GUT KOPIERT OHNE AUFTRENNEN
GUT KOPIERT OHNE AUFTRENNEN
SCHNITTMUSTERERSTELLUNG VON LIEBLINGSKLEIDUNG
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STEFFANI LINCECUM
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Stiebner Verlag
erschienenen Printausgabe (ISBN 978-3-8307-0972-5).
Copyright © 2010 by Steffani Lincecum
All rights reserved.
Die amerikanische Originalausgabe erschien bei Watson-Guptill Publications,
einem Imprint der Crown Publishing Group, einer Verlagsgruppe der Random
House, Inc., New York. www.crownpublishing.com
WATSON-GUPTILL ist ein eingetragenes Warenzeichen, die Designs von WG und
Horse designs sind eingetragene Warenzeichen der Random House, Inc.
Die Library of Congress verzeichnet dieses Werk unter
Lincecum, Steffani.
Patternmaking for a perfect fit : using the rub-off technique to re-create
and redesign your favorite fashions / Steffani Lincecum.
p. cm.
ISBN 978-0-8230-2666-1
1. Dressmaking–Pattern design.I. Title
TT520.L737
2010
646.4'04–dc22
2010003822
Diese Übersetzung erscheint gemäß Vereinbarung mit Potter Craft, einem Imprint
der Crown Publishing Group, einer Verlagsgruppe der Random House LLC.
Aus dem Englischen von der MCS Schabert GmbH, München,
www.mcs-schabert.de, unter Mitarbeit von Karola Koller (Übersetzung).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Alle Rechte der deutschen Ausgabe
© 2017 Stiebner Verlag GmbH, Grünwald
Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit
ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.
www.stiebner.com
ISBN: 978-3-8307-3020-0
Für Zoe und Tess.
Vielen Dank an meinen Mann, David Lincecum, der hinter mir steht und mich in allem unterstützt. An
Melissa Matthay und Jeanne Leep, meine lieben Freundinnen, die mich auf die Idee für dieses Buch
gebracht und mir den Rücken gestärkt haben. An Joy Aquilino, immer geduldig und wohlwollend, die
von unserer ersten Begegnung an dieses Projekt geglaubt hat, und an John Foster, Jess Morphew, Kara
Plikaitis und Autumn Kindelspire beim Verlag Watson-Guptill. An meine Freundin und Agentin Lucy
Childs bei der Aaron Priest Literary Agency, die mich durch dieses neue Abenteuer begleitet hat.
Vielen Dank an die Fotografen Michael Turek und Timothy Hughes für die hervorragenden Bilder. An
Hannah Murray, Ken Udell und Nicole White für ihre wunderbare Arbeit. An Amy Butler und Linda
Sandin bei Amy Butler Designs; Westminster Fibers; Oilcloth International; Brian Kress und Fiskars;
Laura Lambaseder und alle Mitarbeiter bei Nancy's Notions; Scott Holme von Carsey Werner; Kris-
tin Johnston, Bridget Fonda, Gloria Tacchino, Carol Caplon und Leah Sandholm für ihre großzügige
Unterstützung.
Vielen Dank an Melina Root, Lori Eskowitz-Carter, Mark Bridges, Louise Mingenbach, Isis Mussen-
den, Ruth Myers, Ann Roth, Aggie Guerard Rodgers, Ainslie Bruneau, Judith Dolan, David Woolard,
den verstorbenen Richard Hornung und Motion Picture Costumers Local 705, besonders an Ernesto
Martinez, Henry Po, Ellen Allen, Madline Hana, Pablo Nantas, Sherrie Mardirosian, Terri Lewis, Joan
Foam, Michelle Kurpaska, Mynka Draper, Lori Sacks, Tommy Marquez, Julia Bartholomew, Lisa Wilson,
Therese McDonough, Craig Ames und Andrea Federman. Ein ausdrücklicher Dank auch an alle, die
mich auf diesem Weg inspiriert haben, besonders meine Lehrer und Berater Phil Atlakson, Mary Anne
Hempe, Yslan Hicks, Kij Greenwood, Rich Corzatt und Ludmilla Adams.
