STRUHAR • DIE VERLASSENEN
STANISLAV STRUHAR
Die Arbeit an diesem Roman wurde durch das Werkstipendium des Bundeskanzleramtes der Republik Österreich, Sektion II »Kunst und Kultur«, unterstützt. Die Herausgabe des Buches erfolgte mit freundlicher Unterstützung durch die Stadt Wien.
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Lektorat: Josef G. Pichler
ISBN 978-3-99047-073-2
Für Yvona,
mein Zuhause
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Rein und tiefblau strahlte der Himmel, schon war der Frühling warm, sonnendurchflutet jeder Tag, und die Farben der Blüten schmückten das ganze Land. Langsam öffnete Gabriel das Fenster, sah hinaus.
»Wann wirst du endlich gehen?«, fragte Anja. Gleich, antwortete er, und sie trat ins Badezimmer. Er wartete, bis sie die Tür schloss, dann nahm er die alte Fotografie aus seiner Geldbörse. Ein Lächeln glitt über seine Lippen, als er sah, wie er neben seinem Vater stand, klein und zart, die blonden Haare wirr, Augen voll Freude. Es war ein Weihnachtstag gewesen, jener Tag, an dem sein Vater ihn das letzte Mal besucht hatte. Nach vier Monaten war sein Vater damals gekommen, ganz unerwartet und überraschend war er erschienen, verabschiedete sich jedoch bald und ging, kam nicht mehr.
Er steckte die Fotografie zurück in die Geldbörse, schloss das Fenster und machte sich auf den Weg. Schnell kam er aus dem Haus, verließ dann die Gasse, und vor einem Haus an der Hauptstraße verlangsamte er seine Schritte, blieb stehen. Die Haustür stand offen, das mangelhaft beschriftete Klingeltableau hing schief nur an ein paar Drähten, auch der Name seines Vaters fehlte. Das Treppenhaus war verlassen, kühl und schattenreich, in sanfte Dunkelheit getaucht, so seltsam still.
Sein Herz schlug hoch, als er die Treppe hinaufstieg, langsam an die Wohnungstür trat. Überrascht las er den Namen, den italienischen Namen, der an der Tür stand, dann steckte er die Hand in die Hosentasche, nahm den Zettel mit Vaters Adresse heraus. Leise klopfte er an, klopfte dann mit Nachdruck, trat einen Schritt zurück und sah auf den Boden, als er plötzlich Geräusche vernahm. Die Tür ging auf, und ein dunkelhaariger Mann erschien. Es sei wohl ein Irrtum, sagte Gabriel, auf Italienisch, und sogleich fügte er die Erklärung hinzu, er habe gehofft, seinen Vater hier anzutreffen, habe geglaubt, sein Vater würde hier wohnen. Er reichte dem Mann den Zettel mit Vaters Adresse, und eine Frau kam zur Tür, schlank und hübsch, mit schwarzen lockigen Haaren, deutlich jünger als der Mann.
»Es ist schon lange her, dass meine Mutter diese Adresse bekommen hat«, bemerkte er noch.
»Also ich weiß nur«, sagte die Frau, »dass früher hier eine junge Dame gewohnt hat.«
»Das ist er«, sagte Gabriel, die alte Fotografie in der Hand.
»Den habe ich nie gesehen«, murmelte der Mann.
»Ich auch nicht«, sagte die Frau. »Sind Sie das Kind?«
»Ja.«
»Wo kommen Sie her?«
»Aus Österreich. Aus Wien.«
»Wir könnten doch Raffaello fragen«, sagte die Frau zu dem Mann, und dann ging sie mit Gabriel einen Stock tiefer, klopfte an eine Tür.
»Aber ja«, antwortete Raffaello, den Blick auf die Fotografie, und vor Unruhe zitterten seine alten Hände, als er Gabriel bestätigte, dass sein Vater die Wohnung oben einmal gemietet und tatsächlich dort gewohnt hatte, aber nur für kurze Zeit. Vermutlich sei er in eine größere Stadt gezogen, eines Jobs wegen aus Ventimiglia fortgegangen, denn in Ventimiglia finde man keine Arbeit, zu klein sei die Stadt, zu hoch die Arbeitslosigkeit.
