»Bradley Birkenfeld – diesen Namen werden Sie nie wieder vergessen.«
NEW HAVEN REGISTER
»Der wichtigste Whistleblower in der Finanzbranche aller Zeiten.«
CNBC
»Um es ganz einfach zu sagen: Man muss Birkenfeld zu den größten Whistleblowern aller Zeiten zählen.«
TAX NOTES
»Wenn man von einem Menschen sagen kann, dass er im Alleingang die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Offshore-Welt gelenkt hat, dann ist das Bradley Birkenfeld.«
FINANCIAL TIMES
»Im Jahr 2007 wurde der Schleier der Geheimhaltung von einem Whistleblower namens Bradley Birkenfeld zerrissen.«
THE WASHINGTON POST
»Der UBS-Whistleblower Bradley Birkenfeld verdient keine Gefängnisstrafe, sondern ein Denkmal an der Wall Street.«
NEW YORK DAILY NEWS
»Ich bin nicht sicher, ob die US-Regierung dieses massive Betrugsprogramm heute schon aufgedeckt hätte, wenn Birkenfeld nicht im Sommer 2007 zum Justizministerium gekommen wäre.«
BEAMTER IM US-JUSTIZMINISTERIUM
»Hat Birkenfeld die Belohnung von 104 Millionen Dollar verdient? Jeden Cent davon!«
BEAMTER IN DER US-STEUERBEHÖRDE IRS
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2. Auflage 2017
© 2017 by FinanzBuch Verlag,
ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
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Die englische Originalausgabe erschien 2016 bei Greenleaf Book Group unter dem Titel »Lucifer's Banker«.
© 2016 by Bradley C. Birkenfeld. All rights reserved.
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Einige Namen und Details, die zur Identifizierung von Personen dienen könnten, wurden verändert.
Übersetzung: Sascha Mattke
Redaktion: Matthias Michel
Korrektorat: Sonja Rose
Umschlaggestaltung: Greenleaf Book Group, Sheila Parr, Bradley C. Birkenfeld und Marc-Torben Fischer
Umschlagabbildung: Bradley C. Birkenfeld
ISBN Print 978-3-95972-077-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-128-8
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-129-5
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Prolog: Der Prügelknabe
Kapitel 1: In der Auswahl
Kapitel 2: Massaker in Boston
Kapitel 3: Den Code knacken
Kapitel 4: Sportwagen, Models und Yachten – oh ja!
Kapitel 5: Verbrannt in Bern
Kapitel 6: Der Gegenschlag
Kapitel 7: Tarantula
Kapitel 8: Die Mexiko-Falle
Kapitel 9: Auf dem Drahtseil
Kapitel 10: Gejagt
Kapitel 11: Im Zwielicht
Kapitel 12: Aufgeflogen
Kapitel 13: Der Sündenbock
Kapitel 14: Camp Cupcake
Kapitel 15: Reicher Mann, armer Mann
Dank
Anhang
Interview mit dem Autor
Über den Autor
Für meinen Bruder Doug, der mich vom ersten Tag meiner Achterbahnfahrt an begleitet hat. Als loyaler Freund und brillanter Anwalt erlebte er die Korruption mit, verstand, was sich abspielte, und hat mich die ganze Zeit über beraten.
»Es hat sich etwas ereignet, über das schwer zu sprechen und unmöglich zu schweigen ist.«
EDMUND BURKE, IRISCHER PHILOSOPH
»Ich habe die Sorge, dass ausländische Banker mit ihrem Geschick und ihren faulen Tricks den gesamten riesigen Reichtum Amerikas kontrollieren und ihn nutzen werden, um systematisch die Zivilisation zu korrumpieren.«
OTTO VON BISMARCK, DEUTSCHER KANZLER1
8. Januar 2010
Minersville, Pennsylvania
ALLE WEGE, DIE IN ein Bundesgefängnis führen, sind lang.
Es gibt keine Ausfahrten und auch keine Abkürzungen, mit denen man den Weg schneller hinter sich bringen und den Schmerz der Erwartung dämpfen könnte. Alle diese Wege sind gebaut auf Entscheidungen, mit Serpentinen und in die Irre führenden Verläufen. Das letzte Stück kann eine kurze Anfahrt von einem Gericht aus sein oder eine sechsstündige Reise in einem verrauchten Gefangenentransporter, doch stets ist es das Ergebnis eines Lebens, das aus den Fugen geraten ist, und das Ende ist immer gleich.
Für mich selbst schien der Weg zur Schuylkill Federal Correctional Institution an diesem eiskalten Freitagmorgen kein Ende nehmen zu wollen. Mein Hotel in Scranton im US-Bundesstaat Pennsylvania war nur eine Autostunde von dem Gefängnis in irgendeinem Provinzkaff entfernt, aber es kam mir vor wie ein Jahr. In dem Lexus konnte ich vor Kälte meinen Atem sehen und in dichten, vom Wind gepeitschten Schleiern fiel Schnee, was die Straße glatt und gefährlich machte. Ich hatte selbst fahren wollen, eine letzte Runde drehen, bevor sie mich einsperren, aber sie hatten mir eine Ausgangssperre aufgebrummt und eine elektronische Fußfessel verpasst – und ich hatte kein Auto mehr. Also übernahm mein älterer Bruder Doug, wie ich gut 1,90 Meter groß, die Fahrt durch den Sturm. Ich erledigte vom Auto aus ein paar letzte Anrufe an Freunde. Die meiste Zeit über aber saßen wir mit aufeinandergepressten Lippen schweigend da, auf dem Weg zu einer Verabredung, die keiner von uns einhalten wollte.
Ich wusste, dass das für Doug hart werden würde, vielleicht sogar noch härter als für mich selbst. Er war verdammt stolz auf mich für das, was ich getan hatte, denn ich hatte den größten Banken- und Steuerbetrug der Geschichte aufgedeckt. Außerdem war er wütend auf das Justizministerium. Für Doug hatte ich statt Fußfesseln eine Ehrenmedaille verdient. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass ich schon klarkommen würde.
»Hey Alter, entspann dich«, sagte ich, als ich sah, wie seine Hände das Lenkrad so fest umklammerten, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Drei Jahre im Knast schaffe ich mit links.«
Doch Doug glaubte mir nicht. Er war wütend, verbittert und rachsüchtig. Und weil es keinen Sinn hatte, ihm weiter etwas anderes vorzuspielen, schloss ich mich ihm an.
Als das Auto in eine lange Kurve einbog und wir durch einen Wald aus dick mit Schnee bedeckten Pinien fuhren, gab ich meine gespielte Tapferkeit auf. Plötzlich verloren die Räder die Haftung und wir kamen ins Rutschen, aber Doug reagierte so souverän wie ein Formel-1-Pilot und nahm noch nicht einmal den Fuß vom Gaspedal. Über das Lenkrad gebeugt starrte er durch die Windschutzscheibe, auf der die Wischer auf der höchsten Stufe den Schnee wegschoben. Für mich klangen sie wie ein Metronom, angeschlossen an eine Bombe mit Zeitzünder. Das hört sich vielleicht etwas dramatisch an, aber so war es.
