Aus dem amerikanischen Englisch
von Rainer G. Schmidt
Mit einem Nachwort
von Holger Teschke
Abschriften 1840–1842
Juli 1842 – 13. April 1843
April – 1. September 1843
24. September 1843 – nach 7. Januar 1844
Herbst 1842 – März 1846 [Long Book]
5. Juli 1845 – 27.März 1846 [Walden I]
Sommer 1845 – Februar 1846 [Walden II]
April 1846 – Dezember 1846 [Berg Journal]
Winter 1846/47 – Frühjahr 1848
1850
Dezember 1850
Editorische Notiz
Nachwort von Holger Teschke:
Der Chronist der Wälder
Anmerkungen
Karte
Jedes Werk von großer Autorität und Genialität schiene in unserer Vorstellungskraft den gesamten Raum zu durchdringen und zu durchfluten. Sein Geist, gleichsam ein feinerer Äther, zöge zusammen mit den vorherrschenden Winden eines Landes dahin – und verliehe den Wiesen und den Tiefen des Walds einen neuen Glanz und umspülte die Heidelbeeren auf den Hügeln, wie manchmal ein zarter Einfluss am Himmel in Wellen über die Felder strömt und an einem unsichtbaren Strand in der Luft zu branden scheint. Er würde die Morgen- und Abendstunden zubringen – und alle Dinge würden ihn bestärken.
Als ich mich in die Wälder aufmache, überlege ich, ein Buch mitzunehmen, dessen Verfasser sich dort auskennt – dessen Sätze meinen Gedanken in nichts nachstehen und sie weiterführen werden – oder mir menschliches Leben zeigen, das selbst dann noch am Horizont glänzt, wenn die Hügel die Stadt schon verdecken. Doch ich kann niemanden finden, keiner will so weit voransegeln, in die Bucht der Natur wie mein Denken – sie bleiben alle zu Hause – Als ich die Wälder erreiche, rascheln ihre dünnen Blätter in meinen Fingern. Sie sind klar und deutlich und nicht von einem Lichtschein oder Dunst umgeben. Die Natur liegt weit und heiter hinter ihnen allen.
Ich würde gern auf den großen und gelassenen Satz stoßen, der sich nur darin offenbart, dass er groß ist, den ich selbst mit meinem größten Scharfsinn nie durchdringen kann und hinter den ich nicht gelange – weiter als der Himmel selbst – den kein Verstand erfassen kann. Ihm sollte eine Art Leben und Zucken gegeben sein; unter seiner Rinde sollte auf immer eine Art Blut kreisen, das seinem Aussehen Frische verleiht.
(…)
Beim Betrachtes eines Gemäldes1, das unser Dorf zeigt, wie es vor hundert Jahren aussah, – heiter, offen – und mit einem Licht auf Bäumen und Fluss, als wäre es hoher Mittag – fällt mir auf, dass ich nie angenommen hatte, die Sonne hätte in jenen Tagen geschienen – oder die Menschen hätten damals in hellem Tageslicht gelebt. Als ich über die Indianerkriege und die Frühgeschichte der Siedlungen las, habe ich, soweit ich mich erinnere, kein einziges Mal die Sonne vor Augen gehabt – sondern diese Ereignisse trugen sich nur in einem trübem Zwielicht oder nachts zu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass während Philips’ Krieg2 die Sonne auf Hügel oder Tal schien – oder auf den Kriegspfad von Paugus – oder dass Standish oder Church oder Lovell von heiterem Sommerwetter begleitet waren.
Aber es passt, dass die Vergangenheit dunkel sein soll – und dies ist nicht nur der Vergangenheit anzukreiden, sondern auch der Überlieferung – nicht eine ferne Zeit sondern die Ferne des Zeitlaufs3 taucht die Monumente der Vergangenheit dermaßen ins Dunkel – Was dem Herzen der heutigen Generation nah ist, das ist gegenwärtig und hell. Griechenland liegt von Sonnenlicht überflutet und heiter da – denn in seiner Literatur und Kunst gibt es Sonne und Tageshelle. Weder Homer erlaubt mir zu vergessen, dass die Sonne schien – auch Phidias oder der Parthenon nicht.
Zugegeben, ich bin ein wenig ungläubig, wenn ich von der extremen Hitze höre – während jener mühseligen Märsche in den Indianerkriegen, und wie die Soldaten schwitzten und ihre Zungen in den Mündern anschwollen – Ich bezweifle nicht die Erschöpfung – aber es bedeutet doch, die Landschaft hätte in hellem Licht gelegen. – Die Krieger könnten im Schatten ihrer eigenen dunklen Taten gekämpft haben.
Doch weder ist ein Zeitalter völlig dunkel gewesen, noch werden wir uns der Geschichte zu hastig fügen – und uns zu einem Lichterglanz beglückwünschen. – Wenn wir die Dunkelheit jener fernen Jahre durchdringen könnten, würden wir feststellen, dass sie noch genügend Licht verbreiten – manche Wesen können im Dunkeln sehen.
Die Augen der ältesten Fossilien zeigen uns, dass damals die gleichen Lichtgesetze herrschten wie heute, ja, die Lichtgesetze sind immer die gleichen – nur die Arten und Grade des Sehens verändern sich. Die Götter bevorzugen keine der Zeitalter – doch ihr Licht erglänzt stetig am Himmel, während das Auge des Betrachters versteinert. – Von Anfang an gab es nur das Auge und die Sonne – die Zeitalter haben weder einen neuen Strahl hinzugefügt – noch eine Faser des Auges verändert.
Doch genug davon, der Leser wird inzwischen mitbekommen haben, dass wir uns nicht in das zu verstricken beabsichtigen, was als die Geschichte dieses Volkes bezeichnet wird. (…)
Wir können nicht in die Zukunft blicken, haben kein vorausblickendes Gedächtnis – sondern wir leben, als sei es unmöglich, uns jemals selbst zu überblicken. Doch sobald wir mehr Licht wollen, kommt es unausweichlich.
Im Hinblick auf das Mögliche und die Zukunft – sollten wir ganz locker leben – und danach gestraffter sein als vorher. In einer echten und natürlichen Entwicklung sollten wir nach vorne frei sein, zur Seite unserer unscharfen und schattenhaften Umrisse hin – wie sich die Krone einer aufstrebenden Blüte immer neu zeigt – von Tag zu Tag – und von Stunde zu Stunde.
18. Juli 1842, MontagSo, wie uns beim Erklimmen der kahlen Hügel zu dieser Jahreszeit der starke Geruch der Farnmyrte schwach werden lässt – so stärkt uns der frische Duft der Sumpf-Azaleen, wenn wir uns zwischen ihnen in den Tälern bewegen.
Wer auf den Pfaden des Waldlands wandert, wird Gelegenheit haben, sich an die kleinen, herabhängenden, glöckchenartigen Blüten und die schlanken roten Stängel des Hundstodes zu erinnern – die Gegenstand seiner Betrachtung waren, wenn er von seinem Spaziergang ausruhte. Und später im Jahr an die rauen Stängel und die Früchte der Kermesbeere – beide Pflanzen sind an den entlegensten und wildesten Plätzen zu finden.
