Geheimnis des Bauchredners
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph, Berlin
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
Unser gesamtes lieferbares Programm und viele
weitere Informationen zu unseren Büchern,
Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und
Aktivitäten findest du unter kosmos.de
© 2017, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur
ISBN 978-3-440-14959-1
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Auf der Landstraße war es stockfinster. Der Mond war noch nicht aufgegangen und Straßenbeleuchtung gab es keine. Die Fahrradlampen, die auf den rissigen Asphalt schienen, waren die einzigen Lichtquellen weit und breit. Und das Surren der Ketten das einzige Geräusch, als die drei Detektive nebeneinanderher durch den Tuna Canyon radelten.
»Okay, Justus«, sagte Peter Shaw. »Jetzt kannst du uns aber wirklich langsam erzählen, warum wir mitten in der Nacht mit dem Fahrrad durch die Berge fahren.«
»Es ist gerade mal acht Uhr«, antwortete sein Freund Justus Jonas.
»Ja, aber so dunkel wie zur Geisterstunde.«
»Dafür kann ich ja nichts.«
»Nein, aber warum die Eile? Ich habe nach dem Training nicht einmal mehr duschen können, weil ich euch sofort treffen sollte.«
Der dritte Detektiv Bob Andrews nickte. »Und ich schleppe immer noch meine Schulsachen mit mir herum, weil ich den ganzen Tag unterwegs war.« Er klopfte auf seinen Rucksack, der schwer und warm auf seinem Rücken hing und ihn langsam nervte. »Also, Erster?«
»Ich möchte einfach nicht zu spät bei Patricia Osborne auftauchen«, sagte Justus etwas kurzatmig, denn die Strecke ging leicht bergauf. »Sie weiß nämlich nicht, dass wir kommen. Und für einen unangemeldeten Besuch ist acht Uhr für mein Empfinden schon fast zu spät.«
»In Ordnung, aber worum geht es denn überhaupt?«, fragte Bob.
»Das habe ich euch doch schon gesagt. Allie Jamison hat mich heute Nachmittag angerufen und mir erzählt, dass ihre Tante Patricia ein Problem sehr spezieller Natur hat und sie möglicherweise der Hilfe eines erfahrenen und klugen Detektivteams bedarf.«
»Also erstens wundert es mich stark, dass du überhaupt mit Allie geredet hast«, meinte Peter. »Ich dachte, du hasst sie.«
»Ich hasse sie nicht. Sie geht mir nur auf die Nerven. Aber die Fälle, die sie uns in der Vergangenheit beschert hat, waren durchweg interessante Herausforderungen, daher konnte ich darüber hinwegsehen.«
Der Zweite Detektiv fuhr fort: »Zweitens: Warum ist sie nicht hier? Sie ist doch sonst nie von unserer Seite gewichen, wenn sie uns beauftragt hat.«
»Sie hat genauso wenig Schulferien wie wir, und da sie immer noch ein Internat besucht, konnte sie da natürlich nicht weg.«
»Drittens: Tante Patricia? Die Tante Patricia? Die durchgeknallte Spinnerin, die alle acht Wochen einer neuen obskuren Kultgemeinschaft beitritt und lieber auspendelt, ob sie nach rechts oder links geht, anstatt auf einen Stadtplan zu schauen?«
Justus grinste. »Genau die.«
»Aber warum fahren wir in den Tuna Canyon?«, fragte Bob. »Tante Patricia wohnt doch zusammen mit ihrer Freundin Sunshine in dieser Verrückten-WG in dem alten Kasten am Strand.«
»Nicht mehr«, erklärte Justus. »Ein Wünschelrutengänger hat wohl einige sehr negative Energiefelder in dem Haus erspürt. Danach sind alle ausgezogen.«
Peter war fassungslos. »Ernsthaft?«
»Nein, das war ein Scherz. Oder auch nicht, wer weiß das schon so genau bei Tante Patricia. Ich habe keine Ahnung, warum sie dort nicht mehr wohnt. Jedenfalls hat sie aktuell Probleme mit einem ihrer neuen Mitbewohner: Mr Giggles.«
»Aha«, sagte Peter. »Und warum? Hat seine Aura die falsche Farbe?«
»Er wandelt durchs Haus.«
Der Zweite Detektiv wartete darauf, dass noch mehr kam, doch Justus schwieg.
»Er wandelt durchs Haus? Das ist alles?«
»Ja.«
»Und das ist ein Fall für die drei ???, weil …?«
»Weil Mr Giggles eine Puppe ist. Eine Bauchrednerpuppe, um genau zu sein.«
»Oh«, sagte Peter.
