunkern, Bergwerken oder anderen Arealen, die die Menschen seit vielen Jahren verlassen haben. Und hin und wieder verlasse ich dann mit Erik und Tobi den vorgegebenen Weg und wir reisen ein paar Jahrzehnte zurück.

Inzwischen streift unser Blick auf Autofahrten wie ein Röntgenscanner durch dichtes Blattwerk, um ein Gebäude dahinter zu erspähen. Mit überwachsenen Mauern, Wänden, an die sich junge Birken krallen, und Dächern, die den Jahren nicht mehr standhalten konnten. Der nächste Hundespaziergang wird danach ausgerichtet und wir fangen an zu überlegen, wofür wohl dieser Raum gedacht war oder wohin diese Tür wohl führt. Dabei gibt es zwei Grundsätze: Wir hinterlassen Fußspuren und nehmen Fotos mit. Es wird nichts zerstört, eine geschlossene Tür bleibt eine geschlossene Tür. Durch Fenster wird nur gesehen, nicht getreten. Alles bleibt so liegen, wie man es vorgefunden hat.

Von all diesen Ausflügen haben wir natürlich Berge an – genauer Festplatten voll mit – Bildern mitgebracht. Und jedes Mal schicken wir sie uns über dieses Internet zu und sind begeistert. Leider greift dann doch immer wieder die kalte Hand der Eitelkeit nach uns und wir verspüren das tiefe Empfinden, andere an unserer Begeisterung teilhaben zu lassen, insbesondere an der Begeisterung an den Bildern. So entstand dann die Idee, einen Bildband zu machen. Da ich zugegebenermaßen weniger am Ablichten, sondern mehr an eigener Ablichtung interessiert bin, und auch die Bildbearbeitung nicht zu meinen Primärfähigkeiten gehört, ist ein Großteil der Bilder von Tobi und Erik fotografiert, aber natürlich von mir für gut befunden worden.

Somit wünschen wir viel Spaß bei diesen kleinen Ausflügen ins Vergangene, ins Verfallene, aber irgendwie heute noch Lebende.

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Bernhard Hoëcker

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Auf der Suche nach Spargel dauert es nicht lange, bis einem der Ort Beelitz genannt wird. Eigentlich ist es eher umgekehrt: Fragt man jemanden nach Beelitz, hört man immer nur „Da, wo der Spargel wächst?“. Was liegt also näher, als sich kurzerhand auf den Weg zu machen und sich dort umzuschauen, wo eben jener Asparagus wächst, der Veronika in den 20er Jahren bereits in Verzückung versetzt haben soll.

Doch kaum hat man die erste Abfahrt hinter sich und man versucht, auf einer Landstraße den Ort von einer ungewöhnlichen Seite zu erreichen, da tauchen im dichten Gestrüpp alte Mauern auf. Weiter hinten, durch Bäume nur sehr schwach zu erkennen, sind ganze Gebäude sichtbar, verwaist zwar, aber noch mehrstöckig in der Landschaft herumstehend.

Wir halten an und steigen aus. Leider kommen wir keine fünf Meter weit. Direkt am ersten Zufahrtswegs taucht ein Schild auf: „Betreten verboten! Eltern haften für ihre Kinder!“ Eine Diskussion mit dem „Eigentümer“, der sich auf dem Schild als „der Eigentümer“ zu erkennen gibt, wird unterlassen, er wird eh nicht verstehen, dass Eltern NIE für ihre Kinder haften, sondern nur für sich selbst und sich deshalb dieser Satz rein rechtlich niemals in eine Konsequenz umwandeln wird. Trotzdem ist der Hinweis eindeutig. Wir drehen ab, steigen wieder in den Wagen und fahren weiter.

Schade. Wer weiß, was uns erwartet hätte? Vielleicht ein betonierter Weg, vorbei an jungen, höchstens 20 Jahre alten Bäumen. Ein kleiner Abzweig hätte uns vermutlich auf die Stufen eines Gebäudes geführt, dessen alte Türe eingeschlagen, aber mit Sperrholz erneut verschlossen wurde. Das Fenster ein paar Schritte weiter vergittert, aber der offene Zugang über die Kellerräume wäre möglich gewesen in eines von gut 60 denkmalgeschützten Gebäuden, die Teil eines über 200 Hektar großen ehemaligen Klinikgeländes sind. Und die Natur holt es sich ganz langsam zurück. Der verletzte Adolf Hitler verbrachte als Gefreiter während des Ersten Weltkriegs, ebenso wie weitere 17.500 Soldaten, einige Monate in den Beelitz-Heilstätten. Auch im Zweiten Weltkrieg dienten die Heilstätten wieder als Lazarett und Sanatorium, um Verwundete von der Front zu behandeln. Ein weiterer Prominenter, nämlich Erich Honecker, wurde hier im Dezember 1990 an Leberkrebs behandelt, bis die Russen vor 20 Jahren das ehemals größte Militärlazarett außerhalb Russlands verließen. Seitdem ist es dem natürlichen Verfall und Vandalismus preisgegeben. Aber woher soll man das auch wissen?