8. August 1842, MontagGray4 war kein Dichter, sondern nur ein Liebhaber von Dichtung. Er baute Dichtung an, aber die Pflanze gedieh nicht.
Er besaß zweifelsohne eine natürliche Ader für Dichtung, doch reichte die Ergiebigkeit und Tiefe dieser Ader nicht zu mehr, als in Bildersprache und Ornament aufzugehen. Genug, um den Klang geschmeidig zu machen, nicht aber, um den Sinn zu vergolden.
In seinem Churchyard-Gedicht hatte die Muse einen etwas größeren Einfluss auf ihn, und es wird stets, trotz seines schlichten Mechanismus, allgemein beliebt sein, weil es die Atmosphäre und den Ton von Dichtung bewahrt.
Wie großartig Berge sind – durch ihre Höhe sind sie in eine unendliche Ferne gesetzt.
Am Morgen erkennt man die deutliche Gestalt jedes Baums und schleicht glücklich die feuchten Wege entlang, wie ein neues Geschöpf seiner Überfülle. Der Morgen ist so abgeschieden wie der Abend – nicht von solcher Abgeschiedenheit, wie der Tag sie hinterlässt, sondern einer, die der Tag nicht entweiht hat.
9. August 1842, DienstagDa ist es dann dem völlig erschöpften Wanderer auf der staubigsten und ödesten Straße ein großer Trost, dass der Weg, den seine Schritte zurücklegen, derart vollkommen das menschliche Leben versinnbildlicht.
Mal die höchsten Berge erklimmen, mal in die tiefsten Täler hinabsteigen. Von den Gipfeln sehen wir Himmel und Horizont, von den Tälern schauen wir wiederum auf zu den Höhen. Er durchmisst immer noch seine altvertrauten Texte. (…)
Tennysons5 Gedichte sind poliert – harmonisch-schön – doch sind sie für Feiertage gemacht, nicht für Werktage – sie sind Kunst, nicht Natur – ich vermisse den warmen Atem des Menschen auf meiner Wange – Ich muss erfahren, dass der Atem, mit dem der Dichter seine Verse spricht, der Atem ist, durch den er lebt. Dass sie die Eingebung seines natürlichen Lebens waren. Einzig der Dichter besitzt eine ernsthaftere, offene und öffentliche Natur und tut die Geheimnisse des Menschengeschlechts kund.
Ich möchte die erlesene Süße dieser Verse nicht verunglimpfen, bedauere aber, dass es zu oft nur die Süße von Zucker ist und nicht jene, welche die Mühe sauer verdientem Brot verleiht. – Hier pocht kein Puls, kein menschlicher Atem bewegt die Blätter. Das Leben dieses Mannes interessiert mich nicht – ich habe kein Mitgefühl mit seinem Los.
23. August 1842, Dienstag (und Folgetage)Wenig später wurden wir daran erinnert, dass jeder Mensch Verwendung findet – und woran sich der eine erinnert, das vergisst ein anderer – was einer weiß, daran hat ein anderer nicht gedacht. Der Mann auf dem Feld konnte uns nicht den Namen des Baches nennen, sondern nur, dass es der Bach war – aber der junge Mann auf dem Weg zu seiner Arbeit wusste, dass es der »Große Bach« war – Weder der Farmer noch dessen Uhr konnten uns sagen, wie spät es war, aber der barfüßige Junge wusste, wie lang es noch bis zum Schulbeginn dauerte. In einem entlegenen Dorf wachsen zwei zusammen auf, die sich helfen und einander genügen, und doch sind ihre Kenntnisse so verschieden, als seien sie Bewohner verschiedener Hemisphären. Sie haben nicht einmal eine Ahnung von dem verborgenen Wissen des anderen, bis der Fremde vorbeikommt. Menschen müssen wirklich nicht reisen, um Wissen zu suchen – denn, wenn sie zu Hause bleiben – wird das Wissen reisen, um sie zu finden. Das Wissen, über das zu verfügen einem Menschen bestimmt ist – das wird ihn auch finden.
[30 Seiten fehlen]
Auf einer abgelegnen, unbetretnen Au
Lasst mich auf einem Schilfrohr klagen
Auf meiner Stelle werd ich stille stehen
Als Vorbild für das feste Land
Bis Sphären kommen und sich drehen
Und nehmen meinen Grund in ihre Hand.
Gower6 schreibt wie jemand mit gesundem Menschenverstand und Talent, der es unternommen hatte, eher mit besonnener als hoher Absicht in Versen zu erzählen.
Mit kleiner oder gar keiner Erfindungsgabe – bloß der Spur der alten Fabulierer folgend – verwendet er seine Mußezeit und Schreibkunst darauf, seine Leser zu unterhalten und ein gutes Wort für das Angenehme einzulegen.
Er hat kein Feuer in sich oder eher keine Flamme, obwohl bisweilen ein Glutstück aus der Asche lugt, vor allem, wenn man sich in der Dunkelheit dem Haufen nähert – und wenn man dann seine Hände über ihn hält, verspürt man eine schwache Wärme – mehr als anderswo – und selbst bei schönem Wetter kann man einen dünnen Rauch ziehen sehen.
Er erzählt das, was Chaucer manchmal singt. Mit einem angemessenen Verständnis für das Original erzählt er seine Geschichte – und manchmal gewinnt sie in seinen Händen ein wenig Deutlichkeit und Nachdruck – oder sollte ich vielleicht sagen: Unverblümtheit.
Der Dichter ist Teilhaber einer Ruhe, die dem zentralen Gesetz des Universums verwandt ist – Aufregung ist nicht der Modus seines Handelns – er ist vollkommen im Gleichgewicht und ruht sozusagen auf der Achse des Universums. Er kann nur weise, heilig und tapfer sein.
Sehr wichtig ist – dass wir dem Menschen nie erlauben, aufzuhören, ein Kind zu bleiben. Wir sagen, es soll auf jeden Fall ein erwachsenes Kind sein.
(…)
Geräuschlos entriegeln wir die Tür – und lassen den Luftstrom hineinstürzen – Und schreiten voran wie Ritter in stählerner Hülse – um mit der schneidenden Luft zu spaßen. Immer noch sehe ich durch die Luftströme des Farmers frühe Kerze – wie ein verblasster Stern – die einen einsamen Strahl aus den Fenstern der Hütte sendet – während allmählich die trägen Rauchschwaden aus den Kaminen der Farmhäuser zu steigen beginnen, mitten aus den Bäumen, mitten aus dem Schnee – mitten aus dem Dorf – So steigt jeden Morgen von jedem Hausaltar Weihrauch gen Himmel. Bald verlieren die Sterne allmählich ihr Funkeln, und ein tiefblauer Dunst säumt den östlichen Horizont – Ein fahles messingfarbenes Licht kündigt den nahenden Tag an. Du hörst das Geräusch von Holzhacken an der Tür des Farmhauses – das Bellen des Hofhundes und das ferne Geschmetter der Hähne. Die Frostluft scheint ausschließlich und mit neuer Deutlichkeit unseren Ohren die feineren Partikel des Klangs zu übermitteln. Er erreicht uns klar und voll wie Glockenklang. Als gäbe es weniger Hindernisse, die ihn schwächen und rau machen, als in der grünen Atmosphäre des Sommers. Und dann ist die gesamte Natur straff gespannt und wohlklingend wie abgelagertes Holz. Laute erreichen uns jetzt aus größerer Ferne als im Sommer – Denn dann ist die Natur nie still – und die Grillen zirpen unentwegt, aber jetzt ergreift der fernste und leiseste Laut Besitz von der Leere.
