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Andreas Speit (Hg.)

REICHSBÜRGER

Die unterschätzte Gefahr

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Editorische Bemerkung

Da sich der Begriff Reichsbürger im Alltagssprachgebrauch
durchgesetzt hat, haben sich Herausgeber und Verlag dafür entschieden,
ihn zum Zwecke der besseren Lesbarkeit durchgängig und ohne
Anführungszeichen zu verwenden, auch wenn uns bewusst ist,
dass darunter verschiedene Strömungen zu fassen sind und einige
Akteure aus der Szene ihn für sich selbst nicht verwenden.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, September 2017

entspricht der 1. Druckauflage vom September 2017

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; mail@christoph-links-verlag.de

Einbandgestaltung: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag,

unter Verwendung eines Fotos von Alex Foster

eISBN 978-3-86284-400-5

Inhalt

Andreas Speit

Reichsbürger – eine facettenreiche, gefährliche Bewegung
Einleitung

David Begrich und Andreas Speit

»Heiliges Deutsches Reich«
Reichsidee und Reichsideologie der extremen Rechten

Gabriela Keller

Sonnenstaat und Lichtgestalten
Begegnungen und Gespräche mit prägenden Figuren der Szene

Jean-Philipp Baeck

Wenn er König von Deutschland wär'
Peter Fitzek und sein Imperium in Wittenberg

Christa Caspar und Reinhard Neubauer

Reichsbürger contra öffentliche Verwaltung
Erfahrungen und Argumentationen in der praktischen Auseinandersetzung

Dirk Wilking

Reichsbürger in den Regionen
Die Auseinandersetzung mit Mischszenen auf der kommunalen Ebene

Carsten Janz und Andreas Speit

»Wir sind im Krieg«
Waffen innerhalb der Szene

Jan Rathje

Die vermeintlichen »Mächte im Hintergrund«
Antisemitismus im Milieu von Reichsbürgern, Selbstverwaltern und Souveränisten

Susann Bischof

Männersache?
Gender, Reichsbürgerinnen und Reichsbürger

Paul Wellsow

Kein Frühwarnsystem
Eine Spurensuche nach den Reichsbürgern in Verfassungsschutzberichten

Hinnerk Berlekamp

Die Reichsbürger, ein internationales Phänomen
Personen und Strukturen in Österreich und der Schweiz, Kanada und den USA, Australien und Neuseeland

Anhang

Literatur

Dank

Register der Organisationen, Institutionen und Parteien

Personenregister

Autorinnen und Autoren

Andreas Speit

Reichsbürger – eine facettenreiche, gefährliche Bewegung

Einleitung

Zwei Jahre Haft. Im bayerischen Memmingen verurteilte das Amtsgericht einen Reichsbürger wegen gefährlicher Körperverletzung. Der 73-jährige Rentner hatte 2016 bei einer Durchsuchung einen Polizeibeamten mit Pfefferspray so attackiert, dass dessen Haut nachhaltig geschädigt wurde. In einer baden-württembergischen Gemeinde nahe Künzelsau stellte die Polizei nach einer Razzia bei einem Reichsbürger Waffen und Munition sicher, da sie unter das Waffen-, das Kriegswaffenkontroll- und das Sprengstoffgesetz fallen. Den unfreiwilligen Tipp hatte der 60-Jährige selbst gegeben, als er in einem sozialen Netzwerk Bilder mit den Waffen einstellte. In der mecklenburg-vorpommerschen Landeshauptstadt Schwerin griff ein Reichsbürger einen Postbeamten an. Der Beamte hatte ihn gefragt, ob er ein Paket für den Nachbarn annehmen könnte. Prompt parkte der 40-Jährige den Postboten zu und schlug auf eine Scheibe des Transporters ein. Den Boten verletzte er. Mehrere Einsatzkräfte mussten anrücken, um bei dem in seine Wohnung geflüchteten Reichsbürger die Identität festzustellen, sodass ein Verfahren wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet werden konnte. Im nordrhein-westfälischen Hünxe forderte der Verein für bioenergetisches Leben von der Gemeinde eine »Leibrente« ein. Bei dem Verein fand unlängst eine Razzia wegen Verdachts der Nähe zur Reichsbürger-Idee und des Besitzes von illegalen Waffen statt.

Vier Vorfälle aus den ersten zwei Wochen des August 2017. In der Bundesrepublik hat sich die heterogene Bewegung der Reichsbürger etabliert. Die Bewegung mit sehr unterschiedlichen Akteuren expandiert und radikalisiert sich. Dieses Milieu mit mehr als 12 000 Anhängern hat viele Differenzen – politische und persönliche. Sie alle eint aber die Ideologie, dass ein deutsches Reich in den Grenzen von 1871, 1918 oder 1933 weiter bestehen würde und die Bundesrepublik kein völkerrechtlich anerkannter Staat, sondern vielmehr nach 1945 ein unsouveränes Staatskonstrukt der Alliierten oder eine Firma »BRD GmbH« entstanden sei.

Etwa 800 Anhänger der Reichsvorstellungen ordnet das Bundesinnenministerium der extremen Rechten zu. In einem vertraulichen Lagebericht für die Jahre 2016 und 2017 mit dem Titel »Reichsbürger/Selbstverwalter« schreibt das Bundeskriminalamt (BKA) 2017, dass diese Bewegung zur »äußersten Gewalt bis hin zu terroristischen Aktionen« bereit sei. Das BKA registrierte im Berichtszeitraum 13 000 Straftaten, 750 Delikte waren Gewalttaten. Über 700 Taten richteten sich gegen Mitarbeiter von Behörden.

