Der vorliegende Roman entstand mit Hilfe des Grenzgänger-Stipendiums der Robert Bosch Stiftung.

Grenzgänger ist ein Programm, das in Kooperation mit dem literarischen Colloquium Berlin durchgeführt wird.

01

Checklist: Im Rucksack acht Spraydosen, 500 Milliliter Orange, Grün, Rot, Blau, zweimal Schwarz, zweimal Chrom. Handschuhe eingepackt, das Bandana um den Hals, ein Griff und mein Gesicht ist vermummt. Bin die Leiter runter in den Versorgungsgang geklettert; fährt eine Etage tiefer eine U-Bahn, vibrieren die Wände. Kühle Luft, es riecht nach Eisen und Moder. Ein toter Winkel. Geradeaus die nächste Leiter weiter hinab, ein bisschen ist’s wie in einem alten Arcade-Game, wie in Prince of Persia, klettern und springen, hanteln und laufen, nur ist die Prinzessin, die ich retten soll, etliche Meter lang und tonnenschwer und unbedingt will sie, dass ich ihr was Hübsches auf die Metallhaut mal. Nicht ganz eine Stunde, dann ist Betriebsschluss und auf dem Gleis wird eine Garnitur bereitstehen. Bevor ich durch den Notfallschacht runter bin, standen drei Polizisten bei der Station Längenfeldgasse. Einer der Beamten horchte auf die Durchsage des Funkgerätes, also zweigte ich ab zum öffentlichen Klo. Besser ruhig halten. Leises Klickdiklackern bei jedem Schritt, und weil immer auf der Hut, immer paranoid, sofort der Gedanke: Was, wenn der gerade im Funker von der Action hört, die es vor knapp einer halben Stunde am Westbahnhof gab? Etwas wie: Das verdächtigte Subjekt ist männlich, zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren, Rucksack bei sich, aus dem es bei jedem Schritt klackdiklickert. Besser abwarten.

Im Neonlicht links drei Pissoirs und in der Wand auf Hüfthöhe ein Loch. Darüber geschrieben: Eden. Ein Pfeil wies von den roten Buchstaben auf das Rund in der Wand. Gefiel mir, das Bild, also Kameramodus an, rangezoomt. Marker raus, auf die Klotür meinen Namen getaggt. Jemand kam rein. Im ersten Moment Panik: Was, wenn mich einer der Bullen gesehen hat, sie jetzt meine Personalien kontrollieren wollen? Stattdessen trat ein Mönch ums Eck, ein Benediktiner, glaub ich. Hallo, und: Guten Abend, mein Sohn. Er ging zur Wand, beugte sich runter. Sein Zeigefinger fuhr einige Male schnell ins Loch und wieder zurück.

Wenn ich früher gewusst hätte, dass der Garten Eden am anderen Ende eines Glory Holes liegt, sagte der Mönch. Er musterte mich und fragte: Was machst du?

Widerstand, sagte ich.

Weißt du, wer die ersten Guerillas waren?, fragte er, sagte: Die Urchristen, die ihre Religion nur im Untergrund ausüben konnten, schlichen sich nachts durch Städte wie beispielsweise Rom. Stell dir eine Marmorstatue von Augustinus vor und auf dem Sockel eine Inschrift, die besagt, dass er göttlich ist, Herrscher und Gott in einem, und zwischen diese Huldigungen ritzten die christlichen Saboteure ein Kreuz, eine einfache, aber aussagekräftige Aktion, und wenn sie gar nichts mehr zu verlieren hatten, gingen sie so weit, die Statuen römischer Götter mit Hammer und Meißel zu kastrieren.

Der Mönch raffte seine Kutte, stellte sich an eins der Pissoirs. Ich fragte, ob sie die abgeschlagenen Trophäen liegen ließen oder mitnahmen.

Vermutlich, sinnierte der Benediktiner, gibt es im Vatikan eine Sammlung davon, die bei hohen Staatsbesuchen vorgezeigt wird, oder sie sind wie Reliquien von Kloster zu Kloster, von Syrien bis nach Spanien gewandert, und wenn heut ein Bruder an seinem Glauben zweifelt oder am Zölibat, dann holt er den jahrtausendealten Römerschwanz hervor, wiegt ihn nachdenklich in der Hand und erinnert sich, dass der Ursprung von allem geschlechtslos ist.

Der Mönch verabschiedete sich, ich sah nach, ob ich genügend Caps dabeihab, der Akku vom Smartphone voll, die Atemschutzmaske gut verstaut ist. Einige treiben den Ehrenkodex so weit, dass sie es als Verpflichtung ansehen, den Aerosolnebel ungefiltert einzuatmen, vom Lack berauscht den Zug zu malen. Das Wabern im Hirn bewirkt einen zusätzlichen Kick, wenn man einen Wholetrain und pro Waggon einen Buchstaben malt, und zugleich beklagen sie sich über nachlassendes Gedächtnis und löchrigen Wortschatz. Man pumpt Nächte mit Energie voll, damit sie wie eine Piñata zerplatzen, derweil weichen die Farben das Denken auf. Warum tut man sich das an? Vielleicht ist gar keine andere Form von Widerstand drin. ­Occupy, von wegen. Vergiss die Maske, Guy Fawkes gehört Warner Bros. Alle machen auf Riot, aber eigentlich ist’s Merchandise. Vielleicht sind die Namen, die man an Wände taggt, auf Züge und Mauern sprayt, einfach nur echter und ehrlicher als die bürgerlichen. Und es geht um Spaß, klar, die Erlebnisse beim Malen laufen im Urzeitmodus: auf der Jagd nach Railjet- oder S-Bahn-Mammuts, versteckt vorm feindlichen Stamm der Uniformierten. Fame ist wichtig, der Titel als King of the City immer vakant.

Ich will laufen, zeichnen, malen, Spots suchen, ich will die Dosen klappern hören. Die Nacht ein Spiel, das meinen Regeln folgt. Ich beweg mich, denk und fühl in ihr. Alles Kitsch, aber braucht man, um dranzubleiben. Sprayen ist vor allem ein geistiges Ding, eine Frage der Überwindung. Es heißt, man ist Vandale, aber dass nur Züge malt, wer Züge wirklich liebt, daran denkt niemand. Klarer Fall von Lackdosenintoleranz.

Einmal ging ich zu weit in einen Tunnel rein, Anfängerfehler, ein Zug brauste heran und ich rannte viel zu langsam, ich warf mich in den Schotter, die Räder Zentimeter neben meinem Kopf, und der Zug ein weißes Flackern, die Lichter der Abteile so zack zack zack grell leuchtend. Muss ein ICE gewesen sein. Ständig ein mulmiges Gefühl im Bauch, aber dann zieh ich doch den ersten Strich, kann mich selbst noch so fertigmachen: Gleisarbeiter kommen oder Securities und Hunde, Kameras sowieso überall und überhaupt: morgen um acht Vorlesung, morgen die Prüfung, warum um alles in der Welt hat Sara noch nicht angerufen, oder zu viel Schnee, eine Grillparty auf der Donauinsel oder das Dach zu hoch, der Tunnel zu finster.

