Inhalt
Die Sonnenkönigin
Louises Lächeln
Impressum
Über die Autorin
Préface
Prologue I
Prologue II
Prologue III
Teil 1
Kapitel 1
Ludwig II zweifelt an der offiziellen Geschichte
Kapitel 2
Ludwig II. kehrt aus Paris zurück
Teil 2
Kapitel 3
Das Erbe
Kapitel 4
Erinnerungen
Kapitel 5
Der Duc du Maine wendet sich an Louis XV
Kapitel 6
Der Duc du Maine wendet sich an seine Schwester
Kapitel 7
Die Briefe des Duc du Maine sind noch da
Teil 3
Kapitel 8
Die Geburt eines Königs
Kapitel 9
Das Wunder des Hauses Bourbon
Kapitel 10
Die Schöne, die im Walde schlief
Kapitel 11
Das andere Königsgeschlecht
Kapitel 12
Kindheit eines Königs
Kapitel 13
Louvre, Paris, 1637
Kapitel 14
Mazarins Vermächtnis
Kapitel 15
Kapitel 16
Richelieus Vermächtnis
Kapitel 17
Richelieus Erbe
Kapitel 18
Richelieus Vermächtnis – der Fluch
Kapitel 19
Louis XIII stirbt
Kapitel 20
Wie man Regentin wird
Kapitel 21
Vater sein dagegen sehr …
Kapitel 22
Das größte Werk des Kardinals
Kapitel 23
Mazarins Vermächtnis
Kapitel 24
Louis XIV ist König
Kapitel 25
Aufstand und Revolution
Kapitel 26
Der König erkrankt
Kapitel 27
Die Fronde wirft ihre Schatten voraus
Kapitel 28
Louis XIV berichtet über seine Erziehung und die Fronde
Kapitel 29
Gegen König und Vaterland
Kapitel 30
Die Rückkehr
Kapitel 31
Die Fronde
Kapitel 32
Der König berichtet an Louise über Paris zu Beginn der Fronde
Kapitel 33
Die Flucht
Kapitel 34
Kapitel 35
Die dunkelsten Stunden
Teil 4
Kapitel 36
Kapitel 37
Die Geburt einer Königin
Kapitel 38
Louises Kindheit
Kapitel 39
Louises Tagebuch
Kapitel 40
Gefährliche Freundschaft
Kapitel 41
Die Herkunft der Demoiselle de Montalais
Kapitel 42
Louise muss bezahlen
Kapitel 43
Geburt und Tod liegen nahe beieinander
Kapitel 44
Louises Vater stirbt
Kapitel 45
Kapitel 46
Laurent steht auf der Seite des Königs
Kapitel 47
Der Tod des Laurent de La Vallière
Kapitel 48
Louise berichtet über den Tod ihres Vaters
Kapitel 49
Kapitel 50
Louise befindet sich in Tours im Kloster
Kapitel 51
Eltern werden ist nicht schwer …
Kapitel 52
Louises Mutter heiratet wieder
Kapitel 53
Louise ist am Hof des Herzogs
Teil 5
Kapitel 54
Der geheime Platz
Kapitel 55
Der König kommt nach Blois
Kapitel 56
Raoul de Braguelongue
Kapitel 57
Die erste Begegnung
Kapitel 58
Louise kehrt zum Schloss zurück
Kapitel 59
Louise ist verliebt
Kapitel 60
Die Liebenden sehnen sich
Kapitel 61
Die Liebenden begegnen sich erneut
Kapitel 62
Kapitel 63
Der König sieht Louise wieder
Kapitel 64
Kapitel 65
Die Liebenden begegnen sich erneut
Kapitel 66
Die Liebenden treffen einander erneut
Kapitel 67
Ich denke nur an Dich
Kapitel 68
Vor aller Welt verborgen
Kapitel 69
Begegnung in Amboise
Kapitel 70
Kapitel 71
Der Kardinal mischt sich ein
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Raoul will nicht, dass Louise zum Hof geht
Kapitel 76
Der Kardinal stirbt
Kapitel 77
Le Cardinal est mort, vive le Roy!
FINIS I
FINIS II
FINIS III
Erläuterungen zum Text
Postface
Danksagung
I
Pour mon soutien, mon mainteneur, mon tout.
Louise Bourbon
Die Sonnenkönigin - Louises Lächeln - Band 2
ISBN Print:
978-3-946376-26-2
ISBN eBooks:
978-3-946376-27-9 (ePub)
978-3-946376-28-6 (mobi)
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Louise Bourbon hat französische und deutsche Wurzeln und pendelt bevorzugt zwischen beiden Ländern hin und her.
Ihre Großmutter brachte ihr drei Leidenschaften nahe: die französische Sprache, Geschichte und Literatur. Insbesondere über Geschichte schrieb sie bereits zu Schulzeiten, noch auf einer alten mechanischen Schreibmaschine, ihr Tagebuch führte sie in französischer Sprache.
Regelmäßige Aufenthalte in Frankreich prägen noch heute ihr Leben, und ihr größter Wunsch ist es, dorthin zurückkehren zu können.
20 Jahre der historischen Recherche über das Frankreich des Sonnenkönigs und seiner vergessenen Königin haben genügend Material für mehrere Bücher hervorgebracht.