Militanz

Seit dem 19. Oktober 2016 betrachten Staatsapparat und Sicherheitsorgane die Reichsbürger-Bewegung anders. Seit diesem Tag ist in Politik und Medien diese Bewegung auch kein randständiges Phänomen mehr. An jenem Mittwochmorgen gab Wolfgang Plan im bayerischen Georgensgmünd aus einem Hinterhalt elf Schüsse durch eine teilverglaste Wohnungstür auf Polizeibeamte ab. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei sollte dem Reichsbürger wegen seiner staatsfeindlichen Einstellung 31 legale Waffen abnehmen. Beim Erstürmen des Gebäudes schoss der Jäger mit einer Pistole. Eine Kugel traf einen 32 Jahre alten SEK-Beamten in die Lunge, woran er verstarb. Einen weiteren Polizeibeamten verletzte Plan schwer und zwei Beamte leicht. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hatte der 49-Jährige mit dem Polizeieinsatz gerechnet und sich vorbereitet. Durch das geriffelte Glas der Tür hätte er die Polizisten schemenhaft erkennen können, ganz gezielt sei geschossen worden. Die Staatsanwaltschaft erhob im April 2017 Mordanklage, geht sie doch von den Mordmerkmalen Heimtücke und niedere Beweggründe aus.

Der tödliche Schuss änderte die gesamte Wahrnehmung. Nicht alle Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten hängen einer geschlossenen extrem rechten Ideologie an. Die staatlichen Reaktionen und auch die mediale Resonanz auf die Tat von Plan spiegelten aber eine gesellschaftliche Entwicklung wider, die Beratungsstellen von Opfern rechter Gewalt schon länger beklagt hatten. Für das Jahr zuvor schätzte das Bundesinnenministerium die rechtsextreme Szene auf 12 100 Anhänger, wovon mehr als die Hälfte potenziell gewaltbereit sei. »Der höchste Stand, seit diese Zahl statistisch erfasst wird«, bekannte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). »Dies schlägt sich auch in den Zahlen rechtsextremistischer Gewalttaten des Jahres 2016 nieder.« Sie stiegen nach der besonders starken Zunahme im Jahr 2015 weiter auf 1600 an, so de Maizière am 4. Juli 2017 bei der Vorstellung des Bundesverfassungsschutzberichts 2016.

Doch die alltägliche Gewalt gegen Andersdenkende, wozu auch Übergriffe von Reichsbürgern gehören, findet nach Einschätzung der Opferberatungen keine ausreichende Beachtung in der Öffentlichkeit, obwohl die Taten spürbar brutaler geworden sind. In den Beratungsnetzwerken für Demokratie und in den Expertenkreisen zu Rechtsextremismus wurde schon länger darauf hingewiesen, dass die Reichsbürger-Bewegung aller Erfahrung nach nicht beim »Papierterrorismus« stehen bleiben würde. Reichsbürger fielen nicht nur dadurch auf, dass sie ihre Personalausweise abgaben oder Behördenpost ungeöffnet zurücksandten. Sie griffen Behördenmitarbeiter auch verbal und körperlich an. Nicht wenige Gerichtsvollzieher und Polizeibeamte sind bereits verletzt worden. Im Februar 2012 hatte beispielsweise die Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen Drohbriefe an Moscheen und jüdische Gemeinden verschickt, in denen sie »alle raum-, wesensund kulturfremden Ausländer in Deutschland, insbesondere (…) Türken, Muslime und Negroide«, zur Ausreise aufforderten und zugleich drohten, die Zuwiderhandelnden nach der gesetzten Frist standrechtlich zu erschießen. Auf ihrer Website konnte man den Brief nachlesen. Doch die gesamte Bewegung wurde lange Zeit von den Behörden als Ansammlung von Spinnern und Verrückten abgetan, das Gefahrenpotenzial nicht erkannt.

Personal

Pathologisierung einer politischen Bewegung führt erfahrungsgemäß zu einer Relativierung ihrer Ideologien, Radikalität und Etablierung. Längst finden sich aber heute Anhänger der verschiedenen Reichsideen auch in der Mitte der Gesellschaft – vom Polizeibeamten bis zum Anthroposophen. In Süddeutschland ermittelte im Fall von Wolfgang Plan die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth auch gegen einen Polizeikommissar, der per Handy-Chat-Gruppe Kontakt zu dem Reichsbürger gehabt haben soll. Sie hält dem 51-jährigen Beamten vor, Plan gekannt und die Polizei nicht vor dessen Gefährlichkeit gewarnt zu haben. Insgesamt zehn Disziplinarmaßnahmen leitete das bayerische Innenministerium inzwischen gegen Polizeibeamte wegen deren Nähe zur Reichsbürger-Bewegung ein. Einzelne besaßen Reichsbürger-Ausweise, in denen »Königreich Bayern« oder »Königreich Sachsen« als Geburtsorte angegeben waren.

Im hohen Norden trennte sich die Freie Waldorfschule Rendsburg von einem Mitarbeiter der Schulverwaltung. Am 18. September 2014 suspendierte der Vorstand den Geschäftsführer, da er seine Beziehungen zur Reichsbürger-Bewegung »nicht überzeugend« ausräumen konnte. Über Wochen belasteten die Kontakte des ansonsten geschätzten Kollegen zur Gruppe Neudeutschland und zum Deutschen Polizei Hilfswerk die Stimmung an der Schule mit anthroposophischer Ausrichtung. Im April 2015 bestätigte das Arbeitsgericht Kiel die fristlose Kündigung. Nach der erzielten Einigung muss die Waldorfschule dem 61-Jährigen allerdings 17 666 Euro Abfindung zahlen. Erfolglos hatte der ehemalige Geschäftsführer versucht, im Gerichtsprotokoll aufnehmen zu lassen, dass die Vorwürfe »nicht weiter aufrechtgehalten« würden.

Eine gesamtdeutsche Studie zur Personalstruktur der Reichsbürger-Bewegung liegt bisher nicht vor. Eine Erhebung in Brandenburg, basierend auf polizeibekannten 121 Reichsbürgern, ergab allerdings, dass 80 Prozent Männer und 20 Prozent Frauen in der Bewegung vertreten sind. Das Durchschnittsalter liegt bei 50 Jahren. Zwei Drittel bewegen sich in der Altersspanne von 39 bis 60 Jahren. »Der Anteil alleinstehender, sozial isolierter Personen ohne Arbeit bzw. im Ruhestand oder Vorruhestand scheint deutlich erhöht«, schreibt Jan-Gerrit Keil 2015 unter dem Titel »Zwischen Wahn und Rollenspiel« in dem Handbuch »Reichsbürger«, herausgegeben von Dirk Wilking. In der Bewegung seien zugleich auch Ehepaare und familiäre Dyaden (z. B. Vater und Sohn oder Brüder) vertreten. 70 Prozent der polizeibekannten Anhänger waren zuvor strafrechtlich nicht aufgefallen.