Wären wir nicht unserer konsequenten moralischen Korrektheit gefolgt, hätten wir all die Fotos auf den folgenden Seiten machen können. Schade …

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Gleich um die erste Ecke wäre uns dieses Motiv vor die Linse gekommen: Die verlassene Villa Kunterbunt. „Wieso wohnt Pippi Langstrumpf im Krankenhaus?“, hätten wir uns gefragt. Das wurde in der Serie nie thematisiert! War sie etwa krank? Wurde sie von Tommy und Annika in den Drehpausen gepflegt? Und vor allem: Wo ist sie jetzt? Wer füttert Herrn Nilsson und den Schimmel? Sind etwa alle tot? Oder schlimmer: Ist sie nach Berlin Prenzlberg gezogen und zu einer dieser kinderwagenschiebenden Mode-Alternativmütter geworden? Mit Strapsen?!? Unsere Kindheit wäre zutiefst erschüttert und zu großen Teilen infrage gestellt worden.

Gut, dass wir das nie gesehen haben!

Um Jahrzehnte zu spät und von unserer Hilflosigkeit wie betäubt hätten wir den Grund für den Untergang der Heilstätten entdeckt. Unbemerkt von der Klinikleitung wurde hier die Zukunft der Anstalt sprichwörtlich zum Fenster hinausgeblasen. Bernhard hätte blitzschnell berechnet, dass schon der unschuldigst aussehende Radiator Heizrechnungen in Milliardenhöhe verursachen kann. Wir wären wie immer beeindruckt gewesen und beim Überschlagen der Rechnung hätten wir wie so oft verschwiegen, dass der kleine Heizkörper dafür seit dem frühen Mittelalter durchgebrummt haben müsste.

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Verlassen Vergessen verboten

Wahrscheinlich wären wir hier fast eingestürzt, hätte uns Bernhards Hund Fluffy nicht lassiegleich vor der drohenden Gefahr gewarnt: Eines der großen Kochgeräte ist einfach durch den Boden in den Keller gebrochen. Wie eine Horde Schimpansen, die sich immer mutiger und in immer engeren Kreisen an ein unbekanntes Objekt heranpirscht, wären wir zunehmend wagemutiger mit unseren Kameras an das instabile Motiv herangetippelt. Die Tapferkeit wäre mit diesem Foto belohnt worden und unterschwellig hätten wir gespürt, dass uns genau dieser Entdeckergeist einst zu den Beherrschern des Planeten gemacht hat. Gut, das … und … unsere Daumen. Angesichts der Tatsache, dass wir unser Leben leichtfertig aufs Spiel gesetzt hätten, qualifiziere uns dieses Foto auf der anderen Seite auch für das sofortige Ausscheiden aus dem Genpool. Schatten und Licht sind manchmal so nah beieinander …

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Raschelraum: Im ersten Stock hätte uns ein Zimmer voller Laub erwartet. Dem großen Klaus Kinski sagt man ja nach, dass er sich für die Vorbereitung einer Rolle für mehrere Wochen in seine Kammer eingeschlossen habe – bis zu den Knien im Laub. Für einen kurzen Moment wäre uns die Vorstellung, hier einzuziehen und dem extravaganten Mimen nachzueifern, vielleicht seltsam verlockend vorgekommen.

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Eins mit der Natur sein – und doch ein Dach über dem Kopf.

Die totale Askese – und doch immer was zum Knabbern haben.

Die romantische Einsamkeit –
und doch nie allein sein … denn im Laub findet man viele neue Freunde mit Fühlern.

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Wir stellen uns vor, wie in einem Dachstuhl plötzlich ein Lichtstrahl wie der Finger Gottes auf Bernhard fallen würde. Ein Omen? Und wenn ja, für was? Prophetische Berufung? Ein apokalyptisches Vorzeichen? Seine herannahende Heimholung? Wir hätten mit dem Gedanken gespielt, Bernhard einen Altar zu bauen. Oder einen Dom. Ziemlich sicher würden wir ihm ein Nutztier opfern. Kann ja nicht schaden! Und sollte er tatsächlich der neue Messias sein, hätten wir schon mal einen guten Eindruck gemacht.

