Die Bibel im Koran
Grundlagen für das interreligiöse Gespräch
Patmos Verlag
Autorenfoto: privat. Alle Rechte vorbehalten.
PROFESSOR DR. KARL-JOSEF KUSCHEL lehrte von 1995 bis 2013 Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Fakultät für Katholische Theologie der Universität Tübingen. Gegenwärtig ist er Kuratoriumsmitglied der »Stiftung Weltethos«, Mitglied im Stiftungsrat des Börsenvereins zur Vergabe des jährlichen Friedenspreises und Präsident der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft.
Der Koran, die heilige Schrift der Muslime, hat Überlieferungen in großer Breite und Tiefe aufgenommen und neu gedeutet, die Juden und Christen aus der Bibel vertraut sind. Karl-Josef Kuschel verfolgt in genauen Fallstudien einen dramatischen historischen Prozess der Begegnung von biblischen Überlieferungen mit dem neu entstehenden muslimischen Glaubensbewusstsein, wie es sich im Koran niedergeschlagen hat. Sein Buch führt plastisch vor Augen, was Bibel und Koran literarisch und theologisch unterscheidet und verbindet.
Der Tübinger Literaturwissenschaftler und Theologe fasst in diesem Band seine Jahrzehnte währenden Studien zum Thema Bibel und Koran zusammen, um die Erträge der neuesten Forschungen zum Koranverständnis erweitert.
Karl-Josef Kuschel hat dieses Buch geschrieben für Menschen, die das interreligiöse Gespräch suchen, oft aber nicht wissen, wo sie einsetzen können. Gründliches Basiswissen ist Voraussetzung für eine Kultur des Austausches zwischen Juden, Christen und Muslimen, die auf wechselseitigem Respekt gründet und Vertrauen wachsen lässt. Zu diesem Ziel, vom konfrontativen hin zu einem vernetzten Denken zu finden, ist das Buch eines der besten Kenner des Dialogs ein unverzichtbarer Beitrag.
Auch als Printausgabe erhältlich.
www.patmos.de/ISBN978-3-8436-0726-1
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2. Auflage 2017
© 2017 Patmos Verlag,
ein Unternehmen der Verlagsgruppe Patmos
in der Schwabenverlag AG, Ostfildern
Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
ISBN 978-3-8436-0726-1 (Print)
ISBN 978-3-8436-0727-8 (eBook)
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Worum es geht:
Bibel und Koran: Neue Herausforderungen
Prolog:
»Wir Kinder Abrahams«: Helmut Schmidt trifft Anwar as-Sadat
10 Erkenntnisse im Interesse des Dialogs der Religionen
»Alles wirkliche Leben ist Begegnung«
Die Urerfahrung: Eine Nachtfahrt auf dem Nil
Erkenntnis 1: Der Sinai – Ursprungsraum des Monotheismus
Erkenntnis 2: Abraham – Vater des Glaubens für drei Religionen
Erkenntnis 3: Gemeinsame Propheten
Erkenntnis 4: »Ihr Europäer wisst das alles nicht«
Erkenntnis 5: Weltfrieden -Weltethos – Weltdemographie
Erkenntnis 6: Durch einen Muslim die Ringparabel voll begriffen
Erkenntnis 7: Ein spiritueller Ort für drei Religionen
Erkenntnis 8: Ein Friedensstifter wird ermordet
Erkenntnis 9: Führer zum Frieden – trotz allem
Erkenntnis 10: »Ich habe ihn geliebt«
Erster Teil
Wie den Koran im Gegenüber zur Bibel verstehen? Erfahrungen eines Christenmenschen
1. Warum Christen sich mit dem Koran schwertun
Juden und Christen als »Schriftbesitzer«?
»Bestätigung« früherer Offenbarungen?
Massive Kritik an bisheriger Bibelauslegung
Worin Bibel und Koran grundverschieden sind
Die Bibel – wie ein Buchgebirge: Einsichten mit Thomas Mann
Der Koran – wie ein Polyeder: Einsichten mit Jacques Berque
Und ein verwegener Seitenblick auf James Joyce
2. Der Koran als Hör-Erlebnis
Den Koran wie eine Partitur hörbar machen
Koranrezitation als »sakramentaler« Vorgang
Warum eine »poetische« Koranübersetzung zwingend ist
In der Tradition von Hammer-Purgstall, Goethe und Rückert
Koranübersetzungen im Vergleich
Zur Rhetorik des Koran: Sure 55
Mohammed – ein Dichter? Zum Verhältnis von Poet und Prophet
3. Konsequenzen für den Umgang mit dem Koran
Plädoyer für eine vorkanonische Koranlektüre
Den Koran polyphon-dramatisch verstehen
Den Koran kommunikativ-diskursiv verstehen
Den Koran geschichtlich- kontextuell verstehen
Der Koran – eine umstrittene Botschaft
Muslimische Stimmen für ein neues Koranverständnis
Und die »Gewaltstellen«?