Vielen Dank an meine Familie, an Ashley Lerblance, Teresa Compton, Donna Price, Ezma Schoemann
und Dora Schoemann, von denen ich meine Kreativität habe.
An meine geschätzten Freunde Marn Turley, Stevie Corzatt, Etta Smith, Laurie Macgillivray, Marit
Sathrum, Lisa Tresch, Andrew Naugher, Kay Windowski und die Gruppe Women Seeking Serenity, für
eure Unterstützung und eure Neugier.
DANK
INHALT
5Dank
8Vorwort
KAPITEL 1:
Die Basics
14Schnittabnahme: Zwei Methoden
16Werkzeug und Ausrüstung
20Stoffe
22Stoffverbrauch berechnen
23Maßnehmen
24Grundlagen des Nähens
KAPITEL 2:
Schnittabnahme bei
Röcken
28Das Ausgangsmodell
29Schnittabnahme mit Papier
47Rockvarianten
49Legerer Jeansrock
50Bleistiftrock aus Tweedstoff
54Ausgestellter Rock aus Streifenstoff
57Zweiseitig tragbarer Wickelrock aus
Baumwollstoff
60Schräg geschnittener Rock aus
Baumwollstoff
KAPITEL 3:
Schnittabnahme bei
Kleidern
66Das Ausgangsmodell
67Schnittabnahme mit Stoff
85Kleidervarianten
86Kleid mit V-Ausschnitt im Retrostil
90Kleid in A-Linie
92Kleid mit Prinzessnähten
94Vintagekleid
96Kleid mit Nackenträger
KAPITEL 4:
Schnittabnahme bei
Blusen
102Das Ausgangsmodell
125Blusenvarianten
126Grüne Bluse mit Ärmelbündchen
128Schwarze Bluse mit Abnähern
130Sommerbluse mit kurzen Ärmeln
132Ärmellose Bluse mit Nackenträger
134Einfache Tunika
KAPITEL 5:
Schnittabnahme bei
Handtaschen
140 Das Ausgangsmodell
149 Taschenvarianten
150 Tasche mit Bambushenkeln
152 Nachmittagstasche
154 Eleganter Shopper
156 Yogatasche
160 Clutch aus Pelzimitat
164 Bezugsquellen
166 Glossar
172 Register
176 Umrechnungstabelle
8
Vorwort
In unserer modernen Überflussgesellschaft gibt es alles zu kaufen, was man
braucht. Wir gehen in den nächsten Laden oder setzen uns an den Com-
puter, bestellen mit wenigen Klicks und erhalten die Ware am nächsten Tag
nach Hause geliefert. Das ist eigentlich phantastisch – schade ist nur, dass wir
inzwischen verlernt haben, Dinge selbst zu machen und dass wir nicht mehr
wissen, wie viel Spaß es macht und wie stolz man ist, wenn man mit ganz all-
täglichen Dingen selbst etwas herstellt. Handwerkliches Wissen, das von einer
Generation zur nächsten weitergegeben wurde, ging verloren. Selbst krea-
tiv zu sein galt eine Zeit lang als veraltet und rückständig. Glücklicherweise
ändert sich das gerade wieder.
Als kleines Mädchen konnte ich mich stundenlang damit beschäftigen, für meine Barbiepuppe schöne
Kleider zu nähen und ihre Wohnung auszustatten. Wie so viele meiner Freundinnen verwendete ich
dafür alte Stoffreste, ausgemusterte Geschirrtücher und leere Schuhschachteln. Ich kann mich auch
an so manchen langen Nachmittag erinnern, als ich bei meiner Babysitterin neben dem Quiltrahmen
saß, der im Gästezimmer stand, mit meiner Puppe spielte und ihr dabei zusah, wie sie geduldig winzige
Handstiche durch alle Stofflagen des Quilts nähte.
Im College konnte ich meine Nähkenntnisse ganz gut brauchen, als ich bei der Theatergruppe war
und an den Kostümen mitarbeitete. Damals wusste ich noch nichts von „Schnittabnahme“ und „Dra-
pieren“ und ich besaß auch keine Schneiderpuppe, doch wenn ich die passenden Schnittmuster nicht
finden konnte, verwendete ich ganz intuitiv alte Kleidungsstücke als Vorlage. Während eines Studen-
tenjobs als Näherin beim Oklahoma Shakespeare Festival lernte ich sehr viel von der Kostümbildnerin,
z. B. wie man ein Schnittmuster aus einem Referenzbuch maßstabsgetreu vergrößert oder wie man mit
Musselin drapiert und daraus Schnittmuster selbst erstellt. Schon damals war ich mir sicher, dass ich das
auch beruflich machen wollte.
