Das Buch
Sie ist mutig, tough und mit allen Wassern gewaschen: Hail Bristol, seit zwanzig Jahren Waffenschmugglerin und Raumschiffkapitänin. Niemand ahnt, dass sie eigentlich eine Prinzessin des großen Sternen-Imperiums Indrana ist. Selbst Hail hat ihre royale Herkunft fast vergessen, bis sie eines Tages relativ unsanft von ihrer Mutter, der Kaiserin, an den Hof zurückgerufen wird und Blaster gegen Zepter eintauschen muss. Denn Indrana steht kurz vor einem Krieg – aber damit kennt Hail sich ja bestens aus …
Die Autorin
K. B. Wagers wuchs in Colorado auf, studierte Russisch und wurde für ihre Sachbücher bereits zweimal mit dem Air Force Space Command Media Contest Award ausgezeichnet. Thronräuber ist der Auftakt zu ihrer großen neuen Weltraum-Saga um die mutige Space-Piratin Hail Bristol. K. B. Wagers lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn am Fuße der Rocky Mountains.
Mehr über K. B. Wagers und ihren Roman erfahren Sie auf:
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K. B. WAGERS
THRON
RÄUBER
DER INDRANA-KRIEG
ROMAN
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe
BEHIND THE THRONE – THE INDRANIAN WAR: BOOK 1
Deutsche Übersetzung von Kristof Kurz
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Deutsche Erstausgabe 01/2018
Redaktion: Ralf Dürr
Copyright © 2016 by Katy B. Wagers
Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,
nach einem Originalentwurf von Lauren Panepinto
Umschlagmotive: Arcangel / Rekha Garton,
iStock / sololos, Shutterstock / tsuneomp
Cover © 2016 Hachette Book Group, Inc.
Satz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN 978-3-641-21118-9
V001
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Für alle Frauen, die mich tagtäglich inspirieren.
Für alle vergangenen, gegenwärtigen
und zukünftigen Generationen.
Ich stehe auf den Schultern von Amazonen.
· 1 ·
Hail. Steh auf.
Die Stimme, die durch die Übelkeit in meinen Kopf drang, klang etwas zu sehr nach meinem Vater. Was auf perverse Art Sinn ergab: Wenn ich tot war, konnte es ja durchaus sein, dass ich die Stimme eines Mannes hörte, der vor einundzwanzig Jahren vor meinen Augen erschossen worden war.
Beim Einatmen erfüllte bitterer Blutgeschmack meinen Mund und meine Nase. Rostiges Eisen und der Gestank des Todes. Aber ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wieso es im Laderaum meines Schiffes plötzlich wie in einem Schlachthaus roch.
Hail, steh sofort auf.
Wem die Stimme in meinem Kopf auch gehörte, sie brachte mich dazu, mich zu bewegen – oder es zumindest zu versuchen. Wenig anmutig rappelte ich mich auf. Meine Stiefel – erstklassige schwarz-rote Holycon IV, die ich erst vor einem halben Jahr einem toten Plünderer abgenommen hatte – rutschten über den vom Blut glitschigen Metallboden. Ich verlor das Gleichgewicht und schlug hart mit meinem bereits lädierten Gesicht auf dem Deck auf. Einen Augenblick lang wurde mir schwarz vor Augen.
Vergebens versuchte ich, mich auf den Rücken zu rollen. Die Schmerzen wurden stärker. Auch gut – immerhin war ich nicht tot. Trotz allen Zynismus glaubte ich nicht, dass einen die Götter auch im Jenseits Schmerzen empfinden ließen. Das kam mir einfach unanständig vor.
»Was für eine Schweinerei.«
Diese Stimme war nicht in meinem Kopf, was sie umso gefährlicher machte. Ich rührte mich nicht, obwohl ich mit dem Gesicht in den Eingeweiden von jemandem lag. Zumindest roch es so.
Allmählich fiel mir alles wieder ein. Die Eingeweide gehörten höchstwahrscheinlich meiner Navigatorin. Vage erinnerte ich mich daran, dass ich sie mit ihren eigenen Gedärmen hatte erwürgen wollen. Memz war eine harte Nuss gewesen und hatte ein paar gute Treffer gelandet, bevor es mir zur blöd wurde und ich ihr das Genick brach.
»Mögen die Wochenheiligen uns beschützen.«
Hinter mir ertönte eine Reihe von Flüchen, doch die hohe, trällernde Anrufung der Heiligen zu meiner Linken weckte meine Aufmerksamkeit. Ein farianischer Akzent – Grund genug, um weiter reglos liegen zu bleiben.
Farianer. Außerirdische, die mit einer Berührung töten oder heilen konnten. Das Einzige, was sie von der Eroberung des Universums abhielt, waren ihre merkwürdigen religiösen Vorschriften, an denen sie mit einem Fanatismus festhielten, um den sie jede Diktatur beneidet hätte. Sie hatten sieben Heilige – einen für jeden Tag der Woche. Wenn ich mich recht erinnerte, waren dem Donnerstagsheiligen Gewalttaten ein Gräuel.
Der Überlieferung nach hatte dieser Heilige ihnen geboten, mit ihrer Macht zu heilen, aber keinesfalls zu schaden. Wenn ein Farianer mit seinen Kräften jemanden tötete, fiel er selbst dem Wahnsinn anheim. Das hatte ich zwar noch nie hautnah miterlebt, aber ich kannte Videos, die einem die Haare zu Berge stehen ließen: Völlig aufgelöste, von Trauer übermannte Farianer wurden von ihren Kameraden festgehalten und von einem Henker von ihren Leiden erlöst.