»Ich verstehe«, sagte Gabriel nur.
»Er hat kaum jemanden in der Stadt gekannt, es wird schwierig sein, ihn zu finden, ich habe keine Ahnung, wen du noch fragen könntest.«
So schnell Gabriel hinauskam, überquerte er auch die Straße, und als er ins Hotel zurückkehrte, war Anja immer noch im Badezimmer, sie stand vor dem Spiegel und bürstete ihr Haar, das nun gelöst war, feurig rot ihr Gesicht umsäumte. Sie überzeugte sich mit einem Blick davon, dass er allein war, dann erst trat sie heraus, und angespannt fragte sie, ob er seinen Vater gesprochen habe. Leider nicht, er lebe wohl nicht mehr in Ventimiglia.
»Dann habe ich doch recht gehabt.«
»Nein, er ist mit keiner Frau durchgebrannt. Er lebte allein.«
»Ein schrecklicher Mensch.«
»Wieso? Er wollte neu anfangen.«
»Mir reicht’s«, sagte sie und griff nach ihrem Rucksack, fing an, ihre Sachen zusammenzupacken, und er setzte sich an den Tisch, sah ihr schweigend zu. Nur eine Weile dauerte es, bis die Tür hinter ihr zufiel, sie fort war, und er stand auf, trat ans Fenster.
Als er nach draußen kam, blickte er zum Bahnhof, schlenderte gemächlich los, und schon in der nächsten Gasse, kurz vor der großen Brücke über die Roya, dachte er wieder an sie; wie sie bei ihrem gemeinsamen Spaziergang den Fluss betrachtet hatte, und wie das Finstere in ihrem Gesicht einem Lächeln gewichen war, als sie junge Enten bemerkt hatte, die, so herrlich verspielt, ihrer Mutter gefolgt waren.
Wieder blieb er auf der Brücke stehen, und leicht beugte er sich übers Geländer, um nach Fischen zu suchen, dann blickte er zur Flussmündung, wo das Süßwasser zum ersten Mal das Salzwasser berührte, sah, wie wunderbar hell es schimmerte, unaufhaltsam in das rauschende Meer strömte, für immer verschwand.
In dem Gastgarten am anderen Flussufer nahm er Platz, und als die Kellnerin kam, sah er in ihren Augen, dass sie sich an ihn noch erinnerte. Am nächsten Tisch saßen Männer, alle drei jung, außer ihm die einzigen Gäste im Gastgarten. Einer von ihnen schaute ihn plötzlich an und fragte, wo er herkomme.
»Aus Österreich. Aus Wien.«
»Ich dachte, du bist ein Deutscher oder ein Schweizer«, sagte der Mann überrascht, und die anderen drehten sich um. Auch sie hatten dunkle Augen, waren schmächtig, auch sie lächelten freundlich, ihre tiefschwarzen Haare glänzten im Sonnenlicht.
»Nein, ich bin Österreicher.«
»Ich bin Enrico, und das sind Michelangelo und Luciano.«
Er setzte sich auf und sah sich um, sein Blick wanderte über die Möbel, die an den Wänden standen. Die Tür öffnete sich, und Enrico kam herein.
»Ich habe die Wohnungsschlüssel schon geholt.«
»Es ist mir so peinlich.«
»Simonetta braucht die Wohnung nicht, und du wirst doch nicht fürs Hotel zahlen, komm, wir müssen uns beeilen, ich habe dann einen Termin«, sagte Enrico, und schon verließ er wieder das Zimmer. Draußen auf der Straße beschleunigte er noch seine Schritte, und sie schlugen die Richtung zur Altstadt ein. Eilig überquerten sie die zweite, kleinere Brücke über die Roya, gingen den Strand entlang, dann betraten sie ein altes Haus, und im ersten Stock öffnete sich ihren Augen eine kleine Wohnung. Renoviert und sauber, war der erste Eindruck, und bis auf eine Matratze, die zusammen mit einem Polster und einer Decke unter einem Fenster lag, standen die beiden Zimmer leer.