»Ich hatte kaum Zeit, mich zu informieren, daher weiß ich lediglich, dass die Puppe dem begnadeten Bauchredner Frank Corman gehört hat, dem Gastgeber der ›Frank and Giggles Show‹. Das war früher eine berühmte Fernsehsendung, in der wöchentlich Gaststars auftraten, mit denen Frank Corman und seine Puppe dann Späße getrieben haben. Ist aber schon ewig her.«
Bob nickte. »Ich kenne die Sendung nicht, aber Frank Corman ist vor Kurzem gestorben, da stand was über ihn und die ›Frank and Giggles Show‹ in der Zeitung.«
»Und diese Puppe … wandelt bei Tante Patricia durchs Haus?«, fragte Peter.
»Das sagt zumindest Allie. Ihre Tante habe sich in letzter Zeit sehr seltsam benommen, sie sei verängstigt und durcheinander gewesen. Als Allie sie zur Rede stellte, rückte sie mit dieser Geschichte heraus: Mr Giggles würde in ihrem Haus spuken.«
»Und da war es natürlich um dich geschehen«, sagte Bob. »Allie und Tante Patricia hin oder her – dieses Rätsel kannst du dir unmöglich entgehen lassen.«
»Ihr etwa?«
»Ich sage dazu jetzt mal nichts«, murmelte Peter und merkte, wie ihm unwohl wurde. Fälle, in denen Puppen herumliefen, lagen ihm nicht besonders.
Vor ihnen schimmerte ein schwaches Licht durch die Bäume am Wegesrand. Als sie näher kamen, erkannten sie vor einer flackernden Lichtquelle die Silhouette eines kleinen Holzhauses. Es sah aus, als hätte jemand hinter dem Gebäude ein Lagerfeuer angezündet.
»Das muss es sein«, sagte Justus und hielt an einem Briefkasten, der am Straßenrand auf einem Pfeiler befestigt war. Die metallene Röhre war mit verschnörkelten Buchstaben verziert: Spirit Grove, stand darauf.
»Der Name des Hauses«, erklärte der Erste Detektiv. »Das hat Allie mir verraten.«
Vor dem Haus standen vier Autos, darunter ein alter, bunt bemalter VW-Bus. Die Jungen parkten ihre Fahrräder auf einem freien Platz. Bob war froh, endlich seinen Rucksack abnehmen zu können. Die Gegend hier war so gottverlassen, den würde schon niemand klauen, also stellte er ihn neben sein Rad.
Dabei fiel sein Blick auf einen etwa daumenbreiten weißen Streifen, der quer zu seinen Füßen über den Boden verlief und sich in der Dunkelheit verlor. »Seht mal!« Der dritte Detektiv kniete sich hin und strich mit den Fingern darüber. Anschließend rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander, roch daran und hielt schließlich vorsichtig seine Zungenspitze an die Fingerkuppe. »Salz.«
»Sieht aus, als ob die Linie das ganze Haus umschließt«, sagte Justus. »Ein Salzkreis.«
»Warum streut jemand Salz auf den Boden?«, fragte Peter verständnislos.
»Das ist in okkulten Kreisen ein gängiges Mittel, um böse Geister fernzuhalten«, erklärte Bob.
»Na, das geht ja schon gut los«, murmelte der Zweite Detektiv.
Sie traten vorsichtig über das Salz und stiegen die drei knarrenden Stufen zur Haustür hinauf. Doch auf ihr Klopfen reagierte niemand.
»Es ist auf jeden Fall jemand zu Hause«, sagte Peter mit Blick auf die Autos.
»Wahrscheinlich im Garten beim Feuer«, vermutete Bob. »Kommt, wir gehen nach hinten.«
Nirgendwo gab es einen Zaun, eine Mauer oder eine Hecke. Spirit Grove stand halb in der Wildnis. Daher war es kein Problem, das Haus zu umrunden.
Das flackernde Lagerfeuer kam in Sicht – und sofort blieben die drei Detektive wie angewurzelt stehen. Beim Feuer befanden sich vier Gestalten in langen roten Umhängen mit großen Kapuzen. Sie standen mit dem Rücken zum Haus und blickten Richtung Waldrand. Mit der rechten Hand zogen sie merkwürdige Zeichen in die Luft. Dabei sprachen sie gemeinsam wie bei einem Gebet Worte in einer fremdartigen Sprache: »Ateh … Malkuth …Ve Geburah …«
»Was ist denn hier los!?«, fragte Peter leise und drückte sich an die Hauswand. Justus und Bob taten es ihm gleich.