»Lass dir Zeit, Bruder.« Ich streckte den Arm aus und fasste ihn an der Schulter. »Ich hab’s nicht eilig.«
Endlich ein Lächeln auf Dougs Gesicht, aber es sah eher aus wie das Grinsen eines Totenkopfs. Wir wendeten uns beide wieder unseren Gedanken zu.
Angeblich spielt sich das gesamte Leben eines Menschen blitzartig vor seinen Augen ab, wenn er kurz vor einem gewaltsamen Tod steht. Zum Glück habe ich so etwas nie selbst erlebt, aber ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass etwas Ähnliches passiert, wenn man gleich in ein Gefängnis eingesperrt wird. Allerdings fühlte sich die Rückschau bei mir eher an wie bei einer langen, unheilbaren Krankheit: Ich hatte reichlich Zeit, noch einmal jede Freude und jedes Leid durchzugehen, genau wie jeden perfekten Schachzug, den ich ausgeführt hatte, und ein paar dämliche Fehler. Mein Leben erschien nicht blitzartig vor meinen Augen, es lief langsam ab wie ein alter Film auf einem klapperigen Projektor.
Ich bereute nichts und bin kein Freund von Gejammer. Trotzdem gab es einige Dinge, die ich verdammt sicher anders gemacht hätte. So hätte ich niemals darauf vertraut, dass die Chefs meiner Bank in der Schweiz mich unterstützen würden, denn tief in meinem Inneren wusste ich, dass so etwas wie Integrität in ihrem Wortschatz nicht vorkam. Und ich hätte mich definitiv nicht an das US-Justizministerium gewandt, in der Erwartung, dass es mich schützen würde, weil ich ihm das größte Steuerbetrugsprogramm der Geschichte auf einem Silbertablett servierte. Selbst im reifen Alter von 44 Jahren hatte ich noch Vertrauen in das amerikanische Justizsystem gesetzt. Na ja, man lebt und lernt.
Was mich während der Fahrt wirklich beschäftigte, waren die Dinge, die ich vermissen würde: der Lebensstil, für den ich mir den Arsch abgearbeitet hatte, meine Eltern und meine Brüder, meine Freunde und meine Freiheit. Ich wusste, dass ich in ungefähr einer Stunde einem heftigen Kontrast ausgesetzt sein würde: zwischen dem Disneyland, das mein Leben bisher gewesen war, und dem Tower of London, zu dem es jetzt werden würde.
Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und dachte zurück an meine Achterbahnfahrt. Noch vor zwei Jahren hatte ich ein Leben geführt, von dem die meisten Menschen nur träumen können. All die Anblicke und Gerüche und Empfindungen dieser Zeit rollten noch einmal über mich wie eine warme Welle in der Karibik.
Ich war wieder in Genf, wo ich es mir auf der Terrasse meiner Luxuswohnung im dritten Stock mit Blick auf den Cours de Rive gemütlich gemacht hatte. Von einem Espresso in einer Tasse aus feinem Porzellan stieg feiner Dampf auf, und die lachsfarbenen Seiten der Financial Times flatterten im Morgenwind. Auf meinem Marmortisch glänzte eine Schale mit frischen Erdbeeren vom Markt auf der anderen Straßenseite, und die Schweizer Straßenbahnen fuhren hin und her wie eine Spielzeugeisenbahn an Weihnachten. Samstags war mein sonst lebhaftes Viertel Eaux-Vives ganz ruhig, die Kleinkunstbühnen hatten morgens noch geschlossen, und aus geringer Entfernung konnte ich das Trappeln der Pferdehufe einer Touristenkutsche auf Pflastersteinen hören. Die mit Schnee bedeckten Gipfel der Alpen glitzerten im Sonnenlicht, und durch meine hohen Balkontüren drang leiser Jazz von Diana Krall an meine Ohren.
Außer mir war meine aus Brasilien stammende Freundin Thais in der Wohnung und lag gemütlich auf einem Stapel persischer Kissen. Wir hatten beide einen Kater, fühlten uns aber trotzdem zufrieden und wohlig. Ich konnte noch ihre Haut spüren, weich wie nepalesische Seide, und ich hörte sie mit diesem reizenden portugiesischen Akzent etwas rufen, das mich zum Lächeln brachte.
»Bradliiie, komm zurück ins Bett, Liebling. Und bring das Ding mit, das ich so liiiiiebe.«
Es war wieder eines dieser famosen Wochenenden, an denen wir in meinen feuerroten Ferrari 550 Maranello sprangen und nach Zermatt fuhren, mit röhrendem Motor über prachtvolle Bergpässe, Sonnenbrillen auf unseren grinsenden Gesichtern. Mein Schweizer Chalet befand sich ganz oben in einem malerischen Städtchen, in dem Autos verboten waren, also parkten wir in einem kleinen Dorf nahe am Fuß der Gebirgskette und nahmen die Zahnradbahn durch ein langes, steiles Tal bis zum Gipfel. Und endlich, nach einem letzten Aufstieg, waren wir da und standen atemlos und hingerissen vor meinem Panoramafenster mit Blick auf das Matterhorn.
Vielleicht war es gar nichts so Besonderes, falls Sie nicht gerade eine Schwäche für Champagner von Laurent-Perrier in Magnum-Flaschen, frischen Beluga-Kaviar oder Kisten mit frisch aus Havanna eingeflogenen Churchill-Zigarren haben. Sicher finden sie es ganz nett, wenn Sie Schweizer Frigor-Schokolade, Uhren von Audemars Piguet, Brioni-Anzüge und hinreißende Mädchen mögen, denen es nur darum geht, Ihnen Vergnügen zu bereiten und eine gute Zeit zu haben. Stellen Sie sich das alles einmal vor, und dann das Beste daran: All das hatte ich in bar bezahlt.
Um Geld ging es doch schließlich, oder? Aus diesem Grund war ich ins internationale Bankgeschäft eingestiegen, hatte einen Master an der Universität in La Tour-de-Peilz gemacht und mich dann in Genf kaputtgearbeitet. Aus diesem Grund bekam ich einen der begehrten Jobs bei der Union Bank of Switzerland, kurz UBS, der größten und besten Bank der Welt. Und als ich erst einmal dort war, als der einzige Amerikaner in einem Elite-Team aus Schweizer Privatbankern, hatte ich dieses Spiel perfektioniert. Ich flog First Class durch die ganze Welt, wohnte in Fünf-Sterne-Hotelresorts und verführte Scharen von Angehörigen des reichsten Prozents dazu, ihr Vermögen in geheimen Schweizer Nummernkonten zu verstecken; Fragen wurden nicht gestellt. Ausgestattet mit zwei dicken Eiern, Finanzwissen und reichlich Charme, hatte ich Millionen Dollar für die UBS verdient, ebenso wie für meine Kunden, und einen hübschen dicken Anteil für mich selbst.