Muslime wider den Missbrauch ihrer Religion
Das Dokument der 138 (2007)
Der Brief an al-Bagdadi und ISIS (2014)
Das Manifest vom Brandenburger Tor (2015)
Die Marrakesch-Erklärung (2016)
4. Mekka: Ein neuer Glaube kämpft um seine Durchsetzung
Ein städtisch-multireligiöses Milieu
Wer waren die Anhänger Mohammeds?
Kernbotschaft I: Die Schöpfungswerke sind Zeichen Gottes
Die Kernbotschaft II: Gott hat Macht über Leben und Tod
Kernbotschaft III: Gericht mit doppeltem Ausgang
Konsequenzen für ein sozial verantwortliches Leben
Wie die Propheten und der Prediger aus Nazaret
Mohammed – der angefeindete Prophet
5. Medina: Ein Glaube wird eine neue Religion
Mohammeds »Unabhängigkeitserklärung«
Der Bruch mit den jüdischen Stämmen
Die Lage der Christen im Umfeld des Koran
Scharfe Abgrenzung: Kreuz, Gottessohnschaft, Trinität: Sure 4
Militärische Konfrontation mit Christen: Sure 9
Bleibender Zwiespalt im Verhältnis zu Christen: Sure 5
6. Mekka, Jerusalem und zurück: Überbrückte Welten
Die chronologische Abfolge der Suren
Was der Koran unter Propheten versteht
Welche biblischen Gestalten im Koran?
Statt Blutsbande spirituelle Vorfahren der Bibel
Ausrichtung auf eine imaginäre sakrale Topographie
Zehn Voraussetzungen für einen Dialog Bibel – Koran
Interreligiös vernetztes Denken einüben
Zweiter Teil
Adam: Gottes Risiko Mensch
I. Adam und die Schöpfung: Biblische Bilder
1. Ein polyphones Testament
»Adam« – Ur-Mensch, jeder Mensch
Lesen mit literarischem Blick
2. Kontrastive Bilder vom Menschen
Dem Chaos abgetrotzte Ordnung: Schöpfungsbericht I
Vom Umgang mit dem Chaos: Schöpfungsbericht II
3. Kontrastive Bilder von Gott
Polyphonie ohne Harmonie
Gottgewolltes Risiko Mensch
II. Adam und die Schöpfung: Koranische Bilder
1. Grundthema: Stolz und Sturz des Menschen
Gericht über die Reichen und Gewissenlosen
Beschwörende Erinnerungsarbeit: Sure 95
Dramatisches Menschenbild: Sure 82
2. Schon der erste Mensch – verführt und vertrieben: Sure 20
Wie damals so heute
Menschsein als nachparadiesische Existenz
Die Freiheit der Gnade Gottes
3. Von der »Göttlichkeit« des Menschen: Sure 15
Wesen mit Gottesgeist
Rebellion und Vertreibung des Teufels
4. Die Signatur adamitischer Existenz: Sure 7
Jüdische Parallelen
Gottesentfremdung ohne Gotteszynismus
Was heißt: Menschen sind »Kinder Adams«?
5. Der Mensch als Stellvertreter Gottes: Sure 2
Was in Medina anders wird
Die Konstituierung einer eigenen religiösen Identität
Die Menschenskepsis der Engel
Gott geht das Risiko Mensch ein
»Statthalter Gottes«: Biblische und koranische Konvergenz
6. Adams Söhne oder: der erste Brudermord
Abgründige Geschichten in Bibel und Koran
Welche Rolle spielt Gott?
Eine Exempelgeschichte zur Mordprophylaxe
Unschätzbarer Wert jedes menschlichen Lebens
Dritter Teil
Noach: Untergang und Neuanfang
I. Vernichtung und ein Bund mit der Schöpfung: Noach in der Bibel
1. Vom Brudermord zum Schöpfungsmord
Tief ist der Brunnen der Vergangenheit
Noach als Idealbild des ersten Menschen
2. Gottes Reue über seine Schöpfung
Noach bleibt stumm
Vor der Flut – nach der Flut
3. Gebote für Mensch und Gott
Töten ist Brudermord
Gottes Bund mit der Schöpfung
4. Weltdrama als Familiendrama
Noachs Fluch und Segen
Die Menschheit als Völkerfamilie
II. Gerichtswarnung und eine neue Glaubensgemeinschaft: Noach im Koran
1. Im Kampf wider die Verblendung: Sure 54
Der verlachte Noach: jüdische Parallelen
Noach als warnendes Beispiel: christliche Parallelen
Die Zeichen Gottes nicht verachten
2. Für was Noach kämpft: Sure 71
Dramatische Dialoge
Botschaft mit scharfem Profil
Wider den falschen Glauben
3. Gegen wen Noach kämpft: Suren 26/23
Wider die Oberen und Herrschenden
Wider die Götzendiener
4. Absage an Blutsbande: Sure 11
Der angefochtene Prophet
Rettung nur der Glaubenden
Nicht altes Blut, der neue Glaube zählt
5. Ein Prophet des »Islam« vor dem Islam
Eröffner biblischer Prophetie und erster Gesetzgeber
Dieselbe Sache einst und jetzt
Die Selbstlegitimation des Islam als Islam
Vierter Teil
Mose – und der »ewige Konflikt«: Gottesmacht gegen Menschenmacht
I. Exodus und Sinai: der Mose der Bibel
1. Die Monumentalisierung eines Menschen
Die große Komposition: Exodus – Wüste – Sinai
Mose und die Frage der Macht
2. Die Menschlichkeit eines Menschen
Sinnlichkeit und Sittlichkeit: Thomas Mann
Mühselige Erziehung des Menschengeschlechts
3. Im Widerstand gegen die Berufung
Mose wehrt sich gegen Gott
Das Volk wehrt sich gegen die Moral
Nie wieder einer wie Mose
II. Mit dem Gott gesprochen hat: Mose im Koran
1. Mohammed als neuer Mose
»Ist die Geschichte des Mose zu dir gekommen«?
