MACHAEL
GESTALTWANDLER
Roman
von Lilly Erin Baker
Serie: Jaguanten
Band: 1
Impressum:
Machael - Gestaltwandler 1
von Lilly Erin Baker
Deutsche Erstausgabe 05/2017
1. Auflage
Alle Rechte bei Lilly Erin Baker, Köln 2017
Coverdesign: Mai Loan Nguyen Duy & Eva Schmücker
Lektorat: Alexander Gerlach
Korrektorat: Bärbel Bäcker
Bild- und Textmaterial sind urheberrechtlich geschützt.
Reproduktion, Übersetzung, Weiterverarbeitung, auch auszugsweise, sowie der Wiederverkauf sind ohne die schriftliche Zustimmung der Autorin nicht gestattet.
Die Olmeken sind das Volk des Jaguars. Im tropischen Amerika galt der Jaguar als Schamane der Tierwelt und seelenverwandt mit dem Menschen. Er ist das mächtigste Raubtier, Mensch und Jaguar können sich ineinander verwandeln.
Peter Furst, Anthropologe des University Museum in Philadelphia
Antike Kulturen in Mittelamerika haben den Jaguar seit jeher verehrt, besonders die Völker der Maya, der Azteken und der Tolteken.
Beeinflusst wurden diese indigenen Hochkulturen vom uralten, geheimnisumwitterten Volk der Olmeken, welchem der Jaguar als Hüter uralten Wissens, als Heiler, als Krieger und als Symbol der Sonne in der Unterwelt galt.
In den mythischen Kunstwerken dieser versunkenen Kultur, die zur gleichen Zeit erblühte wie das neue Reich in Ägypten, wurde der Jaguar immer wieder bildlich dargestellt. Reliefs zeigen die Vereinigung von Jaguaren und Menschen, aus welcher Werjaguare hervorgingen. Andere Darstellungen zeigen den Jaguar als Symbol für kosmische und politische Macht oder als Schimäre, halb Mensch, halb Tier. Der olmekische Tempel der Jaguargötter in Teopantecuanitlàn ist die bedeutendste archäologische Fundstätte dieser Kultur.
Die heutige Geschichtsschreibung verbannt die Vereinigung von Mensch und Tier und die Verwandlung der Werjaguare in die Welt der Mythen und Märchen.
Doch für die Maya, Azteken und Tolteken waren die Werjaguare, die Jaguanten, Teil ihrer Gesellschaft. Die Cuanmiztli Oquichtin, die Jaguarkrieger der mittelamerikanischen Hochkulturen, waren eine Kaste von Kriegern, die sich durch Kraft, Schnelligkeit und die Fähigkeit zu heilen von gewöhnlichen Kämpfern unterschied.
Diese Kriegerkaste bestand aus einigen wenigen besonders begabten Kriegern und aus Jaguanten.
Schon bei den Olmeken hatten die Jaguanten durch ihre außerordentlichen Fähigkeiten eine Stellung an der Spitze des Volkes eingenommen und bildeten eine eigene Gemeinschaft innerhalb der olmekischen Gesellschaft. Eine Gemeinschaft, die bis in die Zeiten der Maya fortbestand. Sie war hierarchisch geprägt, militärisch organisiert und basierte auf absolutem Gehorsam.
Die Jaguanten konnten sich nach Belieben als Mensch oder Jaguar zeigen, doch selbst in ihrer Menschengestalt blieben sie dem normalen Volk fremd. Sie waren schneller, stärker, ausdauernder, ihre Sinne so scharf wie die einer Raubkatze und ihre Wunden heilten rascher. Sie galten zudem als außerordentlich schön, mit langen, welligen, goldenen Haaren und schräg stehenden Augen. Doch ihre Andersartigkeit brachte ihnen nicht nur Anerkennung, sondern auch Misstrauen und vor allem Neid, und so blieben sie zumeist unter sich.
Mit der Ankunft der Spanier in Mittelamerika kam auch für die Jaguanten eine neue Gefahr ins Land. Die wenigen Reisenden, die von der Erforschung Mittelamerikas an den spanischen und portugiesischen Hof zurückkehrten, berichteten von Ausgeburten der Hölle, von Mischwesen, halb Mensch, halb Tier.
Der Ordo templi ex jaguanti, ein Geheimbund der spanischen Conquistadores, diente dem alleinigen Zweck, diese Teufelsbrut auszulöschen. Sie sammelten alle Informationen über die Jaguanten, derer sie habhaft werden konnten und planten ihre völlige Ausrottung im Namen des Herrn. Wann immer sie ein Dorf oder eine Stadt einnahmen, machten sie zuallererst Jagd auf die Cuanmiztli Oquichtin. Erst wenn sie sicher waren, alle Jaguarkrieger getötet zu haben, unterjochten sie die Bevölkerung und plünderten die Goldschätze.
Doch die Jaguanten waren schlauer und vorsichtiger, als die Conquistadores, die in den göttlichen Wesen lediglich seelenlose Kampfmaschinen sahen, annahmen. Wann immer ein Kampf aussichtlos erschien, zogen sich die Jaguanten still zurück. Dennoch bezahlten viele die Verteidigung ihrer Städte und der Bevölkerung mit dem Leben. Dezimiert und in ihrer Existenz bedroht, verließen die Jaguanten die Welt der Menschen und führten fortan ein Leben im Verborgenen. Sie hielten nur zu wenigen, auserwählten Menschen Kontakt, welche einzig um ihre geheimen Rückzugsorte wussten. Doch die Lebensspanne von Menschen ist kurz und so versank das Wissen um die Existenz der Jaguanten bald im Dunkel der Geschichte.
In ihrer Abgeschiedenheit waren die Jaguanten aber nicht gänzlich allein. Auf allen Kontinenten der Welt hatten sich in grauer Vorzeit verschiedene Arten von Gestaltwandlern entwickelt. Neben Jaguanten auch andere Großkatzen, aber auch beispielsweise Werwölfe. Während die Jaguanten den Kontakt zu Werwölfen mieden, hielten sie mit den übrigen Großkatzen Kontakt. Immer wieder kam es auch zu romantischen Verbindungen zwischen Jaguanten und anderen Werkatzen. Im Laufe der Jahrhunderte bildeten sich in abgeschiedenen Tälern unter der Führung der Jaguanten kleine Gesellschaften von Werkatzen, alle verbunden durch die Notwendigkeit, ihre Existenz vor den Menschen geheim zu halten.