Nach meinem Collegeabschluss als Kostümbildnerin machte ich ein Praktikum beim George Street
Playhouse in New Jersey. Als ich eines Tages bei einem Kostümverleih in Manhattan einige Vintage-
teile für eine neue Produktion abholen sollte, bemerkte ich dort eine wunderschöne Sportjacke aus
Tweedstoff. An einem Ärmel hing ein kleiner Zettel mit dem Vermerk „reserviert“ unter dem Namen
eines sehr bekannten amerikanischen Sportmode-Designers. Als ich von der Besitzerin wissen wollte,
warum ein so berühmter Designer ein so altes Kleidungsstück ausleiht, sagte sie nur: „Ach, solche Leute
sind ständig hier und leihen Teile aus.“ Mir wurde schlagartig klar, dass Inspirationen von überallher
kommen können. Auch Vintageteile können als Inspirationsquelle dienen, können Ausgangsbasis für
ein neues Projekt sein (solange man damit nicht das Copyright eines anderen Designers verletzt), ganz
egal, ob Sie noch neu in diesem Metier sind und zu Hause arbeiten oder ob Sie eine bekannte Designe-
rin sind, deren Entwürfe in den großen Modezeitschriften gezeigt werden. Während meines Praktikums
hatte ich auch die Gelegenheit, die Methode der Schnittabnahme bei einem Kostüm einzusetzen, das
ich beim Williamstown Theatre Festival in Massachusetts entworfen hatte. Ich besaß einen weit schwin-
genden Vintagemantel, der gut gepasst hätte, bei dem aber die Farbe nicht stimmte. Also nahm ich von
diesem Mantel das Schnittmuster ab und nähte einen neuen aus einem 50er-Jahre-Bettbezug, den ich
im Secondhandladen gefunden hatte. Der neue Mantel kostete etwa 3 Dollar.
Nachdem ich mehrere Jahre am Theater gearbeitet hatte, zog ich nach Los Angeles und fand
einen Einstieg bei Film und Fernsehen. An meinem ersten Arbeitstag als Schnittexpertin/Passformspe-
zialistin bei der Serie 3rd Rock from the Sun gab mir Melina Root, die Kostümbildnerin, einen verrückt
aussehenden, alten Parka aus Pelzimitat mit rotkariertem Innenfutter. Dieser Parka war das typische
Kleidungsstück für die Rolle des Harry und wurde deshalb sehr oft gebraucht. Melina hatte einige
Meter Pelzimitat und rotkarierten Futterstoff gekauft und bat mich, mehrere solcher Parkas zu nähen
(ähnliche Aufträge kamen später regelmäßig auf mich zu). Sie und ihre Kollegen erklärten mir, wie man
es anstellt, besondere Looks schnell zu reproduzieren: Nimm das Ausgangsmodell zur Hand und arbeite
dich Schritt für Schritt durch.
VORWORT
Ein Schnittmuster für
Kleidungsstücke, die die
Schauspielerin Joan Allen
im Film Nixon trug, in dem
sie die Rolle der Pat Nixon
spielte. Auf dem Umschlag
ist die Fotokopie einer
Skizze des verstorbenen
Kostümbildners Richard
Hornung zu sehen.
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Vorwort
Eines Tages kam die Produzentin der Serie, Bonnie Turner, zu mir, weil sie ein Abendkleid für eine
Preisverleihung brauchte. Sie wollte den Abend vor allem genießen und sich wohlfühlen, deshalb hielt
sie ihr Lieblings-T-Shirt in der Hand und sagte: „Näh mir was für die Emmy-Verleihung, in dem ich mich
fühle, als hätte ich dieses T-Shirt an. Ich will nämlich die Leute auch umarmen können.“ Melina bat
mich, den Schnitt abzunehmen und mit der neuen Schnittvorlage dann ein Kleid aus einem besonderen
Seidenchiffon zu nähen. Mit ein paar aufgenähten Perlen an den Ärmelbündchen und einem einfachen
schwarzen Top unter dem Oberteil wirkte Bonnie elegant, zurückhaltend und chic – und vor allem
fühlte sie sich wohl.