Bevorzugt erzählt sie die Dinge, die nicht im Geschichtsbuch stehen. Vielleicht sind sie gerade deshalb wahr.
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Liebe Leserin, lieber Leser,
die Geschichte, deren Buch Sie gerade in den Händen halten, ist der zweite Band meiner Reihe zu Frankreichs vergessener Königin. Da die Bände auch unabhängig voneinander gelesen werden können, gestatten Sie mir das folgende Vorwort.
Die von mir erzählte Geschichte ist wahr. Sie ist keine Fiktion, sondern das Ergebnis von mittlerweile fast fünfundzwanzig Jahren Recherche. Mir ist bewusst, dass Geschichtsbücher die Geschichte anders erzählen. Doch die langen Jahre des Suchens und Findens lassen mich sagen, dass sich die Geschichte so zugetragen hat, wie sie hier zu lesen ist.
Wenn ich meiner Sache so sicher bin, warum dann ein Roman? Nun, die Antwort ist einfach. Biografien werden meist mit Blick auf die Vergangenheit geschrieben; da die historischen Fakten bekannt sind oder bekannt zu sein scheinen, weiß man im wahrsten Sinne des Wortes, wie die Geschichte ausgeht.
Doch die handelnden Personen wussten dies nicht, ihre Entscheidungen beeinflussten aus ihrer Sicht die Zukunft und wurden in der Gegenwart getroffen. Als ich zu schreiben begann, war mein Ziel, die Geschichte des französischen Königs Louis XIV, den man auch als den Sonnenkönig kennt, so aufzuzeichnen, wie er sie selbst erlebt haben mag, wie er sie empfunden und gedacht hat.
Doch diese Geschichte erzählt von zwei Personen, und im Laufe der Jahre und des Schreibens geschah es dann, dass die vorgeblich verschollenen Informationen über Louise de La Vallière, die in der offiziellen Geschichte lediglich als seine Maîtresse gilt, so faszinierend waren, dass ich den großen König ein Stück habe zurücktreten und Platz machen lassen für seine vergessene Königin. Gerade weil die offiziellen Informationen hier um einiges dürftiger sind als im Falle des Königs, ist es mir besonders wichtig, ihren Lebensweg so aufzuzeichnen, wie sie ihn selbst erlebt und empfunden haben mag. Denn, davon bin ich überzeugt, man darf Geschichte nicht mit den aktuellen Kenntnissen bewerten, sondern mit denen, die die handelnden Personen zu ihrer Zeit hatten.
Ich habe die vorliegende Geschichte aus vorhandenen Dokumenten und Briefen bzw. aus erhaltenen Fragmenten rekonstruiert und mit eigenen Texten vermischt. Um auch den Werdegang der Dokumente aufzuzeigen, kommen hier verschiedene Generationen zu Wort, die jeweils aus ihrem eigenen Blickpunkt schreiben. So habe ich die Erkenntnisse der Princesse de Conty, der ältesten Tochter des Königs und Louises, ebenso eingearbeitet wie die ihres Bruders, des Duc du Maine. Einige Generationen später kommen dann Louis XVI und Marie Antoinette zum Zuge, die ebenfalls noch um die Geheimnisse wussten, bis sie dann in den Händen des bayrischen Königs landeten.
Entgegen der offiziellen Geschichtsschreibung gehe ich von folgenden Tatsachen aus:
Die Marquise de Montespan war niemals königliche Maîtresse. Das Ganze war ein einstudiertes, von ihr gefordertes Schauspiel.
Die natürlichen Kinder des Königs stammten von Louise de La Vallière. Der Duc du Maine beispielsweise trägt deutlich ihre Gesichtszüge. Da die Geschichte manchmal Humor hat, hinkte er übrigens, wie seine Mutter Louise.
Ein Kind der Montespan aus dieser Zeit wurde von ihr selbst zur Welt gebracht, der Vater ist aber nicht der König.
Die Marquise de Maintenon ist die Erzieherin, niemand sonst.
Der französische König ist Herr über die katholische Kirche in Frankreich und kann Gelübde lösen.
Louis XIV hat ein weiteres Mal geheiratet, und zwar Louise de La Vallière, die durch ihren neuen Namen die gleichen Initialen besitzt wie er. Hinsichtlich der Embleme an verschiedenen Bauwerken ist das von Interesse.
Louise de La Vallière ist Frankreichs vergessene Königin.
Schön bist du, meine Freundin.1
Wie schön du bist!
Deine Augen sind wie zwei Tauben
Hinter Deinem Schleier.
Dein Haar gleicht einer Herde von Ziegen,
die herabzieht von Gileads Bergen.
Rote Bänder sind deine Lippen,
Dem Riss eines Granatapfels gleicht deine Schläfe.
Schön bist du, mein Geliebter,
verlockend. Unser Lager ist von frischem Grün,
die Balken unseres Hauses sind Zedern,
Zypressen die Wände.
Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich,
Süßer als Wein ist seine Liebe.
Deine Salben sind von köstlichem Duft,
dein Name wie ein Parfum, das sich ergießt.
Wie schön du bist, Geliebte!
Wie schön du bist, Geliebter!
Ich bin eine Blume auf den Wiesen des Scharon,
eine Lilie der Täler.
Eine Lilie unter Disteln
ist meine Geliebte unter den Mädchen.
Ich bin mit meinem Geliebten,
und mein Geliebter ist mit mir.