»Sieht aus wie eine Geisterbeschwörung«, raunte Bob.
»Schaut!« Aufgeregt stieß Peter dem Ersten Detektiv den Ellbogen in die Rippen. »Da sitzt eine Puppe!«
Die Puppe war etwa einen Meter groß, trug einen schwarzen Anzug und hatte streng zurückgekämmtes Haar. Mit ausgestreckten Beinen saß sie auf einem mächtigen Stein und starrte ins Feuer. Im flackernden Schein der Flammen sah es fast so aus, als seien die Glasaugen lebendig.
»Ist das dieser Mr Giggles?«, flüsterte Bob.
»Ich glaube schon«, raunte Justus, »ich hab ein Bild von ihm im Internet gesehen.«
Eine der rot gewandeten Gestalten, offenbar ein Mann, vollführte eine letzte große Geste, wandte sich den anderen zu und sagte: »Lasst uns beginnen!«
Sie lösten ihren Kreis am Feuer auf und gruppierten sich nun um die Puppe. Ihre Gesichter lagen im Schatten der Kapuzen. Der Mann hob die Puppe hoch, hielt sie mit den Fingern am Kopf umklammert und streckte sie von sich weg. »Weichet, ihr finsteren Mächte!« Seine Stimme hallte laut und gebieterisch durch den Canyon. »Weichet und kehrt zurück in euer Reich!« Dann setzte er die Puppe wieder ab.
Nun drehten sich die Anwesenden nacheinander in die vier Himmelsrichtungen, sprachen erneut fremdartige Worte und zogen mit ihren Zeigefingern Zeichen in die Luft. Als sie sich in Richtung des Hauses wandten, duckten sich die drei Detektive in den Schatten, um nicht entdeckt zu werden.
»Ein Pentagramm«, wisperte Justus, als er das Luftzeichen erkannte. »Ein fünfzackiger Stern, das ist ein bekanntes magisches Zeichen, das –«
»Halt die Klappe, Just!«, zischte Peter, der fürchtete, dass man sie hören könnte.
Die vier Gestalten breiteten ihre Arme aus. Wind kam auf und bauschte die roten Umhänge. Peter fröstelte.
»Vor mir – Raphael!«, rief die Gruppe im Chor. »Hinter mir – Gabriel. Zu meiner Rechten – Michael. Zu meiner Linken – Auriel. Vor mir flammt das Pentagramm! Hinter mir –«
Plötzlich und wie von Geisterhand klappte der Mund der Puppe auf. Die Umhänge flatterten im Wind. Einer von ihnen geriet in die Flammen – und fing an zu brennen! Da die vier Personen jedoch vom Lagerfeuer abgewandt standen, bemerkte es keiner von ihnen.
Die Flammen leckten langsam am Stoff empor …
Peter zögerte keine Sekunde. Er stürmte hinter der Hausecke hervor auf die Gruppe zu und rief: »Feuer!«
Jemand schrie und fuhr herum. Alle sahen, was passiert war. Doch da war der Zweite Detektiv schon bei der brennenden Robe und riss sie der Trägerin herunter. Die Flammen versengten die Härchen auf seinem Unterarm, bevor er den Umhang zu Boden werfen und sie austreten konnte.
Als der Stoff nur noch qualmte, atmete Peter auf. Er drehte sich zu der Frau um, die er vor dem Feuer gerettet hatte. Sie trug jetzt nur noch beigefarbene Unterwäsche, war jedoch viel zu erschrocken, um sich etwas daraus zu machen. Peter zuckte zusammen, als er erkannte, wen er vor sich hatte.
»Tante Patricia!«, keuchte er. »Ich meine … Miss Osborne! Um Himmels willen!«
Patricia Osborne sah ihn an, als sei er geradewegs mit Alice aus dem Wunderland gekommen. Ihr Haar war in einem schimmernden Lavendelton gefärbt. »Wo kommst du denn auf einmal her?«
»Ich … ich … äh …«
»Kennen wir uns nicht?«
»Patricia!«, rief der Mann mit der gebieterischen Stimme wütend. Er setzte seine Kapuze ab. Blassblaue Augen funkelten Peter an. »Was geht hier vor? Wer ist dieser Bengel? Wieso ist der hier?«
Nun kamen auch Bob und Justus herbeigelaufen. Der Erste Detektiv hatte auf der Veranda eine lange Strickjacke gefunden und sie geistesgegenwärtig mitgebracht. Er reichte sie Patricia Osborne wortlos, die die Jacke dankbar überzog, während sie die drei musterte.