Ein Lebensmuster füllt sich
Das schmerzlich erlebte Paradox
2. Prophet gegen Pharao
Gottes prekärer Auftrag
Theozentrische Angstüberwindung
Wider die Verblendung der Mächtigen
Wie Gott seine Macht demonstriert
Konflikte mit dem eigenen Volk: die Rolle Aarons
3. Befreiung aus den Fängen der Macht
Pharao als verblendeter Götze: Sure 26
Machtkampf in Mekka im Spiegel der Mose-Suren
Pharao als größenwahnsinniger Despot: Sure 40
Rettung aus Unterdrückung: Sure 28
Mose als fehlbarer, bedürftiger Mensch
Orientierung Jerusalem: Richtung des rituellen Gebets: Sure 10
4. Empfänger göttlicher Weisungen
Ein Land für die unterdrückten »Kinder Israels«
Mose als Fürsprecher des Volkes bei Gott
Eine erschütternde Begegnung mit Gott
5. Eine Lebensordnung für die Menschen: Sure 2
Im Konflikt mit den Juden Medinas
Die »Zehn Gebote« auch im Koran?
6. Der biblische und koranische Mose im Vergleich
Die Himmelfahrt Mohammeds und ein Gespräch mit Mose
Muslime errichten Mose ein Grab
Fünfter Teil
Josef und seine Brüder:
Entfeindungsgeschichten in Bibel und Koran
I. Eine Segensgeschichte trotz allem: der Josef der Bibel
1. Vom Fruchtbarkeitsdrama zum Familiendrama
Die Dramatik einer Geschichte
Ein glänzendes Stück Literatur
2. Israel in Ägypten: Erfahrungen mit dem Fremden
Die Stämme sollen ein Volk werden
Ein nichtkonfrontatives Ägypten-Bild
Josef – Muster gelungener Integration
Wann und wo ist die Geschichte entstanden?
3. Eine biblische Entfeindungsgeschichte
Trotz und in allem: Gottes Segen auf Josef
Josefs Tränen: Wandlung vom Rächer zum Bruder
Gottes Segen für Ägypter und Ägypten
Josef – der Gegen-Hiob
Der spirituelle Kern: Vergebung statt Vergeltung
II. Ein Zeichen für die, die fragen: der Josef des Koran
1. Eine Geschichte – zwei Fassungen
Parallele Grundstrukturen
Prosastücke hier – dramatische Szenen dort
Vergeschichtlichung hier – Entgeschichtlichung dort
Der ahnungslose und der ahnungsvolle Jakob
Der erschütterte und der unerschütterte Vater
2. Das Profil der koranischen Geschichte
Die Verführungsszene: Entlastung Josefs
Ein Seitenblick: Jusuf und Suleika
Die Damengesellschaft: Entlastung der Ägypterin
Traumdeutung der Mitgefangenen
Der König und die alte Frauengeschichte
Der Trieb zum Schlechten: Josefs Geständnis
3. Eine koranische Entfeindungsgeschichte
Eine Segens- und Glücksgeschichte – trotz allem
Einüben von »schöner Geduld«
Spiegelung der Konflikte in Mekka
Vorwegnahme des Prophetenkampfes
Der spirituelle Kern: Statt Vergeltung Vergebung
In Josef und seinen Brüdern liegen Zeichen
Sechster Teil
Maria und Jesus: Zeichen Gottes für alle Welt
I. Johannes – ein Prophet
1. Noch einmal: die koranische Grundbotschaft
2. Die wundersame Geburt des Johannes: Mekka, Sure 19
3. Der lukanische und koranische Johannes im Vergleich
4. Der »Fall Johannes« – in Medina kritisch neu gelesen: Sure 3
5. Kein »Vorläufer«, Parallelfigur Jesu
II. Maria – Gottes Erwählte
1. Maria als Mutter Jesu: Sure 19
Gottes Geist erscheint Maria
Die lukanische und koranische Geburtsgeschichte im Vergleich
Rückzugsbewegungen Marias – Freiwerden für Gott
Zeugung spirituell, nicht sexuell
Marias Schwangerschaft – wie lange?