1 Die Bibel, Buch Kohelet, 3,1–15, nach der freien Bibel von 1912. Der hier zitierte Auszug wurde im Auftrag des Königs von Marc Antoine Charpentier vertont. Der König eignete die Stücke Louise zu.
Ce sont les hommes qui écrivent l’histoire, mais ils ne savent pas l’histoire qu’ils écrivent.
Es sind die Menschen, die die Geschichte schreiben, aber sie kennen die Geschichte nicht, die sie schreiben.
Raymond Aron
Um den Verlauf einer Geschichte zu verstehen, muss man ihre Anfänge kennen. Nicht der Weg aus der Vergangenheit betrachtet zeigt den Lebensweg der Menschen, sondern die Betrachtung von Anbeginn.
So machen wir uns also auf, um von den Begebenheiten zweier Personen zu hören, denen die Geschichtsschreibung großes Unrecht getan hat.
Schauen wir auf die Anfänge. Schauen wir in die Kindheit, in die Jugend, bis das Schicksal seinen Lauf nimmt und zusammen findet, was zusammen gehört. Folgen wir der Wahrheit. Folgen wir der Geschichte einer Bestimmung.
L'amour sans éternité s'appelle angoisse : l'éternité sans amour s'appelle enfer.
Die Liebe ohne die Ewigkeit, das ist die Angst:
Die Ewigkeit ohne die Liebe, das ist die Hölle.
Gustave Thibon
Wasser, hältst du was du mir versprichst?
Sah ich doch nur ein Gesicht.
Was ist der Spiegel? Mond oder Quelle?
Auf dass er meinen Geist erhelle!
Schwören muss ich auf mein Leben,
Ihm allein mein Herz zu geben.
In einem anderen Leben, in einer anderen Zeit
Sind wir für die Welt bereit.
Quelle, sag mir, bist du Traum?
Gibt es wirklich Zeit und Raum?
Du lächelst für den, der sehen will.
Für alle anderen liegst du still.
Meine Finger tauch' ich sanft hinein,
Berühr' das Antlitz, das da schimmert.
Knie vor dir im Mondschein
Sehe, wie das Wasser flimmert.
Dein Antlitz entgleitet, schwindet fort,
Geliebter, wohin willst du? Geh noch nicht!
Geliebte, wir sehen uns am anderen Ort.
Von Angesicht zu Angesicht.
***
Geliebte, in diesem zarten Mondenschein
Sehe auch ich dein Antlitz rein.
Ich höre, wie du rufst nach mir,
Warum bin ich fern von dir?
Auch ich, Geliebte, weiß in meinem Sinne,
Dass das Schicksal uns zusammenbringe.
Geliebte, glaub mir, noch bin ich Traum,
doch wir finden uns in Zeit und Raum.
In anderen Leben, in anderen Zeiten,
Wird man uns den Weg bereiten.
Du allein bist mir bestimmt,
Wenn dir der Weg zu mir gelingt.
Geliebte, glaube an der Quelle Kraft,
Geliebte, vertraue auf der Liebe Macht,
Der Ort, an dem wir uns befinden,
Wird uns stets zusammen binden.
Du bist ich und ich bin du,
Geliebte, leg dich nun zur Ruh,
Träume mein Bild in dieser Nacht,
Die mich zu dir hat gebracht.
Für immer bin ich nun der deine.
Für immer bist du nun die meine.
1867 - 1870
Oh, il est nécesaire de se construire de tels paradis, de tels lieux de refuges poétiques où l’on puisse oublier, pendant quelques temps, l’époque épouvantable où nous vivions.
Es ist notwendig, sich Paradiese zu schaffen, poetische Zufluchtsorte, wo man auf einige Zeit die schauderhafte Zeit, in der wir leben, vergessen kann.
Ludwig II. von Bayern
Un mensonge en entraîne un autre.
Eine Lüge bringt eine andere mit sich.
Térence
München, 1867
Aus den Aufzeichnungen Ludwigs II
Sinnend sitze ich in meinem Arbeitszimmer und betrachte die Miniatur, die ich in der Hand halte. Louise de La Vallière2, Louise de Bourbon, man sollte ihr ihren richtigen Namen geben. Nein, man sollte ihr ihren Titel geben: Die Königin ist eine wunderschöne Frau. Die Kopie, die ich in der Hand halte, zeigt sie in königlichem Staat. Einige Bilder als Königin gibt es von ihr, einige wenige. Zumindest einige wenige, von denen ich weiß.
Meine Augen verweilen über dem Portrait.
«Wenn Ihr nur sprechen könntet», murmele ich, «wenn Ihr nur berichten könntet, was Euch widerfahren ist.»
Ich glaube die offizielle Geschichte nicht, ich habe sie noch nie geglaubt. Zu viele Dinge passen nicht zusammen. Die Kinder, die diese Teufelin3 nur «gebar», wenn Louise am Hof war, und die nicht gebar, als von Louise eine Fehlgeburt ruchbar wurde. Die Kinder, die ausblieben, als Louise hinter den Klostermauern verschwand. Der Hinweis auf den vermeintlich doppelten Ehebruch des Königs und der Montespan, der doch Henri IV4 nicht zum Vorwurf gemacht wurde. Im Gegenteil, König Louis XIV5 wurde sogar des Leichtsinns und der Dummheit bezichtigt, als er mit der Demoiselle de la Vallière eine Jungfrau mit in sein Bett nahm – und man riet ihm, sich doch unter den verheirateten Damen umzusehen. Kuckuckskinder haben zumindest in der Theorie den Ehemann zum Vater.