»Moment mal … ja, ich kenne euch! Ich habe euch schon einmal gesehen … Wo war das nur?«
»Im Haus Ihrer Schwester«, erinnerte Justus sie. »Es ist schon einige Zeit her. Wir sind die drei Detektive und haben die finsteren Machenschaften Ihres Hausgastes Mr Asmodi aufgedeckt. Justus Jonas.« Er streckte ihr die Hand hin, die sie schlaff ergriff und schüttelte. »Und das sind Peter Shaw und Bob Andrews.«
»Ja, richtig! Na, so ein Zufall, dass wir uns hier heute wiedersehen!«, sagte Tante Patricia in dem verträumten und leicht abwesenden Tonfall, den die drei ??? bereits kannten. »Und genau im richtigen Augenblick! Das hätte ja böse ins Auge gehen können mit dem Feuer. Aber was macht ihr denn hier?«
»Das würde ich auch gern wissen«, sagte die zweite Frau in der Gruppe grimmig und verschränkte die Arme, sodass die goldenen Armreife an ihren Handgelenken klimperten. Sie war groß und schlank und hatte graublondes Haar. Es war Sunshine, Tante Patricias Freundin. Die drei ??? kannten sie nicht, waren aber einmal ihrer Zwillingsschwester begegnet.
»Sie haben uns heimlich beobachtet«, sagte der Anführer wütend. »Ich verlange eine Erklärung!«
»Das stimmt, Sir«, gab Justus zu. »Wir haben Sie heimlich beobachtet, aber das war nicht unsere Absicht. Wir sind hier, weil Miss Osbornes Nichte Allie uns darum gebeten hat, ihrer Tante einen Besuch abzustatten. Auf unser Klopfen reagierte niemand, also gingen wir nach hinten in den Garten, wo wir von der Straße aus das Feuer gesehen hatten. Wir wollten Sie nicht stören bei Ihrem … Ritual. Also warteten wir.«
»Was für ein Glück!«, fand Tante Patricia. »Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Wie nett von Allie, euch zu mir zu schicken, wirklich! Aber sie macht sich zu viele Gedanken um mich, ich bin ja keine einsame alte Frau, um die man sich kümmern muss. Ich habe viele Freunde! Ach, ich habe sie euch noch gar nicht vorgestellt, wie unhöflich!« Sie drehte sich zu ihren drei Begleitern um. »Das ist meine Freundin Sunshine. Und das unser Mitbewohner Vandaan.« Sie zeigte auf den Vierten im Bunde, einen kleinen Mann mit heller Haut und rundem Gesicht. Er hatte bislang noch kein Wort gesagt, sondern lediglich alles aus kleinen Augen beobachtet. Auf dem Kopf hatte er nur noch wenige kurze rotblonde Haare und kaum Augenbrauen im Gesicht. Als er den drei ??? zunickte, verzog er keine Miene.
Schließlich wandte sich Tante Patricia dem Anführer des Rituals zu. »Und das ist –«
»Ist das jetzt dein Ernst, Patricia?«, unterbrach dieser sie wütend. »Machen wir hier ein Kaffeekränzchen? Diese Flegel haben unser Ritual gestört! Meine Verbindung zu den kosmischen Kräften ist abgerissen. Ich glaube nicht, dass ich sie heute noch mal herstellen kann.«
»Oh, Osiris!«, sagte sie bedauernd. »Wirklich? Das ist zu dumm. Aber sieh mal, immerhin haben die Jungen mich vor dem Feuer gerettet!«
»Es ist gefährlich, ein Ritual abzubrechen, liebe Patricia. Es kann ernste Konsequenzen haben, wenn man die Mächte, die man beschworen hat, nicht wieder in ihre Dimension entlässt.«
»Oh, du hast natürlich vollkommen recht, Osiris, bitte verzeih mir.« Sie wandte sich an die drei ???. »Osiris kennt sich aus mit diesen Dingen, er ist nämlich ein echter Schamane. Ja, was machen wir denn da, Osiris?«
»Ich kann nur versuchen, die Verbindung wieder aufzunehmen. Aber sicherlich nicht in Anwesenheit dieser drei Bengel!«
Justus hatte wenig Lust, einem Mann, der sich Osiris nannte und so tat, als würde er Kontakt zu kosmischen Mächten aufnehmen, eine Bühne zu bieten. Und er hatte nicht eine Sekunde lang vor, das Feld zu räumen. Also ignorierte er den Mann einfach und zeigte auf den Grund ihres Besuchs, die Bauchrednerpuppe. »Sieh an, Mr Giggles ist auch da!«
»Ja, das ist richtig!«, sagte Tante Patricia überrascht und war augenblicklich ganz vom Thema abgelenkt. »Du kennst ihn? Ach, bestimmt hat Allie dir von ihm erzählt. Ist er nicht großartig?«
»Ich finde ihn eher gruselig«, murmelte Peter, dem die Puppe nicht geheuer war. Natürlich war es nur eine Puppe, ein lebloses Objekt, das war ihm klar. Aber wie sie dasaß, grinsend und ins Feuer starrend, sah sie aus, als würde sie jedes Wort, das gesprochen wurde, genau verstehen.