Sogar das Hundegebell und das Muhen der Kühe sind melodiös. Das Klirren des Eises an den Bäumen ist lieblich und wohltönend. – Eine noch lieblichere Musik habe ich in einem einsamen Tal gehört, wo ein Rinnsal floss, das die Mittagssonne aus seinen Frostfesseln befreit hatte – während die Eiszapfen an den Apfelbäumen schmolzen und die stets anwesenden Schwarz- und Spechtmeisen umherhuschten.
(…)
15. Oktober 1842, SamstagAm Donnerstag ging ich zum Nawshawtuct7 hinüber, nur um in die Weite des Horizonts zu schauen, denn solange ich hier gelebt habe und sooft ich dort gewesen bin, konnte ich doch nicht sagen, wie er aussah. Als ich entdeckte, wie viele Meilen weit mein Blick über Bedfort und Carlisle und Acton schweifte und sogar bis nach Billerica und Framington reichte – eine völlig neue Erfahrung – obwohl ich mit den Wegen hierher vertraut war – schien sich mein innerer Horizont entsprechend zu weiten und viele Actons und Carlisles zu umfassen, und ich dachte, ich möchte nicht zu diesen Orte reisen und so dem Schicksal ausweichen, das sie mir derart vor Augen führt. Die vertrautesten und bekanntesten Gegebenheiten hinterlassen keinen deutlichen Eindruck in unserem Geist, niemand kann abends sagen, wie sein Horizont aussieht. Bis die Zeit kommt, wissen wir nicht, in welche Richtung der Fluss fließt und bis wohin sich die Hügel erstrecken. Oder dass der Hügel unsere Heimstätte in seinen Bereich aufnimmt. Zunächst spalten unsere Geburt und unser Dasein alle Dinge, als wären wir wie ein Keil durch die Natur getrieben worden – und erst, wenn die Wunde heilt, beginnen wir ihre Einheit zu sehen.
(…)
11. November 1842, Freitag
Ich bin entzückt, wenn ich im Hochsommer einige abgelegene, von lichten Birkenwäldchen umgebene Felder durchquere – wo unter dem sachten Rascheln der Blätter das leise Zwitschern aller Vögel zu hören ist – und der altertümliche Farmer mir die Possen der Rotrücken-Spottdrossel schildert – red-mavis lautet der klassische Name von alters her – wirkt das dann wie ein neuer Vers uralter englischer Dichtung.
Die Bauernjungen deuten das Lied dieses Vogels, wenn er auf einer Birke im angrenzenden Wäldchen sitzt und sie beim Pflanzen von Mais unterhält, folgendermaßen: Der Vogel sagt, setz’ ihn – setz’ ihn – setz’ ihn – bedeck’ ihn – bedeck’ ihn – pflüg’ ihn – pflüg’ ihn – pflüg’ ihn – egg’ ihn – egg’ ihn – egg’ ihn – zieh’ ihn raus – zieh’ ihn raus – zieh’ ihn raus.8
Wie strömt da das Leben ein und offenbart sich, wenn man in den Wintermonaten durch Worte wie ›Käferlarven‹ in den Hochsommer zurückversetzt wird – und in den belebenden Frühling. Ich lausche nicht oft derart glücklich der »Güte Gottes«9.
Zu wissen, dass die Käferlarven, während der Erdboden derart eingefroren ist, immer noch rings um die Wurzeln aller Pflanzen zu finden sind.
Vom Brachvogel hören.
Wer am meisten Talent hat, hat am wenigsten Genie. – Das Gleichgewicht wird immer gewahrt. Wo am wenigsten getan wird, ist der größte Wirbel.
16. November 1842, MittwochVielerorts ist der Merrimack10 so frisch und natürlich wie eh und je – An vielen Plätzen seines Laufs stellen das Ufer und die Umgebung einzig die Umläufe der Natur zur Schau – Die Kiefer steht aufrecht auf seiner Böschung – und die Erlen und Weiden säumen seinen Rand – und nur der Biber und die Rothaut fehlen, um das Bild zu vervollständigen. Auch wenn der Holzarbeiter die Echos erweckt, sind es immer noch die ewig währenden und natürlichen Echos, die geweckt werden. Der unermessliche, unsichtbare Hintergrund, der den Klang zurückwirft, ist so ursprünglich wie eh und je. Das Rundholz rollt vom Steilufer oder just von der fernen Schute hinab.
(…)
16. Januar 1843, MontagIch würde mich gern selbst beschreiben, obwohl ich mir selbst ein recht uninteressanter Gegenstand bin – ich zwinge mich sogar jetzt, dies zu schreiben. Was bin ich gegenwärtig? Ein von Krankheit befallenes Nervenbündel, das zwischen Zeit und Ewigkeit steht wie ein welkes Blatt, das noch zitternd an seinem Stängel hängt. Einen elenderen Gegenstand kann man sich nicht vorstellen – aber dennoch ist es todtodlangweilig, daran zu denken. Ich vermute, dass ich nicht einmal ein paar Jahre weiterleben kann – diesen Leichnam hinter mir herziehend – oder ich mich vielleicht hinter ihm – Gesund bin ich gewesen – zeitweise vielleicht sogar gesünder als die meisten – Doch diese Zeiträume waren kurz.
[49 Seiten fehlen]
(12. April), MittwochDichtung ist ein reinerer Lebenstrunk.
(13. April), DonnerstagMich erfreut der Stil, in dem Quarles11 und seine Zeitgenossen von Natur sprechen. Das Äußerste, das ihre Dichtung zum Ausdruck bringt, ist letzten Endes eine Art Galanterie – wie die eines Ritters seiner Dame gegenüber – Sie reden nicht wie aufrichtige Liebhaber der Natur oder als wären sie ihre Busenfreunde – sondern als wahrten sie eine vollkommene Ehrfurcht vor ihr und hätten einen Rechtstitel, darauf, sie zu kennen. Sie können über sie und mit ihr gut und mannhaft sprechen, weil ihre Lippen nicht vor lauter Liebe verschlossen sind.
»Die bleichgesichtige Dame mit dem schwarz-äugigen Licht«, sagt Quarles.