Den Großteil meiner Erfahrung mit Schnittabnahmen machte ich, als ich für Film- und Fernseh-
produktionen Vintageteile nachnähen musste. Für Anproben hatte man immer sehr wenig Zeit, deshalb
reduzierten wir Vorlaufzeiten auf ein Minimum, indem wir für die verschiedenen Rollen eigene „Gar-
deroben“ entwickelten. Wenn wir ein Kleidungsstück hatten, das in Form und Größe passte, nahm ich
den Schnitt ab und nähte dann mehrere Teile in verschiedenen Stoffen, wobei ich die Details jedes Mal
ein wenig anders gestaltete. Mit dieser Methode nähte ich Kostüme für Schauspieler und Musiker, dar-
unter Madonna, John Lithgow, John Travolta, Harry Belafonte, Roseanne, Joan Allen, Emma Thompson
und Bridget Fonda.
Während ich für Oliver Stones Film Nixon als Schnittexpertin für den leider schon verstorbenen
Kostümbildner Richard Hornung arbeitete, musste ich viele Kleidungsstücke für die Rolle der Pat Nixon
nähen, die von der Schauspielerin Joan Allen gespielt wurde. Für die erste Anprobe brachten Richard
und seine Assistenten Mark Bridges und Kimberly Adams Vintagekleidung mit. Richard wählte etwa
fünf Modelle aus, wir nahmen die Schnitte ab und duplizierten und modifizierten sie, sodass wir am
Ende alle 28 Kostüme hatten, die Joan Allen trug. Die Informationen, die ich aus dieser ersten Anprobe
hatte, waren die Grundlage für meine gesamte Arbeit bei diesem Film.
Ein Augenblick, in dem ich auf meine Arbeit besonders stolz war, kam einige Jahre später, als Joan
Allen für ihre Rolle in Nixon als beste Nebendarstellerin für den Oscar nominiert wurde. Das Fashion
Institute of Design & Merchandising in Los Angeles hielt unter dem Titel The Art of Motion Picture
Costume Design seine jährliche Ausstellung ab und zu meiner Freude wurden auch einige der Kostüme
ausgestellt, die ich für den Film gemacht hatte. Als ich in einem nahe gelegenen Stoffladen beim Ein-
kauf war, hörte ich eine Unterhaltung zweier Kundinnen, die gerade aus der Ausstellung kamen. Eine
der beiden sagte: „Joan Allan hat in diesem Film echte Vintagekleidung getragen. Ich habe mir einige
Stücke von innen angesehen, und das konnte man an der Machart erkennen.“ Ich lächelte leise vor
mich hin und war unglaublich stolz, auch wenn meine Arbeit im Verborgenen geblieben war.
Vor kurzem räumte ich einen alten Schrank meiner Urgroßmutter aus und stieß dabei auf diverse
Nähutensilien, Schnittmuster und Zeitungsausschnitte, die mit schmalen Baumwollstreifen zusammen-
gebunden waren. Als ich die Zeitungsteile aufrollte, um zu entscheiden, welche ich behalten sollte, war
mir zuerst nicht bewusst, warum meine Urgroßmutter sie aufgehoben hatte. Doch schließlich erkannte
ich, dass es sich um Schnittmusterteile handelte, die sie von ihrer Lieblingsbluse abgenommen hatte!
Was ich studiert hatte und von Berufs wegen sehr gut beherrschte, war für meine Urgroßmutter nichts
anderes gewesen als eine Alltagsfertigkeit, etwas, das für sie so selbstverständlich war, dass sie es nicht
als Besonderheit ansah, die man an die nächsten Generationen weitergeben sollte. Zu ihrer Zeit musste
man Fertigschnitte noch per Katalog bestellen. Warum sollte man also diese Mühe auf sich nehmen,
wenn man eine gut sitzende Bluse im Schrank hatte? Man musste ja nur die Konturen der verschiede-
nen Teile nachzeichnen und vielleicht ein paar kleine Änderungen vornehmen, um ein eigenes Schnitt-
muster anzufertigen. Als ich den Sinn und Zweck dieser Papierteile erkannt hatte, spürte ich eine ganz
besondere Verbindung zu meiner Urgroßmutter.