Ich glaube kein Wort davon. Ein Mann, der gegen alle Widrigkeiten seine natürlich geborenen Kinder anerkennt, muss der Treue fähig sein.
Der König, der ausgerechnet in Versailles seinen Sitz nahm, in dem Schloss, in dem ihn alles an die Demoiselle de La Vallière erinnern musste. Die Mainte-non6 - was für ein Wortspiel. Hat sich darüber schon einmal jemand den Kopf zerbrochen?
Und dann die Briefe, deren Kopien man mir zugespielt hat. Derjenige hat recht getan, meine Zweifel wurden vertieft.
«Wenn Ihr doch nur sprechen könntet», sage ich noch einmal zu dem Bildnis in meiner Hand. Und da scheint es mir, als könne ich das perlende Lachen der Königin vernehmen.
«Aber das kann ich doch», scheint sie zu flüstern. «Ich spreche für den, der findet. Aber das bedeutet, dass sich jemand auf die Suche machen muss.»
Ich richte mich auf. Auf die Suche. Paris? Versailles? Das ist es. Auch, wenn mir der Gedanke im Augenblick nicht schmeckt. Schon wieder besetzt einer aus dem korsischen Gesindel7 den französischen Thron, schon wieder ist die Königswürde nicht gut genug, man muss gleich Kaiser sein. Nun, wenn die Taten nichts rechtfertigen, dann muss es zumindest der Titel tun.
1 Ludwig II (1845–1886), König von Bayern, siehe Personenverzeichnis.
2 Louise de La Vallière, fut. de Bourbon (1644–1714), zweite Ehefrau des Königs Louis XIV, siehe Personenverzeichnis.
3 Athénaïs de Rochechouart (1640–1707), Marquise de Montespan, siehe Personenverzeichnis.
4 Henri IV (1553–1610), König von Frankreich und Navarra, siehe Personenverzeichnis.
5 Louis XIV (1638–1715) dit le Grand, seit 1643 Roy de France et de Navarre, König von Frankreich und Navarra, siehe Personenverzeichnis.
6 Maint, mainte, französisch für: so mancher, manche. Maintenon kann man übersetzen mit: So manches (Mal) nein.
7 Hier ist Napoléon III gemeint, der nach der Vertreibung des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe 1848 zunächst Präsident der neu gegründeten Republik wurde, sich dann aber selbst zum Kaiser machte.
L’histoire est écrite par les vainqueurs.
Die Geschichte wird von Siegern geschrieben.
Robert Brasillach
München, 1870
Aus den Aufzeichnungen Ludwigs II
Mon Dieu. Ich bin allein, endlich. Bebend sitze ich in meinem Arbeitszimmer und schaue auf die unschuldige Truhe, die die fatalen Dokumente enthält. Ich bin zurück von meiner Reise nach Paris. Was habe ich alles erfahren! Ich bin selbst dort gewesen, in den Kellergewölben des Louvre, wo niemand sonst Zugang erhält. Ich habe die Geheimgänge zur Seine gesehen. Und ich habe endlich eine Vorstellung davon, wie Versailles zu Zeiten des großen Königs ausgesehen haben muss.
Oh ja, man kennt noch seinen Namen, doch er hat keinen guten Klang mehr. Louis XIV oder der Sonnenkönig, wie man ihn gerne nennt, ohne die Bedeutung dieses Beinamens noch zu würdigen, ist in gewisser Weise ebenfalls Opfer der schrecklichen französischen Revolution und ihrer Folgen geworden - und dieser schrecklichen Sippschaft1, die im Augenblick in Frankreich wieder auf dem Thron sitzt.
Von den vielen großen Taten, die auf ihn zurückgehen, scheint kaum noch etwas erhalten. Keine Rede mehr von den Reformen, den Errungenschaften seiner Regierungszeit, für die er von seinen Zeitgenossen verehrt worden ist. Stattdessen gibt man sich alle Mühe, ihn zu diskreditieren.
Ich lache auf. Mit jeder Revolution, die in Frankreich folgte, und seit der von 1789 machen es noch einige, scheint sein Ruf immer etwas mehr zu leiden, und die Angst davor, sein großes Geheimnis zu enthüllen, immer größer zu werden.
Ich atme tief durch. Das Geheimnis der Bourbonen. Ich lache auf. Eines? Viele nennen die Bourbonen ihr Eigen, doch eines ist mit Abstand das gefährlichste. Der Thron der korsischen Möchtegerns wankt, so hört man. Hoffen die verbleibenden Mitglieder des Hauses Bourbon darauf, ein weiteres Mal einen Bonaparte - pah! - ablösen zu können?
Dann muss ihre Abstammung natürlich lupenrein sein. Schließlich wirft man dem Korsen vor, den französischen Thron nur durch einen Staatsstreich errungen zu haben. Nach dem Wiener Kongress2 erhielt Louis XVIII3 - le Désiré4, was für ein Witz - den Lilienthron zurück. Und wie sehr fürchtete er sich, das große Geheimnis könne ans Tageslicht kommen.
