Inhaltsverzeichnis
Höllisches Intermezzo
Impressum
Über die Autorin
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Danksagung
Bo Leander
Bo Leander
Höllisches Intermezzo
ISBN
978-3-946376-30-9 (ePub)
978-3-946376-31-6 (mobi)
978-3-946376-29-3 (Softcover)
Copyright © 2017 by Lysandra Books Verlag
Lysandra Books Verlag
Inh. Nadine Reuter
Overbeckstr. 39
01139 Dresden
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Coverdesign/Umschlaggestaltung: Takezo Graphic Dirk Schröck, www.takezo-design.de;
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Lektorat/Layout/Satz: Lysandra Books Verlag
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Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Bo Leander, 1975 in Berlin geboren, reiste einige Jahre als Choreographin umher. Der Liebe wegen verschlug es sie nach Gran Canaria, wo sie seit sechs Jahren mit Mann und Kind lebt. Während ihres Journalismus-Studiums hat sie sich mit dem Schreibvirus infiziert. Seither ist sie nicht mehr zu bremsen und widmet ihre freie Zeit dem Schreiben, vorzugsweise Romantasy mit einem Schuss Humor und einem Hauch Erotik. Unter ihrem zweiten Pseudonym Ava Blum schreibt sie Liebesromane und romantische Fantasy für Jugendliche.
https://www.facebook.com/ava.blum.5
Jenseits von Gut und Böse fläzte Azzael auf einer samtroten Chaiselongue in der Villa des Teufels und stieß Rauchkringel in die Luft. Den Kopf auf der Armlehne abgelegt, sah er andächtig ihrem wabernden Tanz hinterher, während er sich seinem Rausch hingab.
Wie aus dem Nichts erschien Luzifer mit versteinerter Miene in seinem Sichtfeld - nichts weiter als eine Halluzination aufgrund des exzessiven Drogenkonsums. Azzael blinzelte ein paar Mal hintereinander, um das Trugbild loszuwerden.
Porca Miseria! Noch immer umwölkten Schwaden Luzifers Antlitz, wichen jedoch augenblicklich zurück, als sie gewahr wurden, mit wem sie es zu tun hatten.
Der Boss rümpfte die Nase und wedelte theatralisch mit der Hand vor seinem Gesicht. „Schwarzer Afghane“, diagnostizierte er und durchbrach damit endgültig Azzaels Kokon aus Stille und Gleichmut.
Nur mühsam wanden sich Gedanken durch den wirren Nebel in Azzaels Hirn, brachten in Erinnerung, wer er war und wo er sich befand: Luzifers Handlanger, verdammt zur Ewigkeit ... in der ewigen Stadt. Offenbar hatte er mal wieder maßlos übertrieben und sich mit Feenstaub und Dope die letzte Ölung verpasst. Sein Instinkt riet ihm, aus dem Energiesparmodus aufzuwachen, daher wuchtete er sich in eine aufrechte Position und zog gemächlich seine Stiefel vom Polster. Cazzo! Die hässlichen Flecken, die er auf dem roten Samt hinterlassen hatte, waren nicht zu übersehen.
Ein liebliches Lächeln zupfte an Luzifers Mundwinkeln. „Na, hast du es auch bequem genug, oder soll ich dir vielleicht noch ein zusätzliches Kissen besorgen?“ Von einem Atemzug zum nächsten verdunkelten sich seine Augen, und seine Stimme schwoll zu einem ohrenbetäubenden Brüllen an. „Anstatt den ganzen Tag auf der faulen Haut und mir auf der Tasche zu liegen, erwarte ich von dir, mir zur Weltherrschaft zu verhelfen! Das Dasein, das du hier fristest, ist eines gefallenen Engels nicht würdig. Wie oft schon habe ich dir ... “
Azzael seufzte innerlich, schloss die Augen und ließ Luzifers Gebrüll wie einen kalten Guss über sich ergehen. Die Laune seines Herrn und Meisters schien nicht die beste zu sein, das konnte nichts Gutes verheißen.
„Um was geht's denn?“ Er bereute die Frage, noch während er sie aussprach.
„Um was es geht?“ Wie ein sich entladendes Gewitter donnerte Luzifers Stimme durch den Raum. „Na, sicherlich nicht darum, einen Kokainschmugglerring hochgehen zu lassen und das Zeug zu beschlagnahmen, um es sich dann selbst durch die Nase zu ziehen!“ Abfällig strich sein Blick über die zahllosen Kokslines, die in Form eines Spinnennetzes über den Glastisch verteilt waren. Luzifer rückte seine Krawatte zurecht und strich sich über sein schütteres Haar. Sein energisches Räuspern vertrieb die hochexplosive Spannung und ermunterte Azzael dazu, den angehaltenen Atem entweichen zu lassen.
Mit fachmännischer Miene nahm der Boss die Whiskyflasche in beide Hände, drehte sie und las mit hochgezogenen Augenbrauen das Etikett. Azzael saß stocksteif auf der Kante der Chaiselongue und rührte sich nicht, denn er wusste, was es bedeutete, der Häme seines Herrn und Meisters ausgesetzt zu sein.
„Wie kannst du nur immer diesen Billigfusel trinken?“ Angewidert verzog Luzifer das Gesicht und stellte die Flasche auf den Glastisch zurück, dass es nur so donnerte. Dann beugte er sich vor und senkte die Stimme, als wolle er ihn in ein Geheimnis einweihen. „Da du ein kreatives Kerlchen bist, wird es dir zur Abwechslung auch einmal gelingen, einen Teufelspakt an den Mann zu bringen.“
Cazzo! Azzael knirschte mit den Zähnen. Nur im Notfall hatte er bisher diesen lästigen Vertreterjob übernehmen müssen. Er war der Mann fürs Grobe und vollends mit seinen betrauten Aufgaben ausgelastet. So beförderte er hauptsächlich die Teufelsbündner ins Jenseits, die sich weigerten, Luzifers Anweisungen zu folgen oder versuchten, ihn hinters Licht zu führen. Meist zwang er sie dazu, Selbstmord zu begehen, wodurch ihre Chancen gegen Null gingen, in den Himmel zu gelangen.
Angespannt klemmte Azzael sich eine fettige Haarsträhne hinters Ohr und zog zum letzten Mal am Joint, um ihn dann im Aschenbecher auszudrücken.
„Die Zeiten sind nicht die besten, und mir mangelt es an Untergebenen.“ Die Hände lässig in die Taschen gesteckt, schlenderte Luzifer um den Glastisch herum. „Ich selbst werde mir ein paar Tage Ruhe gönnen. Du weißt, so kurz vor dem G2 - Gipfel muss ich mit meinen Kräften haushalten.“
Nur zu gut wusste Azzael das. Trotz seiner Fähigkeit, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein, erschien Luzifer bei diesen Treffen ausschließlich in Gottes Gegenwart. Und für ihn selbst bedeutete die Abwesenheit seines Herrn immer Erholung pur.