Still liegen zu bleiben war also keine so üble Idee. Religiöses Gebot hin oder her: Es war nicht auszuschließen, dass dieser Farianer den Verstand bereits verloren hatte. Und ich hatte noch nicht mal eine Waffe.
»Sergeant, Sie haben ein Lebenszeichen gemeldet«, sagte eine weibliche, mehrere Oktaven tiefere Stimme. Der Satz war keine Frage, sondern knüpfte offenbar an eine vorherige Unterhaltung an.
»Genau, Cap. Ein einzelnes, in diesem Raum«, antwortete die trällernde Stimme. »Näher kann ich es nicht eingrenzen.«
»Na schön. Ausschwärmen und dieses …« Eine dramatische Pause. Ich widerstand der Versuchung, den Kopf zu heben und nachzusehen, ob sie bereits in den Laderaum vorgedrungen waren. »… Durcheinander durchsuchen«, beendete sie den Satz endlich. »Sergeant Terass behauptet, dass eines dieser armen Schweine noch lebt. Also findet raus, welches.«
Ich schloss die Augen und zählte die Schritte meiner ungebetenen Gäste. Es waren insgesamt fünf Personen, die sich mit militärischer Präzision vorwärtsbewegten. Womöglich Söldner, die Ansprüche auf mein Schiff erhoben. Ich hatte nicht herausfinden können, wem Portis – dieses Riesenarschloch von Erstem Offizier – die Sophie nach seiner kleinen Meuterei hatte verkaufen wollen.
Weil du ihn vorher umgebracht hast.
Die Trauer schlug ihre scharfen Krallen in meine Kehle, und ich musste ein Schluchzen unterdrücken. Mögen dich die Götter verfluchen, Portis. Warum hast du mich verraten?
Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht ganz sicher, ob er mich oder ich ihn hatte töten wollen. Die Erinnerung an den Kampf war so trüb wie die Ozeane von Pasicol und ebenso ätzend. Sobald ich versuchte, die Bilder zu einem einigermaßen zusammenhängenden Ganzen zu ordnen, stürzten sich die Kopfschmerzen mit Gebrüll auf mich.
Ich brüllte zurück, bis sie sich wimmernd in den hintersten Winkel meines Hirns zurückzogen. Momentan gab es Wichtigeres: zum Beispiel, diese Arschlöcher von meinem Schiff zu werfen und mich dann so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen.
Ich ließ meine Hand über das trocknende Blut gleiten und vergrub sie tief in der dicken, matschigen Masse. Als ich das Kampfmesser ertastete, überkam mich ein leichtes Triumphgefühl. Es gehörte mir, die Kerbe am Griff war unverkennbar.
Was für ein Scheißtag. Immerhin war ich jetzt bewaffnet.
Die Eindringlinge marschierten an mir vorbei. Durch einen glücklichen Zufall war ich unter der Treppe und somit außer Sichtweite gelandet. Ich rollte mich zur Seite, über Portis’ Torso hinweg und aus dem abstrakten Blutgemälde auf dem Boden. Sobald ich sein Profil sah, hätte ich ihn am liebsten getreten und seinen Namen verflucht – nur um ihn dann auf Knien anzuflehen, mich nicht alleinzulassen.
Du hast keine Zeit für so was, Hail. Setz dich in Bewegung. Die Stimme meines Überlebensinstinkts hallte so scharf und präzise wie die eines imperialen Ausbildungsoffiziers durch meinen Kopf. Ich ging in die Hocke. Mein linkes Bein protestierte zwar, gab aber nicht nach.
Die Eindringlinge hatten mir den Rücken zugekehrt. Beinahe hätte ich den Göttern dafür gedankt, bis mir einfiel, dass die Götter meiner Heimatwelt in letzter Zeit nicht viel für mich getan hatten. Portis war der Gläubige von uns beiden gewesen. In der schummrigen Notbeleuchtung war es vielleicht möglich, ungesehen in den Schatten der Tür zu huschen.
Die Schiffs-KI reagierte nicht auf die Anfragen meines smati. Ob es daran lag, dass ein Störsignal die in mein Gehirn implantierte Hardware kurzgeschlossen hatte oder der Bordcomputer der Sophie defekt war, ließ sich von hier aus nicht eindeutig bestimmen. Egal. Ich musste die Brücke erreichen und den Computer manuell bedienen. Wenn es mir gelang, diese Spaßvögel ins All zu pusten, war ich über alle Berge, noch bevor ihre Schädel implodierten.
Wenn.
Bevor ich mir über dieses Wenn weitere Gedanken machen konnte, lief ich direkt in den sechsten Eindringling hinein.
Er verbarg sich in den Schatten, in denen ich mich eigentlich hatte verstecken wollen. Ich wirbelte herum und rammte die rechte Hand in seine Rippen. Er gab kein Geräusch von sich, nur sein Personenschild blitzte mit blauem Schimmer auf. Ich stieß einen leisen Fluch aus. Der Schild würde jeden meiner Schläge absorbieren – viel Schaden konnte ich also nicht anrichten. Glücklicherweise war sein Kopf nicht von derselben kinetischen Technologie geschützt. Meine linke Hand schoss mit der Klinge voran auf seine Kehle zu. Er packte mein Handgelenk, drehte es um und von seinem Hals weg.
Ich war so groß wie er und − dem überraschten Blick aus seinen dunklen Augen nach zu schließen − beinahe so kräftig. Einen Herzschlag lang rangen wir miteinander, dann drängte er mich einen Schritt zurück. In der Notbeleuchtung der Sophie glühte die silberne Tätowierung auf seinem linken Wangenknochen blutrot.