Ich glaube nicht, dass es zu jenen Zeiten eine ungewöhnliche Hingabe an die Natur gab – doch gewiss hielt sie damals Hof, und alle Autoren waren damals ihre Edelleute und Höflinge und hatten stets artige Ausdrücke in Hülle und Fülle parat.
Quarles ist stets vollmundig – er ist selten schwach oder seicht, auch wenn er grob und geschmacklos ist. Er schreibt Verse, die zu äußern es der ganzen Zunge bedarf.
Wie Herbert12 folgt er fixen Ideen. Er verwendet viele kräftige und gedrungene Wörter – die einen gewissen ländlichen Duft haben und eine agrarische Kraft, wie Landmänner, die in die Stadt kommen – als würden sie sich jetzt zum ersten Mal der Literatur widmen, nachdem sie sich ernsten und harten Aufgaben gestellt haben.
[142 Seiten fehlen]
Finde mein Denken wärmer und lebhafter als meine Erinnerung an den Sommer – und dies nicht aufgrund des Gegensatzes – sondern es ist eine ganz positive Lebendigkeit. Alle Dinge an der Erdoberfläche erscheinen immer noch so, als seien sie nicht vorhanden – es ist ein Schlaf – nicht der letzte Schlaf der Erde, sondern ihr erster. Die Feldmäuse sind in ihre behaglichen Gänge im Rasen gekrochen – tief im Sumpf hockt die Eule in einem hohlen Baum – das Kaninchen, das Murmeltier, alle sind sie behaust. Der Wachhund liegt neben dem Herd – und die Rinder sind still geworden in den Ställen – Doch während die Erde derart schlummert, wimmelt die ganze Luft von fedrigen fallenden Flocken. Eine Ceres oder Minerva herrscht – und lässt den Schauer silbrigen Korns auf alle Felder und in jeden Winkel niedergehen. Wie freundlich dies Tun. Ich habe ein paar gesehen, deren Geist entzückt wäre, dieses Zauberwerk auszuführen. Vielleicht ist es so – die Natur will dir sagen, du sollst Schnee über Weiler und Wald streuen – mal die Dächer weiß tünchen, mal am Flussufer mit den Zweigen von Erle und Weide spielen. – Du sollst regnen – und du sollst wehen. Dies sind die Umgebungen unseres Lebens. Ich erkenne in meinen Gedanken alle Jahreszeiten, den Unterschied der Jahreszeiten – mal eine behagliche Freude drinnen, dann eine sommerliche Fülle und Grüne. Von unserem bequemen Kopfkissen aus reichen wir unser warmes Mitgefühl dem sibirischen Reisenden, auf dessen Morgenstrecke die Sonne gerade aufgeht – wir schließen uns der Gruppe des Kanskalkan13 und seinen Hunden an – wir eilen zur ödesten Steppe – oder zu warmen Boudoirs. Unsere Einbildungskraft reißt uns hin zum Lager des einsamen Pelzhändlers auf dem Lake Winnipeg oder dem Athabasca – wir erklimmen in unseren Träumen die Berge des Ural oder des Jura – und die kalten, unfruchtbaren Zonen scheinen zu schmelzen, und dies ist eine weitere heiße Zone für uns. Nun ist für eine Zeit von drei Monaten das menschliche Schicksal in Pelze gehüllt.14
[34 Seiten fehlen]
Alles Wasser auf der Erdkugel macht uns zur Insel in einem Kessel – und beeilt sich, entweder Eis und Schnee zu werden oder Ozean und Dampf. Die tropischen Wolken sputen sich, Polareis zu werden, und das Polareis will schleunigst unter den Äquator sinken.
Der Fuß des Schlittschuhläufers gleitet schnell über die tiefen, dunklen Wasser, wo der stattliche Kettenhecht sich in den langen, von den Binsen geformten Gängen verbirgt – und sich am trüben Licht erfreut.
An Quarles kommt man nicht vorbei, weil er zweifelsohne wie ein Dichter spricht, auch wenn er stottert – Könnte er sich flüssig und deutlich artikulieren, wäre es Dichtung. Er kann mit weitaus größerem Vergnügen gelesen als kritisiert werden. Er spricht gewiss die englische Sprache mit einem richtigen, kraftvollen Ton – nur hat er seine Sprache nicht ausreichend verfeinert. Er ist nicht wählerisch genug mit seinen Worten gewesen.
Er gehört zu denen, deren Anspruch, stilvoller Dichter zu sein, auf ihrer Fähigkeit im Gebrauch der englischen Sprache beruht. Seine Sprache stellt ›Bekenntnisse‹ dar. Sie ist Bußfertigkeit. Sie enthält ebenso viel Tod wie Leben – riecht nach Moder.
19. April 1843, MittwochEs wäre mir lieber, wenn meine Farm von einem Fluss begrenzt wäre – Das heißt, auf der Außenseite der Welt leben – und an einer Flanke gut geschützt sein – Wenn ich auch nur einen Schritt täte, würde dies mein Sicherheitsgefühl, meine Tatkraft und Lebensfreude stärken, wie der Landvermesser nicht voranschreiten kann, ohne dass seine Standlinie festgelegt ist.
Man kann sich weit ins Land begeben, ohne auf eine Stadt zu treffen. Auf einer völlig waagrechten Straße, wie sie kein Ingenieur erbaut – kommt man nie auf einen Hügel – Doch vom Landesinneren zum Meeresufer hin leitet uns der Fluss gleichsam weise und geduldig in sachter, unmerklicher Abstufung, ohne jähe Gefälle, sondern über eine ganz sanft geneigte Ebene, auf einer bequemen, breiten Treppe in die Täler hinab – Der ermattete Wanderer, der es aber nicht eilig hat, könnte seinen Weg nicht geschickter wählen. Und so bietet das nachgiebigste und am leichtesten zu beeinflussende Element ruhigsten und stetigsten Halt.
(…)
27. April, DonnerstagDer stumme Angler, stehende Gestalt, förmlich dazu geschaffen, in Wolken und Schnee gehüllt zu werden. Sein Umriss in eine abgelegene Bucht gestellt.
Wir laufen nun Schlittschuh nahe dem Ort, wo der Stärling, der Königsvogel, der Tyrannvogel ihre Nester über dem Wasser bauten – und dort hängen sie noch leer. Wir können uns auf diesen Wiesen den vom Ahornbaum hängenden Hornissennestern nähern. Im Winter ist die Natur ein Kuriositätenkabinett. Sie ist voll getrockneter Exemplare in ihrer natürlichen Ordnung und Haltung – Die Wiesen und Wälder sind überall ein hortus siccus.15
Die Blätter und das Gras sind durch die Winterluft perfekt gepresst, ohne durch Bänder oder Gummi arabicum befestigt zu sein. Die Vogelnester hängen nicht an einen künstlichen Haken, sondern dort, wo der Erbauer sie anbrachte.