Soll ich es wagen? Soll ich es wagen, die fatalen Worte aufzuschreiben, die doch Grundlage für alle weiteren Geschehnisse sind, die ich erfahren durfte?
Louis XIII war nicht der Vater von Louis XIV. Erneut atme ich tief durch. Jetzt ist es gesagt. Louis XIV, dessen Vater nichts als ein Kaufmannssohn war, ein Bastard. Meine Hände zittern, während ich das schreibe. Ist es nicht gleichgültig, welches Blut in seinen Adern floss? Er war gesalbter und geweihter König. Doch manche sehen das anders. Manche seiner Zeitgenossen sahen das anders. Was ein gut gehütetes Geheimnis hätte sein sollen, gelangte in die falschen Hände, wurde in die falschen Ohren geflüstert und machte den König erpressbar. Und das Wissen um dieses Geheimnis gefährdete nicht nur seine Krone, sondern auch sein persönliches Glück. Es wurde zum Unglück einer ganzen Familie. Denn nicht nur über ihn habe ich erfahren, sondern auch über seine Frau.
Nicht die Königin Marie Thérèse5, oh nein. An ihren Status als Ehefrau hat man nie gezweifelt. Aber Königin Louise ist verschwunden, ihre Geschichte ist während der letzten 150 Jahren dem Erdboden gleich gemacht worden. Unter dem Namen Louise de La Vallière kennt man sie noch, und man lässt ihr mittlerweile nur noch den etwas fragwürdigen Status als königliche Maitresse. Mit ihr ist man noch etwas schrecklicher verfahren. Man hat ihr nicht nur den Namen genommen, der ihr durch die Ehe mit dem König zustehen würde. Ja, ganz richtig. Durch die Ehe mit dem König. Stattdessen nimmt in der Geschichte nun eine andere ihren Platz ein, behauptet diese Ehre für sich. Und eine weitere, deren Taten noch ungleich schändlicher sind, wagte es sogar, einer Mutter die Kinder zu nehmen. Erpressung war's, die Louise dazu nötigte, Ihre im geheimen geborenen Kinder der Montespan zu überlassen - einzig die Princesse de Conty6 und der Comte de Vermandois7 entgingen diesem Schicksal. Erpressung war's, was diese Teufelin, die Marquise de Montespan, an die Seite des Königs brachte. Und Erpressung war es ebenfalls, durch die Louise ins Kloster gezwungen worden war, wo sie angeblich auch verstarb.
Wieder fällt mein Blick auf die Truhe mit den Dokumenten und lässt mich in Tränen ausbrechen. Vierzig Jahre einer Geschichte hat man verfälscht und geschnitten, um eine neue zu etablieren, und dabei eine Frau um ihren Namen, ihren Titel und ihre Kinder gebracht. Und ich weiß auch, wer tatkräftig dabei geholfen hat.
Ich richte mich auf. Louise de Bourbon, Königin von Frankreich, Ihr werdet Eure Geschichte zurück erhalten. Es bedarf mutiger Menschen, die sie erzählen, und mutige Menschen, die zuhören und infrage stellen. Es bedarf mutiger Menschen, die zu den Anfängen zurückgehen und die Geschichte des Königs sowie die Eure erzählen.
1 Anspielung auf Napoléon III und die Familie Bonaparte.
2 Im Wiener Kongress (1814-1815) wurde die Neuordnung Europas nach der Niederlage Bonapartes festgelegt.
3 Louis XVIII (1755-1824), Bruder des Königs Louis XVI. Er entging der Französischen Revolution durch Flucht und wurde nach der Verbannung Bonapartes 1815 wieder als französischer König eingesetzt. Mit Rücksicht auf den vorgeblich während der Revolution umgekommenen Sohn des Königs Louis XVI bestieg er als Louis XVIII den Thron.
4 Le Désiré: der Erwünschte. Beiname, der ihm von den französischen Royalisten gegeben wurde, die die Bonaparte als Thronräuber betrachteten.
5 Marie Thérèse d’Autriche (1638-1683), erste Ehefrau des Königs Louis XIV, siehe Personenverzeichnis.
6 Marie Anne de Bourbon (1666–1739), Princesse de Conty, siehe Personenverzeichnis.
7 Louis de Bourbon (1667-1683), Comte de Vermandois, siehe Personenverzeichnis.
1723 - 1793
Le talent de l'historien consiste à faire un ensemble vrai avec des traits qui ne sont vrais qu'à demi.
Das Geschick des Historikers liegt darin, ein wahres Gesamtbild zu erschaffen aus den Schlüssen, die nur halb richtig sind.
Ernest Renan
Le jour où la France coupa la tête à son Roy, elle commit un suicide.
An dem Tag, als Frankreich seinem König den Kopf abtrennte, beging es Selbstmord.
Ernest Renan
Temple, 1793
Aus den Aufzeichnungen der Königin Marie Antoinette1
Vor mir liegen die beiden Tagebücher. Ich weine. Nein, uns ist nichts gelungen. Wir haben das Erbe nicht bewahrt. Die Krone ist verloren. Die Bourbonen sind verloren.