Inspirateure

Die Daten sind ernüchternd. Die Sehnsucht nach dem untergegangenen Deutschen Reich ist aber noch immer bei vielen vorhanden. Schon bald nach der Niederlage des Nazi-Reiches am 8. Mai 1945 propagierten extrem Rechte den Fortbestand des Reiches und gründeten entsprechende Parteien, die teilweise jedoch wieder verboten wurden. Eine nachhaltige Wiederbelebung des Reichsgedankens erfolgte am 12. September 1985. An diesem Tag übergab Wolfgang Gerhard Günter Ebel aus Berlin-Zehlendorf nach eigenen Angaben dem Regierenden Bürgermeister von Berlin eine von ihm selbst formulierte Ernennungsurkunde. Der ehemalige Reichsbahn-Fahrdienstleiter ernannte sich darin zum »Generalbevollmächtigten des Deutschen Reiches«, was die Ämter des »Reichskanzlers« und des »Reichspräsidenten« des 2. Deutschen Reichs, also der Weimarer Republik, mit einschloss. Am Briefkasten am Gartenzaun seines Reichsbahn-Häuschens am Königsweg brachte er die Aufschrift an: »Kommissarische Reichsregierung (KRR). Der Reichskanzler. Wolfgang Gerhard Günter Ebel«. Auf dem Anrufbeantworter meldete sich eine Stimme mit den Worten: »Büro der Kommissarischen Reichsregierung. Provisorischer Amtssitz des Reichskanzlers. Wenn Sie eine Nachricht hinterlassen wollen, melden Sie sich bitte mit Namen, Dienststelle und Datum.« Angeblich sei der 1939 Geborene von der britischen Besatzungsmacht für dieses Amt bestimmt worden. Als dies später von London bestritten wurde, berief er sich auf die »Hauptsiegermacht« USA. Dem US-amerikanischen Stadtkommandanten hatte er seine Sicht der Dinge per Einschreiben mit Rückschein geschickt. Da innerhalb von 21 Tagen kein Widerspruch gekommen war, sah der »Reichskanzler« seine Ansprüche und Anträge als genehmigt an. Bis heute eine gängige Praxis in der Bewegung. Ebel, der 1980 nach einem S-Bahn-Streik seine Anstellung verloren hatte, erfand als »Reichskanzler« eine neue Einnahmequelle, die auch andere Reichsbewegte bis heute nutzen: Er bot gegen Geld Personalausweise, Reisepässe, Führerscheine und weitere Papiere an, die angeblich alle rechtsgültig seien. Eine Staatsbürgerschaftsurkunde gab es für 20 Euro, für einen Reichspersonalausweis und ein Kfz-Kennzeichen verlangte er anfangs 40, später bis zu 100 Euro. Für die Teilnahmegebühr von 250 Euro hielt er Lehrgänge zum »reichsrechtlichen Rechtsbeistand« ab. Zudem betrieb er einen »Reichsgerichtshof«, der per Post gegen Beamte und Gegner Haftstrafen und Todesurteile aussprach.

Mit dem Bezug zur Weimarer Republik begründete Ebel die Nichtanerkennung der aktuellen deutschen Grenzen. In seinem Büro hing eine Deutschlandkarte in den Grenzen zwischen 1919 und 1933. Er wusste auch, wer Deutschland und die Welt in Wirklichkeit regiere: »Amerika hat den Staat Deutsches Reich beschlagnahmt. Hinter Amerika steht die geheime Weltregierung. Wer die geheime Weltregierung ist, das weiß man ja. (…) Der Präsident, der sitzt in Israel!«

Mit dem Internet gewann Ebel mehr Resonanz. Um die 100 Anhänger soll die KRR nach Recherchen der »taz« im Jahr 2000 gehabt haben. Doch im Jahr 2008 musste Ebel seinen vermeintlichen Amtssitz aufgeben – er wurde zwangsgeräumt.

Vier Jahre zuvor war eine Strafanzeige gegen Ebel wegen Betrugs eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen hatte ihn am 24. Juni 2004 für schuldunfähig erklärt, da seine »Aktivitäten für die sogenannte Kommissarische Reichsregierung die Ausprägung einer geistigen Erkrankung« seien. Ebel, der seine Aktivitäten immer gut zu vermarkten wusste, prägte über längere Zeit das Bild der Reichsbürger. Die Einstufung seiner Schuldunfähigkeit dürfte die pauschale Einschätzung der Bewegung als verschroben befeuert haben. Ebel verstarb mit 75 Jahren am 29. Dezember 2014. Seine geistigen Nachfolger trieben nicht nur die Ideologie des Reiches voran, sie begannen auch, die Konfrontation mit dem Staat zu suchen, dessen Legitimität sie nicht anerkannten.

Projekte

Bereits zu Lebzeiten musste der »Reichskanzler« mit ansehen, dass Abtrünnige neue Regierungen gründeten, darunter Norbert Schittke seine Exilregierung Deutsches Reich oder Volker Ludwig die Kommissarische Reichsregierung (KRR). Viele der späteren Reichsregierungen sind Abspaltungen von der KRR, wobei sie Titel, Argumentationen und Aktionsformen übernommen haben. Inzwischen hat sich ein äußerst heterogenes Spektrum herausgebildet, das feste Organisationen, zeitweilige Projekte, locker strukturierte Unterstützergruppen und eigene Medien umfasst. In den vergangenen Jahren fielen unter anderem die folgenden Projekte auf (in alphabetischer, nicht historischer Abfolge):

• Amt für Menschenrechte

• Arbeitsgemeinschaft Staatlicher Selbstverwaltungen

• Aufbruch Gold-Rot-Schwarz

• Bewusst TV (Johannes »Jo« Conrad)

• Das Deutschlandprojekt

• Der Honigmann (Webblog, Ernst Köwing)

• Deutsche Nationalversammlung (Partei)

• Deutsche Pressestelle für Völkerrechte und Menschenrechte

• Deutsches Kolleg

• Deutsches Polizei Hilfswerk (Volker Schöne)

• Europäische Aktion

• Exilregierung Deutsches Reich (Norbert Schittke)