Ich glaub, dass Graffiti den Alltag unterläuft, aushöhlt, Katakomben bildet. Imaginäre Bunker, wo unser Alter Ego nonstop Freiheit feiert. Niemand weiß, dass ich oder du hinter diesem Schriftzug existieren. Jeder Zentimeter Wiens wurde schon zigmal gereinigt, übermalt, niedergerissen, überweißelt. Manche Graffs bleiben nicht mal eine Stunde.

Kabu, einer der Alten, bunkert zu Hause zig Schuhkartons voller Fotos. Seit 1995 klappert er Wien mit einer Analogkamera ab und kann dir ganz genau sagen, wer wann in welchem Bezirk unterwegs war oder in sämtlichen Straßen, wer welches Gleis beherrscht hat oder das gesamte Shitstem-Sisdem.

Die Stadt flutet über die Farben und Namen und Doppelleben, dir bleibt nichts anderes übrig, als wieder rauszugehen, wieder wo rauf- oder runterzuklettern, Rewind Selecta, die nächste Mutprobe: Warten, bis die U abfährt und dann hinterher, am Spiegel vorbei, mit dem der Fahrer den Bahnsteig kontrolliert, aufpassen auf Stromschiene und Überwachungskameras, auch schon passiert, dass aus versteckten Lautsprechern ein Wachbeamter schreit, der dich irgendwo am Bildschirm hat: Bist deppert, Oida, schleich di!

In den Tunneln und Schächten komm ich an Graffs vorbei, die seit Jahren hier unten prangen. Hier, in den Nischen des U-Bahn-Systems, glänzen silbern die Namen von längst verschwundenen Kings und Queens.

Von wegen Widerstand: Nur einmal war ich bei einem Riot dabei. In Tuzla, Bosnien. Saras Idee. Lass uns hinfahren, ich war ewig nicht mehr dort, schlug sie vor, als wir über Pläne für die Semesterferien sprachen. Um 18 Uhr reisten wir von Wien-Erdberg ab. Ein Bus von vielen, die jeden Tag um Punkt 18 Uhr auf verschiedenen Wegen Sarajevo oder Zvornik oder Mostar ansteuern. Gute acht Stunden über nächtliche Autobahnen, von Slowenien und Kroatien sahen wir nichts außer Lärmschutzwände und Nebel. Wir kamen bei Vehid und Refika unter, der Cousine ihrer Mutter, und Sara ganz erstaunt, wie Ismet sich verändert hatte, der Sohn der beiden, etwas älter als wir, Ende zwanzig und ein Babyface, aber vom Kickboxen austrainiert, meine Fresse. Username: Tiger, stellte er sich vor.

Bei unserer Ankunft hatte ich ein kribbliges Gefühl im Bauch, als würd ich unbewusst Witterung aufnehmen. Wir stiegen aus dem Bus, massierten uns die steifen Nacken. Rucksack geschultert und raus zum Parkplatz, wo Tiger uns erwartete, und mir war, als gingen wir durch ein elektromagnetisches Feld. Die Sonnenstrahlen schnitten durch die kalte Luft, von fern Sirenen, nicht ich war nervös, begriff ich, sondern die Stadt war es, von der diese Anspannung ausging.

Seit gestern wird gegen die Regierung protestiert, erklärte uns Tiger und deutete in Richtung eines hohen grauen Gebäudes. Dort drüben gibt’s Action, müsst ihr euch bei Gelegenheit ansehen. Meist trug er Jogginghose und Tanktop, wie die stärkere, schlankere Version seines Vaters, ebenso missmutig, dann wieder übertrieben lebendig, wenn sich die Chance ergab, etwas zu unternehmen, bloß irgendetwas zu tun wie Angeln in einem nahen See, wovor Refika warnte, weil Fabriken Abwässer einleiten, aber umsonst, schon waren Brotstücke als Köder eingepackt und saßen wir im Auto.

Tiger nahm uns zu Partys mit, auf dem Dach eines Wohnblocks etwa, und dort wurde uns an drei Fingern abgezählt, was Tuzla so besonders macht: Die Stadt, die sich im Krieg vor zwanzig Jahren erfolgreich selbst gegen die serbische Armee verteidigte. Die Stadt, deren muslimische, kroatische und serbische Bewohner gemeinsam kämpften. Die Stadt, die seit Jahrzehnten Rap und Graff zelebriert.

Während einer der Partys legte Sara ihre Arme um meine Schultern, sog den Grasgeruch ein und sagte aus der harzigen Wolke heraus: Du fühlst dich hier richtig wohl, nicht? Und sie hatte recht, mir gefielen die beim Feiern auf Smartphones vorgespielten, ruckelnden Videos, in Hinterhöfen mit der gesamten Crew gedreht, harte Sprache, fickriger Flow, als hätte Rap einen Sprung zurück nach Brooklyn Anfang der 90er gemacht, um neu zu beginnen und es dieses Mal wenn nicht richtig, so wenigstens anders zu machen, und mir gefielen die unzähligen Graffs auf Straßenmauern und Dächern.

Turbofolk posaunte der leidigen Feberkälte zum Trotz über das Dach. Man lachte drüber, dass Sara und ich die Ćevapi mit Besteck aßen, sie nicht mit Brotstücken in den Mund schaufelten. Mädels hoben Gläser und schrieen we are crazy, we like to party, und Jungs fuhren am Ende der Speedlines mit ihren Nasen auf wie alarmierte Erdmännchen. Tiger erzählte mir von einem Cousin aus Prijedor im Norden Bosniens, ein langhaariger Held der Stadtjugend, weil talentierter Gitarrist. Die Finger seiner rechten Hand tanzten über die Saiten, egal ob eine Schnulze zu Omas Geburtstag angebracht war, wenn man nachmittags am gedeckten Tisch saß, oder Roma-Rhythmen für die späteren Stunden, wenn Oma längst schlief. Vier Jahre lang, so Tiger, hatte sein Cousin täglich geübt, bis das Plektrum jede Gitarrensaite einzeln traf. Das war seine Meisterschaft; ein Plektrum zwischen seinen Fingern schlug auf den Millimeter genau an, Millimeter, die über den Sound entschieden und die Saiten unterschiedlich schwingen ließen. Bei Besuchen horchte Tiger aufmerksam, wenn sein Cousin davon sprach, mit Musik einen sphärischen Raum zu erschaffen, der jeden Menschen beruhigt, der sich seinem Funk oder Blues ausliefert. Menschen wirken als Resonanzkörper, ihre Knochen, Haut, Haare, die Wimpern, die Nägel, die Lippen, jede Zelle absorbiert Schwingungen und reagiert darauf, glaubte er. Im Frühjahr 1992 führte man den Cousin ab, ein Verhör, nicht mehr, in zwei Stunden bringen wir ihn zurück, behaupteten die Uniformierten. Er kam nicht an diesem Abend nach Haus und auch nicht in den folgenden Tagen, und als sich die Flucht der Familie ins Ausland nicht mehr abwenden ließ, nahm seine Mutter die Gitarre mit, weil sie überzeugt war, dass ihr Sohn aufgrund eines bürokratischen Fehlers im Gefängnis saß und bald, nachdem sich das Missverständnis aufgeklärt hatte, zu ihnen stoßen würde.

Die Gitarre verstaubt jetzt sicher auf einem Dachboden in Schweden, sagte Tiger.