Palme und Quellwasser: Maria in Ägypten?
Wiederholung des Hagar-Schicksals
2. Die Geburt und Kindheit Marias: Sure 3
Maria als kritischer Spiegel für Juden
Frühchristliche Parallelen
Marias Erwählung durch Gott
Geistschöpfung und Jungfrauengeburt
Die einzige mit Namen erwähnte Frau im Koran
III. Jesus: Gesandter Gottes – Marias Sohn
1. Die Geburt Jesu als »Zeichen Gottes«: Sure 19
Gezeugt aus der Schöpferkraft Gottes
Ein Trostwort des Neugeborenen an seine Mutter
Was meint: Jesus ist ein »Diener Gottes«
Kein »unseliger Gewalttäter«
Gott nimmt sich kein Kind
In der Reihe der großen Propheten
2. Streit um Jesus: Sure 3
Was die Engel zu Maria über Jesus sagen
Wie der Koran die Wundertaten Jesu deutet
Eine kleine Summe des koranischen Jesusbildes
3. Nicht gekreuzigt, zu Gott erhöht: Sure 4,157
Der Kontext: Im Konflikt mit den Juden Medinas
Ein antichristlicher Angriff?
Kontroverse Auslegungen
Gott bewahrt seinen Gesandten vor dem Schandtod
Kreuzestheologie? Eine Herausforderung für den Dialog
4. Was Muslime und Christen eint und trennt
Jesus – das Zeichen Gottes in Person
Was Christen und Muslime unterscheidet
Wie der Koran Gleichnisse Jesu deutet
Gemeinsame Grundhaltungen vor Gott einüben
Epilog
Kairo, Juni 2009: Präsident Barack Obamas Vermächtnis
10 Prinzipien einer Strategie der Entfeindung und Vertrauensbildung
Prinzip I: Selbstkritik im Lichte des je Anderen.
Prinzip II: Selbstkritik als Voraussetzung für glaubwürdige Fremdkritik
Prinzip III: Gemeinsame Interessen definieren
Prinzip IV: Positive Erfahrungen mit »den Anderen« benennen
Prinzip V: Die kulturellen Leistungen der Anderen beachten und achten
Prinzip VI: Partizipation von Muslimen am amerikanischen Leben
Prinzip VII: Gemeinsame Verantwortung in der Weltgesellschaft wahrnehmen
Prinzip VIII: An positive Botschaften aus den Heiligen Schriften erinnern
Prinzip IX: Bausteine eines Menschheitsethos bewusst machen
Prinzip X: Eine religionsübergreifende Dialogpraxis fördern
Jerusalem Mai 2014: Papst Franziskus’ Zeugnis im Geiste abrahamischer Pilgerschaft und Gastfreundschaft
Ein Friedensgebet mit Juden und Muslimen im Vatikan
Vorbild Abraham: Pilgerschaft als Aufbruch
Ein »geistliches Abenteuer«: Geprüftes Gottvertrauen
Zwei Lebensbewegungen im Vergleich: Odysseus und Abraham
Gastfreundschaft wie Abraham gewähren
Was heißt: Abrahamische Spiritualität leben
Chronologische Tabellen der Suren
Literatur
Und noch ein Wort zu diesem Buch
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
1 Die Angaben »Mk« und »Md« hinter den Surenstellen beziehen sich auf die Datierung in die mekkanische Zeit (610–622) und die medinensische Zeit (622–632); vgl. am Ende des Buches die chronologische Tabelle 624 f.
2 Die hebräische Bibel zählt 1. und 2. Buch Samuel, 1. und 2. Buch Könige, 1. und 2. Buch der Chronik sowie die Bücher der zwölf Propheten jeweils als ein Buch.
3 Vgl. oben S. 76, Anm. 2.
Dieses Buch ist nicht geschrieben für Bibelspezialisten und Koranexperten. Es ist geschrieben für Menschen, die das interreligiöse Gespräch suchen, oft aber nicht wissen, wo anfangen, wo einsetzen. Da kann ihnen die Tatsache entgegenkommen, dass der Koran, die Heilige Schrift der Muslime, Überlieferungen in großer Breite und Tiefe aufgenommen hat, die Juden und Christen aus ihrem eigenen normativen Schrifttum vertraut sind. Warum das so ist, warum und mit welchem Ziel solche Überlieferungen im Koran weder ignoriert oder gar polemisch verworfen, sondern integriert und zugleich weiter und neu gedeutet werden, davon zu berichten, ist Absicht dieses Buches. Wir wollen einen Prozess der Begegnung verfolgen, bei dem Altes auf Neues trifft, will sagen: bei dem jüdische und christliche Überlieferungen in einem anderen Kulturraum Jahrhunderte später nicht nur aufgenommen, sondern als Herausforderung begriffen werden, als Katalysator zur Ausbildung einer eigenen Glaubensidentität.