Diesen Gesellschaften standen Jaguantenfürsten vor, die den Rat der Ältesten, den Huehuetlatolli, bildeten. Dieser Rat regierte das Volk der Werkatzen in Friedenszeiten und stand dem König der Jaguanten, dem Ersten unter den Fürsten, in Kriegszeiten beratend zur Seite. Der König war das Oberhaupt des Volkes, oberster Richter und Kriegsherr. Seine Rolle war vornehmlich repräsentativ, denn Kriege waren selten, solange die Jaguanten es schafften, sich vor den Menschen zu verbergen.
Noch einmal, vor Jahrhunderten bereits, entschieden die Jaguanten, dass das selbstgewählte Exil nun vorbei sein müsse. Sie öffneten die Pforten ihrer Städte und suchten behutsam wieder Kontakt zu den Menschen. Doch immer wieder zeigte sich, dass die Menschen, auch über 200 Jahre nach den Gräueltaten der Conquistadores, noch nicht fähig waren, friedlich mit den Jaguanten zu koexistieren. Und wieder zogen sie sich in ihre abgeschotteten Täler zurück.
So verblasste das Wissen um die Jaguanten langsam im Dunkel der Jahrhunderte und wurde zu Mythos und Märchen.
Doch auch wenn wir sie nicht sehen, sind sie immer noch Teil der Welt, und zuweilen verlassen sie ihr selbstgewähltes Exil und mischen sich unter uns Menschen. Die besonders Sensiblen unter uns mögen die Anwesenheit von etwas Andersartigem, Gefährlichem spüren. Doch für die meisten Menschen sind die Jaguanten nur etwas eigenwillige Zeitgenossen, meist von ungewöhnlicher Schönheit und mit seltsam altmodischem Benehmen.
Inhalt
Prolog
(01) Machael
(02) Bethania
(03) nächtliche Ausschweifungen
(04) Nebula
(05) Heimweg
(06) Anziehung
(07) Ohnmacht
(08) Verwirrung
(09) Der Rat
(10) Verbundenheit
(11) Vertrautheit
(12) Trennungsängste
(13) Ein guter Freund
(14) Die Audienz
(15) Partner fürs Leben?
(16) Bethanias Abstammung
(17) Erinnerungen
(18) Im Wald
(19) Panik
(20) Marcus Samual ta Braun
(21) Meditation
(22) Liebesspiele
(23) Machaels Anker
(24) Die Höhle der Berglöwin
(25) Hoffnungsschimmer
(26) Verwandlungen
(27) Todeskampf
(28) Geständnisse
Epilog
Personenregister
Der Dschungel war dunkel und voller Geräusche. Leise pirschte sich der Jaguar an die kleine Lichtung, auf der die Cakchiquel-Krieger lagerten, heran. Die Schlafmatten waren kreisförmig um das große Feuer, das die wilden Tiere fernhalten sollte, ausgelegt. Doch dieses Raubtier ließ sich nicht durch Feuer vertreiben.
Die Krieger, die von einem Überfall auf ein Dorf der Quiché nach Hause zurückkehrten, hatten sich mit ihren Vorräten und ihrer Beute rings um das Feuer niedergelassen und waren völlig entspannt. Sie schienen beinahe arrogant in ihrer Sorglosigkeit nach ihrem Überraschungssieg. Keiner ihrer Feinde hatte den Überfall überlebt. Zwar waren einige Frauen und Kinder in den Dschungel geflohen, doch sie würden es niemals nach Quiché-Stadt schaffen, um dort von den Gräueltaten zu berichten. Dazu war der nächtliche Dschungel viel zu gefährlich.
Die Cakchiquel konnten ja nicht ahnen, dass ein Jaguarkrieger der Quiché in der Nähe gewesen war. Minuten nachdem sie das Dorf in Brand gesteckt hatten, traf er auf die wenigen Überlebenden seines Stammes. Erhitzt von der nächtlichen Jagd, folgte er dem Blutgeruch der Verwundeten und stieß auf das Häuflein Frauen und Kinder. Er hieß sie, an Ort und Stelle auf seine Rückkehr zu warten. Am Dorfrand nahm er dann die Witterung seiner Feinde auf. Blut und Schweiß wiesen ihm den Weg. Er brauchte kein Licht. Seine Ohren nahmen jedes Geräusch auf, und seine Augen, im Licht der Sterne und des Mondes wie Spiegel glänzend, waren gewöhnt an die Jagd im Dunkeln. Sein Schwanz peitschte aufgeregt auf den Boden, als er das Lager der Cakchiquel erreichte.
Der Jaguar duckte sich noch tiefer in die Deckung der Sträucher. Trotz seiner beeindruckenden Größe verursachte er nicht das geringste Geräusch. Er schlich sich an den Wachen, die um das Lager herum verteilt waren, vorbei, legte sich zwischen ihnen und dem Lager auf die Lauer, erstarrte zu einer Statue und beobachtete. Nur seine Ohren zuckten hin und wieder und verrieten, dass er lebendig war. Der Jaguar wartete. Auch das gehörte zur Jagd, das Warten, bis der richtige Augenblick zum Angriff kam.
Am Rande des Lagers entdeckte er einige junge Mädchen, gefesselt an einen Baumriesen. Wut stieg in ihm hoch. Darum waren sie also gekommen. Um Mädchen zu rauben. Die Krieger bewunderten ihre Beute und prahlten vor den Gefangenen mit ihrer Brutalität. Doch der Hauptmann befahl seinen Kriegern, sich hinzulegen. Endlich wurde es merklich stiller im Lager, und bald waren auch die letzten Krieger eingeschlafen. Selbst die Wachen dösten, im Halbschlaf an die Bäume des Dschungels gelehnt.