»Und damit sind wir schon beim Thema«, nahm Justus den Faden dankbar auf. »Allie berichtete, dass die Puppe Ihnen Probleme bereitet, Miss Osborne. Sie macht sich Sorgen und bat uns, herzukommen und gegebenenfalls in der Angelegenheit zu ermitteln.«
»Zu ermitteln?«, fragte Tante Patricia verwundert. »Aber da gibt es nichts zu ermitteln.«
»Nein? Allie sagte, die Puppe würde Ihnen schlaflose Nächte bereiten.«
Tante Patricia lachte nervös. »Das stimmt. Aber Mr Giggles ist lediglich mit negativen Energien aufgeladen. Deshalb haben wir ja das Ritual durchgeführt. Ein Reinigungs- und Schutzritual, um den dunklen Einfluss zu brechen.«
»Wir haben das Ritual eben nicht durchgeführt, Patricia!«, meldete sich Osiris wieder zu Wort und blickte finster in die Runde. »Wir haben es mittendrin abgebrochen! Und dabei werden wir es jetzt auch belassen!« Wütend riss er sich den Umhang herunter und warf ihn zu Boden. »Mir reicht es. Ich wollte dir einen Gefallen tun, Patricia. Aber anscheinend gibst du dich lieber mit diesen drei dahergelaufenen Bengeln ab, die unsere heiligen Rituale nicht ernst nehmen. Ich muss sagen, ich hatte dich anders eingeschätzt.« Er wandte sich zum Gehen.
»Aber nein, Osiris, warte!«, rief Tante Patricia. »Das war doch nur ein Versehen! Die drei sind wirklich ganz nette Jungs! Sie haben –«
»Das interessiert mich nicht. Ich gehe. Erwartet nicht von mir, dass ich euch noch einmal ohne Gegenleistung helfe!« Damit stapfte der Schamane wütend davon. Wenig später hörten sie ein Auto wegfahren.
»Ziemlich aufbrausend, der Gute«, murmelte Bob.
»Oh nein, Sunshine, was machen wir denn nun?«, fragte Tante Patricia verunsichert. »Die Mächte, die wir heraufbeschworen haben …«
»Ich glaube nicht, dass es so schlimm ist, wie Osiris sagt«, versuchte Sunshine ihre Freundin zu beruhigen. »Das sah mir doch eher nach verletzter Eitelkeit aus.«
Die Worte schienen Tante Patricia nicht zu erreichen. »Er hätte uns bestimmt helfen können. Und nun haben wir ihn verärgert. So etwas Dummes!«
Vandaan, der bislang nichts gesagt hatte, räusperte sich. Seine Stimme war sehr leise und irritierend hoch. »Ich … könnte mir vorstellen, dass wir auch ohne Osiris weitermachen können, Patricia. Wenn wir das Ritual beenden …«
»Nein, nein«, wehrte sie gleich ab. »Die Verbindung ist abgerissen, das spüre ich ganz deutlich, Osiris hatte recht.«
»Gut«, murmelte Vandaan. »Dann werde ich mich jetzt zurückziehen. Du willst dich sicher um deine Gäste kümmern.«
»Ja, ja«, sagte Tante Patricia abwesend und sah Vandaan nicht einmal an. Der kleine Mann verließ die Gruppe leise wie ein Schatten und ging ins Haus.
»Es tut mir leid, dass wir hier so unangemeldet hereingeplatzt sind«, entschuldigte sich Justus, der sich nun, da Osiris weg war, etwas entspannte. »Wir hätten anrufen sollen.«