»Schade, dass du kein Handy hast«, sagte Enrico in der Küche.
»Ich muss es im Zug vergessen haben«, murmelte Gabriel und blickte auf die Küchenzeile. Enrico nahm aus einer Schublade einen Kugelschreiber und einen Zettel heraus, schrieb ihm seine Handynummer auf und verabschiedete sich mit den Worten, er werde übermorgen abends vorbeischauen. Danke, sagte Gabriel noch, ehe er die Wohnungstür schloss, dann machte er alle Fensterläden auf. In dem größeren Zimmer, das offenbar als Wohnzimmer diente und wo die Matratze lag, ließ er das Fenster offen stehen, und reglos sah er hinaus, starrte aufs Meer.
Eine fast unheimliche Stille umgab ihn, als er wenig später aus der Wohnung kam, das Treppenhaus betrat. Und in dieser Stille, beim Anblick verschlossener Türen, beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Nun stand er da, einsam und unsicher, wie manche der Flüchtlinge in Wien, deren Sprache er nicht verstand, die so fremd waren. Nun stand er selbst da, weit in der Fremde und auf sich allein gestellt, Menschen ausgesetzt, die ihn vielleicht nicht willkommen heißen werden.
Schon war er fest entschlossen, auf den Hügel über Ventimiglia zu steigen, doch vermochte er nicht mehr, die Altstadt zu betreten; zu düster muteten ihre uralten Gassen ihn an, zu fremd, noch fremder als die Neustadt war sie in seinen Augen. So nahm er die Straße, die an der Altstadt vorbeiführte, und still betrachtete er den Meeresglanz in der Tiefe, sah in die dunstige Ferne, ließ seinen Blick über das herrliche Panorama des Hinterlandes schweifen. So viele Farben stellte die Landschaft zur Schau, als er auf dem Hügel innehielt, so schön war sie und bezaubernd, wie das Sonnenlicht warm. Auch das Innere der Gärten sah er, an denen er vorbeigeschritten war, sah noch mehr Häuser, noch mehr Früchte, noch mehr Leben.
Er setzte sich zwischen zwei Bäume, in deren Schatten das Gras weich und sattgrün war, und der Gesang einer Frau, von zarten Tönen einer Gitarre begleitet, kam aus dem Glashaus des nächsten Gartens.
Aufgeregte Kinderstimmen drangen durchs offene Fenster herein, und er sah, wie zwei kleine Mädchen sich mit einem Buben prügelten. Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich aufs Fensterbrett. Eines der Mädchen blickte zur Straße, und die Augen auf ein prächtiges Motorrad gerichtet, das an den Straßenrand rollte, winkte es. Das Motorrad hielt, das Visier des Helms blitzte auf und der Kopf einer brünetten Frau erschien. Die Frau steckte sich das Haar hinter die Ohren, sprach das Mädchen an, und Gabriel ging in die Küche. Er wusch das Geschirr ab, zog sich um, und die Wohnungsglocke läutete.
»Ich bin Enricos Schwester«, sagte die Motorradfahrerin. Er stellte sich vor, bedankte sich für die Unterkunft, und sie fragte, wie lange er bleiben wolle. Nicht lange, er wisse es noch nicht genau. Es gebe leider keine Möbel mehr in den beiden Zimmern, sagte sie und trat ein, aber kochen könne man noch. Ja, sagte er nur, und sie ging in die Küche.
»Ich würde mir wünschen, dass hier nicht geraucht wird. Ich möchte die Wohnung für den besten Preis verkaufen.«
»Ich kann dir etwas Miete bezahlen.«
»Das brauchst du nicht. Hast du ein Handy?«
»Nein«, antwortete er, und sie schrieb ihm ihre Handynummer auf.