„Ach, und Azzael ... Seife wurde nicht erfunden, um sie im Aquarium zu versenken und die Fische ersticken zu lassen, sondern um sich damit zu waschen. Es wäre ratsam, wenn du das so schnell wie möglich beherzigst ... sonst stinkst du mir noch den ganzen Salon voll.“
Luzifer blieb stehen und betrachtete ihn in gespielter Sorge. Er beherrschte die ganze Palette unaufrichtiger Gefühle und konnte Azzael damit bis aufs Blut reizen. „Lass dich doch nicht immer so hängen.“ Sein Gegenüber schürzte die Lippen, um seinem Mitgefühl Ausdruck zu verleihen, aber es wirkte eher, als wollte er ein beleidigtes Kleinkind imitieren.
„Nicht umsonst habe ich dir schon mehrmals angeboten, dich in gewisse Etablissements mitzunehmen, damit du endlich mal aus deiner Lethargie erwachst.“ Luzifer schlug ihm wohlwollend auf die Schulter. „Die Huren könnten dich bestimmt aus deinem Sumpf des Selbstmitleids ziehen.“
Azzael verdrehte die Augen und stieß einen leisen Seufzer aus. Wie oft hatte er sich diese Litanei schon anhören müssen. Aber in diese Puffs bekamen ihn keine zehn Pferde mehr, nachdem er sich dort vor gut dreihundert Jahren Syphilis zugezogen hatte, die ihm selbst heute noch manchmal zu schaffen machte. Hautausschlag oder stechende Hodenschmerzen plagten ihn dann und verhinderten längeres Sitzen. Als gefallener Engel war er zwar unsterblich, aber noch lange nicht immun gegen Seuchen und auch nicht gegen Schmerz gefeit.
„Avanti! Avanti!“, scheuchte Luzifer ihn mit einer Handbewegung hoch. „Lüpfe dein entzückendes Gesäß und erhebe dich aus deinem Drogenpfuhl.“
Die Nebelschleier über dem See lichteten sich langsam, als Azzael aus dem Dunst heraus ans Ufer glitt. Rings um ihn reckten sich riesige Bäume wie hölzerne Skelette in den Himmel. Er schüttelte sein schwarzes Gefieder und watschelte über die Rasenfläche den Hügel hinauf, bis ein prachtvolles Gebäude im Kolonialstil vor ihm aufragte.
Es wurde Zeit, das lästige Schwanenkleid abzulegen, bevor ihn jemand dabei beobachten konnte.
Kurz vor dem beleuchteten Springbrunnen spreizte er seine Flügel und verwandelte sich zurück. Der raue Wind riss an seinem Mantel, dennoch war er froh, seine menschliche Gestalt wiedererlangt zu haben. Nichts war schlimmer, als vierbeinigem Getier schutzlos ausgeliefert zu sein. Azzael presste wütend die Kiefer aufeinander: zu präsent war die Erinnerung an den widerlichen Köter, der ihm bei seinem letzten Auftrag hinterhergehetzt war.
Mit schweren Schritten folgte er dem von beschnittenen Buchsbaumsträuchern gesäumten Weg, als sich ihm aus heiterem Himmel die Nackenhaare sträubten. Abrupt hielt er inne, denn diese äußerst ungewohnte Empfindung ging immer einher mit einer bösen Vorahnung. Er wandte sich um und blickte zurück auf den See. Just in diesem Moment brach der Vollmond hinter den Wolken hervor und hinterließ eine schimmernde Lichtspur auf dem Wasser.
Porco dio! Das war kein gutes Omen für seinen bevorstehenden Auftrag! Bei Vollmond wurden die Menschen wankelmütig und ließen sich nicht so schnell etwas aufschwatzen.
Einen Moment verharrte er noch, dann sog er scharf die Luft ein, konzentrierte sich auf sein Ziel und setzte seinen Weg fort.
Azzael war Luzifers Wink nachgekommen, sich nach Ewigkeiten mal wieder eine Dusche zu genehmigen. Es war mehr eine Drohung gewesen, schließlich wusste er, was es bedeutete, nicht den gut gemeinten Ratschlägen seines Herrn zu folgen. Eine Woche ohne Fernsehen, Dope und seine Freunde Jimmy und Johnny wäre unerträglich. Nichts widerstrebte ihm mehr als die Welt ohne diesen nebligen Zustand ertragen zu müssen. Wenn er allein an die verliebten Pärchen im Park dachte, die Hand in Hand bei Sonnenschein umherspazierten, wurde ihm schlecht – diese öffentliche Zurschaustellung des Glücks anderer war zu viel für sein sensibles Gemüt.
Langsam näherte er sich der Terrasse. Leuchtende Kürbisfratzen flankierten den Eingang und musterten ihn mit hämischen Blicken. Warum suchst du dir auch den einzigen Tag im Jahr aus, wo hier der Teufel los ist? schienen sie zu fragen.
Durch die riesige Fensterfront konnte Azzael den erleuchteten Festsaal erkennen. Lachende Skelette und Gestalten mit Messerattrappen im Kopf schwebten über das Parkett. Auf den ersten Blick sahen sie aus wie einer Geisterbahn entsprungen. Azzael schnaubte verächtlich. Hoffentlich würde die Angelegenheit rasch erledigt sein. Allein viermal zählte er das Kuttenkostüm mit Scream-Maske. Wie sollte er unter all den Schießbudenfiguren jemals den Hausherren finden?
Hastig schob Azzael den Ärmel seines Ledermantels hoch. Die Leuchtziffern seiner Armbanduhr zeigten 22:47 Uhr. Er stieß einen gereizten Seufzer aus. Ihm blieben nur noch eine Stunde und dreizehn Minuten zur Erledigung seines Auftrags.
„Azzael, ich rate dir, die Sache bis Mitternacht abgeschlossen zu haben“, äffte er den blasierten Ton seines Herrn nach. Der Gedanke daran ließ ihn innerlich vor Wut kochen. Manchmal behandelte ihn der Boss wie einen dummen Jungen, obwohl Azzael ihm schon tausende Jahre treu zur Seite stand. Selbst als rechte Hand des Teufels war er nicht davor gefeit, im Fegefeuer zu landen.
Gelächter und die Klänge des Ghostbusters-Songs wehten zu ihm herüber. Azzael knurrte vor sich hin. Wie er dieses lächerliche Lied hasste! Er zog eine Zigarettenschachtel aus seiner Innentasche hervor, sein Blick blieb dabei starr auf einer Person haften. Durch Schnippen von Daumen und Mittelfinger entfachte er aus der Kuppe seines Zeigefingers eine Flamme, um die Zigarette daran zu entzünden. Er nahm einen tiefen Zug. Seine Lunge stach, der Rauch brannte in seiner Brust, dennoch behielt er ihn so lange wie möglich in sich, bevor er ihn durch die Nase ausstieß. Er hatte den Hausherrn entdeckt.