Doch als ich jetzt noch einmal daran zurückdachte, fiel mir auf, dass Geld doch nicht das Wichtigste gewesen war. Ich hatte das Leben einer Figur von Ian Fleming geführt, in dem es vor allem anderen um Aufregung geht, und das ist ein Hunger, der einen unter die Erde bringen kann. Ich hätte dabei bleiben können, nur zeigte sich, dass ich dieses nervige Kleinigkeit hatte, die man Gewissen nennt, und wie ich irgendwann feststellte, gab es in »der Firma« nichts dergleichen. Die hinterhältigen Bastarde bei UBS, meine verachtenswerten Schweizer Bosse, hatten die ganze Zeit über gewusst, dass alles, was wir trieben, einen krassen Verstoß gegen amerikanische Steuergesetze darstellte und mich ins Gefängnis bringen konnte, bis mein Kinnbart weiß geworden wäre. Sie ließen mich ins offene Messer laufen, zusammen mit meinen Kunden und meinen Kollegen, also hatte ich die Schweizer Mafiosi ausmanövriert und war ihnen zuvorgekommen.
Das Problem war, dass ich auf dem falschen Schoß landete. Das US-Justizministerium hätte mich willkommen heißen sollen, mich schützen und mir dafür danken, dass ich als erster und einziger Schweizer Banker die undurchdringliche Hülle von Geheimhaltung und Korruption in der Schweiz durchbrochen hatte, um dafür zu sorgen, dass die amerikanischen Steuerzahler nicht weiter betrogen werden. Stattdessen hatte das Ministerium mit der einen schleimigen Hand nach meinem Informationsschatz gegriffen und mir mit der anderen Handschellen angelegt.
Drecksäcke. Und das ist noch höflich formuliert.
Als die Wut über die ganze Sache wieder in mir hochstieg, öffnete ich meine Augen, und die Landschaft draußen riss mich aus meinen Erinnerungen. Du bist nicht der einzige in Ungnade gefallene Samurai hier, Birkenfeld. Ich schaute hinaus in die vom Kohlebergbau geprägte Gegend mit ihren verfallenen Häusern und Farmen, mit Rauch, der sich aus rissigen Schornsteinen emporschlängelte, und mit rostigen alten Autos, abgestellt auf Betonplatten. Ich sah, wie Pferde, das einzige Transportmittel, das einem noch bleibt, wenn man sich kein überteuertes Benzin mehr leisten kann, auf schneeverwehten Hügeln standen und mit ihren großen Köpfen nach Resten von Grün suchten. Ich wusste, dass dies einst der Ort der amerikanischen Helden gewesen war, von Männern, die tief unter der Erde arbeiteten, um das schwarze Gestein zu fördern, das ihre Landsleute so dringend brauchten. Viele von ihnen waren in kollabierenden Minen gestorben und noch viele weitere würden an kollabierenden Lungen sterben. Und jetzt waren sie Aussätzige, angefeindet von Umweltschützern und ignoriert von den Politikern, die zwar gerne ihre Stimmen genommen hatten, aber jetzt nichts mehr von ihnen wissen wollten. Verraten von ihrem eigenen Land, genau wie ich. Nur, dass sie natürlich nie ein Ski-Chalet in Zermatt haben würden.
Wir kamen an einem Ortsschild vorbei: »Minersville«. Es wurde Zeit, mein Pokerface aufzusetzen. In wenigen Minuten würde mein Arsch der US-Regierung gehören, als Belohnung dafür, dass ich ausgepackt hatte. Vielen Dank, Uncle Sam.
Doch ich hatte eine Überraschung für die Trottel von der Regierung: All der Schweizer Glamour bedeutete mir gar nicht so viel. Ich war ohne ihn aufgewachsen und ich kam auch unter schwierigsten Umständen bestens zurecht. Schließlich hatte ich die Norwich University im Bundesstaat Vermont hinter mich gebracht, eine der ältesten und härtesten Militärakademien des Landes, an der jeder Tag mit Liegestützen im Schnee begann, gefolgt von Zehn-Meilen-Märschen mit Gepäck, geschrieenen Befehlen von gnadenlosen Drill-Sergeants, stundenlangem schwierigem Unterricht und dann Lernen wie verrückt bis Mitternacht. Ich wusste, dass in Schuylkill nichts dergleichen passieren würde. Das Gefängnispersonal konnte die Häftlinge nicht wie Kadetten bei der Army behandeln, was irgendwie ironisch war, denn das hätte bestimmt die Rückfallquote sinken lassen.
Ich jedenfalls hatte beschlossen, sie in ihrem eigenen Spiel zu schlagen, egal, was man mir vorsetzen würde. Ich war schon immer ein glühender Fan einer alten Fernsehserie namens Hogan’s Heroes (Ein Käfig voller Helden) gewesen, einer Sitcom über eine Gruppe von alliierten Gefangenen im Zweiten Weltkrieg, die ihren Nazi-Aufpassern auf der Nase herumtanzen. Schuylkill würde also mein »Stalag 13« sein und ich Colonel Hogan. Lass uns loslegen, Baby.
Ich schaute hinüber zu Doug. Er sieht ziemlich gut aus, besser als ich oder unser älterer Bruder Dave, mit seinem vollen Schopf aus kastanienbraunem Haar und den weißen Zähnen. Doug ist ein zäher Rechtsanwalt, und wenn er wütend ist, streckt er sein großes Kinn nach vorn und nimmt sein Ziel mit seinen kalten blauen Augen aufs Korn wie mit einem Laser. Jetzt gerade mahlte sein Kiefer.
»Du bist sauer«, sagte ich.
»Quatsch, ich bringe total gern meinen kleinen Bruder zum Gefängnis. Vielleicht können wir dafür sorgen, dass Dave auch wegen irgendwas verurteilt wird, dann kann ich ihn auch noch holen.«
Ich musste lachen. Wenn man nicht mehr lachen kann, ist man erledigt.
»Entspann dich, Alter«, sagte ich. »Das ist alles im Nullkommanichts vorbei, du wirst schon sehen.«
»Ich habe das Gefühl, dass ich jemanden töten möchte«, schäumte Doug. »Kevin Downing zum Beispiel.«
Ganz bestimmt teilte ich diesen Wunsch meines Bruders. Kevin Downing war leitender Staatsanwalt in der Steuerabteilung des Justizministeriums, der Mann, an den ich mich zuerst gewandt hatte. Ich hatte ihm die Schlüssel zum Königreich gegeben, all die Geheimnisse des illegalen Schweizer Bankgeschäfts, und er hatte sich auf mich gestürzt wie ein tollwütiger Hund. Doug, ein Jurist mit makelloser Moral, sah Downing als die niedrigste Lebensform seiner Profession an: kleinlich, heuchlerisch, selbstsüchtig – ganz einfach ein bösartiges Arschloch.
»Steht noch jemand auf deiner Liste«, fragte ich.
