Mascha Kaléko
Sei klug und halte dich an Wunder
Gedanken über das Leben
Herausgegeben von Gisela Zoch-Westphal und Eva-Maria Prokop
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Mascha Kaléko,1907 als Tochter jüdischer Eltern in Galizien geboren, fand in den Zwanzigerjahren in Berlin Anschluss an die intellektuellen Kreise des Romanischen Cafés und wurde sehr schnell erfolgreich. 1938 musste sie in die USA emigrieren, 1959 siedelte sie von dort nach Israel über. Sie starb 1975 in Zürich.
In sieben Kapiteln versammelt dieses Bändchen Gedanken über Leben und Tod, Liebe und Freundschaft, den gar nicht so banalen Alltag und immer wieder das Schicksal – eine Art »lyrische Hausapotheke« von Mascha Kaléko, die zum Nachdenken einlädt, Mut macht und amüsiert.
Ungekürzte Ausgabe 2017
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 2013 für die Zusammenstellung:
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© 1975, 2012, 2013 für die Texte: Gisela Zoch-Westphal
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eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook 978-3-423-43173-6 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-25385-7
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ISBN (epub) 9783423431736
Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
und der Anzug im Schrank.
Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.
Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muß, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.
Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
zum Weggefährten.
Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
unter dem Dach im Einstweilen.
Zerreiß deine Pläne. Sei klug
und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
im großen Plan.
Jage die Ängste fort
und die Angst vor den Ängsten.
Ausgesetzt
In einer Barke von Nacht
Trieb ich
Und trieb an ein Ufer.
An Wolken lehnte ich gegen den Regen.
An Sandhügel gegen den wütenden Wind.
Auf nichts war Verlaß.
Nur auf Wunder.
Ich aß die grünenden Früchte der Sehnsucht,
Trank von dem Wasser das dürsten macht.
Ein Fremdling, stumm vor unerschlossenen Zonen,
Fror ich mich durch die finsteren Jahre.
Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.
Dir will ich meines Liebsten Augen geben
Und seiner Seele flammend reines Glühn.
Ein Träumer wirst du sein und dennoch kühn
Verschloßne Tore aus den Angeln heben.
Wirst ausziehn, das gelobte Glück zu schmieden.
Dein Weg sei frei. Denn aller Weisheit Schluß
Bleibt doch zuletzt, daß jedermann hienieden
All seine Fehler selbst begehen muß.
Ich kann vor keinem Abgrund dich bewahren,
Hoch in die Wolken hängte Gott den Kranz.
Nur eines nimm von dem, was ich erfahren:
Wer du auch seist, nur eines: sei es ganz.
Du bist, vergiß es nicht, von jenem Baume,
Der ewig zweigte und nie Wurzel schlug.
Der Freiheit Fackel leuchtet uns im Traume,
Bewahr den Tropfen Öl im alten Krug.
Avitar