Dieser Blusenschnitt aus
Zeitungspapier stammt
von meiner Urgroßmutter
Dora Schoeman. In dem an
sie adressierten Umschlag
hatte ihr eine Firma aus
New York einige bestellte
Fertigschnitte geschickt.
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LOHNT ES SICH WIRKLICH, DIE METHODE DER SCHNITTABNAHME
ZU LERNEN?
Ja – und dafür gibt es eine ganze Reihe gute Gründe. Erstens: Wenn Sie gerne nähen, dann haben Sie
höchstwahrscheinlich alles, was Sie dafür brauchen, schon bei sich zu Hause. Zweitens: Wenn Sie sich
die Konstruktion eines Vintageteils genauer ansehen, lernen Sie daraus sehr viel über Nähtechniken.
Das meiste, was ich über das Schneidern weiß, habe ich gelernt, indem ich alte Kleidungsstücke geän-
dert und die Schnitte abgenommen habe.
Der wichtigste Grund, warum Sie das Abnehmen von Schnitten lernen sollten, hat aber mit den
Lieblingsstücken zu tun, die in Ihrem Kleiderschrank hängen. Jede von uns hat einen Lieblingsrock oder
ein Lieblingskleid – ein Teil, das wir vor einigen Jahren gekauft haben und das einfach perfekt sitzt. Und
egal, wo und wie lange wir auch suchen, ein ähnliches finden wir einfach nicht mehr. Außerdem hat
jede von uns auch die eine Bluse, die einfach genial ist und die wir am liebsten in möglichst vielen Far-
ben hätten oder die wir vielleicht etwas aufpeppen möchten. Das können Sie jetzt! Nähen Sie Ihr Lieb-
lingsstück einfach nach und freuen Sie sich, dass Sie damit auch noch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit
leisten!
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KAPITEL 1
DIE
BASICS
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Die Basics
SCHNITTABNAHME:
Zwei Methoden
Es gibt, wie bei jeder Disziplin, den eher traditionellen
akademischen sowie den unkonventionellen pragma-
tischen Ansatz, der sich aus der Anwendung einer Fertig-
keit im täglichen Leben entwickelt. Die meisten Bücher
zum Thema Schnittgestaltung basieren auf dem traditi-
onellen Ansatz: Man verwendet bestimmte Methoden
zum Maßnehmen, überträgt die Messergebnisse auf
Papier und fügt anhand festgelegter Standards einige
gerundete Linien hinzu, um die Körperformen zu berück-
sichtigen. Beim pragmatischen Ansatz (den ich bei der
Schnittgestaltung bevorzuge) wird der Schnitt durch Dra-
pieren eines Stoffes an der Schneiderpuppe entwickelt.
Es gibt jedoch noch einen dritten Ansatz, der vie-
len Laien unbekannt und ein gut gehütetes Geheimnis
von Modedesignern und Kostümbildnern ist. Bei dieser
Methode werden die verschiedenen Teile eines vorhande-
nen Kleidungsstücks dupliziert, indem der Schnitt „abge-
nommen“ wird, so der Fachjargon. Doch eigentlich sollte
daraus kein großes Geheimnis gemacht werden. Bei der
Schnittabnahme geht es einfach darum, Formen zu dupli-
zieren, indem bestimmte Punkte aus einer Ebene (Klei-
dungsstück) auf eine andere Ebene (Papier oder Stoff)
übertragen werden. Dabei kann man auch die ursprüngli-
chen Nähtechniken gut erkennen. Die Schnittabnahme ist
der Ausgangspunkt für das Nähen eines Kleidungsstücks,
von dem Sie von Anfang an wissen, dass es gut sitzt. Sie
müssen das Rad also nicht neu erfinden. Zum Abnehmen
von Schnitten gibt es zwei Methoden.