Wir gehen umher, um die Arbeit des Sommers zu sichten. Seht den Wuchs der Erlen, Weiden und Ahornbäume – die von so vielen warmen Sonnenläufen und befruchtendem Tau und Regen zeugen. Und jetzt ruhen sie – Seht, welche Fortschritte sie machten im üppig gedeihenden Sommer – und bald wird eine dieser schlummernden Knospen den Zweig um eine weitere Spanne aufwärts in die weglose Luft treiben – In diesem hohlen Baum zog die Brautente ihre Brut auf – und glitt jeden Tag davon, um im Röhricht jenes Fenns dort Nahrung zu suchen.
Wo wir jetzt über glattes Eis gleiten, »wetzte jüngst der Mäher seine Sichel«.16 In jener Astgabel der Weide hängt das Nest des Gelbkehlchens.
Wie viele fröhliche Sänger, die jetzt der Sonne folgen, sind von diesem Nest aus Weißbirkenrinde und Disteldaunen überallhin geflogen – am Rand der Sümpfe hängen diese verlassenen Städte, die im Sommer kein Fuß betrat – diese über Wasser hängenden Dörfer …
Alle Bestrebungen des Menschen werden durch einen Teil der Natur symbolisiert – Er wünscht, vor dem Winter davonzusegeln – und ewigen Sommer zu genießen – Die Vögel tun dies. Es ist nicht sehr schwierig. Sie kriechen nicht in die Erde, wenn die Kälte kommt, sondern fliegen davon.
(…)
Im Winter ist der Sommer im Herzen des Menschen – Dorthin sind alle Vögel und Wildtiere und Insekten gewandert – Rings um die warme Quelle in seiner Brust sind die Wanderdrossel und die Lerche immer noch in Scharen – Der Mensch ist ein Sommer. Alles Grün der Vegetation ist da. Ein gesunder Mensch entspricht dem.
19. Mai 1843, DonnerstagDie heitere und unschuldige Schönheit der Felder an einem Wintertag ist nicht mit dem prachtvollsten Sommer zu vergleichen. Zarte Kristalle in unzähligen Tönungen – und Halme, an denen Juwelen baumeln, lassen eine unaussprechliche Zärtlichkeit in der Natur erahnen. Wie nah und wirklich ist diese Liebe und dieses Elysium, von denen die Dichter träumen! – auf welchem Weg verschwand nur die Vision! Für den Bösen gibt es keine Vision des Guten. Der junge Gott ist anwesend.
19. JuniMarlowe17 besaß viele Fähigkeiten eines großen Dichters. Er hatte den poetischen Wahnsinn, wie Drayton18 treffend sagt – Und wir lesen seinen Dr. Faust – Dido, Karthagos Königin – und »Hero & Leander« mit großem Vergnügen. Insbesondere letztes Stück. Er war es sogar in gewisser Hinsicht würdig, Shakespeare voranzugehen. Solch ein Dichter scheint hauptsächlich deshalb verödet zu sein, weil es ihm an Zurückgezogenheit und Einsamkeit fehlte – vielleicht hätten bloßes Innehalten und Abwägen seiner Dichtung ein neues Element der Größe verliehen –
Es scheint, als hätte er mit seinem fraglos zarten und heroischen Ton den kostbarsten Teil des Genius besessen – und Erziehung hätte das Übrige dazugetan. Ich weiß nur, dass »Hero & Leander« durchweg ein Werk der Einbildungskraft ist – Es kann so gelesen werden – was der beste Beweis ist – es gleicht darin Shakespeares Venus und Adonis – und zeugt viel besser vom Charakter des Autors als die Anekdoten, die überleben.
[252 Seiten fehlen]
Während ich heute Abend diese Sprossen der Lebensbaum-Zypresse in meinem Sammelalbum arrangiere, bin ich durch ihren Duft an Kiefern und Schierlingstannen erinnert, die in meiner Heimatstadt über den Fluss hängen. Ich mag die gesamte Gattung der Nadelbäume. Sie wenden sich mit der Kraft einer Offenbarung an meine Sinne.
– Die Kiefer ist ein heiliger Baum.
Menschen leben bis jetzt nirgendwo ein natürliches Leben. Selbst die Dichter haben es nicht beschrieben. Das Leben des Menschen muss von gleicher Einfachheit und Lauterkeit sein wie das der Natur, und sein Tun soll mit ihrer Größe und Schönheit harmonieren. (…)
Das Leben des Menschen wird schon bald von solcher Reinheit und Unschuld sein, dass es verdientermaßen die Sonne als Tageslicht und den Mond als Nachtlicht hat – und von der Frische und Melodie des Frühlings geleitet – von der verschwenderischen Fülle des Sommers unterhalten – und von den Farben und der Würde des Herbstes zur Reife gebracht und getröstet wird.
14. (August), MontagWenn wir uns ein wenig vom Dorf entfernen – und gewahren, wie es im Schoß der Natur ruht – wo vielleicht seine Dächer in der sinkenden Sonne erglänzen – fragen wir uns, ob das Leben seiner Bewohner nicht natürlich und unschuldig sein und die unterschiedlichen Seiten der Natur spiegeln könnte. Wir vermögen das Leben des Heumachers wieder in solcher Einfachheit und Unschuld zu sehen wie seine Beschäftigung. Legen die glänzenden Ernten – die grünen Rasenflächen – die sprießenden Haine – die Rinder- und Schafherden – nicht nahe, welch eine Art Mensch der Farmer sein sollte?
In erster Linie muss er heiter und gelassen sein.
[10 Seiten fehlen]
Lebt nirgends in Ost oder West ein Mensch ein schönes natürliches Leben – umgeben von Reben – und Erlenschatten – Die Zaubernuss bis spät in den Oktober hinein? Sie treibt ihre gelben Herbstblüten in keines Menschen Garten. Die natürliche Welt, ach, hat keine Bewohner – Sonne und Mond gehen umsonst auf und unter.
Zumeist gleichen unsere Autoren Rebenranken, die, spät im Frühling gestutzt, in der Bemühung verbluten, ihre Wunden zu heilen.
(…)
26. August 1843, SamstagDie Zukunft wird zweifelsohne ein natürlicheres Leben zeitigen als das jetzige. Wir werden mit der Natur vertraut sein und Blumen und Sterne nutzen und Sonne und Mond und diese Natur in Besitz nehmen, die sich jetzt über und um uns befindet. Wir werden nach den Sternen greifen und von vielen Teilen des Universums Früchte pflücken. Wir werden von der Erde reinen Gebrauch machen und sie nicht missbrauchen. – Gott ist in der Brise und den wispernden Blättern, und wir werden ihn dann hören. Wir leben inmitten all dieser Schönheit und Größe, die es je zu beschreiben oder zu begreifen gab.
Wir sind kaum in das Vestibül der Natur eingetreten. Hier unter diesen Himmeln bekamen wir die Zusage der Götter für unser unsterbliches Leben – diese Sterne sollten gepflanzt werden, – als Schmuck und als Erhellung, diese Blumen ihm als Teppich.