Einer drückte mich an sich, you are from Austria, lallte er und tippte mir mit einem Zeigefinger an die Brust, I like you Nazis, und ich wandte das wenige Bosnisch an, das ich aufgeschnappt hatte, sagte jebem ti und stieß ihn weg, abfällig und arrogant; dass man diesem Nazi-Scheiß nie auskommt, geht mir nicht ein. Er, ganz perplex, fing an zu lachen, heiser, mit rotem Kopf.

In Wien, unterwegs zu Sara, kam ich am Praterstern mal an einer Litfaßsäule vorbei, eine Installation zur Erinnerung an die ab 1938 verfolgten Juden. Darauf Fotografien von johlenden Massen, die zwei auf der Straße kniende Menschen umringen. Der hinzukopierte Zeitungsartikel berichtete von einem alten jüdischen Paar, das genau dort, zu Füßen des Tegetthoff-Denkmals, gezwungen worden war, politische Schriften vom Asphalt zu scheuern.

Eine ältere Frau sah sich die Fotografien an und wollte wissen, ob ich aus Wien sei. Eben, sagte sie auf Englisch, wäre sie an einem verschlossenen Tor zu einem Park gestanden, hätte durch Eisenstäbe auf gestutzte Bäume geblickt, auf eine Wiese, und entfernt zwei dunkle, massive Bauten, die ihr der Travelguide als Flaktürme ausgewiesen habe. Sie war eine Weile geblieben und habe geschaut, ohne zu wissen, was es bringt, Bauwerke zu mustern, die auf sie ähnlich vage bedrohlich wirkten wie der entfernt rauchende Schlot.

Die Müllverbrennungsanlage vermutlich, warf ich ein.

Später war sie hier am Praterstern gelandet, wo ihr die Litfaßsäule mit den schwarzweißen Fotografien ins Auge gefallen war. Konnte es Zufall sein, fragte sie, während des Spaziergangs ausgerechnet darauf zu stoßen? Ihr Vater, der Jüngste einer jüdischen Familie aus dem Zweiten Wiener Gemeindebezirk, entkam 1938 im Alter von elf Jahren dank eines Kindertransportes nach London. Er sprach nie viel von Wien, sie selbst sei zum ersten Mal in der Stadt, sagte sie, und gehe die in den Asphalt eingelassenen Gedenksteine ab, in der vagen Hoffnung, unter den in dunklem Gold verewigten Namen der jüdischen Vertriebenen und Ermordeten jene ihrer Tanten und Onkel zu entdecken, jenes Haus, aus dem die Familienangehörigen deportiert worden waren, und dadurch einer Geschichte habhaft zu werden, die ihr Vater miterlebt, elfjährig aber kaum verstanden hatte.

Sie folgte meinem Fingerzeig auf die ungefähre Lage des ehemaligen Nordbahnhofs, von wo die Züge in die Vernichtungslager abgefahren waren. Sie selbst war wie in der Luft hängend zwischen die Zeiten geraten, ein schwarzweißes Foto geworden, worauf eine nach der Mode des 21. Jahrhunderts gekleidete Frau zu sehen ist, die durch das Wien des Jahres 1938 streift, und in ihren Augen spiegeln sich die Ruinen zweier Flaktürme.

In Tigers Clikk gab’s Serben, Kroaten und Bosniaken, die uns wie eine Sehenswürdigkeit vorgeführt wurden, aber ich konnte mir nicht merken, wer wohin gehörte, zu viele Hände geschüttelt, zu viele Gesichter gesehen, Username Rat, Username Fox, und dauernd Small Talk, wie gefährlich dieses Stadtviertel mit Namen Stupine sei und wie gastfreundlich die Bosnier im Allgemeinen, man studiere Germanistik und hoffe auf einen Platz an einer österreichischen Uni oder noch besser einer deutschen, und ich hörte von den drei Monaten Highlife, wegen des ­Schengen-Abkommens bei einem Verwandten im Ausland, in Hamburg, Kopenhagen oder Linz, und jetzt heißt’s warten auf die nächsten drei Monate, auf die nächste ­Party, auf das nächste Fußballspiel.

Ein Bosnier, der seit Jahren in Graz als Automechaniker lebt und wie wir auf Kurzbesuch war, kreuzte mit Paletten Beck’s auf; so, wie er sich gab, musste Graz eine Metropole sein, er genoss den Urlaub und den heimlichen Neid auf seine Original-Jeans und seine Lederjacke.

Fuck, sagte Tiger mit Blick auf ihn, wozu weg, weg wohin, die Fresse im Spiegel ist immer die deine, egal, wo du bist, fuck, sagte er und pfefferte die volle Flasche Beck’s übers Dach hinaus. Er berichtete von Straßenschlachten zwischen Polizei und Hools, wie gefürchtet der FK-Sloboda-Fanblock selbst in Sarajevo sei. So hat’s auch bei mir angefangen. Flutlichter. Verzerrte Gesichter. Und ich auf dem Asphalt, im Getümmel einer Schlägerei von Fußballfans.

Ich war mal kurz bei den Ultras von Rapid Wien, hat mir echt gefallen, kurz vor Anpfiff war ich drin im Ausnahmezustand. Grünweißes Flirren der Fahnen im Nebel, die Grenze zwischen Ich und Wir verwischt, wenn der Rausch einkickt wie ein Elfer ins Kreuzeck. Fast taub vom Klatschen, Trommeln, Johlen, vom Vorsänger dirigiert Banner ausgerollt, von den restlichen Tribünen Echos gefordert, 90 Minuten oder länger stand und sang ich. Die Schlägerei nach dem Testspiel Rapid versus Nürnberg war die Bewährungsprobe für Neue wie mich. Das Ganze erinnerte mich an Braveheart, wenn sich die Schotten und Engländer gegenüberstehen. Ich in der ersten Reihe, eine Anspannung, als würd sich ein riesiger Taser über die Straße senken. Das Spielergebnis? Nebensächlich.

Die Bedingungen waren seit Wochen fixiert: keine Waffen, nur Fäuste, Knie, Ellbogen, Füße, Kopf. 50 je Verein, egal, welcher Fanclub, egal, ob links oder rechts. Das war alles. Wen wundert’s, dass in Ägypten oder in der Ukraine Fußballfans Teil der Revolutionen waren? In einem Stadion triffst du Anarchos und Neonazis und Rastas, alle haben was gegen Staat und Polizei, das ist der gemeinsame Nenner.

Mein Klassenkamerad Vinz hatte mir von den Ultras auf der Westtribüne erzählt und vorgeschlagen, dass ich Rapids größtem Fanclub beitrete. In den Pausen laberte er von Partys und Fußballspielen, und es hörte sich richtig gut an, so als könne einen die La-Ola-Welle durchs ganze Leben tragen. Als Neuer wurde ich Tom zugeteilt, der mich mit auf nächtliche Touren nahm. An Mauern sprayten wir den Schriftzug UR’88; Reviermarkierung, nannte es Tom, wir sind die Hunde der Ultras. Diese Aktionen gingen mir nicht aus dem Kopf: der Lackgeruch, das Spähen und Warten, nervös und konzentriert. Ausgerechnet in Favoriten, dem Bezirk der Austria, hatte ich erstmals eine Spraydose in der Hand und taggte die Abkürzung für Ultras Rapid und deren Gründungsjahr. 88, verstehst?, fragte Tom und lachte. Damals hatte ich keine Ahnung, was da noch hintersteckt.