• Freistaat Preußen (Rigolf Hennig)

• Geschäftsführende deutsche Reichsregierung

• Interim Partei Deutschland Das Reich

• Kommissarische Reichsregierung, 2tes Deutsches Reich, Amtierende Reichsregierung (Wolfgang Gerhard Günter Ebel)

• Königreich Deutschland, Neudeutschland, Lichtzentrum Wittenberg (Peter Fitzek)

• Neue Ordnung

• Recht und Wahrheit (Meinolf Schönborn)

• Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen

• Reichsbewegung, Völkische Reichsbewegung (Horst Mahler, Sylvia Stolz)

• Republik Freies Deutschland, Freies Deutschland (Peter Frühwald)

• Runder Tisch Berlin

• Selbstverwaltung Thomas Patzlaff

• Staat Germanitien

• Staat Ur

• Staatenlos.info, Der blaue Punkt (Rüdiger Klasen – früher Hoffmann)

• Unglaublichkeiten Neuschwabenland Forum (Dr. Axel Stoll)

• Vereinigung Einiges Deutschland

• Volksbundesrat

• Volksdeutschland

Einzelne Akteure streiten ab, Reichsbürger zu sein oder zur Bewegung zu gehören. »Wir sind keine Reichsbürger. Wir sind Regimekritiker«, erklärte so auch Rüdiger Hoffmann vom Verein Staatenlos.info. Man nenne sie nur »Reichsbürger«, weil sie die »wirklichen Fragen« stellen. »Wenn Frieden Krieg ist, Umweltschutz Naturzerstörung und Aufklärung keine Aufklärung, dann muss nachgefragt und nachgefasst werden«, so Hoffmann, der in juristischen Verfahren gegen ihn »nationalsozialistisches Vorgehen« erkennen will, »weil man im Dritten Reich die Juden genauso angegangen ist«. Hoffmann, der früher Klasen hieß und beim Neuen Forum und später bei der NPD aktiv war, will anhand »interner Dokumente« eine »geheime staatsrechtliche Weiterführung des 3. Reichs von Adolf Hitler durch dessen Rechtsnachfolger Bundesrepublik Deutschland« beweisen können.

Reichsbürgernah will auch nicht die Vereinigung Einiges Deutschland sein. Am 25. Juli 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Vereinigung nicht zur Bundestagswahl im September des Jahres kandidieren durfte. Die Karlsruher Richter des Zweiten Senats verwiesen darauf, dass die Vereinigung um Uwe Knietzsch notwendige Dokumente nicht vorgelegt habe, da sie denken würde, dass die Haager Landkriegsordnung von 1899 zur Regelung des Landkrieges auch zu Friedenszeiten rechtsgültig sei. Schon vor der Entscheidung erklärte die Vereinigung auf ihrer Website, dass die »Aussage der Lügenpresse«, wonach »Einiges Deutschland der ›Reichsbürgerbewegung‹ nahesteht«, falsch sei.

Unabhängig davon, wer sich selbst subjektiv zu den Reichsbürgern rechnet und wer nicht, werden in der Fachliteratur gegenwärtig vier Milieus rund um die Reichsideologie idealtypisch ausgemacht:

1. Rechtsextreme, die seit 1945 verschiedene Reichsideen in der Tradition des Kaiserreichs, der Weimarer Republik oder des Dritten Reiches vertreten,

2. Reichsbürger, die eine eigene, heutige Reichsregierung propagieren,

3. Selbstverwalter, die als »souveräne Menschen« unabhängige Reiche oder Staaten gründen,

4. Souveränisten, die die Bundesrepublik nicht als souveränen Staat anerkennen und sich für ein anderes, souveränes Deutschland einsetzen.

Grenzgänge(r)

Diese idealtypische Klassifizierung schließt nicht aus, dass Positionen sich überlagern und widersprechen, Personen von einem Spektrum ins andere wechseln können. Bei den Akteuren gibt es Grenzgänger, die Ansichten aus den verschiedenen Milieus vertreten. Auch Prominente aus der Mitte der Gesellschaft hängen diesen Ideen an. Seit Jahren irritiert beispielsweise der Musiker Xavier Naidoo mit politischen Statements. Im Oktober 2011 überraschte er im ARD-»Morgenmagazin« mit der Aussage, dass Deutschland ja »noch keinen Friedensvertrag« habe und »dementsprechend auch kein echtes Land und nicht frei« sei. 2014 sprach der Popstar in Berlin am Tag der Deutschen Einheit bei einer rechtspopulistischen Kundgebung erneut davon, dass die Bundesrepublik kein souveräner Staat, sondern von den USA besetzt sei, und rief zum Widerstand auf. »Freiheit für Deutschland« prangte auf seinem T-Shirt. Im Mai 2017 befeuerte der Musiker als Mitglied der Band »Söhne Mannheims« wieder eine Debatte um die Nähe zur Reichsbürger-Ideologie. In dem Song »Marionetten« geht es um deutsche Volksvertreter, und Naidoo singt dazu im Refrain:

»Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein?

Seht ihr nicht? Ihr seid nur Steigbügelhalter

Merkt ihr nicht? Ihr steht bald ganz allein

Für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter

Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein?«

Und die Band intoniert weiter:

»Teile eures Volkes nennen euch schon Hoch-

beziehungsweise Volksverräter

Alles wird vergeben, wenn ihr einsichtig seid

Sonst sorgt der wütende Bauer mit der Forke dafür,

dass ihr einsichtig seid

Mit dem Zweiten sieht man besser.

(…)

Und bei näherer Betrachtung steigert sich doch das Entsetzen

Wenn ich so ein’n in die Finger krieg’, dann reiß’ ich ihn in Fetzen

Und da hilft auch kein Verstecken hinter Paragraphen und

Gesetzen«.

Bereits nach der Kritik an seiner Rede 2014 sagte Naidoo in einem Interview mit dem Südwestrundfunk, dass er sich als »Systemkritiker« betrachte und auf alle Menschen zugehen wolle, ob sie nun Reichsbürger seien oder Mitglieder der NPD. Die negative Reaktion auf den Song bewegte Naidoo zu erklären, dass es sich bei dem Lied um »eine zugespitzte Zustandsbeschreibung gesellschaftlicher Strömungen« handele, »also um die Beobachtung bestimmter Stimmungen, Auffassungen und Entwicklungen«, die er im Rahmen einer künstlerischen Auseinandersetzung bewusst überzeichnet habe. »Das mag missverständlich gewesen sein«, räumte der 45-Jährige ein.