»Außer Downing? Aber ja, Olenicoff.«
Na klar, Igor Olenicoff. Die bloße Erwähnung dieses Namens brachte sofort auch mein Blut zum Kochen. Olenicoff war ein in Russland geborener kalifornischer Immobilienmogul, ein Multimilliardär, und er war einer meiner größten Kunden bei UBS gewesen. Ich hatte ihn in einem dieser Yachthäfen kennengelernt, wo jedes Boot so viel kostet wie ein ganzes Haus, wo die Crews immer aussehen wie Werbefiguren von Abercrombie & Fitch und wo die Geliebten der Yachtbesitzer vor den Augen der Ehefrauen ihre Silikonbrüste und Diamantarmbänder zur Schau stellen. Später hatte ich Olenicoff erneut getroffen und ihn meinem Kollegen in Liechtenstein vorgestellt, einem Zauberer, wenn es darum ging, Geld und Identitäten verschwinden zu lassen.
Olenicoff hatte richtig Geld, und einen großen Teil davon wollte er für schlechte Tage vor den neugierigen Augen der US-Steuerbehörde IRS verbergen. Also hatte man für ihn zwei Trusts in Liechtenstein mit drei Firmenhüllen in Dänemark dahinter eingerichtet, mit Olenicoff als letztlichem Eigentümer. Bald darauf lagen 200 Millionen Dollar aus seinen Immobiliengewinnen in den USA auf mehreren Nummernkonten bei UBS in der Schweiz. Das Einzige, was Olenicoff als wahren Inhaber dieser Konten identifizierbar machte, war eine Karteikarte mit seinem Namen darauf und sein Codename. Die Karte war in einem Safe in unserem Hauptquartier in Genf eingeschlossen, und die einzigen Personen, die Zugriff darauf hatten, waren ich und mein Chef, Christian Bovay. Niemand sonst bei UBS kannte Olenicoffs Identität.
Technisch gesehen war nichts an diesem Arrangement illegal, solange Olenicoff nicht »vergessen« würde, seine Schweizer Spargroschen in seiner US-Steuererklärung anzugeben. Ich hatte reichlich wohlhabende Amerikaner als Kunden bei UBS, und ob sie das W9-Formular für Auslandssteuern ausfüllten oder nicht, ging mich nichts an. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich war kein Chorknabe und wusste durchaus, was ich tat. Und UBS drängte uns »Jäger« immer weiter dazu, mehr reiche Leute mit viel Bargeld ins Haus zu holen, also hatte ich mein Gewissen in ein Sabbatjahr geschickt und mitgespielt. Erst als mir klar wurde, dass meine Chefs mich im Regen stehen lassen würden, ergriff ich präventive Maßnahmen und verriet sie.
Dann machte mir das US-Justizministerium ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. »Geben Sie uns die Namen von Ihren amerikanischen Kontoinhabern, Birkenfeld. Alle Namen, oder wir erheben auch gegen Sie Anklage.« Das ließ mir kaum eine Wahl. Wenn man zum Whistleblower wird, kann man sich nicht mehr aussuchen, wen man schützen möchte.
Igor Olenicoff war aus meiner Sicht ein typischer arroganter Milliardär und gleichzeitig unglaublich geizig. Ich hatte kein Problem damit, ihn zu verraten, denn ich ging davon aus, dass er die besten Anwälte, die man mit Geld bekommen kann, beauftragen und sich schon irgendwie herauswinden würde. Einmal wurde er sogar zutraulich und sagte mir, in seinem nächsten Leben wäre er gern eine Ehefrau in Newport Beach. Auf meine Frage nach dem Hintergrund für diese bizarre Aussage antwortete er: »Weil die nichts machen als das Geld ihrer Ehemänner ausgeben.« Wirklich ein toller Typ!
Damit hatte ich recht behalten, nicht aber in Bezug auf die Schwachköpfe vom Ministerium. Dankbarkeit war kein Teil ihrer DNA. Sie klagten Olenicoff wegen Steuerhinterziehung an und zusammen mit ihm mich als seinen Komplizen. Und um auch ganz sicher zu sein, dass ich ins Gefängnis wandere, behaupteten sie, ich hätte seinen Namen erst genannt, nachdem ich angeklagt worden war.
Es war verdammt nochmal unglaublich. Ich hatte dem Justizministerium seinen Namen tatsächlich nicht genannt – und die Beamten dort wussten ganz genau, warum. Ich hatte bereits unter Eid ausgesagt, als ich vor den US-Senat geladen wurde, und dort meine umfangreichen Geschäfte mit Olenicoff dargelegt. In meiner Gerichtsverhandlung aber sah Kevin Downing dem Richter in die Augen und behauptete, ich hätte diesen Namen zurückgehalten. Mit einem Pokerface und aufrichtig wie der Teufel behauptete er, ich würde einen reichen Kunden decken und darauf hoffen, später dafür belohnt zu werden, dass ich so nett zu ihm war.
Peng machte der Hammer des Richters. Gefängnis für Birkenfeld.
Ich werde dieses Gefühl nie vergessen, und auch nicht das Geräusch, das der Hammer machte, als er auf das Mahagoni knallte. Es war mein Lee-Harvey-Oswald-Erlebnis. Gerade wurde jemand getötet, und weißt du was? Das warst du selbst.
Olenicoff dagegen schloss einen Pakt mit dem Teufel und kam mit zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe für seine Steuerschulden davon. Die Strafe betrug 52 Millionen Dollar, was nach viel klingt, für ihn aber nur Taschengeld war. Was danach kam, war der vergiftete Zuckerguss auf dem Kuchen: Als Nächstes verklagte Olenicoff UBS, mich und mehr als dreißig andere Personen und Geschäftseinheiten und behauptete, wir seien dafür verantwortlich, dass er seine Steuern nicht bezahlt hatte. Das nenne ich dreist. Man betrügt jahrzehntelang den Staat, dann wird man verraten, und diesen Typen nimmt man sich dann vor – er kommt ins Gefängnis und man selbst wendet sich wieder seinen Champagner-Orgien zu. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten mich meine Anwaltskosten ruiniert und meine Anwälte zogen sich zurück. Bald würde ich eingesperrt sein, ohne Verteidigung, während Olenicoff weiterfeierte und mich vor Gericht niedermachte.
Was für ein Land, oder? Das Land der Freien – aber nur, wenn man genügend Geld hat, um sich die Freiheit zu kaufen.
Aber bleiben Sie noch für eine letzte Pointe in der ganzen Angelegenheit bei mir. Olenicoff hatte einen geliebten Sohn, Andrei, den ich viel lieber mochte als seinen Vater. Er war ein junger Mann mit Stil, gutaussehend und tüchtig. Ich war sogar bei seiner Hochzeit in Newport Beach in Kalifornien dabei, wo er eine reizende junge Frau namens Kim heiratete. Und dann fuhr Andrei eines Tages mit seinem Jeep über die Route 1 an der Küste entlang, und aus irgendeinem Grund versagten seine Bremsen, so dass er tödlich verunglückte. Ich war erschrocken und ehrlich traurig. Kim war am Boden zerstört und das Herz von Igor Olenicoff für immer gebrochen.