Auch ich weiß um ihn, um den Fluch, der angeblich auf dem Hause Bourbon liegen soll, gesprochen vor langer Zeit durch eine Frau, die den Niedergang ihres Geschlechts nicht hinnehmen wollte. Ich bin nicht abergläubisch. Doch in diesen modernen Zeiten gelangt alles zum Extrem. Nur noch die Wissenschaft, schreien die Revolutionäre; kein Glauben mehr, keine Mystik. Und doch hat es sie in der Geschichte immer gegeben, Wunder, aber auch Flüche. Wenn wir an das Wunder glauben, das durch Jeanne d’Arc2 den französischen Thron gerettet hat, müssen wir dann nicht auch an den Fluch über das Haus Bourbon glauben?
Die Geschichte des Königs und seiner Königin darf nicht verloren gehen. Noch einmal, bevor ich selbst gehen muss, werde ich lesen. Nach dem Ende der Lektüre werde ich hoffentlich wissen, was zu tun ist.
Noch einmal will ich mich vertiefen in die Seiten, die Zeugnis geben von der Geschichte einer großen Epoche, mehr aber noch von der Geschichte einer großen Liebe. Die wahre Geschichte des Königs Louis XIV und seiner zweiten Königin, vormals Louise de La Vallière. Noch einmal will ich mich vertiefen in diese Seiten, die viele Geheimnisse enthüllen und Antworten auf Rätsel geben.
Vor mir liegen die beiden Tagebücher.
***
Ich habe Angst. Mein Gatte3 las sie damals, vollständig, und sprach dann mit mir davon. Danach rührten wir die Dokumente nicht mehr an. Zu groß die Furcht vor den Entdeckungen, die wir gemacht hatten. Zu groß die Furcht auch davor, die Geheimnisse nicht bewahren zu können. Leichtfertig nennt man mich, einfach im Geiste. All die Gedanken in meinem Kopf, sind sie einfach? Bin ich es? Ich schüttele den Kopf. Die Frage ist nun nicht mehr wichtig, angesichts der Tatsache, dass ich diesen Kopf bald verlieren werde, dessen bin ich mir sicher.
Für mich ist das kein Unglück, aber ich bedauere es schmerzlich, meine Kinder verlassen zu müssen, meine armen unverdorbenen Kinder, denen die Revolution die Unschuld genommen hat.
Was mich tröstet? Ich sterbe ruhig, wie jemand, der keine Gewissensqualen zu ertragen hat. Ich hoffe, im Angesicht des Todes so stark zu sein wie mein geliebter Ehemann, dem man auf seinem letzten Gang alles genommen hat, selbst seine Kleider. Im Hemd haben sie ihn im Karren zur Guillotine geschleift, so hat man mir berichtet, und als er noch einmal sprechen wollte, schlugen die Trommler ihre schreckliche Musik. Doch eines konnte man ihm nicht nehmen: seine Würde. Mein Herz wird mir schwer, wenn ich an meinen geliebten Ehemann denke. Ich werde ihn hoffentlich in der anderen Welt wiederfinden.
Ich muss vorsichtig sein. Wenn man mir diese Aufzeichnungen entreißt, entreißt man mir auch eine Geschichte. Man darf sie nicht entdecken. Aber ich weiß, wem ich sie geben kann.
1 Marie Antoinette d’Autriche (1755–1793), Königin von Frankreich, siehe Personenverzeichnis.
2 Jeanne d’Arc (1412–1431), auch bekannt als la pucelle d’Orléans, die Jungfrau von Orléans, verhilft den Truppen des späteren Königs Charles VII zum entscheidenden Sieg, der die Krönung des Königs in Reims möglich macht.
3 Louis Auguste (1754–1793) de France, als Louis XVI ab 1774 Roy de France et de Navarre, siehe Personenverzeichnis.
Le dédain est la générosité du mépris.
Die Geringschätzigkeit ist der Großmut der Verachtung.
Victor Hugo
Temple, 1793
Aus den Aufzeichnungen der Königin Marie Antoinette
Der König Louis XV1 – er wusste auch. Er wusste um die wahre Geschichte, doch er brachte sie nicht ans Tageslicht. Viel mehr gab er sich alle Mühe, sie zu verschleiern, zu verbergen und eine neue Geschichte an die Stelle der tatsächlichen Geschehnisse zu setzen. Durch Heirat ist er mein Großvater – es steht mir nicht zu, ihn zu verurteilen. Und doch tue ich in meinem Herzen genau das. Schlimmer noch, ich verachte ihn für das, was er getan hat.
1 Louis XV (1710–1774), König von Frankreich und Navarra, Urgroßenkel des Königs Louis XIV, siehe Personenverzeichnis.
Pour faire taire autrui, commence par te taire.
Um über die Dinge anderer schweigen zu können, schweige über deine eigenen.
Sénèque
Aus den Aufzeichnungen des Duc du Maine, geschrieben kurz vor seinem Tod 1736
Mein Name ist Louis Auguste de Bourbon, und man hat mich betrogen. Ich spreche nicht davon, dass mir der Thronanspruch, der mir durch meinen Vater eingeräumt worden war, wieder genommen wurde. Ich spreche auch nicht von den Dingen, die man mir nach dessen Tod angetan hat – noch nicht. Noch sind diese Dinge in meinem Kopf, aber nicht auf meinen Lippen, denn manche Dinge sind zu schrecklich, um sie auszusprechen. Noch schrecklicher ist es, sie niederzuschreiben.
Das größte Verbrechen, das man an mir begangen hat? Man hat mich um meine Mutter betrogen.