Zwanzig Meter von den Nürnbergern entfernt machte ich einen Schritt nach vorn, ich wollte weg, raus aus den Reihen und rein in die U und heim. Aber wie konnte ich abhauen, ohne dass es feig aussah? Ich tappte vor und zurück und die Nürnberg-Fans deuteten mein Rumhampeln als Zeichen zum Angriff, ein Schrei setzte alle in Bewegung. Ich erinnere mich an den stechenden Geruch von Pfefferspray, der Wind kam aus der falschen Richtung. Ich lag bald am Boden, irgendjemand hatte mir einen Schlag in den Magen verpasst, und spätestens da war mir klar: Ein neues Hobby muss her. Dann wurde ich am Kragen gepackt und zu einem Polizeiwagen gezerrt. Weil ich nicht volljährig war, konnte ich den Posten mit einer Verwarnung verlassen, aber ja, besonders das Zugehen aufs Stadion hab ich geliebt, wenn man schon von weitem die Schlachtgesänge und das Klatschen hörte, und dann rauf die Stufen und rein in die Arena. Die Schlägerei war nichts für mich, der Hunger nach Nervenkitzel aber geweckt. Nichts besser, als wenn das Adrenalin einknallt.

Obwohl, zugegeben, als Sara und ich in Tuzla schließlich zur Demonstration kamen, hatte ich Angst. Den Leuten auf dem Platz ging es um was Wichtiges und ich wunderte mich: Was ist das für ein Land, wo mit so viel Einsatz protestiert wird? In Wien gäb’s bei der Gelegenheit ein Espressomobil und aus Rucksäcken würde gekühltes Dosenbier für 2 Euro verkauft, oder, weil Februar, Glühwein aus Thermoskannen. Hier aber war es nicht das altbekannte Szenario, wenn Abertausende ihrem guten Gewissen zuliebe gegen den Irakkrieg oder die FPÖ demonstrieren und von vornherein klar ist, dass nichts passieren wird.

Ich verstand die Leute nicht, Sara dagegen stammelte die bosnischen Parolen mit, und so dumm es sich anhört, aber ich fühlte mich allein gelassen. Unzählige Menschen und ich der eine Exot darunter, der nichts kapierte. Was wusste ich damals schon von Sara und ihrer Familie? Wenn sie sagte, ihre Mutter sei eine gebürtige Bosnierin, eine Bosniakin, um die offizielle Bezeichnung für eine bosnische Muslimin zu gebrauchen, da klang das für mich x-beliebig, hätte sie auch Jamaikanerin oder Finnin sagen können. Ich hatte ihre Eltern ein, zwei Mal in der Wohnung beim Praterstern getroffen, sie stellte sich als Anisa, er als Richard vor. Er hat einen höheren Posten in der Marketingabteilung der OMV, und wie er mich übern Brillenrand ins Auge fasste, dachte ich mir, genau so stelle ich mir einen Bürohengst vor, in weißem Hemd und mit ordentlich zurückgekämmten, angegrauten Haaren. ­Anisa blieb skeptisch, wen ihre Tochter da anschleppte, aber bald taute sie auf, lud mich ein, zum Essen zu bleiben, und seit sie weiß, dass ich mich für ihr Heimatland interessiere, macht sie sich den Spaß, mir bosnische Floskeln beizubringen.

Als wir in Tuzla nachts eine Zigarette auf dem Balkon rauchten, sagte Sara, dass ihre Mutter nicht weit von hier aufgewachsen sei. Zwölf Jahre, sagte sie, zwölf Jahre, und verstummte, als müsse der Gedanke erst die richtige Form finden. Zwölf Jahre, begann sie wieder, war meine Mutter nicht hier, kannst du dir das vorstellen?, 1992 floh sie nach Österreich und erst 2004 kam sie zu Besuch zurück, bis dahin schaffte sie es nicht in den Bus oder ins Flugzeug. Wieso, weshalb braucht sie zwölf Jahre, um in ihr Heimatdorf zurückzukehren, in diese kleine Siedlung am Berghang?

Die Erzählungen Anisas machen einen wesentlichen Teil des Bildes aus, das Sara von Bosnien hat. Geschichten vom Jahrmarkt etwa, wo sich die klapprigen Eisenstühle des Karussells höher schraubten und weite Kreise zogen und das eigentliche Ziel der Fahrt auf dem Ringlspil war, den Teddybär vom Seil zu schlagen, der von einem abseits ragenden Galgen hing. Anfangs saß hinter Anisa ihr Vater, dann, mit fünfzehn oder sechzehn, ein Junge, der ihr Avancen machte, und sowohl Vater als auch Verehrer ergriffen die Rücklehne ihres Sitzes und kickten sie mit den Füßen aus der Bahn der Karussellfahrer, um mit diesem zusätzlichen Stoß weit über den Ballons und Grills, den Musikbands und Kleidungsverkäufern hinaus zu kreiseln und nach dem Teddybären zu greifen, wozu sie sich aus dem Sessel lehnte, bis sie fast waagrecht, wie fliegend, durch die Luft sauste.

Aber es gibt auch andere Geschichten. Saras Oma war vor Jahrzehnten an einem Herzleiden gestorben, der Opa im Krieg verschwunden. Er war verlorengegangen, als im April 1992 Anisas Heimatdorf von Paramilitärs überfallen und niedergebrannt wurde. Sie selbst kam davon, Anisas Vater gilt seither als verschollen. In mehr als zwanzig Jahren ist nichts von ihm aufgetaucht, kein Kleidungsstück, kein Knochen, irgendetwas, das zumindest seinen Tod bestätigt und für einen Schlussstrich gesorgt hätte. Mama wartet immer noch darauf, sagte Sara, dass jemand anruft und ihr mitteilt, dass man ihn gefunden hat.

Vor sechs Jahren oder sieben, zum Feiertag am 1. Mai, als sich die Diaspora in Bewegung setzte, aus Österreich oder Schweden anreiste und ihre Mercedes und Audi A4 die Grenzübergänge und Autobahnen verstopften, war Sara mit ihren Eltern in Anisas Heimatdorf gewesen, ein Besuch, der sie selbst nicht interessierte. Vierzehn und voll verknallt, erzählte Sara, und dem Arsch von Freund war es egal, dass sie für eine Woche weg war.

Kurz vor der Ankunft tippte Anisa gegen das Seitenfenster, dort drüben, sagte sie und zeigte auf ein Feld, stand im Frühjahr das Ringlspil. Richard, Saras Vater, plapperte übers Wetter und die schöne Natur oder deutete auf die Kennzeichen der in den Einfahrten geparkten Wagen. Einer aus Leoben, rief er, da ein Linzer, dort ein BMW mit Salzburger Nummerntafel. Das Dorf wirkte auf Sara so langweilig wie die Fahrt von Tuzla durch die Berge dorthin, ein paar Rohbauten auf steilen Wiesen. An einem Gartenzaun ergriff Anisa Saras Hand und drückte sie fest. Den Jungen im Kopf, der auf keine ihrer SMS antwortete, hatte sie keine Lust auf Mamas sentimentale Gesten, aber der ungewöhnlich feste Händedruck ließ keinen Zweifel, dass es Anisa um etwas Wichtiges ging, als sie sagte: Da bin ich aufgewachsen.