Die Moral von dieser Geschichte ist wahrscheinlich das: Egal, wie viel Geld man hat oder für wie schlau man sich hält, gegen den Tod kann man nichts machen. Wie man so sagt: Nichts ist sicher außer der Tod und Steuern. Und ironischerweise machte Igor Olenicoff mit beidem intensiv Bekanntschaft.
Ich wendete meine Aufmerksamkeit wieder Doug zu, der jetzt ein Schmunzeln auf den Lippen hatte. Ich erkannte gleich, dass auch er gerade an die Wendung des Schicksals bei Olenicoff gedacht hatte.
Das ist das Besondere an uns Birkenfeld-Jungs: Wir sind ein zäher, ziemlich konkurrenzfreudiger Haufen, Kämpfer von Natur aus. Unser Vater ist ein bekannter Neurochirurg und wir drei Brüder sind mit Eishockey- und Football-Matches aufgewachsen und haben ziemlich sofort, nachdem wir laufen gelernt hatten, immer irgendwelche Jobs gemacht. Wir hatten es gut, waren aber nicht verwöhnt. Unser deutscher Name Birkenfeld trifft es sehr gut: Wir sind groß und hart, manchmal beugen wir uns im Wind, aber niemals brechen wir. Wenn Sie uns zurechtschneiden wollen, sollten Sie etwas Größeres dabeihaben als ein Brotmesser.
Wir nahmen in dem tosenden Sturm eine Biegung und fuhren eine lange schmale Straße entlang. Dann sah ich es: Schuylkill (ausgesprochen »school kill«, was so klingt, als würde man dort absolut nichts lernen). Das Gefängnis befand sich in der Mitte von Nirgendwo, umgeben von Wäldern und verstreut über eine offene Fläche in der Größe von zehn Fußballfeldern. Den Haupteingang bildete ein niedriger Betonklotz mit rauchschwarzen Fenstern und Reihen von Stacheldraht, die sich über das Dach schlängelten. Eine amerikanische Flagge peitschte im Wind, ihre Seilrollen schlugen an den Mast. Mein Magen zog sich zusammen. Zeit für die Rechnung.
Draußen auf der Straße sah ich ein paar Übertragungswagen und mehrere Autos von Journalisten, die hintereinander am Straßenrand parkten. In der Kälte standen Kamerateams und Reporter aus aller Welt in Daunenjacken herum und schlugen mit den Armen, um sich aufzuwärmen. Als sie unser Auto erkannten, warfen sie ihre Kaffeebecher weg und schalteten ihre Scheinwerfer und Mikrofone an. Sie waren da, weil sie einen Tipp bekommen hatten – von mir. Ich war entschlossen, eine Pressekonferenz abzuhalten und der US-Regierung zu erzählen, was ich von ihren beschissenen Lügen halte, kurz bevor ich eingesperrt werde.
Falls Sie das Entscheidende an mir noch nicht mitbekommen haben: Ich bin ein Hammer, immer auf der Suche nach Nägeln.
»Da sind wir«, sagte Doug, als er das Auto am Ende der Schlange abstellte. Ich stieg aus und schaute hoch zum Himmel, aus dem Schnee in dicken Flocken fiel, mein letzter Blick auf die freie Welt, bevor sie mich für drei Jahre wegsperren würden. Ich war angezogen wie ein ganz normaler Typ, mit einem Holzfällerhemd aus Flanell, einer roten Skijacke und einer schwarzen Baseball-Mütze. Dann entdeckte ich ein freundliches Gesicht.
Der einzige Anwalt, der noch auf meiner Seite stand, war Stephen Kohn und er bekam kein Geld dafür. Er war ein kleiner Mann mit wirrem grauen Haar, Brille und immer einem optimistischen Grinsen im Gesicht, so schlau, wie man nur sein kann, und angriffslustig wie ein Pitbull. Außerdem war er Chefjurist beim National Whistleblower Center in Washington DC. Kohn war überzeugt, dass die Regierung mir eine fette Belohnung schuldete, und die wollte er erstreiten oder beim Versuch draufgehen. Ich liebte den Typen, aber ich hielt ihn für einen Träumer. Ich nickte ihm zu, dann begann ich den langen letzten Gang, mit Doug als Bewacher an meiner Seite.
Die Reporter bildeten eine Traube um uns, und dann sah ich, wie zwei Gefängniswärter in schwarzen Parkas, behängt mit Pistole und Schlagstock, vom Haupteingang herübergetrampelt kamen. Einer von ihnen wedelte panisch mit seinen behandschuhten Händen.
»Sie dürfen hier keine Pressekonferenz abhalten«, schrie er. »Das ist Privateigentum!«
Ich deutete mit einem Finger auf die Straße und bot ihm eine Kostprobe meines New-England-Akzents: »Diese Straße gehört dem amerikanischen Volk, nicht Ihnen. Dies ist Staatsbesitz. Wollen Sie mir meine Rechte nach dem Ersten Verfassungszusatz versagen?«
Die Wärter tuschelten miteinander, fluchten und zogen sich zurück. Eine kleine Reporterin sah zu mir hoch und hielt mir ihr Mikrofon ins Gesicht.
»Mr. Birkenfeld, Sie sind hier, um sich wegen Verschwörung zur Steuerhinterziehung den Bundesbehörden zu stellen«, begann sie, während sie für ihren Kameramann posierte. »Haben Sie irgendetwas zu sagen?«
Ich gab ihr meinen besten Clint Eastwood.
»Ich möchte sagen, wie stolz ich bin, dass ich so mutig war, hervorzutreten und zu tun, was ich getan habe, um den größten Steuerbetrug der Welt aufzudecken.« Die Reporter fummelten an ihren Aufnahmegeräten und machten Notizen. »Und das hier ist das, was ich dafür bekomme.« Ich wies mit meinem Kinn auf das Gefängnis. »Eine Anklage vom Justizministerium.« Dann zeigte ich ihnen mein stählernstes Starren. »Sie können daraus Ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen.«
Ein Durcheinander von Fragen kam aus der Menge, doch ich hatte meinen Schuss gegen die Regierung schon abgefeuert. Steve Kohn drängte sich an mir vorbei und ließ seinen Gefühlen freien Lauf.
»Man steckt einen Whistleblower, der für die höchsten Steuernachzahlungen an das amerikanische Volk verantwortlich ist, ins Gefängnis? Das ist eine Perversion der Gerechtigkeit. Eine Fehlgeburt der Gerechtigkeit! Es ist grotesk.«
Dann klopfte ich Kohn auf die Schulter, schüttelte die Hand meines Bruders und ging über die Betonplatten in Richtung Eingang. Die beiden Wärter drehten mir die Arme auf den Rücken und legten mir Handschellen an. Klick.