Der Mann trug einen langen, schwarzen Umhang mit rotem Innenfutter und hohem Stehkragen - Dracula höchstpersönlich. Was für eine Lachnummer. Daneben tanzte ein Bursche eng umschlungen mit einer rothaarigen Hexe und beanspruchte schlagartig Azzaels Aufmerksamkeit, als er ihren Hals fixierte und sich gierig über die Lippen leckte.
Azzael atmete tief ein, um seinen aufkeimenden Hass unter Kontrolle zu bekommen. Dieser Bursche mit bleichem, hohlwangigem Gesicht und schwarz umschatteten Augen trug kein Kostüm. Die Mehlfratze hatte die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und den einzigen Abend im Jahr ausgewählt, an dem er unter Menschen nicht auffiel. Doch für Azzael war er leicht zu durchschauen, denn seine leeren Augen spiegelten seine unstillbare Blutgier.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Mehlfratzen einen seiner Aufträge durchkreuzten. Im Gegensatz zu ihm zeichneten sich die Vampire nur durch Brutalität und Selbstüberschätzung aus. Er konnte es mit zehn von ihnen aufnehmen, wenn es sein musste. Sie waren nicht mehr wert als Stechmücken, und genauso sollte man auch mit ihnen verfahren. Wenn die Seelen ihrer Opfer wenigstens dem Teufel in seinem Kampf gegen Gott zugutekämen. Aber nein, stattdessen verpufften sie einfach im Nichts. Was für eine Verschwendung!
Auf das Schicksal des Mädchens konnte er trotz allem keine Rücksicht nehmen. Er hatte einen Auftrag zu erledigen. Was kümmerte ihn das Leid der Anderen? Mitleid war ein Zeichen von Schwäche, und das ganze barmherzige Getue war ihm zuwider. Als gefallener Engel durfte man derlei Sentimentalitäten keine Beachtung schenken. Nicht umsonst hatte er sich seinerzeit dazu entschlossen, Luzifers Reihen beizutreten.
Lässig schnippte er den Zigarettenstummel in hohem Bogen davon und schritt auf die Fensterfront zu. Er spürte ein Kitzeln im Ohr, schüttelte sich und legte den Kopf schräg, ehe er eine Daunenfeder zum Vorschein brachte. Porca puttana! Es steht ein Unglück bevor. Einen Moment lang starrte er entgeistert auf den schwarzen Flaum, dann wanderte sein Blick auf die spiegelnde Glasfläche. Sein grobschlächtiges Gesicht wirkte durch die Bestürzung, die darüber huschte, geradezu grotesk. Schnell besann er sich und ließ die Feder zu Boden segeln. Dann holte er aus der Brusttasche des Mantels seine Sonnenbrille hervor und setzte sie auf die Nase. Mit gestrafften Schultern trat er durch den Spalt der Terrassentür. Es wäre doch absurd, sich durch abergläubischen Unsinn beeinträchtigen zu lassen.
Gelächter, Gegröle und das Klirren von Gläsern empfingen Azzael. Er nahm einen tiefen Zug von der stickigen Luft, bevor er sich einen Weg durch die schwatzenden Menschen bahnte. Unzählige Kerzen tauchten den Raum in warmes Licht, die Schatten der Feiernden tanzten an den Wänden.
Hitze stieg in ihm hoch. Er überlegte, ob er sich erst einmal einen Drink genehmigen sollte.
Die Zeit musste sein. Er öffnete seinen Mantel, unter dem ein schwarzes T-Shirt mit dem Schriftzug seiner Lieblings-Death-Metal-Band zum Vorschein kam, und stapfte Richtung Bar.
Niemand beachtete ihn. Auch ohne Kostüm wirkte Azzael wie einer der geladenen Gäste, abgesehen von den Fußabdrücken, die er auf dem weißen Marmor hinterließ und die eindeutig davon zeugten, dass er durch den Garten gekommen war.
Sein Blick schweifte durch den Raum, um nach Dracula Ausschau zu halten. Da stand er, schöpfte gerade einem Gast im Skelettkostüm blutrote Bowle ins Glas.
Der Drink musste warten! Ohne den Hausherrn aus den Augen zu lassen, drängte Azzael sich an den Umstehenden vorbei. Unvermittelt wurde er von der Seite angerempelt. Ein als Freddy Krüger Verkleideter mit unverkennbarer Schnapsfahne torkelte und lallte unverständliches Zeug.
Azzael überkam der unbezwingbare Drang, ihm einen Satz heiße Ohren zu verpassen. Doch es zeugte nicht gerade von Fingerspitzengefühl, die Aufmerksamkeit derart auf sich zu lenken. „Geh mir aus den Augen, Amöbenhirn, oder es qualmt!“, blaffte er. Grob stieß er Freddy zur Seite, der daraufhin taumelnd zu Boden ging.
Etliche Gäste scharten sich um den Betrunkenen, reichten Hände und halfen ihm wieder auf die Beine.
Azzael verabscheute nichts mehr als eine Ansammlung von hilfsbereiten Menschen.
Porca Puttana, so eine verdammte Scheiße! Nun hatte er den Gastgeber aus den Augen verloren.
Sein Blick schweifte umher, bis er ihn neben einer Blondine mit riesiger Fleischwunde im Gesicht entdeckte. Lässig stützte Dracula sich mit einer Hand an der Wand ab und versperrte ihr den Weg. Ganz Mann von Welt plauderte er auf sie ein, ohne dabei ihre prallen Brüste aus den Augen zu lassen.
Azzael seufzte und nutzte die Zeit, um sich mit den Fingern eine Erdbeere aus dem Bowlegefäß zu fischen. Prompt erntete er einen empörten Blick eines schwabbelgesichtigen Kürbisses.
„Für dich auch eine?“, fragte Azzael zuvorkommend und zeigte ihm sein gewinnendstes Lächeln, worauf der Kürbis schluckte, sich auf dem Absatz umdrehte und die Flucht ergriff.
Azzael sah wieder zu Dracula hinüber, der die Blondine gerade neckisch in den Po zwickte. Ihrerseits ertönte ein quiekendes Lachen, was den Hausherrn dazu verleitete, mit ihr an der Hand hinter der nächsten Tür zu verschwinden.
Figlio di puttana! Die Geilheit dieses Hurensohns machte ihm noch einen Strich durch die Rechnung. Azzael eilte hinterher, zwängte sich durch den Spalt und sah gerade noch, wie sie kichernd die dunkle Treppe hochwankten. Vor Ärger ballte er die Fäuste und trat mit dem Fuß gegen die Wand. Bis Mitternacht musste sein Auftrag ausgeführt werden, doch er konnte jetzt unmöglich dazwischengehen. In Begleitung dieses Blondchens würde Dracula ihm keine Beachtung schenken. Es blieb ihm nichts anderes übrig als abzuwarten.