Der Jaguar begann sein blutiges Werk. Er sprang die Wachen aus dem Dunkeln an und verbiss sich in ihren Kehlen, packte sie mit seinen Reißzähnen und drückte ihnen die Luft ab, bevor sie auch nur einen Laut von sich geben konnten. Sieben Wachen fielen lautlos. Doch die achte und letzte schreckte auf, bevor der Jaguar zum Sprung ansetzte. Ein Schrei löste sich, dann trieb das Raubtier seine mächtigen Eckzähne in den Hals der Wache, und seine langen, scharfen Krallen bohrten sich in den Brustharnisch, zerrissen Leder, Haut und Muskeln.
Im Lager brach die Hölle los. Der Schrei hatte die erfahrenen Krieger aus dem Schlaf gerissen. Sofort waren sie kampfbereit. Doch einer nach dem anderen wurde von einer beinahe unsichtbaren Macht in Stücke gerissen.
„Cuanmiztli Oquichtin“, flüsterten sie, immer eindringlicher. „Jaguarkrieger.“
Die Männer rückten zusammen und bildeten, Schulter an Schulter, einen Kreis, das Feuer in ihrem Rücken. Bereits die Hälfte der Krieger war gefallen. Blutüberströmt, mit herausgerissenen Kehlen und zerfetzten Herzen, lagen sie in der Dunkelheit, Opfer einer übernatürlichen Macht. Weder Tier noch Mensch. Der Hauptmann brüllte Befehle, die Krieger rückten noch enger zusammen. Minuten, die wie Ewigkeiten erschienen, vergingen.
Dann endlich trat ein großer Mann aus dem Dschungel auf die Lichtung. Nackt und mit dem Blut der Cakchiquel bedeckt. Er stellte sich aufrecht vor die überlebenden Krieger. Seine Augen standen schräg, die Pupillen waren riesig. Die Haare, golden und gewellt, flossen über seinen Rücken. Sein Körper strotzte vor Kraft, Muskeln spielten geschmeidig unter seiner haarlosen Haut. Trotz seiner Kraft bewegte er sich leichtfüßig und elegant, seine Schritte waren geräuschlos. Eine Aura der Macht umgab ihn.
„Ihr wisst, was ich bin.“ In seiner Stimme schwang Autorität und Unnachgiebigkeit. „Seid euch sicher, ich werde jeden einzelnen von euch töten, wenn ihr mir nicht die Mädchen übergebt und Wiedergutmachung an dem Dorf, das ihr heute zerstört habt, leistet. Geht auf meine Bedingungen ein und lebt. Lehnt ab und sterbt. Wie ist eure Antwort?“
Der Hauptmann senkte den Kopf und beugte sein Knie. „Ich akzeptiere, Cuanmiztli Oquichtin.“
„Ich nehme jetzt die Mädchen. In zehn Tagen bin ich zurück im Dorf. Bis dahin sind die Bedingungen eurer Kapitulation erfüllt.“
„Wir werden das Dorf wieder aufbauen, Herr, und die Bewohner mit Gold entschädigen, wie Ihr es verlangt.“
Der Jaguarkrieger befreite die Mädchen von ihren Fesseln. Die Cakchiquel beobachteten ihn zitternd vor Angst, ließen nur langsam ihre Waffen sinken. Bewunderung stahl sich in ihre Augen, Bewunderung für die Macht des Jaguarkriegers, obwohl sie nur knapp dem Tod durch ihn entronnen waren.
Er war ein wahrhaft göttliches Wesen. Ein Mensch, doch nicht ganz. Ein tödliches Raubtier, doch nicht nur. Und ein Gegner, den man besser nicht zum Feind hatte.
Als Machael den Raum betrat, spürte er, wie die anwesenden Frauen sich unbewusst aufrichteten. Sie zogen den Bauch ein und drückten den Rücken durch, ihr Lachen wurde lebendiger, und sie schienen aus dem Inneren heraus zu glühen.
Machael war nicht sein vollständiger Name. In seiner Heimat wurde er Machael Tiberius de Jagranta genannt, aber dieser Name klang für die Ohren der Bewohner von Wellington zu fremdartig, zu geheimnisvoll und hätte ihm garantiert noch mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Damenwelt beschert. Das wollte er gerne vermeiden.
Er war auf der Party auch nur erschienen, weil sein Boss, Markus, ihn praktisch dazu gezwungen hatte. Er glaubte wohl, ihn besser in die Gesellschaft integrieren zu müssen. Außerdem wollte er ihm heute Abend seine Nichte, die vor kurzem mit dem Architekturstudium fertig geworden war, vorstellen. Auch daran hatte Machael wenig Interesse. Er hatte genug zu tun, da musste er sich nicht auch noch mit einer verwöhnten Zwanzigjährigen rumschlagen.
Machael versuchte, sich nicht so zu bewegen, wie es ihm eigentlich zu Eigen war. Seine kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen hätten ihn nur noch auffälliger gemacht. Es fiel ihm schwer, die lauten, polternden Schritte der Menschen nachzuahmen und seine eigene pure, animalische Kraft zu unterdrücken. Seinen Geist, der träge wie ein vollgefressenes Raubtier vor sich hin dämmerte, schickte er dennoch aus, sich umzusehen. Das bemerkten die Menschen um ihn herum sowieso nicht. Ihre geistigen Fühler waren seit langer Zeit verkümmert.
Missmutig seufzte Machael. Die Ältesten hatten ihm noch immer nicht offenbart, warum sie ihn ausgerechnet an diesen Ort, nach Wellington, geschickt hatten. Gelangweilt zupfte er mit seinem Geist an den Gedanken der Menschen im Raum.
Die Männer waren mehrheitlich nicht an ihm interessiert. Ihre Instinkte hätten sie vor Machael warnen müssen, doch genau wie ihre geistigen Fühler waren auch diese mit der Zeit verkümmert. Die Frauen schienen die Schwingungen einer Raubkatze unbewusst zu spüren. Doch sie ahnten nicht, dass diese Schwingungen von dem verschlossenen Mann in der Ecke an der Verandatür ausgingen.