Originell ist die Fragestellung selber nicht. Forschungsgeschichtlich aber muss man dabei schon weit zurückgreifen, um an Arbeiten mit ähnlichem Interesse anknüpfen zu können. Das gilt insbesondere für Abraham Geiger (1810–1874), den Begründer der Wissenschaft des Judentums zu Beginn des 19. Jahrhunderts, und seine 1833 erschiene Preisschrift »Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen« (Neudruck mit einem Vorwort von Friedrich Niewöhner 2005), eine kleine, aber höchst materialreiche Studie, in der erstmals in dieser Weise der Einfluss biblischer und vor allem nachbiblisch-rabbinischer (»haggadischer«) Traditionen auf den Koran nachgewiesen wird. Das gilt auch für Josef Horovitz (1874–1931), von 1915 bis zu seinem Tod Professor für Semitische Sprachen am Orientalischen Seminar der Universität Frankfurt am Main, und seine 1926 erschienenen »Koranischen Untersuchungen«, eine bahnbrechende Arbeit zur biblischen, nachbiblischen und altarabischen Vorgeschichte des Koran unter Heranziehung epigraphischer Zeugnisse in den verschiedenen Sprachen der Arabischen Halbinsel. Und das gilt schließlich auch für die monumentale Studie »Biblische Erzählungen im Qoran«, die einer der brillantesten, aber leider ebenfalls viel zu früh verstorbenen Schüler von Horovitz, Heinrich Speyer (1898–1935), 1935 erstmals vorgelegt hat (Neudruck 1961). Da er jüdischer Herkunft ist, muss sein Werk, um überhaupt während der NS-Zeit erscheinen zu können, auf das Jahr 1931 zurückdatiert werden.
Dieses bis heute unübertroffene Quellenwerk kann die Einseitigkeit von Geigers Studie korrigieren, indem es zeigt, dass der Koran über alttestamentlich-jüdische hinaus auch christliche, gnostische und altarabische Einflüsse erkennen lässt, ohne dass Speyer diese in den Kontext der entsprechenden Suren oder in ein zeitgeschichtliches Szenario eingebettet hätte. Bezüge werden hergestellt, Quellen namhaft gemacht, Parallelen als »Übernahmen« ausgewiesen. Darin besteht die einzigartige Leistung dieses großen deutsch-jüdischen Forschers. Zugleich aber lässt Speyers Darstellung massive Wertungen erkennen. Mohammed habe »vieles missverstanden«, kann er zusammenfassend schreiben, »oft ähnlich lautende Berichte und Namen miteinander verwechselt oder verquickt und nicht Weniges missbilligt« (1961, 462). Ab-Wertungen dieser Art markieren die Grenze dieser bewundernswürdig gelehrten Arbeit. Weitere Einzelheiten zu Geiger, Horovitz und Speyer enthalten die lebens- und werkgeschichtlichen Beiträge in dem höchst instruktiven Band »›Im vollen Licht der Geschichte‹. Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung«, hg. von Dirk W. Hartwig u. a., 2008).
Die heutige englisch- und deutschsprachige Forschung knüpft zwar an die drei genannten Arbeiten an, deutet aber das Verhältnis Bibel-Koran mit anderen Methoden und Interessen. Nicht mehr wertend entweder nach einer Defizithermeneutik (wie in christlicher Tradition) oder nach einer Überbietungshermeneutik (wie in muslimischer Tradition), sondern nach einer (wenn man so will) Alteritätshermeneutik. Will sagen: Der Koran wird nicht länger von der Bibel als exklusivem Maßstab her als »verzerrend«, »missverstehend« oder »defizitär« abgewertet und umgekehrt wird die Bibel nicht länger vom Koran als exklusivem Maßstab her für zum Teil verdorben und missverstanden erklärt, vielmehr werden beide zunächst in ihrer je eigenen Integrität respektiert und in ihrer »Andersheit« zu verstehen gesucht. Wie viel ist in der Vergangenheit an Polemik auf beiden Seiten investiert worden mit dem wechselseitigen Vorwurf des verzerrten, missverstehenden, willkürlich auswählenden Bibel- und Koranverständnisses. Der Prophet Mohammed habe Biblisches irgendwo auf seinen Reisen mitbekommen, missverstanden, verzerrt oder falsch wiedergegeben. So haben sich Christen die Abweichungen von ihren eigenen normativen Überlieferungen im Koran erklärt. Und umgekehrt: Die »Leute der Schrift«, Juden und Christen, hätten die Botschaft des letzten Gesandten Gottes deshalb abgelehnt, weil sie ihre eigenen Heiligen Schriften missverstanden, verzerrt wiedergegeben oder falsch ausgelegt hätten. Diese sind jetzt durch den Koran überholt und ersetzt (mehr dazu: Erster Teil, Kap. 1). Mit dieser Tradition der wechselseitigen religiösen »Maulkämpfe« (H. Heine), welche den je Anderen entweder gering schätzt oder triumphal zu überbieten trachtet, gilt es Schluss zu machen.
