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Wolfgang Delseit / Ralf Drost, Erläuterungen und Dokumente. Patrick Süskind, »Das Parfum«, Stuttgart 2000, S. 48.
Alain Corbin, Pesthauch und Blütenduft, Berlin 1982, S. 35 ff.
Werner Frizen / Marilies Spancken, Patrick Süskind: »Das Parfum«, München 1998, S. 83.
Delseit/Drost (Anm. 1), S. 38.
Delseit/Drost (Anm. 1), S. 5.
Joachim Pfeiffer, »Vom Größenwahn zum Totalitarismus. Die Konstruktion des Genies in Patrick Süskinds Roman Das Parfum«, in: Größenphantasien, hrsg. von Johannes Cremerius, Würzburg 1999 (Freiburger literaturpsychologische Gespräche, 18), S 342–354.
Vgl. die modifizierte Übersicht bei Frizen/Spancken (Anm. 3), S. 25.
Umberto Eco, Nachschrift zum ›Namen der Rose‹, München/Wien 1984.
Hanns-Peter Reisner, Lektürehilfe. Patrick Süskind, »Das Parfum«, Stuttgart/Düsseldorf/Leipzig 2001, S. 115.
Zu diesem Komplex u. a.: Frizen/Spancken (Anm. 3), S. 18 ff.; Reisner (Anm. 9), S. 105 ff.
Elisabeth Becker, Das Parfum, Paderborn 2002, S. 88.
Reisner (Anm. 9), S. 111.
Reisner (Anm. 9), S. 106.
Reisner (Anm. 9), S. 108.
Frizen/Spancken (Anm. 3), S. 115.
Frizen/Spancken (Anm. 3), S. 109–112.
Judith Ryan, »Pastiche und Postmoderne. Patrick Süskinds Roman Das Parfum«, in: Spätmoderne und Postmoderne, hrsg. von Paul Michael Lützeler, Frankfurt a. M. 1991, S. 396–403.
Delseit/Drost (Anm. 1), S. 66–73.
Delseit/Drost (Anm. 1), S. 69 f.
Leslie A. Fiedler, »Das Zeitalter der neuen Literatur«, in: Christ und Welt, 13. 9. 1968, S. 9 f., und 20. 9. 1968, S. 14–16. Der grundlegende Aufsatz von Fiedler lautet: »Überquert die Grenze, schließt den Graben!« [1968], in: Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur, hrsg. von Uwe Wittstock, Leipzig 1994, S. 14–39.
Fiedler (Anm. 20), S. 9.
Jean-François Lyotard, »Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?«, in: Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart, hrsg. von Peter Engelmann, Stuttgart 1990, S. 48.
Volker Meid, Sachwörterbuch zur deutschen Literatur, Stuttgart 1999, S. 410.
In: Die Zeit, Nr. 17 vom 17. 4. 1987; hierzu sein Aufsatz »Postmoderne in der deutschen Literatur«, in: Roman oder Leben (Anm. 20), S. 198–210.
Patrick Süskind, Drei Geschichten und eine Betrachtung, Zürich 1995, S. 109–129, hier: S. 121 f., zuerst erschienen in: L’ 80. Zeitschrift für Literatur und Politik, H. 37, Köln 1986.
Patrick Süskind, »Der Zwang zur Tiefe«, in: Drei Geschichten und eine Betrachtung, Zürich 1995, S. 9–19; zuerst erschienen in: P. S., Das Buch der Niedertracht, München 1986.
Pfeiffer (Anm. 6).
Unveröffentlichter Brief von Patrick Süskind an Walter Falk vom 15. 1. 1988.
Unveröffentlichter Brief (Anm. 28).
Walter Falk, Vom Strukturalismus zum Potentialismus. Freiburg i. Br. / München 1976; W. F., Václav Havels Briefe aus dem Gefängnis, Taunusstein 1994; W. F., Wissen und Glauben um 2000. Zu einer weltbewegenden Problematik und ihrer Herkunft, aus dem Nachlass hrsg. von Harald Seubert, Paderborn [u. a.] 2003.
Hierbei wird das Diktum der Literatursoziologie, Dichtung von dem Gesellschaftlichen her zu erklären, umgekehrt.
Eine profunde Aufarbeitung der Rezeptionsgeschichte mit dem Abdruck zahlreicher Buchbesprechungen findet sich bei Delseit/Drost (Anm. 1), S. 74–92.