(…)
1. September, 1843Einige von Spensers19 kürzeren Stücken, die nicht zu einem antiken Stil neigen, sind eine Erholung nach dem Durchackern von Fairie Queene – und lassen uns bedauern, dass er in jenem längeren Gedicht nicht ebenso einfach und natürlich war.
Ich habe mit Quarles eine Entdeckung gemacht. Sogar die Shepherds Oracles, die ich gestern in der Stadtbibliothek las, boten ein fast unerklärliches Vergnügen – denn in mancher Hinsicht müssten sie eigentlich den guten Geschmack verletzen – Es war, als unterhielte ich mich mit einem Mann von starkem, ungekünsteltem Sinn. Die Worte, die er spricht, bestehen aus dem Atem selbst, mit dem er lebt, und kommen nicht von einem vorbeiziehenden Wind zu irgendeinem Kunstzweck. Sie sind ein lebendiger Odem. Er ist für seine Sprache bewundernswert. Da, wo er unglücklich und grob oder unbeholfen ist, äußert er oft nur das, was der Dichter von besserem Geschmack unterdrückt. Er misstraut der Muse nicht. – Hier und da werden denkwürdige Dinge, wie sie bei manch edlerem Dichter nicht vorkommen, entschieden ausgesprochen – wie dazu geschaffen, ausgedrückt zu werden. Solch ein Meister der Rede ist immer äußerst selten – einer, der seine Muttersprache nutzen kann. Es entzückt mich zu hören, mit welchem Klang und welcher Wonne er seine Worte hervorbringt. Solche Kraft sollte auf immer geehrt werden. Vielleicht würde ein kultivierter Geschmack die gröberen Teile gestrichen haben, aber ohne die Zahl der glänzenden Stellen zu vermehren. – Wenn er rau und unpoetisch ist, können wir jedenfalls sagen, dass dies ihm keine Mühe bereitet – er ist nie hochgestochen, noch kostet ihn seine Anmut mehr. Sie ist frei geboren – ist doppelt gesegnet – sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt.
Er hat Empfindung genug, um ein Dutzend nach einem klassischen Modell geformte Dichter, die wir nennen könnten, zu versorgen. – Sie gleicht dem starken und oft aufsteigenden Flug eines Geiers – Verglichen mit der wählerischen Schwinge des Hähers oder Sittichs. Manchmal steigt er bis in die Nähe der Sonne, auch wenn er sich dann wieder mit Aas vollstopft.
Und nach all dem gehen wir jetzt tatsächlich in die Ferne – Ach! wir vertagen es nur, zu Hause zu bleiben.
24. September, SonntagDer Dichter ist, wie Bär und Murmeltier, ein Wesen, das genügend Fett hat, um winters Daumen (respektive Tatze) lutschen zu können. Er zehrt von seinem eigenen Mark. Er hält in dieser Welt Winterschlaf, bis der Frühling anbricht. Er hält einen Augenblick puren Lebens fest. Wer kann diese Städte sehen und sagen, es gäbe irgendein Leben in ihnen. Ich ging gestern durch New York – und traf dort keine wirkliche und lebendige Person.
Ich denke gern an Siebenschläfer und an diese ganze Sippschaft schlafender Wesen – die einen solchen Lebensüberfluss haben, während der Mensch sich abhärmt – in dicke Falten des Lebens gewickelt – undurchdringlich für den Winter. Ich denke gern an diese glücklichen, unter dem Gras schlummernden Träumer, wenn ich über die Schneefläche gehe.
Der Dichter ist eine Art Siebenschläfer, früh im Herbst bezieht er Winterquartier, bis die Sonne das neue Jahr herbeibringen wird.
Doch führen die meisten Menschen ein darbendes Dasein, wie Habichte, die gern unentwegt in der Luft bleiben, und ab und zu nur einen Spatz erbeuten.
Ich hasse Museen, nichts drückt einem derart aufs Gemüt. Sie sind Katakomben der Natur. Sie sind konservierter Tod. Eine grüne Frühlingsknospe, ein Weidenkätzchen, der schwache Pieps eines umherziehenden Sperlings könnte die Welt wieder auf die Beine bringen.
Ich weiß nicht, ob ich am meisten über die mit Baumwolle und Sägemehl ausgestopften Körper nachdenke – oder über die mit Gedärm und Fleischfasern gefüllten.
Das Leben in einem einzigen grünen Kraut ist wertvoller als dieser ganze Tod. Die Museen sind ganz wie die niedergeschriebene Weltgeschichte – und ich lese Rollin20 und Ferguson mit dem gleichen Gefühl.
Es ist ein großes und treffliches Verdienst der alten Tragödie, etwas zu sagen zu haben. Die Worte gleiten sehr schnell davon, doch in Richtung einer Schlussfolgerung – Sie hat mit Dingen und nicht mit Worten zu tun. – Und der Leser hat den Eindruck, als schritte er voran. Sie macht anscheinend kein großes Theater darum, was der Verfasser in dieser fernen Zeit zu sagen hat, wenn er sich nur auf eine freimütige und mannhafte Weise von ihr befreien kann. Wir mögen Marlowe, weil seine Stücke eine so deutliche und direkte Sprache sprechen und er die Zeit nicht vergeudet.
Ich denke, dass das mythologische System, so verwoben es mit dem astronomischen ist, auf eine Zeit verweist, in der ein größerer und mächtigerer Genius die Erde bewohnte als heute. Diesem Plan, der sich mit der Architektur des Himmels messen kann, haftet Größe und Vollkommenheit an.
Der über die Brücke gehende Dorfbewohner verharrte eine Weile, um uns anzustarren, – die wir rasch aus seinem Blickfeld schwanden – und unserem eigenen Los folgten.
Wir machten kurz an einer Stelle halt, die ›Gehölz‹ heißt, eine Art Bayou oder kleine Bucht am Flussufer – um in einem nahe gelegenen Moorgebiet Heidelbeeren zu suchen – aber wir waren zu spät.
Es heißt, Carew21 sei ein schwerfälliger Schriftsteller, doch seine Gedichte zeigen das nicht – Sie sind vollendet, lassen aber nicht die Spuren des Meißels erkennen. Drummond22 war in der Tat eine Krämerseele – und hatte wenig Feuer und Kraft. Hat eher eine Vorliebe für Dichtung – als einen Sinn dafür. (…)
26. (September)Am Ende nähern wir uns in der englischen Literatur ganz allmählich Shakespeare – über Peele23 und Marlowe – ganz zu schweigen von Raleigh und Spenser – und Sidney. Wir hören bereits den gleichen mächtigen Ton erschallen – dem Shakespeare eine tiefere Melodie der Weisheit hinzufügte. Ihre Hauptkennzeichen sind Wirklichkeitssinn und ungekünstelte Entschlossenheit, und sie markieren sogar einen deutlicheren Unterschied als den von größerer oder geringerer Weisheit – denn die geringste Weisheit des Närrischsten ist seltsam genug. Je mehr man die Literatur jener Zeit liest, umso mehr verliert der Genius von Shakespeare das falsche Geheimnis, das sich um ihn verdichtete und ihn im größeren Geheimnis des Tageslichts verhüllte. Der Kritiker von Shakespeare hat meist seine Zeitgenossen kleiner gemacht, um Shakespeare größer machen zu können – doch haben wir keinen Zweifel daran, dass es damals Mystiker in England gab, deren Glaube selbst für Shakespeare im Dunkel blieb.