Azzael setzte seine Sonnenbrille ab und schob sie in die Brusttasche seines Mantels. Wie gewöhnlich passten sich seine Augen den Lichtverhältnissen anstandslos an.
Schmatz- und Sauggeräusche ließen ihn innehalten. Eine Gestalt trat aus dem Schatten hervor. Das Bleichgesicht von vorhin!
Die leeren Augen des Vampirs bohrten sich in seine, neben ihm die Rothaarige, mit der die Mehlfratze zuvor getanzt hatte. Ihre Augen starr ins Nichts gerichtet, rutschte sie die Wand hinunter, bevor ihr Körper dumpf auf dem Boden aufschlug. Mausetot lag sie in der Ecke des Treppenhauses, eine beeindruckende Bisswunde klaffte an ihrem Hals.
Der Vampir fletschte die Zähne, schnellte vor und landete mit einem Sprung neben Azzael. Dessen Arm schoss hervor und fasste den Jungen am Kragen. „Du bist aber ein munteres Kerlchen.“ Der kleine Scheißer wollte sich tatsächlich mit ihm anlegen, obwohl Azzael ihn um einen Kopf überragte. Fast imponierte ihm sein Übermut.
„Ich schlage vor, du lässt mich sofort los“, sagte der Vampir mit eisigem Blick, ehe er herausfordernd mit dem Handrücken das Blut von den Lippen wischte.
„Besser, du hörst mit dem Vorschlagen auf, greifst dir das Mädchen und gehst mir aus den Augen, oder es hat sich ein für allemal ausgeschlürft für dich!“
„Drohst du mir etwa?“ Ein irres Kichern drang aus dem Mund des Vampirs. „Du wirst meinen Blutdurst bestimmt stillen, Dickerchen.“
Empörung machte sich in Azzael breit. Wie hatte die Mehlfratze ihn genannt? Das ging nun wirklich zu weit. „Ich halte seit vier Jahrhunderten mein Idealgewicht!“
Ein gehässiges Lachen schlug ihm entgegen.
„Ok, du hattest deine Chance, jetzt bin ich dran.“ Ohne zu zögern griff Azzael in seine Seitentasche, zückte seine Klinge und stach sie dem Blutsauger zwischen die dritte und vierte Rippe.
Das weiße Rüschenhemd des Vampirs färbte sich dunkelrot. Cazzo, das ging einfacher als gedacht! Der Bursche hatte wohl nicht mit einem blitzschnellen Angriff des phlegmatischen Mammuts gerechnet - er kam nicht mal dazu, Piep zu sagen. Öffnete zwar den Mund, gab aber keinen Ton mehr von sich. Stattdessen drang Blut heraus, und er sackte zu Boden.
Ein Fünkchen Schadenfreude glomm in Azzael auf, und ein hämisches Grinsen legte sich auf sein Gesicht. Seine Scharade hatte sich einmal mehr ausgezahlt. „Du hast mir gerade meinen Tag versüßt, Stinker!“
Gut, er musste zugeben, das wäre nicht nötig gewesen. Ihm eine Lektion zu erteilen, hätte auch gereicht. Doch sein Temperament war einfach aus ihm hervorgebrochen.
„Ich hasse es, mein Messer für Mücken wie dich zu beschmutzen.“ Angewidert wischte Azzael es am Hemd des Vampirs ab und blickte sich suchend um. „Cazzo, was mach‘ ich jetzt mit dem Milchgesicht?“ Er schloss die einen Spalt breit geöffnete Tür zum Festsaal und inspizierte den Raum. Als er unter der Treppe eine Tür entdeckte, schulterte er rasch den Vampir, schritt darauf zu und drehte den Knauf.
Steile Stufen führten hinab in den Keller. Er warf den reglosen Körper hinunter und winkte ihm so lange hinterher, bis er polternd am Fuß der Treppe landete. Danach ging er zur Leiche der Rothaarigen, um mit ihr ebenso zu verfahren.
Unvermittelt hörte er hinter sich das Knarren der Tür. Ohne Umschweife stellte er das Mädchen auf die Füße, umklammerte es und drückte seinen Mund auf ihre kalten Lippen.
Ein Lichtstreif fiel in den Flur, Gelächter ertönte von draußen. Einen Augenblick später wurde es wieder ruhig. Dunkelheit umgab ihn, wurde zu seiner Verbündeten, so dass er die Leiche auf gleiche Art im Keller entsorgen konnte, bevor er in den Ballsaal voller Menschen zurückkehrte.
Jetzt konnte er einen Whisky gebrauchen. Er setzte seine Sonnenbrille wieder auf, stapfte schwer atmend zur Bar und ließ sich auf einem Hocker nieder. Ein herunterhängendes Spinnennetz baumelte vor seiner Nase. Unwirsch zerriss er es, ehe er den als Zombie verkleideten Barkeeper zu sich winkte.
„Bring mir einen Whiskey, Kumpel.“ Was sollte er auch sonst mit der verlorenen Zeit anstellen. Während des Wartens starrte er hinter den dunklen Gläsern seiner Ray Ban ins Leere und dachte über den Sinn des Lebens nach. Die Ewigkeit lag noch vor ihm, dabei fühlte er sich jetzt schon des Lebens überdrüssig. Er seufzte wehmütig bei der Erinnerung daran, wie zuversichtlich er gewesen war, als er sich einst Luzifer angeschlossen hatte.
Mit einem wortlosen Nicken nahm er den Tumbler entgegen und leerte ihn in einem Zug. Wie flüssiges Gold rann die Flüssigkeit seine Kehle hinab und breitete sich wohlig in seiner Brust aus. Als er das Treiben um sich herum beobachtete, kam das starke Bedürfnis nach einer Zigarette in ihm auf. Doch jetzt eine Flamme aus seinem Finger zu entfachen wäre zu auffällig, er musste sich wohl oder übel Feuer besorgen.
Azzael klemmte eine Strähne seines schwarzen Haares hinters Ohr und näherte sich einer großgewachsenen Frau, die ihm den Rücken zukehrte. Blauer Zigarettendunst umwaberte sie. Er ließ ein vernehmliches Räuspern hören.
Als sie ihn fragend ansah, klaffte zwar sein Mund auf, aber es war ihm nicht möglich, ein Wort hervorzubringen.
Ein schwarzer Schleier zierte ihr Gesicht, unter dem rote, schulterlange Haare hervorlugten. Azzael musste bei ihrem Anblick unwillkürlich an Cannabis denken - herb und süß zugleich. Durch die tief ausgeschnittene Korsage, die sie trug, kam ihre Alabasterhaut besonders gut zur Geltung.
Azzael schluckte trocken, als sein Blick an ihren kirschroten Lippen hängen blieb. Seine Hände wurden feucht, die Zeit stand mit einem Mal still. Nur noch schemenhaft nahm er die Menschen um sich herum wahr.