Hierzu: Frizen/Spancken (Anm. 3), S. 15–17.
Marcel Reich-Ranicki, »Des Mörders betörender Duft«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 3. 1985.
Joachim Kaiser, »Viel Flottheit und Phantasie«, in: Süddeutsche Zeitung, 28. 3. 1985.
Wolfram Knorr, »Aus Zwerg Nase wird ein Frankenstein der Düfte«, in: Die Weltwoche, 21. 3. 1985.
Irmtraud Gutschke, »Leichen auf dem Weg zum Liebesparfüm«, in: Neues Deutschland, 5./6. 9. 1987.
Jürgen P. Wallmann, »Der Duft des großen kleinen Genies«, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 14. 4. 1985.
Reich-Ranicki (Anm. 34).
Gutschke (Anm. 37).
Günther Grack, »Der Duft der Schönheit«, in: Der Tagesspiegel, 7. 4. 1985.
Niels Höpfner, »Grenouille – das Nasenmonster«, in: Die Presse, 6./7. 8. 1985.
Rudolf Krämer-Badoni, »Neuer Vampir für den Film?«, in: Die Welt, 16. 2. 1985.
Gerhard Stadelmaier, »Lebens-Riechlauf eines Duftmörders«, in: Die Zeit, 15. 3. 1985.
Beatrice von Matt, »Das Scheusal als Romanheld«, in: Neue Zürcher Zeitung, 15. 3. 1985.
Joachim Kaiser (Anm. 35).
Wolfram Schütte, »Parabel und Gedankenspiel«, in: Frankfurter Rundschau, Ostern 1985.
Schütte (Anm. 47).
Wallmann (Anm. 38).
Reich-Ranicki (Anm. 34).
Nur wenige Schriftsteller hatten mit einem Romanerstling einen so großen Erfolg wie Patrick Süskind mit Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders, einem Roman über Düfte und Morde. Bereits mit dem Vorabdruck des Romans in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ab Oktober 1984 sowie in der Schweizer Illustrierten Zeitung ab November 1984 zeichnete sich der Erfolg ab. Die Startauflage in Höhe von 10 000 Exemplaren war schon nach wenigen Monaten vergriffen, obwohl der Autor dem Diogenes Verlag geraten hatte, nur 5000 Exemplare zu drucken. Innerhalb weniger Jahre verkaufte Diogenes mehrere Millionen Exemplare, überdies wurden über dreißig Übersetzungen, auch in exotische Sprachen, vorgenommen. Von 1985 an stand Das Parfum über 316 Wochen ununterbrochen in den Bestsellerlisten.1 Wer den Roman nicht lesen möchte und das gesprochene Wort vorzieht, kann zu dem von Gert Westphal besprochenen Hörbuch greifen.
Worin liegt der Erzählerische DuftorgieReiz dieses Romans? Sicherlich darin, dass Süskind eine fantastische Geschichte so erzählt, dass ihm der Leser aufmerksam zu folgen vermag. Der Autor arrangiert erzählerisch eine einzigartige Duftorgie und vermittelt eine Fülle von kulturgeschichtlich interessanten Details aus dem Bereich der Parfumherstellung. Dabei verliert er sich nicht in der Beschreibung von Einzelheiten, es gelingt ihm vielmehr, durch Spannung einen Anreiz zum Weiterlesen zu schaffen.
Süskind führt seine Leser in die Welt von Paris und das Frankreich des 18. Jahrhunderts und lässt ihn am niederträchtigen Leben seiner gewissenlos handelnden Hauptfigur Jean-Baptiste Grenouille teilhaben. Grenouille nimmt seine Umwelt ausschließlich durch seinen Geruchssinn wahr und kreiert Verführung der Mitmenschen durch wunderbares Parfumzauberhafte Parfums, allerdings allein mit dem Ziel, seine Mitmenschen zu verführen. Er ist genial, weil er Gerüche so zusammenstellen kann, dass sie die Menschen berauschen: Er ist ein Parfumeur par excellence. Von hässlichem Äußeren, zeigt sich Grenouille als ein Kaltblütige Morde führen zum Lebenszielmoralisch verkommenes Individuum, das, um sein Lebensziel zu erreichen, vor kaltblütigen Morden nicht zurückschreckt. Am Ende veranlasst er durch seinen selbstkreierten genialen Geruch eine Gruppe von Menschen, allesamt gesellschaftlich Deklassierte, ihn aus Liebe aufzufressen. Kannibalismus als finale Lösung.