Sie brachten mich nach drinnen und knallten die Türen zu. Das Getöse der Reporter vor dem Gefängnis verstummte. Nichts war mehr zu hören als schmelzender Schnee, der auf meine Schuhe tropfte. Wir gingen durch einen Eingangsbereich mit kalkweißen Wänden, an denen Porträts von hängebackigen Gefängnisdirektoren hingen. Der Linoleumgang roch wie eine Schulturnhalle, ein Geruch, den ich sogar mag. An seinem Ende saß vor einem Pult eine korpulente blonde Frau, die ungefähr so erfreut aussah wie der Zauberer von Oz. Sie wusste schon, wer ich war, aber trotzdem ging ich vor ihr zackig in Habtachtstellung.
»Birkenfeld, Bradley C.«, meldete ich.
Sie wusste meine kleine Spitze nicht zu schätzen. »Miss-terr Birkenfeld, haben Sie irgendetwas bei sich?«
Ich nahm meine Uhr ab, eine Audemars Piguet Royal Oak Offshore T3, dasselbe Modell, das Arnold Schwarzenegger in Terminator 3 getragen hatte.
»Nur das hier«, sagte ich, als ich ihr die Uhr überreichte. »Verlieren Sie sie nicht. Sie ist 25.000 Dollar wert.«
Sie sah mich an, nahm die Uhr an sich, als sei sie eine zischende Kobra, und ließ sie in einen braunen Umschlag gleiten.
Die Wärter brachten mich zur »Aufnahme«, einen leeren Raum mit Stahlschließfächern, in dem es nach schmutzigen Socken stank. Sie stellten mich vor eine Wand und machten das Gefängnisfoto von mir. Ich grinste, als der Blitz aufleuchtete.
»Warum zum Teufel lächeln Sie?«, fragte einer der beiden höhnisch.
»Weil ich hier bin, um Spaß zu haben«, antwortete ich.
Die Wärter versteiften sich und warfen sich einen Blick zu. Der zweite zeigte mit einem Finger auf meinen Fuß.
»Wo ist Ihre Fußfessel?«
»Die habe ich gestern Abend mit einem Messer abgeschnitten. Habe sie bei der Bewährungshilfe abgegeben.«
Danach nahmen sie mir die Handschellen ab und beobachteten mich so aufmerksam wie zwei Katzenbabys, die zusammen mit einem Schakal in einem Käfig stecken, während ich mich auszog und ihnen meine Kleidungsstücke gab.
Ein paar Minuten später trug ich enge weiße Unterhosen, ein graues T-Shirt, eine olivgrüne Gefängnisuniform und geschnürte Arbeitsstiefel. Das Outfit machte mir nichts aus. Ich hatte mich informiert. Ich wusste, dass ich in den Flügel mit den lockersten Sicherheitsvorkehrungen kommen würde, in dem Wirtschaftskriminelle ihre Zeit absitzen, vergleichbar mit einer Kaserne.
Ein Arzt in einem weißen Laborkittel kam herein, überprüfte meinen Blutdruck und erklärte, ich sei gesund genug, um gefesselt zu werden. Die Wachen legten mir die Handschellen wieder an und brachten mich zurück zu Fräulein Fröhlich. Sie stempelte auf irgendwelchen Formularen herum.
»Also, wo ist das Wohnheim«, fragte ich sie. »Ich will auf keinen Fall das Mittagessen verpassen.«
Sie starrte mich über ihre Brille an. »Sie kommen heute nicht dorthin, Mr. Birkenfeld.«
»Ach ja? Wohin dann?«
»Einzelhaft.« Sie zeigte zur Decke. »Befehl von oben.«
Ich verstand. Der Direktor war wahrscheinlich sauer, weil ich ein öffentliches Spektakel am Eingang zu seinem Gefängnis veranstaltet hatte. Also beschloss er, mich in den Abkühlraum zu stecken. Aber ich wusste, dass es wie Angst aussehen würde, wenn ich fragen würde, für wie lange. Also zeigte ich ihr einfach mein breitestes Birkenfeld-Grinsen.
»Kein Problem«, sagte ich. »Ich habe gern mal etwas Zeit für mich.«
Einer der Wärter nahm meinen Ellenbogen und führte mich durch eine mit einem Summer gesicherte Tür. Ich hörte noch, wie der andere »Das war das erste Mal, dass ich so was gehört habe« zu Fräulein Fröhlich murmelte.
Es war ein langer, stiller Flur, der zu einer schweren Tür mit einem kleinen kugelsicheren Fenster und einem riesigen Schloss führte. Der Wärter öffnete, nahm mir die Handschellen ab, schubste mich hinein und schmiss die Tür zu. Als er den Schlüssel umdrehte, wandte ich mich zu dem Fenster, winkte ihm zu und sagte: »Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.«
Er zuckte etwas zusammen und ging dann weg. Rasch.
Schon vor langer Zeit, lange bevor ich ins Geschäftsleben und ins Bankgeschäft eingestiegen war, hatte ich etwas Wichtiges gelernt. Und zwar als ich auf der Highschool in Massachusetts Eishockey spielte: Man muss den Leuten sofort zeigen, wer man ist – ein Typ, der freundlich zu sein scheint, aber vollkommen unberechenbar ist. Schau auf sie herunter und zeig ihnen das Leoparden-Lächeln, bei dem die Augen nicht mitmachen, und sie werden wissen, dass sie sich nicht mit dir anlegen sollten.
Na los, werft mich ins Gefängnis. Tut so, als wärt ihr das Gesetz des Landes, die Beschützer des Volkes, als würdet ihr tun, was richtig und wahr ist. Holt mich zu euch mit all den Geheimnissen, die ich freiwillig preisgebe, womit ich meine gesamte Karriere riskiere, von meinem Leben ganz zu schweigen. Dann betrügt mich, sagt mir, ich bin ein Dreckschwein, und macht währenddessen versteckte Deals mit dicken Fischen und lasst all die echten Haie davonschwimmen. Na los, steckt mich in Einzelhaft und schmeißt den Schlüssel weg.
Aber eine Sache dürft ihr nicht vergessen, Leute: Eines Tages werde ich wieder draußen sein.
Und dann werdet ihr bezahlen.
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1 Dieses Zitat stammt nicht von Bismarck, sondern ist eine Fälschung. Zur vermutlichen Entstehung und der weltanschaulichen Stoßrichtung dahinter siehe etwa Gary North: http://www.garynorth.com/public/6940.cfm (Zugriff 2/2017). (Anm. d. Red.)
TEIL I
»Gier, leider gibt es dafür kein besseres Wort, ist gut.«
GORDON GEKKO, WALL STREET
WIE MEINE KINDHEIT WAR, wollen Sie vielleicht gar nicht wissen. Aber ich möchte Ihnen trotzdem davon erzählen, also haben Sie ein paar Seiten Geduld, während ich ein bisschen in Erinnerungen schwelge.
Ich bin in einem Schloss aufgewachsen.