»Für den Fall, dass etwas passiert oder du abreisen möchtest«, sagte sie noch, wünschte ihm einen schönen Tag und ging wieder hinaus. Er lief zu dem offenen Fenster, trat aber rasch zur Seite, dass sie ihn nicht sehen konnte, wartete, und dann hörte er sie mit den Mädchen sprechen. Die Mädchen verabschiedeten sich von ihr, doch das Motorrad blieb still. Und als er noch einmal hinausspähte, sah er, wie sie hockte, offenbar dabei war, das Motorrad zu reparieren. Schließlich sprang der Motor an, und sie packte ihr Werkzeug zusammen, wischte sich die Hände mit einem Lappen ab. Sie möge sich doch im Badezimmer waschen, rief er, als sie zu ihm blickte, und sie warf den Lappen auf den Sitz, ging zur Haustür.
»Warst du schon bei der Polizei?«, fragte sie wie nebenbei, ehe sie das Badezimmer betrat.
»Bei der Polizei? Warum?«
»Wegen deinem Vater. Die Polizei könnte dir vielleicht helfen.«
»Nein, zur Polizei möchte ich nicht.«
»Warum hast du nicht versucht, deinen Vater zuerst zu kontaktieren, anstatt gleich nach Ventimiglia zu kommen?«
»Ich wollte ihn überraschen«, antwortete er, und sie ließ das Wasser laufen.
Enrico zündete sich eine Zigarette an, trat ein und sagte, sie seien zum Essen eingeladen. Simonetta wolle nicht, dass man hier rauche, bemerkte Gabriel in behutsamem Ton, und Enrico sah ihn überrascht an, fragte, wann Simonetta hier gewesen sei, wollte wissen, was alles sie erzählt habe. Gabriel antwortete und fragte, was er gestern gemacht habe. Er habe sich um eine Stelle beworben, in einer Pizzeria, habe aber kein Glück gehabt, erwiderte Enrico, und danach fluchte er über die hohe Arbeitslosigkeit, die es in der Stadt gab. Doch er liebte Ventimiglia, seine Heimat, von der er sich niemals würde trennen können, liebte diese Stadt, die er niemals würde verlassen wollen.
Nachdem sie hinausgekommen waren, nahm Gabriel das Wort, erzählte, wie lang er schon Arbeitslos war, wo überall er sich um eine Stelle beworben hatte, und Enrico hörte ihm aufmerksam zu. Erst vor dem Bahnhof, als sie ein altes Haus betraten, lächelte Enrico wieder, und dann läutete er an einer Wohnungstür. Er läutete noch einmal, läutete länger, und ein schwarzhaariger Mann öffnete die Tür.
»Ich bin Salvatore«, sagte der Mann zu Gabriel, und Enrico verschwand in einem Zimmer. Stimmen von Frauen wurden laut, und Enrico lachte.
»Sie ist auch eine Ausländerin«, sagte Enrico zu Gabriel, nachdem er ihm Mirela, Salvatores Frau, vorgestellt hatte. Na und?, sagte Federica, Salvatores ältere Schwester, Enrico aber drehte sich zum Tisch. Federica stellte sich Gabriel vor, rasch nur und flüchtig, und schon sah sie wieder Enrico an. Gabriel fragte Mirela, wo sie herkomme. Aus Bosnien, antwortete sie, und ihre Augen, dunkel wie Pralinen, funkelten umsäumt von kleinen Lachfältchen. Als sie alle Platz nahmen, fragte Federica Gabriel, wo er Italienisch gelernt habe. In Sprachkursen, antwortete er zurückhaltend, sie aber fragte weiter, wollte wissen, wie lang er bleibe, ob Ventimiglia ihm gefalle, wie er die Menschen hier finde.
Das Zimmer war schön getüncht und gemütlich, doch ließ seine Einrichtung erahnen, dass Salvatore und Mirela ein bescheidenes Leben führten. Auch das Essen, das sie aus der Küche brachten, war etwas bescheiden ausgefallen. Mirela wollte nichts essen, und Salvatore nahm nur ein Stück Käse zu sich. Enrico und Federica hingegen erweckten den Anschein, als hätten sie seit Tagen leere Mägen. Salvatore nahm Mirela bei der Hand, flüsterte in ihr Ohr, sie aber starrte auf den Tisch, regte sich nicht. Sachte strich er über ihr Haar, das über seine ganze Länge braun glänzte, und sie sah ihn an.