Beim Anblick des komplizierten Rautenmusters, dessen vier Spitzen sich leicht gegen den Uhrzeigersinn neigten, setzte mein Herz vor Schreck aus: der imperiale Stern, eine der höchsten Auszeichnungen überhaupt. Das verschlungene schwarze Symbol auf seinem Kragen dagegen brachte mein Herz wieder auf Hochtouren: ein imperialer Jäger.
»Ach du Scheiße.«
Den Fluch konnte ich mir nicht verkneifen – vor Überraschung entschlüpfte er mir sogar in der alten Sprache. Ein Jägerteam konnte nur aus einem einzigen Grund hier sein – aus genau dem Grund, aus dem ich zwanzig Jahre lang jeden Kontakt mit dem indranischen Imperium gemieden hatte.
Ach du Scheiße.
Jäger arbeiteten immer in Zweierteams. Dummerweise konnte ich den vor mir nicht aus den Augen lassen und mich nach seinem Partner umsehen. Ich trat einen Schritt zurück und überlegte fieberhaft, wie ich mich aus diesem Albtraum befreien konnte.
Der Jäger lächelte leicht – weiße Zähne vor dunkler Haut. Auf seiner rechten Wange wurde ein kleines Grübchen sichtbar. Er verstärkte den Griff um mein Handgelenk, was die Symphonie meiner Schmerzen um eine schrille Note bereicherte.
»Eure kaiserliche Hoheit, ich will Euch nichts tun. Bitte lasst das Messer fallen.«
Ach du Scheiße.
»Keine Ahnung, wovon du da redest.« Die Lüge kam mir mühelos über die Lippen. »Ich bin nur eine Waffenhändlerin.«
Er tippte sich mit dem Finger knapp über der Tätowierung auf die Wange. Nun bemerkte ich den silbernen Schimmer der Augenmodifikation in den tiefdunklen Pupillen. »Ich weiß, wer Ihr wirklich seid. Versucht nicht, mich für dumm zu verkaufen.«
Ich stieß eine Reihe saftiger Flüche aus, die eines Weltraumpiraten würdig gewesen wären. Die Körpermodifikationen, für die ich nach der Flucht von meinem Heimatplaneten ein Vermögen ausgegeben hatte, hatten in den letzten zwanzig Jahren nach indranischer Zeitrechnung jeden Scanner im bekannten Universum getäuscht, aber gegen eine solche Technologie waren sie natürlich machtlos.
Alle Jäger waren voll modifiziert und verfügten über smatis vom Feinsten. Wahrscheinlich hatte er einen DNA-Scanner aktiviert, sobald er mein Handgelenk gepackt hatte. Der und die Sensoren in seinen Augen hatten meine Identität eindeutig bestätigt. Mein Schicksal war besiegelt.
Ich konnte ihn nicht täuschen. Nun blieb nur noch eine Lösung: brutale Gewalt.
»Bitte, Euer Hoheit«, wiederholte er. Seine Stimme stieg wie ein Rauchfaden in die Luft auf. »Eure Mutter, die Kaiserin, verlangt, Euch zu sehen.«
»Das verlangt sie, ja?«, rief ich mit brüchiger Stimme. »Willst du mich verarschen? Sie verlangt, mich zu sehen?« Ich riss mich von ihm los und landete einen Tritt gegen seine Brust.
Das hatte denselben Effekt, wie gegen das Armaturenbrett der Sophie zu treten, wenn die Triebwerke nicht starten wollten – es war schmerzhaft und wenig effektiv. Dieser beschissene Personenschild. Der Jäger trat einen Schritt zurück. Das Energiefeld seines Anzugs hatte die Wucht des Tritts mit einem leichten blauen Schimmer absorbiert.
Kräftige Hände umklammerten meine Oberarme.
Da also war der zweite Jäger.
In der Hoffnung, dass auch dieser keinen Helm trug, warf ich den Kopf nach hinten. Ich hörte das süße Knacken einer brechenden Nase, gefolgt von einem überraschten Fluch. Ich hatte richtig geraten.
Ich wirbelte herum, packte die Kehle des Mannes mit einer Hand und drehte das Messer in der anderen Hand herum. Dann grinste ich Jäger Nummer eins hämisch an. »Einen Schritt weiter, und ich schneide ihm die Kehle durch.«
Das war im Prinzip kein schlechter Bluff. Ein Jäger riskierte niemals das Leben seines Partners. Und das aus gutem Grund: Sobald einer starb, folgte ihm auch der andere in die Umarmung der dunklen Mutter. Das war der Preis für diese enge, schon seit Kindertagen bestehende Verbindung.
»Ich weiß weder, wer ihr seid, noch, warum ihr Memz auf mich gehetzt habt, aber heute habt ihr kein Glück.«
»Euer Hoheit, damit haben wir nichts zu tun.« Der Jäger ging einen Schritt auf mich zu.
»Zurück und runter von meinem …«
Ich wurde durch das Geräusch mehrerer hochfahrender Phasengewehre unterbrochen. Scheiße. Die anderen Typen hatte ich ganz vergessen.
»Nicht.« Der Jäger hob eine Hand. Ich wagte einen Blick nach links. Wie erwartet, hatten sie sich mit ihren Gewehren im Anschlag um uns gruppiert.
»Euer Hoheit, Eure Schwestern sind in den Tempel heimgegangen«, sagte er förmlich. Seine Worte bohrten sich wie eine glühende Klinge in meine Eingeweide. Ich lockerte den Griff, in dem ich den halb bewusstlosen Jäger hielt.