Unwillkürlich schüttelte Machael den Kopf und senkte seinen Blick, um die Verachtung, die er diesen Menschen entgegenbrachte, zu verbergen. Sie waren degeneriert und bequem. Was sie an instinktiver Wahrnehmung einmal besessen hatten, war ihnen in den Jahren, die sie mit den Annehmlichkeiten der Zivilisation verbracht hatten, abhandengekommen. Trotzdem wurden die Frauen von ihm angezogen, wie Motten vom Licht. Und das, obwohl er nach ihren Maßstäben eigentlich nicht im klassischen Sinn attraktiv war.
Sein markantes Kinn mit dem Schatten des Bartes gab ihm eine wilde, männliche Ausstrahlung, die Frauen ungemein anziehend fanden.
Und er hatte einen sehr muskulösen, athletischen Körper. Die Bewegungen seiner Muskeln, die unter seinem maßgeschneiderten Anzug zu erahnen waren, waren so geschmeidig und raubtierhaft, wie es seiner Abstammung entsprach. Seine Augen lagen etwas zu weit auseinander und standen leicht schräg, aber der katzenhafte Blick konnte sehr hypnotisch sein.
Das Muskelspiel am Hals ließ erahnen, welche mühsam gebändigte Kraft in Machael wohnte und doch konnte er sich absolut lautlos bewegen, wenn er es wollte.
Sein volles, rotgoldenes Haar fiel ihm in langen Wellen bis knapp über die Schultern.
Bei der Arbeit trug er es oft zurückgebunden, damit es ihm nicht immer ins Gesicht fiel. Dadurch wurde die markante Kinnlinie noch deutlicher betont.
Seine Haut war etwas dunkler als die der Menschen auf der Party, aber nicht so dunkel, wie die seiner Gefährten in der Heimat. Vielleicht war das der Grund, warum er für diesen Auftrag ausgesucht worden war. Und doch verstand er nicht, was überhaupt einer von ihnen hier sollte. Er musste seine Wut über diesen Auftrag, der in seinen Augen sinnlos war, mühsam unterdrücken.
Es lebten nur Menschen hier, und die meisten weckten nicht den Hauch eines Interesses bei ihm. Sein Chef, Markus, war ein attraktiveres und kraftvolleres Exemplar als die meisten. Trotzdem könnte Machael ihn im Zweifelsfall leicht überwältigen.
Er nippte an seinem Wein. Sein Geist war auf der Pirsch, er spürte aber keine Erwiderung, keine Verbundenheit, wie er es aus seiner Heimat kannte. Er war einsam. Dennoch hatte er kein Verlangen, sich mit den Frauen auf der Party einzulassen. Sie waren ihm zu steif, zu geistlos, zu schwach. Außerdem wimmelte es hier von Geschäftspartnern und Menschen der gehobenen Gesellschaft.
Wenn er auf Sex aus war, zog er mit Jim, seinem Freund und Beschützer, auf nächtlichen Beutezügen durch die Clubs. Dort konnte er hinterher einfach verschwinden. Doch die flüchtigen Begegnungen, die diesen Streifzügen entsprangen, befriedigten Machael immer nur für eine kurze Zeit. Auch durften die Menschen unter keinen Umständen von seiner wirklichen Herkunft erfahren, so dass ihm eine längere Affäre sowieso versagt war.
Mittlerweile stand er eine gute Stunde in seiner Ecke, wehrte tapfer alle Annäherungsversuche der Frauen ab und trank schweigend seinen Wein. Wenigstens darauf verstanden sich die Menschen. Ihr Wein war köstlich. Deutlich besser als der in seiner Heimat. Vollmundig und schwer vom Alkohol, samtig auf der Zunge. Ein wohliges, warmes Gefühl breitete sich langsam in Machaels Magengegend aus.
Doch mit einem Mal fühlte er sich unbehaglich. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf seinen Unterarmen. Er sollte aufhören zu trinken und sich auf den Heimweg machen. Die Zeit, die er hier aus purem Anstand seinem Chef gegenüber, ausharren musste, war fast abgelaufen.
Gerade als er sich davon schleichen wollte, kam Markus auf ihn zu. Im Schlepptau eine junge Frau, die sich dicht hinter ihm durch die Menge drängte.
Zu spät hatte Machael reagiert, und nun sah er keine Möglichkeit mehr, sich unauffällig in Luft aufzulösen. Also seufzte er ungeduldig und wütend auf sich selbst und wartete, bis Markus ihn erreicht hatte.
„Machael, ich möchte dir jemanden vorstellen“, eröffnete sein Boss das Gespräch, bevor Machael reagieren konnte. „Das ist Bethania. Sie wird am Montag ihre neue Stelle als Assistentin der Bauleitung bei uns antreten. Ich möchte, dass du sie in alles einweist und mit ihr zu den Baustellen hinausfährst, um sie den Bauleitern vorzustellen.“
Machael krümmte sich innerlich und konnte ein genervtes Seufzen nicht ganz unterdrücken. Seine Arbeit in Markus‘ Firma als geschäftsführender Architekt war zwar einträglich und eröffnete ihm viele Wege, die ihm sonst verschlossen geblieben wären, aber eigentlich wollte er gar nicht hier sein. Er konnte auch nichts entwerfen, was wirklich seiner Natur entsprach. Seine Auftraggeber waren Menschen, und sie verlangten Häuser, die ganz auf ihre beschränkten Bedürfnisse zugeschnitten waren. Und jetzt sollte er auch noch Babysitter für die Neue spielen.
Markus Stimme wurde eine Spur schärfer. „Bethania gehört zur Familie. Sie ist die Tochter eines alten Freundes, und ich kenne sie schon ihr Leben lang. Sie ist mein Mündel, mein Augapfel, also gib gut auf sie Acht.“
Ungläubig verzog Machael das Gesicht, sagte aber nichts.
Bethania hatte sich derweil zu einem Pärchen zu seiner Rechten gedreht und unterhielt sich angeregt. Sie war halb von Markus verdeckt und wandte Machael den Rücken zu. Dieser steckte, das zumindest musste er zugeben, äußerst attraktiv in einem rückenfreien, schwarzen Etuikleid. Bethanias Schultern waren schmal, ihre Wirbelsäule zeichnete sich durch die blasse, zarte Haut ab. Für eine Menschenfrau war sie, wenigstens von hinten, sehr ansehnlich.