Für unvoreingenommene Leser/innen ist der Koran der Bibel nicht unterlegen oder umgekehrt der Bibel überlegen, sondern anders. Bibel und Koran sind Ur-Kunden mit je eigenem Profil und unverwechselbarer Autorität (mehr dazu: Erster Teil, Kap. 6: Zehn Voraussetzungen für einen Dialog Bibel–Koran). Man muss sich schon die Mühe machen, diese jeweilige Andersheit in ihrer je eigenen Komplexität zu verstehen, bevor dann in der Begegnung mit anderen Glaubenszeugnissen und Glaubensüberzeugungen eine argumentative Auseinandersetzung beginnen kann und beginnen darf, die zu einer begründeten Glaubensentscheidung herausfordert oder die eigene Glaubensentscheidung auf den Prüfstand stellt. Verstehenwollen der Andersheit des je Andern ist somit die Grundvoraussetzung für einen Dialog, bei dem jede Seite von der Erwartung getragen wird, dass im jeweiligen Gegenüber Fähigkeit und Bereitschaft vorhanden ist, diese Andersheit so umfassend wie möglich zu verstehen, bevor das eigene Glaubenszeugnis ins Spiel kommt. Drauflosbekennen ohne gründliche Kenntnisse vom je anderen ist kein Beitrag zum Dialog, sondern monologische Selbstbeschwörung mit dem Rücken zum je Anderen.
Forschungen zu Bibel und Koran sind heute in Bewegung geraten. So hat der an der University of Notre Dame lehrende amerikanische Islamwissenschaftler Gabriel Said Reynolds 2010 eine viel beachtete Studie unter dem programmatischen Titel »The Qur’an and Its Biblical Subtext« vorgelegt. Ihm geht es nicht länger um Quellen »hinter« dem Koran, sondern allein um den Text, dessen literarischer Stil höchst »allusive«, höchst »anspielungsreich« sei. Der Koran scheine, so Reynolds, nirgendwo direkt biblische oder andere Texte zu zitieren, stattdessen spiele er auf sie an, indem er gleichzeitig seine eigene religiöse Botschaft entwickle. Entsprechend wird der Koran verstanden als ein »Teil einer dynamischen und komplexen literarischen Tradition, nicht gekennzeichnet durch direkte Anleihen, sondern durch Motive, Topoi und Exegese« (S. 36). Die Schlüsselfrage dieser Studie ist somit nicht länger, was durch außerkoranischen Quellen in den Koran »übernommen« wurde, sondern »die Natur der Beziehung zwischen dem koranischen Text und seinem jüdischen und christlichen Subtext«. Deshalb sollte ein Studium des Koran »wach« sein »für das Gespräch, das der Koran mit früheren Texten führt, insbesondere für das vertraute Gespräch mit biblischer Literatur« (S. 36).
Dieser Wachheit ist auch Sidney H. Griffith verpflichtet, lange Jahre Professor für Early Christian Studies an der Catholic University of America in Washington D, C., als er 2013 seine Forschungen in seinem wegweisenden Buch »The Bible in Arabic« zusammenfasst und darin präzise zeigt, welche Bedeutung die Schriften der »Leute des Buches« (so die koranische Bezeichnung für Juden und Christen) in der Sprache des Islam gehabt haben: »Die Schriften von Juden, Christen und Muslimen«, schreibt Griffith, »sind miteinander verflochten (»intertwined«), nicht so sehr textlich, denn es gibt kaum irgendwelche Zitate der Bibel im Koran. Vielmehr sind sie verflochten in der Erinnerung an Erzählungen der Hebräischen Bibel im Neuen Testament, zusammen mit einigen Zitaten; in der Erinnerung an prophetische und apostolische Figuren der Tora, der Psalmen und des Evangeliums im Koran« (S. 214). Unter Bezugnahme auf das Werk von Reynolds (»Subtext«) versucht Griffith nachzuweisen, dass »die Haltung des Koran in Bezug auf die Bibel« oft »die eines Suchers nach schriftgestützter Garantie« ist, »indem man biblische Geschichten zitiert und Erinnerungen an prophetische Figuren evoziert mit dem Ziel, eine sehr entschiedene islamische Prophetologie zu favorisieren« (S. 26. Eig. Übers.).