Cire. Pace. Bei den Göttern, das durfte nicht sein.
Einen kurzen Augenblick lang sah ich Cire vor meinem geistigen Auge – meine zwei Jahre ältere Schwester, wie sie mit wogenden pechschwarzen Locken über die handbemalten Fliesen unserer Gemächer lief. Cire, wie sie der kleinen blonden Pace hinterherjagte. Pace, deren Lachen sprudelte wie die bronzenen Wasserfälle der Palastgärten.
»Prinzessin Hailimi Mercedes Jaya Bristol, Eure Mutter, die Kaiserin, sowie das Imperium erwarten sehnlichst Eure Rückkehr.«
»Niemals«, flüsterte ich. Keine Ahnung, ob das der Nachricht vom Tod meiner Schwestern oder seinen Worten galt.
War da Mitleid in der Miene des Jägers? Er hielt mir die Hand vors Gesicht und streckte die Finger in einer unglaublich anmutigen Bewegung aus. Blasser, lilafarbener Rauch trieb auf mich zu, glitt in meinen Mund und meine Nase, bevor ich mich abwenden konnte.
»Du blödes verräteri…«
Mitten im Fluch verlor ich das Bewusstsein und fiel auf den Jäger, dessen Nase ich soeben gebrochen hatte.
Ich erwachte im Dunklen. Mein Kopf tat immer noch weh. Sobald ich mich wieder an alles erinnerte, murmelte ich einen saftigen Fluch.
»Ganz ruhig, Euer Hoheit.«
Eine Stimme, plötzlich grelles Licht. Ich sprang aus dem Bett und landete auf meinen nackten Füßen. Sofort ging ich in Angriffsstellung und sah mich um. Neben der Tür stand der Jäger, der mich gefangen genommen hatte. Der andere, der sich gegenüber des Bettes postiert hatte, war dann wohl sein Partner.
Seine Nase sah völlig unversehrt aus. Die Farianerin hatte sie geheilt. Dieser Jäger war etwas kleiner als ich und hatte bronzefarbene Haut. Seine Augen erinnerten an den graugrünen Sand auf Granzier. Und genau wie die Dünen auf Granzier waren sie ständig in Bewegung.
»Wir wollen Euch nichts tun, Eure Hoheit.« Jäger Nummer zwei hob besänftigend die Hände; bei seinem höflichen Ton und dem demütig gesenkten Kopf wurde mir schlecht.
Tja, Hail. Da wären wir wieder. Ich erwiderte diese Bemerkung mit einem wütenden Schnauben und warf dem Jäger an der Tür einen eiskalten Blick zu.
»Ich will meine Klamotten, meine Stiefel und mein Schiff zurück«, sagte ich und deutete auf die graubraune Hose und das Tanktop, in die man mich während meiner Ohnmacht gesteckt hatte. »Mein Name ist Cressen Stone. Ich weiß ja nicht, mit wem ihr mich verwechselt, aber …«
»Lügnerin«, sagte Jäger Nummer eins. Seine Stimme war so bedrohlich wie die glimmenden Überreste eines Feuers, das jeden Moment neu entfacht werden konnte. Das Wort tanzte durch den Raum und brannte schmerzhaft, sobald es mich traf.
Ich war lange von zu Hause weg gewesen und wusste, wie es im übrigen Universum zuging. Trotzdem war ich verblüfft, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Mann, der immerhin ein Diener des Imperiums war, eine solche Beleidigung aussprach.
»Emmory.« Jäger Nummer zwei wies seinen Partner zurecht, ließ mich dabei jedoch nicht aus den Augen.
Emmory schien das wenig zu kümmern. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schien mich mit seinem Blick durchbohren zu wollen. Endlich nickte er beinahe unmerklich. Das Minimum an Ehrerbietung, das das Protokoll verlangte. »Bitte entschuldigt. Ihr seid eine Lügnerin, Euer Hoheit.«
»Dhatt.« Jäger Nummer zwei verdrehte die Augen und ließ die Zunge über die Zähne gleiten. Dann schenkte er mir ein überraschend ehrliches Lächeln. »Euer Hoheit, bitte vergebt meinem Partner. Seine Umgangsformen lassen etwas zu wünschen übrig.«
»Na schön«, sagte ich, aber nur, um das Ganze zu beschleunigen. So ungebührlich die Bemerkung auch gewesen war, er hatte ja recht. Ich war ganz offensichtlich eine Lügnerin.
Als Jäger hatten sie vollen Zugang zu meiner Akte. Sie hatten mich studiert, sich in mich hineinversetzt, soweit das einem anderen Menschen möglich war – allein zu dem Zweck, mich aufzuspüren. Ich fragte mich, ob sie wussten, warum ich meine Heimatwelt verlassen hatte, oder ob sie nur die offizielle Version meiner Flucht kannten. Ihrer Einstellung nach zu urteilen eher Letzteres.
»Fangen wir doch von vorne an, ja? Eure Mutter, die Kaiserin, hat uns geschickt. Versprecht Ihr, auf Gewalt gegen mich und meinen Partner zu verzichten?«
Ich dachte darüber nach und zuckte mit den Schultern. »Ich verspreche es«, sagte ich. »Vorerst«, fügte ich hinzu, da ich mich nur ungern auf unbestimmte Zeit zu etwas verpflichtete. »Wer seid ihr überhaupt? Ihr dürft mich hier nicht festhalten.« Ich sprach so gefasst und ruhig, wie es mir angesichts der Umstände möglich war. »Ihr Penner könnt mich mal kreuzweise. Ich hab Kopfschmerzen.« Ich legte eine Hand an die Schläfe. Das Pochen wurde stärker.