Noch immer kann ich nicht ohne Tränen berichten. Noch immer spüre ich den Schmerz eines Kindes das genau wusste, wer seine wahre Mutter ist, aber zum Schweigen verdammt wurde. Zu gefährlich. Selbst nach dem Tode dieser Bestie, die sich meine Mutter nannte, konnten wir uns nicht offenbaren. Wir? Ja, wir. Es ist auch das Geheimnis meiner wahren Mutter. Auch sie hat gelitten, das weiß ich. In der Stille unserer privaten Gemächer nannte ich sie meine Mutter, und sie nannte mich ihren Sohn. Nur dann war es uns möglich, die Masken fallen zu lassen, die unsere Geschichte uns aufgezwungen hat. Nur dann waren wir Mutter und Sohn.
Deshalb mied ich den Hof, wo ich konnte, und wandte mich dem Meer zu. Nur dort, in der Stille, die dem Meer eigen ist, in der unendlichen Weite, fand ich meinen Frieden.
Ich hasse den Gedanken daran, dass die Welt glaubt, sie, die Teufelin, sei meine Mutter. Ich hasse, hasse, hasse ihn! Diese Schurkin, die vorgab zu sein, was sie nicht war, nahm einer Mutter ihre Kinder, den Kindern ihre Mutter. Doch ich will der Welt erzählen, wie es dieser Unsäglichen gelungen ist, meine Eltern so in Angst und Schrecken zu versetzen, dass sie nicht nur ihre eigene Geschichte, sondern auch die ihrer Kinder verfälschen werden.
Ich will erzählen für diejenige, die man wieder Louise de La Vallière nennt, die aber doch so viel mehr war. Ich will erzählen für meine Mutter. Und ich will erzählen, welch große Schuld mich an dem Verschwinden ihrer Geschichte selbst trifft. Denn ich habe einen großen Fehler gemacht. Die kostbare Truhe meines Vaters konnte ich nicht retten. Man zwang mich, sie dem Regenten auszuliefern. Doch die Briefe, die mein Vater mir hinterließ, wurden nicht entdeckt. Zu meinem Unglück habe ich sie an die falsche Person übergeben. Ich habe die falsche Person wissen lassen:
***
Brief des Duc du Maine, 1723
Sire,
Erlaubt, dass ich mich mit diesem Schreiben an Euch wende. Ich habe lange geschwiegen über eine Angelegenheit, die gleichermaßen Euer und mein Erbe bedeutet. Doch gestattet zunächst, dass ich Euch meinen in Vergessenheit geratenen Namen ins Gedächtnis zurückrufe.
Mein Name ist Louis Auguste de Bourbon, Duc du Maine. Damit ist klar, wer mein Vater ist und auch, in wem unsere gemeinsame Geschichte begründet ist. Es ist Euer Urgroßvater2, und Euer Vorgänger auf dem französischen Thron. Er gab mir meinen Namen und meine Titel.
Ich glaube, Ihr kennt mich nicht mehr, denn als ich gezwungen war, mich vom Hof zurückzuziehen, wart Ihr acht Jahre alt und mittlerweile selbst König. Sire, eine Zeitlang waren wir einander eng verbunden, doch ich weiß nicht, an was Ihr Euch erinnern könnt – oder erinnern wollt. Seid versichert, dass ich, als ich an Eurer Seite war, Euch fast liebte wie einen eigenen Sohn.
Ihr wisst, dass Euer würdiger Urgroßvater, mein Vater, all seinen Nachkommen sehr zugetan war, auch seinen natürlichen Kindern, deren ich eines bin. So sehr, dass ich, und nicht nur ich, den Hass des Regenten auf mich gezogen habe, doch dies gehört nicht hierher.
Der Grund, aus dem ich mein Schweigen breche, ist der, dass ich im Besitz von Briefen bin, die Euch nicht nur interessieren, sondern von größtem Nutzen für Euch sein dürften. Niemand kennt die Existenz und den Inhalt dieser Schriftstücke.
Um es kurz zu machen: Es handelt sich um Briefe, die mein Vater mir hinterlassen hat. Gerichtet an mich persönlich; mein Vater hat sie mir kurz vor seinem Tode anvertraut. Ich hatte eine kurze Unterredung mit ihm, zu einer Zeit, wo er das Bett nicht mehr verließ und sich auf das Sterben vorbereitete.
Ihr wisst, wie groß ich Euch auch mache, nach meinem Tode werdet Ihr nichts sein, und es wird bei Euch liegen, Euch alles, was ich getan habe, zunutze zu machen - wenn Ihr könnt.
Diese Worte sprach er zu mir, und ich muss gestehen, ich konnte es nicht. Vielleicht aber könnt Ihr es. Aus diesem Grund liegt mir daran, dass Ihr, und nur Ihr, diese Dokumente erhalten werdet und niemand sonst. Ihr seid nun volljährig, dies garantiert mir, dass Ihr selbst diese Schriftstücke in die Hände nehmen werdet und kein anderer, insbesondere niemand, dem an der Vernichtung derselben gelegen sein könnte. Wenn Ihr gelesen habt, werdet Ihr verstehen.