Wie versteinert hielt er seine Zigarette zwischen den Fingern, während ihre smaragdgrünen Augen ihn unverhohlen musterten. Eine ihrer geschwungenen Brauen ging prüfend nach oben, als sie mit einem leichten französischen Akzent fragte: „Soll es vielleicht Feuer sein?“ Ohne seine Antwort abzuwarten, entzündete sie ein Streichholz und hielt es ihm entgegen.
Alle anderen Geräusche schienen wie von Watte verschluckt. Um sie besser in Augenschein nehmen zu können, schob er seine Sonnenbrille den Nasenrücken hinunter. Als er die Zigarette an der Flamme entfachte, umfasste er ihre Hand. Zarte Duftwogen von Lavendel stiegen ihm in die Nase.
Der Rotschopf zuckte unmerklich, als Azzael ihr tief in die Augen sah. Irgendetwas hatte sich verändert. Ihre zuvor abschätzende Art war Unsicherheit gewichen. Sie schlug ihre Augen nieder, und als sie zögerlich wieder zu ihm hochblickte, blitzte ein kleines Lächeln in ihnen.
Azzael brauchte dringend frische Luft. Verwirrt drehte er sich um und stapfte schnellen Schrittes durch die Glastür hinaus auf die Terrasse.
Wieso wirkte eine Frau so betörend auf ihn? Normalerweise war er gegen derartige weibliche Reize immun. Unzählige Joints, ein guter Whisky, auch gerne ein paar Flaschen, dazu lauter Metalsound - das waren die Freuden seines trüben Alltags, wenn er nicht gerade im Auftrag seines Herrn unterwegs war.
Ein Eulenruf ertönte. Er klang wie Musik in Azzaels Ohren. Zum ersten Mal nahm er das Säuseln des Windes in den Bäumen wahr, und ein angenehmes Kribbeln breitete sich in seinem Körper aus. Als er den Mond betrachtete, schien der zu sagen: „Na Raubein, wirst du noch sentimental auf deine alten Tage?“
Er musste zur Vernunft kommen, schließlich wartete ein Auftrag auf ihn. Mit entschlossener Miene schlich er um die Ecke. Als ihn die Dunkelheit vollkommen verschluckt hatte, rieb er zweimal über den umgedrehten Kreuzanhänger an seinem Hals und verwandelte sich in eine Eidechse.
Flink erklomm er die steinerne Außenfassade bis zu einem erleuchteten Fenster. Es stand weit offen, sodass er auf den marmornen Fenstersims huschte, um in das Schlafzimmer des Hausherrn zu spähen.
Samtrote Wände und goldverzierte Möbel schmückten den großzügig ausgestatteten Raum. Dracula wälzte sich mit dem Blondchen in Laken aus roter Seide, während sein Blick immer wieder an die Decke in den riesigen Kristallglasspiegel schweifte.
Was für ein geiler Protz, dachte Azzael und zuckte gereizt mit seinem Reptilienschwanz.
Der alternde Casanova setzte sich auf die Blondine und breitete seinen Mantel aus. Die Frau kicherte leise.
Cazzo, hoffentlich nahm das Grauen bald ein Ende!
„So ein verdammter Mist!“, rief der Hausherr plötzlich. „Gerade jetzt muss mir das passieren.“ Er ließ von ihr ab und rollte mit offener Hose zur Seite.
Während das Blondchen sich aufrichtete, warf sie einen mitleidigen Blick auf ihren Liebhaber. Sie tätschelte ihm die Wange und murmelte: „Ist schon gut.“ Dann blickte sie sich im Raum um, als hätte sie das Gefühl, beobachtet zu werden.
Azzael konnte die Gänsehaut auf ihren Armen sehen und wusste, dass sie seine Präsenz spürte. Fahrig sammelte sie ihre Kleidung auf, streifte sie über und schlüpfte in ihre Pumps. Dann stürmte sie aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Mühsam rappelte Dracula sich auf, um seine Hose hochzuziehen. Von einem tiefen Seufzer begleitet, setzte er sich auf die Bettkante und starrte ins Leere.
Jetzt wäre ein günstiger Zeitpunkt. Gerade als der Alte im Begriff war, die Nachttischlampe auszumachen, verwandelte Azzael sich zurück. Mit geräuschvollem Räuspern trat er aus dem Schatten des Fensters hervor.
Dracula schreckte zusammen und fuhr hoch. Wie Azzael es liebte, Menschen in Angst zu versetzen.
„Was machen Sie hier?“ Die Stimme des alternden Möchtegern-Casanovas klang ängstlich und verärgert zugleich. „Verlassen Sie sofort mein Haus, sonst rufe ich die Polizei!“ Die Situation schien dem Hausherrn mehr als unangenehm zu sein, denn unter der weißen Schminke in seinem Gesicht kamen rote Flecken zum Vorschein, die bestens mit der Innenseite seines Umhangs korrespondierten.
„Nur zu, tun Sie sich keinen Zwang an, dann kommt hier endlich mal richtig Leben in die Bude!“ Azzael ließ eine Flamme aus seiner Fingerkuppe entspringen und steckte sich eine Zigarette an. Bedeutungsschwer wackelte er mit den Augenbrauen, während er eine fette Qualmwolke entließ.
„Wer sind Sie?“ Die Unterlippe des Alten bebte vor Angst, trotz sichtlicher Bemühung, sich diese nicht anmerken zu lassen.
„Ich bin ein Engel der Finsternis und komme im Auftrag des Teufels.“ Azzael machte eine kurze Pause, um das Gesagte wirken zu lassen. „Signor Galbani, ich bin hier, um Ihnen folgendes Angebot zu machen: Der Teufel garantiert Ihnen Manneskraft bis an Ihr Lebensende. So eine Peinlichkeit wie eben wird Ihnen in Zukunft erspart bleiben.“ Azzael konnte sich die Spitze einfach nicht verkneifen. „Darüber hinaus soll es Ihnen nie an schönen Frauen mangeln.“
Galbani lachte leise. Er hatte seine besten Jahre schon hinter sich, der Schein der Nachttischlampe ließ seine runzelige, von Falten durchzogene Haut erkennen. Dem Haus nach zu urteilen, fehlte es ihm offensichtlich an nichts - abgesehen von seiner Potenz.
Der Alte strich sich müde durch sein schütteres Haar. „Und im Gegenzug soll ich dem Teufel meine Seele verkaufen, nehme ich an.“ In seiner Stimme schwang leiser Spott.
Trotz Feuermagie glaubte er ihm nicht. Azzael musste schnell agieren. „Genauso ist es. Sie müssen nur hier unterschreiben.“ Blitzartig zog er eine Pergamentrolle aus seiner Manteltasche und hielt sie dem Alten unter die Nase.
Galbani brach in schallendes Gelächter aus.
Azzael stimmte mit ein. Doch kurz darauf verstummte er wieder und schaute dem Alten mit steinerner Miene und festem Blick in die Augen.