Auch innerhalb der deutschsprachigen Forschung sind neue Ansätze entstanden. So setzt die an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Arabistin und Koranwissenschaftlerin Angelika Neuwirth bei ihren umfangreichen Koranstudien ebenfalls text- und literaturwissenschaftlich an, bei Fragen der Textgenese, der literarischen Formen sowie der rhetorischen und stilistischen Mittel koranischer Selbstbehauptung in einem komplexen multikulturellen und multireligiösen Umfeld. Deutlicher und direkter als andere erklärt Neuwirth, der Koran sei bei aller unvergleichlichen inhaltlichen und sprachlichen Eigenständigkeit ein Text, »der wie die jüdischen und christlichen Grundschriften fest in der biblischen Tradition wurzele« (Koranforschung – eine politische Philologie, 2014, 1), ja, »das gesamte Corpus« sei »ein durch und durch biblisch durchwirkter Text« (S. 4). Das sind neue Töne in der Forschung, die wir wohl beachten wollen. Sie haben mit der alten Apologie, der Koran sei im Vergleich zur Bibel ein »epigonaler« Text, nichts mehr zu tun. Sie werden gestützt durch umfassende historischen Forschungen zum zeitgeschichtlichen Kontext des Koran, dokumentiert in dem monumentalen Quellenwerk des in New York lehrenden amerikanischen Historikers Robert G. Hoyland »Seeing Islam as Others Saw it. A Survey and Evaluation of Christian, Jewish and Zoroastrian Writings on Early Islam« (1997), aufgeschlüsselt in Beiträgen umfangreicher Sammelbände wie »The Qur’an in its Historical Context«, herausgegeben von dem schon genannten amerikanischen Islamwissenschaftler Gabriel Said Reynolds (2008) oder »The Qur’an in Context« (2010), herausgegeben von Angelika Neuwirth, Nicolai Sinai und Michael J. Marx.
Dabei setzen diese Forschungen ein Dreifaches voraus:
Erstens: In der Welt der ersten Hörer (Arabische Halbinsel Anfang des 7. Jahrhunderts) muss vor der koranischen Verkündigung ein »umfassender Wissenstransfer« stattgefunden haben, so dass »ein breites Spektrum biblischer und postbiblischer Traditionen der Hörerschaft Mohammeds bereits vertraut« gewesen ist (A. Neuwirth, Koranforschung, 2014, 9).
Zweitens: Das Aufgreifen biblischer Überlieferungen ist mehr als ein »Übernehmen« und »Verarbeiten«, es ist Ausdruck einer »live interaction zwischen dem Verkünder und seinen Hörern«. Der Koran ist nicht in einem luftleeren Raum entstanden. Seine ersten Hörer sind noch keine Muslime, was sie ja erst durch die Verkündigung des Propheten werden sollen. Sie sind »am ehesten als Individuen vorzustellen, die synkretistisch akkulturiert und in verschiedenen spätantiken Traditionen gebildet waren« (ebd., 8). Auf diese ihre gesellschaftlichen, kulturellen und geschichtlichen Prägungen reagiert der Koran und profiliert an ihnen seine spezifische Botschaft.
Drittens: Der Sprachgebrauch »die Bibel« im Koran ist ungenau und bedarf der Differenzierung. Denn die koranische Verkündigung setzt im 7. Jahrhundert ganz offensichtlich zwei Arten von Bibel voraus: eine durch die Rabbinen weitergedeutete jüdische Bibel und eine durch die Kirchenväter und die gesamtkirchlichen Konzilsbeschlüsse weitergedeutete christliche Bibel. Deren narratives Potential wird nicht einfach »übernommen«, sondern ausführlich verhandelt. Entsprechend reflektiert der Koran »den Prozess rigoroser Prüfung, Revision und letztendlich Supersession von grundlegenden jüdischen und christlichen, aber auch paganen Traditionen« (ebd., 9). Es ist somit »gerade die Bibel« gewesen, »deren Sinnpotential die koranische Gemeinde – durch einen langen Prozess der Verhandlung und partiellen Aneignung – in Stand setzte, ihre eigene Identität zu konstruieren – wie auch die christliche Religionsgemeinschaft sich zu ihrer Zeit aufgrund ihrer besonderen Bibellektüre eine neue Identität erschlossen hatte. Diese Identitätsbildung scheint aber im Fall der koranischen Gemeinde unter so verschiedenen Umständen geschehen zu sein, dass man von einer ›doppelten Bibelrezeption‹ sprechen muss« (ebd., 9).
Auch wir gehen in dieser Studie davon aus: Die Bibel tritt im Koran immer schon als »interpreted Bible« (S. H. Griffith) in Erscheinung. Denn der Koran ist kein einsam-erratischer Block in einer ansonsten buchstäblich wüstenleeren Landschaft, kein Text ohne Kontext, sondern muss, unbeschadet seiner Entstehung in einem Randgebiet der damaligen Welt, als Antwort unter anderem auch auf christliche und jüdische Herausforderungen seiner Zeit verstanden werden, als lebendiges, »polyphones Religionsgespräch«, ja als »Argumentationsdrama« (A. Neuwirth), das sich zwischen der muslimischen Gemeinde und den Vertretern der übrigen Traditionen abgespielt hat. Sind doch in der Tat im Koran zahlreiche biblische und nachbiblische Überlieferungen nicht nur »gespeichert« oder »übernommen«, sondern neu zum Leuchten gebracht. Neues Leben ist ihnen eingehaucht worden. Ein Doppelnarrativ lässt sich von daher rekonstruieren: Die koranische Verkündigung setzt zunächst dem lokal ererbten Selbstverständnis der Hörer ein neues, biblisches auf und stößt damit eine »Biblisierung« des arabischen Denkens an. Zugleich aber kehrt sie den Prozess wieder um und leitet eine »Arabisierung« oder »Islamisierung« biblischer Vorstellungen ein.