Es war ein kaputtes Haus wie jedes andere, keine Ahnung, wer drin wohnte, Mama hatte es schon verkauft, schade, sagte Sara, sonst hätten wir jetzt ein Wochenendhäuschen, eine Weekendica, aber ich hörte gar nicht wirklich hin, es störte mich, dass sie ihren ersten Freund erwähnt hatte, na ja …

Sara beschwerte sich, dass ihre Mutter einen Rückzieher macht, wenn das Gespräch über ihre Vergangenheit einen gewissen Punkt erreicht. Sie nahm Sara mal mit in die Rot-Kreuz-Zentrale unweit des Karlsplatzes, im Foyer lag ein großformatiges Buch, eine vom Roten Kreuz herausgegebene Auflistung aller Vermissten aus dem Bosnienkrieg. Ganz eng gesetzte Listen, erzählte mir Sara, abertausend Einzelleben in Zeilen und Spalten, von Ahmići auf Seite 1 bis Zvornik auf Seite 300. Zeile für Zeile die Vermissten von Srebrenica und Sarajevo, ein zusätzliches Bollwerk in der Datenmasse; andere Orte wiesen höchstens vier oder fünf Einträge auf. Anisa blätterte zu einer bestimmten Seite. Sie zeigte auf den Namen von Saras Großvater, sein Geburtsdatum, der Tag seines Verschwindens. Der nach ihm folgende Eintrag hatte annähernd denselben Inhalt. Selber Ort, derselbe Nachname, sogar das gleiche Geburtsjahr. Der Vorname die einzige, wirklich wichtige Unterscheidung: Imre. Imre Isović. Unser Nachbar, erklärte Anisa. Er war geflohen, damals, als das Dorf angegriffen wurde, aber offenbar haben ihn die Serben erwischt. Anisa brachte das Buch zurück zum Portier, und als Sara sie drängte, mehr zu erzählen, von Großvater und Imre und dem Angriff, da brach sie ab, nein, sagte sie, für heute reicht’s mit den alten Geschichten.

Wir standen auf dem Balkon und rauchten, ich mit einem schlechten Gewissen, bei jeder Tschick dasselbe: Ich sollte aufhören, immerhin zieh ich mir schon genug Dosenluft in die Lunge. Das Sprayen wirft einen langen Schatten, zum schlechten Gewissens des Aerosols wegen kommt die latente Paranoia, erwischt zu werden, denn Sokos sammeln eifrig Material und hämmern irgendwann an deine WG-Tür.

Damals, bei diesem ersten Mal in Bosnien, wurde uns so viel geboten, dass mich die Kriegs- und Flucht-Schicksale nicht interessierten, nein, es war viel los, nachts gab’s Partys, und bereits am zweiten Tag nahm uns Tigers Vater Vehid zu den Protesten mit.

Das Regierungsgebäude wurde belagert, es geht um Firmenbankrott und darum, dass es so nicht weiterlaufen kann, sagte Vehid, niemand hat Arbeit und falls doch, dann werden die Löhne nicht mehr ausbezahlt. Früher war Tuzla eine industrielle Hochburg, aber jetzt ist alles im Arsch. Die Fabriken gehören entweder einem Russen zum Geldwaschen, oder es stecken Slowenen dahinter, von denen Vehid rein gar nichts hielt, weil sein Konto bei einer slowenischen Bank mit Kriegsausbruch gesperrt worden und damit die Ersparnisse einfach weg waren, verschollen. Vehid schrie Parolen und erzählte uns im nächsten Atemzug, dass es nichts nützen wird, vielleicht wird die Regierung gewechselt, ja, aber wegen der Korruption wird sich nie was ändern.

Saras Hand in meiner, gestoßen, gerempelt, nichts gesehen außer den Menschen vor uns, dem blauen Himmel und dem Rauch, der vom Gebäude aufstieg, das Gelächter, die Flüche, unverständlich, geballte Fäuste, es wird gestürmt und angegriffen, um zu zeigen, dass man sich nicht alles gefallen lässt, darum ging’s, ein Zeichen zu setzen und zu sagen: So nicht, nicht länger, die Grenzen lassen sich nicht aufheben, aber verwischen ja.

Durch eins der Fenster war Feuer zu sehen, aus einem höheren Stock flogen Stühle runter in den Lärm von Trillerpfeifen und Schreien, Papier schwebte durch die Luft wie Tauben. Ein Typ, den wir von der Dachparty kannten, stolperte vorbei, überm linken Auge ein Cut, aber lachend, nach Luft schnappend, entrückte Adrenalinschimmerpupillen, die Polizeisperre sei durchbrochen und das Gebäude gestürmt, rief er. Übern Platz zog der Geruch nach Tränengas, Scheiße, Spezialeinheit, ein Drängen und Zurückweichen, Stocken und Nachdrücken. Gaspatronen abgefeuert, Steine und Flaschen hagelten zur Antwort, und in der Masse weinende oder verängstigte, schreiende oder lachende Menschen, ich versuchte zu verstehen, was da geschah, was passierte, längst war Vehid weg, aber Saras Hand fest in meiner, lass mich nicht los, hörst du, schrie sie. Eingekeilt, zusammengepresst war zu spüren, dass alles auf den Höhepunkt zusteuerte, Bosnian Spring!, skandierte einer, und viele rissen die Arme hoch, und dann Applaus, eine Welle von Euphorie, ausgelöst von der eilig verbreiteten Nachricht, dass die Spezialeinheit übergelaufen und auf Seite der Demonstranten sei, unglaublich, das Gebäude brannte, Rauch, tiefschwarz, und Flackern, orange, und dann nur noch Jubel, als könnte dieser Moment niemals enden, aber das ist Tuzla, dachte ich mir, eine trügerische Idylle, kann man noch so viel erzählen, wie schön und multikulti es sei, Tuzla ist eine entwässerte Blaue Lagune, wie die Nike-Klamotten oder die von Adidas, alles falsch: die Kleidung, die Smartphones, die Schmauchspuren, alles fake, bis auf solche Momente, wenn Bierflaschen von Dächern oder auf Politiker fliegen und die Träumereien sich hochschwingen und ein jeder Flügelschlag ein Fuck, ein Fuck.

Bald hab ich die U-Bahn-Garnituren vor mir. Drei, vier Reihen. Erst Stille, dann die Spraydosen schütteln, klackdiklacker, dann Farbstrahl. Runter in die Tunnel, an die Gleise. Ich weiß nicht, weshalb, aber ich weiß, es ist richtig.

Die vielen Graffs in Tuzla waren wie Boten der Ausschreitungen. Broken Windows Theory. Vorm Regierungsgebäude hob Sara einen Stein auf, der ihr vor die Füße gefallen war, schleuderte ihn so fest sie konnte auf die Polizeisperren, und ich war ganz perplex, weil zwischen ihr und den restlichen Demonstranten kein Unterschied mehr bestand.

Meine Erlebnisse in Tuzla decken sich mit den Blog-Berichten der Podemos in Madrid oder den Videos der Straßenschlacht um den Gezi-Park in Istanbul. Proteste auch in Athen, Ausschreitungen in London, diese Bilder und Geschichten der Riots der letzten Jahre sind eine Konstante unserer Gegenwart, und manchmal stell ich mir vor, dass es ein besonderes Graffiti gibt, ein gespraytes Zeichen, das die mediale Verallgemeinerung der Revolte, aller Revolten, beim Anblick in etwas Persönliches verwandelt, die Energie zum Widerstand in jedem weckt, der dieses Graff betrachtet.