Die Handlung des Romans Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders spielt in den Jahren 1738 bis 1767 in Frankreich, in der Zeit der Zeitalter der AufklärungAufklärung. Sie umfasst die Entwicklungsgeschichte der Hauptfigur Jean-Baptiste Grenouille von seiner Geburt am 17. Juli 1738 bis zu seinem Tod am 29. Juni 1767. Das flüchtige Reich der Gerüche bildet ein zentrales Motiv; hierzu gehört sowohl der Wohlgeruch von Parfum als auch der unvorstellbare Gestank in den Städten. Dieser Gestank bildet den Rahmen der Handlung. So erblickt Grenouille das Licht der Welt »am allerstinkendsten Ort des gesamten Königreichs« (S. 7), auf dem »Friedhof der Unschuldigen«, der auch als Marktplatz genutzt wird, wo der widerliche Geruch von stinkenden Fischen den Geruch von Leichen überdeckt. Auf dem Cimetière des Innocents endet auch sein Leben, dort, wo der Leichengestank selbst die Totengräber vertreibt.
Abb. 1: Cimetière des Innocents in Paris, Ort der Geburt und des Todes Grenouilles (Zeichnung von Charles-Louis Bernier, 1786)
Am Anfang des Romans steht die Geburt und KindheitGeburt von Jean- Baptiste Grenouille. Seine ledige Mutter, eine Fischverkäuferin, hatte schon vorher an ihrem Stand Kinder zur Welt gebracht, diese aber sterben lassen. Nun nabelt sie Jean-Baptiste mit ihrem Fischmesser ab, bevor sie ohnmächtig zusammenbricht. Wenig später wird die Geburt entdeckt, die junge Frau, die ihren Sohn nicht am Leben lassen wollte, wird verhaftet und dann hingerichtet, während Jean-Baptiste in die Obhut von verschiedenen Ammen kommt. Wegen seiner unangenehmen äußeren Erscheinung – er ist klein, bucklig und hässlich – und wegen seiner GeruchslosigkeitGeruchlosigkeit wird er in den Familien Opfer aggressiven Verhaltens. Das Kind, das fast schmerzunempfindlich zu sein scheint, übersteht Unfälle, schwere Krankheiten und sogar Mordanschläge dank seiner Zähigkeit und Genügsamkeit, weshalb ihn der Erzähler als Zecke bezeichnet. Dieses Tier, ein Parasit, saugt das Blut aus anderen Lebewesen heraus und weiß lange Zeit ohne Nahrung auszukommen. Wegen seines zeckenartigen Verhaltens vermag es keine Nährmutter lange mit Grenouille auszuhalten. Schließlich gibt auch die Amme Jeanne Bussie den kleinen Jungen einem Pater namens Terrier zurück, der ebenfalls keine emotionale Nähe zu dem Kleinen zu entwickeln vermag. Dieser bezeichnet Jean Baptiste als ein »fremdes, kaltes Wesen«, als ein »feindseliges Animal« (S. 24), weil er den Eindruck gewonnen hat, das geruchlose Kind röche ihn schamlos ab. Gegen eine einjährige Vorauszahlung kommt Grenouille schließlich in die Obhut von Madame Gaillard, einer Frau, die zwei Dutzend Kinder in Pflege hat. Sie betreut die Kinder nicht aus humanitären Gründen, sondern sieht in der Kinderpflege eine rein geschäftliche Angelegenheit, um von dem Kostgeld ihre Rente zu sichern.
Jean-Baptiste Grenouille, der selbst über keinen Körpergeruch verfügt, nimmt seine Umwelt geruchlich wahr und sammelt ihre Gerüche in seinem Gedächtnis. Hierzu bekommt er Gelegenheit, nachdem Frau Gaillard den Achtjährigen an den Gerber Monsieur Schonungslose Arbeitsbedingungen beim Gerber GrimalGrimal verkauft. Grenouille übersteht bei ihm wegen der schonungslosen Arbeits- und Lebensbedingungen das erste Jahr der »mehr tierischen als menschlichen Existenz« (S. 42), besiegt auch die in der Regel tödlich verlaufende Gerberkrankheit, den Milzbrand, woraufhin Grimal den Jungen etwas fürsorglicher behandelt. Er hält Grenouille nun nicht mehr wie »irgendein Tier, sondern wie ein nützliches Haustier« (S. 43). Hierdurch in gewisser Weise privilegiert, hat Grenouille nun die Möglichkeit, sich in Paris umzusehen, um die Stadt mit seinem Geruchssinn olfaktorisch zu erfassen und die Düfte im Gedächtnis zu speichern.