Positionen

Das Fundament der Reichsideologie bilden sechs vermeintliche Argumentationen. In unterschiedlichen Variationen greifen die Milieumacher und Anhänger auf sie zurück. Die Amadeu Antonio Stiftung hat sie knapp umrissen – und überprüft:

1. Das Grundgesetz (GG) sei keine Verfassung. Auf den Artikel 146 GG wird sich gern bezogen: »Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.« Das Argument gegen die Verfassung greift nicht. Die Alliierten forderten nach 1945 explizit eine verfassungsgebende Versammlung, wofür die Form des Parlamentarischen Rates gewählt wurde. Die Namenswahl Grundgesetz und der Artikel 146 waren der Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland geschuldet. Die Wortwahl machte für die Alliierten keinen rechtlichen Unterschied. Sie genehmigten die erstellte »constitution« – als Verfassung.

2. Das Grundgesetz beruhe auf keiner »direkten demokratischen Legitimation«. Dieses Argument trifft zu, wenn man die Legitimation ausschließlich als Volksabstimmung (Referendum) versteht. Dies ist aber für eine Verfassung nicht zwingend notwendig. Eine indirekte Legitimation war durch die Mitglieder des Parlamentarischen Rates gegeben, denn die Delegierten waren demokratisch gewählte Landtagsabgeordnete aus den Jahren 1945 bis 1948.

3. Das Grundgesetz sei nicht mehr gültig, »da sein Geltungsbereich zusammen mit dem Artikel 23 GG der alten Fassung aufgehoben wurde«. Am 17. Juli 1990 soll US-Außenminister James Baker die Bundesregierung angewiesen haben, den Artikel 23 GG – räumlicher Geltungsbereich des GG/Der Bund und die Länder – in der damaligen Fassung aufzuheben, damit wäre auch das GG insgesamt aufgehoben worden. Dieses Argument stimmt nicht. Die Aufhebung erfolgte wegen der sich anbahnenden Vereinigung der Deutschen Demokratischen Republik mit der Bundesrepublik Deutschland. In Paris fand am 17. Juli 1990 ein Vorverhandlungstreffen zum Zwei-plus-vier-Vertrag statt, der die Zustimmung der vier alliierten Siegermächte zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten regelte. Diesen Staatsvertrag handelten die Bundesrepublik Deutschland und die DDR sowie Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten von Amerika aus und regelten darin alle völkerrechtlichen Fragen in Bezug auf Deutschland.

Verfassungen könnten im Übrigen aber auch ohne räumlichen Geltungsbereich gültig sein, und die sogenannte Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes sichert dieses zusätzlich ab.

4. Die Bundesrepublik sei nicht souverän und weiterhin besetzt. Das Argument greift nicht. Die Souveränität der DDR und der BRD ist seit 1954 durch eine Erklärung der UdSSR gegenüber der DDR und den Deutschlandvertrag der BRD mit den drei alliierten Westmächten 1955 gegeben. Mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag ist die Bundesrepublik spätestens seit 1990 ein souveräner Staat.

5. Deutschland habe keinen Friedensvertrag. Zwei Varianten werden vorgetragen. Einerseits wird auf den Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg verwiesen, den der US-Kongress nicht ratifiziert hat. Mit den USA befinde sich Deutschland folglich noch im Krieg. Das Argument ist richtig und falsch zugleich. Zwar ist der Versailler Vertrag in der Tat nicht ratifiziert worden, doch 1921 haben die USA und das Deutsche Reich einen Separatfrieden abgeschlossen. Zum anderen wird angeführt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg kein Friedensvertrag abgeschlossen worden ist. Dieses Argument ist zwar richtig, aber unbedeutend, denn die Alliierten haben einseitige Friedenserklärungen abgegeben, und durch den Zwei-plus-vier-Vertrag 1990 ist ein gesonderter Friedensvertrag zwischen der Bundesrepublik und den früheren Alliierten obsolet geworden.

6. Die Bundesrepublik sei eine Firma, man könne sie als »BRD GmbH« sogar in Firmenverzeichnissen finden. Dieses Argument greift nicht. Die Behörden von Bund, Ländern, Kommunen und die Verfassungsorgane sind zwar in Firmenverzeichnissen zu finden, aber das nur, weil sie zugleich auch Akteure im Wirtschaftssystem sind. Sie unterliegen den allgemeinen rechtlichen Regeln genau wie Unternehmen.

Dass der Personalausweis im Namen den Begriff »Personal« führt, sei ebenso ein Beleg dafür, dass die Inhaber Personal eines Unternehmens seien. Dieses Argument verfängt nicht. Das Wortfragment »Personal« bezieht sich auf die angegebenen Personalien im Ausweis.

Buchüberblick

In dem vorliegenden Sammelband stellen die Autorinnen und Autoren diese Argumentationsmuster und -varianten detailliert vor und widerlegen sie exemplarisch bei der Behandlung zentraler Personen und Projekte der Bewegung.

Im Kapitel zum »Heiligen Deutschen Reich« skizzieren David Begrich und Andreas Speit die Reichsideen und -ideologien der extremen Rechten. Hier werden das Deutsche Kolleg und die Europäische Aktion genauso vorgestellt wie die Gruppierung Recht und Wahrheit, Horst Mahler und Rigolf Hennig. Ein historischer Exkurs offenbart die Relevanz des Reiches auch als ein Sehnsuchtsort.

Gabriela Keller schildert im Kapitel »Sonnenstaat und Lichtgestalten« ihre Begegnungen mit Thomas Patzlaff und Thomas Mann sowie mit Jo Conrad und Peter Frühwald. Sie stellt deren Projekte vor und hinterfragt die vertretenen Positionen. Deutlich werden die ideologischen Gemeinsamkeiten trotz unterschiedlicher Aussagen herausgearbeitet.