Außerhalb Tuzlas stand auf den Mauern nur Gavrilo Princip oder Srebrenica. Meist war die einzige Lackfarbe, die ich sah, das Schwarz, mit dem auf zweisprachigen Ortstafeln der kyrillische Dorfname übermalt war. ­Warum, fragte ich Tiger, ist keine einzige Mauer besprüht? Zu gefährlich, meinte er, bevor die Leute vertrieben wurden, haben sie ihre Häuser oft vermint, weil wenn sie nicht drin leben dürfen, dann auch kein anderer.

Eigentlich wäre es ein Ziel von Graff, der Umgebung Farbe zu verpassen. Aber je länger Sara und ich in Bosnien waren, umso sinnloser kam es mir vor. Ständig dasselbe: Erwähn nicht den Krieg, der ist vorbei, bedeutungslos. Aber immer etwas in den Augen der Jungen, wie ficken die, wie träumen die, fragte Sara, mit solchen Augen, die resigniert sind und hungrig in einem. Alles gleichzeitig. Man verdient 400 Euro im Monat, aber die Geschäfte laufen. Wie bei Evidence: Players don’t die, they try their luck just on another table. Alles Pump, alles Beziehung. Kein Geld, aber die Cafés sind zu jeder Stunde voll, das ist der bosnische Lifestyle, erklärte uns einer, der auf einem Flohmarkt Fake-Klamotten von Kappa und Lacoste vertickte. Sechs war er bei Kriegsausbruch, erzählte er, der Vater Soldat und die Mutter floh mit ihm und seinen zwei älteren Geschwistern nach Hamburg. Dort ging er zur Schule, bis seine Mutter nach ein paar Jahren genug von Deutschland hatte und zurück wollte und er als Jüngster mitmusste, damit sie nicht alleine blieb.

In der Altstadt von Tuzla kamen wir an einem Mahnmal für 71 größtenteils jugendliche Opfer vorbei, die während des Krieges an dieser Stelle von einer serbischen Artilleriegranate getötet worden waren. Später, als wir mit Tiger eine Tour durch die Stadt machten und einen Berg rauffuhren, deutete er auf schneeweiße Grabpfeiler am gegenüberliegenden Hang. Dort drüben liegen die 71, sagte er, sie haben einen eigenen Friedhof, früher war das unser Treffpunkt, wir tranken und rauchten auf der Mauer, man ist dort ungestört, und viele der Toten waren in unserem Alter und haben auch gefeiert, als die Granate einschlug, also war’s passend, aber die Polizei vertrieb uns wegen Ruhestörung.

Der Bosnienkrieg war in meinem Leben präsenter, als mir bis zu dieser Reise bewusst war. Nicht nur wegen Sara und ihrer Familie. In der Unterstufe bin ich neben einem neu eingeschulten Jugo gesessen, der im Malunterricht, wenn es hieß, man soll sein Zuhause zeichnen, anstelle der üblichen Gärten und Häuser Maschinengewehre aufs Papier brachte, und das auffällig genau. Oder beim Fußballspielen, beim Ausgehen am Wochenende, immer Jungs und Mädels, die unten ihre Wurzeln haben. Aber was das bedeutet, was sie und ihre Eltern und Geschwister nach Österreich gebracht hat, darüber hab ich nie nachgedacht. Die Jugo-Kultur ist so mit Wien verwachsen, dass sie mir gar nicht mehr auffällt; im zehnten Gemeindebezirk, sagt man, beginnt der Balkan.

Ich erinnere mich vage an den Bosnienkrieg. Nicht an etwas Bestimmtes wie beim Golfkrieg knapp zuvor, als übern Fernseher amerikanische GIs flimmerten, die einen Wüstenbunker umstellten, aus dem verwahrloste Iraker mit erhobenen Händen taumelten, fast ikonische Bilder, die die Abendnachrichten für mich kleinen Jungen in Abenteuerfilme verwandelten. Bei Bosnien waren es vor allem die Gespräche der Erwachsenen, die mich begreifen ließen, dass nicht weit von Wien etwas Grauenvolles geschah, und ich lauschte gebannt, wenn meine Eltern rätselten, was dort los sei, warum sich Nachbarn und Bekannte nach dem Leben trachteten; Bruderkrieg, weiß ich noch, die Rede war von Bruderkrieg.

Die nächste Station unserer Reise war Banja Luka, Hauptstadt der Republika Srpska, des serbischen Teils Bosniens. Wir quartierten uns in einem Hostel ein und machten das Touri-Programm mit Kastell und Flusspromenade, Weitwinkelfotos von Alleen kahler Kastanien und einer Altstadtgasse, die aussieht, als hätte man sie aus Graz hierher verpflanzt. Wir wollten das Nachtleben kennenlernen und gingen in einen Club nah am Fluss. Vorm Eingang tummelte sich eine Schulklasse, ein paar der Jungs diskutierten mit dem Türsteher. Wir sind aus Višegrad, sagte eins der Mädchen, die Brücke über die Drina, Ivo Andrić, klingelt’s? Ihre Augen glänzten, als Sara erwähnte, bald nach Sarajevo weiter zu fahren. Ich konnte dem Mädchen ansehen, dass für ein paar Sekunden ihre Phantasie angeheizt wurde, wie es wär in der großen Stadt, fort aus dem Kaff an der Drina, wo es nur die Brücke gab und sicher ähnliche Diskos wie die in Banja Luka.

Drinnen bot sich ein seltsames Bild, vielleicht sehen alle Balkanclubs so aus, keine Ahnung, die Tanzfläche war mit Stehtischen blockiert, der DJ switchte von einem Turbofolkreißer zum nächsten und die zwischen den Stehtischen feststeckenden Leute kamen dem Powerballaden-Beschuss nicht hinterher. Sicher, es wurde ein wenig geschunkelt und vor der Bar gab’s Gedränge, aber die Mädels in engen Röcken und Highheels und die Jungs in Hemden, Kurzhaarschnitt und Jeans wirkten verkrampft, wurden die allgegenwärtige Ernsthaftigkeit nicht los, die mir tagsüber schon aufgefallen war. Alle so steif hier in Bosnien, was?, fragte ich Sara, und sie kicherte und sagte: Klar, und ihr Schwabos habt alle eine Stechuhr im Arsch, so ordentlich wie ihr seid.