Irgendetwas irritierte Machael allerdings. Seine Nackenhaare sträubten sich plötzlich, und er fühlte sich noch unwohler. Zuerst führte er dies auf Bethania zurück und auf die unangenehme Situation, in die sein Chef ihn hier brachte. Doch konnte er das Gefühl der Gefahr nicht ganz einordnen.
Markus schien Machaels Unbehagen nicht zu bemerken. Er ergriff Bethanias Hand und zog sie heran. „Bethania, Liebes. Das ist Machael. Er wird dich ab Montag in alles einführen.“
Machael erstarrte, als sich die junge Frau, kaum mehr als ein Mädchen, zu ihnen umdrehte.
„Onkel!“, erwiderte Bethania empört. „Du weißt doch, dass ich keine Sonderbehandlung will.“
Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit dieser Frau. Sie war sehr attraktiv. Noch mehr jetzt, da er sie von vorne sah. Ihr Gesicht war ebenmäßig, ihre Haut so fein und zart wie Seide. Die Iris ihrer großen, rauchgrauen Augen war rot gesprenkelt. Ihr Haar hatte fast den gleichen goldenen Schimmer wie sein eigenes und war durchzogen von tiefschwarz glänzenden Strähnen. Es fiel in Wellen von ihren Schultern herab und umrahmte ihr köstliches Gesicht mit einem Meer aus Gold. Doch gegen diese Reize sollte Machael eigentlich immun sein. Dies war eine Menschenfrau, fast plump im Vergleich zu der Eleganz und Sinnlichkeit der Frauen seines eigenen Volkes. Und doch erschütterte ihn diese hier auf eine Art und Weise, die er nicht begriff. Sie war anmutig, schön und irritierend.
Bethania musterte Machael herablassend. „Und so einen Babysitter brauche ich bestimmt nicht.“
Das vage Gefühl der Bedrohung wurde stärker. Machael versuchte, es genauer zu lokalisieren. Doch er konnte es nicht richtig eingrenzen. Entsprang es einer Quelle hinter Bethania? Oder ging es doch von ihr aus?
Unauffällig schaute Machael an ihr vorbei. Einige Schritte entfernt standen drei Männer, die Köpfe zu einer geflüsterten Unterhaltung zusammen gesteckt. Selbst Machael konnte nicht verstehen, worüber sie redeten. Wütend über sich und seine überreizten Sinne schüttelte er den Kopf. Die einzigen Menschen, die ihm gefährlich werden konnten, existierten seit Jahrhunderten nicht mehr. Mühsam erlangte er wieder die Kontrolle über sich und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Bethania.
Diese sah mit leicht schräg gestelltem Kopf zu ihm auf.
Bethania sah zu dem hochgewachsenen Mann auf, der vor ihr stand. Im Gegensatz zu den meisten Männern schien er immun gegen die Wirkung ihrer Augen zu sein. Beinahe hatte sie das Gefühl, er schaue an ihr vorbei. Er wirkte aus irgendeinem Grund wütend und, zu ihrer Verwunderung, leicht verunsichert. Sicher war auch er nicht gerade begeistert von dem Arrangement, das Onkel Markus ihnen aufzuzwingen versuchte. Immerhin galt er, Machael, als der kommende Star am Architekturhimmel. Zudem hatte er den Ruf, arrogant und eigenbrötlerisch zu sein. Allerdings kannten die Leute, von denen Bethania diese Gerüchte aufgeschnappt hatte, Machael nicht persönlich und arbeiteten auch nicht direkt mit ihm zusammen.
Peinliche Stille breitete sich aus. Bethania würde diese ganz sicher nicht brechen.
„Ich sehe schon“, sagte Markus augenzwinkernd, „dass ihr beide nicht viel von dieser Vereinbarung haltet. Aber ich will, dass du, Bethania, schnell und effizient eingearbeitet wirst. Dafür ist Machael genau der richtige Mann. Er kennt alle Projekte, die Auftraggeber. Die Bauleiter schätzen ihn. Also seid brave Mitarbeiter und gebt euch die Hand.“
Er nahm ihrer beider Hände und legte sie sanft ineinander. Zögernd schloss Machael seine Finger um ihre Hand. Widerwillig erwiderte Bethania die Geste und bemerkte erstaunt, wie ihre eigene schmale Hand in Machaels großer, kräftiger Pranke verschwand. Dann schaute sie ihm ins Gesicht und hatte für den Bruchteil eines Augenblicks das Gefühl, ihm stünden die Haare zu Berge. Und zuckten nicht auch seine Ohren?
Sie wandte sich flüsternd an ihren Onkel. „Muss das wirklich sein? Der absonderlichste Schönling der Firma?“ Und dabei hielt immer noch seine riesige Hand ihre kleinen Finger fest umschlossen.
„Bethania“, Markus warf einen kurzen Seitenblick auf Machael, der nun einen Schritt zurückgetreten war, und blickte dann Bethania beschwörend in die Augen. „Dieser Schönling ist einer der besten Architekten des Landes. Er kennt meine Firma fast so gut wie ich selbst, und seine Mitarbeiter respektieren ihn. Mit ihm an deiner Seite wirst du die Abläufe in der Firma besser verstehen und leichteren Zugang zu den Männern bekommen. Liebes, du tauchst hier in eine Männerdomäne ein. Und wenn du eines Tages die Firma übernehmen und auch führen willst, solltest du jede Hilfe in Anspruch nehmen, die sich dir bietet.“
„Aber warum ausgerechnet …“
„Bethania“, mischte sich Machael wieder in das Gespräch ein. „Wir werden uns schon vertragen. Immerhin sind wir beide Profis.“
Hatte er etwa die Worte, die Bethania an ihren Onkel gerichtet hatte, gehört? Sie musterte ihn abschätzend. Für einen Moment schienen seine Augen golden zu funkeln. Unmöglich, das musste sie sich eingebildet haben. Und warum machte er jetzt auf Schönwetter, wo er doch offensichtlich genauso genervt war wie sie selbst? Vermutlich um ihrem Onkel in den Arsch zu kriechen, beschloss Bethania. Aber sie würde schon Wege finden, diesem Idioten so oft wie möglich aus dem Weg zu gehen. Sie verstand wirklich nicht, was Markus an ihm fand. Egal, wie überragend sein Ruf als Architekt auch sein mochte.