Im Kapitel »Wenn er König von Deutschland wär’« hinterfragt Jean-Philipp Baeck die Aktivitäten Peter Fitzeks, den vor Kurzem ein Gericht zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilte. Lange konnte er ungestört ein Imperium mit eigenem Geld, eigener Bank und eigener Gesundheitsversicherung betreiben. Dessen ideologische Kontexte, die bis zu äußerst rechten Ressentiments reichen, werden hier sichtbar.

Christa Caspar und Reinhard Neubauer berichten in ihrem Beitrag über Rechtsstreitigkeiten der Reichsbürger mit diversen Verwaltungen. Sie zeigen zugleich konkrete Handlungsmöglichkeiten und Rechtswege für die öffentlichen Verwaltungen auf. Die konkreten Verweise auf Gerichtsentscheidungen und jüngste Urteile in den Fußnoten geben dem Text den Charakter von Praxistipps.

Im Kapitel über Reichsbürgeraktivitäten in den ländlichen Regionen schildert Dirk Wilking die Auseinandersetzung mit schwierigen Mischszenen auf der kommunalen Ebene Brandenburgs. Dabei werden zugleich die Beziehungen von Reichsbürgern zur AfD über Pegida bis zur NPD beleuchtet.

Carsten Janz und Andreas Speit beschreiben im Kapitel »Wir sind im Krieg« nicht bloß die Präsenz von Waffen in der Szene. Sie hinterfragen auch die Einschätzung der Sicherheitsorgane. Der »Druide Burgos von Buchonia« und der Gründer des Staates Ur werden vorgestellt. Näher eingegangen wird auf das Deutsche Polizei Hilfswerk mit seinen gewalttätigen Aktionen.

Im Kapitel über die »vermeintlichen Mächte im Hintergrund« greift Jan Rathje die antisemitischen Positionen in der Bewegung auf. Er belegt, dass diese Ressentiments in dem Milieu nicht randständig sind, sondern ein zentrales Strukturelement der Ideologie bilden.

Susann Bischof stellt im Kapitel »Männersache? Gender, Reichsbürgerinnen und Reichsbürger« die Rolle von Frauen in den Netzwerken exemplarisch vor. Sie hinterfragt die Werte und Vorstellungen der Bewegung zwischen der Selbstausrufung einer harmonischen Gemeinschaft und der Sorge um sexuelle Früherziehung bis hin zum Recht, die eigene Familie auch mit Gewalt zu schützen.

Für das Kapitel »Kein Frühwarnsystem« hat sich Paul Wellsow auf die Spurensuche nach den Reichsbürgern in den Verfassungsschutzberichten gemacht. Eine äußerst ambivalente Wahrnehmung der Geheimdienste wird sichtbar. Er kann nachweisen, dass die von den Reichsbürgern ausgehende Gefahr über lange Zeit unterschätzt wurde. In der Reflexion greift Wellsow die behördliche Klassifizierung »Rechtsextremismus« auf, wobei sie zugleich als problematisch verhandelt wird.

Hinnerk Berlekamp schaut in seinem Kapitel über die bundesdeutschen Grenzen hinweg, benennt dabei besonders Personen und Projekte in Österreich und der Schweiz. Er geht außerdem auf die »Freie Männer«-Bewegung in den USA ein, schaut nach Skandinavien und nach Australien.

In den Kapiteln schwingt immer mit: Ein Dialog auf Augenhöhe ist bei den Anhängern der fundamentalistischen Reichsideologie schwierig. Die Konstruktion einer vermeintlich gegen Deutschland und die Deutschen gerichteten Verschwörung führt zu der Selbstüberhöhung, einer besonderen Gruppe anzugehören, die Einsichten in Zusammenhänge hat, welche anderen verborgen bleiben, weshalb es gleichwertige Gespräche kaum geben kann.

Ein gesellschaftliches Ignorieren der Reichsbürger ist allein schon wegen ihres verstärkten radikalen Agierens fahrlässig. Die Bewegung sucht die politische Auseinandersetzung, umso mehr sollten ihre politischen Intentionen bekannt sein, um ihnen offensiv begegnen zu können. In Schleswig-Holstein hat das Innenministerium eine kreative Verwaltungsidee erlassen. Durch eine Rechtsverordnung hat das Ministerium für die Verwahrung noch gültiger Ausweise eine Gebühr von fünf Euro pro Tag eingeführt. Knapp 70 Prozent der Abgabewilligen nahmen ihre Personalausweise oder Reisepässe wieder mit. Eine behördliche Maßnahme, die die Reichsbürger verstimmt. Die Selbsterhebung zum »Souverän«, die auch eine Selbstermächtigung ist, geht aber dennoch in ein vermeintliches Selbstverteidigungsrecht gegen den angeblich unrechtmäßigen Staat über. Eine weitere Radikalisierung ist in der Reichsideologie angelegt.

David Begrich und Andreas Speit

»Heiliges Deutsches Reich«

Reichsidee und Reichsideologie der extremen Rechten

»Solidarität ist eine Waffe! Freiheit für alle Nationalisten«, steht auf dem in Hell- und Dunkelblau gehaltenen Transparent. Bei strahlendem Sonnenschein hat sich die NPD »spontan« vor dem Honorargeneralkonsulat der Republik Ungarn in nobler Hamburg-Lage positioniert. Am Alsterufer Höhe Nummer 45 stellte sich die kleine Gruppe auf. Der Landesvorsitzende Lennart Schwarzbach hält ein selbst gemaltes Plakat hoch. Dessen Botschaft, schwarz auf weiß, erklärt, warum die älteste rechtsextreme Partei Deutschlands vor dem Konsulat aufgelaufen ist: »Freiheit für Horst Mahler«, prangt dort. Wenige Tage vorher, am 15. Mai 2017, war bekannt geworden, dass der Rechtsextremist, der den Holocaust leugnet und der Reichsidee anhängt, in Ungarn in Haft sitzt. In Sopron, gleich hinter der österreichischen Grenze, war der 81-Jährige an diesem Montag gegen 8:40 Uhr festgenommen worden.