Ein fröhliches Wissen kennzeichnete jenes Zeitalter, das recht weit von der feierlichen Weisheit des heutigen entfernt war. – Die genialischen Männer waren gleichzeitig die lustigsten und lebendigsten, da sie stets natürlich sein wollten. Seht, wie anders als heute war es damals um Ruhm und Namen bestellt – sie waren Kit Marlowe und George (Peele) und Will (Shakespeare) und Ben Jonson. – Patente Kerle und Burschen –
28. September, DonnerstagWir haben uns nie eine Vorstellung davon gemacht, wie viele Naturerscheinungen Offenbarung für ein einfacheres und natürlicheres Leben sein könnten. Regen, Wind, Sonnenschein und Nacht würden ganz anders werden, wären wir stets wahrhaftig. Den Boden unter unseren Füßen können wir nicht täuschen. Wir versuchen es gar nicht erst. Doch untereinander behandeln wir uns nicht mit der gleichen Aufrichtigkeit. Um wie viel jämmerlicher wäre das Leben des Menschen, wenn zwischen ihm und seinem Umgang mit der Natur die gleiche Förmlichkeit und Zurückhaltung herrschte wie in der menschlichen Gesellschaft.
Es ist eine seltsame Welt, in der wir leben. – Mit ihrem fortwährenden Traum von Freundschaft und Liebe. – Wo sind sie denn? Der Genius kann nicht ohne sie auskommen – sonst darbt er und welkt. Ich glaube, dass die Aufgabe der Musik darin besteht, uns fortwährend an die Wirklichkeit und Notwendigkeit der zarten Elemente von Liebe und Freundschaft zu erinnern. Die eine Stimmung lässt immer die andere außer Acht. – Und solange wir nicht geliebt haben, haben wir keine Vorstellung von den Höhen der Liebe. Liebe ist eine unendliche Inspiration. Erst durch den Tau der Liebe wird die dürre Lebenswüste so duftend und blühend wie ein Paradies.
Die Welt wartet noch darauf, dass der Mensch am Menschen großzügig und göttlich handelt. – Was bewirken gesellschaftliche Einflüsse bis jetzt? Die arme menschliche Blume würde ihren gesenkten Kopf sogleich erheben, wenn diese Sonne sie beschiene. Das ist die Verdauungsstörung, an der alle Menschen leiden.
Sind wir reiner, geistiger gestimmt, übersetzen wir unsere groben Erfahrungen in zarte Ethiken.
Manchmal würden wir Ereignisse gern als bloßes Material ansehen – hölzern – starr – tot, doch immer wieder werden wir daran erinnert, dass sie wirklich dadurch leben, dass wir sie mit dem bisschen Leben erfüllen. Dass sie die Sklaven und Geschöpfe unseres Verhaltens sind.
In abgestumpftem Zustand hielte ich diese Maisstängel für Viehfutter, nicht mehr oder weniger. – Die Naturgesetze sehen wir als Wissenschaft an, aber in einem erleuchteten Augenblick erscheinen sie uns moralischen und göttlichen Ursprungs. In einem geistigen Stadium dazwischen als Ästhetik.
Unser Glaube, dass die Zeit vorangeschritten ist, rührt daher, dass wir zurückgefallen sind.
Streng genommen kann es sonst keine Kritik von Dichtung geben als durch eine Trennung von dem, was Dichtung ist, und was nicht – ein Aufspüren von Falschem. Aus der fernsten Vorzeit entdecken wir in der Literatur aller Nationen ab und zu Worte mit höherem Ton und Ziel, als zur Durchführung des täglichen Lebensgeschäfts erforderlich wäre. Laut Scott24 schwimmen diese auf dem Meer der Zeit wie Wrackteile. Klänge, die eher zwischen den Sternen widerhallen als durch die Täler der Erde, die aber doch deutlich genug gehört werden, um die Menschen daran zu erinnern, dass es andere Sphären des Lebens und der Betätigung gibt.
Vielleicht kann ich sagen, dass ich das Leben – seine große Gelassenheit – nie tiefer und unvergesslicher erfuhr, als ich nach einem Schauer inmitten der Heidelbeerbüsche dem Triller einer Baumammer lauschte. Dies ist eine Mitteilung, auf die ein Mensch in Einsamkeit und Stille hören muss, und die er seinem Mitmenschen nie wird vermitteln können.
Das geringste sinnliche Leben ist ein solches, das durch reine Sinne erfahren wird. Wir hören bisweilen – und dieser Sinn behauptet seine Würde. –
29. September, FreitagIch ziehe meine Spieldose auf, und sobald ich innehalte, sprudeln die Melodien hervor wie eine angestaute Quelle des Mittelalters. Musik ist auf merkwürdige Weise mit der Vergangenheit verbunden – jede Ära hat ihre Melodie. Sie erweckt und färbt meine Erinnerungen.
Die erste Frühlingsammer. Das Jahr beginnt mit jüngerer Hoffnung als je. Das erste silbrige Zwitschern ist über den kahlen, düsteren Feldern zu hören – als gäben die letzten Flocken des Winters Töne von sich. Was dann Historien, Chronologien, Überlieferungen und geschriebene Offenbarungen sind. Flecken warmen Sonnenlichts sinken auf die gefrorene Erde – die Bäche und Rinnsale singen Jubellieder und vielstimmige Frühlingsgesänge.
Die Kornweihe sucht bereits nach dem ersten erwachenden Leben im Schlamm. – Das Seufzen des schmelzenden Schnees ist in den Waldschluchten, nahe der besonnten Flussufer, zu hören, und das Eis schmilzt in den schäumenden Teichen, verdunstet stündlich. Die Erde verströmt Hitze, als wäre sie ein inneres Grün, und das Gras entflammt auf den warmen Hängen der Hügel wie ein grünes Frühlingsfeuer. Mich dünkt, der Anblick der ersten frischen Grasnarbe im Frühling würde den Reformer dazu bringen, seine Pläne zu überdenken, würde den ungläubigen, verzweifelten Mann wieder aufleben lassen. – Der Grashalm ist ein ewiges Wachsen, ein langes grünes Band – das von der Grasnarbe in den Sommer flattert – vom Frost wirklich gehemmt – aber nunmehr dringt er hervor und hebt sein welkes Heu durch frisches Leben darunter. – Ich habe früh im Frühling die Graspolster gesehen, bei denen neues Grün die verdorrten Halme des letzten Herbstes um drei Zoll hob, und von Jahr zu Jahr weiden die Herden und schneidet der Mäher von diesem nie versiegenden, überquellenden Vorrat – soviel sie brauchen.
So stirbt das menschliche Leben nur an der Oberfläche ab, treibt aber einen grünen Halm in die Ewigkeit.