Das Lachen des Hausherrn verebbte im Raum. Er schritt eine Weile durch das Schlafzimmer und strich gedankenverloren über sein Kinn. Auf einmal hielt er abrupt inne. „Ach wissen Sie, was soll's. Ich hab sowieso nichts zu verlieren. Geben Sie das Ding her, ich unterschreibe.“
Während der Alte sein Kürzel unter den Vertrag setzte, grinste Azzael in sich hinein. So schnell hatte er noch nie einen Teufelspakt abgeschlossen. Er wusste, es kam ihm zugute, dass der Verstand des alten Lustmolches durch den Alkohol vernebelt war. Genau wie dessen Versagen zuvor im Bett mit dem Blondchen. Bis auf den Zwischenfall mit dem Blutsauger hatte alles gut geklappt. Endlich konnte er sich aus dem Staub machen.
„Na dann mal nichts wie ran an den Speck!“, sagte Azzael und gab dem Alten einen ordentlichen Klaps auf die Schulter. „Bevor die da unten alle Reißaus nehmen.“
Galbani blickte irritiert, ehe sich sein Gesicht rot verfärbte.
Rasch nahm Azzael dem Alten die unterschriebene Schriftrolle aus der Hand und steckte sie in die Innenseite seines Mantels. „Ich mach dann mal die Flatter.“
Galbani zeigte ein unsicheres Lächeln und verzog sich ins Bad.
Azzael beschloss, das Zimmer auf normalem Weg zu verlassen. Sonst verlor er womöglich unterwegs noch seinen Schwanz. Diese ständigen Verwandlungen waren ermüdend. Was daran unauffällig sein sollte, war ihm schleierhaft.
Als er die unbeleuchtete Treppe hinunterstieg, stolperte er über etwas. „Cazzo, was zum ...“ Beinahe wäre er die Stufen hinabgestürzt, wenn er sich nicht rechtzeitig am Geländer festgehalten hätte. Vor ihm, im Dunkeln verborgen, lag die Blondine. An ihrem Hals erkannte er zwei Einstiche.
Weilte das Bleichgesicht etwa noch unter den Untoten? Vampire waren zähe Burschen. Vielleicht hatte die Klinge sein Herz nicht vollständig durchstoßen. So oder so, damit wollte Azzael nichts zu tun haben, so etwas warf ein schlechtes Licht auf ihn. Doch das Blondchen musste schnellstens aus dem Weg geschafft werden. Er hob die Frau auf seine Arme, stapfte die Stufen hinunter und warf auch sie die Kellertreppe hinab. Bei der Gelegenheit fiel ihm ein, nach dem Bleichgesicht zu schauen, doch im gleichen Moment hörte er die Schlafzimmertür aufgehen.
Fröhlich pfeifend polterte der Hausherr die Stufen hinunter. Offenbar beherzigte er Azzaels Rat, seine frisch gewonnene Potenz gleich auszuprobieren.
Rasch schloss Azzael die Kellertür und huschte in den Salon. Nichts wie weg, genügend Leichen pflasterten seinen Weg. Schnellen Schrittes durchquerte er den Ballsaal, die Terrassentür fest im Blick. Ohne sich noch einmal umzusehen, trat er hinaus ins Freie.
Obwohl er wusste, dass er von diesem Ort verschwinden sollte, blieb er stehen. Irgendetwas hielt ihn zurück. Er atmete einmal kräftig durch, um seine Gedanken zu klären.
Plötzlich spürte er einen Blick im Nacken. Langsam drehte er sich um. Ihm blieb die Luft weg, und sein Herz setzte einen Schlag aus.
Sie war es.
Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, als ihre Blicke sich trafen. Im Schein des Mondes schien sie noch schöner. „Was machst du hier draußen?“
„Halte einen kleinen Plausch mit meinen Kumpels hier.“ Azzael wies auf die beleuchteten Kürbisköpfe.
Die Fremde kicherte und wirkte dabei so umwerfend süß.
„Zumindest scheinen sie unterhaltsamer als die da drinnen.“
Wie in Trance fragte Azzael: „Wie ist dein Name?“
„Lillith“, hauchte sie, nahm ihren Schleier ab und legte ihn über einen der Kürbisköpfe. „Und wer bist du?“
„Azzael“, antwortete er. Dann starrte er sie eine ganze Weile an und wusste nicht, was er sagen sollte. Sein Gehirn war wie leergesaugt. Langsam schwebte sie auf ihn zu - es kam ihm zumindest so vor - und küsste ihn.
Ihre samtkühlen Lippen jagten einen Schauer durch seinen Körper, der wie ein leichter Stromschlag kribbelte.
Mit geschlossenen Augen stand er einen Augenblick regungslos da und fühlte sich wie gelähmt. Was geschah mit ihm? Es war lange her, dass ihm jemand so nahe gekommen war. Lavendelduft umnebelte ihn, lullte ihn ein, bis die Eule mit einer Intensität schuhute, als wollte sie sich wieder in Erinnerung bringen.
Er blinzelte benommen und war gegen seinen Willen fasziniert von ihren Augen, die in dem schummrigen Licht wie Smaragdsteine leuchteten. So unergründlich. Er musste weg von hier. Obwohl ...
Azzael konnte nicht mehr an sich halten. Ungestüm zog er sie an sich, um ihren Mund in einem wilden Tanz mit seiner Zunge zu erforschen.
Sie schubste ihn von sich.
War er doch zu voreilig gewesen? Hatte sein stürmischer Annährungsversuch sie verschreckt? Azzael hatte vergessen, wie man es anstellte, eine Frau zu erobern.
Sie schubste ihn erneut, doch er stand wie festgewachsen. Ihre Augen funkelten aufgebracht, doch er meinte, in ihnen auch ein sanftes Necken blitzen zu sehen.
Azzael ergriff ihr Handgelenk und zog sie den Hügel hinab bis hinter eine hohe Buchsbaumhecke.
„Lass mich los!“, stieß sie leise hervor und versuchte, ihre Hand zu befreien. Doch ihr Widerstand klang nicht sehr überzeugend in seinen Ohren und brachte ihn nur dazu, seinen Griff zu verstärken.
Von einem wütenden Schnauben begleitet, riss sie ihm mit einer schnellen Bewegung der freien Hand seine silberne Kette mit dem umgedrehten Kreuz vom Hals und schleuderte sie in die Luft.
Cazzo, so stürmisch wie sie jetzt rangeht, kann sie es wohl gar nicht abwarten, freute sich Azzael. Sein Blick glitt begierig über ihren Oberkörper, während sie ihn atemlos anfunkelte. Es war zwar schon Ende Oktober, aber genau wie ihm schien ihr die Kälte nichts auszumachen, denn auf ihrer Haut konnte er keine aufgestellten Härchen erkennen. Sanft strich er mit den Fingerkuppen über ihren Oberarm bis hinauf zu ihrem Dekolleté, wo sich sein Blick im Ansatz ihrer üppigen Brüste fing. Es erregte ihn, wie ihr Brustkorb sich beim Atmen hob, so sehr, dass er nicht länger an sich halten konnte. Mit beiden Händen griff er an ihre Korsage und riss das Leder ruckartig auseinander.