Einmal kamen wir am Nationalmuseum vorbei, ein Betonquader, umstellt von rostigen Granatwerfern. Drinnen alles finster, auf gut Glück klopfte ich. Hinter der Glastür erschien ein alter Mann, der gähnend aufsperrte. Er knipste das Licht im Saal an, und wir standen mitten in der Steinzeit samt Höhlenpanorama. Danach Silberschmuck, Musikinstrumente aus Holz, in Trachten gekleidete Schaufensterpuppen. Ein Großteil des Museums, über Treppen hoch in den ersten Stock, von schwarzen Tüchern verhängt und mit roten Infoplaketten bestückt, behandelte das KZ Jasenovac, wo im Zweiten Weltkrieg abertausend Serben von den kroatischen Ustasha-Faschisten umgebracht worden waren. Auf einer Landkarte war zu sehen, dass Jasenovac am kroatischen Saveufer liegt, nicht weit von Banja Luka. Mehrmals las ich, dass sich sogar die Nazis über die Brutalität der Ustasha wunderten, mit der sie Serben, Roma und Juden massakrierten. Schwarz-weiße Fotografien zeigten lachend posierende Soldaten, die einem knienden Mann mit einer langen Holzsäge den Kopf abtrennten, zeigten weinende Kinder, Berge nackter Toter am Flussufer, oder Wärter, die abgeschlagene Körperteile und Mordwerkzeuge wie Hämmer, Messer, Knüppel ins Visier reckten, um zu unterstreichen, dass den Serben nicht mal der schnelle Tod durch eine Kugel gegönnt wurde.

Sara rief mich in den nächsten Raum, zu einer Wand, die mit den Fotografien toter Babys tapeziert war. Sie lagen in winzigen Särgen, mit geblähten Bäuchen, eingefallenen Brustkörben, verklebten, geschwollenen Augenlidern. Ich wollte mich abwenden und schaffte es nicht, so verstörend war es, unzählige tote Babys vom Boden bis zur Decke aufgereiht vor mir zu haben. Auf der Infotafel stand etwas von wegen: Die Qual unserer Kinder, seht, unsere serbischen Engel, die Qual, die sie zu erleiden hatten. Die ganze Ausstellung war auf diese Fotowand ausgerichtet, alle bisherigen Darstellungen der Gräuel und Hinrichtungen fanden ihren Höhepunkt in der Fotocollage serbischer Kleinkinder, die in Jasenovac umgekommen waren. Schweigend gingen wir durch den letzten schwarzen Vorhang und eine Treppe wieder hinab zu den schwach beleuchteten Räumen, weg von der Horror-Show der Geköpften, Erschlagenen, Verhungerten, zurück ins Paläolithikum, den Widerstand gegen die Österreicher und die Osmanen. Zwischen Türkenuniformen die Büste Kaiser Franz Josefs; Gavrilo Princip, dem Attentäter Franz Ferdinands und Sophies, wurde als serbischer Held eine eigene Kammer zugedacht.

Es war nur von Serbien, aber nie von Bosnien die Rede, überall Verweise auf Belgrad, aber kaum auf Sarajevo. Die Geschichtsschreibung, die wir in den Vitrinen präsentiert bekamen, erweckte den Eindruck, es gäbe in Bosnien einzig die Republika Srpska und diese wiederum wäre untrennbar mit Serbien verbunden. Dem chronologischem Ablauf des Museums folgend, müssten die kommenden Räume die Zeit ab 1945 behandeln, bis zum Entstehen der Republik mit Kriegsende 1995. Gut so, dachte ich mir, lernst was. Stattdessen war der nächste Raum zugleich der letzte und darin nichts mit Tito oder Jugoslawien, sondern ausgestopfte Tiere, Raubvögel und Marder, Pflanzen und Bäume aus Plastik. Wir gingen die Kammer ab, vielleicht gab’s eine Tür, die weiterführt, vielleicht war der schnelle Abriss der hiesigen Flora und Fauna versehentlich hierher gerutscht. Doch nein, Ende. Also wieder zurück zum Eingang mit dem freundlichen Museumswärter, der hinter uns die Tür verschloss und uns durch die Glasscheibe nachwinkte.

Beim Fluss kamen wir am Büro einer Hilfsorganisation für Kriegsversehrte vorbei. Ein älterer Mann trat heraus und schnappte was von unserem Gespräch auf. Deutsch!, rief er erfreut und stellte sich als Duško vor, lang habe er in Hamburg gearbeitet, jetzt sei er Besitzer einer Kaffeerösterei hier ums Eck. Er hatte eine Handprothese, und weil wir vom Museum und den plakatierten Babyleichen noch ganz aufgewühlt waren, fragte Sara ihn gradewegs, wem er das zu verdanken habe. Ihm zum Beispiel, sagte Duško und deutete auf einen Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

He, Branko, rief unsere neue Bekanntschaft, he, Branko, wenn ich wieder in ein Lager gesperrt werde, wirst du mich besuchen, wenigstens dann, beim nächsten Mal? Branko strich sich übers Kinn, als würde er ernsthaft nachdenken. Weißt, rief er schließlich zurück, besuchen vielleicht nicht, aber ich werd dir jeden Tag einen Brief schreiben, jeden Tag, das verspreche ich dir, rief er, und beide, Duško und Branko, winkten sich lachend zu.

Ehe der Nachmittagsbus nach Sarajevo startete, spazierten wir über einen Soldatenfriedhof. Die meisten Begrabenen waren Mitte zwanzig, ein paar wenige schon sechzig oder älter. Wir versuchten die kyrillischen Schriften zu entziffern, zwei, drei der Toten waren russische Freiwillige. Am Rand mancher Gräber standen befüllte Schnapsgläser, auf der Vorderseite der schwarzen Marmorquader gewöhnliche Emaille-Porträts, Gesichter, wie man sie überall auf der Straße sieht. Auf der Rückseite der Grabsteine aber war ein jeder Toter zusätzlich auf Emaille-Bildern in Kriegspose abgebildet, von Kopf bis Fuß in Uniform, mit Pelzhut und Rauschebart wie der allererste Tschetnik. Sie saßen auf Panzern, hielten Granatwerfer oder Kalashnikovs, stemmten die Hände in die Hüften, selbstbewusst und herausfordernd. Nur einer sah ganz anders aus. Nicht mal neunzehn Jahre alt geworden, lehnte dieser Soldat in Shorts und ärmellosem T-Shirt an einem Zaun, die Schultern angezogen, seine Füße zeigten mit den Spitzen zueinander. Er lächelte schüchtern und wollte mit seiner verlegenen Haltung nicht zu den übrigen Darstellungen passen. Keine Ahnung, wer entscheidet, wie die Verstorbenen zu posieren haben, wer sie in Rambo-Manier oder als scheuen Jungen in Erinnerung behalten will. Jetzt im Nachhinein kommt es mir vor, als wären alle Überlebenden, alle Duškos und Brankos, wandelnde, atmende Grabsteine, auf den ersten Blick alltäglich, von einer Prothese oder Narben abgesehen, doch die Vergangenheit als Soldat oder Lagerinsasse sitzt ihnen im Nacken, lauert im Hintergrund.

Von Banja Luka fuhren wir durch die Vrbas-Schlucht, die erst eng heranrückt und sich dann in ein weitläufiges, von Wiesen und Wäldern durchsetztes Bergland öffnet, vorbei an Jajce, der auf einem Hügel errichteten Stadt mit dunklen Dächern, die von der Schnellstraße aus wie riesige futuristische Flügel wirkten. Wir querten Travnik, wo ein muslimischer Friedhof am Steilhang pickt und eine Welle weißer Pfeiler auf den Bus und die Häuser auf der anderen Straßenseite zu stürmen scheint, und ich starrte aus dem Fenster und war begeistert von all diesen Orten.