Der Grashalm hat ein so stetes Wachstum, wie das aus dem Boden quellende Rinnsal – in der Tat ist er mit diesem fast identisch, denn in den strotzenden, fruchtbaren Junitagen, wenn die Rinnsale versiegt sind, haben sie in den Grashalmen ihren Kanal.
Wenn der Erdboden ganz frei von Schnee ist und ihn ein paar warme Tage getrocknet haben – ist es vergnüglich, die schwachen, zärtlichen Anzeichen des jungen, gerade hervorlugenden Jahrs mit der stattlichen Schönheit der verwelkten Vegetation zu vergleichen, die dem Winter widerstanden hat – die vielerlei Disteln, die noch nicht ihre Samen ausgesät haben – die anmutigen Schilfrohre und Binsen, deren Winter heiterer und prächtiger ist als ihr Sommer – als wäre erst dann ihre Schönheit reif.
Ich werde nie müde, ihre gebogene, wie Schöpfe herabhängende Garbe zu bewundern. Sie ist wie Sommer für unsere Wintererinnerungen. Eine der Formen, welche die Kunst gern verewigt. Wildhafer vielleicht – und immerwährendes Leben – dessen Jahreszeit jetzt gekommen ist. Mit ihren Samenkörnern bewirten diese nie erschöpften Kornkammern des Winters die frühesten Vögel.
Wir müssen jenen Brauch ehren, der auf den Brotlaib die Weizengarbe und die Sichel prägt. Die Menschen sind nach so vielen Jahrhunderten schließlich darauf gekommen, diese Gaben angemessen zu achten. Die Gabe von Brot an die Armen wird vielleicht besser angenommen als jede andere, – sie wird gottesfürchtiger gegeben und empfangen und ist keineswegs ein Stein.25 Das Ansehen, das die Landwirtschaft genießt – ist augenfällig und der Menschen würdig. So viel haben sie bislang gelernt.
Möge das verzweifelnde Menschengeschlecht erfahren, dass es in der Natur kein Anzeichen von Niedergang gibt – sondern universelle, ungeschmälerte Lebenskraft – Aller Verfall ist schnell vorüber. Wer entdeckte je eine Runzel auf der Stirn der Natur – oder eine Wetterspalte – oder ein graues Haar auf ihrem Schopf oder ein Riss in ihrem Kleid. Nur der sieht die Natur, der sie als jung und frisch sieht – ohne Geschichte. Wir sollten heute solchen Umgang pflegen wie wir uns die Tätigkeit von Göttern vorstellen. Wir leben hier, um mit Flüssen, Wäldern, Bergen – mit Tier und Mensch Umgang zu haben.
Wir sehen so wenige, die mit diesen Dingen verkehren. Wir halten die antiken Völker, die die Sonne anbeteten, für närrisch. Ich würde sie auf immer anbeten, wenn es mir vergönnt wäre, es zu tun. Beobachtet, wie ein Farmer aus Neu-England sich in der Natur bewegt – seinen Kartoffel- und Kornfeldern – und bedenkt, wie Dichter vom frommeren Leben der Schäfer geträumt haben – und fragt, was ist klüger, was zog den höchsten Nutzen aus der Natur.
Als wäre die Erde dazu geschaffen, hauptsächlich Kürbisse zu liefern – Habt ihr nie beobachtet, dass die Jahreszeiten eine andere Art Frucht zur Reife brachten?
Die Menschen haben eine seltsame Vorliebe für den Tod; sie gehen lieber in die Museen, um die abgelegten Kleider des Lebens zu betrachten – als sich mit dem Leben selbst zu befassen. Wo ist das wirkliche Herbarium – das Muschelkabinett – das Museum der Skelette, wenn nicht auf der Wiese – wo die Blume blühte – oder am Meeresufer, wo die Flut den Fisch an Land warf – oder auf den Hügeln, wo das Tier sein Leben ablegte. Dort, wo das Gerippe des Wanderers im Gras ruht, kann es mit Gewinn studiert werden. Welches Recht hat der sterbliche Mensch, ein Skelett aufrecht stehend vorzuführen, wenn einst die Götter seine Sehnen gelöst haben – welches Recht, mit seinen Telegraphendrähten den Himmel nachzubilden – oder den Körper mit Sägemehl auszustopfen – der nach Verfügung der Natur wieder zu Staub werden soll?
Alle Fische des Ozeans können kaum das Unrecht wiedergutmachen, das darin besteht, die Überreste auch nur eines einzigen Bewohners der Tiefe auszustopfen und zu lackieren und unter Glas einzuschließen. – Geht nach Italien und Ägypten, wenn ihr diese Dinge sehen wollt; dort sind Knochen das natürliche Produkt des Bodens, der voller Grüfte und Katakomben ist. Möchtet ihr in einem vertrockneten Exemplar von Welt leben? In einer eingeweckten Welt? Einbalsamieren ist eine Sünde gegen Himmel und Erde – gegen den Himmel, der die Seele zurückgerufen – und die unterwürfigen Elemente freigelassen hat – und gegen die Erde, die ihres Staubs beraubt ist.
Mir sind meine fehlerlos wahrnehmenden Sinne an diesen Orten derart verwirrt worden, dass ich eine geraume Weile einen quicklebendigen Menschen, der, wie der Ort es erfordert, in ruhiger Haltung sann wie ich selbst, für ein ausgestopftes Exemplar hielt. So werden Menschen herabgesetzt.
2. Oktober, MontagEs muss alle Grade von Leben geben, begonnen bei einem Stein, wenn wir einen Anfangspunkt finden können – bis zu Gott. Der Stein enthält sehr wenige Fasern – winzige Organismen. Manchmal werden wir des einfachen, aber langsamen und empfindungslosen Lebens gewahr, das er führt. Wir sind bloß Puddingstein26 oder Schlacke in der Welt. Aber plötzlich können wir von neuem Leben erfüllt werden – und alle Stufen des Seins durchlaufen, bis hin zu den komplexesten und gottnahsten – versehen mit zahllosen Nerven und mehr und mehr von der lebenskräftigen Luft oder der Eingebung aufsaugend.
Wie jäh und still erwachen und glimmen in uns all die Ären, die wir Geschichte nennen. – Alle vergangenen Dynastien durchziehen noch immer unser Gedächtnis. Darin hat Alexander Platz zum Marschieren und Hannibal zum Erobern – das große dreiaktige Drama von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wo denn sonst liegt sein Schauplatz als im Bereich dieses persönlichen Lebens, das hinter seinem Wall aus Rippen pocht?
Wir mögen sagen, unser Wissen sei unbegrenzt – denn wir entdecken seine Grenzen nie – und was wir von Unendlichkeit wissen, ist immer noch Teil unseres Wissens.
Geschichte ist die Aufzeichnung meiner Erfahrung. Ich kann immer nur meine eigene Geschichte lesen, nie auch nur die Silbe der eines anderen Menschen.
6. Oktober, Freitag