»Wem sagt Ihr das«, entfuhr es Jäger Nummer zwei, dann verzog er das Gesicht. Wenigstens er achtete auf die korrekten Umgangsformen. »Entschuldigt, Euer Hoheit. Das sapne war zu Eurer eigenen Sicherheit.«
»Fauler Lavendelrauch«, murmelte ich. Erst jetzt fiel mir auf, dass nur mein Kopf schmerzte. Alle anderen Verletzungen und Blessuren waren wie weggeblasen. »Ihr habt zugelassen, dass mich diese Farianerin berührt«, empörte ich mich schockiert.
»Euer Hoheit, Sergeant Terass ist absolut vertrauenswürdig«, sagte Emmory. »In ihrer Obhut bestand nicht die geringste Gefahr für Euch. Angesichts der Umstände wollten wir Euch in bester körperlicher Verfassung nach Hause bringen.«
Ich funkelte ihn böse an, dann wandte ich mich dem anderen Mann zu. »Wer seid ihr?«
»Entschuldigt die Unhöflichkeit, Euer Hoheit. Ich bin Starzin Hafin, Jäger der fünften Stufe. Dies ist mein Partner Emmorlien Tresk. Wir wurden damit beauftragt, Euch aufzuspüren und nach Hause zu bringen. Ihr werdet gebraucht.« Starzin war bis hinunter zur korrekten Handhaltung in den höfischen Umgangsformen bewandert. Was mich sofort auf die Palme brachte. Da war mir ja Emmorys Feindseligkeit noch lieber als diese Kriecherei.
»Okay.« Emmory hatte mich berührt und damit meine Identität zweifelsfrei festgestellt. Es hatte keinen Zweck mehr, sie anzuschwindeln. »Was will Mutter von mir? Über den Tod meiner Schwestern plaudern? Kann ich mir nicht vorstellen. Wir sind damals nicht gerade im Guten auseinandergegangen.«
Das war noch weit untertrieben. Die offizielle Version der Geschichte lautete, dass ich kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag geflohen war, um nicht gegen meinen Willen verheiratet zu werden. Die weniger offizielle, von meiner Mutter aber immer noch nicht akzeptierte Fassung? Ich hatte mich auf die Jagd nach dem letzten der drei Mörder meines Vaters gemacht.
Dieser Unbekannte hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Und egal, wie weit ich seither meine Fühler nach ihm ausgestreckt hatte, er blieb verschwunden. Trotzdem war ich nicht nach Hause zurückgekehrt. Eigentlich hatte ich schon damals erwartet, dass mir Generalin Saito oder Direktor Britlen die Jäger auf den Hals hetzen würden. Aber ich hatte Geschmack am Universum gefunden. Es war nicht perfekt, aber immer noch besser als das rückständige Indrana. Ich war weder willens, dorthin zurückzukehren, noch die Suche nach dem Mörder meines Vaters einzustellen. Ich hatte immer nach ihm gesucht, selbst als die Spur längst erkaltet war.
Beide Jäger zuckten bei meinen harschen Worten zusammen. Ich trat jede nur vorstellbare Benimmregel mit Füßen, stellte ungehörige Fragen und hatte die Nachricht vom Tod meiner Schwestern scheinbar teilnahmslos aufgenommen. Dabei wollte ich am liebsten meine Trauer einfach nur ins All hinausschreien. Das jedoch verbarg ich so gut wie möglich. Besser, sie hielten mich für zu hart als zu weich. So blieb mir zumindest die Möglichkeit, diesen Schlamassel mit einem Rest von Selbstachtung hinter mich zu bringen.
»Euer Hoheit, Eure Schwestern sind in den Tempel heimgegangen«, sagte Starzin mit tiefer, trauernder Stimme. »Ihr seid die Thronfolgerin. Ihr müsst heimkehren.«
Diese Worte trafen mich bis ins Mark. Sie brannten wie die Zehntausend-Volt-Polizeitaser des Solarkonglomerats.
»Was?« Ich rang nach Luft. »Unmöglich. Cire hat eine Tochter. Das hab ich in den Nachrichten gesehen. Atmikha ist die Thronfolgerin, nicht ich.«
»Prinzessin Atmikha starb durch dieselbe Explosion wie ihre Mutter.«
Ich schnappte nach Luft. Nun musste ich auch noch um eine Nichte trauern, die ich nie kennengelernt hatte. Ein weiterer Holzklotz auf dem Scheiterhaufen, auf dem meine Freiheit zu Asche verbrannte. Jetzt war jede Hoffnung, aus dieser Sache herauszukommen, dahin. Ich sah Emmory entmutigt und schockiert an.
»Emmory, verdammt noch mal!«
Auf die scharfe Ermahnung seines Partners hin wandte Emmory den Blick ab. Ich schluckte meine Trauer herunter und nutzte die Gelegenheit, um mich nach einer Waffe umzusehen. Auf dem Nachttisch neben dem Bett stand eine schwere – vermutlich mit Wasser gefüllte – Metallflasche. Ich machte einen Schritt darauf zu.
»Zin, sie muss es erfahren«, sagte er.
Zin schüttelte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf. So über die Toten zu reden geziemte sich nicht. Allein ihre Erwähnung konnte ihre Seelen erneut an ihre Körper fesseln. Nur ein Priester hatte das Recht, über die Umstände ihres Todes zu sprechen. Ihre Namen zu nennen war streng verboten.