„Natürlich werden wir uns vertragen“, sagte sie zuckersüß. Wenn er sich verstellen konnte, dann war das für sie ein Kinderspiel, dachte Bethania und schenkte ihm ein strahlendes, falsches Lächeln. „Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet. Ich habe dort hinten Freunde entdeckt, die ich begrüßen möchte.“
Ohne die beiden Männer eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um und stolzierte durch die Menschenmenge. Sie hatte sich kaum zur Hälfte durch den überfüllten Raum gekämpft, als sich plötzlich eine Hand um ihren Arm legte.
„Ich bringe Sie durch dieses Gewühl“, raunte Machael ihr zu. „Hier ist es viel zu voll.“
„Ich kann wirklich sehr gut alleine gehen“, entgegnete Bethania spitz.
Sie versuchte Machaels Pranke abzuschütteln, doch das hatte lediglich zur Folge, dass sich die Hand noch fester um ihren Ellenbogen schloss. Zu allem Überfluss bemerkte sie auch noch, dass ihr die Partygäste nun tatsächlich bereitwilliger Platz zu machen schienen.
„Ich bringe Sie raus“, sagte Machael. „Das mit den Freunden war doch eine Ausrede. Sie wollen bloß …“
„Was bilden Sie sich …“
„… hier weg.“ Dieser unverschämte Kerl ignorierte ihren Protest einfach. „Ich begleite Sie vor die Tür, da können Sie frische Luft schnappen, und wir unterhalten uns kurz.“
„In Ordnung.“ Bethania fügte sich.
Sie wollte jetzt nur noch den warmen, überfüllten Raum verlassen. Seltsam. Dieses Bedürfnis hatte sie eben noch nicht gehabt. Auch wenn Machael die Lüge mit ihren vorgeblichen Freunden durchschaut hatte. Und eigentlich liebte sie diese Partys doch. Je mehr Menschen um sie herum waren, desto freier und lebendiger fühlte sie sich.
Machael führte sie in die Eingangshalle der imposanten Villa. Dort steuerte er nicht die Vordertür an, sondern bog in die Richtung der Bibliothek ab.
„Neben der Bibliothek“, begann er, „gibt es eine kleine, überdachte …“
„… Veranda“, vollendete Bethania den Satz mit neu entfachter Widerspenstigkeit. „Was glauben Sie eigentlich, wen Sie da am Arm spazieren führen? Ich bin hier aufgewachsen, während Sie meinem Onkel erst vor Kurzem zugelaufen sind wie ein heimatloser Köter.“
Machaels Stimme senkte sich zu einem bedrohlich zischenden Flüstern. „Nennen Sie mich nie wieder Köter.“
„Ist lausiger Architekt dann besser?“
Spürbar genervt, und ohne den Griff um ihren Arm zu lockern, zog Machael Bethania in die Bibliothek und durch die offenstehende Tür auf die kleine Veranda. Als er die Verandatür hinter ihnen schließen wollte, gab er plötzlich ihren Arm frei und taumelte einen Schritt zurück. Beinahe als hätte er sich an ihr verbrannt.
„Zu tief ins Glas geschaut?“ fragte Bethania sarkastisch.
Verwirrt schüttelte Machael den Kopf, fasste sich aber schnell wieder. „Nein, alles in Ordnung. Hören Sie. Ich finde die Aufgabe, die Ihr Oheim …“
„Onkel!“
„Gut … die ihr Onkel mir aufgetragen hat, auch nicht gerade erhebend. Ich bin leitender Architekt des größten Bauunternehmens des Staates. Und jetzt soll ich Babysitter für eine Assistentin spielen.“
„Passen Sie gut auf, was Sie sagen“, erwiderte Bethania und fixierte Machael selbstbewusst. „Diese Assistentin wird eines Tages Ihre Chefin sein.“
Machael ließ sich nicht beirren. „Was ich vorschlagen will, ist Folgendes: Wir sollten versuchen, das Beste aus diesem Arrangement zu machen, und die Einarbeitung so schnell und reibungslos wie möglich hinter uns bringen.“ „Das hört sich vernünftig an. Ich kann es gar nicht erwarten, das hinter mir zu lassen und meiner Wege zu gehen.“ Bethania bemerkte, wie Machael sich unauffällig an eine Bank lehnte, fast so, als wäre er unsicher auf den Beinen.
Sie seufzte, ganz eindeutig hatte er zu viel getrunken. „Wir sehen uns dann am Montag in Ihrem Büro.“
Sie wandte sich ab, froh diesem unangenehmen Kerl vorläufig zu entkommen. Auf der Schwelle zur Bibliothek drehte sie sich noch einmal zu ihm um. Blass und mit geweiteten Pupillen lehnte an der Bank. Sämtliche Selbstsicherheit war aus seinem Gesicht gewichen, und er schaute sie irritiert und verunsichert an. Mitleid regte sich in ihr.
„Sie sehen aus, als würden Sie gleich umkippen.“ Mit einem Schritt war Bethania wieder bei ihm und griff nach seinem Arm. „Soll ich Sie nach Hause fahren?“
Machael zuckte merklich vor ihr zurück und versuchte ein schiefes Grinsen, das ihm gründlich misslang. „War wohl doch ein bisschen zu viel Wein. Aber es geht schon.“
„Keine Widerrede.“ Bethania schob ihren schlanken Körper unter seinen Arm und stützte ihn.
Machael gab den Widerstand auf und ließ sich bereitwillig die Treppen hinunter und zur Einfahrt führen. Dort löste sich Bethania von ihm und lehnte ihn vorsichtig an die Hauswand. Schnell lief sie zum Parkplatz und holte ihren Wagen. Als sie Machael wieder erreichte, wirkte er deutlich erholt. Obwohl sie keine Minute weg gewesen war. Offenbar hatte ihm der kleine Spaziergang gut getan.