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Wahrscheinlich wäre auf einem der Häuser ein ganzer Wald gewachsen. Mit meterhohen Tannen und Wurzelwerk, das sich unverdrossen in die Decke des Gebäudes krallt. Die Unmöglichkeit seines Unterfangens ignorierend, muss einst ein kleines Pflänzchen auf den eingestürzten Schindeln entschlossen haben weiterzuwachsen. Jahr für Jahr dem Wind trotzend und der Wi tterung hilflos ausgesetzt, wurde es zu einem Bäumchen, dann zu einem Baum und schließlich hat es alle seine Kollegen zu sich gerufen, um dort oben zusammen eine verkehrte Welt zu erschaffen, die wir uns mit staunenden Augen angesehen hätten.

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Durch ein Treppenhaus, das jeden TÜV-Mitarbeiter den Freitod wählen ließe – und wenn er praktisch veranlagt wäre, gleich an Ort und Stelle –, wären wir nach oben gestiegen. Vorsichtig hätten wir jeden nächsten Schritt geprüft, die Trittsicherheit der maroden Steinstufen lieber einmal zu viel kontrolliert. Jeder herunterbröckelnde Stein hätte uns das Blut in den Adern gefrieren lassen und den Kampf gegen den angeborenen Fluchtreflex schwieriger gemacht. Die letzten Meter wären uns unmenschlich lange erschienen und ohne Sauerstoffgerät und ein Heer von Sherpas kaum noch vorstellbar gewesen. Doch tatsächlich hätten wir endlich das Dach über die gefürchtete rostige Nordpassage erklommen und uns wie Hillary, Scott und Messner gefühlt – und das sogar noch mit allen Zehen!

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In einem der Krankenhausflure hätten wir uns erinnert: Türkis war ja damals das neue Leberwurstgrau. Und so hält sich die Farbe hartnäckig an den Wänden und nur mühsam schaffen es die Zeit, die Witterung und das überall verbaute Asbest, den Anstrich abzublättern. Wie eine alte Dame, die verzweifelt versucht, gegen die Falten anzukämpfen, weigert sich dieser Flur zu verblassen. Stur und mit letzter Kraft scheint er den Glanz der alten Tage ausstrahlen zu wollen, auch wenn ihm dies offensichtlich immer schwerer fällt. Vielleicht hat er noch ein paar gute Jahre, in denen er sich an das geschäftige Treiben erinnern kann, die hektischen Ärzte, die lärmenden Besucher und die hübschen Krankenschwestern. Wir hätten ihm bestimmt ein Fenster geschlossen, durch das es unangenehm zog. Vielleicht bringt ihm das ein paar Tage …

Auf dieses Foto wären wir besonders stolz: Wie ein gestrandeter Wal aus baumwollverstärktem Phenoplast liegt der Koloss aus dem Osten in seinem laubgebetteten Grab. Selig sieht er aus und scheint nach einem Leben auf ruckeligen – nennen wir sie mal spaßeshalber Autobahnen – seine wohlverdiente letzte Ruhestätte gefunden zu haben. Seine neuen Freunde Herr Rost und Frau Korrosion leisten ihm schon seit vielen Jahren Gesellschaft und sind zu treuen Weggefährten geworden, bis irgendwann nur noch ein Häufchen graublaues Granulat voller Erinnerungen vom einst so majestätischen Schnapphahn der Landstraße übrig geblieben ist. Rest in peace, Trabbi!

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In gefühlter Mount-Everest-Basislager-Höhe wäre unser das Konzept „Gefahr“ verachtende Mitstreiter David, der hier zu seinem eigenen Besten unscharf bleibt, auf einen zeitnah einstürzenden Schornstein geklettert. Bernhard hätte ihn auf gefühlter Mount-Everest-5-Sterne-Hotel-am-Fuß-des-Berges-Höhe beobachtet und das atemberaubende Unterfangen in seiner Funktion als Sicherheitsbeauftragter und Mentor dirigiert. Gut zu erkennen an seiner stylischen Protector-Brille, die ihn effektiv vor herabstürzenden Trümmern und Körperteilen schützen könnte – wenn er dafür nicht zu weit weg gestanden hätte.

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Da Treppenlaufen für Hundegelenke bekannterweise schädlich sein kann, hätte Bernhard Teammitglied Fluffy mal wieder überallhin getragen. Hier würde er das Tier zum Beispiel vom Erdgeschoss durchs Fenster in den zweiten Stock reichen.

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