Doch Emmory hatte dies bereits getan, und ich hatte mich zwanzig Jahre lang nicht an unsere sozialen Konventionen gehalten und würde jetzt nicht wieder damit anfangen. Außerdem glaubte ich nicht, dass es meinen Schwestern schadete, ihre Namen auszusprechen. Sie waren tot.
So tot wie Portis.
Ich verkniff mir die Tränen und richtete den Blick auf Emmory. Meine Schwestern und meine Nichte waren tot, also lief auf meiner Heimatwelt irgendetwas ganz fürchterlich schief. Egal, wie ich zu meiner Mutter und meiner Heimat stehen mochte – meine Schwestern bedeuteten mir alles. Sie zurückzulassen, jeden Kontakt abzubrechen und aus ihrem Leben zu verschwinden hatte mir das Herz gebrochen. Sobald ich mich Hao angeschlossen hatte, war jeder Kontakt undenkbar gewesen: Hätte jemand mitgehört und herausgefunden, wer ich war, hätte er mich umgebracht oder, noch schlimmer, mich meiner Mutter gegen ein Lösegeld ausgeliefert. »Wie ist Pace gestorben?« Meine Frage hing lange unbeantwortet in der Luft.
»Eure Hoheit, es ist uns nicht gestattet, darüber zu sprechen. Dazu müsst ihr den Priester befragen.« Wieder war es Zin, der sich bemühte, die Situation unter Kontrolle zu bringen.
Das konnte ich unmöglich auf sich beruhen lassen. Erneut funkelte ich Emmory böse an.
Portis hatte immer gesagt, ich könnte einen Mann allein mit einem Blick aus meinen haselnussbraunen Augen töten. Er hatte behauptet, dass sie sich grün färbten, wenn ich wütend war, und heller glänzten als ein sterbender Stern. Der gute Portis hatte ein Faible fürs Dramatische gehabt.
Emmory ließ sich trotzdem nicht erweichen. Seine Miene war völlig ausdruckslos.
»Wie ist Pace gestorben?«, fragte ich noch einmal.
»Ebolenza, Eure Hoheit.«
Nun war mir, als wäre die Luft aus dem Raum verschwunden. Meine Knie gaben nach, ich taumelte gegen die Wand und rutschte daran herunter. Beim Gedanken daran, dass meine süße kleine Schwester den grässlichen, blutigen Ebolenza-Tod gestorben war, kam mir die Galle hoch. Cire und Ami hatten wenigstens nicht lange leiden müssen. Aber Pace …
Es gab nur drei Menschen im Universum, denen ich einen solchen Tod wünschte. Selbst meine Mutter zählte nicht dazu.
Und Pace erst recht nicht.
Ebolenza war keine natürliche Krankheit, sondern die schlimmste Ausgeburt biologischer Kriegsführung, die man sich vorstellen konnte. Dass meine Schwester daran gestorben war, konnte nur eines bedeuten: Auch sie war ermordet worden.
Ich riss die Augen auf, bevor mir Zin zu Hilfe eilen konnte, und schlug seine Hand beiseite. Angesichts seines verwirrten, verletzten Blicks eine dumme und kleinliche Geste, doch ich musste meine Gefühle im Zaum halten. Ich durfte mir vor diesen Männern keine Schwäche erlauben. Wie Po-Sin immer gesagt hatte: Zeig niemals deine Furcht. Weder deinen Freunden noch deinen Feinden und am allerwenigsten irgendwelchen Fremden.
Die Erinnerung an meinen früheren Arbeitgeber brachte mich wieder zur Vernunft. Ich hatte für den berüchtigtsten Cheng-Gangsterboss des Universums Waffen geschmuggelt. Fortan hatte ich für mich selbst gesorgt, mir mein eigenes Schiff und einen gewissen Ruf erarbeitet. Ohne fremde Hilfe. Dass man mich in meiner Heimat nicht mit offenen Armen willkommen heißen würde, war mir egal. Ich war lieber an tausend anderen Orten als in diesem goldenen Käfig.
Ich rappelte mich auf, öffnete die Hände und schenkte den beiden mein schönstes Waffenschmugglerlächeln. »Also gut. Man hat meine Schwestern und meine Nichte getötet und wollte anscheinend auch mich umbringen, da diese kleine Meuterei ja wohl kaum Zufall war. Und jetzt will meine Mutter, dass ich die brave Tochter spiele und nach Hause komme. Warum? Damit ich noch mal zur Zielscheibe werde? Irgendwie habe ich da keine große Lust zu. Was hat das Imperium denn jemals für mich getan?«
Vor Schreck über meinen Wutausbruch blieb beiden Männern die Sprache weg. Zumindest schien es so. Ich hätte zehn Credits darauf verwettet, dass sie gerade über den privaten Kommunikationskanal ihrer smatis eine hitzige Diskussion führten.
Wie beiläufig stellte ich mich neben den Nachttisch und griff nach der Flasche. Emmory ging sofort in Angriffsstellung. Ich grinste ihn über die Schulter hinweg an.
»Nur die Ruhe, Jäger. Ich hab bloß Durst.« Ich ignorierte den Becher und trank aus der Flasche. Kühles Wasser, das den vertrauten metallischen Geschmack der bordeigenen Wiederaufbereitungsanlage angenommen hatte, glitt über meine Zunge und spülte das hartnäckige, bittere Aroma des Schlafmittels fort. Ich ließ den Arm sinken, zwei Finger locker um den Flaschenhals gelegt.
Noch wusste ich nicht, wie ich aus dieser Situation wieder herauskommen sollte. Während die Jäger miteinander redeten, spielte ich mehrere Szenarien durch und verwarf sie ausnahmslos. Trotz der Drohungen, die ich auf der Sophie ausgestoßen hatte, wollte ich vorerst keinen von beiden töten. Immerhin machten sie nur ihre Arbeit.