METHODE 1:
Schnittabnahme mit Papier
Diese Methode wird in Kapitel 2 (siehe S. 27) detailliert erklärt. Man steckt dabei
an strategischen Punkten des Kleidungsstücks Nadeln durch den Stoff und das
braune Packpapier darunter. Die Einstiche im Papier werden am Ende miteinan-
der verbunden und ergeben das Schnittmuster, anhand dessen das ursprüngliche
Kleidungsstück nachgearbeitet werden kann. Diese sehr exakte Dupliziermethode
verwenden Sie, wenn Sie Papierschablonen brauchen.
Bei der Schnittabnahme mit Papier wird die Kontur der Teile mit Stecknadeln auf festes
Papier übertragen, sodass eine exakte Kopie entsteht.
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METHODE 2:
Schnittabnahme mit Stoff
Diese Methode wird in Kapitel 3 (siehe S. 65) genau beschrieben. Dabei wird meist Musselin oder ein ande-
rer geeigneter Stoff über das Kleidungsstück drapiert, entweder weil man es nicht flach hinlegen kann oder
weil die Einstiche der Stecknadeln das Original beschädigen könnten. Auf dem drapierten Stoff werden die
Nahtlinien eingezeichnet und Abnäher sowie Anstoßlinien markiert. Die Schnittabnahme mit Drapierstoff
funktioniert bei dreidimensionalen Teilen wie Taschen und Accessoires besonders gut. Zwar ist die Schnittab-
nahme mit Papier meist etwas exakter, doch mit dem weichen Stoff lässt es sich leichter arbeiten als mit dem
harten Papier. Außerdem kann man Designelemente wie Raffungen und Falten besser erfassen. Da bei dieser
Methode die Stecknadeln nur durch Nahtlinien gesteckt werden, wird das Ausgangsmodell nicht beschädigt,
was besonders bei Teilen wichtig ist, die auf keinen Fall verändert werden dürfen (z. B. historische Gewänder).
Da ein Großteil der Nähhinweise, die auf den üblichen Fertigschnitten zu finden sind, nicht erforderlich ist,
kann schneller zugeschnitten werden und es bleibt mehr Zeit für Anproben und Anpassungen. Wenn Sie mit
Drapierstoff ein Schnittmuster abnehmen, das Sie nur ein einziges Mal verwenden möchten, können Sie auf
Papierschablonen ganz verzichten. Legen Sie einfach die Stoffvorlagen auf den Stoff, aus dem Sie das neue
Kleidungsstück nähen möchten, und Sie brauchen die Teile weder mit Gewichten beschweren noch an sehr
vielen Stellen feststecken. Falls Sie das neue Schnittmuster jedoch mehrfach verwenden oder es in irgendeiner
Form abändern möchten, müssen Sie die Konturen der Stoffvorlagen mithilfe eines Kopierrädchens auf Pack-
papier übertragen. Dann können Sie die einzelnen Schnittteile mit-
tels Lineal und Stift besser justieren und erhalten exakte Vorlagen,
die Sie öfter verwenden können.
Entscheiden Sie selbst, welche Methode Ihnen besser liegt
und besser zu Ihrem nächsten Projekt passt. Wenn ich weiß, dass
das Kleidungsstück, das ich duplizieren möchte, gut sitzt und nicht
geändert werden muss, und wenn ich die neue Vorlage mehrmals
verwenden möchte, nehme ich den Schnitt mit der Papiermethode
ab, weil ich dadurch eine sehr genaue und detaillierte Schnittkopie
erhalte, die ich auch an andere weitergeben kann. Wenn ich aller-
dings nicht viel Zeit habe, die neue Vorlage nur einmal brauche und
das Kleidungsstück auch selbst nähen werde, arbeite ich mit Drapier-
stoff.
Bei der Schnittabnahme mit Stoff wird Musselin oder ein anderer geeig-
neter Stoff über das Kleidungsstück drapiert. Dann werden die Nahtlinien
auf den Drapierstoff übertragen, sodass sehr schnell eine einfache Vorlage
entsteht. Die Vorlage kann dann ggf. auf Packpapier übertragen werden.
Die Schnittteile rechts gehören zu einem Kostüm, das ich für Harry Bela-
fonte für den Film White Man’s Burden gemacht habe.