Ihr fragt Euch, warum ich bisher nur von meinem Vater gesprochen habe, nicht wahr? Auch dieses erläutern die Briefe. Denn ich weiß es, Sire, ich weiß es. Ich weiß, dass die Frau, die, wenn man ihren Namen noch sagt, Louise de La Vallière genannt wird, meine Mutter ist. Und ich weiß noch einiges mehr, was auszusprechen verboten worden ist.
Sire, gestattet mir eine Bitte zum Schluss: Haltet die Dokumente in Ehren, sie enthalten Zeugnisse aus dem Leben eines der größten Könige, die Frankreich je hatte. Und sie bezeugen, wer und was Louise de La Vallière wirklich ist.
Sire, mein Vater, Euer Urgroßvater, würde wünschen, dass man die Geschichte nicht zudeckt, sondern zurück an das Tageslicht befördert, wo sie hingehört. Er würde wünschen, dass man meine Mutter als das achtet, was sie ist. Als seine Liebe. Als sein Leben. Als Mutter seiner Kinder. Als seine Königin.
In der Hoffnung, Euch dieses Erbe Eures und meines Vorfahren achten zu sehen, verbleibe ich.
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Randnotiz des Königs Louis XV3
«… Euch fast liebte wie einen eigenen Sohn.» Ha, «Herzog», der Du sogar den Rang eines Prinzen von Geblüt verloren hast, du hast mich nicht geliebt. Du hast mich verlassen, wie alle anderen. Allein, war ich, allein, allein, allein! Und zum Schluss wolltest Du auch noch meine Krone, der Duc d’Orléans hat es mir gesagt. Du bist Schuld an meinem Unglück, Bastardprinz! Du und diejenigen, von denen du abstammst. Requiescat in Pace, Louise de La Vallière, du und deine Brut. Königin? Ha! Der Stand einer Nonne ist gerade gut genug für Dich. Büße bis in Ewigkeit, Soeur Louise de La Miséricorde. Denn mehr wirst du nicht mehr sein. Dafür werde ich sorgen.
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Auszug aus dem ersten Brief des Königs Louis XIV an seinen Sohn:
Louis Auguste, einige Dinge quälen mich, sie quälen mich, obwohl ich mich doch auf den Abschied aus dieser Welt vorbereiten sollte. Zum einen, mon fils, wirst Du anbei ein Dokument finden, in dem ich der Welt mitteile, dass Du und auch Deine Geschwister, mit einer Ausnahme, die Kinder meiner geliebten Louise seid. Hinsichtlich dieser Ausnahme habe ich nur zu sagen, dass Louise nicht die Mutter ist, ich aber auch nicht der Vater bin.
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Auszug aus dem zweiten Brief des Königs Louis XIV an seinen Sohn:
So vieles ist ungewiss, mein Sohn. Sind meine Pläne gelungen? Was seid Ihr nun? Regent für den jungen König? Oder ... Wird der kühnste meiner Pläne gelungen sein? Oder nichts? Während ich diese Zeilen schreibe, erfasst mich ein Beben. Ich sagte Euch bereits, dass ich die Geheimnisse Eurer Mutter und die meinen der Truhe anvertraut habe, die von König zu König weitergegeben wird. Ich bete darum, dass Ihr es seid, der sie lesen wird. Ich bitte darum, dass Ihr es seid, der das Erbe der Familie bewahren kann. Das vollständige Erbe.
1 Louis Auguste de Bourbon (1670–1736), Duc du Maine, siehe Personenverzeichnis.
2 Louis XIV ist der Urgroßvater von Louis XV, da er seinen Sohn und selbst die zur Thronfolge berechtigten Enkel überlebte.
3 Da ich den Weg der Dokumente Stück für Stück aufzeige, wird der Teil, der die Abneigung des Königs Louis XV erläutert, im Folgeband Eingang finden.
Se taire, se taire, toujours se taire…
Schweigen, schweigen, immer schweigen…
Louise de La Vallière
Sceaux, Mai 1736
Meine geschätzte Schwester,
Ihr habt mir gestattet, Euch zu schreiben. Ich danke Euch für diese Freundlichkeit! Und mit dem feinen Gespür, das Euch inne wohnt, ererbt von unserer Mutter, bemerktet Ihr, dass mir etwas auf der Seele brennt.
Ma soeur, ich besitze Briefe, genauer gesagt, Kopien. Die Originale habe ich leider vor langer Zeit einer Person zugesandt, die diese nicht zu schätzen wusste. Ein Rest von Verstand trieb mich dazu, sie zu kopieren, bevor ich sie demjenigen überließ.
Ich hadere, ma soeur. Darf ich sie Euch überlassen? Euch noch mehr Verantwortung aufbürden? Ich bin ein Feigling, dass ich mich so aus dem Leben stehle. Mein Vater hat wenig Grund, stolz auf mich zu sein. Es schmerzt, ma soeur, es schmerzt so sehr. Ich bin nicht mehr bei Kräften, Madame, und Ihr seid ebenfalls keine junge Frau mehr.
Doch ich wage es nicht, weiteres schriftlich zu enthüllen. Briefe kommen manchmal nicht an, wisst Ihr.
Ich hoffe, dass Euch dieses Schreiben erreicht. Wir müssen uns sehen.
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Château de Choisy-le-Roy, Mai 1736
Ja. Ich komme. Hoffentlich noch rechtzeitig.
1 Marie Anne de Bourbon (1666–1739), Princesse de Conty, siehe Personenverzeichnis.