Damit habe ich wahrscheinlich Ihre Aufmerksamkeit geweckt, aber ich meine kein echtes Schloss mit Kavalieren und edlen Damen. Es nannte einfach jeder in der kleinen Stadt Hingham im Bundesstaat Massachusetts unser Zuhause »The Castle« (Abbildung 1). Der großzügige Ziegelbau, errichtet im frühen 20. Jahrhundert von einem wohlhabenden Industriebaron, hatte sechs Schlafzimmer und war verziert mit Giebeln, Türmchen und Bleiglasfenstern. Er stand auf einem Grundstück mit 20.000 Quadratmetern sorgfältig gepflegtem Rasen, umgeben von weiteren Flächen mit naturbelassenem Land, und war zu erreichen über eine 100 Meter lange Einfahrt, die fast bis zum malerischen Hafen der Stadt reichte. Wenn Sie heute dort vorbeifahren, würden Sie wahrscheinlich »reiche Leute, verwöhnte Kinder« denken, doch in Wirklichkeit wurde das Anwesen Ende der 1960er-Jahre für den heutigen Preis eines Wagens der oberen Mittelklasse zu »Schloss Birkenfeld«. Und der Grund dafür, dass ich noch so genau weiß, wie groß das Grundstück war, ist, dass meine Brüder und ich den Rasen gemäht haben – jede Woche im Frühling, im Sommer und im Herbst.
Wie ich schon erwähnt habe, war mein Vater ein angesehener Neurochirurg in Boston, ein Mann, der daran glaubte, hart zu lernen, noch härter zu arbeiten und Freizeit nur dann zu genießen, wenn man sie sich verdient hatte. Als Kind war er auf ein Quäker-Internat in Pennsylvania gegangen (was mir etwas merkwürdig vorkam, weil er von russischen Juden abstammte). Dort hatte er sich zum Thema Ausbildung die Haltung »Du wirst nicht viel lernen, wenn du nur rumlaberst« angeeignet. Meine Mutter war ein gutaussehendes ehemaliges Model und ausgebildete Krankenschwester, protestantisch erzogen, hatte aber den ganzen Haute-Couture-Kram aufgegeben, um als Mutter zu Hause zu bleiben. Damals musste man sich dafür noch nicht schämen, auch wenn das manche Leute heute anders sehen.
Ein anderer wichtiger Mensch in meinem jungen Leben war der Bruder meiner Mutter, Major General E. Donald Walsh, den ich respektierte und sehr liebte. Wir sahen Onkel Don nicht sehr oft, weil er Generaladjutant von Connecticut war, doch sein Einfluss auf mich war stark. Der Mann war eine Legende, ein hochdekorierter Veteran der Schlachten um Iwojima und Okinawa. Ich glaube, er war es, von dem ich meinen Hunger nach Adrenalin und Abenteuer bekam.
Bei einer Vollzeitmutter mit Manieren und Stil, einem brillanten Neurochirurgen mit eiserner Arbeitsethik als Vater und einem Kriegshelden als Onkel kommen natürlich interessante Kinder heraus.
Meine älteren Brüder, Dave und Doug, waren gute Jungs. Sie hatten etwas im Hirn und waren zielstrebig. Der mit den Flausen im Kopf war ich, was in Ordnung für mich war, denn als drittes Kind kommt man oft leichter durch (Abbildung 2). Aber ein Faulpelz war keiner von uns. Wir mussten den golfplatzgroßen Rasen mähen und die Einfahrt von der Länge einer Landebahn harken. In den Sommern machten wir alle möglichen Jobs; wir mähten den Rasen bei anderen Leuten oder halfen bei Umzügen. Unser Vater erwartete, dass wir gute Noten nach Hause bringen, und ermutigte uns, Eishockey und Football zu spielen, damit wir Wettkampfgeist entwickeln, was in meinem Fall mit Sicherheit funktioniert hat. Wir konnten Krawatten binden, bei den Cocktailpartys unserer Mutter »Ma’am« und »Sir« sagen und Unsinn so diskret machen, dass unser Vater nichts davon mitbekam. Wenn er es doch einmal tat, dann war die Hölle los.
Als es Zeit für die Highschool wurde, bekniete ich meinen Vater, auf eine Privatschule gehen zu dürfen. Das war keine Harry-Potter-Idee (die Bücher gab es damals noch gar nicht) – ich dachte einfach, es wäre eine coole Sache. Die medizinische Kompetenz meines Vaters war sehr gefragt, also wusste ich, dass die Schulgebühren ihn nicht in finanzielle Nöte bringen würden. Er seufzte und stimmte zu, und ich machte mich auf zur Thayer Academy, wo ich Jackett und Krawatte trug und jeden Montag zur Messe ging. Ich hatte ordentliche Noten, schlug beim Eishockey und Football Köpfe ein, feierte am Wochenende mit den Mädchen und trank jede Menge Bier mit meinem engen Freundeskreis.
Inzwischen dürften Sie verstanden haben, dass ich schon immer auf Abenteuer und Unabhängigkeit aus war, trotz der sorgfältigen Einflussnahme meiner Eltern. Für mich war nichts genug. Mit 18 Jahren war ich ein begeisterter Sportschütze und hatte mir schon einen eigenen Colt Kaliber 45 gekauft, den gleichen, den Onkel Don im Gürtel stecken hatte. Ich sprang mit dem Fallschirm aus Flugzeugen in New York und schleppte meine jammernden Freunde auf dreitägige Touren in die Berge von Vermont, wo wir zelteten, angelten, jagten und überlegten, welche Mädchen wir als nächstes daten wollten. Normale, spaßige Unternehmungen wie bei Tom Sawyer und Huckleberry Finn eben.
Gleichzeitig aber dachte ich ernsthaft an meine Zukunft. Mein ältester Bruder Dave studierte Medizin, Doug wollte Rechtsanwalt werden. Und ich? Nun, ich entschied mich, eine Militärlaufbahn einzuschlagen, und zwar nicht als irgendein Depp mit Knarre. Ich wollte Kampfpilot werden und als »Sonnengott im Overall« um die Welt jagen. Also schrieb ich Bewerbungen für Militärakademien, und bei einer hervorragenden wurde ich angenommen.
Die Norwich Academy in Northfield im Bundesstaat Vermont ist die älteste private Militärakademie der USA. Sie liegt inmitten eines üppigen Tals, umgeben von Bergen. Die Gebäude sind aus massivem Backstein und Granit, mit einer hübschen weißen Kapelle als Zentrum und reichlich dichten Wäldern und Flüssen, in denen man Soldat spielen kann. In Norwich sind alle Teilstreitkräfte des US-Militärs vertreten; ich kam als Teilnehmer eines Ausbildungsprogramms zum Reserveoffizier der Air Force dorthin. Das komplette erste Jahr über aber war ich nichts als ein »Rook«, was bedeutet, dass man auf Bewährung dabei ist, bis der eigene Berater (ein echter Militäroffizier) der Meinung ist, dass man sich den Titel »Kadett« verdient hat.