Wieso nicht nach Hause zurückkehren und rausfinden, wer meine Schwestern auf dem Gewissen hat? Ein Gedanke, der meiner Wut geschuldet war: Diese Taten verlangten nach Rache – auf die eine oder andere Weise. Doch dazu musste ich nicht im Palast sein. Tatsächlich würden mich die Etikette und die endlosen Verpflichtungen als Teil der kaiserlichen Familie nur aufhalten. Ich wollte weder meine Mutter wiedersehen noch die Thronfolgerin des götterverdammten idranischen Imperiums werden.
Nachdem ich mich gegen einen Frontalangriff entschieden hatte, nahm ich noch einen Schluck und stellte die Flasche auf den Tisch zurück. Dann verschränkte ich die Arme vor der Brust, lehnte mich gegen die Wand und lächelte Emmory an, um meine verzweifelte Ratlosigkeit zu verbergen.
»Hör mal, Emmy …« Als er den Spitznamen hörte, presste er die Lippen leicht aufeinander. Also konnte man seine harte Schale doch ankratzen. Schön. »Ich werde mit Mutter reden, das verspreche ich. Aber zuerst brauche ich Klamotten, und ich würde es vorziehen, mit meinem eigenen Schiff zu reisen.«
»Kleidung für Euch ist vorhanden, Hoheit«, antwortete er, und ein Hauch von Verlegenheit huschte über sein scharf geschnittenes Gesicht.
»Ich will meine Klamotten, Jäger. Und mein Schiff.«
»Kleidung ist in der Garderobe.« Er deutete hinter mich. »Euer Schiff wurde bedauerlicherweise aus der Gleichung entfernt.«
»Was?« Eine eiskalte Faust bohrte sich in meine Brust. »Was habt ihr mit der Sophie gemacht?«
Emmory warf Zin einen Blick zu, dann sah er zur Decke auf. »Mehrere Sprengladungen in Reaktornähe. Ich habe sie selbst dort angebracht. Euer Schiff ist Weltraumschrott.«
»Ihr habt mein Schiff gesprengt?« Irgendwie gelang es mir, die Stimme nicht zu heben. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Die kurzen Nägel bohrten sich in meine Haut. »Vorerst ist hiermit vorbei, Jäger.«
Die Warnung überraschte selbst mich. Ich hätte einfach das Überraschungsmoment nutzen und zuschlagen sollen, Versprechen hin oder her. Ihr Götter, wie schnell war ich doch in die sozialen Konventionen des Imperiums zurückgefallen. Mein Hass hätte alle Konventionen sprengen müssen. An einem anderen Ort hätte ich ohne Vorwarnung angegriffen.
Beide Männer legten die Hände auf ihre Waffen, gefährlich aussehende .45er Hessians mit einer Betäubungsfunktion, die selbst die der Sonnenkonglomeratsmodelle in den Schatten stellte. Nun bereute ich, meine einzige Waffe gerade auf den Tisch gestellt zu haben.
»Eurer Hoheit, es war unabdingbar, jeden Beweis Eurer Verbrechen zu beseitigen«, erklärte Zin.
Unabdingbar. Ich war noch nicht einmal auf dem goldenen Käfigplaneten, und schon konnte ich dieses Wort nicht mehr hören. Mein Hab und Gut war vernichtet, die gute alte Sophie zerstört. Meine …
»Moment, was? Welche Verbrechen? Meine eigene götterverdammte Crew ist auf mich losgegangen. Ich habe mich nur verteidigt. Wen kümmert’s, dass ich ein paar Waffenhändler ins Jenseits befördert habe?«
Ein schwer zu lesender, beinahe schmerzlicher Ausdruck huschte über Emmorys Gesicht. »Portis war bei den ISK, Hoheit. Er hatte geschworen, Euch mit seinem Leben zu beschützen. Er hätte niemals versucht, Euch zu töten. Er wollte Euch lediglich nach Hause zurückbringen.«
Ich lachte auf, was sie zu schockieren schien. »Portis war bei den ISK. Mit Betonung auf war. Sie haben ihn rausgeworfen.«
»Eine Lüge wirkt glaubhafter, wenn sie auf der Wahrheit gründet«, sagte Zin mit leiser Stimme. »In Portis’ Akte stand, dass er unehrenhaft entlassen wurde, Eure Hoheit. Aber das war nur ein Täuschungsmanöver. Er war undercover im Auftrag von Direktor Britlen und Eurer BodyGuards unterwegs. Das war unabdingbar, um Eure Sicherheit zu garantieren.«
Zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit entwich die Luft schneller aus meinen Lungen als aus einer offenen Druckschleuse. Deshalb hatte Generalin Saito damals nicht versucht, mich umzustimmen, und mir auch keine Jäger auf den Hals gehetzt: Sie hatten bereits einen Spion in meiner Nähe platziert. Mein erster BodyGuard hatte Portis auf mich angesetzt?
Jetzt erst fügte mein Verstand die Einzelteile des Puzzles zusammen. »Tresk. Dein Name ist Emmory Tresk?«
Mit offenem Mund ließ ich den Blick von Zin zu Emmory und wieder zurück schnellen. Sie logen, das war die einzig vernünftige Erklärung. Andernfalls …
Ach du Scheiße. Mein ganzes Leben war eine Lüge.