Lilliths Brüste sprangen ihm förmlich entgegen.
„Donnerflittchen!“ Mit einem leisen Pfiff durch die Zähne glotzte er auf ihre prallen Rundungen. Die Eule schuhute erneut, und Azzael glaubte, einen anerkennenden Laut herauszuhören.
Begehrlich reckten sich ihm ihre Knospen entgegen. Das Angebot konnte er unmöglich ablehnen, und so strich er mit beiden Daumen darüber.
Sie schnurrte wie eine Katze und streifte ihm hastig den Mantel ab, ließ ihn zu Boden fallen, bevor sie ihre Finger in die Haut unter seinem T-Shirt krallte.
Azzael blickte verklärt zum Mond und grinste über seine vorherigen Befürchtungen: Wenn das hier ein Unglück sein sollte, was mochte diese Nacht dann noch für freudige Überraschungen für ihn bereithalten?
Er senkte den Kopf und küsste Lillith, diesmal erwiderte sie den Kuss nicht weniger ungestüm. Sie schmeckte nach süßem Wein, Zigaretten und Verlangen.
Sanft massierte er ihre Brüste, bevor er sein Gesicht zwischen ihnen vergrub und begann, sie mit der Zunge zu erforschen.
Keuchend drängte sie sich mit geschlossenen Augen gegen seinen erhitzten Körper und rieb ihren Unterleib an seiner Erektion. Quälend langsam glitten ihre Hände seinen Bauch entlang, öffneten den Reißverschluss seiner Hose, bevor sich ihre kühlen Finger besitzergreifend um sein bestes Stück legten.
Einen kurzen Moment rang Azzael nach Atem, dann drang ein Grollen aus seiner Brust. Schon lange hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt!
Lilliths Lider hoben sich flatternd, als sie sein pochendes Glied zu massieren begann. Sie blickte ihn an als wolle sie ihn auffressen.
Sein Becken zuckte nach vorn, sein ganzer Körper schrie danach, sich in sie zu versenken, doch er wollte den Augenblick hinauszögern, ihren Körper noch weiter erkunden, bevor er in sie eindrang.
Genüsslich fuhr er mit der Zungenspitze über ihren Schwanenhals. Es schien ihr zu gefallen, denn sie warf den Kopf zurück und drängte sich ihm entgegen, während sie sich auf die Unterlippe biss. Ein Zittern lief über ihren Körper, als er sanft an ihrer empfindsamen Haut saugte und knabberte.
Seine Hand schob sich in den Bund ihres Rockes. Sie wand sich stöhnend unter seiner Berührung, nur um ihn im nächsten Moment rüde wegzustoßen.
Porca puttana! Was sollte das? Doch rasend schnell schälte sie sich aus dem hochgeschlitzten Rock, und darunter trug sie - nichts. Azzael rang nach Luft und nutzte die Zeit ebenfalls, um mit ungelenken Bewegungen Hose und T-Shirt abzustreifen. Dann legte er einen Arm um ihre Taille, zog sie zu sich heran und genoss es, wie sich ihr Busen an seine behaarte Brust schmiegte.
Sie schloss die Augen, als er ihren Venushügel berührte, um dann mit den Fingerspitzen ganz sachte zwischen ihre Schamlippen zu fahren. Er fing ihren Blick ein, als sie flatternd die Lider hob und nach Luft schnappte.
Er drängte sie auf seinen ausgebreiteten Mantel hinab und schob sich zwischen ihre Schenkel.
Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht über ihren Hals zu ihren Brüsten. Cazzo, wie schön sie war, im erregten Zustand noch viel mehr. In all den Jahrhunderten hatte der Anblick einer Frau kein solches Verlangen in ihm erweckt. Seine Lippen schlossen sich um eine ihrer harten Brustwarzen und saugten daran, während ihre Hände seinen Rücken hinabglitten und mit festem Griff seine Pobacken umfassten.
Lillith schob sein Glied zwischen ihre Schamlippen und rieb es über ihrer Perle. Sie keuchte, stöhnte und wand sich unter ihm, sodass Azzael ihren Mund mit einem hemmungslosen Kuss verschlang.
Heiße Feuchtigkeit benetzte ihn. Die Zeit ist reif ...
Sie jauchzte leise, als er ruckartig in sie eindrang. Eng und heiß umschloss sie sein Glied, und ihr Begehren schenkte ihm ein Gefühl von völliger Inbesitznahme. Er thronte über ihr, während er sich mit langsamen Bewegungen hin und her bewegte.
„Gib mir alles von dir“, flüsterte sie mit ihrem elektrisierenden Akzent.
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Mit stärker werdenden Stößen trieb er sie in Richtung Ekstase. Wann hatte er das letzte Mal seinen Gefühlen freien Lauf gelassen? Es fiel ihm nicht ein. Alles um ihn herum verschwamm, es gab nur noch sie und ihn.
Ihr Körper erbebte unter ihm. Sie keuchte, wimmerte, biss sich stöhnend auf die Unterlippe, während ihre Fingernägel langsam durch sein leicht gekräuseltes Brusthaar fuhren.
Durch die hemmungslose Lust, mit der sie ihm begegnete, spürte er, wie die Hitze sich in ihm steigerte. Nur noch einen kurzen Moment aushalten. Azzael presste die Zähne aufeinander.
Ein Fauchen kam aus ihrem Mund, ein lautes Stöhnen folgte, bis die Spannung sich entlud und sie den Gipfel der Lust erstürmte. Gleichzeitig rauschte die Welle des Höhepunkts mit brachialer Gewalt über Azzael hinweg.
Schnaufend und zitternd sank er über ihr zusammen, sein Körper erschlaffte in ihren Armen. Immer noch miteinander verschmolzen, verharrten sie bewegungslos in dieser Position.
Heftiges Atmen ging allmählich in einen langsameren Rhythmus über. Sie nahm seinen Kopf in beide Hände, zog ihn zu sich heran und küsste ihn zärtlich. Der Kuss war von solch einer Intensität, dass ihm schwindelte.
Er spürte, wie sein Glied erneut steif wurde und schenkte ihr ein wölfisches Grinsen. „Wie wär`s mit einer Zusatzrunde?“
„Unbedingt“, hauchte sie.
Als sie voneinander abließen, dämmerte es bereits. Lillith blickte Richtung Osten und schnappte nach Luft. Wie eine Viper schoss sie hoch, klaubte dann hektisch ihre Kleider zusammen.
Azzael saß auf der taufeuchten Wiese und beobachtete, wie sie ihren Rock und ihre Stiefeletten überstreifte. Er spürte ein heftiges Kribbeln im Bauch. Es war mindestens fünfhundert Jahre her, dass er das letzte Mal das Zusammensein mit einer Frau genossen hatte. Kein Joint hatte ihm je dieses berauschende Gefühl geschenkt.