»Rook! Die Sonne ist schon vor einer vollen Minute aufgestanden. Was zum Teufel ist los mit Ihnen?!«
»Rook! Diese Stiefel müssen glänzen wie ein Spiegel. Wenn ich sie nicht zum Rasieren benutzen kann, können Sie auch nicht damit kämpfen!«
»Rook! Was zum Teufel schauen Sie? Holen Sie Ihr Gepäck und Ihre Waffe und seien Sie in 30 Sekunden wieder hier. Wir machen einen Spaziergang.«
Fast unnötig zu sagen: Diese »Spaziergänge« führten oft durch knietiefen Schnee – und niemand sagte uns vorher, wie lang sie sein würden, aber weniger als zehn Meilen waren es selten. Wir lernten, wie wir unsere Uniform zu tragen hatten, die für den Kampf ebenso wie die für festliche Anlässe. Wir lernten zu schießen, Stellungen zu wechseln und uns auf dem Feld zu bewegen, unsere Wohnquartiere makellos sauber zu halten und bereit zu sein, Vorschriften runterzurasseln wie Roboter auf Speed. Die Liegestütze, Sit-ups und Läufe schienen kein Ende zu nehmen, aber das störte mich nicht besonders. Als ehemaliger Highschool-Sportler konnte ich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag trainieren, der, klar, nie kam.
Der Unterricht war anspruchsvoll. Es standen ein paar militärische Themen auf dem Lehrplan, aber meistens der übliche Stoff in Mathematik, Englisch, Geschichte und Fremdsprachen. Alles, was man dafür tun musste, war intensiv lernen. Allerdings gab es einen Haken an der Sache, eine Art Zwickmühle: Man konnte sich nicht auf die Bücher stürzen, bevor man nicht alle seine soldatischen Pflichten erledigt hatte, und man konnte sich nicht auf seine Gürtel und Gewehre konzentrieren, wenn man im Unterricht nicht mitkam. Also zog sich jeder Tag bis nach Mitternacht hin und fünf Stunden später mussten wir wieder aufstehen, und zwar ohne Herumgezicke. »Ab auf den Paradeplatz! Ab an die Bücher!«
Nun, nach dem Ende dieses ersten Jahres hatte ich es zum Kadetten gebracht. Und dann ging es mit der Arbeit erst richtig los. Als Hauptfach wählte ich Wirtschaft, aber wissen Sie was? Kaum hatte der Unterricht begonnen, langweilte ich mich. Er war zwar ganz interessant und ich lernte gern Neues über Finanzen, Statistik, die Börse und so weiter. Aber solange es keinen Spaß machte, war das nur Theorie, und Spaß bedeutete für mich schon immer Risiko.
»Hey Beeker«, sagte ich eines Abends zu meinem Zimmergenossen Dave Burke, als wir in unserer Unterkunft für eine Prüfung büffelten. »Lass uns ein Geschäft starten.«
»Wie meinst du das, ein Geschäft?«
Ich richtete mich im Bett auf. Wir hatten ein Zimmer mit einer ordentlichen Größe und einem Wohnbereich, der allerdings so trostlos war wie ein Zollhäuschen auf dem Highway.
»Diese Akademie ist wie ein Kloster, oder? Es gibt nichts zu tun, wenn man ein bisschen frei hat. Mann, bei all diesem beschissenen Schnee kann man nicht mal in die Stadt gehen, um sich einen Film anzuschauen!«
»Okay, woran denkst du, Birkenfeld? Eine Strip-Bar?«
Ich grinste und hob einen Finger. »Einen Filmverleih.«
»Du bist verrückt.«
»Ich meine das ernst! Jeder Zweite hier hat einen Fernseher, aber die Hälfte der Zeit kommt nur der Wetterbericht oder Mork vom Ork. Überleg mal, wenn wir ein paar Videorekorder und einen Stapel Filme hätten …«
Jetzt setzte sich auch Beeker im Bett auf. »Aber kriegen wir dafür keinen Ärger? Was ist mit den Vorschriften?«
»Habe ich schon gecheckt«, grinste ich. »Es ist nicht verboten, Geld auf dem Campus zu verdienen.«
»Du bist ein gerissener Hund.«
»Ich weiß.«
Am Wochenende legten wir unser Geld zusammen, fuhren nach Boston und kamen mit vier Videorekordern, 30 Videokassetten, sechs Filmplakaten und einem Farbfernseher zurück. Dann maßen wir unseren Wohnbereich aus, fuhren nach Northfield und kauften dort Holzvertäfelungen, Kabel, Teppichboden und drei gemütliche Clubsessel (wir hatten überlegt: Kadetten ohne eigenen Fernseher könnten gegen Eintritt Filme in unserem »Kino« schauen). Es dauerte nicht lange, bis unser Zimmer aussah wie ein französisches Kino, und die Nachricht darüber verbreitete sich von unserer Baracke aus wie ein Lauffeuer.
Die Kameraden kamen in Scharen! Sie waren ganz begeistert davon, ein paar Dollar zu bezahlen, einen Videorekorder mitzunehmen und in ihrem Zimmer den neuesten Stallone-Film zu sehen. Manche von ihnen mieteten nur die Geräte, also ging ich davon aus, dass sie irgendwo einen Stapel Pornos versteckt hatten. Aber wenn sie dafür einen »Gig« bekamen (Army-Jargon für Anschiss), hatte ich damit nichts zu tun. Und wenn jemand nur einen Film leihen und ihn in unserem Kino anschauen wollte, boten wir natürlich auch Popcorn zu einem sehr vernünftigen Preis an.
Schon bald also konnten Dave und ich uns über das ultimative Ziel jedes Geschäfts freuen: einen Gewinn, mit dem wir unsere Bücher, extraschicke Militärausrüstung, Bier außer Haus und Wochenendausflüge nach Burlington bezahlten. Es lief alles wie geschmiert, bis eines Abends eine schwere Faust gegen unsere Tür hämmerte.
Scheiße! Colonel Carbone!
Daves Augen traten hervor wie eine Heuschrecke im Sommer, als ich die Tür öffnete und wir in Habtachtstellung gingen.
Carbone war ein regulärer Oberst der US Army und als Commandant of Cadets unser Berater. Seine Haare waren militärisch kurz, sein Koppelschloss glänzte wie pures Gold. Er trat in unser Zimmer und sagte nichts. Wir standen da wie versteinert, während seine Augen die Holzvertäfelung, die Poster, die ordentlichen Stapel mit Videorekordern und das Regal voller Filme musterten. Er schaute nach unten, wo seine mit Spucke polierten Stiefel unseren Hochflor-Teppich zerdrückten, und dann auf unsere dicken Ledersessel. Dann nickte er.
»Ich bin beeindruckt, meine Herren. Das ist deutlich hübscher als meine eigene Unterkunft.« So etwas Ähnliches wie ein Lächeln kam über seine Lippen. »Weitermachen.«