In Sarajevo das nächste Hostel, im Vergleich zu Banja Luka rappelvoll mit jungen Amis, an deren Handgelenken die Eintrittsbändchen sämtlicher globaler Musikfestivals vermoderten und die so Zeug faselten wie: You know, I am travelling the Balkans, und wenn man nachfragte, wo sie gewesen waren, nannten sie Dubrovnik und Split und als nächsten Stopp Athen, obwohl, vielleicht machen sie auch einen Abstecher zum Ohrid-See in Montenegro, Lonely Planet weist die Destination nämlich als Geheimtipp aus.

In Sarajevo waren Sara und ich mit Edo unterwegs, Teil der Partysani-Crew, die ich vor Beginn der Reise online kontaktiert hatte. Wir trafen uns an der Brücke, an der Gavrilo das österreichische Thronfolgerpaar erschossen hat; zeugt von Edos Geschichtsbewusstsein. Ihn begleitete ein Typ namens Atif, vierundzwanzig, sah aber um einiges älter aus, hatte ein richtig übles Gebiss und stand für ein paar Tschick Schmiere. Lebt auf der Straße, der Vater im Krieg gefallen und die Mutter viel Sliwo, viel Männer, stellte Edo ihn vor. Meine Hobbys sind Streetlife und Ficken, ergänzte Atif. Er hatte sich in einer Ruine oben am Berg einquartiert und nachts schlich er gern zum nahen Parkplatz, wohin Pärchen flüchten, wenn sie noch bei den Eltern wohnen und keinen ruhigen Ort zum Vögeln haben, hinterm Strauch hockte Atif und versuchte, durch beschlagene Autofenster etwas von der Action zu erkennen.

Wir klapperten den Bahnhof ab, eine Halle mit zwei, drei Cafés. Da gehst rein und sagst der Chefin, du willst Liebe, erklärte Atif, und sie wird ihre Mädchen anrufen, die sich drum kümmern. Abgesehen vom versteckten Puff sah es nicht aus, als würd hier viel passieren, die Bahnsteige verlassen und durchs Gestrüpp ein Pfad zu Lagerhäusern, dort die Spraydosen rausgeholt und gemalt, wegen der kalten Finger so schnell wie möglich. Später fragte Atif, ob ich auf Facebook mit ihm befreundet sein möchte. Klar, sagte ich zu. Wir gingen in den nächsten Handy-Shop, der Verkäufer ließ uns an den PC, und schon war’s erledigt. Die Fotos seines Profils zeigen Atif beim Fußball, Atif mit Kollegas in einem Park, Atif beim Shisha-Rauchen, nichts würd verraten, dass er obdachlos durch Sarajevo geistert.

Edo und Atif redeten wie Tiger oder das Mädchen vorm Club oft von Europa, der EU, dem Sternenkranz auf blauem Grund, als Geldgeber an Baustellen auf rostigen Schildern abgebildet. In ihrer eigenen Heimat können sie sich manchmal nicht frei bewegen, ein Muslim wird an einem orthodoxen Feiertag kein serbisches Viertel queren, ein Serbe kein muslimisches an einem islamischen, und für die Kroaten trifft das Gleiche zu.

Ich kenn keinen Bosniaken, der freiwillig nach Višegrad fahren und dort einen Fuß auf die alte Brücke setzen würd, sagte Edo, als ich ihm vom Mädchen erzählte, das wir in Banja Luka vor der Disko kennengelernt hatten. Von wegen Ivo Andrić, regte er sich auf, als ’92 der Krieg begann, haben die, die heut in Višegrad Tankstellenwart oder Filialleiter sind, auf der Brücke den Muslimen die Kehle durchgeschnitten und sie in die Drina geworfen, bis sich der Fluss vom Blut dunkel färbte.

Ich wollte wissen, ob der Krieg für ihn persönlich eine Rolle spielt. Nicht wirklich, erwiderte Edo. Obwohl, einmal hat er sich von einem Freund das Buch Seven Terrors ausgeliehen, einen Roman über die Nachkriegszeit und böse Djinns, den ihm der Freund schwärmerisch empfahl, und die ersten paar Seiten genügten, um ihn krank zu machen. Edo selbst war während des Krieges zu klein gewesen, um vom Geschehen viel zu kapieren, geblieben sind Fragmente, Einzelheiten wie Bewaffnete, die vorm Wohnhaus Stellung bezogen, oder der Keller, in dem er sich mit seinen Eltern versteckte, vor irgendetwas, irgendwem, und genau diese vagen Erinnerungen wurden lebendig, fielen mit einem starken, dunklen Gefühl über ihn her, als er in einem Roman zu lesen begann, der von dieser Zeit inspiriert war. Er erzählte, nicht mehr als das erste Kapitel geschafft zu haben, schon bekam er Kopfschmerzen und leichtes Fieber, seltsam, nicht?, das Buch rief etwas in Edo wach, das ihn zittrig machte, weshalb er seither jeden Roman und jeden Film meidet, der von den bosnischen 90ern handelt.

Eigentlich ist es mit Bosnien nicht anders als mit Graffiti, beide funktionieren nach strengen Regeln, die für Außenstehende schwer zu durchblicken sind. Heillos kompliziert sind die Verbindungen und Feindschaften, die ein verworrenes Netzwerk über ein Land spannen, in dem bereits dein Name verraten kann, ob du Kroate, Serbe oder Bosniake bist, und du dich dementsprechend verhältst.

Anisa, dass weiß ich von Sara, hat im Krieg neben ihrem Vater auch ihren damaligen Freund verloren, der Kontakt zerriss und kam nicht wieder zustande. Dieser Freund, vertraute Anisa Sara an, stammte aus einer serbischen Familie. Vor dem Krieg wäre sein familiärer Hintergrund kaum eine Erwähnung wert gewesen, seither aber ist es ein Detail in Anisas Vergangenheit, das sie zumindest ihren Verwandten in Bosnien verschweigt.

Wie sehr ich mich über so was wunder, darüber sprach ich heut Abend, noch bevor ich in den Schacht hinunterstieg, mit Vinz, meinem ehemaligen Schulkameraden, der mich zu den Ultras brachte. Hab mich echt gefreut, als er sich vor einigen Tagen bei mir meldete. Unverhofft poppte die Nachricht auf: Ich bin in Wien, hast Zeit auf ein Bier? Wir saßen vorhin am Westbahnhof, als wäre es nicht schon zwei, drei Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Er macht ein Praktikum in Albanien, an jeder Ecke gibt’s Admiral-Wettcafés oder Reisebüros mit Städtenamen vorn drauf, Paris Brindisi Salzburg Milano Graz London Berlin, ein dauerndes Versprechen von Freiheit, das ist Albanien, sagte er. In Tirana hat er sich lange Zeit allein und aufgeschmissen gefühlt, egal, ob im Büro der Bank-Zentrale oder in den Cafés und Restaurants. Er war unzufrieden, wegen des Jobs, der ungewohnt drückenden Hitze, bis ihn jemand um Feuer bat und er in das Gesicht eines jungen Mannes blickte: Bashkim. Seltsamerweise, sagte er, habe er kein schlechtes Gewissen. Bei Zärtlichkeiten, Arm in Arm einschlafen, da tat er sich schwer und dachte an seinen Freund Holger zu Haus in Wien, aber ansonsten, alles was Sex betraf, unbeschwert wie eine erste Liebe.

thinking of you makes me smile with little happy smileit also feels like my body remembered every touch of yours