„Wieder besser?“, fragte Bethania, als er sich in den Wagen schwang.
Machael nickte. „Kennen Sie die drei Männer, die dort im Schatten des Hauses stehen?“
Bethania warf einen kurzen Seitenblick in die Richtung, die Machaels markantes Kinn wies. „Der eine ist ein Geschäftspartner meines Onkels, der andere sein wissenschaftlicher Assistent, glaube ich. Den dritten kenne ich nicht.“
„Hm“, brummte Machael nur. „Geben Sie Gas.“
Das musste sich Bethania nicht zweimal sagen lassen und sauste los. „Wohin?“
„Lassen Sie mich an der Ecke 2. und Harrison raus. Den Rest gehe ich zu Fuß.“
Wollte er ihr nicht sagen, wo er wohnte? Hatte er etwa Angst, dass sie ihm nachstellen würde? Was für ein selbstverliebter Idiot. Aber seine Geheimniskrämerei ärgerte sie mehr, als sie zugeben wollte. Und was war mit den drei Typen neben dem Haus, die so auffällig unauffällig getan hatten?
Männer. Sie verdrehte die Augen und schaute zu Machael hinüber. Doch dieser schien sie gar nicht zu bemerken und grinste nur dämlich vor sich hin. „Was gibt es denn da zu grinsen?“
„Ach nichts“, sagte er. „Ich liebe es einfach schnell.“
Das konnte er haben. Sie drückte das Gaspedal durch. Sein arrogantes Grinsen würde sie ihm schon vom Gesicht wischen. Doch je schneller sie wurde, desto zufriedener wirkte er.
Die weitere Fahrt verlief schweigend. Bethania versank schnell in Gedanken, versuchte sich darüber klar zu werden, warum sie sich so über Machael ärgerte. Warum sie ihn so abstoßend fand. Und was sie von ihm halten sollte. Auf der einen Seite war er ganz sicher ein aufgeblasener, arroganter Wichtigtuer. Trotzdem sah er blendend aus. Und dieser kurze Augenblick der Schwäche, den er gezeigt hatte, konnte Bethania überhaupt nicht einordnen. Passte das doch überhaupt nicht zu seinem sonstigen Auftreten. War daran wirklich der Alkohol schuld? Außerdem hatte er ungeheure Kräfte, das hatte sie am eigenen Arm festgestellt. Aber er war eben auch bloß ein Mann. Bestimmt war er insgeheim beleidigt, weil er jetzt keine Möglichkeit mehr hatte, eines der wunderschönen, jungen Dinger auf der Party abzuschleppen. Stattdessen saß er hier, auf Bethanias Beifahrersitz. Und sie würde sich auf keinen Fall abschleppen lassen. Das konnte er vergessen.
Nach einer knappen Viertelstunde hielt Bethania an der Kreuzung 2. und Harrison und setzte Machael ab.
„Wir sehen uns dann am Montag um Acht“, sagte sie, kaum dass er ausgestiegen war, und düste davon.
Im Rückspiegel beobachtete sie, wie Machael ihr hinterher schaute. Völlig unbeweglich stand er da. Mit wehenden Haaren, wie ein Erzengel. Bethania blinzelte. Als sie wieder in den Rückspiegel blickte, war Machael verschwunden.
Jim? Machael stand in einer dunklen Nische auf der Harrison Avenue und sandte seinen Geist zu seinem Freund und Beschützer aus.
Doch eine Antwort blieb zunächst aus.
Jim! Machaels Ruf wurde eindringlicher. Bist du wach?
Natürlich bin ich wach. Endlich antwortete Jim. Es ist nicht mal zehn. Ist die Party vom Chef schon zu Ende?
Ja. Ich meine nein. Also für mich ist sie aus. Ich musste da weg.
Alles in Ordnung bei dir? fragte Jim besorgt. Hast du Markus‘ Nichte kennengelernt?
Ja, habe ich, aber …
Die ist ein ganz schön heißes Gestell. Jim grunzte anerkennend. Jedenfalls für eine Menschin. Ich habe sie vor einiger Zeit bei einer Präsentation in der Firma gesehen.
Ich glaube, sie ist ein Problem. Machael schüttelte sich vor Unbehagen. In ihrer Gegenwart hatte ich ein permanentes Gefühl der Bedrohung. Konnte es aber nicht genau lokalisieren. Ich bin nicht mal sicher, ob es tatsächlich von ihr ausging.
Gefahr? Von einer Menschenfrau? Das ist doch lächerlich. Bist Du krank? Oder hast du zu viel getrunken?
Krank habe ich mich tatsächlich gefühlt, regelrecht schwächlich. Und ja, ich habe zu viel getrunken. Aber das spielt keine Rolle, erwiderte Machael ungeduldig. Irgendetwas geht vor sich, verstehst du? Triff mich im Meats. Sofort!
Geht klar. Das ist doch das neue Steakhaus neben dem Nebula, oder?
Ja.
Machael zog sich aus der geistigen Verbindung zurück und machte sich auf den Weg. Die Straßen waren trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit belebt. Kurze Zeit später erreichte er das von außen unscheinbare Gebäude in einer Seitengasse des Vergnügungsviertels.
Jim wartete neben dem Eingang. Er musst den ganzen Weg gesprintet sein, auf seinem Gesicht zeigte sich jedoch kein Anzeichen von Anstrengung. Sein Freund war ein wahrer Riese. Er überragte selbst Machael fast um einen Kopf, war breit wie ein Schrank und muskelbepackt. Sein dichtes, gewelltes Haar war von einem tiefen Kastanienrot und reichte fast bis zu seiner Hüfte. Er sah einfach prachtvoll protzig aus, wie ein Bilderbuchheld. Eine wahrlich beeindruckende Erscheinung. Und wie Machael arbeitete er für Markus‘ Bauunternehmen. Als Baustellenleiter. Die perfekte Tarnung für ihren eigentlichen Auftrag.