Im Internet hatte Mahler verkündet, bei dem »Führer der Ungarischen Nation, Viktor Orbán, (…) als politisch Verfolgter Asyl« erbitten zu wollen. Im Vertrauen »auf den Freiheitssinn des Volkes der Ungarn lege ich mein Schicksal in die Hände seiner Regierung«. Mit seiner Politik gegen Geflüchtete ist Orbán ein neuer Hoffnungsträger der Rechten. Schon am Montagmorgen hatte Ungarns Regierungssprecher Zoltán Kovács allerdings erklärt, dass es »rechtlich ausgeschlossen« sei, dass Mahler Asyl erhalte. Dies sei unmöglich, da er aus einem anderen EU-Staat komme. Einen Asylantrag habe Mahler bisher auch nicht gestellt. Zügig wurde der Rechtsanwalt, der eigentlich die Rechtslage kennen müsste, zurück nach Deutschland gebracht.

Die deutschen Behörden hatten Mahler mit einem europäischen Haftbefehl gesucht. Knapp vier Wochen lang war er untergetaucht. Ohne Hilfe? Am 19. April sollte er erneut seine Haft in der JVA Brandenburg an der Havel antreten. Aber er erschien nicht. Seit 2009 saß er dort wegen wiederholter Leugnung des Holocaust ein. 2015 wurde er wegen seines Gesundheitszustandes von der Haft verschont. Mahler ist schwer an Diabetes erkrankt, der linke Unterschenkel musste amputiert werden. Im September desselben Jahres entschied die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam, dass Mahler wegen seines Gesundheitszustandes nach Verbüßung von zwei Dritteln der zehnjährigen Haftstrafe auf Bewährung freikommen könne. Die Staatsanwaltschaft München legte Beschwerde ein. Mit Erfolg, das Oberlandesgericht Brandenburg hob im Januar 2016 die Strafaussetzung auf Bewährung auf. Das Gericht folgte damit der Staatsanwaltschaft, die Mahler eine »verfestigte kriminelle Persönlichkeitsstruktur« bescheinigte.

Die Aussetzung der Haft hatte er zwischenzeitlich genutzt, um in Ludwigshafen einen Vortrag zu halten. Am 9. April empörte er sich: »Wir lassen uns von den Juden auf der Nase herumtanzen, uns ein schlechtes Gewissen einreden mit Auschwitz.« Er rechnete vor: »Wenn ihr 6 Millionen Juden als ermordet anmeldet, um uns ein Schuldgefühl einzuimpfen, dann müßte man eine Gegenrechnung machen, daß schon allein die Entvölkerung Afrikas im Wege des Sklavenhandels – das war ein jüdisches Geschäft – Afrika im Mark zerstört hat. Es waren 11 Millionen Menschen, die man da herausgerissen und in die Neue Welt geschafft hat.« Die Rede hat »nordland.TV« online gestellt. Das Portal betreibt der niedersächsische NPD-Vorsitzende Manfred Dammann. In der Rede würdigt Mahler einen Menschen ganz besonders: »In der Person von Adolf Hitler« hätte Deutschland jemanden gehabt, der die Gefahr der »Umvolkung« erkannt und »einen Schutz dagegen entwickelt« habe. Um diesen Widerstand zu »vernichten, haben die Juden die Mächte der Welt gegen Deutschland geführt«. Die »Umvolkung«, das hätte er schon vor 15 Jahren erkannt, sei die »Waffe zur Vernichtung des Deutschen Reiches«.

»Denkorgan des Deutschen Reiches« – Deutsches Kolleg

Die Sorge um das Reich treibt Mahler schon länger um. 1994 gehörte er zu den Akteuren des Deutschen Kollegs, die das »Vierte Reich« errichten wollten. Schon früh forcierte er zusammen mit Reinhold Oberlercher nicht bloß eine Reichsidee. Sie hatten auch bereits für das Kolleg eine Fahne für sich wiederentdeckt, die später mit Pegida bekannter wurde: die Wirmer-Flagge mit einem leicht nach links stehenden schwarzen Kreuz mit goldener Umrandung auf rotem Grund. Die Fahne geht auf den Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, Josef Wirmer, zurück. Anton Wirmer, der Sohn von Josef Wirmer, zeigte sich am 3. August 2015 gegenüber »Spiegel Online« entsetzt. Sein Vater, Jurist und Zentrumspolitiker, wurde nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler von dessen Gefolge hingerichtet. »Es ist im Grunde die Verdrehung all der Ideen, die seine Flagge darstellt«, sagte er und betonte: »Die Wirmer-Fahne steht nicht für einen abstrakten Widerstandsbegriff. Sie steht vor allem für eine freiheitliche und tolerante Gesellschaft.«

Das Kolleg mit dem Beititel »Schwert und Schild des Deutschen Geistes« ging aus einem Lesekreis der »Jungen Freiheit« hervor. In Berlin fanden um die neurechte Wochenzeitung Reinhold Oberlercher, Uwe Meenen und Mahler zusammen. Im »Manifest« bezeichnen sie sich selbst als »Studien- und Kampfgemeinschaft«. Einen »Reichsverfassungsentwurf« (RVerfE99) veröffentlichte das Kolleg 1999 mit 18 Artikeln. Unter Artikel 4 Absatz 3 schrieben sie: »Alle Staatsgewalt des Deutschen Reiches wird von den Reichsdeutschen ausgeübt.« Vor der Aufnahme in das »Vierte Reich« hätte jeder Deutsche einen Eid zu leisten: »Ich schwöre, dass ich dem Deutschen Volke und dem Deutschen Reich die Treue halte, mit meinem Gut und Blut seine Freiheit schützen und alle meine Pflichten gewissenhaft erfüllen werde. Dies schwöre ich, so wahr mir Gott helfe.« Im Absatz 5 des Artikels legten sie gleich fest: »Volksfremden Ausländern, die seit vier Generationen in Deutschland ansässig sind, kann in ihrer Landschaft Heimatrecht verliehen werden. Ausländer germanischer Abstammung können durch Erhebung in den Privatstand mit den Volksdeutschen gleichgestellt werden.« Mehrfache Staatsangehörigkeiten seien unzulässig.

