Die französische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »54 x 13« bei Librairie L’Atalante F-44000 Nantes
© Jean-Bernard Pouy 1996
© der deutschsprachigen Ausgabe:
egoth Verlag GmbH, 2017
Untere Weißgerberstr. 63
A-1030 Wien
1. Auflage Juni 2017
ISBN: 978-3-903183-02-5
eISBN: 978-3-903183-56-8
Übersetzung: Stefan Rodecurt
Autorenfoto: © L’Atalante
Coverillustration: © Marc Locatelli
Grafische Gestaltung und Satz:
Clemens Toscani, www.toscani.at
Alle Rechte vorbehalten.
Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher
Genehmigung des Verlags.
DIE TOUR DE FRANCE
nach Jean-Bernard Pouy
Mit »54 x 13« ist die Übersetzung eines Fahrrades gemeint. Sie ist bei Renn- und Hobbyfahrern eine regelrechte Obsession: »Welche legst du auf?«, »was hast du gekettet?« Sie wird durch zwei Zahlen ausgedrückt: die Anzahl der Zähne auf dem vorderen Kettenblatt und die auf dem hinteren Zahnkranz (Ritzel). Vereinfacht gesagt: je größer die erste Zahl und je kleiner die zweite, desto größer die Übersetzung. Sie ist ein Indiz für zwei wichtige Dinge: die Steigung der Straße und die Tagesform des Fahrers.
Personenregister
Prolog
Das 1. Wegmüller’sche Gebot
Das 2. Wegmüller’sche Gebot
Das 3. Wegmüller’sche Gebot
Das 4. Wegmüller’sche Gebot
Das 5. Wegmüller’sche Gebot
Das 6. Wegmüller’sche Gebot
54/1
54/2
54/3
54/4
54/5
54/6
54/7
54/8
54/9
54/10
54/11
54/12
54/13
54/14
54/15
54/16
54/17
54/54
13/1
13/2
13/3
13/4
13/5
13/6
13/7
13/8
13/9
13/10
13/11
13/12
13/13
Djamolidine Abdoujaparov, usbekischer Sprinter der Neunzigerjahre. »Abdou«, der »Terror von Tashkent«, wie ihn seine Rivalen wegen seiner draufgängerischen Fahrweise gerne nannten, kam im Jahr 1991 kurz vor dem Ziel selbst zu Fall, als er auf den Champs-Élysées mit einem Absperrgitter kollidierte. Von seinen Teamkollegen gestützt, rollte er doch noch über die Ziellinie und verteidigte sein Grünes Trikot.
Ardoisier, Offizieller, der auf einem Begleitmotorrad dem Ausreißer den Zeitabstand auf den(die) Verfolger per Kreidetafel anzeigt, ein Relikt aus alten Zeiten. Auch Bistro-Wirte griffen zu Kreide, notierten nach jeder Etappe die drei Erstplatzierten und stellten die kreidebeschriebene Tafel vor den Eingang. Das war in einer Zeit, als es noch keine Bewegtbilder gab.
Fabio Casartelli, der italienische Olympiasieger von 1992 prallte auf der Abfahrt vom Col de Portet d’Aspet in einer Kurve mit dem Kopf gegen einen Begrenzungsstein (1995) und erlag wenig später seinen schweren Kopfverletzungen.
Pa-pa, scherzhafte Anspielung auf den runden, flüssigen Pedaltritt. Ein Tritt entspricht 180 Grad, demnach Pa; die ganze Pedalumdrehung wäre Pa-pa.
Rouleur, jemand mit der Fähigkeit, lang und hart Tempo zu machen.
Natürlich sind alle handelnden Personen frei erfunden. Der Verlag hofft, nicht allzu heftig auf die Zehen irgendwelcher Namensvetter getreten zu haben.
Alguimantas Kilpis, litauischer Fahrer, bärenstark, nicht totzukriegen.
Fons Demoens, Belgier mit Finisseurqualitäten.
Lilian Fauger, Grünschnabel aus Dünkirchen, blauäugig noch dazu, aber mit großen Ambitionen.
Jacques Hondeghen, gewiefter Sponsor und Textildiscounter, der sich dank seiner bunt zusammengewürfelten Wor-Truppe TV-Präsenz zum Schnäppchenpreis verspricht.
Jan, aufgehender Stern am deutschen Radsport-Himmel in den späten Neunzigern.
Georges Matord, hartgesottener Teamchef des Radrennstalls Wor. Ihm ist der Sponsor näher als das fahrende Personal, das er wie Leibeigene auf Zeit behandelt.
Raymond, Mechaniker, Spitzname »Mozart«, mit feinem Gehör für den Rundlauf der Räder. Er könnte bald in Rente gehen, möchte aber den surrenden Klang der Rennräder nicht missen.
Für Thomas Wegmüller
Radfahren ist hart. Ein Radrennen ist überaus hart. Die Tour de France ist verdammt hart. Wer Übertragungen der Tour sieht, bekommt eine genaue Vorstellung davon, was es heißt, in die Pedale zu treten. Manchmal winkelt man schon allein beim Zuschauen die eigenen Beine an, aus Solidarität. Wenn man über Radsport schreibt, wird der eine oder andere Leser sich in einem weich gepolsterten Sessel zurücklehnen: das Buch in der einen Hand und ein Glas Wein in der anderen. Damit nun die Leserin, der Leser ein bisschen mitleidet - ein ganz klein bisschen, darf das Streckenprofil, das der Held abspult, natürlich nicht fehlen. Wenn Sie dieses Buch quer halten, dann bekommen Sie einen gewissen Eindruck davon, was kurze Aufstiege, kleine Anstiege, halsbrecherische Abfahrten oder welliges Terrain sind, zumindest theoretisch. Steigt die Route an, so wird die Zeile im Buch kürzer, bis sie bei einer Steigung um zehn Prozent nur ein Wort umfasst, dann geht der Atem stoßweise, das rasende Herz droht - gleich nach den Waden - zu explodieren und der Sprint wird lanciert.
Wenn es bergab geht, das Blut wieder zurück in die Beine schießt, die Lunge aufs Neue normal atmet, sind die Zeilen des Buches länger, alles wird (fast) wieder normal und liest sich wie ein Roman. Das Buch beschreibt eine Etappe, in deren Verlauf Taktik und Strategie das Geschehen bestimmen, aber immer auch der (Geschwindigkeits)rausch an der Tretkurbel. In die Gedankenwelt des Ausreißers mischen sich Freude, Schmerz, Wille, Wut, Aufopferung, Niedergeschlagenheit, Erinnerungen - ein Wechselbad der Gefühle. Begleitet vom Wind und nicht zuletzt dem Zeitmesser, dessen Sekundenzeiger sich unaufhaltsam weiterdreht, immer weiter.
Im April 2017
Jean-Bernard Pouy
Bei Kilometer 85 bin ich auf
einer Abfahrt ausgerissen.
Ich nehme Tempo auf.
Ab jetzt heißt es:
durchhalten, kontrollieren,
rechnen, leisten, was vor
mir niemand vollbracht hat,
alles ist stets einzigartig,
nichts wiederholt sich,
der Radsport schreibt
keine Weltgeschichte,
er hat sich aber etabliert,
es gibt nur Siege
oder Niederlagen,
weiß oder schwarz,
glänzend oder matt,
den Ruhm oder die Scham,