Als Salvatore aus der Küche zurückkam und neue Getränke auf den Tisch stellte, setzte er sich zu Enrico und Federica. Mirela rückte zu Gabriel und sagte, sie habe ursprünglich geplant, nach Österreich oder nach Deutschland zu gehen. Ob er glaube, dass es in Österreich leichter für sie gewesen wäre, fragte sie. Keine Ahnung, antwortete er, und da sagte Federica zu Mirela, sie solle froh sein, dass sie hier sei, in Ventimiglia habe sie alles, was sie brauche. Sie beklage sich ja nicht, verteidigte Mirela sich, doch Federica war schon Gabriel zugewandt, um ihm zu erzählen, wie sie und ihre Bekannten Mirela anfangs geholfen hatten, wie freundlich Mirela von manchen Menschen hier aufgenommen geworden war.
»Wie geht es eigentlich Ausländern in Österreich?«, fragte sie dann. Unterschiedlich, antwortete er lediglich. Sie glaube, es sei überall gleich, sagte sie, und anschließend übte sie Kritik an der Zuwanderungspolitik in Europa, fluchte über die Ausländerfeindlichkeit, die es in jedem Land gab und die sie so beunruhigte.
Es dauerte nicht lange, und Mirela wurde müde, hörte den anderen nicht mehr zu, wollte schlafen gehen. Federica half noch Salvatore, das Zimmer aufzuräumen, dann lief sie Enrico und Gabriel, die bereits hinausgegangen waren, nach. Immer noch war sie gesprächig, wollte sich unterhalten, und wenn sie sich aufregte, füllten ihre Augen sich mit lebhaftem Glanz, bebte ihre Stimme. Enrico aber wurde schweigsam, wirkte abwesend, und vor dem Stadtpark verabschiedete er sich schließlich, überquerte schnell die Straße. Federica kicherte, als sie sah, wie er in eine Gasse verschwand, und danach führte sie Gabriel zum Strand. In der Stille der Nacht rauschte das Meer nahezu bedrohlich, seine Wellen brachten Wind mit, der aber nicht unangenehm über die Haut strich, nur eine salzige Spur hinterließ. Federica erzählte über die Stadt, und dabei lachte sie, ahmte ihre Freundinnen und ihre Arbeitskolleginnen nach, doch als sie meinte, Ventimiglia sei ein Dorf im Vergleich zu Wien, klang ihre Stimme plötzlich sanft. Er fragte, wo sie arbeite. Bei der Post, dort, beim Stadtpark, antwortete sie, und rasch setzte sie sich auf das Geländer, das den Strand von der Straße trennte. Auch er setzte sich auf das Geländer, und still sah er auf das Wasser. Sein Blick wanderte über die Wellen, verharrte dann in der Dunkelheit des Meeres, und die Erinnerung an Anja stieg in ihm auf.
Die Tür ging zu, und der Bus setzte sich in Bewegung. Gabriel winkte, rannte los, doch blieb er schließlich stehen. Der Bus bremste, die Tür öffnete sich wieder, und Gabriel stieg ein, wollte sich bedanken, hielt aber inne.
»Alles in Ordnung in meiner Wohnung?«, fragte Simonetta, die am Steuer saß. Ja, antwortete er, und sie fuhr los, fragte dann weiter. Ob er sich die Stadt schon angeschaut habe, wollte sie wissen, und er erzählte, wo überall er gewesen war, was alles er gesehen hatte. Doch als sie an der Altstadt vorbeifuhren, sagte er plötzlich, er sei ihr für die Wohnung dankbar und würde sie gern zum Essen einladen.
»Dankbar brauchst du nicht zu sein«, sagte sie nur.
»Ich muss jetzt aussteigen. Hättest du am Abend Zeit? Treffen wir uns beim Stadtpark?«
Er stieg aus und ging zum Museum. Dort nahm er den schmalen Weg, der zum Meer hinunterführte, und bald schon öffnete Le Calandre, der kleine Sandstrand, sich seinen Augen. Da gewahrte er Mirela, die am Strand-beginn auf einem der Steinblöcke saß. Auch sie sah ihn.