„Da bist du ja, Kleiner.“ Jim klopfte Machael zur Begrüßung auf die Schulter. „Du siehst ja richtig beschissen aus. Wie durch den Fleischwolf gedreht.“
Machael lächelte matt. „So fühle ich mich auch.“
„Dann lass‘ uns reingehen. Du brauchst ein ordentliches Stück Fleisch zwischen den Zähnen und ein großes Bier zum runterspülen.“ Jim stieß die Tür zum Restaurant auf und steuerte zielgerichtet auf einen Tisch in der Ecke zu. „Ich bin am Verhungern.“
„Du bist doch immer am Verhungern, mein Großer.“
„Erst Steak, dann Frischfleisch im Nebula“, sagte Jim und leckte sich demonstrativ die Lippen. „Du brauchst Ablenkung. So viel steht fest.“
„Klingt nach einem Plan“, stimmte Machael halbherzig zu.
Eine junge, äußerst appetitliche Kellnerin trat an ihren Tisch. „Hallo, ihr zwei Hübschen. Ich bin Jennifer, eure Kellnerin heute Abend. Wisst ihr schon, was ihr wollt?“
„Ich hätte da schon eine Idee, Jennifer“, sagte Machael und warf ihr ein umwerfendes Lächeln zu. Seine Augen blitzten für einen Moment golden auf.
„Bitte verzeihen Sie meinem Freund.“ Jim trat Machael unter dem Tisch gegen das Schienbein. „Er ist ein anständiger Kerl, aber seine Manieren sind unter aller Sau. Ich nehme den Prime Beef Burger und das T-Bone-Steak …“
Die Kellnerin musterte Jim kurz. Dann nickte sie nur.
„… und mein Freund bekommt das Chateaubriand.“
„Sehr gerne. Welche Beilagen?“
„Die XL Fries“, sagte Machael, „und das Fleisch so blutig wie möglich. Und dazu zwei große Bier.“
„Was ist los mit dir, Machael?“, zischte Jim wütend, als die Kellnerin sie wieder alleingelassen hatte. „In aller Öffentlichkeit? Manchmal bist du echt ein Mistkerl.“
„Ach komm. Wozu haben wir unsere Gaben, wenn wir sie nicht auch mal einsetzen?“
„Der Laden sieht super aus. Ich will hier nochmal hin. Und dann möchte ich nicht von einer liebeskranken, abservierten Jennifer bedient werden.“
Die Kellnerin kam wieder und stellte die Getränke auf den Tisch. Ihre Wangen waren leicht gerötet, als sie Machael dabei ansah. Anschließend verschwand sie in einem anderen Winkel des Restaurants.
Machael nahm einen tiefen Schluck und lehnte sich zurück. Langsam entspannte er sich. „Du hast ja Recht. Wie meistens.“
„Da kannst du getrost drauf wetten“, erwiderte Jim und leerte sein Glas in einem Zug. „Und jetzt erzähl mir von der Party. Und von Bethania.“
„So etwas habe ich hier noch nicht erlebt.“ Machael schüttelte den Kopf und beugte sich vor. „Ich habe mich in ihrer Nähe wirklich schwach gefühlt, richtig hilflos. Und ihre Berührung hat gebrannt wie Feuer.“
„Diese verfluchten Ältesten“, knurrte Jim. „Ich will endlich wissen, was wir hier machen. Diese Menschenwelt ist einfach nichts für uns. Wenn das so weitergeht, drehe ich noch durch. Ich hasse diese Ungewissheit.“
„Mir geht es ähnlich, aber wir haben keine andere Wahl, als das Spiel mitzuspielen.“
„Aber nicht heute Nacht“, sagte Jim bestimmt. „Wir schlagen uns gleich ordentlich die Bäuche voll, und danach gehen wir auf die Pirsch. Den ganzen Druck, der sich angestaut hat, abbauen.“
Machael grinste seinen Freund an. „Das sind doch erfreuliche Aussichten. Und später träumen wir von den grünen Hügeln unserer Heimat.“
Kurze Zeit später brachte Jennifer das Essen.
„Das nenn‘ ich mal eine anständige Portion“, sagte Jim anerkennend. „Da läuft mir glatt das Wasser im Mund zusammen.“
Schweigend machten sie sich über die riesigen, beinahe rohen Fleischstücke her. Das Essen spülten sie mit reichlich Bier hinunter und genehmigten sich danach noch einen Whiskey.
„Das war ein vielversprechender Start in die Nacht.“ Jim klopfte sich auf den vollen Bauch, seine Stimmung hatte sich eindeutig gebessert. „Jetzt bin ich bereit für den zweiten Gang. Ich kann schon fühlen, wie mein Blut in tiefere Regionen wandert.“
Machael lachte. Auch er fühlte sich nach dem Mahl gelöst. Seine Sorgen waren zwar noch da, aber sie schienen ihm weit weniger bedrohlich als noch vor einer Stunde. Dazu kam, dass er seinen ältesten Freund hier, so weit weg von ihrer Heimat, selten so zufrieden gesehen hatte. „Dann haben wir ja ein neues Stammlokal.“
„Lass uns endlich loslegen. Ich brauche etwas Spaß für meinen Freund, “ sagte Jim und bedachte seine Körpermitte mit einem bedeutsamen Blick. Jim war erstaunlich gut ausgestatten und obwohl er keinen Ständer hatte, sah man doch eine beachtliche Beule in seiner Hose.
„Nur die Ruhe, Großer. Du kommst schon schnell genug zum Schuss.“ Jim musterte ihn überrascht. „Was ist denn los mit dir? Normalerweise bist du doch der Aufreißer und kannst es nicht erwarten, deinen Schwanz im nächstbesten Mädchen zu versenken.“
„Keine Ahnung. Ich hab es einfach nicht so eilig heute.“
„Ah, jetzt verstehe ich.“ Jim schlug sich theatralisch mit der Hand vor die Stirn. „Du hängst in Gedanken noch an einem ganz bestimmten Weibchen fest.“
„Quatsch“, Machael wischte Jims Vermutung mit einer Handbewegung beiseite. „Ich verschwende keinen Gedanken an Bethania.“
Jim grinste breit.
„Was gibt es da zu grinsen?“
„Eigentlich meinte ich ja die appetitliche Kellnerin von vorhin, aber da lag ich wohl daneben.“