Am 1. September 1753 findet für ihn das entscheidende Schlüsselerlebnis: erster MordSchlüsselerlebnis statt: Während sich die Bevölkerung am grandiosen Feuerwerk anlässlich des Jahrestags der Thronbesteigung Ludwigs XV. erfreut, lässt sich die Hauptfigur abseits des Getümmels vom Geruch leiten. Hilflos gegenüber einem faszinierenden Duft wird er ohne eigenen Willen zu einem dreizehnjährigen rothaarigen Mädchen geleitet, das Mirabellen putzt. Er will ihren Duft in sich aufnehmen, ihn in seinen Besitz bringen, weshalb er die Jungfrau erwürgt, um sich dann an dem Wohlgeruch ihres Körpers zu berauschen. Indem er sie von Kopf bis Fuß abriecht, sammelt er auch die letzten Reste ihres Duftes ein. Mit diesem Verbrechen eröffnet sich für Grenouille ein Weg, den er von nun an konsequent beschreitet: Die Neues LebenszielErmordung des Mädchens hat für ihn die Bedeutung einer neuen Geburt, denn jetzt kann er seine bisherige, als animalisch empfundene Existenz hinter sich lassen. Sein Ziel ist es, ein Erschaffer von Düften zu werden, wobei er sich das »Prinzip des Duftes« durch Verbrechen zu eigen macht. Jedoch bevor die Serie von Gewaltverbrechen erfolgt, muss Grenouille noch sein handwerkliches Können vervollständigen.
Bei dem Parfumeur Giuseppe Baldini, dessen Geschäft im Niedergang begriffen ist, bekommt er eine Anstellung beim Parfumeur BaldiniAnstellung, erlernt von dem Meister die notwendigen handwerklichen Techniken und produziert zahllose Duftkompositionen. Baldini steigt dank der genialen Kreationen Grenouilles, der wahre Sinfonien von Düften zustande bringt, bald zum bedeutendsten Parfumeur Frankreichs auf. Der Lehrling selbst gerät jedoch in eine tiefe, lebensbedrohliche Krise, da er sich methodisch nicht in der Lage sieht, einen in seiner Vorstellung entwickelten Duft auch herzustellen. Erst als Baldini dem womöglich im Sterben liegenden drei weitere Verfahren der Gewinnung von Düften aus Blüten nennt, die in der Stadt Grasse, im Süden Frankreichs, praktiziert wurden, gewinnt Grenouille im Verlauf weniger Tage seine Gesundheit wieder. Nach einer sechsjährigen gründlichen Ausbildung erhält er schließlich von Baldini einen Gesellenbrief, um nach Grasse aufbrechen zu können. Baldini aber, der sich dank des Besitzes von mehreren hundert Formeln am Anfang einer beruflichen Karriere sieht, wird Opfer einer Katastrophe: Sein Haus und sein gut beschützter Schatz verschwinden zusammen mit ihm und seiner Frau in den Fluten der Seine.
Auf seiner Wanderung nach Südfrankreich ist Grenouille der Geruch der Menschen zuwider, weshalb er deren Ausdünstungen meidet und in die größtmögliche Einsamkeit entflieht, auf den zweitausend Meter hohen In Isolation auf dem Vulkan Plomb du CantalVulkan Plomb du Cantal. In dieser vollkommenen Isolation verbringt er sieben Jahre in einer Höhle, ernährt sich von Moosen, Kleingetier und Wasser, durchlebt in seinem Inneren ungezählte orgiastische Duftkompositionen, um schließlich in eine innere Krise zu geraten, als ihm seine eigene Geruchlosigkeit bewusst wird. Er will nun der absoluten Weltentfremdung entfliehen und macht sich, in Lumpen gekleidet, auf den Weg in südliche Richtung. In der Zivilisation, in Montpellier, kommt der nunmehr fürchterlich aussehende Grenouille, dessen Haare bis an die Kniekehlen reichen, dessen Nägel wie Vogelkrallen aussehen, in Kontakt mit dem Marquis de la Taillade-EspinasseGrenouilles menschlicher Geruch198»Omnipotenter Gott des Duftes«