»Portis war mein Bruder, Euer Hoheit. Er kam der Bitte Eures Ekam nach und opferte eine vielversprechende Karriere, um Euer Kindermädchen zu spielen. Er starb, damit eine verhätschelte Prinzessin ihrer Pflicht nicht nachkommen musste.« Emmorys höhnische, wütende Bemerkung war höchst unangemessen, doch das spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Ich musste erst einmal verarbeiten, dass man mir soeben meine Vergangenheit wie einen Teppich unter den Füßen weggezogen hatte.
»Heilige Kuhscheiße«, zischte ich und versuchte, mich durch Wut vor der Trauer zu schützen. »Was immer Portis hier wollte, beschützt hat er mich sicher nicht. Aber das lässt sich selbstverständlich kaum beweisen, nicht wahr? Ich kann mich an nichts erinnern, und Euer Farianer hat alle Beweise bequemerweise beseitigt!«
Damit meinte ich die Schramme, die ein schlecht gezielter Laserschuss auf meiner Hüfte hinterlassen hatte. Außerdem waren ein, zwei Rippen gebrochen, als sich Portis auf mich gestürzt hatte.
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er mich umbringen wollte.«
Emmory stürzte so schnell durch den Raum, dass ich keine Zeit zur Gegenwehr hatte. Er packte mich an der Kehle und knallte mich gegen die Wand.
Ich glaubte sogar, das Spiegelbild meiner braunen Augen in seinen glänzenden schwarzen Pupillen zu erkennen.
»Kein Wort mehr, Eure Hoheit. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr Portis’ Vermächtnis mit Euren Lügen beschmutzt.« Es war ihm todernst. Trotz seiner Wut war seine Stimme so ruhig, als würde er übers Wetter reden.
»Emmory!« Zin packte ihn und drehte ihn herum. Der Griff um meinen Hals löste sich. Zin drückte seine Stirn gegen die seines Partners und redete mit sanfter Stimme auf ihn ein. Emmory antwortete mit knurrender Stimme, kämpfte aber nicht dagegen an.
Sobald ich wieder Luft bekam, sah ich sie neugierig an. Ob sie auch miteinander schliefen? Unter Jägern, die nicht miteinander verwandt waren, war das durchaus üblich. Außerdem war es ziemlich offensichtlich, dass sie schon sehr lange zusammenarbeiteten. Sie kannten die Bewegungen und Gedanken des anderen und konnten dessen Reaktionen voraussagen. So ähnlich, wie es bei mir und Portis gewesen war – oder beinahe.
Zin beendete seine Ansprache und wandte sich mir zu. »Bitte vergebt Emmory, Eure Hoheit.«
Ich starrte Zin schockiert an. Der faltete die Hände und verbeugte sich. Er brachte die Entschuldigung so ängstlich und beinahe verzweifelt vor, als wäre ich die Dunkle Mutter persönlich.
»Emmorys Familie musste jahrelang in dem Glauben leben, dass Portis ein Verräter sei. Nun dürfen sie endlich erfahren, wie heldenhaft er tatsächlich war. Wenn Ihr behauptet, dass Portis Euch das Leben nehmen wollte, zerstört Ihr alles, wofür er gearbeitet hat. Sein Opfer war umsonst.« Zin ging vor mir auf ein Knie und streckte mir die Handflächen entgegen. »Bitte nehmt an seinem Benehmen keinen Anstoß.«
Sobald er sich wieder erhob, bemerkte ich, dass mich Emmory mit einer Mischung aus Furcht und Wut anstarrte. Dabei fürchtete er nicht um sich, obwohl ich ihn für den tätlichen Angriff auf meine Person bei lebendigem Leib die Haut hätte abziehen lassen können. Er fürchtete, dass Portis’ Name für alle Ewigkeit in den Schmutz gezogen würde.
Die Erkenntnis, dass Zin es ehrlich meinte und tatsächlich Angst davor hatte, dass sich Emmory mir gegenüber zu viel herausgenommen hatte, versetzte mir einen Stich ins Herz.
Er hatte sich tatsächlich zu viel herausgenommen, aber ich war kein zimperliches Edelfräulein, das ihn deshalb zur Rechenschaft zog. Mir machte es nichts aus, dass er mich nicht nur einmal, sondern mehrmals geschlagen hatte. Darüber konnten sich meinetwegen andere Leute den Kopf zerbrechen.
Was mich interessierte, war Emmorys Temperament und seine Loyalität seiner Familie gegenüber. Eine Schwäche, die ich später womöglich ausnutzen konnte. Doch zunächst musste ich Zins Bedenken zerstreuen.
Ich hatte zwar meinen Stolz, aber der war kein Menschenleben wert.
Ich umrundete Zin, baute mich direkt vor Emmory auf und musterte ihn eine Weile.
»Sei gewarnt. Wenn du das nächste Mal Hand an mich legst«, sagte ich, »dann wirst du dafür büßen.«
»Euer Hoheit.« Täuschte ich mich, oder hatte ich wirklich so etwas wie Respekt in seinem Blick erkannt?
»Und jetzt raus hier«, knurrte ich. »Raus hier, alle beide, oder ich …« Ich ließ die Drohung unausgesprochen, denn andernfalls hätte ich ihr auch Taten folgen lassen müssen. Und trotz meiner Wut hatte ich gegen diese Männer im Kampf keine Chance. Jedenfalls nicht im Augenblick.
Zin sah aus, als wollte er noch etwas anmerken, ließ dann aber den Kopf sinken und ging zur Tür. Emmory deutete eine Verbeugung an und entfernte sich ebenfalls, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Wir werden bald in den Warp gleiten. Die Heimreise wird ungefähr einen Tag dauern, Hoheit«, sagte er. Dann schloss er die Tür hinter sich.