Das wird auch von anderen deutschen Forschern heute schärfer als früher gesehen. So erscheint für den Göttinger Islamwissenschaftler Tilmann Nagel der Koran »als ein Beleg für eine mannigfaltige religiöse Umwelt, in der unter anderem der besagte Erzählstoff in jüdischem, christlichem und heidnischem Milieu tradiert sowie charakteristischen Umbildungen unterzogen wurde, die wir im Koran und in der frühislamischen Literatur wiederfinden« (Der Koran und sein religiöses und kulturelles Umfeld, 2010, VII). Und auch der Jenaer Religionswissenschaftler Bertram Schmitz geht davon aus, dass die biblischen Geschichten zum »Grundwissen« der damaligen Hörer gehört haben müssen. Das erlaube es dem Koran, »sich häufig mit Anspielungen, Hinweisen und Stichworten zu begnügen, die bei den Hörern den jeweiligen Sachverhalt ins Gedächtnis rufen. Diese als selbstverständlich vorausgesetzte Kenntnis erlaubt es, mit den Motiven der biblischen Religionen gewissermaßen ›zu spielen‹, sie neu zu deuten, Wortspiele und Anklänge zu verwenden, gar sie zu ›persiflieren‹ … Gerade dieser letzte Punkt setzt jedoch eine möglichst weitgehende Kenntnis der jüdischen und christlichen biblischen Literatur voraus wie auch der außerkanonischen und der theologischen Literatur beider Religionen (also auch Kirchenväter und christliche Auslegungswerke einerseits, Talmud und Midraschim für das Judentum andererseits) bis zum 7. Jahrhundert sowie die Bereitschaft, sich auf Form, Stil und Denken des Qurans einzulassen« (Der Koran und sein religiöses und kulturelles Umfeld, 2010, 219).
In der Tat werden wir zeigen können: Biblische Überlieferungen werden so vermittelt, dass sie zu aktualisierten Spiegel- und Gegengeschichten werden für den durch den Verkünder angestoßenen und jahrelange hin und her wogenden Kampf zwischen altem und neuem Glauben. Durch narrative oder dramatische Reinszenierung jüdisch-christlicher Überlieferungen steht am Ende etwas unverwechselbar Eigenes: eine arabisch-muslimische Glaubensidentität unter Neu- und Weiterdeutung uralter Überlieferungen aus der Welt von Judentum und Christentum. Wie ist das alles zu erklären? Was fangen Menschen, die zwischen 610 und 632 auf der Arabischen Halbinsel leben, in Mekka und Medina zu Hause sind, mit Überlieferungen an, die weder aus ihrer Geschichte noch ihrer Gesellschaft noch ihrer Religion stammen? Die sie ohne Textstütze nur aus mündlichen Überlieferungen gekannt haben können, gab es doch im 7. Jahrhundert noch keine arabische Bibelübersetzung (mehr dazu: Erster Teil, Kap. 4: Ein städtisch-multireligiöses Milieu). Mekka, Jerusalem und zurück. Einen gewaltigen geistigen Transfer verlangt der Koran von ihnen. Im Interesse des Erwerbs interreligiöser Gesprächsbereitschaft und -fähigkeit fühlen wir uns herausgefordert, diesen Transfer nachzuvollziehen und für das heutige interreligiöse Gespräch fruchtbar zu machen.
Wir lassen uns dabei von einem Vers des Koran motivieren: »Ihr Menschen«, heißt die Aufforderung in Sure 49,13: Md1, »wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennt. Der Edelste vor Gott ist der unter euch am gottesfürchtigsten ist.« Im Koran ist damit diejenige Überzeugung bekräftigt, die zur Grundvoraussetzung jeder dialogischen Begegnung von Menschen unterschiedlichen Glaubens gehört: Alle Menschen ohne Unterschied der Rasse, der Klasse, der Nation oder des Stammes sind vom Ursprung her Teile der einen Menschheitsfamilie. Diese »Gleichheit des biologischen Ursprungs«, so ein heute maßgeblicher muslimischer Korankommentar zur Stelle, spiegelt sich »in der Gleichheit der menschlichen Würde« (Asad, 980). Will sagen: Allen äußerlichen Unterscheidungen liegt die wesentliche Einheit aller Menschenwesen zugrunde. Sie begründet den Auftrag, einander nicht zurückzustoßen oder zu beherrschen, sondern kennenzulernen – durch wechselseitige Bereitschaft, einander zu begegnen und voneinander zu lernen. Welch ungeahnte Folgen das haben kann, zeigt eindrücklich eine Szene, die im Mittelpunkt des folgenden Prologs steht. Sie hat es verdient, in Erinnerung zu bleiben.