„Beeil dich!“, riss Lillith ihn aus seinen Tagträumen.
Azzaels Gedanken flossen zäh wie Honig. Warum sollte er sich beeilen? Er begriff nicht, warum sie es auf einmal so eilig hatte. Doch er wollte ihr nicht widersprechen. So raffte er sich auf, streifte sich seine Klamotten über und folgte ihr zurück zum Anwesen. Die Zeit mit dieser Frau wollte er so lange wie möglich auskosten, denn er fühlte sich in ihrer Gegenwart gelöst und frei wie noch nie. War er erfüllt von jenem Gefühl, welches die Menschen Glück nannten? Ihm war danach zumute, es herauszuschreien.
Kaum waren sie wieder im Festsaal angekommen, ließ Lilith ihren Blick unruhig über die wenigen übriggebliebenen Gäste gleiten. „Wo treibt er sich nur wieder rum?“, flüsterte sie mit gerunzelter Stirn.
„Nach wem suchst du?“
„Ich bin mit meinem Bruder gekommen. Ich wollte ihn dir vorstellen.“
Azzael nahm ihre Hand, doch Lilith entzog sie ihm. Verwunderung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. „Er scheint nicht mehr da zu sein“, sagte sie wie zu sich selbst, ehe ihr Blick nach draußen glitt. „Sacré!“, fluchte sie und blickte zu ihm. „Für mich wird es auch Zeit. In ein paar Stunden muss ich arbeiten gehen.“ Lilith war aschfahl. Ein Schatten schien plötzlich auf ihrem Gesicht zu liegen, der ihr Lächeln düster wirken ließ.
Azzael begleitete sie auf die Terrasse. Es wurde langsam hell, das Licht der aufgehenden Sonne färbte den dunklen Horizont violett und vertrieb das Grau der Nacht.
„Sehen wir uns wieder?“, fragte er, bereute jedoch sogleich den flehenden Klang seiner Stimme. Was hatte sie nur mit ihm gemacht?
Kurz strichen ihre smaragdenen Augen über ihn und versetzten ihm einen kleinen Stich. Einen Atemzug später wandte sie sich um, glitt ohne eine Antwort mit übernatürlicher Geschwindigkeit durch die Schatten der Bäume und war schneller verschwunden, als er reagieren konnte.
Verdutzt blickte er ihr hinterher. Ein seltsames Ziehen in der Brust ließ ihn schwer atmen. Porco dio! Was war schiefgelaufen? Gerade eben hatte er nach etlichen Jahrhunderten eine Frau getroffen, die in ihm vergessene Gefühle weckte, und schon war sie ihm entglitten, wie Wasser, das durch seine Finger rann.
Wutentbrannt trampelte Azzael über die Rasenfläche quer durch das liebevoll angelegte Rosenbeet, ungeachtet dessen, dass er dabei sämtliche Hagebutten zerstörte. Blätter verfingen sich in seinem Haar, Dornen zerkratzten seine Arme, dennoch schlug er die Zweige zornig zur Seite. Warum musste das gerade ihm passieren? Er kämpfte den Schmerz in seiner Brust nieder, der ihn zu überwältigen drohte. Zielstrebig hielt er auf die zwei Meter hohe Mauer zu. Azzaels Finger tasteten nach dem Rand der Umzäunung. Ohne Anstrengung zog er sich am groben Stein empor, schwang sich über den elektrisch geladenen Stacheldraht und ignorierte die geschätzten fünfzehntausend Volt Stromstöße, die durch seinen Körper zuckten.
Die Gleichgültigkeit hatte wieder die Oberhand gewonnen. Nichts konnte ihn mehr aufhalten, so schnell wie möglich wollte er zurück in sein Refugium, in Luzifers Villa in der Via Appia. Er hatte seinen Auftrag erledigt, das war alles, was zählte. Nun konnte er getrost wieder zu alter Manier zurückkehren.
Liebevoll strich Luzifer über das Fell seines weißen Pudels und hob ihn auf seinen Schoss, wo er sich nach ein paar Schnüffelrunden niederließ.
Ein wehleidiges Stöhnen entfuhr ihm, als sein Blick über den bedenklich schaukelnden Aktenstapel auf dem Schreibtisch glitt, der schon seit einigen Tagen um seine Aufmerksamkeit buhlte. Wie er diesen Bürokram hasste! Eine Seelenbilanz des letzten Quartals war überfällig, neue Verträge mussten aufgesetzt und kleingedruckte Klauseln nahezu unsichtbar untergebracht werden. Zudem musste er das Rücktrittsrecht endlich entfernen. Doch das konnte warten.
Etwas viel Unterhaltsameres drängte sich ihm auf und vereinnahmte sein Interesse. Überall klebten Notizzettel, auf denen er seine Einfälle notierte. Schon lange liebäugelte er mit dem Gedanken, sich ein zweites Standbein aufzubauen, das ihm ein wenig Abwechslung und Freude brachte.
Eine Idee ließ ihn nicht mehr los: Real Desaster Experience - Eventreisen mal ganz anders. Warum sollte er nicht seine alten Großtaten aufleben lassen und die Menschen durch ihre Sensationslüsternheit schröpfen? So schaulustig wie sie waren, so begierig wären sie vermutlich darauf, selbst hautnah bei einer Katastrophe dabei zu sein. Eine Werbeanzeige erschien vor seinem inneren Auge: „Sei dein eigener Hauptdarsteller bei einem Desaster deiner Wahl.“
Da die Kreuzfahrtbranche momentan boomte, schwebten ihm vor allem Schiffsunglücke vor. „Sei mittendrin, wenn die Titanic mit dem Eisberg kollidiert, und Wasser die unteren Kajüten flutet!“ Luzifer zog ein Bonbon aus seiner Jackett-Tasche, wickelte es aus und schob es sich gedankenverloren in den Mund; Lakritze brachte ihn zur Ruhe und half ihm beim Nachdenken.
Er sah Katastrophenurlauber vor sich, die sich ganz gemächlich auf den Weg zu den Rettungsboten begaben. Galant überließen sie anderen den Vortritt, schließlich wollten sie so lange wie möglich den Nervenkitzel spüren. Im Boot angekommen und in kuschlige Decken gehüllt, schlürften sie ein Glas Champagner, freundliche Stewards reichten Häppchen, während sie bei passender musikalischer Untermalung genossen, wie der Bug der Titanic im Meer versank. Wer wollte, konnte zusätzlich einen Sprung ins Eiswasser buchen. Ansonsten übernahmen das billige Statisten, um das Schauspiel so authentisch wie möglich wirken zu lassen.
Vielleicht baute er sich selbst noch einen kleinen Auftritt ein, bei dem er das Klischeebild erfüllte und mit wallendem Umhang, Teufelshörnern und Dreizack am Bug stand, um die Urlauber mit jovialem Lächeln in den vermeintlichen Tod zu begleiten.
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