In seiner Selbstbeschreibung betont das DK: »Das Deutsche Kolleg ist eine geistige Verbindung reichstreuer Deutscher und reichstreuer Schutzgenossen des Deutschen Volkes.« Es sei »ein Denkorgan des Deutschen Reiches«, und wie jeder Deutsche so habe auch das DK »alle Rechte des Deutschen Reiches einschließlich der Souveränität und des Rechts zum Kriege bis zu dem Tage, an dem das Deutsche Reich auch durch besondere Staatsorgane wieder handlungsfähig wird«. Sie wollten aber nicht den »materiellen Teil der Staatsgewalt« ausüben, sie würden sich »auf theoretische, pädagogische und programmatische Reichstätigkeit« beschränken, legten sie dar. »Das DK begreift, urteilt und schließt, aber es verzichtet darauf, materialiter anzugreifen, Urteile körperlich zu vollstrecken und die Reichsfeinde militärisch unter Beschluß und Beschuß zu nehmen.« Man war sich offenbar bewusst, dass ein Umsturz und der aktive Aufbau eines »Vierten Reiches« durch Waffengewalt die Staatsanwaltschaft auf den Plan rufen würde. Das Kolleg wolle »durch Theorien, Schulungen, Programme, Erklärungen und Wortergreifungen seinen Beitrag zur Wiederherstellung der vollen Handlungsfähigkeit des Deutschen Volkes als Deutsches Reich« leisten, heißt es am 25. Juli 2017 auf der DK-Website. Hier kann man auf der Startseite auch lesen: »Alle Reichszerteilungsregime auf deutschem Boden sind Lager und keine Staaten. Das größte Lager ist die BRD.« Dies ist ein Zitat aus dem Text »Konzentrationslager BRD« von 2004, in dem die Vertreibung aus den »deutschen Ostgebieten« beklagt wird und weitere Gebiete im Westen als deutsch benannt werden.

Die Reichsidee ist nicht das Einzige, was Oberlercher und Mahler gemein haben. Beide kamen von ganz weit links, bevor sie nach äußerst weit rechts abbogen. Oberlercher, 74 Jahre alt, war in den 1960er-Jahren in Hamburg einer der Theoretiker des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und wendete sich dann in den 1980er-Jahren nach rechts. 1993 veröffentlichte er in der rechtsextremen Zeitschrift »Staatsbriefe« ein »Hundert-Tage-Programm der nationalen Notstandsregierung«, in dem er Maßnahmen des »nationalen Lagers« für den Fall einer Machtergreifung vorschlug: »Einstellungsverbot für ausländische und volksfremde Arbeitskräfte«, »die standrechtliche Erschießung von Rauschgiftbesitzern«, »Verbot der Ideologie der Menschlichkeit« und »Verbot des Pazifismus«. Und er forderte die »Wiedereinsetzung des Deutschen Reiches«. Das Programm verbreitete das Deutsche Kolleg auf seiner Website.

Dem SDS gehörte auch Mahler an. Der Rechtsanwalt, der zeitweilig SPD-Mitglied war, verteidigte 1968 die späteren Gründungsmitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) Andreas Baader und Gudrun Ensslin, half bei der Befreiung Baaders, tauchte unter und wurde nach einem Banküberfall verhaftet. 14 Jahre Haftstrafe sprach ein Gericht gegen ihn aus. 1975 wollte die Bewegung 2. Juni ihn und andere durch die Entführung von Peter Lorenz, des CDUSpitzenkandidaten bei der Wahl zum West-Berliner Abgeordnetenhaus, freipressen. Mahler lehnte den Austausch in der ARD-»Tagesschau« jedoch ab. Die Entführung sei »Ausdruck einer von den Kämpfen der Arbeiterklasse losgelösten Politik, die notwendig in einer Sackgasse enden muss. Die Strategie des individuellen Terrors ist nicht die Strategie der Arbeiterklasse«, verkündete er. 1977 sagte er sich vom »revolutionären Marxismus« los, kam 1980 frei und wendete sich in der Folgezeit immer weiter nach rechts. Vor Gericht stand er als Beschuldigter bald wieder.

Am 6. Februar 2004 mussten sich Oberlercher, Mahler und Meenen vor dem Landgericht Berlin wegen des Vorwurfes der Volksverhetzung verantworten. Im »Aufruf zum Aufstand der Anständigen« hätten sie zur Gewalt gegen Minderheiten angestiftet und behauptet, der Hass auf Juden sei ein Zeichen geistiger »Volksgesundheit«. Mahler forderte – ganz der Reichsidee folgend – einen Sachverständigen, der belegen sollte, dass die Bundesrepublik als Völkerrechtssubjekt nicht bestehe und so auch keinerlei Gerichtshoheit besitze.

Im selben Jahr hat sich das Trio des Deutschen Kollegs allerdings politisch auseinanderentwickelt. Der Kampf für die Leugnung des Holocaust ist für Mahler zum zentralen Schlachtfeld geworden. Diesen Schwerpunkt, verbunden mit der Taktik, vor Gericht bewusst die Auseinandersetzung zu suchen, teilten Oberlercher und Meenen nicht. Auf dem Gelände des KZ AuschwitzBirkenau wollte Mahler 2003 ein »Verdener Manifest« verlesen, mit dem ein »Feldzug gegen die Offenkundigkeit des Holocaust« gestartet werden sollte. Ein Ausreiseverbot unterband die Aktion. Am 30. Juli dieses Jahres versammelten sich Anhänger dann auf der Wartburg – statt an der »Jüdischen Kultstätte« am »Tatort des Seelenmordes am Deutschen Volk«, wie sie schrieben. Mahler hielt ein Transparent hoch: »Den Holocaust gab es nicht.« Nach eigenem Bekunden wollen sie nach einer »stillen Besinnung« mit den anwesenden Reichsbürgern zusammen ausgesprochen haben: »Das Deutsche Reich kommt im Aufstand des Deutschen Volkes zu sich.« Am 9. November 2004 wirkte Mahler schließlich bei der Gründung des Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) mit. Dies fand in Vlotho statt, im Collegium Humanum der Grande Dame der HolocaustleugnerSzene Ursula Haverbeck, wohlbedacht am 65. Jahrestag der antijüdischen Novemberpogrome von 1938. Vier Jahre später ließ der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble das Netzwerk deutscher und internationaler Holocaustleugner verbieten. Damit einher ging auch die Schließung des Collegium Humanum.

Schon im März 2004 sprach Oberlercher von einem »Irrweg« Mahlers. Mit Meenen wollte er das Netzwerk um das Deutsche KollegKolleg